Cover



Warum ich? Der Gedanke ließ mich nicht mehr los, seit ich vor zehn Minuten aufgebrochen war. Der König hatte mich zu sich rufen lassen und mit jedem Schritt, dem ich dem Saal näher kam, wurde ich langsamer. Es kam nicht oft vor, dass jemand wie ich, eine arme und nutzlose Bürgerin, vor den König trat. Die Wachen vor dem großen Portal öffneten mir die Türe und ich lief über den langen schwarzen Teppich bis zur Anhöhe. Dort stand der Thron aus reinem Gold. Kaum dass ich stehen geblieben war, ertönte eine Stimme, die den König der Orks verkündete. Wie es uns beigebracht worden war, verneigte ich mich und verharrte in dieser Stellung. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, doch als ich seine tiefe und raue Stimme vernahm, die meinen Namen sprach, blickte ich auf.
„Tarea, du wirst noch heute ins Elfenreich gehen und eine Nachricht überbringen.“
Mir stockte der Atem. Ins Elfenreich? Wollten sie mich loswerden? Oder würde ich ein Mittel erhalten, wie die anderen Orks, die dort arbeiteten, dass mich vor der Verwandlung schützte?
„Heute Abend erwarte ich dich zurück mit einer Antwort auf diese Nachricht.“ Der König reichte mir einen Zettel, der an vielen Stellen eingerissen und beschmutzt war, ehe er mich im Saal zurückließ.
Ich sah lange auf den Brief, als würde ich so den Inhalt erfahren, doch ich schüttelte den Kopf und rief mich zur Vernunft. Niemand wagte es, sich in die Angelegenheiten des Königs einzumischen. So machte ich kehrt, ging nach Hause und packte eine kleine Tasche mit den wichtigsten Sachen. Noch immer ließ mich der Gedanke nicht los, dass ich ungeschützt ins Elfenreich gehen sollte. Nur die, die der König verachtete und nicht mehr brauchte, waren bisher ohne Schutz dort hingegangen. Doch mir fiel beim besten Willen kein Grund ein, was ich gemacht haben könnte, dass er mich loswerden wollte.

Als ich mich immer weiter von meinem Dorf entfernte, fühlte ich mich alleine. Irgendwann gab ich es auf, mich umzusehen, denn längst waren die letzten Dächer hinter dem Hügel verschwunden. Die Last in meiner Tasche war groß und so wechselten meine Gedanken zwischen dem, was auf mich zukam und dem Grund, warum ich auserwählt wurde.
Als die Sonne hoch am Horizont stand, suchte ich einen Baum der Schatten bot und ließ mich am Stamm nieder. In meiner Eile hatte ich einen Apfel und ein Stück Brot eingepackt, viel zu wenig, wie mir bewusst wurde. Müde vom lagen laufen legte ich meinen Kopf an den Stamm und schloss die Augen.

Es liegt weit zurück, als der Friede zwischen den Orks und den Elfen brach. Der König der Orks entsandte einen Untertanen als Spion in den Elfenwald, mit dem Ziel, die Elfen auszurotten. Nach langer Beobachtungsphase bekamen die Elfen Wind davon und wehrten sich in etlichen Kämpfen. Was zu Beginn keiner wusste, war der Zauber, der auf beiden Ländern lag: Berührt man so zum Beispiel einen Ork auf dem Land der Elfen, so wurde der Ork zu einem Elfen. Andersherum galt das gleiche. Viele der Orks, die sich getraut hatten, nach ihrer Verwandlung zurückzukehren, wurden hingerichtet, da man ihnen keinen Glauben schenkte. Erst als man der Sache nachgegangen war, sah man die Wahrheit der Toten ein. Die Folge der Erkenntnis war, dass sich Elfen und Orks Jahrzehnte lang nicht mehr näherten, Angst davor, das eigene Volk auszulöschen.
Die Elfen, die nie an einem Krieg interessiert gewesen waren, erfreute diese Tatsache. Doch nach langer Zeit hatten die Orks ein Mittel gefunden, welches sie vor der Verwandlung schützte. So konnten sie die Elfen berühren, ihre Gattung aber wahren. Nach mehreren unterlegenen Kriegen gaben die Elfen auf und sahen ihrem Schicksal ins Auge. Seit diesem Tag befindet sich das Elfenreich in den Händen der Orks und keiner wagt es mehr, etwas dagegen einzuwenden.

