Kylie Banner stöhnte laut auf und sah über das weite Ödland von Minnesota. Irgendwo musste sie falsch abgebogen sein. Dummerweise war sie so wütend, dass sie große Mühe hatte, nicht zu explodieren, und da hatte sie nicht auf die Gegend geachtet. Noch einmal stöhnte sie laut auf, aber irgendwie half das auch nicht.
„Wieder hast du versagt!“, plapperte sie laut vor sich hin. „Das hier ist genau die Bestätigung für Vaters Worte.“ Sie sah aus dem Seitenfenster. „Nur gut, dass du das hier nie erfahren wirst!“, schrie sie laut aus und sackte in ihrem Sitz zusammen.
„Du wolltest, dass ich dieses Leben so lebe! Du wolltest, dass ich in die Firma einsteige! Immer habe ich versucht, es dir recht zu machen, aber ich habe es nicht geschafft! Ich bin nicht Dave und ich werde nie sein, wie er war!“ Ihre Stimme wurde immer leiser und bebender, bis sie zu wimmern anfing und nach einer Weile heftig weinte.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort in der brütenden Sonne in ihrem Auto gesessen hatte. Ihr Zeitgefühl war völlig ausgefallen. Da die Sonne nicht mehr so stark brannte, mussten Stunden vergangen sein. Sie griff nach der Flasche Wasser und trank diese in fast einem Zug aus.
„Ein Job!“, überlegte sie laut. „Etwas ganz anderes. Etwas, womit keiner rechnet, erst recht nicht Vater!“
Dabei schaute sie in den Rückspiegel. Ein Wagen näherte sich schnell, verringerte aber dann abrupt seine Geschwindigkeit, fuhr an ihrem kleinen Geländewagen vorbei und blieb direkt stehen. Es war ein schwarzmetallic-farbener Mercedes-Sportwagen. Die Wagentür öffnete sich und ein Mann stieg aus.
Kylie starrte nur diesen Mann an, unfähig, sich zu bewegen oder zumindest wegzuschauen. Nein, das war kein Mann, das war eine göttliche Erscheinung. Sie musste ganz eindeutig zu lange in der Sonne gestanden und die Klimaanlage versagt haben.
Groß, maskulin, braungebrannt. Das schwarze, kurze Haar betonte die markanten Gesichtszüge. Sein schwarzes T-Shirt lag genauso eng an wie seine Jeanshose und ließ jeden Muskel erahnen. Er setzte einen cremefarbenen Stetson auf und kam zu ihrem Wagen.
Ihr Blick folgte ihm zwar, bis er vor ihrer Tür stand, aber sie bewegte sich ansonsten nicht. Auffordernd sah er sie an, dann öffnete er ihre Tür. „Was zum Teufel machen Sie hier?“ Hart, streng und kalt war sein Tonfall und der Blick hätte die Sonne zum Frieren bringen können.
Unfähig, irgendetwas zu sagen, zog sie nur die Augenbrauen hoch.
„Ich habe Sie schon überall gesucht. Meinen Sie, ich hätte nichts anderes zu tun?“
„Sie haben was?“, stammelte Kylie leise.
„Wollen Sie den Job noch oder überlegen Sie es sich gerade anders?“ Sein Blick wanderte dabei über ihren ganzen Körper.
„Meinen Job?“ Ich habe einen Job? Er muss mich verwechseln!
„Ja, sicherlich. Sie sind doch Kylie, oder nicht?“
Irritiert nickte sie nur.
„Gut, dann fahren Sie mir hinterher!“ Damit schloss er die Wagentür, ging zu seinem Wagen und fuhr los.
„Was mache ich denn jetzt?“, überlegte Kylie laut, startete aber den Wagen und folgte dem Wahnsinnigen. Denn so wie dieser Mann fuhr, musste er ein Wahnsinniger sein. Aber wenn der nun meinte, dass sie ihm in diesem Tempo hinterherfuhr, hatte er sich getäuscht!
Langsam fuhr Kylie los und folgte ihm in die entsprechende Richtung, doch er war schon nicht mehr zu sehen. „Toll“, murmelte sie vor sich hin, bis sie seinen Wagen etwas abseits stehen sah.
