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1. Kapitel

„Was war ich für dich? Nur ein Platzhalter, damit der Platz an deiner Seite nicht leer ist?“

Ihrem entsetzten Gesichtsausdruck nach war Torben sofort klar, dass er zu weit gegangen war. Und wenn er ehrlich war, dann wusste er, dass sie in einer verdammt schwierigen Situation steckte. Aber was war mit ihm? Er stand da und musste hilflos zusehen, wie die Frau, die er so sehr in sein Herz geschlossen hatte, sich von ihm abwandte!

Torben sah nur Julia an, aber er wusste genau, dass er weiter hinten an der Küchenzeile gelehnt stand und gelassen, ja vermutlich sogar siegessicher, zu ihnen herüberschaute. Sie standen in Julias Wohnung, die eine große Wohnraumküche hatte.

„Torben, bitte. Das Ganze ist auch für mich nicht einfach.“

Tief atmete er ein, um die Wut in sich zu zügeln. Alles war jetzt besser als ein emotionaler Ausbruch. „Aber muss er gleich hier wieder einziehen?“

„Genaugenommen ist es seine Wohnung.“ Ihre Stimme bebte, und Torben tat die ganze Situation leid. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und so lange geküsst, bis er aus diesem Albtraum erwachte. Aber er schlief nicht, leider. In ihm brodelte es und er musste hier raus!

„Ich muss jetzt gehen, Julia. Wir telefonieren?“ Vorsichtig ging sie einen Schritt auf ihn zu, hob ihm die Hand entgegen, aber Torben drehte sich rasch um und verschwand durch die Tür. Er flog förmlich die Stufen hinunter und sprintete geradezu fluchtartig zu seinem Auto.

Er wusste nicht mehr, wie lange er durch die Straßen gefahren war, bis er sich letztendlich entschloss, ins Büro zu fahren. Nach Hause konnte er nicht. Dort hätte ihn nur alles an Julia erinnert, denn es gab fast keine Stelle in seiner Wohnung, an der sie sich nicht geliebt hatten.

Als er die Bürotür öffnete, sah er in das erstaunte Gesicht seines Kollegen Gero. Er nickte ihm nur kurz zu und setzte sich an seinen Schreibtisch. Sie teilten sich zu dritt das Büro hier in der Kripo-Abteilung 3. Ihre Kollegin Katja hatte Urlaub und kam morgen erst wieder.

„Was machst du hier? Du hast Feierabend!“

„Na und?“, raunte Torben seinen Kollegen schroff an. „Du bist ja schließlich auch ohne meine Erlaubnis hier, da werde ich deine wohl auch nicht brauchen.“ Ohne ihn weiter zu beachten, setzte er sich an seinen Schreibtisch.

 

„Hier, frischer Kaffee.“ Torben sah auf. Gero schob ihm eine heiß dampfende Tasse Kaffee über den Schreibtisch und setzte sich selbst, ebenfalls mit einer Tasse Kaffee, auf einen der Besucherstühle an Torbens Schreibtisch. „Also? Was ist los?“ Auffordernd sah Gero ihn an.

„Was soll los sein?“

„Seit über fünf Jahren arbeiten wir nun zusammen und haben schon so manche schwere Zeiten durchgemacht. Ich behaupte einfach mal, dass wir nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde sind. Abgesehen davon könnte heute jeder merken, dass mit dir etwas nicht stimmt. Seit einer halben Stunde sitzt du stur an deinem Schreibtisch und starrst die Tischplatte an.“

Gero nahm einen Schluck Kaffee, ließ ihn dabei jedoch nicht aus den Augen. Torben griff nach dem Kaffee und sog erst einmal den Duft tief ein.

„Wieder dein Vater?“

Torben stöhnte leicht auf. An den hatte er ausnahmsweise mal nicht gedacht. „Nein“, antwortete er nur kurz.

„Julia?“, fragte Gero weiter.