Doch wie werde ich reagieren?, schoss es mir durch den Kopf und ich schlug die Augen auf. Ich hatte den Umgang mit den Elfen nie für gut befunden und mir manchmal sogar gewünscht, eine Elfe sein zu können.
Panisch sah ich mich um. Ich war noch immer alleine, trotzdem durchfuhr mich eine Flut der Angst. Würde ich mich von meinem schlechten Gewissen den Elfen gegenüber überwältigen lassen und mein Volk verraten? Womöglich eine von ihnen werden? Doch würden sie mich aufnehmen oder kämen sie gar nicht dazu, von mir Kenntnis zu erlangen, weil mein Volk mich töten würde?
Mein Puls ging schneller und ich hatte Angst, jemand könnte meine Gedanken hören. Schnell warf ich meine Sachen in die Tasche und wollte sie gerade schließen, um mich auf den Weg zu machen, als mein Blick auf den Zettel fiel. Ich hielt in meiner Bewegung inne, meine Gedanken rasten. Wenn ich mit dem Gedanken spielte, mein Volk zu verraten, würde es da noch einen großen Unterschied machen, ob ich die Nachricht meines Königs kannte? Ein Verrat mehr oder weniger lag nicht im Gewicht. Kurz spähte ich die Umgebung ab, ehe ich den Zettel herauszog und ihn auseinanderfaltete. Die Schrift war nicht gut zu lesen und ich brauchte einen Moment, bis ich die Worte richtig entziffert hatte:

Scheucht die Elfen auf unser Land und vernichtet ihre Gattung. Morgen Abend erwarte ich Bericht.



Entsetzt schnappte ich nach Luft. Mein schlimmster Albtraum ist wahr geworden. Die Elfen werden als Orks unter uns leben und als Sklaven arbeiten. Doch tief in ihnen wird ihre wahre Identität weiterleben, bis sie stark genug sind, einen Aufstand zu erheben und die Orks auszulöschen.

Ich hatte einen Entschluss gefasst, als ich mich wenige Minuten später aufraffte und weiterging. Aus Angst und Verzweiflung rannte ich. Als sich schließlich der große Wald vor mir erstreckte, wurde ich langsamer. Wie hatten wir es schaffen können, die Elfen auf ihrem Land zu stürzen? In diesem Wald müsste es etliche Möglichkeiten des Schutzes geben.

Unter dem dichten Blätterdach herrschte eine angenehme Kühle, doch es war düster. Leise Stimmen drangen bereits zu mir und ohne zu wissen, wohin ich musste, stand ich vor einem Lager aus Zelten und Pavillons. Dazwischen standen einzelne Hütten, die vor der Übernahme des Waldes durch die Orks von Elfen bewohnt worden waren. Meine Tasche lastet plötzlich schwer auf meiner Schulter und ich erinnerte mich an die Nachricht. Schützend legte ich eine Hand auf die Tasche und suchte nach jemandem, der hier das Sagen hatte. Vorsichtig ging ich weiter, als sich mir jemand in den Weg stellte. Erschrocken sah ich auf.
„Was willst du hier?“
Ich schluckte schwer. Der Ork mir gegenüber sah zornig aus und sein Blick verriet, dass er nicht zu Scherzen aufgelegt war. Es dauerte einen Augenblick, bis ich mich gefangen hatte und in der Tasche nach dem Zettel suchte, meinen Blick auf den Ork vor mir gerichtet. Als ich den Zettel endlich gegriffen hatte, zog ich ihn heraus.
„Eine Nachricht von unserem König.“ Mir blieb fast die Stimme weg, so sehr fürchtete ich mich vor dem Ork. Woher meine enorme Furcht gegenüber meiner eigenen Rasse kam, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Vielleicht lag es daran, dass ich die Spielchen unseres Königs nicht gut hieß und wusste, was er angeordnet hatte. Oder aber die Angst, dass der Ork mir gegenüber wusste, dass ich gegen die Regeln verstoßen hatte.
