Tierische Mitbewohner
Humoristische Erzählung in fünf Geschichten, über den Umgang mit Hausgenossen, die man sich in den seltensten Fällen aussucht, und wie man es zu einer friedlichen Co-Existenz bringt.
Eher spaßige, keinesfalls wissenschaftlich zu verstehende Texte, die zeigen sollen, dass vieles nur eine Frage der Einstellung ist: Je mehr ich etwas bekämpfe, desto anstrengender - oder auch ekelhafter - empfinde ich es natürlich. Was ich akzeptiere, seine Existenz also nicht verhindern will, das bereitet mir normalerweise keine allzu großen Probleme und entsprechend selbstverständlich kann ich damit umgehen. Auch wenn es ungewöhnlich bleibt ;o)
Inhalt:
1. Ich habe `ne Meise …
2. Friederich
3. Esmeralda
4. Warum nur
5. Erna & Luise
Ich habe ’ne Meise ...
... und was für eine!
Seit Jahren gibt es ein so eine Art Gentleman Agreement zwischen drei Meisen und mir. Eine Dromsel (Drossel oder Amsel oder beides irgendwie) gehört auch in dieses Bündnis und kommt ebenfalls oft zu Besuch auf meinen Balkon; verbuddelt sich Schwanzfedern schüttelnd in dem hängenden Klee im Balkonkasten und guckt.
Dieser Kasten hat ca.-Maße von 300 x 40 cm. Genügend Platz also, damit sich alle, die das wollen, ausbreiten können. Nur wenn die Taube anreist werde ich zickig. Die Elstern ahnen das wohl und bleiben generell etwas auf Entfernung.
Die unzähligen, hinter dem Haus auf und ab flitzenden Hasen schaffen es meist nicht unfallfrei an der Hauswand hoch bis in den zweiten Stock. Ameisen sind willkommen, solange sie sich direkt in die für sie aufgestellten Fallen begeben und zwei Raben ist es wohl in meinem großen Balkonkasten dennoch etwas zu eng. Gut so!
Nun bezieht sich dieses Gentleman Agreement darauf, dass wir alle (drei Meisen, die Dromsel und ich sowie - wenn hier - auch weitere menschliche Wesen) in totaler gegenseitiger Duldung meinen Balkon nutzen. Die Pieper lassen sich seit Jahren nicht mehr davon stören, wenn auch ich ein kleines Fleckchen dieses Areals für mich beanspruche. Sie genießen die Frische, wenn ich meine Blumen gegossen haben und kommen zum Trinken resp. Nippen oder gar Baden.
Sie setzen sich in den Schatten der Pflanzen um zu beobachten, was ich mache oder sie entfernen zum Nestbau abgestorbene Gräser etc. aus dem Balkonkasten. Und so haben wir alle was davon ...
Heute Morgen hatte ich nun leider Frühsport der aller ersten Güte ... Meint: So viel Bewegung, dass ich mir die nächsten Wochen über Fitnesstraining sicher keine Gedanken zu machen brauche.
Ich habe die Angewohnheit, fast sämtliche Fenster und die Balkontür zu öffnen, wenn ich zuhause bin. Morgens sowieso als aller erstes. Die Meisen (und die Dromsel) wissen das und verirren sich auch eigentlich nur selten mal ins Wohnzimmer. Doch heute Morgen war Panik pur angesagt:
Eine der Meisen flog ins Wohnzimmer und landete siegessicher auf einer Pflanze in der Fensterbank. Dort saß sie und - wenn ich das richtig interpretiert habe, den mein Meisisch lässt doch sehr zu wünsche übrig - war doch etwas unglücklich. Als ich näher kam wurde sie unruhig und drehte erst einmal eine Runde im Wohnzimmer. Nach den ersten Einfangversuchen meinerseits kam dann eine außerordentlich abrupte Richtungsänderung, die direkt in vollem Sturzflug in Richtung Fenster ging ... das leider eines derer war, die ich an diesem Morgen (da die Balkontür weit offen stand) nicht geöffnet hatte.