„Ja.“ Torben nahm einen Schluck Kaffee. „Ihr Verlobter stand heute plötzlich vor der Tür.“

„Ihr was?“ Gero setzte sich auf und lehnte sich etwas vor.

„Alexander Guthoff.“

„DER Alexander Guthoff? Der Sohn vom Firmenriesen Guthoff-Reisen?“ Torben nickte nur. „Ich denke, der ist tot?“

„Das dachten wohl alle. Ist er aber nicht.“

„Mal langsam. Erzähl mal von vorne und wieso Verlobter?“

Torben lehnte sich ebenfalls auf den Tisch und spielte etwas mit der Tasse, während er langsam zu erzählen begann. „Ich wollte gerade noch einkaufen gehen, als Julia mich vorhin anrief. Sie war völlig aufgelöst und redete wirr durcheinander. Ich verstand sie erst überhaupt nicht, bis ich mir dann das Wichtigste zusammenreimen konnte. Der alte Guthoff hatte ja damals einen Riesenwirbel hier gemacht, als das passiert war, daher wusste ich ein wenig über die Sache Bescheid.“

„Aber was hat Julia mit diesem Guthoff zu tun?“

„Sie war mit Alexander verlobt. Ein Wochenende vor der Hochzeit veranstaltete er mit seinen Kumpels eine Junggesellenabschiedsparty in der Karibik. Ein kleiner Segeltörn von vier Tagen. Gesponsert von Daddy. Schon am zweiten Tag gab es ein Unwetter. Sie waren weit weg vom Festland …“

„Ich weiß. Die Geschichte kennt hier in München jeder, der sich Polizist schimpft, so ist der Alte uns damals allen auf den Sack gegangen. Acht Burschen, fünf überlebten auf dem Boot, zwei wurden später tot an naheliegenden Stränden gefunden, einer, sein geliebter Sohn, galt als verschollen. Seit wann weißt du davon? Ich meine, dass sie die Verlobte war?“

„Sie hatte es mir ziemlich früh gesagt. Sie erzählte mir die Geschichte mit Alexander, dass der alte Guthoff alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte und nach seinem Sohn suchte. Ein Jahr nach dem Vorfall ließ der Vater dann auch seinen Sohn für tot erklären, aber die Leiche wurde nie gefunden.“

„Wie lange war er denn jetzt weg?“

„Fast eineinhalb Jahre. Drei Monate sind Julia und ich jetzt zusammen gewesen.“

„Gewesen? Hat sie Schluss gemacht?“

Torben lehnte sich angespannt zurück. „Nein, so richtig nicht.“

„Aha, aber so unrichtig schon, oder wie?“

„Er wohnt wieder bei ihr.“

Gero zog angespannt die Stirn kraus. „Er macht was?“

„Ja, das habe ich Julia auch gefragt. Weil ich sie am Telefon so richtig nicht verstanden habe, bat ich sie, sich zu beruhigen und sagte ihr, dass ich zu ihr käme. Aber das wollte sie gar nicht.“

„Aber du bist trotzdem hingefahren?“

Torben sog tief die Luft ein. Alleine der Gedanke an die Situation, als er vor ihrer Tür stand und dieser Alexander die Tür geöffnet hatte, wühlte ihn wieder richtig auf.

„Ja. Da gerade jemand aus dem Haus kam, ging ich direkt hoch zur Wohnung und schellte an der Wohnungstür. Alexander Guthoff öffnete mir und schaute mich fragend an. Da kam Julia schon dazu, schob ihn zur Seite und bat mich herein.“

„Bist du echt in die Wohnung?“

„Sicher, warum nicht? Sie ist doch meine Freundin.“ Torben trank den letzten Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Kalter Kaffee schmeckte scheußlich. „Julia war blass und sehr aufgeregt.“

„Erfreut aufgeregt, oder mehr schockiert?“

Torben überlegte. „Ist das wichtig?“

„Mir wäre es an deiner Stelle wichtig. Wenn sie erfreut aus dem Häuschen wäre, würde das die Gefühle für dich schon in Frage stellen, oder nicht?“

„Ich habe es eh verbockt.“

„Inwiefern? Was hast du gemacht?“

Torben schob die Tasse an das Tischende und strich sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Sie bat mich rein. Es ist eine recht große Wohnung. Man kommt jedoch direkt ins Wohnzimmer, bzw. das ist so eine Art Wohnraumküche. Sehr groß. Alexander ging dann in den Küchenbereich, lehnte sich dort an die Arbeitsplatte und beobachtete uns.“ Torben schluckte schwer. Wieso hatte er bloß so reagiert?

