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Kim

„Er wird bald wieder da sein. Du kannst dich hinsetzten, wenn du willst.“, sagte Emily und stellte sich zurück an ihren Herd. Sie stand mit dem Rücken zu mir und ich setzte mich langsam auf einen Stuhl und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
Mein heftigstes Gefühl war, dass mir Jareds Wärme fehlte.
Danach kam Verwirrung. War das alles eben wirklich passiert?
Hatte Jared mich wirklich so angesehen?
Und dann machte ich mir Sorgen. Emilys Augen, sie hatten Angst ausgestrahlt.
War es dort wo Jared hinging gefährlich?
Mir fielen Jennys Worte ein. Irgendwie sind die mir nicht…geheuer. Sam Uley, Jacob Black…
Hatte sie wohlmöglich Recht?
Die Minuten tröpfelten quälend langsam und dann war die halbe Stunde auch schon vergangen.
Ich musste nach Hause, aber Jared war noch nicht zurück.
„Er wird bestimmt gleich da sein.“, sagte Emily und ich war mir nicht sicher ob sie zu mir sprach oder ob wir überhaupt von Jared redeten.
Johny würde mich umbringen, wenn ich nicht bald auftauchte. So sehr ich auch wollte, ich konnte nicht länger warten.
„Ehm…ich muss jetzt glaube ich gehen.“
„Oh, wirklich?“
„Ja.“, lächelte ich verlegen zurück. Emily war so nett, ich hatte sie wirklich ins Herz geschlossen, obwohl ich sie gar nicht richtig kannte.
Klar, ich hatte schon von ihr gehört, dass mit ihren Narben…sie war wirklich ein guter Mensch.
„Tut mir Leid, das Jared so lange braucht.“
„Ist nicht schlimm.“, sagte ich und erhob mich vom Stuhl.
Es war erträglich, wenn er nicht bei mir war. Nicht schön, aber erträglich.
„Vielen Dank noch mal.“
„Keine Ursache, ich hoffe wir sehen uns jetzt öfters.“
Ich trat aus dem Haus und überlegte, ob ich den Weg zurück wusste. Auf den Weg hierher hatte ich nämlich auf etwas anderes als auf die Straße geachtet.
Jetzt wo Jared nicht mehr da war, fühlte ich mich wieder so leer. Es war schrecklich.Es überraschte mich wieder, wie nah wir uns waren. Wie ich ihn naiv lieben konnte. Ohne Fragen zu stellen, ob es normal war, so ein bedingungsloses Gefühl zu verspüren.
Selbst wenn Jared und seine Freunde kriminell wären, ich würde ihn trotzdem lieben.
Das war erschreckend.
„Kim!“
Ich wirbelte herum und sah wie er auf mich zu gerannt kam.
„Jared!“, rief ich erfreut. Er war wieder da, jetzt ging es mir besser.
Als er bei mir ankam, bemerkte ich die anderen. Sie standen unten an der Straße und blickten ihm nach. Fünf riesige, muskulöse Jungen.
Ich wandte schnell die Augen ab, weil ich nicht auf ihre Blicke treffen wollte.
„Tut mir leid, dass das so lang gedauert hat.“
„Es…geht schon okay.“, antwortete ich ihm.
Er lächelte entschuldigend und wirbelte dann auf einmal herum. Ich erschrak, als er wütend die Straße hinunter schrie.
„Habt ihr nichts Besseres zu tun? Verschwindet!“, rief er und die anderen wandten sich lachend ab.
Was war das denn gewesen?
„Tut mir leid, ich…ich bring dich nach Hause.“, sagte er verlegen, als er sich wieder mir zuwandte.
Ich nickte und fragte mich ob er wieder meine Hand halten würde.
Aber das tat er nicht, er achtete auf Abstand.
Es…es war so kompliziert. Ich hatte absolut keine Ahnung wie ich mich verhalten sollte. Wollte Jared diesen Abstand, oder wollte er mich bloß nicht belästigen?
So etwas wie für ihn hatte ich noch nie in meinem ganzen Leben gefühlt.
Es war schön ihn zu sehen, keine Frage, aber viel schöner war es seine Haut zu berühren. Seinen Arm zu streifen, seine Hand zu halten, ihm über die Wange zu streichen.
Ich stand wirklich so kurz davor ihm um den Hals zu fallen. Nur sehr schwer hielt ich mich zurück. Das war so peinlich, ich hatte Angst, dass man mir meine Gedanken vom Gesicht ablesen konnte.
Er wusste ja gar nicht wie verfallen ich ihm war. Das konnte schon nicht mehr gesund sein.

Jared

Es hatte sich herausgestellt, dass die Lage gar nicht so gefährlich gewesen war.
Jacob hatte nur schon wieder Ärger mit dem Vampirmädchen, mit Bella Swan. Sie ließ ihn einfach nicht in Ruhe.
Ich verstand das nicht wirklich. Sie wollte doch nichts von ihm außer Freundschaft und sie wusste ganz genau, dass Jacob nicht so fühlte. Ehrlich gesagt nervten wir beide die anderen ganz schön mit unseren Schwärmereien für Kim und Bella.
Swan machte das ganze eigentlich nur noch schwerer für Jake, manchmal war es in seinen Gedanken unerträglich. Es zerriss ihn. Schrecklich.
Weil ich nicht fünf Minuten denken konnte, ohne mich an Kim zu erinnern, schwebte wieder ihr Gesicht vor meinem geistigen Auge.
Verdammt, ich hatte sie viel zu lange warten lassen. Die ganze Zeit über hatte sich jede Zelle meines Körpers nach ihr gesehnt und hatte versucht zu ihr zurückzufinden.
Schneller als die anderen ging ich zum Haus zurück.
Aber dann nahm ich den Geruch von Kim wahr. Sie war ganz in der Nähe.
„Hey, Jared. Dort.“ Paul nickte grinsend nach Rechts.
Ich drehte mich um und hätte fast zufrieden und erleichtert geseufzt, als ich meine Kim sah.
„Kim!“, rief ich, ohne dass es mir richtig bewusst war.
Ich blendete das Kichern der anderen aus. Nur noch Kim war da.
Ich bemerkte noch nicht mal, dass ich auf sie zu rannte.
Bald stand ich dann vor ihr und konnte einfach nicht meinen Blick von ihrem Gesicht wenden.
„Jared, man hört deinen Herzschlag bis hier her“, sagte Paul und unterdrückte ein Lachen.
Die anderen hielten sich auch nur schwer zurück.
„Mann, der hat den Planeten vollkommen verlassen.“
Mein Geduldsfaden riss. Er war so schon ganz dünn gespannt, weil ich gerade Kim vor mir hatte.
„Habt ihr nichts Besseres zu tun? Verschwindet!“, schrie ich sie an.
Sie machten sich wie befohlen vom Acker, aber nicht ohne noch ein paar Sprüche loszuwerden.
Als ich mich wieder schwer atmend Kim zuwandte, sah sie mich perplex an.
Natürlich, sie hatte nicht hören können, was die anderen geredet hatten, sie waren viel zu weit weg gewesen.
Ihr Gesicht, ihre Augen, am liebsten hätte ich beide Hände an ihre Wangen gelegt und sie nur noch angeguckt.
Sie war immer noch von meinem Ausbruch verwirrt.
„Tut mir leid, ich…ich bring dich nach Hause.“, stammelte ich schüchtern. Wie konnte so ein kleines, wehrloses Mädchen einen gigantischen, monströsen Wolf aus der Fassung bringen?
Wir gingen gemeinsam die Straße entlang und plötzlich ertappte ich mich, wie ich nach ihrer Hand tastete. Und zu meiner Überraschung, traf ich ihre auf halbem Wege.
Diese eine kleine Geste, ließ mein Herz Saltos schlagen.
Ich war mehr als verliebt, ich war süchtig.
Kim, Kim, Kim, mehr brauchte ich nicht mehr.
Behutsam hielt ich ihre Hand in meiner, ich wusste nicht wie zerbrechlich sie war.
Ich wollte ihr unter gar keinen Umständen wehtun.
Ich wollte…nicht so wie Sam enden.
Mein Hals war auf einmal trocken und ich musste schlucken. Die Vorstellung, dass irgendjemand- mich eingeschlossen- Kim wehtun könnte, machte mich wahnsinnig.
Sofort änderte ich meinen Gedankengang, ich durfte mich jetzt nicht aufregen. Ich wollte die Beherrschung nicht verlieren.
Viel zu früh standen wir schon vor ihrer Haustür.
Sie drehte sich zu mir, schaute zu mir hinauf.
Ihr Blick, ich konnte ihn nicht definieren. War er wütend? Nachdenklich? Ängstlich?
Reflexartig ließ ich ihre Hand los. Hatte meine Berührung sie verärgert?
Warum konnte ich Trottel mich zur Hölle noch mal nicht beherrschen?!
Ich wollte mich für was auch immer entschuldigen, aber da öffnete sie schon den Mund.
„Jared…sehen wir uns morgen noch mal?“, sagte sie leise und holte tief Luft.
„Ja.“ Ja, alles was du willst.
Ein…müdes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Bis dann.“, verabschiedete ich mich. Überglücklich sie morgen auch zu sehen.
„Bis dann.“, sagte auch sie und wandte sich dann langsam zur Tür.
Ich war die Einfahrt schon runter, als ich hörte wie sie sich noch mal nach mir umdrehte.
Stumm wandte sie sich dann wieder ab und ging ins Haus.