Das arme Vieh sackte völlig erschrocken in sich zusammen und kauerte auf der Fensterbank. Ich wurde immer unruhiger und überlegte, wie ich dieses Geschöpf, möglichst ohne weitere Verletzungen, zurück in die freie Natur bringen könnte. Doch das Lütte drehte schon ziemlich benommen eine weitere Runde über den Esstisch, um dann erneut mit einem Knall an der Scheibe gestoppt zu werden. Dieses Mal traf die Meise beim Runterfallen nicht die Fensterbank, sondern fiel direkt auf den Boden. Das konnte ich allerdings erst erkennen, als ich die Balkon-Sitzpolster zur Seite geräumt hatte.
Als ich sie erst nicht sehen konnte, hatte ich die kurze aber erfolglose Hoffnung gehegt, dass sie vielleicht doch schon raus geflogen war. Doch dort auf dem Boden lag sie ... neben einer Dreifach-Steckdose ... allerdings eine Kralle IN der Steckdose ...
Im ersten Moment dachte ich, dass sie das unmöglich überlebt haben kann. Erst das erneute Knallen an die Scheibe, dann der Sturz zu Boden und dann auch noch direkt an die Steckdose angeschlossen. Dann sah ich mit Erschrecken, dass sie zuckte. Oder noch zuckte? Oder wieder?
Da ich nicht einschätzen konnte, warum genau sie das tat, besorgte ich aus der Küche eine Kehrschaufel (Aus Plastik, natürlich. Oder weil ich keine andere hatte?) und ging zurück zum Fenster. Dort hob ich die Dreifach-Steckdose mit dem darin fest steckenden (oder fest gekrallten?!) Vogel hoch und schüttelte das Konstrukt vorsichtig über der Schaufel. Die Meise fiel auf die Schaufel, ich trug sie behutsam auf den Balkon und setzte sie dort in den Blumenkasten.
Wir waren beide total außer Atem und - sofern Vögel das können - schweißgebadet. Dass das Vieh mehrere Fensterkonfrontationen, diverse Aufpralle auf die Fensterbank und den Boden und dann auch noch die Steckdose überlebt hat, ist nicht zu fassen. Aber sie hat es wohl geschafft. Als ich nachmittags nach Hause kam, saß sie nicht mehr in dem Kasten und ich weigere mich einfach, anzunehmen, dass ein größeres Tier sie sich als Futter genehmigt hat. Leichte Beute wäre sie gewesen doch das soll einfach nicht sein. Ich warte mal ab, wann die Pieper wieder auf meinen Balkon zurückkehren und zähle dann durch.
Fressen Tauben oder Elstern eigentlich Meisen? Und Hasen ...?
Friederich
Ach ja ... ich hab‘ ihn ganz schön lieb, den Friederich.
Da überlege ich lange Zeit, mir wieder ein Haustier anzuschaffen und dabei habe ich längst eines, dass so vieles in sich vereinigt, dass im Grunde für weitere gar kein Platz mehr ist. Ich habe IHN ... meinen Friederich!
Vor einigen Wochen entdeckte ich ihn. Er kroch ganz langsam in Richtung Raummitte, als ich am Waschbecken stand und mir die Zähne putzte. Friederich. Sein silbriges Aussehen übte fast so eine Art Faszination auf mich aus. Im ersten Moment erschreckte ich allerdings etwas, da seine Spezies normaler Weise nicht allein, sondern gleich in Massen auftritt. Damit hätte ich mich eher ungern einverstanden erklärt. Also schloss ich mit dem kleinen Kerl einen Packt:
Solange er alleine in meinem Badezimmer rumtobt ist er in Sicherheit. Bringt er jedoch auch nur einen einzigen Kumpel mit, geht es ihm samt Gefolge an die silbrigen Schuppen ... endgültig. Da kenne ich nix.