Eine kleinere Straße zweigte ab. Wenn man das Straße nennen kann! Was mache ich hier nur? Aber bevor sie länger überlegen konnte, fuhr er weiter und so blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm weiter hinterherzufahren.
Die Straße ging leicht bergab und führte um eine große Felsformation, danach wurde die Gegend saftig grün, so als wäre sie in einer anderen Welt gelandet. Bäume tauchten auf und weiter hinten sah sie vereinzelt kleinere Wäldchen aus Laubbäumen.
Da sie wieder den Anschluss verloren hatte, fuhr er etwas langsamer. Vielleicht hat er auch einfach nur Angst um seinen tollen Wagen, dachte Kylie und schüttelte leicht den Kopf. Wo war sie nur hineingeraten? Ganz sicher war er nicht auf der Suche nach ihr. Dort, wo sie aufgewachsen war, hieß jede zweite Frau in ihrem Alter Kylie, oder zumindest jede vierte.
Sie durchfuhren eines der kleinen Wäldchen, und als sie hinauskamen, tauchte eine Ranch auf. Eine sehr große Ranch. Mehrere Ställe, ein großes Herrenhaus und weiter hinten noch ein paar kleinere Häuser, offensichtlich für die Angestellten.
Eine große Gruppe Cowboys auf ihren Pferden kam ihnen langsam entgegengeritten. Geradezu ehrfurchtsvoll grüßte jeder den Fahrer im ersten Wagen. Ganz ohne Zweifel der Boss! Als sie an den Reitern vorbeifuhr, schauten die meisten neugierig in den Wagen. Einige nickten ihr grüßend zu. Kylie erwiderte nur mit zaghaftem Nicken und fuhr weiter.
Direkt vor dem großen Herrenhaus parkte er und stieg aus. An seinen Mercedes gelehnt, sah er ihr zu, wie sie an seinem Wagen vorbeifuhr und daneben parkte.
Kylie atmete tief ein, versuchte sich zu sammeln, stieg aus, ging um ihren Wagen und sah ihn an. „Ich glaube wirklich, dass hier eine Verwechslung vorliegt.“
„Sie suchen keinen Job?“ Wieder musterte er sie von oben bis unten.
„Doch schon, aber …“
„Warum haben Sie sich bei uns beworben, wenn Sie solche Zweifel wegen des Jobs haben?“
Wieder blickte er sie eindringlich an. Kylie bekam eine Gänsehaut. Dieser so kalte und unhöfliche Mann zog sie trotz aller Widersprüche an und brachte ihr Herz dazu, schneller zu schlagen. Warum nur?
„Tyler Mc Lowrence!“ Er reichte ihr die Hand, die Kylie automatisch griff und schüttelte.
„Es ist ein einfacher Job, aber vermutlich sehr langweilig. Bisher hielten die Damen immer nur ein paar Wochen durch.“ Er schob seinen Stetson etwas höher. „Und wenn ich ehrlich bin, traue ich Ihnen keine zwei Wochen zu.“
„Wow, überhaupt nicht oberflächlich und Ihre Arroganz stinkt bis zum Himmel.“
Er lachte rau auf und diese herbe, barsche Lache erregte sie auf unbekannte Weise.
„Ihr Gepäck?“ Er ging zu ihrem Kofferraum, öffnete diesen ungefragt, schaute hinein und zog die beiden Koffer heraus, als wären sie federleicht.
„Die Kurzversion muss erst einmal genügen“, sagte er im Vorbeigehen und signalisierte ihr mit einer Kopfbewegung, dass sie ihm folgen sollte.
Kylie öffnete die Beifahrertür, griff nach ihrer Handtasche, schloss den Wagen ab und ging ihm hinterher.