Kim

Ich schloss die Tür hinter mir und hielt mit der Hand an der Klinke einige Momente inne.
Mein Verlangen nach Jared wurde immer größer und größer.
Gerade eben, vor der Tür, da…stand mir förmlich ‚Küss mich!’ auf der Stirn geschrieben.Aber Jared hatte nicht, er hatte bloß verunsichert gewirkt.
Als wolle er mich küssen, könne es aber nicht. Oder anders rum?
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm und meinen Gefühlen zu ihm.
Geräusche drangen aus dem Wohnzimmer. Das war bestimmt Johny.
Vorsichtig schlich ich mich hinein, weil ich erwartete von ihm ausgeschimpft zu werden.
Doch drinnen erwartete mich nur ein müde aussehender Johny mit Blut unterlaufenen Augen.
Er lächelte schwach, als ich näher trat.
„Hallo, Schwesterherz.“, grüßte er leise, seine Stimme krächzte, als habe er geweint.
„Johny…“, sagte ich sprachlos und legte besorgt die Hand an seinen Arm.
Der beißende Geruch von Alkohol drang mir in die Nase.
Er gluckste verbittert, als ich das Gesicht bei dem Gestank verzog.
„Was ist passiert?“, fragte ich.
Johny antwortete nicht sofort.
„Marissa und ich haben Schluss gemacht.“, wisperte er und sah dabei in die Ferne.
„Das…das tut mir leid.“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Mein Hals war trocken.
„Du bist doch nicht so Auto gefahren, oder?“, fragte ich nach einer Weile und setzte mich zu ihm auf die weiße Ledercouch.
Ich war total bestürzt.
„Nein.“
Ich nickte stumm.
„Weißt du was, Kimi?“, lallte er ironisch lächelnd.
Ich schüttelte den Kopf, mein Blick stur auf den Couchtisch gerichtet.
Es gefiel mir nicht Johny so zu sehen. Als er sich das letzte Mal betrunken hatte, hatte ich solche Angst um ihn gehabt, dass er versprach es nie wieder zu tun. Er hatte sein Versprechen gebrochen.
„Verlieb dich bloß nie. Liebe ist das Beschissenste der Welt!“
Er lachte los und ich stimmte leiser mit ein. Er bemerkte nicht, dass mein Lachen hysterisch klang.
Wenn Johny nur wüsste!
Es hatte mich wortwörtlich frontal und unerwartet erwischt.
Aus der harmlosen Schwärmerei zu Jared war mit einem Mal bedingungslose Liebe entstanden.
„Kim?“, fragte mein Bruder leise und traurig, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte.
„Ja?“
„Erzähl Mum und Dad nichts, ja?“
Ich nickte.
Schweigend saßen wir da, beide in Gedanken versunken.
Ich lehnte mich an seine Schulter und spürte wie sein Körper ganz leicht bebte. Als wäre sein Herz ins Stocken geraten.
Es tat mir wirklich sehr leid, dass es ihm mies ging. Ich wollte meinen lachenden, immerglücklichen Bruder zurück.
„Ich geh meinen Rausch ausschlafen.“, sagte er und gab mir einen Kuss auf die Stirn bevor er aufstand.
„Guten Schlaf.“, murmelte ich.
Er grinste sarkastisch, als wolle er sagen, dass er das bestimmt nicht haben würde.
Er musste sich ja auch betrinken!, dachte ich grimmig.
Ich stellte fest, dass ich dringend eine entspannende Dusche brauchte. Ich musste so vieles verarbeiten.
Allem voran schwirrte die Verabredung mit Jared am nächsten Tag in meinem Kopf.
Ungewollt stieg eine mollige Wärme in mir hoch, ich konnte ihn nicht bald genug sehen.Seine Blicke, sie gaben mir immer das Gefühl etwas so Wunderbares, Wunderschönes zu sein, dass man die Augen nicht mehr von mir nehmen konnte. Irgendwo traf es mich in meinem Selbstbewusstsein und machte einen fröhlicheren Menschen aus mir.
Was interessierte mich jetzt noch mein Aussehen, meine Vorlieben, was die Anderen von mir dachten, wenn mich eine Person so unendlich wundervoll fand, wie ich war?

Der nächste Tag konnte für mich nicht früh genug anbrechen.
Aber den ganzen Morgen hatte ich dann einen Knoten im Hals. Ich war so nervös.
Ich plante alles bis ins kleinste Detail. Was ich anziehen würde, wie ich mich verhalten würde. Jede meiner Bewegungen hatte ich vorausgeplant.
Das war so eine Eigenschaft…oder Macke an mir.
Mum und Dad waren wie immer nicht zu Hause. An einem Sonntag, sie waren beide auf Geschäftsreisen. Meine Mutter war zurzeit in Belgien, glaubte ich, und mein Dad in Australien.
Und Johny…Johny schlief.
Ich wusste nicht wann Jared kommen würde. Eine Zeit lang vergingen die Minuten quälend langsam, dann schmerzhaft schnell. Und das dann immer abwechselnd.

Ich zuckte zusammen, als es bei uns an der Tür klopfte. Danach ging ich schnell zur Tür und riss sie auf.
Jared sah irgendwie anders aus. Was auch immer mit ihm passiert war, meine Freude wurde ein wenig gedämmt. Ihm ging es nicht gut? Es durfte ihm nicht schlecht gehen!
Er sah so aus, als hätte er nicht geschlafen. Seine rostbraune Haut war ungewöhnlich blass und es schien, dass nur die Freude, wegen meinem Erscheinen, ihn am Leben hielt.
Bloß seine Augen strahlten die Wärme aus, die ich von ihm gewöhnt war.
Wie lange stand ich hier schon und starrte ihn an?!
„Wollen wir spazieren gehen?“, seine Stimme klang Rau vor Erschöpfung.
Ich wollte lieber, dass er sich hinlegte.
Aber bevor sich meine Gehirnzellen warm laufen konnten, nahm er schon meine Hand und alles was mit Gehirn und Denken zu tun hatte schaltete sich auf Standby.
Weil ich gerade zu sehr…neben mir stand, schloss er die Tür hinter mir und zog mich bei der Hand mit sich.
Ich wusste nicht wo wir hingingen, weil ich die ganze Zeit über in sein nachdenkliches Gesicht schaute. Er bemerkte gar nicht, dass er mit dem Daumen über meinen Handrücken strich, doch meine ganzen Sinne nahmen nichts anderes als diese Berührung wahr.
Und dann merkte ich, dass alles dunkler wurde.
Ich schaffte es für einen Moment meine Umgebung in Augenschein zu nehmen. Wald, wir waren im Wald.
Er zog mich weiter hinter sich her, wir gingen schweigend tiefer in den Wald.
Je tiefer wir hineingingen, desto mehr entspannte sich seine Körperhaltung.
Irgendwann blieben wir dann ganz stehen. Ich nahm gar keine Geräusche wahr, obwohl ich mir sicher war, dass es hier im Wald viele Laute gab.
Unerwartet drehte er sich zu mir um.
Er trat ganz dicht an mich heran, so nah wie noch nie.
Wir sprachen nicht, Worte waren überflüssig.
Ich stellte mich auf Zehenspitzen, um ihm noch näher zu sein, falls dies möglich war.
Seine Hände ruhten an meiner Taille und ich presste meinen Körper an seinen.
Alles geschah von selbst, wie vorherbestimmt.
Blind vor Liebe zu sein, hatte eine neue Dimension für mich.
Ich sah nichts mehr, außer ihm.
Sehen, riechen, hören, fühlen- nur ihn.Seine Lippen kamen immer näher und näher.
Mein Herz hatte den Kolibri in sich entdeckt, ich war mir sicher, dass jeder im Umkreis von fünfhundert Metern meinen Herzschlag hören konnte.
Ach was- die ganze Welt hatte Anteil an meinen Glücksgefühlen!
Ich spürte schon seinen Atem an meinem Gesicht.
Mein Verstand löste sich in Nichts auf. Ein Hirn, wer brauchte das schon?
Und gab es da nicht etwas, was ich sonst reflexartig tat? Ich hatte das Gefühl etwas ganz wichtiges vergessen zu haben. Andererseits- wenn ich es vergessen hatte, dann war es wohl doch nicht so von Belang. Oh, jetzt fiel es mir wieder ein- Atmen!
Keuchend schnappte ich nach Luft.
Ich hatte mich tatsächlich völlig in seinen Augen verloren.
Er war so nah, seine Lippen waren nur Millimeter- wirklich nur Haaresbreiten- von meinen entfernt. Unerträglich weit entfernt!
Und dann…wich er von mir. Ließ von mir ab und vor meinem inneren Auge hatte ich das Bild des Fallengelassenwerdens.
Ein Schmerz durchzuckte mich.
Ich hatte es gewusst. Es war mir von Anfang an klar gewesen. Jared liebte mich nicht!
Tränen traten in meine Augen.
Kurz blieb ich geschockt stehen, drehte mich dann ab und wollte nur noch ganz weit weg sein.
Bevor ich einen Schritt machen konnte, rann die erste Träne meine Wange hinab und nichts auf der Welt konnte die zweite abhalten.
„Kim…nein!“
Er fasste von hinten mein Handgelenk und an der Stelle wo er mich berührte brannte meine Haut.
Ich versuchte mich von Jared los zu reißen und wegzulaufen.
„Nicht…weinen! Bitte…“ Er klang als wüsste er nicht was er tun sollte.
Ich konnte nicht die Tränen aufhalten, mein Herz war in Millionen von Scherben zersprungen, die nun in mein Fleisch schnitten.
Von innen, von außen, von überall!
‚Fass mich nicht an!’, hätte ich am liebsten geschrien.
Seine Berührungen schmerzten nur noch.
Er hatte mich zurückgewiesen und alle Berührungen die jetzt noch kamen, waren Lügen für mich.
Er liebte mich nicht…liebte mich nicht…
Wie ein Echo. Ein Dämon der in meinem Ohr saß und es mir immer wieder zuflüsterte und mich an den Rand des Wahnsinns trieb.
Jared sprach, ich hörte ihn kaum noch. Nur dass er aufgebracht klang. Schrie er mich an?
Ich sah nichts mehr, der Tränenschleier verbarg die Welt hinter sich.
Ich wollte auch gar nicht mehr in dieser Welt sein. Ich hasste sie. Es gab hier Liebe und Johny hatte Recht gehabt: Liebe ist das Beschissenste der Welt!
Warum ließ er mich nicht wegrennen?
Neben ihm zu stehen, quälte mich nur noch mehr. Wieso bestrafte er mich so?!
Verdammt, jetzt legte er noch seine Arme um mich!
Von hinten umklammerte er mich, presste meine Arme an meine Seiten und flüsterte mir leise ins Ohr.
Ich wollte und konnte nicht hören was er sagte.
Verspottete er mich dafür, ihn so geliebt zu haben, dass ich nun deswegen zerbrach?
Selbst wenn es so wäre, ich konnte ihn nicht hassen.
Ich wusste nicht, ob das das Schlimme dran war.