Er hält sich daran. Ich wohne inzwischen seit knapp zwei Jahrzehnten in dieser Wohnung und niemals hat er auch nur den Versuch unternommen, mit einem Spielgefährten vor meinen Augen aufzutauchen. Nun behaupten Wissenschaftler, dass die Kleinen Kerle nur drei bis fünf Jahre leben. Und genau das kann ja eigentlich nicht sein ... oder doch?
Vielleicht werden die Aufenthaltsbestimmungen in meiner Wohnung von Generation zu Generation weiter gegeben? Vielleicht hocken sie alle in ihrem Spalt und wechseln sich mit dem „draussen-Spielen“ ab wenn ich zuhause bin. Wer weiß, was hier für Partys abgehen, wenn ich mal nicht da bin? Sollte ich womöglich nachts einfach mal überraschend nach Hause kommen und ins Badezimmer stürmen? Die kleinen Flitzer sind ja ganz schön schnell aber SO schnell dann vielleicht doch nicht ...
Erstaunlich finde ich die Behauptung, dass die Gattung von Friederich so vielfältiger Abstammung sein soll. Zum einen soll sie sich inzwischen als das fehlende Bindeglied zwischen den echten Fischen (Ichthis) und den sich im oberen Sperm davon abgespaltenen Vögeln (Avis) herausgestellt haben. Möglicherweise. Ganz sicher ist sich die Forschung da wohl doch noch nicht. Und Friederich zu fragen halte ich für doch zumindest relativ unsinnig.
Zum anderen soll inzwischen auch noch so eine Art verwandtschaftliche Beziehung zu der Gattung der Maulwürfe (Maulus brutae) nachgewiesen worden sein, da sie zu den so genannten „Maulbrütern“ gehören; genau so, wie die auch noch mit ihnen verwandten Wal- und Tintenfische. Sie gebären ihre Jungen nicht nur lebend, sondern schleppen ihre Brut auch noch monatelang in einem extra dazu ausgebildeten Zwirbeldrüsenfortsatz in der Rachenhöhle mit sich herum.
Die Jungen errichten sich in der Rachenhöhle regelrechte Nester aus ihrem Speichel sowie Nahrungsresten des Muttertieres. Ein solches Verhalten konnte man bislang angeblich nur bei den chinesischen Rotschwänzen beobachten, deren Nester auch als Gaumenkitzel gelten. Sie stammen von den Ahnen der Insekten ab und sind seit gut 350 Millionen Jahren existent. Wenn das nicht für wahren Überlebenswillen spricht, was dann ...
Sie tragen keine Federn. Das hängt wohl mit ihrem normalen Lebensraum zusammen: In feuchtwarmen Gebieten wie alten Socken und Unterhosen wäre ein Federkleid eher hinderlich, da es durch die in solchen Gegenden leicht entstehenden Gase verkleben und somit an Auftriebsfähigkeit einbüßen könnte. Mit 6 Beinen und 2 Fühlern, keinen Flügel und einem silbrig glänzenden Körper, der von winzigen Schuppen bedeckt ist, die sie vor dem Vertrocknen schützen sollen, machen sie unsere Häuser unsicher. Durch eine einzigartige "Erfindung" (ein spezielles Gewebe ermöglicht ihnen, eine elektrische Spannung aufzubauen und damit Wassermoleküle anzuziehen) nehmen sie Feuchtigkeit aus der Luft auf und benötigen somit kein Wasser zum Trinken.
Sie sollen weder kaltblütig wie Fische noch warmblütig wie Vögel, sondern nach neuesten Erkenntnissen angeblich Schmetterlingsblütern und somit pflanzenartigen Organismen zuzurechnen sein, die allerdings nicht zur Photosynthese fähig sind und somit zu den Pilzen gezählt werden könnten.
Tatsächlich soll die Art ihrer Fortpflanzung im Dunkeln ihrer Rachenhöhle verborgen liegen. Geschlechtsorgane konnte man bislang nicht entdecken. Könnte es vielleicht sein, dass sie sich mit Hilfe von Sporen weitervermehren, oder verbreiten sie ihre Art durch Klonung? Für das Klonen spräche die Tatsache, dass sie eigentlich alle gleich aussehen. Wobei natürlich keiner von ihnen so hübsch ist wie mein Friederich ... Das aber nur am Rande.