„Mein Vater ist vor drei Jahren bei einem Unfall gestorben, daher habe ich die Ranch übernommen. Mutter hat sich von seinem plötzlichen Tod nicht mehr erholt und ist völlig in sich gekehrt.“
Tyler stieß die Haustür auf und ging drinnen direkt zur Treppe. „Daher kann sie sich auch nicht um meine Schwester kümmern. Diese war schon immer sehr labil. Sie war bei dem Unfall, bei dem Vater starb, dabei und hatte einen Zusammenbruch. Seitdem spricht sie nicht mehr und ist wie apathisch. Keiner kann sie dazu bewegen, irgendetwas zu machen.“
Ohne das Tempo zu verlangsamen, ging er die Treppe rauf in den ersten Stock. „Morgens und abends kommt eine Pflegerin, die sie fertig macht. Essen und Trinken nimmt sie selbstständig zu sich, wenn man es ihr hinstellt. Ihre Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass sie den lieben langen Tag beschäftigt ist, sich bewegt und so weiter.“
Er blieb vor einem Zimmer am Ende des Flurs stehen. „Auf dieser Etage wohnen meine Mutter, meine Schwester und nun sie. Jedes Zimmer verfügt über ein eigenes Bad. Außerdem ist hier noch ein Zimmer, das mein Bruder benutzt, wenn er hier ist, und es gibt auf dieser Etage eine Art Gemeinschaftsraum, den Ashley hauptsächlich nutzt. Unten sind die Wohn-, Koch- und Büroräume, oben ist mein Reich und das ist für Sie tabu, verstanden?“
„Klar. Sie sprechen ja recht deutlich.“
Ein leichtes Zucken durchzog seine Mundwinkel. Macht er sich über mich lustig?
„Ich brauche noch Ihre Personaldaten und Ihre Kontoverbindung. Ich habe Ihnen ein Formular auf den Tisch gelegt, füllen Sie das bitte heute Abend aus und geben Sie es mir morgen unterschrieben zurück. Sie werden hier angemeldet. Ihr Lohn beträgt 3.000 Dollar.“
„Wie bitte?“ Kylie stellte fest, dass ihre Stimme sehr abwertend klang.
Tyler drückte mit einem Ellenbogen die Klinke der Zimmertür herunter, die sofort aufsprang. Er trat aber nicht ein, sondern drehte sich zu ihr herum und musterte sie. „Bei freier Kost und Logis!“
„Aha!“, sagte sie nur. Für ihn musste es so geklungen haben, als wäre es ihr zu wenig, dabei fand sie die Summe einfach viel zu hoch für ein bisschen Tee trinken und spazieren gehen.
Er stellte ihre Koffer ins Zimmer und kam wieder zu ihr heraus. „Morgen um neun Uhr treffen wir uns hier, dann stelle ich Ihnen meine Schwester und meine Mutter vor.“ Damit ließ er sie stehen und verschwand.
Kylie sah ihm hinterher, dann ging sie ins Zimmer, schloss die Tür und schaute sich um. Der Stil der gesamten Ranch spiegelte sich auch hier wider. Die einzelnen Gebäude waren aus sandfarbenem Gestein gemauert.
Überall war viel helles, ganz offensichtlich erstklassiges Holz mit verarbeitet und auch hier waren die Wände cremefarben verputzt und die Möbel aus edlem Naturholz. Der Raum war sehr gemütlich und edel eingerichtet. Es hatte alles, was man brauchte, zumindest was Kylie brauchte.
Ein Bett, und was für ein traumhaftes Bett, einen großen Kleiderschrank, eine Kommode, ein Schreibtisch mit Stuhl und eine Sitzgruppe, die aus zwei samtbespannten Sesseln und einem runden, niedrigen Tisch bestand.
Kylie legte ihre Handtasche auf den Schreibtisch und ging ins Badezimmer. Auch wenn es sich hierbei nur um ein kleines Badezimmer handelte, so war es doch für sie ganz alleine, sie brauchte über keinen Flur zu gehen, es hatte mit der Dusche alles, was Kylie benötigte, und es war nicht minder luxuriös als das Zimmer.
Als sie einen ihrer Koffer mit Schwung anheben und auf das Bett hieven wollte, versagte ihre Kraft. Sie musste an diesen Tyler Mc Lowrence denken, der beide Koffer getragen hatte, als würde er Einkaufstaschen in den Händen halten, die mit Salat gefüllt waren.
So legte sie den Koffer, da wo er stand, nur hin und öffnete ihn. Richtig, dachte sie, das ist der Koffer, der zur Hälfte mit meinen Büchern, Unterlagen und dem Laptop gefüllt ist. Der Hotelpage am Morgen war so nett gewesen, ihr die Koffer ins Auto zu tragen. Kylie überlegte kurz und entschied sich, ihre Bücher und Unterlagen in den unteren Teil der Kommode zu verstauen.