Jared

Ich hatte mit mir gekämpft und versucht ihr nicht so plötzlich so nahe zu sein. Sie nicht zu berühren. Aber mein hormongesteuerter Körper ließ dies natürlich nicht zu.
Ich konnte mich nicht mehr halten, sie lag in meinen Armen, sah so wunderschön aus…gleich würde ich sie küssen.
Das zwischen ihr und mir lief völlig unnatürlich ab. Keine Dates, kein genaueres kennenlernen, kein vorsichtiges Herantasten.
Ich wusste nicht, ob das gut für sie war.
Plötzlich schoss eine Erinnerung durch meinen Kopf- was mich sehr verwunderte, da ich im Moment mein Hirn nicht mit Sauerstoff belieferte.
Ich war ein Wolf. Und das hatte ich vergessen, als ihr Gesicht meinem plötzlich so dicht war und ihr Duft mich meiner Sinne beraubte. Wie würde sie sich fühlen, wenn sie erfahren hat, dass sie einen Werwolf geküsst hat. Wird sie sich ekeln…wird sie Angst haben, mich hassen?
Es war gemein von mir. Wie konnte ich sie küssen, ohne ihr die Wahrheit zu sagen? Ich wollte ihr das nicht antun!
Ich würde Kim nicht anlügen.
Und dann, mit der Kraft, die ich mir niemals zugetraut hätte, riss ich mich aus ihrem Bann und brachte einen Abstand zwischen unsere Lippen und unsere Körper.
Zuerst war ich viel zu beschäftigt meine Gedanken zu ordnen, dann stellte ich aber alle Körperfunktionen ab, als sie sich unerwartet von mir abwandte.
Ich hörte wie ihre Stimme zitterte, als sie ein Wimmern unterdrückte.
Wein…weinte sie?
Ich hörte wie ihr eine salzige Träne die Wange hinunterrollte. Dann folgte ein wahrer Tränenausbruch und mein Herz blieb stehen.
Sie schluchzte nicht, sie behielt ihr Leid für sich, doch sie wollte davonlaufen, das sah ich.
Zuerst realisierte ich das gar nicht, nur meinem Herzen war sofort klar, was geschehen ist.
Ich hatte sie verletzt, ich hatte sie zum weinen gebracht!
Entsetzt keuchte ich auf.
Was hatte ich getan? Wie hatte ich Volltrottel das geschafft?
„Kim…nein!“
Ich fasste ihr Handgelenk, bedacht leicht, und fragte mich wie ich das bloß wieder hinbiegen sollte.
Jede einzelne Träne die ihre Wangen hinab lief versetzte mir einen Stich. Einen blutigen Stich.
Plötzlich verkrampfte sie sich und dann versuchte sie verzweifelt meine Umklammerung aufzulösen. Sie war schwach, ihre wehr aber war wie ein harter Schlag für mich. Es war so als würde sie mir sagen, ich solle sie nicht mehr anfassen und bei ihr sein.
Ich war wie versteinert, ich hatte alles was man falsch tun konnte auch ordentlich falsch gemacht. Aber ich ließ sie nicht los, ich konnte nicht.
„Nicht…weinen! Bitte…“
Die Verzweiflung drang aus meiner Stimme. Was sollte ich nur tun?!
Wenn ich nicht so geschockt gewesen wäre, wären mir sicherlich Tränen in die Augen getreten.
„Kim, hör mir zu…!“ Ich sprach auf sie ein, versuchte sie zu beruhigen- eher uns beide. Doch es half nichts, sie hörte mich nicht. Panik stieg jetzt in mir auf. Kim weinte! Ich tat ihr weh. Wie sollte ich sie vor mir beschützen?!
Wie aus einem Impuls heraus schloss ich sie in meine Arme. Zuerst war ich verdutzt, aber dann nahm mich das leichte Zittern von Kims Körper ein. Jetzt spürte ich, wie schlecht es ihr ging. Im Moment hasste ich mich wirklich.Ich flüsterte ihr ihren Namen ins Ohr.
„Kim. Kim. Kim.“ Sie hörte nicht, immer noch nicht.
Ich gab auf. Mein Kopf konnte mir nicht helfen sie zu beruhigen…deshalb überließ ich mich ganz meinen Gefühlen.
Sanft legte ich meine Lippen an ihre Wange, gab ihr einen Kuss und augenblicklich erstarrten wir beide.
Ich konnte nicht fassen was ich hier gerade tat. Aber sie hatte aufgehört zu beben, das war gut! Am besten ich ließ mich weiterhin von meinen Gefühlen treiben.
„Kim…ich liebe dich.“ Ich hatte es ihr gesagt. Aber es sollte viel mehr Worte dafür geben, so viel mehr! Alles was ich fühlte, dachte, das konnte ich einfach nicht in Worte fassen!
Ihr Atem ging ganz flach, sie rührte sich nicht und lag völlig still in meinen Armen. Wenn nicht immer noch ein paar Tränen ihre Wange hinabrollen würden, hätte diese Berührung bestimmt meine ganzen Sinne beansprucht.
Meine innere Stimme sagte mir, dass ich ihr noch viel mehr erklären musste.
„Ich will dich nicht…nein, doch ich will dich küssen, dir nah sein, aber ich kann nicht, wenn ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe…ich will dich nicht anlügen, ich will nicht dass du etwas bereust.“
Ich schloss meinen Mund, atmete ein paar Mal tief durch und versuchte den Schock zu überwinden, der immer noch auf mir lastete. Ich hatte gerade zum ersten Mal in meinem Leben einem Mädchen gesagt, dass ich es liebe. Meine Gefühle waren…undefinierbar. Hatte ich Angst? Weil sie mich zurückweisen konnte? Mir fiel auf, wie angreifbar ich mich gemacht hatte. Wo blieb mein Schutzpanzer?
Aber für Kim war es wert. Wenn nicht für sie, für wen dann?
Sie hob ihre Arme, legte sie auf meine und stütze sich an mir. Ihr Gewicht war gar nichts für mich, doch dass sie ihren Kopf an meine Brust lehnte, ließ mich schwanken.
Sie atmete zittrig ein.
„Du liebst mich?“
Fast hätte ich aufgelacht und geschrien ‚mehr als alles andere!’.
Aber ich ließ es bei einem „Ja.“, beruhen.
„Ich würde doch nichts bereuen.“, flüsterte sie.
Sie erwartete keine Antwort. Ich hätte ihr auch keine geben können. ‚Ich kann dich töten, wenn ich die Kontrolle verliere!’, das konnte ich ihr doch nicht ernsthaft sagen.
„Jared?“, fragte sie mit leiser Stimme.
Ich sagte nichts.
„Egal was du bist, ich liebe dich auch.“
Ich spannte mich an. Hatte sie was gesagt? Wusste sie es etwa…?!

Kim

„…aber ich kann nicht, wenn ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe …ich will dich nicht anlügen, ich will nicht dass du etwas bereust.“
Seine letzten Worte nahm ich fast nicht mehr wahr. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen und mein Puls dröhnte in meinen Ohren.
‚Kim…ich liebe dich.’
Immer wieder spulten sich diese Worte in meinem Kopf ab. Diese Liebeserklärung…hatte mir die Luft aus den Lungen genommen. Es war das Letzte was ich erwartet hatte.
Ich war…wie fühlte ich mich? Glücklich?
Nein, es war viel extremer. Ich konnte das Gefühl nicht in Worten wiedergeben. Am nahesten kam diesem Gefühl wohl eine Farbe. Ich war von oben bis unten rot. Knallrot.
Nur Jareds starke Arme hielten mich davon ab abzuheben und in der Umlaufbahn zu landen.Aber dann hielt diese unbeschreibliche Hochstimmung für Sekunden inne. Was meinte er mit der Wahrheit?
Ich schaffte es noch einen Gedanken zu fassen, bevor mich die Glücksgefühle wieder einholten: Hatte Jared wirklich etwas Gesetzwidriges, Unmoralisches am Hut?
Aber da ich mir schon eher eingestanden hatte, dass ich ihn trotzdem liebte, war dies nicht mehr an erster Stelle.
Ich atmete ein paar mal tief ein und aus und fragte mich, ob dies alles Wirklichkeit wahr. Ob ich nicht träumte.
„Du liebst mich?“, fragte ich ihn, um es einfach noch mal zu hören und um- falls es tatsächlich ein Traum war- es zu genießen.
Ich lehnte an seiner Brust, die Augen geschlossen.
„Ja.“, antwortete er heiser.
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
„Ich würde doch nichts bereuen.“, wisperte ich und fragte mich, wie ich es schafft richtige Sätze hervorzubringen. Woher kam bloß meine Gelassenheit?
Ich konnte mir schon denken, dass Jared das anders sah. Deswegen erwartete ich auch nicht wirklich eine Antwort.
„Jared?“, sagte ich einfach um seinen Namen auszusprechen und seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
„Egal was du bist, ich liebe dich auch.“
Ich war verwundert, wie einfach es mir fiel diese drei Worte zu sagen. Ich liebe dich hatte für mich schon immer eine große Bedeutung gehabt. So etwas konnte man wirklich nur sagen, wenn man es auch ernst meinte.
Außerdem war ich mir fast sicher, dass er ein Verbrecher oder Gesetzesloser war.
Ich wollte ihm lediglich sagen, dass es mich nicht abschreckte.
Aber dann hatte ich das Gefühl etwas falsch gesagt zu haben, denn er verhärtete sich plötzlich. Seine Arme schmiegten sich nicht mehr sanft an meinen Körper, sondern hielten mich plump fest.
Was hatte er?
Warum hielt er den Atem an?
Was auch immer ich falsch getan hatte, ich bedauerte es und wünschte ich hätte nie den Mund aufgemacht.
Denn obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, spürte ich, dass er sich wieder zu diesem schlaffen, müden Körper verwandelt hatte, der vorhin noch an meiner Tür geklopft hatte. Ich war mir sicher, dass er seit mindestens vier Tagen nicht mehr schlief.
Ich hatte das Gefühl, dass er mir umkippen wird.
„Jared, ich liebe dich trotzdem…auch wenn du vielleicht etwas machst, was gesetzwidrig ist oder…“
Wenn du morgen eine Bank überfällst, würde ich dir trotzdem nah sein wollen.
Aber ich konnte nicht weiter sprechen.
Dann, plötzlich regte er sich wieder.
„Wie bitte?“, fragte er schlicht.
Eigentlich hatte ich etwas anderes erwartet, deshalb war ich zu verwirrt um zu reagieren.
Ich hatte nur einen Gedanken: Hä?!
Was verstand er denn nicht? Hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt?
„Was meinst du mit…gesetzwidrig?“ Seine Stimme klang völlig konfus, verwirrt.
Er wusste echt nicht, was ich meinte.
„Was meintest du dann mit der Wahrheit?“, stellte ich eine Gegenfrage, mindestens so sehr verwirrt wie er.
Er sog die Luft zwischen den Zähnen ein.
„Ich…ich kann nicht. Ich bin noch nicht so weit…“Ich wandte mich in seinen Armen, so dass ich ihm ins Gesicht sah. Doch er hatte den Kopf gesenkt.
Was verbarg er vor mir?
Einerseits wollte ich es wissen, doch andererseits durfte ich ihn nicht ausfragen. Er war noch nicht bereit, das hatte er gesagt.
Dann, schließlich hob er seinen Kopf und schaute mir in die Augen. Und wieder war sein Gesicht meinem so nah.
Er hatte Ringe unter den Augen, sie ließen ihn kälter aussehen.
Und er war so unendlich erschöpft. Es grenzte an ein Wunder, dass er mit alldem hier auch noch fertig wurde.
„Kim…ich glaube hier liegt ein Missverständnis vor. Das was ich…dir noch nicht sagen kann, hat nichts mit dem Gesetz oder Ähnlichem zu tun…höchstens mit den Naturgesetzen…“
Ein Lächeln trat auf mein Gesicht. Halb erleichtert und halb belustigt. Naturgesetze?
Ich biss mir auf die Lippen, um nicht zu lachen.
Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten?
Hätte er nicht so ernst geguckt, ich hätte losgeprustet.
Schweigend standen wir dann da.
Ich hätte ewig so dastehen können und ihn anstarren können. Aber ich sah, wie müde er aussah.
Ich wollte, dass er sich Schlafen legte.
Ohne es zu merken, nahm ich sein Gesicht in meine Hände.
Zuerst blickte er tief in meine Augen. Dann schloss er seine Augen und schmiegte sein Gesicht in meine Hände.
Würden diese Millionen von Schmetterlingen in meinem Bauch jemals Ruhe geben?
Mein Herz pumpte eindeutig viel zu viel Blut durch meine Adern, ich glühte schon wieder überall.
„Du sieht müde aus.“, sagte ich wispernd, weil ich Angst hatte, laute Klänge könnten ihn nur noch mehr ermüden.
Ein ironisches Lächeln legte sich auf seine wunderschön geformten Lippen.
„Ich schlafe…sehr wenig in letzter Zeit.“ Sehr wenig? Wohl eher gar nicht.
„Tust du mir einen Gefallen?“
„Jeden.“
Ich schwieg zuerst, berührt von seiner Antwort. Die Wärme zog sich durch meinen Körper, bald würde ich rotes Licht ausstrahlen.
„Legst du dich zu Hause Schafen?“
Er holte tief Luft um antworten zu können.
„Ja.“ Jetzt klang auch seine Stimme todmüde.
Was ihn wohl vom Schlafen abhielt?
Ich stellte mich auf Zehnespitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Und für einen Moment lang dachte ich, seinen Herzschlag zu hören. Wahrscheinlich war es aber meiner.
Lächelnd stellte ich mich wieder auf meinen ganzen Fuß.
Seine Augen, die nun offen waren, zeigten Überraschung und Freude. Riesige Freude, stellte ich glücklich fest.
„Ich geh dann.“, sagte ich, weil ich wollte, dass er so früh wie möglich nach Hause kam.
Er seufzte, nicht ganz glücklich mit meinem Verschwinden.
Seine Hand legte sich über meine, die immer noch auf seiner Wange ruhte.
Behutsam hob er dann meine Hand und legte sie auf seine Lippen. Er gab mir einen Kuss auf die Handfläche und ich bemerkte, dass ich schon wieder das Atmen vergessen hatte.
„Schlaf gut.“, konnte ich noch hervorbringen, als wir von einander ließen.Benebelt von ihm wandte ich mich zum Gehen, doch noch einmal legte sich seine Hand um mein Handgelenk.
„Kim? Kommst du morgen zu Emily?“
Ich nickte und ein lächeln huschte über sein Gesicht.
„Bis bald.“
Ich nickte wieder, da ich kein Wort mehr über die Lippen brachte.
Betäubt, torkelte ich aus dem Wald hinaus und konnte mir nicht vorstellen, dass das was eben passiert war, kein Traum gewesen war.

