Eines Tages war er einfach hier und niemand wusste woher er gekommen war,
oder warum er sich genau dieses Dorf ausgesucht hatte, um sich niederzulassen.
Er hatte die Aura des Geheimnisvollen und das verursachte den meisten Dorfbewohnern etwas Unbehagen.
Wenngleich im Nachhinein betrachtet jeder froh war,
dass sich Viktor der Sache annahm.
Ich lernte Viktor schon am Tage seiner Ankunft kennen.
Bis dahin hatte noch niemand im Dorf je von ihm und seinen Missionen gehört.
Es wusste bis dahin auch niemand, dass Viktor beschlossen hatte,
künftig hier zu leben
Ich war gerade 11 Jahre alt geworden und stellte mir nachts allerlei
Abenteuer vor.
Es war die Zeit der großen Träume.
Da kam mir Viktor gerade recht.
Mein Schulweg war weit und langweilig.
Ich war das einzige Kind dessen Schulweg Richtung Westen führte. So versuchte ich mir die Zeit am Nachhauseweg, so unterhaltsam als möglich zu gestalten. Diesmal hatte ich beschlossen, den Weg am Waldrand zu nehmen. Er war etwas kürzer und mit ein bisschen Glück würde ich sogar einen Hasen oder ein Reh sehen. Meine Mutter mochte es nicht, wenn ich am Wald heimging.
Ich kehrte dann meistens mit schmutzigen Schuhen und dreckigen Hosen zurück.
Nichtsdestotrotz nahm ich heute die Waldroute.
In Gedanken versunken, ging ich den Trampelpfad entlang,
als plötzlich ohne Vorwarnung, jemand vor mir auf den Boden plumpste.
Ich bekam einen Riesenschreck und machte einen Satz zurück.
Da rappelte sich direkt vor mir ein Junge, der ungefähr so alt war wie ich,
vom Boden hoch. Wie der seltsam aussah.
Er war furchtbar blass und hatte einen langen schwarzen Mantel an, trug schwere schwarze Stiefel und schwarze Hosen, die Haare hingen ihm wild ins Gesicht,
aber trotz seiner düsteren Aufmachung flösste er mir keine Angst ein.
Er wirkte geheimnisvoll, aber nicht böse.
"He, du bist fast auf mich draufgefallen. Du solltest besser aufpassen wenn du vom Baum springst.", sagte ich ganz erschrocken und blickte Richtung Himmel.
Denn von dort war er gerade gekommen.
"Ich bin nicht vom Baum gefallen, sondern vom Himmel. Du hast es doch gesehen.",
antwortete der Junge und blickte mich freundlich aus haselnussbraunen Augen an.
"Quatsch. Du bist vom Baum gefallen."
"Bin ich nicht."
"Doch ganz bestimmt. Ich hab es gesehen!"
"Wen du meinst."
Und damit stand er ganz auf
und klopfte sich die letzten Staubkörner aus seinem Mantel.
"Wie heißt du?", wollte er wissen.
"Greta Müller."
"Und du? Ich hab dich hier noch nie gesehen.", fragte ich nun neugierig geworden.
"Viktor."
"Viktor, und wie noch?"
"Einfach nur Viktor."
"Und wo wohnst du?"
"Überall und nirgendwo."
"Was machst du dann hier?", bohrte ich weiter.
"Ich will den Tieren helfen."
"Welchen Tieren?"
"Allen Tieren die meine Hilfe brauchen."
"Und das willst du ausgerechnet hier tun?"
"Ja."
"Wo wohnst du?"
"Genau hier." Und deutet auf den Wald rings um ihn.
"Und wo ist deine Familie?"
"Ich hab keine Familie."
"Jeder hat eine Familie, also, was ist mit deiner?"
"Sag mal wird das jetzt ein Verhör oder was?", fragte Viktor.
"Nein. Ich bin eben ein bisschen neugierig. Es fällt schließlich nicht jeden Tag ein Junge vom Himmel."
"Da hast du sicher Recht, Greta Müller."
Mit einem schiefen Lächeln im Gesicht strahlte er mich an.
Und somit war der Grundstein für unsere Freundschaft gelegt.
"Du bist schon ein bisschen seltsam.", meinte ich zu Viktor.
"Kann sein, aber das ist mir egal. Und außerdem finde ich dich auch ganz schön seltsam.",
sagte dieser und grinste schon wieder über beide Ohren.
Plötzlich dachte ich an meine Mutter. Die würde doch sicher schon zuhause auf mich warten.
"Ich muss schnell heim. Meine Mama wird schon auf mich warten.
Bist du morgen auch wieder da?" "Natürlich. Ich wohne jetzt hier. Ich werde mir genau auf diesem Baum,", er deutete Viktor auf einen großen Baum direkt neben mir "ein Baumhaus bauen.
Und bis es fertig ist, schlafe ich in meinem Zelt.
Das habe ich auch schon aufgebaut.", und deutete in das Dickicht des Waldes.
Ich konnte zwar kein Zelt erkennen, aber wenn er es sagte, würde es wohl stimmen.
"Kann ich dir helfen dein Haus zu bauen?"
"Ja sicher. Du könntest mir gleich morgen etwas Werkzeug mitbringen.
Dann kann ich besser arbeiten."
"Ja gut, aber jetzt muss ich wirklich los. Also bis dann."
Ich ging ganz in Gedanken versunken nach Hause.
