„Ich hasse dich.“
Sein Fuß tritt in eine Pfütze.
„Ich hasse dich.“
Ein Auto fährt vorbei.
„Ich hasse dich.“
Seine Hosenbeine reiben aneinander.
Der Regen prasselt auf das Dach einer Haltestelle.
„Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich hasse dich.“
Ihre Stimme hallt in jedem Tropfen.
„Bist du völlig übergeschnappt?“
Ihre Stimme überschlug sich. Die Freundinnen kicherten.
Er starrte sie an. Er begriff es nicht. Er hatte es gesehen. Ihre Augen hatten geleuchtet.
Die Swarovski-Verkäuferin ließ einen Kristall fallen. Scherben mischten sich unter leise Flüche.
Er starrte sie an. Anna. Er begriff es nicht.
Sie hatte eine Falte zwischen den Augenbrauen. Die Freundinnen steckten die Köpfe zusammen.
„Was bildest du dir eigentlich ein? Hau ab!“
Er konnte sich nicht bewegen.
Annabel lief los. Die Freundinnen starrten ihn an.
Sie drehte sich noch einmal um.
„Ich hasse dich. Wie kannst du mir das antun?“
Die Rose fiel aus seiner Hand. Er stand im Strom der Passanten. Eine Einkaufstüte schlug ihm in den Rücken. Ein Kind kreischte.
Irgendwann ging er los. Rosenblätter hefteten sich an Schuhsohlen.
Ihre Stimme hallt in jedem Tropfen.
Seine Füße laufen über Sand. Verwundert schaut er auf. Der Friedhof.
„Lächerlich“, schnaubt er. „Armselig pathetisch.“
Seine Stimme erscheint ihm fremd.
Er dreht sich um, da fällt sein Blick auf einen Turm aus Stein. Abseits vom Weg, zwischen Bäumen, versteckt der Friedhof ein Mausoleum. Er tritt näher. Grün überzieht den alten Stein, durch das der Regen Schlieren zeichnet. Er strengt sich an, die Inschrift über dem Eingang zu lesen.
„Van de Oude Meer“
Seine Finger streichen über die Buchstaben. Dann ertasten sie eine Unebenheit. Er wischt das Grün beiseite. Jemand hat etwas in den Stein gekratzt, tief, denn der Regen konnte es noch nicht auswaschen.
„Anna“
Sein Atem stockt. Er wischt über den Schriftzug. Sein Ärmel färbt sich grün.
„Anna“ liest er – und begreift.
Ihm wird warm. Sein Herz schlägt. Es hört auf zu regnen.
Anna ist sie nie gewesen.
Er dreht sich um und geht nach Hause.
Annabel ist an diesem Tag gestorben, aber er würde es überleben. Denn Anna, seine Anna, ist irgendwo da draußen.
*
„Ich liebe dich“
Seine Füße wirbeln durch den Staub.
„Ich liebe dich.“
Eine Glocke gellt in der Ferne.
„Ich liebe dich.“
Der Wind bauscht seine Kleider.
Er rennt
„Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich.“
Ihre Stimme klingt in jedem Schritt.
„Ich werde an dich denken!“
Ihre Stimme erstickte. Die Zofen töteten mit ihren Blicken.
Er blickte sie an. Er wollte es nicht glauben. Sie hätten einen Weg finden müssen. Er hatte an Hoffnung geglaubt.
Ein Pferd zertrat einen Ast. Der Kutscher versuchte es leise zu beruhigen.
Er blickte sie an. Anna. Er wollte es nicht glauben.
Sie weinte. Die Zofen schoben sie in die Kutsche.
„Was bildest du dir eigentlich ein? Hau ab!“ zischte eine.
Er konnte sich nicht bewegen.
Anna wehrte sich.
Sie rannte zu ihm.
„Ich werde dich immer lieben. Vergiss das nie.“
Der Kutscher zerrte sie davon. Mit einem Arm stieß er ihn in den Sand. Ein Hund bellte. Die Pferde stampften.
Ihre Stimme klingt in jedem Schritt
Er rennt der Kutsche hinterher, bis sie im Staub verschwindet. Schließlich verklingt das Peitschenknallen.
Er wird es nie vergessen.
Irgendwann laufen seine Füße über Gras. Verwundert schaut er auf. Der Friedhof - die Gruft. Ihm wird kalt. Seine Finger streichen über die Inschrift im Stein, sie zittern.
Er wünscht, er hätte ein Schwert, das er in sein Herz rammen könnte. Doch er wird nie ein Schwert haben. Er hat nur sie.
Er bückt sich und klaubt einen Kiesel aus dem Gras. Seine Finger beginnen zu schreiben, immer und immer wieder, ihren Namen. Er wird nie ein Schwert haben. Er hat nur den Stein und den Namen an der Gruft.
Irgendwann wird sie hier liegen, Annabelle, das Mädchen vom alten Meer.
Anna aber ist an diesem Tag schon gestorben.
Tag der Veröffentlichung: 20.01.2010
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