Leise schlich ich zur Treppe. Falls Johny wach und in der Küche war, wollte ich ihm nicht begegnen. Er würde mich fragen, wo ich gewesen sei und im Moment konnte ich einfach nicht sprechen.
Aber natürlich, hatte ich nicht so viel Glück.
Plötzlich stand Johny in seinen Boxershorts in der Tür zur Küche. Ich erstarrte am Fuß der Treppe.
„Hey.“, krächzte er, seine Stimme war angeschlagen.
Es vergingen zehn Sekunden, bis ich es schaffte den Mund zu öffnen und weitere fünf dass ich ein „Hallo.“ hervorbrachte.
Er hatte die Trennung immer noch nicht verkraftet.
Erschrocken stellte ich fest, dass er mager aussah, seine Rippen stachen schon etwas hervor.
„Wie siehst du denn aus?“, fragte er belustigt und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht.
Das hätte ich ihn fragen können!
„Hast du deine Zunge verschluckt?“, sagte er neckend, als ich nicht antwortete.
„Kim? Alles in Ordnung?“, sagte er dann besorgt, als ich immer noch nicht den Mund aufmachte.
„Hast du geweint?!“
Oh verdammt!
Wie hatte ich nur vergessen können, die Tränen wegzuwischen?!
Fast hätte ich mir mit der Handfläche gegen die Stirn geschlagen.
„Alles okay.“, konnte ich dann schließlich hervorbringen.
Aber ich sah, dass es zu spät kam. Ich konnte Johny nicht mehr einreden, dass alles gut war, sein Misstrauen war geweckt.
Er setzte eine ernste Miene auf, kam auf mich zu und fasste mich an den Schultern. Ich stand nur da, mit geweiteten Augen und aufsteigender Panik in mir.
„Erzähl mir was passiert ist!“


Jared

Es war ein Missverständnis gewesen.
Sie wusste es nicht.
Meine Gefühle Momentan waren ein Mix aus Erleichterung, Trauer und Angst.
Irgendwie war ich erleichtert, dass sie es doch nicht wusste. Dann war ich aber traurig, dass ich es nicht hinter mir hatte und ängstlich, weil ich es noch vor mir hatte.
Oh mein Gott, sie hatte mir einen Kuss gegeben. Bescheuert lächelnd stand ich da, die Hand an meiner Wange, wo ihre Lippen mich berührt hatten.
Und dann fiel mir ihr Gefallen wieder ein.
Etwas widerwillig machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich wollte viel lieber Zeit mit ihr verbringen, statt so etwas Unwichtiges zu tun wie zu schlafen.
Dabei blendete ich aus, dass ich fast schlafwandelnd nach Hause torkelte.
Alles nur wegen diesen Blutsaugern.
Keiner von uns gab es zu, doch wir alle hatten Angst, dass wir es vielleicht nicht schafften, dass diese Blutsaugerin es bis nach La Push schafft, irgendeinen von uns tötet.
Kim.
Ehe ich was dagegen tun konnte, platze ich auf und verwandelte mich.
Der bloße Gedanke, Kim leblos, blass, ausgesaugt zu sehen, machte mich wütend.
Ich brüllte unkontrolliert auf und konnte nichts tun, als darauf zu warten, wieder Fassung zu bewahren.
Dann hörte ich Paul in meinem Kopf. Meine Wut hatte ihn aufschrecken lassen und nun sprach er alarmiert auf mich ein.
‚Was ist los?!’
Ich atmete tief ein und aus. Kim geht es gut. Kim geht es gut.
‚Ich möchte diesen Parasit zermalmen.’, presste ich hervor.
Paul hörte alles mit und lachte belustigt.
‚Reg dich ab, ihr wird schon nichts passieren. Niemandem wird was passieren, wir werden es nicht zu lassen.’
Ich war überrascht. Seit wann hatte Paul solche imponierende Reden drauf?
‚Was wunderst du dich so?!’, fuhr er mich dann an, weil ich an seiner Intelligenz zweifelte.
‚Hast du mich gerade einen Idioten genannt?!’
Ich schnaubte.
‚Komm her, wenn du dich traust!’, rief er dann fuchsteufelswild.
‚Ich prügel mich nicht mit dir Paul!’, entgegnete ich genervt.
‚Du hast doch nur Angst, dass ich dir in den Hintern trete!’
‚Ja, genau und jetzt lass mich in Ruhe’, sagte ich sarkastisch.
‚Oh nein, das werde ich nicht…’
Ich hörte, dass Paul mir eigentlich noch mehr Worte an den Kopf schmeißen wollte, doch ich verwandelte mich zurück, ehe er weiterdenken konnte.
Auch wenn ich jetzt ziemlich wütend war, die Müdigkeit war etwas verflogen und ich konnte wenigstens aufrecht und ohne zu schwanken gehen.
Verdammt, ich hatte meine Klamotten zerrissen.
Wütend presste ich die Zähne aufeinander. Dann musste ich mich wohl oder übel durch die Hintertür ins Haus schleichen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, konnte ich mich gar nicht mehr richtig daran erinnern, wie ich in mein Bett gelangt war.
Ich war wirklich so kaputt.
Ruckartig sprang ich auf.
Kim! Sie würde heute zu Emily kommen, was wenn sie schon dort war?
Eilig zog ich mich an, lief die Treppen runter und im Laufschritt zu Emily.
Ich war zu aufgedreht um von Weitem zu horchen, wer alles im Haus war.
Wie immer ging ich ohne anzuklopfen hinein. Emily, Embry, Jacob und Paul waren da.
Nur Emily schaute auf, die anderen wussten schon, dass ich es war.
„Was gibt’s Jared?“, fragte mich Jake.
Ich schaute mich im ganzen Raum um. Dann noch mal und dann war mir sicher, dass Kim nicht hier war.
Etwas bedrückt, setzte ich mich zu den Jungs.
„Nichts.“, antwortete ich Jacob.
„War…Kim heute schon hier?“, fragte ich danach an Emily gerichtet.
Ich bemerkte, wie Paul ein Grinsen aufsetzte.
„Eh…ja, gerade eben.“
Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie nein sagte. Deswegen war ich umso überraschter und konnte wirklich von Glück sprechen, nicht vom Stuhl gefallen zu sein. Paul hätte sich einen abgelacht.
„Wie jetzt?“, konnte ich hervorbringen.
„Sie war vor ungefähr zwanzig Minuten hier und hat ausrichten lassen, dass sie heute nicht, kann und dass es ihr Leid tut.“, erklärte Emily und sah mich mitfühlend an.
Ich schluckte trocken.
„O…okay.“, murmelte ich und schaute bestürzt zu Boden.
„Es tut mir leid.“, sagte Emily und strich mir über den Arm.
„Ist ja nicht weiter schlimm.“, flüsterte ich wieder. Ja, nur ein Tag ohne Kim…
Ich würde sterben.
Das musste ich schon mal durchmachen und es war grauenvoll gewesen.
Wo war sie? Was machte sie? Warum hatte sie keine Zeit?
Mir war schlecht.Wäre ich nur 20 Minuten eher wach gewesen, dann hätte ich sie wenigstens noch sehen und sprechen können!
Ich hatte gewusst, dass Schlafen keine gute Idee war!
„Essen ist fertig.“ Kaum hatte Emily diese Worte ausgesprochen, stürzten sich die anderen an den Esstisch.
Mir war der Appetit vergangen. Ohne Kim wollte ich noch nicht mal atmen, wie sollte ich da essen?
Emily, Jacob und Embry warfen mir Blicke zu.
Ich hasste es, wenn man mich so anstarrte. Im Moment war mir Paul am sympathischsten, weil er sich völlig auf sein Essen konzentrierte.
Die Tür ging auf, Sam kam rein und ich sank tiefer in meinen Stuhl.
Toll, jetzt wurde ich von vier Leuten so komisch angestarrt.
Ich kapselte mich völlig ab, blendete alles aus, was um mich herum passierte und verzog mich in meine Traumwelt, wo Kim bei mir war und nicht weit weg.
Plötzlich traf ein Löffel mich an der Wange. Verwirrt sprang ich auf und hörte wie die anderen- natürlich Paul am lautesten- lachten.
Ich war zu baff um zu begreifen, dass irgendwer mit dem Löffel nach mir geworfen hatte.
„Willkommen zurück auf dem Planeten Erde.“, kicherte Embry.
Ich hielt mich zurück ein ‚Hä?’ hervorzubringen. Stattdessen schaute ich mich nur perplex um.
„Lasst den Jungen in Ruhe!“, schimpfte Emily, doch ihre Worte gingen im Getöse des Lachens unter.
Als Sam sah wie sie sich aufregte, legte er von hinten seine Arme um sie und flüsterte ihr was ins Ohr. Der verliebte Blick, den er dabei hatte, brachte mich dazu die Augen abzuwenden.
Als ich wieder hinsah, schaute Emily nicht ganz so wütend wie vorhin.
Oh, ich vermisste Kim so sehr. Fast hätte ich wie ein kleines Kind angefangen zu schreien ‚Ich will meine Kim! Ich will meine Kim!’.
„Ich habe dich eben etwas gefragt.“, sagte Sam lachend.
Ja, du hast gut zu lachen, Sam Uley, deine Emily liegt ja auch in deinen Armen! Siehst du meine Kim hier irgendwo?!
Mein wütender Blick, ließ ihn nicht zurückschrecken, er schaute mich immer noch belustigt an.
„Was hast du mich gefragt?“, presste ich hervor. Ich war wirklich leicht reizbar im Moment.
Paul machte einen Blick, der so was wie ‚Oh, jetzt habe ich aber Angst!’ bedeuten sollte.
Ich atmete tief ein und aus, da das hier wirklich albern wurde.
„Ich habe dich gefragt, ob du diese Nacht wieder Wache halten willst, oder ob ich Embry diesmal losschicken soll.“
Embry war noch zu unerfahren in solchen Dingen. Natürlich würde ich gehen, ich musste doch aufpassen, dass Kim nichts geschah.
Aber da mischte Emily sich schon ein.
„Diesmal darf Embry das übernehmen, Jared hat schon was vor.“ Sie schwang verschwörerisch ihren Kochlöffel und setzte ein amüsiertes Lächeln auf.
„Aha und was bitte?“, fragte ich sie.
Emily seufzte.
„Kann ich jetzt noch nicht sagen.“ Sie warf einen Blick auf Paul und ich verstand, dass sie nicht sagen konnte, weil er mich sonst wieder auslachen würde.
„Gut, Embry, du hast gehört.“, sagte Sam, den das nicht weiter interessierte.
Embry nickte, den Mund zu voll gestopft mit Essen.
Wenig später verabschiedeten sich Jacob und Paul. Paul wollte sich hinlegen gehen und Jake angeblich auch, doch ich vermutete, dass er sich wo anders herumtreiben würde.
„So Jared.“, begann Emily. Ich fragte mich, was nun auf mich zukommen würde. „Kim hat mir gesagt, dass sie so in ungefähr einer Stunde wieder zu Hause sein wird. Du wirst dich jetzt fertig machen, bei ihr klingeln und sie um ein Date bitten!“
„Werde ich das?“, fragte ich skeptisch.
„Oh ja, das wirst du!“ Fast hätte ich ‚Ja, Mom.’, gesagt.
„Willst du mir das wirklich antun?“, fragte ich verzweifelt, als sie mich an meiner Hand auf die Beine zog- eigentlich hätte sie mich keinen Millimeter bewegen können, wenn ich nicht freiwillig aufgestanden wäre.
„Und jetzt raus aus meinem Haus!“, sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich lächelte, war aber eher den Tränen nahe.
Wie zur Hölle fragte man ein Mädchen nach einem Date?
Eigentlich hätte ich mich eher auslachen sollen. Ich hatte ihr meine Liebe gestanden, traute mich aber nicht sie nach einem gewöhnlichen Date zu fragen.
Aber Liebe war kompliziert und Prägen doppelt so kompliziert.
Zu Hause zog ich mir ein Hemd an, weil ich nicht wirklich oben ohne bei ihr erscheinen wollte.
Dann schmiss ich mich auf mein Bett und zerbrach mir den Kopf darüber was ich sagen sollte.
Irgendwann gab ich es dann aber auf, weil ich wusste, dass ich sowieso nichts hervorbringen würde, wenn sie vor mir stand.
Oh ihr Haar roch so wunderbar. Und ihre tiefen Augen, onyxfarbene Diamanten. Man konnte vollkommen in ihnen versinken, alles Leid vergessen und nur in schöner zweisamer Trance schweben. Wie fliegen, ihr in die Augen zu schauen war wirklich wie fliegen.
Die Stunde war noch nicht ganz um, ob sie schon da war?
Ich hielt es nicht mehr länger aus! Selbst wenn sie nicht da war, ich würde draußen vor ihrer Tür warten.
Ich bereitete mich noch mal seelisch vor und machte mich dann auf den Weg.
Ich bebte vor Vorfreude, gleich würde ich Kim sehen. Grinsend schlenderte ich die Straßen runter. Wie von selbst trugen mich meine Beine. Sie kannten den Weg zu Kim schon in- und auswendig.
Selbst der unnormal heftige Wind konnte mir das Lächeln nicht vom Gesicht wehen. Ich war einfach zu gut drauf.
Mein Herz schlug höher und höher, ich konnte schon die Einfahrt des Hauses sehen.
Ich ging schon die letzten Schritte auf das Haus zu, jetzt stand ich direkt vor der Tür. Noch einmal holte ich tief Luft und klingelte dann. Genau in dem Moment wo ich auf die Klingel drückte, peitschte etwas rosafarbenes in mein Gesicht.
Ich nahm es von meinem Gesicht und ehe ich schauen konnte, was es war öffnete sich die Tür.
Vor mir stand ein Junge, ungefähr Anfang 20, in Boxershorts und schnell übergezogenem T-Shirt. Seine sonst braune Haut war blass und er schaute ziemlich müde aus. Er taxierte mich von oben bis unten an und stand griesgrämig in der Tür gelehnt.
Mein erster Gedanke war: Wer war der Kerl?
Und dann mein zweiter, als ich seinem kritischen Blick zu meiner Hand folgte: Warum zur Hölle hielt ich einen BH in der Hand?!
Hinter ihm tauchte Kim auf und dieser komische Typ und der BH waren vergessen.
Ihr Gesicht erhellte sich, als sie mich sah und einige Schritte näher trat.
Und dann weiteten sich plötzlich ihre Augen ungläubig und sie lief rot an und schloss peinlich berührt ihre Augen.
Zuerst verstand ich nicht, aber dann fiel mir doch wieder der BH ein und ich fiel fast um.
Sie holte krampfhaft Luft, trat hinter den Kerl und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„J…Johny, das ist für mich.“, stammelte sie.
Johny schaute einschätzend Kim und dann mich an. Aber er rührte sich nicht.
Kim seufzte mit geschlossenen Augen, sie schien überfordert.
„Danke, das ist meiner. Muss wohl von der Wäscheleine gefallen sein.“
Sie streckte ihre Hand aus und baff legte ich den BH rein.
Alles lief ja wie geschmiert. Jetzt würde sie sicher zustimmen mit mir aus zu gehen.
„Gut, wenn es das war. Leb’ wohl.“ Der Typ, der wütend zu sein schien, wollte die Tür zuschlagen, aber Kim stellte sich da zwischen. Wenn sie es nicht getan hätte, dann hätte ich es getan. Er würde mich nicht davon abhalten Kim zu sehen.
Ich versuchte möglichst die Sache mit dem BH zu verdrängen.
Er schaute sie undefinierbar an und warf mir dann einen verfeindeten Blick zu.
Wer war dieser Mistkerl?
„Gut, zwei Minuten.“, sagte er bestimmend und ich sah wie Kim die Augen verdrehte.
Dann machte er sich vom Acker und Kim wurde wieder ganz die Schüchterne. Ängstlich den Blick zu heben, trat sie an mich heran, ihre Nähe war berauschend.
„Mein Bruder.“, erklärte sie und ich nahm in Gedanken das mit dem Mistkerl zurück. Er wollte sie beschützen, das war gut.
Peinlich, bei meinem ersten Treffen mit ihrem großen Bruder, hatte ich ihren BH in der Hand.
„Tut…mir leid, dass ich nicht kommen konnte. Ich hatte ganz vergessen, dass ich schon mit einer Freundin verabredet war…“
„Ist nicht schlimm.“
Die rote Farbe war immer noch nicht aus ihrem Gesicht gewichen. Ich wusste, dass jetzt nicht der rechte Moment war sie nach einem Date zu fragen. Zumindest redete ich mir das ein, weil ich in Wirklichkeit viel zu schüchtern war um zu fragen.
„Ich wollte dich nur sehen…ich glaube ich gehe wieder.“ Wir beide brauchten erstmal Zeit das von vorhin zu bearbeiten.
Sie nickte, schien aber nicht begeistert.
Sie streckte sich und gab mir einen Abschiedskuss auf die Wange. Natürlich trommelte mein Herz wie wild, aber gleichzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich ihr die Wahrheit sagen musste.

