Kann meine eine Geschichte nur durch ihre Enden erzählen?


Hier ein Versuch.

Ronja

stand am Fenster und beobachtete wie die Sonne langsam unterging. Wo war die majestätische Schönheit, die die Welt in warmen Farben hatte strahlen lassen? Ein Wimpernschlag hatte sie verbrannt zu grauer Asche.

Wie konnte das Leben so grausam sein?

Sie lehnte die Stirn an die kalte Scheibe, konzentrierte sich auf ihren Atem, der das Fensterglas beschlug. Sie zwang sich ruhig und gleichmäßig luftzuholen.


Es war ihre Schuld. Sie hatte sich dagegen gewehrt, sich mit all ihrer Kraft an ihre Ehre geklammert, und war trotzdem zu schwach gewesen.

Sie hatte doch nur gewollt, dass der Sonnenuntergang Sinn machte.

Jetzt war alles verloren; die wenigen unbeschwerten Stunden in denen sie fliegen konnte; das sehnende, aufgeregte Warten, der Tanz auf den Wolken.

Es war ihre Schuld. Wie hatte sie so selbsüchtig sein können? Wie hatte sie ein paar Stunden gegen ein ganzes Leben eintauschen können?

„Hättest du mich doch nur nie getroffen.“ flüsterte sie.

Ronjas Hand strich über einen schwarzen Motorradhelm, der auf dem Fensterbrett lag.

„Morgen fahren wir endlich einmal zusammen.“ hatte er gesagt.

Sie schluckte, schloss kurz die Augen, und riss sich zusammen.

Sie hatte kein Recht zu trauern.


Tim

dachte zurück an den letzten Abend. Genervt hatte er den Kopf geschüttelt als er zurück nach Hause gefahren war. Was für ein Stress. Wie immer war es wirklich lustig gewesen, bis Christina plötzlich aus heiterem Himmel ins Zimmer gestürmt kam um Nils anzukeifen.

Irgendwann war er dann geflüchtet. Er hatte sich fest vorgenommen in den nächsten Tagen mal mit Nils zu reden. So konnte das nicht weitergehen.

Und jetzt standen sie hier. Wieder schüttelte er seinen Kopf, voller Ungläubigkeit.

Er hätte sich um seinen Freund kümmern sollen, ihn mitnehmen, irgendetwas, ihn nicht alleine lassen sollen mit den angebrochenen Flaschen. Aber wie hätte er das ahnen können?

„Nils, was hast du dir bloß gedacht? Wo wolltest du denn hin mitten in der Nacht?“

Seine Finger umschlagen fest Simones Hand.


Simone

stand wie gelähmt neben ihrem Mann. Sie blickte zu Ronja, die wie ein Geist in der Menge schwebte. Sie wusste, dass sich ihre Schwester die Schuld gab.

„Hätte er mich doch bloß nie getroffen.“ hatte sie gestern mit tonloser Stimme geflüstert.

Dabei konnte Ronja am allerwenigsten etwas dafür. Es war ganz allein ihre Schuld. Ronja hatte soviele Zweifel gehabt.

Wie konnte sie einen Mann lieben, der verheiratet war? Nein. Das durfte sie nicht zulassen.

„Sei nicht albern.“ hatte Simone damals entgegnet. „Als könntest du dir das aussuchen. Und was heißt schon verheiratet? Tim sagt, dass die Beiden seit Monaten nur noch streiten.“

Irgendwann hatte Ronja ihr geglaubt. Jetzt stand sie hier, verloren, einsam, ein Phantom in der wirklichen Welt.

Es war alles ihre Schuld. Durch sie hatten die Beiden sich getroffen. Sie hatte das Geheimnis bewahrt.

Tim drückte ihre Hand. Sie blickte ihn an. Sein Gesicht war zu Asche zerfallen.

Auch er gab sich die Schuld. Auch ihn hatte sie in den Abgrund gestürzt.

Wie könnte er sie noch lieben, wenn er wüsste dass sie seinen besten Freund getötet hatte?

Simone schluchtzte.

„Es tu mir so Leid.“ flüsterte sie.


Christina

fühlte wie Tränen über ihr Gesicht liefen. Sonst fühlte sie nichts.

Stumm ließ sie eine Papierrolle hinabfallen.

Nils,

Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte all diese unwichtigen Kleinigkeit größer werden als unsere Liebe? Ich will mich nicht mehr darüber streiten, wessen Schuhe wo herumstehen. Ich will dich nicht mehr anschreien, weil du vergessen hast das Licht auszumachen. Ich will nicht mehr alleine schlafen, weil ich den Geschirrspüler nicht ausgeräumt habe.

Wir hatten eine ganze wundervolle Welt, und ich bin sicher, dass wir sie wieder zurückerobern können. Der Mond ist nicht verloschen, die Sterne leuchten noch immer unseren Weg.

Lass ihn uns gemeinsam gehen.

Ich liebe dich.

Stumm lies Christina die Papierrolle hinabfallen. Sie fühlte wir Tränen über ihr Gesicht liefen. Sonst fühlte sie nichts.

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Tag der Veröffentlichung: 25.02.2009

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