Was ihre Größe angeht, gibt es diverse Stimmen. Mal heißt es, dass sie zwischen 8 und 13 mm groß werden und mal, dass sie zwischen 10 und 15 mm erreichen. Mal wird behauptet, dass die lichtscheuen, flinken und flügellosen Insekten bis zu vier Jahre alt werden und mal wird von fünf Jahren gesprochen.
Sie bevorzugen als Nahrung stärkehaltige Stoffe wie Kleister, Bucheinbände, gestärkte Textilien und Fotos. Durch ihren Schabe- und Lochfraß beschädigen sie aber auch Lederwaren und Kunstfasergewebe. Bei Lebensmitteln befallen sie bevorzugt Zuckerwaren. Im Badezimmer bieten sich als Nahrung Haare, Hautschuppen und Schmutz an. Da sie nur nachts wirklich aktiv sind, böte es sich also an, jeden Abend mal schnell eine kleine Grundreinigung des Badezimmers vorzunehmen, damit sie sich wirklich nicht so wohl fühlen, dass sie ganze Staaten bilden ... Aber zu der Nummer „Grundreinigung“ habe ich allabendlich auch nicht zwingend Lust. Und außerdem haben Friederich und ich ja einen Deal.
Letztendlich bleibt festzuhalten, dass mein Friederich zu einer wirklich intelligenten, ausgesprochen langlebigen und vor allem extrem vielseitigen Spezies gehört. Und ich kann nur sagen: Sie sind ganz schön pfiffig, diese kleinen süßen Silberlinge; ich bin schwer beeindruckt! Jetzt warte ich nur noch darauf, dass Friederich mir demnächst entgegen fliegt … Können müsste er es ja. Aber ob er das weiß?
Esmeralda
... ich nenne sie Esmeralda. Natürlich habe ich es mir nicht einfach gemacht. Einige Tage habe ich jetzt überlegt. Es ist schwierig, heutzutage einen Namen zu finden, der nicht mit irgendetwas Negativem oder schlicht Dummen belastet ist.
Froh bin ich ja schon darüber, dass inzwischen dieser Wahnsinn aufgehört hat, jeden zweiten Jungen Pumuckel nennen zu wollen. Und Mädchen kriegen ein herzhaftes Maja oder Pippi verpasst. So eine Geschmacklosigkeit würde ich meiner Kleinen nie antun. Nein: Auf gar keinen Fall!
Esmeralda finde ich schön. Obgleich ich mir natürlich der Gefahr bewusst bin, dass ihr Name irgendwann im Rahmen einer Spitznamenfindungsaktion verhunzt werden könnte. Zum Beispiel in Esa oder Alda. Bis Esme wird ja wohl keiner gehen ... hoffe ich!
Der Name Esmeralda kommt aus dem Spanischen und bedeutet soviel wie „der Edelstein, Smaragd“.
Der Smaragd ist einer der so genannten Heilsteine und soll inneres Gleichgewicht und mehr Ausgeglichen-heit erzeugen. Er hat auf die Haut sehr stark verjüngende Wirkungen (braucht die Lütte noch nicht), verhilft zu mehr Zufriedenheit und Freude im Leben (kann ja nie schaden), stärkt die gegenseitigen Beziehungen zwischen Kindern und Eltern (das finde ich klasse!) und hat versöhnende Kräfte in der Freundschaft, Partnerschaft und Familie (und was ist mit Haustieren?).
Außerdem soll der Smaragd mehr Ruhe, Frieden und Harmonie schenken und sensibler gegenüber den Bedürfnissen und Wünschen der Mitmenschen machen. Dass er Ängste und Blockaden löst ist auch noch ein netter Nebenaspekt.
Hach ja ... Essssmerrralllllda. Was für ein harmonischer oder gar melodischer Name. Und so schön rrrrrollen läst er sich auch noch. Sie wird sich darüber freuen. Ich weiß nur noch nicht, wann ich es ihr sagen werde ...