Kim

„Erzähl mir was passiert ist!“
Ich brauchte jetzt ganz, ganz dringend ein Loch, in das ich mich verziehen konnte. Sehr dringend.
Er kam noch einen Schritt auf mich zu, schaute mich ernst an und durchbohrte mich mit seinen Blicken.
„Hat es etwas mit einem Jungen zu tun?“, fragte er und seine Miene verfinsterte sich.
Ich nickte.
„Wer ist er?“, fragte er aufdringlich.
„Jared… Varnell.“ Auf mein nervöses Gesicht stahl sich ein Lächeln, ich hatte es geschafft seinen Nachnamen zu erfahren.
„Ist er nicht ein bisschen zu alt??“ Natürlich kannte Johny ihn, jeder kannte hier jeden.
„Er...ist…genau so alt wie ich.“ Warum zur Hölle konnte ich strengen Blicken nicht standhalten?
„Hm…er ist groß. Aber ich weiß nicht was für ein Junge er ist…“
Als hätte er da was mitzureden!
Ich konnte es nicht ausstehen, wenn Johny so sprach, als würde ich alles tun was er sagt und als hätte er zu bestimmen, was ich tun und lassen durfte.
Aber ich war so ängstlich, verdammt!
„Du brauchst ihn auch gar nicht einzuschätzen…!“ Ich war wütend genug, um ihm zu antworten.
Erstaunt schaute er mich an.
„Ist sowieso nichts Ernstes, oder was?“, sagte er und frustriert stellte ich fest, dass er gar nicht verstanden hatte, was ich meinte.
„Es geht dich nichts an, mit wem ich mich treffe!“
Johny lachte und ich zog ein langes Gesicht. Warum nahm er mich nicht ernst?
„Mistkerl.“, murrte ich und er strich mir über den Kopf, wie bei einem kleinen Kind.
Wütend funkelte ich ihn an.
Er überhörte meine Beschimpfung, nahm aber seine Hand vom meinem Haar.
„Und wieso hast du dich eben so verrückt benommen, als du ins Haus kamst? Und die Tränenspuren?“ Sofort klang er wieder todernst und das erschreckte mich ein bisschen.
„Es gab…ehm…ein Missverständnis?“ Es war wirklich nicht sehr angenehm, mit seinem großen Bruder über Beziehungen zu sprechen. Es war gruselig.
„Wenn er dir was angetan hat, dann…“
„Er hatte nichts damit zu tun!“, unterbrach ich ihn. Na ja, hatte Jared zwar wohl, aber Johny sollte ihn in Ruhe lassen. Außerdem hatte ich keine Lust auf seine ‚Finger- weg- von- meiner- kleinen- Schwester- Rede’. Öde.
„Ich versuche nur dich zu beschützen!“, sagte er mit erhobenem Zeigefinger.
„Du hörst dich an wie Mum und Dad.“, lachte ich und verdrehte die Augen.
„Ich bin oben.“, nutze ich die Situation aus und ging eine Stufe die Treppen hoch.
„Ich bin noch nicht mit dir fertig, junge Dame!“, spaßte er.
Schnell rannte ich die Treppen rauf und wusch im Bad mein Gesicht. Puh, das war ja noch mal gut gegangen.