Widererwartend entfaltete der Ork mir gegenüber den Zettel nicht, sondern lief quer durch das Lager, nachdem er mir bedeutet hatte, ihm zu folgen. Achtsam ließ ich meinen Blick umherschweifen und stockte, als ich einen Käfig entdeckte, in dem Elfen gefangen waren. Sie sahen schlimmer aus als der Ork, dem ich gerade folgte. In ihren Gesichtern lag kein Hass, sondern Leere. Sie hatten sich aufgegeben. Bald würden sie alle Tod sein und ich war dafür verantwortlich, was mit ihnen geschah. Auch wenn ich nicht wusste, was ich getan hatte, so wurde mir bewusst, dass der König meinen Tod wollte. Aus keinem anderen Grund beauftragt man jemanden, das Todesurteil eines anderen Stammes zu überbringen.

Die Hütte war klein für die Anzahl der Orks, die sich hineingedrängt hatten. Ich kannte keinen beim Namen, nur hatte ich den einen oder anderen schon einmal gesehen. Eingepfercht stand ich in einer Ecke und beobachtete die Handhabungen und Wortwechsel genau. Nach außen ließ ich es so wirken, als würde es mich kein bisschen interessieren. Der Brief landete in der Hand eines Orks, der wie der Boss aussah und für alles hier verantwortlich war. Die Augen des Orks huschten über die wenigen Worte, die mir noch immer im Kopf brannten. Ohne eine Anweisung bekam er ein Stück Papier vorgelegt und schrieb mit einem Stift eine Antwort darauf. Keiner der anderen starrte so auf seine große und hässliche Hand, die die Worte schrieb, wie ich. Als ich mir dessen bewusst wurde, blickte ich zu Boden und wartete auf eine neue Aufforderung. In meinem Kopf ging ich alle Möglichkeiten durch, die ich hatte. Schließlich wurde ich eilig aus der Hütte geschoben, auf der Veranda hielt ich inne. Es herrschte eine ungewöhnliche Stille. Nach der Ursache suchend, sah ich mich um. Meinesgleichen hatten sich zurückgezogen, die Elfen in den Käfigen sahen nicht mehr ganz so mitgenommen aus. Eher erwartend und hoffnungsvoll. Doch ich wusste, was ihnen blühte. Ich war verantwortlich für ihr Schicksal.
Ein Stoß in den Rücken ließ mich taumeln und mit Halt suchenden Schritten verfehlte ich die nächste Stufe und fiel vorn über. Der Boden war hart, doch meinen Kopf hatte ich vor einem Aufschlag bewahren können. Die Stimmen über mir wirkten aufbrausend und wütend. Mühsam rappelte ich mich auf und wartete, dass man mir die Nachricht für unseren König übergeben würde. Doch die Orks rannten unerwartet los und ließen mich zurück.
Ratlos starrte ich ihnen hinterher, ehe mein Blick zu den Käfigen wanderte und dort hängen blieb. Die neugierigen Blicke verschwanden und nach kurzem Überlegen näherte ich mich ihnen. In einem Abstand, in dem sie mich nicht berühren konnten, ging ich vor ihnen in die Knie, woraufhin sie erschrocken zurückwichen. Einen Moment besahen wir uns gegenseitig, ehe ich das Wort ergriff.
„Ich helfe euch, wenn ihr mir versprecht, mich nicht zu berühren.“
Die Elfen rührten sich keinen Millimeter, kein Blinzeln kam über ihre Lider. Mit ihren großen runden Kulleraugen sahen sie mich eindringlich an. Der Blick, der darin lag, war herzzerreisend. Mir kam in den Sinn, dass sie mich gar nicht verstanden, doch ehe ich versuchen konnte, ihnen mit Händen und Füßen zu erklären, was ich wollte, nickte die größte der Elfen und ich sah ihr in die Augen. Ein flehender Wunsch der Freiheit lag darin. Meine Hand zitterte, als ich sie zum Schloss führte. Trotz dessen, das ich mir sicher war, ihnen helfen zu wollen, jagten die Gedanken durch meinen Kopf. Woher wusste ich, dass sie sich an ihr Versprechen halten würden? Woher wussten sie, dass ich ihnen helfen würde? Woher wusste ich es? Vielleicht waren sie in den Käfigen sicherer. Ich hielt mitten in der Bewegung inne, worauf die Köpfe der Elfen nach vorn geschossen kamen und mich flehend ansahen. Dies führte dazu, dass ich meine Bedenken beiseiteschob und mich beeilte, den komplizierten Regler zu öffnen. Jederzeit konnten die anderen Orks zurückkommen und ich hatte keine Lust, ihnen eine Erklärung hierfür zu geben. Eilig schlüpften die Elfen hinaus, worauf sie, aber auch ich, sofort zurückwichen. Sie gingen mir nicht einmal bis zum Bauch, so klein waren sie und ich verstand nicht, wie man freiwillig gegen solche kleine Wesen kämpfen konnte.