Vielleicht findet sie den Namen auch total blöd. Und dann? Umtaufen? Gar nicht taufen und sie soll das selbst erledigen, wenn sie es irgendwann für notwendig erachtet?
Und wie ist das, wenn es nicht ihr „amtlicher“ Name ist? Werden andere sie dann „Esmeralda aber nur bis Du Dich entschieden hast, ob Dir der Name gefällt“ rufen? Oh nein, das würde ich ja nun auch nicht wollen.
Wie wäre es mit einem Doppelnamen? Irgendwas total Unverfängliches einfach dran hängen. So einen Namen wie z. B. Petra ... Esmeralda-Petra ... Hm ... Ne, dann im Zweifel doch lieber „Esmeralda aber nur bis Du Dich entschieden hast, ob Dir der Name gefällt“. Das hat dann wenigstens noch etwas völlig wahrscheinlich noch nie da Gewesenes. Oder so ...
Boah! Jetzt wird das doch noch schwieriger als ich dachte. Vielleicht sollte ich ihren Zimmergenossen mitentscheiden lassen. Immerhin kennt er sie dann wahrscheinlich schon genauer als ich. Länger auf jeden Fall. Eventuell haben sie sich längst über dieses Thema ausgetauscht und ich habe es nur nicht mitbekommen.
Könnte ja sein.
Sein Name ist längst klar und darüber hatte ich mir auch gar keine großen Gedanken gemacht. Irgendwie gab es dazu nie eine Frage. Ich wusste von ihm, er bekam seinen Namen und gut war’s. Warum ist das bei ihr nun so viel komplizierter?
Vielleicht ist alles klar, wenn ich ihr zum ersten Mal in die Augen sehen kann. Wer weiß ... Dann ergibt es sich vielleicht ganz von allein, welcher Name am besten zu ihr passt und all meine Gedanken, die mich im Moment mehr durcheinander bringen als Klarheit schaffen, sind wie vom Winde verweht.
Jetzt bleibt nur noch die Frage, wie ich einer Habitus dorsal in die Augen sehen kann. Hat sie überhaupt welche? Bisher nannte ich sie immer einfach „Hey, Du!“ und hoffte heimlich, sie haut irgendwann wieder ab.
Tut sie aber dickfälligster Weise nicht. Und als offizielle Lebensgefährtin von Friederich finde ich, dass sie einen Namen verdient hat.
Gleiches Recht für alle.
Wenn meine Katze noch hier wäre, würde sich dieses ganze Thema in meinem Innersten gar nicht so breit machen, denn dann hätte ich vermutlich nie von meiner ach so schnuckeligen Badezimmer-Spinne erfahren ...
Warum nur?
Dass ich neben diversen Meisen und einer Dromsel auf dem Balkon noch zwei weitere Mitbewohner habe, erzählte ich ja schon mal. Friederich und Esmeralda. Die beiden Schnuckel ...
In den letzten Monaten war es still um sie geworden. Ich habe sie nicht mehr gesehen. Doch plötzlich ... es mag vor einer guten Woche gewesen sein ... sah ich es. Das Netz. Gespannt zwischen dem kleinen Badezimmer-Mülleimer und dem daneben stehenden Wäschekorb. Wie so ein Netz am Wäschekorb hält ist mir schon klar. Genügend zarte Zweige, um die Enden notfalls lianengleich drum herum zu schwingen, sind ja daran vorhanden. Aber wie hält so was an einem spiegelglatten Mülleimer?
Was soll’s? Nicht mein Problem!
Es blieb ein paar Tage bei diesem Netz. Von Esmeralda keine Spur. Doch nun überschlagen sich die Ereignisse:
Vorgestern kam ich ins Bad und wer saß da grinsend vor dem Vorleger? Friederich. Alter Kumpel! Seit Monaten hatten wir uns nicht mehr gesehen. Ich befürchtete schon, er sei einem potentiellen Auswanderungsgedanken zum Opfer gefallen. Als ich mich ihm vorsichtig näherte, um ihn gebührend zu begrüßen, - zack - flitzte er in seine Fuge und ward seit dem nicht mehr gesehen.