Diese Nacht hatte ich wieder den Traum von diesem großen Wolf und dem Abgrund. Ich hatte das Gefühl ihn auch die letzten Nächte gehabt zu haben, nur dass es mir entfallen war.
Irgendwoher kannte ich dieses…Tier. Und es schien mir merkwürdigerweise falsch ihn als Getier zu betrachten, er strahlte so etwas Menschliches aus.
Ich war völlig verwirrt. Verschlafen stand ich im Bad, vor dem Spiegel und träumte vor mich hin. Heute war Montag, aber wir hatten keine Schule, es war irgendein Feiertag.
Meine Miene erhellte sich ein wenig, gleich würde ich zu Emily gehen und Jared dort treffen.
Etwas enthusiastischer nahm ich meinen Kamm und kämmte meine Haare. Dann putze ich noch schnell meine Zähne, wusch mein Gesicht um völlig wach zu werden und ging mich dann anziehen.
Aber noch ehe ich meine Schranktür aufmachen konnte klingelte das Telefon. Ich ging ran, weil Johny noch schlief. Es war gerade erst neun Uhr morgens.
„Kim, ich bin’s, Jenny!“
„Oh, hey, was gibt es?“, fragte ich überrascht.
„Ich wollte dich nur fragen, ob du schon fertig bist?“
Ich stutzte.
„Fertig wofür?“, fragte ich dann verunsichert nach.
„Du hast es doch nicht vergessen, oder?!“
„Hehe…was denn?“ Meine Stimme klang nervös, verdammt, was hatte ich denn vergessen?!
„Kim, wir wollten doch heute in die Stadt!“
Oh…genau…wollten wir, jetzt fiel es mir wieder ein.
Ich verzog das Gesicht. Und was war mit Jared?
„Du hast es mir versprochen, Kim, vor einer Woche schon!“ Und ich konnte förmlich sehen, wie sie eine Schnute zog.
Ich hatte es ihr versprochen, weil ich wollte, dass sie mal aus dem Haus und weg von ihren streitenden Eltern kam.
Aber Jared…
Ich seufzte.
„Ja okay, ich bin gleich bei dir, ich zieh mich nur schnell an…“, sagte ich mit angeschlagener Stimme.
„Okay, ich warte!“
Ach Mann! Was sollte ich jetzt tun?
Aber ehrlich gesagt, so konnte es doch nicht weitergehen. Alles war so unnormal.
Ich bekam ja schon Entzugserscheinungen, wenn ich mich für ein paar Stunden von ihm trennte und Schlafen legte. Und wie heftig ich ihn liebte! Da war so viel…Liebe und Verlangen in meiner Brust, dass ich kurz davor war zusammenzubrechen. Oder los zu schreien.
Dass man so etwas empfinden konnte…unglaublich.Wenig später stand ich voll angezogen vor Jennys Tür.
Noch bevor ich klingeln konnte, ging die Tür auf und leise schlich Jenny hinaus.
Verwirrt schaute ich sie an, doch sie fuchtelte mit der Hand die Straße runter und bedeutete mir, schnell von hier zu verschwinden.
Ich fragte nicht nach und folgte ihr verwundert.
Als wir endlich um die Ecke bogen, seufzte Jenny tief und sah mich lächelnd an.
„Mum und Dad schlafen noch, ich hab mich raus geschlichen.“
Ich nickte, viel zu viel Gefühlschaos in mir, um zu sprechen.
„Wir müssen vorher noch wohin.“, sagte ich Jenny.
Neugierig sah sie mich an.
„Wohin denn?“
„Zu einer…Freundin.“
„Aha und zu welcher Freundin?“
Ich seufzte ergeben, weil ich wusste, dass das ewig so weiter gehen konnte.
„Zu Emily Young.“
Überrascht hielt Jenny inne. Ich ging weiter und achtete nicht darauf. Schnell holte sie mich dann wieder ein.
„Du kennst Emily Young persönlich? Was willst du denn von ihr?“
Jenny stellte eindeutig viel zu viele Fragen.
Leicht verzog ich das Gesicht.
„Von Emily möchte ich eigentlich nichts…“
„Es geht um Jared Varnell, stimmt’s?“
Ich war verdutzt, dass Jenny so schnell geschlussfolgert hatte.
„Ja.“, sagte ich baff.
Ihr Gesichtsausdruck war irgendwie streng.
„Zwischen euch läuft also was.“, sagte sie und spitze die Lippen.
Fast hätte ich gelacht. Jenny wusste nicht wie viel stärker es war.
Wenn wir noch um diese Ecke bogen, wären wir bei Emilys Haus. Ob Jared da war?
Plötzlich war da ein Knoten in meinem Hals und mit jedem Schritt sprang er höher und höher und wurde größer und größer.
Hoffentlich war er da, ich wollte ihn so gerne sehen.
Ich wollte nicht länger als nötig von ihm getrennt sein.
„Kim? Hörst du mir überhaupt zu?“, schimpfte Jenny und funkelte mich an.
Oh.
„Tut mir leid.“, flüsterte ich.
Ich hörte sie seufzen, doch dann blendete ich sie wieder aus, weil vor uns das kleine, liebliche Häuschen von Emily erschien.
Schüchtern blieb ich am Eingang des Vorgartens stehen.
Fragend sah mich Jenny an. Jenny kannte Dinge wie Verlegenheit, Fassungslosigkeit und Höflichkeit nicht. Manchen Menschen erschien sie sogar imposant und vorlaut.
In vielerlei Hinsicht war sie mein Gegenteil.
Ehe ich sie aufhalten konnte, öffnete sie das Tor und schritt mit festen Schritten auf die Tür zu.
Ich eilte ihr hinterher und stand neben ihr, als sie laut anklopfte.
Das Geräusch ließ mich zusammenzucken.
Kaum hatte sie ihre Hand gesenkt, öffnete sich die Tür und eine große, muskulöse Gestalt stand vor uns und schaute auf uns hinab.
Ich brauchte einige Momente, bis ich Embry Call erkannte.
Natürlich bekam ich kein Wort über die Lippen, das ließ meine extreme Befangenheit nicht zu.
Jetzt wünschte ich so zu sein wie Jenny, unbekümmert herauszuposaunen was ich wollte.
Jenny gab mir einen Stoß und ich fing mich ein wenig.
„Ist Jared hier?“, brachte ich hervor, viel zu leise, doch Embry schien mich zu verstehen.
„Nein.“, antwortete er und lächelte mir…aufmunternd zu, so als ob er sagen wollte du brauchst keine Angst vor mir zu haben.
Ich mochte ihn auf Anhieb.
„Kannst du ihm etwas ausrichten?“, fragte ich mit etwas festerer Stimme, obwohl ich sehr enttäuscht war, dass ich Jared nicht sehen würde.
„Gerne.“
Ich atmete aus.
„Sag ihm, dass ich ganz vergessen hatte, dass ich für heute schon verabredet war…und dass es mir Leid tut.“
„Ich werd’s ihm sagen.“
„Danke.“
„Gut, tschüss dann.“, verabschiedete sich Jenny, die ich fast vergessen hatte.
„Ja, bis dann.“, lächelte Embry und ich nickte ihm zum Abschied zu, weil ich schon wieder den Mund nicht aufbekam.

„Das wird ein Spaß, Kim!“, lachte Jenny erfreut und klatschte sich in die Hände.
Ich bezweifelte, dass ich Spaß haben würde, doch ich versuchte glücklich zu wirken, damit ich Jenny den Tag nicht vermieste.

Als wir später durch Port Angeles schlenderten- na ja, ich schliff Jenny eher hinterher- laberte sie mich wieder mit allem Möglichen zu. Aber das war so eine Eigenschaft an ihr, sie redete einfach unendlich viel…und schnell, deswegen verstand ich nur die Hälfte und machte mir nicht mal die Mühe den Rest mitzubekommen.
„Ist Johny immer noch mit dieser Marissa zusammen?“ Die Frage weckte mich auf und man konnte nicht die Missgunst in Jennys Stimme überhören.
„Nein.“, antwortete ich leise.
„Gut!“, lachte Jenny.
Schon seit der 6. Klasse schwärmte Jenny für meinen Bruder, was manchmal- meistens- sehr nervig war.
Immer wenn Jenny bei uns auf Johny trifft baggert sie ihn so unverschämt an, dass ich sie am liebsten raus schmeißen möchte, aber natürlich nicht tue, weil sie ja meine beste Freundin ist.
Johny kann darüber aber nur lachen, doch es dämpft Jennys Flirtversuche nicht ab.
Für Jenny gab es keine peinlichen Situationen, wofür man sie bewundern oder auslachen konnte.
Na ja, Augen zu und durch.
„Genug von mir-“, allein dieser Satz ließ mich überrascht aufschauen. „ wie läuft es zwischen dir und Jared?“
Aus irgendeinem Grund wurde ich rot, aber Jenny bemerkte es nicht.
Nur dass ich nicht antwortete ließ sie eine Schnute ziehen.
Aber ich konnte ihr nicht antworten, da ich selbst noch nicht mal wusste, wie es zwischen mir und Jared lief. Es war alles so untypisch für eine High- School- Liebe.
Weil es mehr als eine High- School- Liebe ist!, sagte eine Stimme in meinem Kopf. Und weil du zu unerfahren in solchen Dingen bist.
Stimmt, ich hatte noch nie einen Freund gehabt und mich so richtig in jemanden verliebt. Bis Jared kam.
Eigentlich war er schon immer da gewesen.
Das hier hatte erst ein paar Wochen vor seiner ‚Verwandlung’ begonnen.
Plötzlich merkte ich, dass Jenny mit ihrer Hand vor meinem Gesicht wedelte.
„Hallo? Bis du noch da?“, fragte sie.
Ja, hier auf meiner rosa Wolke.
„Ich habe keine Ahnung, alles ist so…merkwürdig.“, antwortete ich wahrheitsgemäß auf ihre Frage von vorhin.
„Merkwürdig?“
„Ja! Gestern hätte er mich fast geküsst und gesagt dass er es nicht könnte…wenn ich die Wahrheit nicht wüsste…“
„Die Wahrheit?“, sagte sie und hob die Augenbrauen.
Ich schaute zur Seite, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt.
„Irgendetwas stimmt mit dem Kerl doch nicht.“, sagte Jenny eher zu sich selbst als zu mir.
Und ich war geschockt, dass ich dasselbe dachte.
Ich war mir absolut sicher, dass mit Jared Varnell etwas nicht stimmte.
Noch nie hatte ich den Gedanken so zusammengefasst, doch schon seit einiger Zeit schwebten diese Worte in meinem Unterbewusstsein.Vor mir war das vertraute Gesicht von Jared, ich hätte fast die Hände ausgestreckt um ihn zu berühren, doch dann fiel mir wieder ein, dass er nur in meinen Gedanken vor mir stand.
Plötzlich wurden seine Gesichtszüge unklar und ich hatte auf einmal den Wolf aus meinen Träumen vor mir.
„Kim? Kim? Ist dir schwindelig?“, hörte ich die besorgte Stimme von Jenny.
Nach Luft keuchend sah ich auf und dann erhellte sich wieder meine Umgebung und ich fühlte mich so als wäre ich soeben aus tiefem Wasser aufgetaucht.
Für einen Moment war mein Kopf so belastet gewesen, dass ich zu torkeln angefangen hatte und Jenny hielt mich nun fürsorglich an meinen Armen.
„Willst du dich lieber hinsetzten?“
Ich schüttelte den Kopf und hielt mich an ihr fest, während in meinem Gehirn sich alles wieder von neu ordnete.
Ich versuchte mir das Bild von vorhin zu erklären. Wieso das Gesicht von Jared mit dem des Wolfes verschwommen war.
Ich konnte es mir nicht erklären. Ein Hirngespinst vielleicht?
Es war so plötzlich vor mir aufgetaucht…
„Kim? Ich glaube es wäre besser wenn wir nach Hause gehen. Du hast sowieso keinen Spaß und ich habe Angst, dass du mir gleich wegkippst…“
Ich nickte, ohne wirklich hinzuhören. Warum? Warum ausgerechnet dieser Wolf?