„Lauft, bevor sie uns alle wegen meiner Tat bestrafen.“
„Warum tust du das?“
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie eine Gegenfrage stellen würden und so dauerte es einen Moment, bis ich antwortete.
„Ich finde es nicht in Ordnung, wie mein König euren Stamm behandelt. Aber ich bin es, den er ausgesucht hat, die Anweisung, euch zu töten, zu überbringen und da ich …“ Ich hielt inne. Wenn ich nervös war, redete ich eindeutig zu viel. Entschuldigend sah ich die Elfen an.
„Wie ist dein Name?“
Ich überlegte, ob ich einer Elfe meinen Namen verraten konnte. Doch wie sollte ich den Elfen helfen können, wenn ich meine Angst ihnen gegenüber nicht unter Kontrolle hatte?
„Tarea.“
„Dann danken wir dir vielmals für deine Hilfe, Tarea. Du hast uns vor dem Tode bewahrt und als Dank rühren wir dich nicht an.“
„Nun geht endlich, bevor es zu spät ist.“ Ich scheuchte sie mit Händen, damit sie das Weite suchten.
Sobald sie verschwunden waren, fühlte ich mich alleine. Ihre Anwesenheit hatte mich trotz der Gefahr, die von ihnen ausging, beruhigt. Aber die Elfen waren schon immer ein gerechtes und gutmütiges Volk gewesen. Doch sobald sie unter uns leben und als Sklaven arbeiten würden, werden sie nie wieder diese liebevollen kleinen Wesen werden, wie ich sie gerade kennengelernt hatte.
Als ich mir sicher war, dass die Elfen verschwunden waren und nicht zurückkommen würden, drehte ich mich um und stand plötzlich dem Ork von vorhin gegenüber. Als dessen Blick auf die offene Käfigtüre fiel, schluckte ich.
„Sie haben mich überwältigt und ich habe sie im Wald verloren.“
Er sah mich an, als müsste er überlegen, ob er mir glauben konnte. Sogleich schoss mir durch den Kopf, dass ich kein Ork mehr sein dürfte, hätten sie mich überwältigt. Dennoch entschied ich, dass es besser war, zu schweigen. Jedes weitere Wort würde meine Unsicherheit bezeugen.
Er reichte mir schließlich einen Zettel, den ich zögernd entgegennahm. Sogleich wandte er sich ab. Es gab nichts zu sagen. Der Auftrag war klar, auf die Folgen des Versuchs, die Worte zu kennen, musste niemand hinweisen. Doch ahnte er, dass ich der Versuchung nicht widerstehen würde?
Sobald er aus meinem Blick verschwunden war, eilte ich aus dem Lager und suchte Schutz unter einem der Bäume. Der Zettel lag auf meiner Hand und sogleich entfaltete ich ihn. Die Schrift war noch schlampiger, als die des Königs.

Sehr wohl mein König. Wir bereiten noch heute alles vor. Morgen Abend wird es keine Elfen mehr geben.



Scharf zog ich die Luft ein und dachte an Zuhause. Keiner würde mich ernsthaft vermissen. Nur der König, der auf die Nachricht wartete. Da diese Botschaft ohnehin nicht zur Wahrheit werden wird, brauchte er sie auch nicht zu erfahren. Früh genug würde er vom Gegenteil Wind bekommen und sich wünschen, mich nicht losgeschickt zu haben. Entschlossen sprang ich auf und rannte in einem Bogen um das Lager herum.
Von Zeit zu Zeit vernahm ich lautes Rascheln in den Kronen, doch ich war mir nicht sicher, ob es die Elfen waren. Meine Blicke hinauf gaben keinen Aufschluss, weshalb ich mich auf meinen Weg konzentrierte. Wurzeln hatten sich durch die Erde geschlagen, schemenhaft erkannte ich den Weg durch das Dickicht.