Beim Auspacken schweiften ihre Gedanken ab. Ob das hier gut ging? Was, wenn die richtige Kylie auftauchte, oder wenn sie der Aufgabe nicht gewachsen war? Genau genommen wusste sie nichts. Was genau hatte es mit seiner Schwester auf sich? Wie alt war sie, war sie gar behindert? Nicht, dass sie ein Problem mit behinderten Menschen hätte, aber eigentlich hatte sie auch noch nie wirklich mit ihnen zu tun gehabt.
Als ihr Handy klingelte, zuckte sie zusammen. Nur wenige besaßen diese Nummer. Sie holte tief Luft, ging langsam zum Schreibtisch, öffnete die Tasche und holte das Handy heraus. Auf dem Display wurde die Nummer ihres Vaters angezeigt. Einen Moment haderte sie mit sich, aber sie war noch nicht bereit für die Konfrontation mit ihm. Er würde ihr nur wieder Vorwürfe machen und ihr Versagen vorwerfen. Zu guter Letzt käme ein Monolog, wie toll Dave diese Situation gemeistert hätte …
Als es aufhörte zu klingeln, atmete Kylie erleichtert auf und machte das Handy ganz aus. Es gab eine Mailbox. Wer wollte, konnte eine Nachricht hinterlassen. Damit legte sie das Handy in eine der Schreibtischschubladen und widmete sich weiter dem Auspacken.
Bis sie damit fertig war und endlich frisch geduscht aus dem Badezimmer kam, dämmerte es bereits. Sie zog sich ihre Tüte Kekse und die letzte Flasche Wasser aus der Handtasche und machte es sich noch ein wenig gemütlich.
Es war schon dunkel, als Tyler sich von seinem Computer löste. Er lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und sah aus dem Fenster. Oben in dem Zimmer, wo er diese Kylie einquartiert hatte, brannte noch ein kleines Licht. Vermutlich die Nachttischlampe. Er sah auf die Uhr. Es war schon nach elf Uhr. Warum war sie noch wach? Sie hatte verdammt fertig ausgesehen, als er sie am Nachmittag gefunden hatte. Eigentlich war sie für den Vormittag angemeldet gewesen. Gegen zwölf Uhr hatte er sich Gedanken darüber gemacht, dass sie sich verfahren haben könnte. Andererseits hatte er ihr eine sehr aussagekräftige Anfahrtsbeschreibung gemailt.
Er hatte sie sich anders vorgestellt. Aber wie hatte er sie sich vorgestellt? Genau genommen wusste er nichts über sie. Tyler hatte es aufgegeben, auf Referenzen und Zeugnisse zu bestehen.
Alles Mögliche hatten sie damals in Zusammenarbeit mit der Psychologin versucht. Perfekt ausgebildete, teuere Therapeuten, Gesellschafterinnen … aber nichts half. Seit drei Jahren schwieg seine kleine geliebte Schwester. Kein herzliches Lachen, noch nicht einmal ein Lächeln. Man merkte nur eine gewisse Unruhe in ihr, vor allem an Tagen, wenn mal wieder eine neue Gesellschafterin auftauchte. Es war aber auch wie verhext. Diese Weiber hatten doch nun wirklich keine schwere Arbeit, wurden noch dazu übermäßig gut bezahlt und trotzdem hielt es keine länger aus.
Letztendlich war es wohl die Einsamkeit, die sie vertrieb. Natürlich war auf der Ranch tagsüber viel los. Es gab Zimmermädchen, Küchenhilfen und weitere Angestellte. Aber die gingen abends nach Hause. Und die Cowboys waren meist draußen auf den Ländereien.
Wieder musste er an Kylie denken. Sie machte einen extravaganten, eleganten Eindruck. Kam ganz offensichtlich aus reichem Hause. Selbst die Jeans, die sie trug, war mit Sicherheit keine Stangenjeans. Eng anliegend, wie auch das Top, betonte sie ihre langen Beine, ihre Kurven.
Tyler seufzte auf und suchte im Computer nach ihrem Bewerbungsschreiben. Aber er hatte so viel Post im Postfach und schon lange nicht mehr aufgeräumt. Die Zeit fehlte ihm an allen Seiten. Vielleicht sollte er sich den Luxus gönnen und sich jemanden holen, der ihn im Büro unterstützte. Einen Mann, das war ganz klar. Einen, der sich im Ranchleben auskannte und die Buchhaltung beherrschte. Eine Frau kam für ihn nicht infrage, das gab nur Ärger.