„Und dann? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Julia erzählte mir, dass Alexander plötzlich vor der Tür gestanden hatte. Sie wäre erst geschockt gewesen und stünde noch immer etwas neben sich, daher hätte sie mich auch angerufen, damit ich es nicht von jemand anderem erführe. Auf meine Frage, warum er noch da sei, antwortete sie, dass er schließlich dort wohne. Das sei seine Wohnung.“

„Die Situation ist bestimmt nicht einfach für sie“, fiel Gero ein.

„Ja, und ich Trottel habe sie im Stich gelassen und es versaut.“ Torben sah auf und Gero an. „Es gab einen kurzer Wortwechsel, weil ich nicht verstand, dass er dort wieder so einfach einziehen konnte. Dass sie das so hinnahm und mitmachte. Dann fragte ich sie, was sie für mich empfand. Ob ich nur ein Platzhalter für sie gewesen sei, damit sie nicht so allein war.“

„Autsch! – Torben, das ist nicht dein Ernst, oder? Das hast du sie nicht wirklich gefragt? Mein Gott, ein Elefant im Porzellanladen ist vermutlich gefühlsvoller als du.“ Gero stand auf, griff nach der leeren Tasse und ging Richtung Tür. „Ruf sie an und entschuldige dich!“ Damit verließ er den Raum.

Torben atmete tief ein und sah aus dem Fenster. Mittlerweile war es stockdunkel draußen. Es war Mitte November, und es fing leicht an zu regnen.

Zögernd nahm er das Handy heraus. Fünf Anrufe in Abwesenheit. Warum hatte er das Telefon nicht klingeln gehört oder wenigstens das Vibrieren gespürt? Zwei Anrufe waren von seinem Vater. Den konnte er sich heute nicht auch noch reinziehen. Und auch seine Schwester Corinne wollte bestimmt nur wieder gut Wetter für Vater machen. Zwei Anrufe waren jedoch von Julia. Der letzte vor einer halben Stunde.

Gero hatte Recht. Er musste sich entschuldigen, wenn es nicht schon zu spät war. Er schaute auf die Uhr: 22:15. Normalerweise ging Julia früh zu Bett. Meist schlief sie um diese Uhrzeit schon. Wiederum war das keine normale Situation. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, dann drückte er die Rückruftaste.

„Preisinger“, meldete sie sich leise und verschlafen.

„Torben hier. Entschuldige, ich glaube, ich habe dich geweckt.“ Sofort hatte er ein schlechtes Gewissen und seine Brust engte sich ein. Er konnte sie sich genau vorstellen, wie sie im Bett lag und völlig verknautscht am Telefon war.

„Ich habe versucht, dich zu erreichen.“ Ihre Stimme war immer noch leise, fast flüsternd.

Torbens Brustraum zog sich scheinbar immer mehr zusammen und seine Fantasie ging gleich wieder mit ihm durch. Lag er neben ihr im Bett und sie flüsterte deshalb?

„Wo bist du? Ich war bei dir zuhause, aber du warst nicht da. Auch dein Auto stand nicht vor der Tür.“ Ihre Stimme wurde klarer, somit auch deutlicher und etwas lauter.

„Du warst bei mir?“, fragte er irritiert nach.