Zu Hause gab es mal ordentlich eins auf die Mütze von meiner Mama, weil ich meine Hosen dreckig gemacht hatte. Aber das war mir heute schnurzpipegal, sollte doch die Mama meckern soviel sie wollte. Ich hatte jetzt einen neuen Freund und das war das bisschen Schimpfen allemal wert.
Was für ein geheimnisvoller Junge. Noch nie hatte ich ein Kind getroffen, dass so anders aussah und sich so ander benahm. Ich war schon ganz gespannt auf den nächsten Tag. Wie würde dieser Viktor so sein? Alles wollte ich über ihn wissen.
Am Morgen war ich schon beim Frühstück ganz zappelig.
"Was bist du den so nervös Greta, ist heute irgendetwas besonderes?", fragte mich die Mama.
"Nö. Ich will mich heute Nachmittag nur mit meinen Freunden zum Spielen treffen.
Du Mama, gibt es das wirklich, dass ein Kind keine Familie hat und ganz alleine lebt?"
"Ja sicher. Wenn alle Familienmitglieder gestorben sind. Aber dann kommt so ein Kind zu einer anderen Familie oder ins Waisenhaus und dann hat es auch wieder jemanden.
Niemand muss alleine sein.
Warum fragst du?" "Nur so.", sagte ich mit einer Unschuldsmiene.
"Du bist heute wirklich ein bisschen verdreht, Greta."
Nach der Schule schlich ich mich heimlich in Papas Werkstatt und steckte mir allerhand nützlich aussehendes Werkzeug ein. Ich versuchte meine Hausaufgaben so schnell als möglich zu erledigen und kaum hatte ich das Mittagessen runtergeschlungen, lief ich zum Wald.
Aufgeregt kam ich dort an. Ich konnte Viktor schon vom Weiten sehen.
Seine Haare waren ganz zerzaust und sein Mantel könnte auch mal eine Reinigung vertragen.
Er saß auf einem Baumstumpf und schien sich mit einer Eule zu unterhalten, die auf seiner Schulter saß. Als ich näher kam, flog der Vogel weg.
"War das eben dein Vogel?", fragte ich Viktor. "Nein. Das war nur mein Freund.
Er kommt mich öfter besuchen und erzählt mir Neuigkeiten aus der Umgebung."
"Na sicher doch. Ich spreche auch mit meiner Katze übers Wetter.", versuchte ich mich über Viktor lustig zu machen. Dieser blieb aber ganz ernst und ging gar nicht weiter darauf ein.
So kramte ich aus der Tasche das Werkzeug hervor, das ich für Viktor mitgebracht hatte.
Er schien mit meiner Ausbeute ganz zufrieden.
"Na dann fangen wir mal an. Im Zelt wird es mir schon zu unbequem.
Zeit das ich wieder mal in einem richtigen Haus wohne."
"Viktor, du hast doch gesagt, dass du keine Familie hast, aber warum bist du dann nicht bei andern Leuten? Du bist ja noch ein Kind und Kinder dürfen nicht alleine im Wald wohnen.
Das ist doch viel zu gefährlich." "Ich bin doch nicht alleine Greta.
Die Tiere sind meine Freunde und passen auf mich auf und ich darf alleine wohnen.
Glaub mir!" "Aber wer gibt dir zu Essen und zu trinken?"
"Es wächst doch alles im Wald was ich brauche und einen Bach findet man auch.
Und jetzt stell mir nicht immer solche Fragen. Es ist nicht wichtig wer oder wie ich bin.
Nur meine Mission zählt."
"Was für eine Mission?", fragte ich. "Schon wieder eine Frage, Greta. Hast du gestern nicht zugehört? Ich helfe den Tieren. Ich wurde gerufen um ihnen zu helfen. Wenn es soweit ist,
bin ich für sie da." "Aber bei was den?" "Das weiß ich selber noch nicht, aber zu gegebener
Zeit werde ich es erfahren und bis dahin kannst du mich ja besuchen kommen."
"Du gibst mir mit jedem Satz den du von dir gibst ein Rätsel auf, Viktor."
"Und du quetscht mich aus wie eine Zitrone."
Wir grinsten uns an und begannen endlich mit den Arbeiten am Baumhaus.
Zuerst versuchten wir am Boden aufzuräumen. Wir schleppten Äste weg und fegten das Laub beiseite. Die Arbeit machte wirklich Spaß. Wenn das meine Mutter wüsste.
Bildete ich es mir ein oder sah ich tatsächlich immer wieder Tiere des Waldes vorbeihuschen und uns beobachten?
"Viktor, was machen den die ganzen Tiere hier? Wenn ich normalerweise in den Wald gehe,
sehe ich mit Glück einen Hasen vorbeihoppeln und hier spazieren Rehe, Hirsche, Hasen, Eichhörnchen und alle möglichen Vögel umher, so als wären sie neugierig.
Sie scheinen uns zu beobachten." "Das tun sie ja auch. Ich habe ihnen erzählt das ich hier wohnen werde und nun wollen sie sehen, wie gut wir vorankommen."
"Irgendwie kann ich das nicht ganz glauben, Viktor."
"Macht nichts. Wir haben ja noch Zeit. Eines
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Tina Hammer
Bildmaterialien: Tina Hammer
Tag der Veröffentlichung: 31.05.2012
ISBN: 978-3-86479-710-1
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