Es fuchste ihn, dass er die Mail nicht fand, aber er konnte es nicht ändern. Schließlich hatte er ihr den Fragebogen hingelegt. Morgen hätte er alle Daten, die er bräuchte. Noch einmal blickte er zu ihrem Fenster rauf, das Licht war nun aus.
Das Büro lag in einem der Seitenflügel des Hauses, die u-förmig nach hinten verliefen und nur einstöckig waren. In diesem Teil waren drei Büros und ein WC. In einem Büro arbeitete sein Vorarbeiter, eines war leer.
Tyler stand auf und machte Feierabend. Er wollte nur noch duschen und ins Bett.
Komischerweise war er am nächsten Morgen ziemlich unruhig. Noch nie war ihm das passiert. Die Frauen für Ashley kamen und gingen, und jede Vorstellungsrunde hatte er nur als unangenehm empfunden. Jedes Mal beschwor er vorher die Frauen, bei Ashley erst auf Abstand zu bleiben, sich ihr nicht sofort aufzudrängen, aber immer wieder die gleiche Prozedur: Er trat mit der Neuen in Ashleys Zimmer, diese saß an ihrem Tisch, schaute stur gerade aus, Tyler stellte sie namentlich vor und die Damen eilten gleich auf Ashley zu, reichten ihr die Hand, zogen sie teilweise sogar in den Arm und texteten sie zu. Bei so einer Begrüßung wusste er schon, dass das nicht lange gut gehen würde. Das hatten ihm die letzten Monate gezeigt.
Er sah auf die Uhr. Es war halb neun. Um halb acht hatte er gefrühstückt, alleine, wie fast immer. Seine Mutter schlief meist lange und frühstückte dann oben. Auch Ashley frühstückte in ihrem Zimmer. Überhaupt hatte es sich seit dem Unfall eingeschlichen, dass jeder aß, wie und wo er wollte.
Früher wurde gemeinsam gefrühstückt und um sechs Uhr pünktlich gab es Abendbrot. Das war Gesetz hier im Hause gewesen. Aber der Unfall hatte so vieles verändert.
Maria, die Haushälterin, kam herein und reichte ihm ein Päckchen, das wohl soeben angekommen war.
„Danke, Maria. Ach, sagen Sie, die neue Gesellschafterin für Ashley, haben Sie sie mittlerweile schon kennengelernt? Sonst würde ich gleich einmal mit ihr herunterkommen.“
„Nicht nötig, Mr. Mc Lowrence. Miss Kylie war heute Morgen schon um sieben Uhr bei uns unten und hat mit uns gefrühstückt. Ich habe ihr dann die untere Etage gezeigt und ihr das Personal aus dem Hause vorgestellt.“
„Sie hat bei Ihnen gefrühstückt?“
Irritiert sah er seine Haushälterin an, die sich aber nur herumdrehte und wieder verschwand. Tyler sah auf das Päckchen: Das war sowieso für den Vorarbeiter! Er legte es in dessen Büro.
Da es nun kurz vor neun war, ging er rauf. Oben im Flur stand bereits Kylie. Sie sah bezaubernd aus. Sie hatte ein weites, buntes Kleid und Sandalen an. Ihre langen, glatten Haare waren zu einem lockeren Zopf nach hinten gebunden. Sie stand vor dem Flurfenster, genau im Sonnenstrahl, und ihre Haare leuchteten fast orange. Eigentlich waren sie blond. Mittelblond, aber offensichtlich hatte ihr Haar einen leichten Rotschimmer, der sonst nicht auffiel, aber die Sonnenstrahlen ließen es herrlich leuchten.
Tyler atmete tief ein. Auch das noch. Dass sie hübsch war, war ihm selbstverständlich gleich aufgefallen. Auch war sie sehr gepflegt, das hatte man selbst gestern erkennen können, wo sie völlig verschwitzt und mitgenommen ausgesehen hatte. Aber nun war sie ausgeruht und sah einfach bezaubernd aus.
Das Kleid ließ sie fast unschuldig erscheinen. Die flachen Sandalen zeigten ihre nackten Füße. Die Fußnägel waren leicht hellrosa lackiert, wie ihre Fingernägel.