„Ja, durfte ich nicht? Wo bist du?“

„Ich, ähm, musste noch mal ins Büro.“

„Ach so. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

„Warum?“

„Bist du immer noch im Büro?“

„Ja. Ist er noch da?“

„Ja.“

Wieder verspürte er einen starken Schmerz in seiner Brust. Torben atmete schwer ein.

„Er schläft im Arbeitszimmer. Wir haben ein Gästebett organisiert.“

Torben versuchte sich auf das Gesagte zu konzentrieren und seine Fantasie außen vor zu lassen.

„Ich kann ihn schlecht vor die Tür setzen. Das musst du verstehen.“

„Es tut mir leid, wie ich vorhin reagiert habe. Ich war mit der Situation etwas überfordert.“

„Ich weiß. Es ist für dich bestimmt auch alles andere als einfach.“

„Nun, ich denke, dass es für dich viel schwieriger war und auch noch ist.“ Torben schloss erneut die Augen. Es tat so weh. Noch nie hatte er das Gefühl gehabt, den Boden unter den Füßen zu verlieren, aber so musste es sich wohl anfühlen. „Du sagtest, du warst bei mir zuhause?“

„Ja, ich wollte dich sehen, hören und vielleicht auch spüren. Ich hatte gehofft, die Nacht bei dir bleiben zu dürfen, das wäre für mich einfacher gewesen.“

Innerlich stöhnte Torben auf. Sie wollte ganz offensichtlich ihn, oder nicht? Oder war er nur…? Nein, er war noch nie ein Schwarzseher gewesen. Damit musste er auch jetzt und hier nicht anfangen.

„Sehen wir uns morgen?“, fragte Julia vorsichtig.

„Wenn du das möchtest, natürlich.“

„Ja, das wäre schön. Aber du bist freitags meist unterwegs. Ist morgen nicht dein Kegelabend?“

„Nein.“ Mit Grauen dachte er an den morgigen Abend. Sein Vater hatte ihn zum Dinner nach Hause eingeladen. Er hatte keine Ausrede gefunden um abzusagen und gehofft, dass in letzter Sekunde noch eine Leiche oder ein sonstiger Sondereinsatz dazwischen käme.

„Ich hole dich um zwölf im Büro ab. Wir können uns einen Wrap an der Ecke holen und zusammen essen, wenn du magst.“

Nun lachte sie leise, und sofort schmerzte wieder seine Brust. Er durfte sie nicht verlieren!

„Also bist du abends doch unterwegs.“

„Mein Vater hat mich eingeladen. Eigentlich wollte ich dich heute Abend fragen, ob du mitkommen würdest, aber ich glaube, das wäre im Moment nicht die richtige Gesellschaft für dich.“

„Du bist immer so fürsorglich und übervorsichtig was mich betrifft. Aber du hast Recht, das wäre im Moment bestimmt der falsche Zeitpunkt, deine Familie kennenzulernen.“

Vor allem diese Familie, dachte Torben und überlegte, was er am Besten sagen sollte.

„Torben, ich bin wirklich sehr müde und muss ja morgen auch wieder früh raus. Wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich jetzt gerne schlafen.“

„Ja, selbstverständlich. Schlaf gut, Julia. Und wenn irgendetwas ist, ruf mich bitte an!“

„Damit du es wieder nicht hörst?“

„Ich werde besser darauf achten, versprochen.“

„Okay. Gute Nacht Torben.“

„Gute Nacht, Maus.“

Torben legte auf und sah zur sich öffnenden Tür. Gero kam einen Schritt herein und zeigte ihm, dass er ihm folgen sollte.

„Komm, ist spät genug. Gehen wir nach Hause.“ Damit drehte er sich schon wieder zum Flur.

Torben stand auf und folgte ihm. Gemeinsam gingen sie durch die verwaisten Flure runter in die Tiefgarage.

„Weißt du, was komisch an der ganzen Geschichte ist? Warum hat er vorher nicht angerufen, oder anrufen lassen? Wieso steht er einfach vor der Tür?“

Torben überlegte. Da hatte Gero Recht.