Zu Hause erwartete mich ein gutgelaunter Johny. Ich sah ihn seit Tagen wieder richtig lachen. Hoffentlich hatte er das mit Marissa nun verkraftet.
„Warum bist du so früh wieder zurück?“, fragte er und trank die Milch direkt aus der Packung. Wie ich das hasste.
„Mir ging’s nicht gut.“
„Was hast du denn?“, fragte er besorgt.
„Mir war nur ein bisschen schwindelig, mir geht es jetzt besser.“
„Wenn’s wieder schlechter wird, sag bescheid.“
Ich nickte, viel zu schwach um zu sprechen.
„Ach ja: Mum und Dad sind heute Abend zu Hause…zur Abwechslung mal.“
Ich lächelte müde.
„Mum und Dad müssen halt viel Arbeiten.“, verteidigte ich sie und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
Johny brummte etwas Unverständliches und stand dann auf um die Tür zu öffnen, weil gerade jemand geklopft hatte.
Ich legte mich aufs Sofa, schloss die Augen und versuchte mich ein wenig zu entspannen.
Eine Weile blieb es still und verwundert öffnete ich die Augen.
Wer war da bloß an der Tür und warum sagte Johny nichts?
Neugierig stand ich auf und schlich mich in den Flur.
Und als ich ihn da in der Tür stehen sah, verflog alle Müdigkeit der Welt und ich lächelte nur noch glücklich.
Und dann sah ich was er in der Hand hatte und sah dass Johny es auch gesehen hatte. Alles was jetzt kam war einfach nur peinlich…

Es machte mich traurig, dass Jared schon wieder ging, aber ich würde auch so schon genug Probleme mit Johny haben. Also ließ ich es zu und bereitete mich innerlich schon auf einen Streit vor. Ich schaute ihm noch nach und dann kam Johny.
Johny schloss die Tür, drehte sich zu mir um und ich sah sein empörtes und wütendes Gesicht.
„Das war der Kerl, oder?“, meinte er Zähne knirschend.
„Ja.“, hauchte ich.
Johny holte tief Luft.
„Das war ein unpassendes erstes Treffen.“, murrte er.
Ich verbarg den BH hinter meinem Rücken.
Hätte Schlimmer kommen können.
„Ich mag ihn nicht.“
„Brauchst du auch nicht.“, sagte ich heiser.
„Willst du, dass ich Mum und Dad von ihm erzähle?“, drohte er mir.
„Nicht Mum…ich will es ihr selber sagen.“
Mein Vater war lange nicht so streng wie unsere Mutter.
Sie würde mir nicht glauben, dass Jared genau so alt war wie ich und meinen, dass er zu alt für mich sei.
Dad würde dass entweder glauben, oder mit Humor nehmen.
„Das ist unfair, ich mische mich auch nicht bei dir ein!“, schnaubte ich Johny wütend an.
„Ich bin hier ja auch der große Bruder.“, sagte er, warf den Kopf in den Nacken und verschränkte großspurig die Arme vor der Brust.
„Blödmann!“, zischte ich. Aber in Wirklichkeit hatte ich eine Heidenangst vor der Reaktion meiner Mutter.
Ich hatte keine Lust mich weiter mit Johny zu streiten und lief die Treppen hoch in mein Zimmer.
Dort schmiss ich mich auf mein Bett, nachdem ich den BH in meine Schublade gelegt hatte.
Oh Mann.
Was jetzt?
Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn meine Eltern- zumindest Mum- heute noch nicht kommen würden. Ich war noch nicht bereit.