Was machst du hier?, schalt er sich selber und nickte ihr zu. „Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?“
„Guten Morgen. Ja, danke.“ Das war es. Nichts über das Zimmer, das Frühstück … Meistens hatte er sich hier schon von den Damen den ersten Vortrag anhören müssen, wie toll das alles hier war. Ganz offensichtlich waren ihre Vorgängerinnen allesamt aus ärmlicheren Verhältnissen gekommen. Aber warum nahm man auch sonst so einen Job an?
Tyler musterte sie noch einen kleinen Moment. „Haben Sie das Formular dabei?“
Kylie wurde so schnell rot, dass Tyler direkt lächeln musste. Eine Frau, die rot wurde, und das bei so einer Frage! Faszinierend!
„Das tut mir leid, ich war gestern so mit dem Auspacken und Ankommen beschäftigt, dass ich das völlig vergessen habe.“
„Wenigstens sind Sie ehrlich!“, knurrte Tyler und ärgerte sich schon ein bisschen, dass er sie immer und immer wieder so harsch ansprach. Was war nur los mit ihm?
„Soll ich es eben holen und ausfüllen?“
„Nein, Ashley wartet sicherlich schon auf uns.“ Damit klopfte er einmal an die Tür, öffnete sie und trat ein. Kylie folgte ihm langsam und blieb hinter ihm stehen.
„Guten Morgen, Ashley.“
Seine Schwester saß wie immer auf dem Stuhl und starrte aus dem Fenster.
„Ich möchte dir Miss Kylie vorstellen. Sie wird die nächste Zeit für dich da sein.“ Tylers Anspannung wuchs. Er wartete geradezu darauf, dass Kylie an ihm vorbeischoss und auf seine kleine Schwester einbrach.
„Hallo Ashley“, begrüßte sie Ashley jedoch nur und Tyler musste sich sogar herumdrehen, damit er sie ansehen konnte.
Einen Moment sagte keiner etwas, dann drehte seine Schwester langsam den Kopf und sah zu Kylie. Tyler merkte, wie die Anspannung in ihm nachließ. Die erste Hürde schien genommen.
„Guten Morgen zusammen. Ich bin wohl zu spät.“
Tyler sah zur Tür. „Guten Morgen, Mutter. Nein, wir sind auch gerade erst hergekommen. Darf ich bekannt machen: Das ist Kylie. Kylie, das ist meine Mutter, Gloria Mc Lowrence.“
Kylie ging einen Schritt vor und gab ihr die Hand. Seine Mutter hielt ihre Hand einen Moment und musterte Kylie einen Augenblick, lächelte dann und sagte: „Ich freue mich, dass Sie hier sind.“
„Darf ich fragen, wie alt Ashley ist?“
Irritiert sah Tyler sie an. Hatte das nicht in der Anzeige gestanden? „13“, antwortete er nur und ging zur Tür. „Wenn etwas ist, dann sagen Sie Maria Bescheid. Sie wird dann nach mir schicken.“
Er wartete noch einen Moment, aber Kylie nickte ihm nur zu und erwiderte seinen Blick. Ob er noch etwas sagen sollte? Andererseits war ja nun seine Mutter da. Auch wenn sie sich sonst immer zurückzog, so täte es ihr sicherlich auch mal gut, etwas Gesellschaft zu haben und vom Leben gefordert zu werden. Also verließ Tyler den Raum. Was sollte er auch machen?
Im Büro überkam ihn dann doch noch ein schlechtes Gewissen. Warum hatte sie nicht gewusst, dass es sich hierbei um ein Kind handelte? War sie nun mit der Situation überfordert? Warum hatte er ihr nicht mehr Infos gegeben? Sonst hatte er die Damen stets am Vorabend in sein Büro zitiert und ihnen etwas über den Unfall, die Gegebenheiten im Hause und der Ranch erzählt. Warum dieses Mal nicht?
Weil diesmal alles anders war als sonst. Die meisten Frauen musste er vom Bahnhof von Big Lake abholen, weil sie keinen eigenen Führerschein, geschweige denn ein Auto hatten. Oder sie kamen mit so
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
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Lektorat: Lektorat, Korrektorat: Uta Maier
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2015
ISBN: 978-3-7368-8841-8
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