„Was weißt du über ihn, sein Verschwinden und Wiederauftau-chen? Wo war er in den letzten eineinhalb Jahren, und wieso hat er nicht eher den Kontakt zu ihr gesucht?“, hakte Gero weiter nach.

„Keine Ahnung“, musste Torben eingestehen und sein Misstrauen wuchs, je mehr er darüber nachdachte.

Als Gero die Tiefgaragentür öffnete, sah er Torben fragend an. „Wie kommt es, dass ausgerechnet Julia seine Verlobte ist? Ich meine, verstehe mich nicht falsch, ich finde sie wirklich nett und gut aussehen tut sie ja, weiß Gott, auch, aber sie spielt doch lange nicht in der Liga, in der Alexander Guthoff spielt, oder? Sie ist doch eher so ein Normalo wie wir, oder irre ich mich da?“

„Ich würde uns nicht als Normalos bezeichnen“, murmelte Torben vor sich hin.

„Stimmt. Du kommst ja eigentlich auch aus einer anderen Liga.“ Damit klopfte er Torben auf die Schulter und ging zu seinem Wagen.

Einen Moment überlegte Torben, ob er darauf etwas sagen sollte, ließ es aber sein. Grundsätzlich hatte Gero wirklich Recht.

 

Müde war er, als er die Wohnungstür aufschloss. Sofort sah er den blinkenden Anrufbeantworter. Die meisten seiner Freunde und Bekannten riefen ihn auf dem Handy an. Eigentlich rief nur seine geliebte Familie auf dem Festnetz an, wenn sich mal einer von denen rührte.

Zwei Nachrichten waren drauf. „Erste Nachricht, heute 16.15: Hallo Torben, hier ist deine Mutter. Es geht um morgen Abend. Dein Vater macht mich noch wahnsinnig, weil du ihm wohl noch nicht zugesagt hast. Ich habe ihm gesagt, dass, wenn du nicht kommen würdest, du sicherlich abgesagt hättest. Ich hoffe, dass das stimmt. Ich weiß, dass du viel zu tun hast. Vielleicht kannst du mich einmal kurz anrufen. Danke. Ich liebe dich mein Sohn!“ Die sanfte, liebevolle Stimme seiner Mutter gab ihm gleich wieder einen Stoß. Er hasste es, wenn sein Vater sie als Spielball benutzte.

„Zweite Nachricht, heute 20.35: Julia hier. Torben wir sollten noch einmal miteinander reden, bitte. Ich habe es schon auf dem Handy versucht. Ruf mich doch bitte zurück. Ich werde es aber gleich noch einmal auf dem Handy versuchen.“

Torben löschte beide Nachrichten, ging duschen und legte sich dann ins Bett. Doch schlafen konnte er nicht, obwohl er hundemüde war.

 

 

 

2. Kapitel

Torben lag wach in seinem Bett und konnte nicht schlafen. Alles Mögliche ging ihm durch den Kopf. Morgen war mal wieder so ein Abend bei seinem Vater. Vor drei Monaten hatte das letzte gemeinsame Essen im Hause seines Vaters stattgefunden, was im Anschluss mal wieder mit Vorwürfen an seine Person und seiner Berufswahl endete. Torbens Gedanken schweiften ab.

Im großen Wohnzimmer des exklusiven Herrenhauses seines Vaters hatten sie sich alle noch einen Abschlussdrink nehmen wollen. Ausnahmsweise war der ganze Abend zuvor recht friedlich verlaufen.

„Ich habe meine Kontakte spielen lassen. Du kannst neben deinem Beruf auf dem zweiten Bildungsweg auf der Privat-Uni Chronas das Staatsexamen machen“, begann sein Vater ruhig.

Irritiert hatte Torben ihn angesehen. „Warum sollte ich das tun?“

„Mein Gott, wenn du dich schon für diese Seite entschieden hast, dann kannst du doch auch in die Staatsanwaltschaft gehen, oder gar später einen Richterposten bekleiden.“

Daraufhin war ein gepfefferter Schlagabtausch zwischen Vater und Sohn entstanden, der von seinem Vater ausgehend tief unter der Gürtellinie endete.