Ich wusste nicht, wie lange ich gelaufen war, als ich ein Dorf erkannte. Aus sicherer Entfernung machte ich mir ein Bild von dem Geschehen vor mir. Die Türen der kleinen Hütten standen offen, als hätten die Elfen ihre Häuser fluchtartig verlassen. Einzelne Orks hetzten durch das Dorf, doch die meisten von ihnen standen im Kreis um etwas versammelt. Aufgeregte Rufe und luftzerschneidende Töne drangen aus dieser Richtung zu mir.
Was hatten sie vor? Da mir nichts einfiel, wie ich hätte ungesehen dort hingelangen können, machte ich mir keine Mühe und trat aus meinem Versteck. Keiner beobachtete mich. Warum auch, ich war eine von ihnen. Durch kleine Lücken der versammelten Menge erspähte ich ein Netz und versuchte nach vorne zu gelangen. Als ich mich schließlich durch die Menge gequetscht hatte, stolperte ich fast über meine Füße.
Sie hatten die Elfen unter einem Netz gefangen genommen und jede, die versuchte herauszukommen, wurde hinausgezogen und mit geschliffen. Ehe ich begriff, was vor sich ging, eilte ich einem Ork hinterher. Der Elfe in seiner Hand rannen die Tränen hinab und sofort erstarrte ich. Es war die Elfen, die ich vorhin freigelassen hatte. War sie in dem Käfig doch sicherer gewesen?
Schnell nahm ich die Verfolgung auf und überlegte, wie ich sie aus den Händen des Ork bekommen konnte. Doch ein abscheulicher Gestank stieg mir in die Nase und wurde zunehmend stärker, je weiter ich ging und ehe ich mich versah, loderten Flammen vor meinen Augen. Als ich genauer hinsah, erkannte ich die Reste der Elfen, die sich offensichtlich gegen die Orks gewehrt hatten. Sie töteten also die, die sich widersetzten, sofort.
„Hey, sie brauchen deine Hilfe. Ich kümmere mich um sie.“ Eilig ging ich auf den männlichen Ork zu.
Irritiert sah er mich an und zwischen dem Feuer und der Elfe hin und her. In der Hoffnung, dass ich nicht zu unsicher wirkte, blieb ich vor ihm stehen und streckte eine Hand aus.
„Wer bist du? Name?“
Irritiert sah ich ihn an. Wieso wollte heute jeder meinen Namen wissen? „Tarea. Doch jetzt beeile dich, bevor es zu spät ist.“
Nicht gerade begeistert drückte er mir die Elfe entgegen und nach einem prüfenden Blick, dass ich die Aufgabe ausführen würde, eilte er davon. Für seine Bestätigung ging ich auf das Feuer zu, den Blick abgewandt von den Überresten. Sobald ich mir sicher war, dass der Ork außer Sicht war, setzte ich die Elfe entschuldigend auf den Boden.
„Haben sie alle Elfen gefangen genommen?“ Ich wollte gar nicht erst über das Feuer reden.
Sie schüttelt den Kopf. „Sie glauben es, aber es gibt einen Ort, an den sie sich zurückgezogen haben. Wir waren ebenfalls auf dem Weg dorthin, doch sie haben uns abgefangen.“
„Ich dachte, ich würde euch helfen, wenn ich euch freiließe.“
„Das hast du. Anders wären wir sofort verbrannt worden, da wir ihnen bereits auf die Nerven gegangen waren. Wir hatten Glück, dass sie uns nicht wiedererkannt haben, als sie uns im Wald gefunden haben.“ Die Elfe sah mich prüfend an. „Auf welcher Seite stehst du?“
Ich hatte mit vielem gerechnet, nicht aber, dass die Elfe mich als eine eventuelle Verbündete ansehen würde. „Ich bin ein Ork. Aber ich finde es nicht in Ordnung, was sie mit euch machen, weshalb ich euch auch freigelassen habe.“
„Du würdest uns also helfen?“ Die Elfe schien sich erholt zu haben.
„Das habe ich bereits.“
Wir merkten beide, worauf wir hinaus wollten, doch ich traute mich nicht, es direkt zu sagen. „Wollt ihr kämpfen?“
Die Elfe schwieg einen Moment und ich konnte sie gut verstehen. In weiter Vergangenheit haben sie durch Krieg viele Artgenossen verloren und die Orks nicht mehr angegriffen. Kurz: Sie hatten dazugelernt. Doch Rache stirbt nicht.
„Wenn du uns führst.“
Sie riss mich aus meinen Gedanken, und auch wenn ich damit gerechnet hatte, überstieg es doch mein Vorstellungsvermögen.