Ich stutzte kurz und setzte dann enttäuscht und, zugegeben, auch etwas beleidigt, mein Vorhaben am Waschbecken fort. Kurze Zeit später sah ich auch sie. Esmeralda. Sie hing ... und ich traute zunächst meinen Augen nicht ... kopfüber an ihrem Netz.
Was um Himmels Willen bewegt eine durchschnittliche Hausspinne dazu, sich kopfüber baumeln zu lassen? Hat sie nicht vielmehr den Job, das Netz weiter zu spinnen, kleine Fliegen zu fangen und Leute zu erschrecken? Was tat sie da?
Ich näherte mich vorsichtig, um mir das Ganze etwas genauer anzusehen. Dann klingelte das Telefon und ich verschob mein Vorhaben auf später. Als ich jedoch gerade im Begriff der Fortsetzung des Begonnenen war musste ich der bitteren Wahrheit ins Auge sehen. Und dieses Auge gehörte nicht Esmeralda. Denn die hatte sich inzwischen auch verdrückt. Zurück geblieben war nur ein verlassenes Netz. Ohne Fliegen. Ohne baumelnde Esmeralda. Ohne Schrecken.
Warum tat sie das?
Okay, ich höre regelrecht einige Stimmen, die nun fragen „Samma, hast Du keine anderen Probleme?“. Ihr habt ja recht! Aber man darf doch wohl mal fragen dürfen, oder?
Ich stelle mir im Moment so viele Fragen und keine davon fand bisher eine Beantwortung.
Warum gibt es eigentlich plötzlich von allen möglichen Zigarettenmarken 10er-Packungen? Warum werden sie nicht gleich in Kartons zu 50 oder 100 Stück angeboten? Mir würde das, auf die Woche umgerechnet, eine Menge Zeit ersparen, beim Aufreißen dieser Mickerpackungen zu je 20 Stück. Jetzt noch 10er-Packungen. Toll! Wenn man sonst nix zu tun hat ... Ja, ja, ja, ich weiß: Jetzt wird die Anti-Raucher-Fraktion in die Hände klatschen und sagen „Na, wenigstens das!“. Unproduktiv bleiben die kleinen Packungen trotzdem. So!
Oder: Wie muss ein Mensch drauf sein, wenn er sich morgens, bereits weit vor 9 Uhr, in der U-Bahn bereits einen Hamburger antut? Was treibt ihn dazu, seine Mitmenschen eines solchen Brechreizes auszusetzen? Auch ihm muss doch klar sein, dass der gesamte Wagen zeitgleich mit Öffnen der Verpackung des Hamburgers gnadenlosen Gestanksattacken ausgesetzt ist ...
Warum ist „Ice-Tea green“ in Wirklichkeit gelb? Oder bin ich farbenblind geworden und merke es erst durch irreführende Werbung?
Warum muss ich immer wieder höflich bleiben und darf meinen Antwort-Gedanken im gesprochenen Wort keinen Tribut zollen, wenn mir Fragen gestellt werden wie „Ach, Du bist gar nicht unten beim Frühstück?“ Gedacht habe ich „Doch klar! Oder siehst Du mich etwa hier vor Dir sitzen?“ ... Gesagt habe ich „Ne.“ und mir anschließend auf die Zunge gebissen ...
Warum darf ich dieses kleine, verdreckte Mistvieh, das mich jeden Morgen auf meinem Weg ins Office ankläfft nicht einfach ein einziges Mal schnappen und in die nächste Mülltonne stopfen? Stattdessen grüße ich die Kläff-Halterin mit einem freundlichen „Guten Morgen“ und die blöde Kuh antwortet nicht einmal ...