Sein Vater war Staranwalt in München. Schon sein Vater war ebenfalls einer der hiesigen Spitzenanwälte zu seiner Zeit. Torbens ältere Geschwister, Ben und Corinne, waren in Vaters Fußstapfen getreten, so wie er es vorgab und wollte. Beide waren mittlerweile Sozia-Partner in der überdimensionalen Anwaltskanzlei seines Vaters. Nur er, Torben, war die große Enttäuschung seines Lebens, da er nur Polizist geworden war.

Das Fass zum Überlaufen brachte sein Vater, als er Torbens Mutter die Schuld dafür gab. Ihre Gene seien schuld, … Ihr Vater und auch ihr Großvater waren ebenfalls Polizisten. Dadurch hatten sie sich damals kennengelernt. Sein Vater war auf dem Polizeirevier, um seinen Vorgesetzten im Praktikum zu begleiten, der einem frisch verhafteten Rechtsbeistand geben sollte. Seine Mutter wollte ihren Vater von der Arbeit abholen, und so stießen sie aufeinander.

Immer wenn sein Vater hier nicht weiter wusste, gab er seiner Frau die Schuld, die sich dann immer wieder gekränkt und enttäuscht zurückzog. So auch an diesem Abend. Ben hatte zwar hin und wieder mal etwas gesagt, wurde aber sofort vom Vater in die Schranken gewiesen, und so blieb er mehr oder weniger stumm am Kaminsims und trank seinen Scotch. Corinne hielt sich eh immer aus allen Familienstreitgesprächen heraus. Aber wohl auch mehr, weil sie das Gleiche empfand wie ihr Vater. Sie schämte sich dafür, dass Torben nur der kleine Bulle war.

Angenervt drehte Torben sich im Bett. Morgen also wieder einmal so eine Tortur. Was es wohl Großes zu besprechen gab? Dass Torben an seinem Leben nichts ändern wollte, hatte sein Vater wohl zwischenzeitlich geschluckt, oder doch nicht?

„Ich bin noch nicht fertig mit dir!“, hatte er ihm hinterher geschrien, als Torben die Faxen dicke hatte, sich nicht weiter niedermachen lassen wollte und das Wohnzimmer und dann das Haus verließ.

Nun schmunzelte er leicht. Genaugenommen hatte er es seinem Vater zu verdanken, dass er Julia kennengelernt hatte.

Wütend war er damals nach Hause gefahren und hatte sich ein Taxi bestellt, das ihn in die Innenstadt fuhr. Torben wollte sich restlos betrinken, den Kummer ertränken. Obwohl das eigentlich gar nicht seine Art war. Aber schon das erste Bier schmeckte nicht, und das Glas wollte und wollte nicht leerer werden, was ihn erst noch mehr ärgerte.

Er zahlte und stiefelte genervt durch die Fußgängerzone, als eine Gruppe Mädels aus einem Bistro kam. Lachend, nein kichernd traten sie auf die Straße, und da sah er sie. Julia stand mitten in der Gruppe und strahlte ihn an. Langsam schlenderte er weiter und auch die Gruppe schlug seine Richtung ein. Irgendwann gingen Julia und er fast nebeneinander her, und so kamen sie ins Gespräch. Er ging langsamer als die Mädelstruppe, und Julia blieb quasi bei ihm hängen. Die anderen beschwerten sich auch bei ihr, dass sie so trödelte, aber sie hatte nur lachend abgewunken und sich von ihren Freundinnen verabschiedet. Sie wollte sich am Taxistand, der um die nächste Ecke war, ein Taxi nehmen und nach Hause fahren.