Jared

„Und wie ist es gelaufen?“
Ich hatte inständig gebeten, dass Emily dies nicht fragen würde.
Aber natürlich war es das Erste gewesen, was sie gesagt hatte.
„Ich möchte lieber nicht drüber reden.“
Sie runzelte die Stirn.
„Was ist denn schief gelaufen?“
„Ich habe ihren großen Bruder kennen gelernt.“, murmelte ich und schmiss mich aufs Sofa.
Jacob, der ebenfalls da war, gluckste.
„Klingt ja so, als wäre alles perfekt gelaufen.“
„Ja, das habe ich auch gedacht.“, antwortete ich ihm.
Seufzend stellte sich Emily wieder hinter ihren Herd.
„Ich weiß echt nicht, was ich mit dir tun soll Jared.“, sagte sie.
„Du brauchst nichts tun. Ich bin ein Wolf, ich krieg das schon hin.“, lächelte ich.
„Weißt du wie lange Sam gebraucht hat um mich anzusprechen?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Drei Monate. Wolf hin oder her, er hat sich nicht getraut.“
Ich stellte mir vor, wie Sam drei Monate lang wie ein Bekloppter hinter Emily hergeschlichen ist, nur um sie zu sehen.
„Ernsthaft?“, fragte Embry nach, der sich das gar nicht vorstellen konnte. Dann versuchte er ein Lachen zu unterdrücken.
„Dir würde es sicher nicht besser ergehen.“, verteidigte Emily Sam, schaffte es aber nicht ein Lächeln zu verbergen.
„Wollen wir rausgehen?“, fragte Jacob mich.
„Hm, klar.“
Wir erhoben uns und verabschiedeten uns von Emily. Embry entschied sich mitzukommen.
Ohne lange zu reden, gingen wir in den Wald und entledigten uns unserer Sachen.
Jacob war im Verwandeln am schnellsten, es lag dem Kerl wirklich im Blut.
Während wir nur so zum Spaß durch den Wald jagten, vergaßen wir all unsere Sorgen. Es tat gut einfach nur zu laufen.
Das Bild von Bella Swan huschte durch meinen Kopf.
Ich seufzte innerlich.
Seit die Blutsauger wieder zurück waren, ging es mit Jake nur noch Berg ab. Selbst wenn er lächelte, war ein Schmerz in seinen Augen.
‚Könntest du die Gedanken wechseln?’, fragte er mich angesäuert.
‚Ja…Sorry.’
Es war eh leichter an Kim zu denken.
‚Jared, kannst du mir sagen, weshalb ich das Bild von Kim nicht aus dem Kopf kriege?’
Aus demselben Grund, warum ich Emily gerade vor mir sah?
‚Entschuldigung.’ Immer nörgelten sie rum. Wenn es ihnen in meinem Kopf nicht gefiel, dann sollten sie verschwinden.
‚Ich glaube es wird langsam echt Zeit, dass du es ihr sagst.’, unterbrach Sam mich.
Ich stockte, hielt mitten im Laufschritt inne.
‚War das ein Befehl?’
‚Wenn du es so siehst: Ja. Tut mir leid, aber wir haben im Moment genug andere Sorgen.’
‚Das ist unfair.’, sagte ich kleinlaut. In Wirklichkeit war ich kurz davor in Panik auszubrechen. Ich konnte es Kim einfach nicht sagen…
‚Das Leben ist ung-’
Wenn Embry den Gedanken zu Ende brachte, würde ich ihm den Kopf abbeißen.
‚Es tut mir ja leid!’, wehrte er sich verstimmt.
Noch bevor die anderen sich melden konnten, verwandelte ich mich zurück. Ich wollte keinen von ihnen in meinem Kopf haben.
Sam, dieser Mistkerl, er musste doch am besten wissen wie schwer es war!
Aufgebracht schrie ich auf und riss mir meine Hose von meinem Fußgelenk um sie anzuziehen.
Verdammt, verdammt, verdammt.
Was wenn Kim dann Angst vor mir hatte? Wenn sie mich hasste?!
Verzweifelt raufte ich mir die Haare und lief ziellos durch den Wald.
Was sollte ich tun? Wie sollte ich es ihr beibringen?
Ich spürte die Last des Befehls, der auf mir lastete. So unglaublich schwer lastete.
Als wollte ich aufstehen, aber ein Tonnengewicht würde mich runterdrücken und in die Knie zwingen.
Die anderen waren weit entfernt von mir, sie ließen mich in Ruhe und das war auch gut so. Ich musste alleine sein.
Lange lief ich an unendlich vielen Bäumen vorbei, über so viel Waldboden und Moos und zerbrach mir nur darüber den Kopf wie ich es schaffen sollte, Kim alles zu erzählen. Ich hatte einfach zu große Angst.
Schonend, aha, schon mal ein Stichwort.
Bloß…wie erzählte man jemandem schonend, dass man selber ein Wolf war?
Ganz beiläufig, oder sollte ich sie vorwarnen?
Nein, ich würde es ihr bestimmt nicht einfach so an den Kopf werfen.
Ich lief stundenlang, ohne langsamer oder schneller zu werden und ohne an etwas anderes als Kim zu denken.
Wie weit war ich wohl schon gegangen?
Sehr weit.
Dieser Wald sah schon nicht mehr aus wie der zu Hause.
Aber es war so schwierig umzukehren.
Moment mal…
Lief ich weg?
Vor Kim oder vor Sams Befehl?
Nein, ich war einfach nur gelaufen, ich rannte vor niemand und nichts weg.
Es wurde dunkler.
Obwohl die Baumkronen sowieso nicht viel Sonnenlicht durchgelassen hatten, wurde der Wald stockfinster, als die Sonne unterging.
Wenn ich mich jetzt verwandelte, würde ich in kürzester Zeit zu Hause sein, aber dann lief ich Gefahr auf einen der anderen zu treffen und das wollte ich nicht.
Und ich wollte auch nicht wirklich nach Hause.
Weitere Stunden lief ich durch den Wald, es regnete mehrmals kurze Schauer, aber ich trottete weiter.
Wo ich am Ende wohl hin kam?
Dann fiel mir ein, dass ich mir gar keine Gedanken mehr darüber machte wie ich Kim über mich aufklären sollte.
Ich lief also doch weg!
Ich zwang mich stehen zu bleiben, meine Beine gehorchten widerwillig.
Sie hatten sich schon an den Rhythmus vom Gehen gewöhnt und mir war kurz merkwürdig als keine Bäume mehr an mir vorbeizogen.
Seufzend machte ich auf dem Absatz kehrt und stellte fest, dass der Weg zurück viel schwerer war.
Gut, ich würde es ihr sagen. Es wird schon schief gehen. Kein Grund in Panik auszubrechen.
Ich redete mir immer weiter zu und fragte mich wie Kim es geschafft hatte, dass ich solche Angst bekam sie zu verlieren.
Prägen, das Wort war viel zu einfach um es zu erklären.
Wow, ich muss wirklich weit gelaufen sein. Wenn es so weiterging, würde ich noch nicht mal im Morgengrauen zu Hause sein.
Ich überlegte hin und her und entschied mich am Ende, mich doch zu verwandeln.
Betont langsam zog ich meine Sachen aus, band sie achtsam an das Band um mein Fußgelenk und befahl meinem Körper sich zu verwandeln.
Ich lief einige Zeit völlig ohne zu denken.
Aber auf das was jetzt kam war ich ganz und gar nicht vorbereitet gewesen.
Ich hatte zwar erwartet, dass ich jemanden in meinem Kopf hören würde, aber doch nicht ihn.
‚Was passiert hier?!’
‚Quil?!’, platze es aus mir heraus.
‚Jared? Jared, bist du das? Warum bist du in meinem Kopf?!’
Oh Gott, Quil war jetzt ein Wolf.
‚Was? Ich bin ein was?’
‚Ganz ruhig, Quil! Nicht die Beherrschung verlieren, okay? Alles ist gut.’
Verdammt, wie zur Hölle sollte ich ihm erklären, dass…?
Mist, ich konnte meine Gedanken nicht kontrollieren, ich war zu verwirrt im Moment!
‚Was erklären??’
‚Das ist der abgefahrenste Traum aller Zeiten. Nur: Was hast du hier zu suchen?’
Ein Traum? Ach deswegen war er so gelassen! Er dachte, dass er träumt.
‚Wie jetzt? Kein…Traum?’
Ups.
‚Nicht aufregen, Quil, alles ist gut!’, schaltete sich plötzlich die Stimme von Sam ein.
‚Sam?’, fragte Quil, der immer noch nicht begriff, dass wir voneinander die Gedanken hören konnten.
‚Wir können was?’
Ich musste echt drauf achten was ich dachte!
‚Jared, du bist keine große Hilfe.’, knurrte Sam.
‚Ich kann doch nichts dafür!’
‚Verschwinde einfach!’
‚Wer ist das?’, holte Quil uns beide aus unserer Streiterei zurück.
‚Das ist Kim…’, flüsterte ich leise und war für einen Moment wieder ganz schwach, als mir einfiel, dass ich ihr die Wahrheit sagen musste. Quil hatte sie in meinem Kopf gesehen, weil in irgendeiner Hinterkammer für immer und ewig ihr Gesicht eingeschweißt worden war.
‚Au.’, kam es von Quil.
‚Jared.’. mahnte mich Sam und gerade als auch Paul, Embry und Jacob erschienen, verwandelte ich mich zurück.
Ich war immer noch ein bisschen von zu Hause entfernt und musste das Stück in menschlicher Gestalt zurückgelegen.
Quil Ateara war also nun auch ein Wolf.
Eigentlich hätte er mir Leid getan, aber ich war zu sehr mit meinem eigenen Problem beschäftigt.
In ein paar Stunden würde die Sonne aufgehen. Es würde Tag werden. Und ich würde Kim die Wahrheit sagen.Trotz allem hatte ich es geschafft ein wenig zu schlafen.
Ich wachte von den ersten Sonnenstrahlen auf und blieb eine Weile in meinem Bett liegen.
Sonnenstrahlen? Ein sonniger Tag? Wirklich unangemessen in meinen Augen.
Mühsam richtete ich mich auf, stöhnte, weil ich falsch gelegen hatte und massierte mir den Nacken.
Eigentlich wollte ich mich davor drücken, aber Sams Befehl ließ mich in Mark und Knochen spüren, dass ich keine andere Wahl hatte.
Widerwillig stand ich auf, zog mich an und verließ das Haus.
Aber vielleicht hatte ich Glück und Kim schlief noch.
Während ich den Weg zu Kims Haus ging, merkte ich, dass er mir irgendwie viel kürzer erschien als vorher. Obwohl ich extra langsam ging, war ich zu schnell dort.
Und dann als ich die Hand hob um anzuklopfen spürte ich wie doch die Freude in mir aufstieg, die Vorfreude. Gleich würde ich Kim sehen, vielleicht gab sie mir sogar noch einen Kuss auf die Wange.
Sie öffnete mir die Tür.
Als sie mich sah, lächelte sie glücklich. Leise trat sie zu mir hinaus und schloss die Tür hinter sich.
„Hey.“, begrüßte ich sie leise, ohne zu wissen warum ich flüsterte.
„Hey.“, grüßte sie zurück und nahm ihren bezaubernden Blick nicht von mir.
„Ehm…wollen wir ein Stück gehen?“, sagte ich dann nach einer Weile, in der wir uns nur angesehen hatten.
„Gerne.“
Sie ging noch mal kurz ins Haus zurück um sich eine Jacke zu nehmen.
Ich überlegte kurz wo lang wir gehen könnten und entschied mich dann Richtung Strand.
Während sie neben mir herging, horchte ich dem Rhythmus ihrer Schritte und suchte nach Worten. Wie sollte ich das Thema anschneiden?
Ich hatte große Angst vor ihrer Reaktion. Riesige.
Vor uns breitete sich der helle Sand aus, feucht und eben, Wellen schlugen an und rauschten.
Wir gingen ein wenig über den Strand, aber dann blieb ich stehen.
Sie hielt ebenfalls an und schaute mich mit ihren wunderschönen, Onyxaugen an.
Ich wusste immer noch nicht was ich sagen sollte.
„Kim…ich…ich will dir…die Wahrheit sagen…“, stotterte ich los.
Sie schaute mich nur ernst und gefasst an und am liebsten hätte ich jetzt den Mund gehalten und nie wieder ein Wort gesagt.
Ich holte tief Luft. Dann noch mal.
„Ich bin…ich bin ein…“
Es war so unglaublich schwierig.
Gleich würden ihre Augen nur noch geschockt oder ängstlich oder hasserfüllt sein und nicht mehr so glänzen.
„Kim, ich liebe dich und ich könnte dir niemals etwas tun.“, brachte ich dann über die Lippen.
Sie schien irgendwie verwirrt.
„Mir wehtun?“, fragte sie skeptisch.
Ich nickte, kaum merklich.
Ich seufzte.
„Wie viel weißt du über unsere Legenden, Kim?“ Ich musste es ihr doch schonend sagen.
Zuerst antwortete sie nicht, aber dann sah ich sie schuldbewusst lächeln.
„So gut wie gar nichts.“, sagte sie dann.
„Aber du weißt…dass wir von den Wölfen abstammen? Dass unsere Vorfahren, sie in riesige Wölfe verwandeln konnten…?“
Sie lächelte nicht mehr, ihr Gesicht wirkte wieder ernst und ein bisschen auch in Gedanken versunken.
„Kim…ich bin ein Wolf.“ Oh nein, jetzt war es raus.
Verwirrt sah sie mich an.
„Ein Wolf?“, fragte sie und bewegte fast nur die Lippen.
„Ja…ich kann mich in einen Wolf verwandeln.“
Fast erwartete ich, dass sie loslachen würde.
Ihre Augen waren geweitet.
„Ein Werwolf?“
„Genau.“, flüsterte ich und erwartete dass sie jeden Moment schreiend davon laufen würde.
Eine bedrückende Stille legte sich über mich. Gleich würde sie mich anschreien, mir sagen, dass sie mich verabscheut, mich hasst und mich nie wieder in ihrer Nähe haben will.
Ich schloss die Augen und schaute in den Himmel. Der Wind umspielte mein Gesicht und obwohl ich noch so viel wie möglich von Kim haben wollte traute ich mich nicht sie anzusehen.
Ihr Herz schlug schneller.
Ich konnte es nicht ertragen. Weder, dass sie mich jetzt verlassen würde, noch, dass sie nichts sagte.
Meine Ohren sagten mir, dass sie den Mund geöffnet hatte. Sie wollte etwas sagen, blieb aber still.
Dann trat sie auf mich zu. Ein Schauer lief über meinen Rücken. Sie kam noch einen Schritt näher.
Was hatte sie vor?
Sie krallte ihre Hände in mein Hemd und ich hörte ihren Atem zittern.
„Das war…also die Wahrheit?“, sagte sie zittrig.
Ich schluckte trocken und zwang mich die Augen zu öffnen und sie anzusehen.Anders als erwartet war ihr Blick fest und sie wandte sich nicht ab, als ich ihr genau in die Augen schaute.
Im Gegenteil, ich war so schwach und wollte mich abwenden. Doch ihre Augen, ihr Blick, den ich so liebte, hielten mich fest.
Die Zeit sollte jetzt einfrieren und nie wieder mehr vergehen. Dieser Augenblick, wo sie mich anschaute, als würde sie mich auch, - immer noch- lieben, er brannte sich bei mir ein.
Ich hatte unglaubliche Angst. Nie mehr Kim, das war…es war grausam. Als würde man mich in Stücke reißen, es tat weh.
In meinem Leben hatte ich bis jetzt noch nie vor irgendetwas wirklich Angst gehabt.
Als ich mich zum ersten Mal verwandelt hatte, war ich natürlich richtig erschrocken, aber es war nicht so heftig und schlimm wie jetzt gewesen.
Außerdem war damals Sam da und hatte mir geholfen.
Im Moment wusste ich nicht wie ich es finden sollte, dass ich geprägt worden war. Gut oder schlecht?
Jetzt gerade war es wirklich schmerzhaft, doch dass was ich für Kim fühlte, es war so erfüllend. Als würde man von einer Klippe springen und ewig fallen und wissen, dass man nie irgendwo aufprallen wird. Verrückt, amüsant, glücklich und einfach nur unbeschreiblich.
Ich liebte sie.
„Es ist…okay.“
Was?
Nun verstand ich überhaupt nichts mehr. Es ist okay?
Und warum zur Hölle stand sie immer noch hier bei mir, berührte mich, sprach mit mir, ohne den Hauch von Angst in ihren Augen?
„Ich habe keine Angst vor dir.“, flüsterte sie, als könnte sie meine Gedanken lesen.
Schlagartig erinnerte ich mich an den Moment im Wald. Vor meinem inneren Auge sah ich wie sie sich bückte und ihre Hand in meinen Pfotenabdruck legte.
Damals hatte ich mich gewundert warum sie nicht Angst hatte, jeder normale Mensch wäre sofort aus dem Wald gerannt, wenn er so einen monströsen Abdruck gesehen hätte.
Aber Kim war nicht normal. Sie war einzigartig, bezaubernd, wunderschön und auch…mutig.
Hieß das…?
„Du willst mich nicht verlassen?“
Meine Hoffnung war so groß, dass ich es nicht wagte zu atmen.
„Nein. Nie.“
Ich holte trotzdem keine Luft. Meine Freude, mein Glück, war so…so riesig.
Ich konnte nicht anders, als sie in die Arme zu nehmen.
Blind vor Glücksgefühlen, hob ich sie hoch und drückte sie an mich und sog ihren Duft ein.
Sie lachte leise und es hätte keinen schöneren Klang geben können.
Ihre Arme lagen um meinen Hals und als sie sich ein kleines Stückchen von mir lehnte, um mir ins Gesicht zu gucken, waren unsere Nasenspitzen sich schon wieder so nah.
Aber nicht nah genug.
Mein Atem war ganz flach und ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
Dann ganz langsam wich das Lächeln und sie schaute mich wie in einer Art Trance an.
Wir beugten uns ganz langsam aufeinander zu und ehe ich richtig verstand warum mein Herz plötzlich so schnell schlug, lagen ihre Lippen auf meinen.
Dann schaltete mein Kopf völlig ab. Ich fühlte nur noch dieses Inferno an Gefühlen. Es war so als würde man mir ein Becken voller Eiswürfel über den Kopf schütten und mich dann innerlich anzünden. Wie ein Regenbogen und ein Feuerwerk und ein Tsunami und ein Sternschnuppenregen zugleich!
Ihre Lippen waren sanft und weich und ich wagte es nicht zu atmen.
Warum hatte mir nie jemand gesagt, dass küssen so toll war?
Vor lauter Glücksgefühl merkte ich zuerst gar nicht, dass sie sich wieder zurückgelehnt hatte und wir uns nicht mehr küssten.
Wir atmeten beide so als wären wir einen Marathon gelaufen.
Ich konnte nicht fassen, was eben passiert war.
Ein Traum, ganz bestimmt ein Traum. Eine Sache konnte einfach nicht so schön sein.

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Tag der Veröffentlichung: 24.08.2011

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