Warum muss ich mich über Wochen auf bitterste Art und Weise quälen lassen, weil direkt vor meinem Fenster Ohren betäubender Lärm durch Bauarbeiten erzeugt und nach Abschluss der Arbeiten festgestellt wird, dass Wassereinbrüche in die Räumlichkeiten eine ganz andere Ursache hatten, so dass gleich im Anschluss Stück für Stück mit Schlag die gesamte Fassade aufgebohrt wird? Die Arbeiter tragen selbstverständlich während ihrer Lärmerzeugungsmaßnahmen schalldichte Ohrenschützer, ich bekomme keinen ...
Warum trocknen Pflanzen bei mir, nur weil ich sie mal ein paar Wochen nicht gieße, aus und wenn ich sie dann gieße, dauert es keine drei Sekunden und das Wasser läuft aus den Töpfen auf die Fensterbank die Heizung runter auf mein Parkett? Breit plätschernd, versteht sich! Vielleicht sollte ich alle Pflanzen in die Badewanne stellen und mich darauf verlassen, dass sie sich, wenn ich dusche, schon nehmen werden was sie brauchen ...
Warum schaffe ich es meist völlig pflegeleicht, mir ohne weitere Ausbreitungen von Zahnpasta die Zähne zu putzen, NUR wenn ich schwarzes Leder trage fällt mir die Zahnpasta bei dem Versuch, die Bürste unfallfrei zum Mund zu führen, garantiert auf die schwarz belederte Brust? Vielleicht sollte ich in Zukunft nur noch nackt die Zähne putzen ...
Warum lassen sich Mandarinen fast grundsätzlich problemlos abpellen, einhändig teilen und völlig tropffrei vertilgen; nur dann nicht, wenn ich das während des Lesens wichtiger Unterlagen versuche?
Und warum zum Donner hängt diese durchgeknallte Spinne jetzt schon wieder kopfüber in ihrem Netz und feixt sich eins? Und wo, verdammt nochmal, ist Friederich schon wieder?
Erna & Luise
Meine Affinität, in meiner Wohnung befindlichen Tieren, die nicht aus Zoohandlungen o. ä. entstammen, Namen zu geben, ist ja hinlänglich bekannt. Andere erschlagen diese Viecher sofort; ich heiße sie willkommen und gebe ihnen einen Namen, somit eine Identität. Leben und leben lassen eben.
Sei es Esmeralda, meine Badezimmerspinne, über die es neu zu berichten gibt, dass sie manchmal auch zwischen Wand und Kleiderschrank im Schlafzimmer anzutreffen ist. Vermutlich befindet sie sich dann auf großer Reise. Oder Friederich, von dem ich befürchte, dass ich ihn kürzlich platt gemacht habe. Zu erkennen oder zumindest zu befürchten daran, dass sich plötzlich im Badezimmer auf den Fliesen ein kleiner silbriger Matschfleck befand, der da vorher garantiert noch nicht war.
Neu im Haustier-Sortiment ist übrigens Luise. Ihres Zeichens PC-Spinne: Klein, stark, schwarz, die eine ungeheure Freude daran hat, mal die Wand hoch zu klettern und fast zeitgleich auf dem oberen Bildschirmrand einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Oder quer über den Bildschirm. Aber das ist eher selten.
All diese Wesen sehe ich sozusagen als Mitbewohner und akzeptiere ihre Existenz. Sie zahlen keine Miete, essen dafür aber auch nur unmerklich mit, der Wasserverbrauch erhöht sich ihretwegen auch nicht und von höherer Lärmbelästigung muss ebenso wenig ausgegangen werden.
Davon abgesehen müssen sie ja irgendwo hin; warum also nicht meine Räumlichkeiten in sanften Beschlag nehmen? Außerdem heißt es ja, dass sowieso in jedem bewohnten Zimmer mindestens drei Spinnen leben. Tötet man eine, kommt eine andere nach. Dann ist es mir schon lieber, mit der Zeit eine gewisse Vertrautheit aufzubauen, als mich ständig an neue Ausmaße, Farben, Anzahl an Beinen und … Namen gewöhnen zu müssen.