„Ich bin nicht geschützt, bei einer Berührung der Verwandlung zu widerstehen.“
„Dann werde ich mein Versprechen erneuern und dir versichern, dass dich keiner anrührt, solange du es nicht möchtest.“
„Irgendjemand deiner Rasse wird es nicht gutheißen, dass ich euch führe und mich angreifen.“
„Dann werde ich dazwischen gehen.“
„Trotzdem …“ Mir blieb die Sprache weg. Die großen Kulleraugen sahen mich wieder so liebevoll an, dass ich mit mir kämpfen musste, die Kontrolle nicht zu verlieren. Ich hatte mich schon so weit aus dem Fenster gelehnt und mein Volk verraten, dass ich es riskieren konnte, eine Elfe zu werden. Nach einigen Minuten des Schweigens stimmte ich zu.
„Verrätst du mir noch deinen Namen?“
„Ich bin Sanaha.“
Von dem Gedanken, die Elfen gegen mein eigenes Volk zu führen, wurde mir schlecht. Auf dem Weg durch das Dickicht sah ich mich ständig um, Angst, angegriffen zu werden. Als ich einen Augenblick nicht nach vorne gesehen hatte, war die Elfe verschwunden. Irritiert sah ich mich um, nach irgendeinem Hinweis, doch ich konnte sie nirgends sehen. So beschloss ich, einen Moment zu warten, in der Hoffnung, dass die Elfe mir keinen Streich gespielt und eine Falle gestellt hatte. Aber welchen Grund hätte sie dafür? Sie hat selbst gesagt, dass ich ihr geholfen hätte.
„Komm mit“, ertönte plötzlich die Stimme und ich trat zwei Schritte zurück.
„Wo warst du?“ Ich klang vorwurfsvoller, als ich beabsichtigt hatte. Ohne darauf einzugehen wandte Sanaha sich um und schob einige Äste, die am Boden entlang wuchsen, beiseite. Darunter befand sich ein Eingang, der unter die Erde führte. Wer nichts davon wusste, würde diesen Eingang nicht finden, wenn er nicht zufälligerweise querfeldein über Gestrüpp und Geäst ging. Ich wollte ihr erst zu verstehen geben, dass ich zu groß war, um dort entlanggehen zu können, ließ es aber sein und folgte ihr mit gekrümmten Rücken. Die ersten Meter waren besonders eng und dunkel, ehe der Gang in eine große Höhle führte, die durch kleine Löcher in der Decke erhellt wurde.
Als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkannte ich eine Ansammlung von Elfen, die mich erwartungsvoll ansahen. Die Ehrfurcht stand ihnen ins Gesicht geschrieben, doch ebenso ruhte dort Zuversicht.
„Sie folgen dir.“
„Dann werde ich euch unter der Bedingung, mich nicht zu berühren, führen. Wenn alles gut geht, denke ich darüber nach, eine von euch zu werden. Natürlich nur, wenn ihr mich aufnehmen würdet.“
Einige schienen skeptisch, doch sie waren einverstanden. Kurz erklärte ich ihnen meinen Plan, den ich mir auf dem Weg hierher überlegt hatte, ehe ich neben den Elfen aus dem unterirdischen Versteck trat. Es war ein komisches Gefühl, die Anführerin eines anderen Volkes zu sein. Doch die Elfen verließen sich auf mich, sodass ich mit erhobenem Haupt durch den Wald schritt. Hinter mir vernahm ich das Rascheln der Blätter und Sträucher, überrannt von einer Armee Elfen, die in einen Ork alle Hoffnung setzten.
Das Quieken gefangener Elfen wurde lauter und ich hielt an, um den Elfen den Vortritt zu lassen. Wie kleine Affen hangelten sie sich an den Stämmen nach oben in die Baumkronen und huschten über mir hinweg, rein in den Tumult. Der Vorteil lag sichtlich auf unserer Seite, da die anderen Orks der Überzeugung waren, dass sie alle gefangen genommen hatten. Dass sie glaubten, dass nur so wenige Elfen existierten, sollte ihnen zum Verhängnis werden.