Die Mädels zogen daraufhin weiter. Julia und er bummelten jedoch noch fast zwei Stunden durch Münchens Fußgängerzone, redeten über alles Mögliche, setzten sich hin und wieder auf eine der Bänke, sahen in den mittlerweile Sternen behangenen Himmel und genossen die Zweisamkeit. Torben wusste, dass er diese Kennenlern-Nacht nie mehr vergessen würde. Es war Mitte August, und der Sommer war sehr heiß. Die Nächte kühlten kaum merklich ab.

„Ich sollte jetzt nach Hause. Um sechs Uhr schellt mein Wecker.“

Dabei sah Julia ihn so liebevoll an, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Langsam zog er sie an sich, abwartend, ob sie das auch wirklich wollte, und dass er sie nicht überrumpelte. Dann küsste er sie. Und es war wie Nachhause kommen. Noch nie in seinem Leben hatte sich etwas so richtig und wundervoll angefühlt.

Schon viele Frauen hatte Torben gehabt und, weiß Gott, nicht nur geküsst. Er war das, was man einen eingefleischten Junggesellen nannte. Auf Beziehungen hatte er nie gestanden, meinte auch, das mit seinem Beruf nicht vereinbaren zu können. Aber vermutlich war einfach noch nicht die Richtige dabei gewesen.

Noch in der gleichen Nacht hatten sie sich geliebt. Mit dem Taxi waren sie zu ihm gefahren, und noch bevor er die Wohnungstür hinter ihnen geschlossen hatte, waren sie beide nackt und noch im Flur übereinander hergefallen. Später hatten sie sich dann ins Bett verkrochen, fanden aber auch hier keinen Schlaf, da sie beide zu aufgedreht und aufgewühlt waren.

Morgens hatte er sie dann zu ihrer Wohnung gefahren, wo sie sich, ohne eine Mütze Schlaf zur Arbeit fertig machte.

Selber war er nicht mit oben in ihrer Wohnung gewesen. Irgendwie hatte es sich auch komischerweise immer so ergeben, dass sie bei ihm landeten. Und es gab keine Stelle in der Wohnung, die sie ausließen, um sich hemmungslos zu lieben. Ja, Julia war etwas Besonderes. Aber nicht nur sexuell brachte sie ihn in Sphären, von denen er zuvor nicht geahnt hatte, dass es diese gab. Er hatte bisher durchaus geglaubt, ein zufriedenes, ausgeglichenes Sexleben zu führen, aber das, was er mit Julia erlebte, sprengte alle Grenzen auf einer Gefühlsebene, die er ganz neu erlebte.

Nicht einmal die Tatsache, dass sie schon über vier Wochen zusammen waren, beunruhigte ihn. Ganz im Gegenteil. Sobald sie nicht in seiner Nähe war, dachte er an sie, freute sich über eine SMS oder auch einen Anruf in der Mittagspause.

Doch nach einem Monat wurde er stutzig. Immer wieder war ihm aufgefallen, dass sie es so drehte, dass sie bei ihm landeten, sich bei ihm trafen und so weiter. Zwar hatte er sie ein paar Mal bei sich Zuhause abgeholt oder dorthin gebracht, aber nie war er mit hoch in ihre Wohnung gegangen.

Torben überlegte, was es für einen Grund hatte, warum die Diskussion um ihre Wohnung anfing, aber es fiel ihm nicht mehr ein. War wohl auch so wichtig nicht gewesen.

„Was ist mit deiner Wohnung? Bist du ein Messi, oder warum machst du so ein Geheimnis darum?“, hatte er sie geradeheraus gefragt. Darauf hatte sie erst nur gelacht, war ausgestiegen, im Haus verschwunden und er fuhr nach Hause.

Er war noch nicht ganz in seiner Wohnung, als sein Handy schellte. Am Klingelton erkannte er schon, dass es Julia war.

„Na, schon Sehnsucht?“, scherzte er und merkte selber, wie erregt er wieder alleine bei den Gedanken an die vorherigen Stunden wurde.

„Ja auch“, hatte sie lachend geantwortet. „Ich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2016
ISBN: 978-3-7396-5794-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Neue Überarbeitung Mai 2016

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