Ob der schwarze Vogel auf meinem Balkon nun eine Amsel, Drossel, oder doch Dromsel ist, habe ich nach wie vor nicht entschieden. In einem Vogel-Buch fand ich Hinweise, dass es sich auf jeden Fall um ein und dieselbe Vogelart handelt. Damit wäre aber die Textzeile in einem Kinderlied „Amsel, Drossel, Fink und Star …“ eigentlich unsinnig.
Aber dass meine Dromsel kein Fink und auch nur mein heimlicher kleiner Star ist … ja, das weiß ich ganz genau. Und die Meisen reisen ständig mit neuen Generationen an, so dass ich mit Namen nicht hinterher käme. Also heißen sie einfach Meisen oder „Ey, Ihr!“, was sie jedoch nicht weiter zu stören scheint.
Seit einigen Wochen habe ich nun auch noch eine weitere Mitbewohnerin: Erna. Ihres Zeichens Stubenfliege. Sie allein war mir willkommen; wenn sie allzu aufdringlich wurde, wischte ich sie einfach weg und schon war Ruhe. Inzwischen fliegt sie mir morgens mit kurzem aber heftigen Zwischenstopp ins Gesicht. Ob das so etwas wie ein Guten-Morgen-Küsschen sein soll weiß ich noch nicht, warte aber einfach mal ab, was sich daraus noch entwickelt.
Ein hier kürzlich auf Stippvisite anwesender Gast schlug aus Versehen nach ihr, schreckt kurz zusammen und beteuerte zu hoffen, sie nun nicht verletzt zu haben. Aber auch diese Attacke hatte Erna schadlos überstanden bis locker weg gesteckt. Sie fühlt sich wohl bei mir und bis zu diesem Punkt freue ich mich auch für bis über sie.
Was ich definitiv nicht okay finde ist jedoch, dass sie inzwischen einige Exemplare ihrer Verwandtschaft in meine Küche gelockt hat! Weder finde ich das sehr appetitlich noch komme ich mit der Namensgebung hinterher. Am liebsten wäre es mir, wenn sie alle wieder abziehen würden. Notfalls samt Erna. Denn wenn sie sich nur in Gesellschaft ihresgleichen wohl fühlt, geht mir das inzwischen doch ganz gewaltig auf den Puffer. Ich kann ja kaum noch etwas in die Hand nehmen, ohne dass erst mindestens eine ihrer Artgenossinnen in den Flugstart übergehen muss.
Aber sie zu töten traue ich mich auch nicht. Wer weiß, wie viele von ihnen dann zur Beerdigung kommen ...
Was mich aber richtig nervt, ist klein Ernas übermäßig ausgeprägtes Kuschelbedürfnis. Das geht inzwischen echt zu weit! Kaum lege ich mich etwas hin ist sie da. Entweder per Sturzfluglandung auf meiner Nase oder sie schlendert langsam über meine Wange. Die Stirn bedenkt sie auch sehr gern mit ihrer Anwesenheit. Und wenn ich meinen Kopf komplett unter der Decke verbuddele, findet sie garantiert irgendwo anders nackte Haut, an die sie sich ankuschelt.
Und als ob das alles noch nicht reichen würde, hat sie sich inzwischen noch etwas Anderes ausgedacht: Wenn ich nicht liege, sondern am Rechner sitze und etwas schreiben will, kriecht sie kackender Weise (`tschuldigung!) über den Bildschirm und hinterlässt überall kleine Punkte. Man! Kann die mich denn nicht mal fünf Minuten in Ruhe lassen? Könnte es vielleicht sein, dass es sich bei Erna um die ADS-Fliege der Welt handelt.
Ich glaube, ohne dass ich Esmeralda dressiere und gezielt auf Erna auf sie ansetze, bekomme ich nie wieder meine Ruhe. Obwohl …
Luise?
Luise!
Schatz, könntest Du bitte nochmal eine Runde über den Bildschirm drehen? Ich hätte da eine kleine Überraschung für Dich!
Danke!
Texte: © Tina M. Emig (Text/Bild)
Tag der Veröffentlichung: 28.01.2009
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