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Sie steht am Fenster und blickt hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Ihre Hand streicht über den Rock des weißen Kleides, während ihr Kopf Glück anprobiert.

Die Lippen formen ein breites Lächeln. Die Augen schließen sich, in schweigendem Genuss schwelgend. Im Bauch stellt sich eine wohlige Wärme vor; ein schwaches, angenehmes Ziehen in der Brust. Die Nase atmet den blumigen Duft des Frühlings, lässt die warme Luft durch die Lungen strömen, während die funkelnden Augen dem Tanz zweier Schmetterlinge folgen. Spontan fällt der Mund in lautes Lachen. Der Körper dreht sich mit wehenden Kleidern durchs Zimmer, lässt die dunklen Locken fliegen.

Der Schwindel zwingt sie zum Stillstand. Ihre Hand streicht über das kalte Weiß. Nein, Glück passt ihr nicht.

Sie geht zu dem hohen Spiegel, berührt vorsichtig den vergoldeten Rahmen, während ihr Kopf sich Liebe überstülpt.

Die Augen versuchen eine sanfte Zärtlichkeit, das Herz entschließt sich ein wenig schneller zu schlagen. Die Hand fängt die Schmetterlinge des Frühlings und zaubert sie in den Bauch. Die wackeligen Beine berühren auf tänzelnden Füßen kaum den Boden, weil die Arme weiche Wolken umarmen. In der Brust zerrt das Verlangen nach zweisamer Vollständigkeit. Die Vorstellung malt das Bild dieser Ganzheit in schillernden Farben, und die Wangen antworten mit heißer Röte. Die Lippen kontern darauf mit einem breiten Lächeln und schaffen bezaubernde Grübchen.

Ihre Hand berührt die Grübchen. Ihre Augen starren sich erschrocken selbst im Spiegel an. Nein, Liebe ist ihr zu groß geworden.

Nachdenklich geht sie durch das Zimmer, berührt andächtig den antiken Schrank. Ihr Unterrock raschelt mit jedem Schritt, während ihr Kopf Aufregung anzieht.

Das Zerren in der Brust rutscht in den Bauch, der es mit einem nervösen Grollen willkommen heißt. Die Hände nesteln ruhelos an der Spitze des Schleiers, verschränken sich ineinander, lösen sich und finden erneut zurück zum makellosen Weiß des Kleides. Die Füße drücken sich tief in das bunte Weich des dicken Teppichs, in beständiger Kreisbahn. Die Ohren vergessen das konstante Rauschen der Welt auszublenden. Die Kehle schluckt trockene Luft. Das Herz flattert im Takt mit den Augenliedern.

Zwischen zwei Wimpernschlägen erhascht sie ihre Reflektion im Fenster. Nein, Aufregung hat einen Grauschleier bekommen.


Verunsichert blickt sie sich um in diesem Zimmer. Bald würden die Glocken ihr Konzert beginnen und sie hatte nichts zu tragen. Wie konnte das passieren?

Wütend starrt sie ihr Lieblingskostüm an, das auf dem dunklen Kleiderständer in der Ecke hängt: Eine anschmiegsame Jacke aus Geborgenheit und ein wunderschöner Rock aus glänzender Gewohnheit.

Vor Tagen schon hätte sie hierher kommen sollen. Dann hätte sie bemerkt, dass ihr wunderschönes weißes Kleid nicht so gewebt wurde, wie es sein sollte.

Ungläubig fasst sie an den Stoff, und fühlt nichts als grobmaschige Erwartung, und schwere Pflichterfüllung. Doch da gibt es auch – sie hält kurz inne und streicht über die fein gearbeitete Spitze des Schleiers – dieses wunderschöne Muster aus Einfachheit.

Sie zögert. Ihre Schritte kehren zurück zum Spiegel. Hübsch anzusehen ist es doch, dieses Kleid.

Unerwartet zuckt die Hand zur Wange. Ein Auge weint. Der Kopf heuchelt Erstaunen.

Die Glocken beginnen ihr Spiel.

Plötzlich ist sie entschlossen. Das Kleid fällt zu Boden. Sie tritt hinaus ins Sonnenlicht.

Die Schmetterlinge tanzen.

Ein wärmender Mantel aus Einsamkeit legt sich um ihre Schultern – er passt genau.

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Tag der Veröffentlichung: 09.05.2009

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