Ich war der Ansicht gewesen, kleine Messerschnitte würden uns Orks nichts ausmachen. Doch ich hatte mich geirrt. Fast ununterbrochen ertönte ein schmerzvoller Aufschrei, bald mischten sich rachsüchtige Elfenstimmen darunter. Zur Sicherheit trat ich ein paar Schritte zurück in den Schatten des Stammes, damit sie mich nicht ausversehen angriffen. Es war nicht so, dass ich mich davor drückte, zu kämpfen, aber es war ihr Kampf und ihre Ehre.
Sanaha wachte über mir in den Kronen und würde einen Angreifer von mir fernhalten. Immer schneller fielen die Orks zu Boden, einige nahmen reis aus. Doch die, die von den Elfen überwältigt worden waren, wurden angezündet oder ein Schnitt durch ihre Kehle beendete ihr Leben. Das Netz war achtlos weggeworfen worden und lag jetzt auf den Sträuchern. Da schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, wie wir das Netz gebrauchen konnten. Eilig forderte ich Sanaha auf, fünf Elfen aus dem Tumult zu holen und erklärte ihnen, was ich vorhatte. Sie schnappten sich das Netz und eilten damit in die Baumkronen.
Als wir den Platz, auf dem der Kampf stattfand, umrundet hatten, warf ich einen Blick zurück, um mich zu vergewissern, dass die Elfen zurechtkamen. Dann rannte ich los und sobald ich Orks entdeckt hatte, machte ich langsamer.
„Wo wollt ihr hin? Wir brauchen eure Hilfe. Fast alle Elfen sind vernichtet, nur ein paar halten uns noch auf Trab.“ Verdutzt sahen sie mich an und sogleich vernahm ich ein leises, Wind zerschneidendes Geräusch, ehe die fünf Orks unter dem Netz gefangen waren. Triumphierend lächelte ich und überließ den Elfen die unangenehme Arbeit, wobei es für sie wohltuend sein musste, den jahrelang überlegenen Feind zu vernichten. Es dauerte keine fünf Minuten und nicht einer der Orks rührte sich mehr. Sofort suchte ich weiter, denn es waren an die zwanzig gewesen, die sich heimlich davon gemacht hatten. Wenn möglich, wollte ich verhindern, dass sie den Wald verließen und zu unserem König gehen konnten. Es wäre zwar nicht schlimm, denn die Nachricht würde ihn rasend machen und die zurückgekehrten hinrichten lassen. Doch ich tat es den Elfen zuliebe, sie sollten ihre Rache in vollem Maße ausüben können.
Als ich die nächste Gruppe von sieben Orks zum Stehen gebracht hatte, erkannte ich den Mann, der Sanaha hatte ins Feuer werfen wollen. Sobald das Netz sie gefangen hielt, suchte ich Sanaha über mir.
„Zeig ihm, dass du stärker bist und er das nächste Mal nachdenken sollte, bevor er das Leben einer Elfe beendet möchte.“ Sie lächelte mir dankend zu und im Nu war sie auf ihrem Entführer gelandet.
„Ich hoffe, es war dir eine Lehre.“ Der Mann nickte eifrig, in der Hoffnung, dass die Elfe Gnade walten lassen würde und das Lächeln auf Sanahas Gesicht ließ ihn erleichtert aufatmen. Umso überraschter starrte er die Elfe an, als sich deren Messer in seinen Brustkorb gebohrt hatte und er um Luft rang. In der Zwischenzeit hatten die anderen Elfen inngehalten. Die Gefangenen wussten, was ihnen blühte.
Nach einer viertel Stunde hatten wir auch die anderen gefunden und getötet, wonach wir zum Lager zurückkehrten.
Je näher wir kamen umso lauter müsste es werden. Doch es blieb still. Die Elfen eilten in den Kronen an mir vorbei. Hatten die Orks doch die Oberhand gewinnen können?
Ehe ich mich versah, kam eine Elfe auf mich zugerannt, ihre Augen voller Hass. Ich hatte vergessen, dass ich in den Augen der Gefangenen noch immer der Feind war. Nicht alle wussten von meiner Absicht. Ehe ich reagieren konnte, hatte sich Sanaha wie ein Schild vor mich gestellt und wehrte die angreifende Elfe ab, die erschrocken gegen sie krachte und auf den Rücken fiel. Sofort wurde die Elfe wütend, in der Annahme, Sanaha hätte sie verraten.
„Dank ihr lebe ich noch und sie war es, die uns gegen die Orks angeführt hat.“
Ein Raunen ging durch die Menge, und ich musste mir eingestehen, dass auch ich die Anzahl der Elfen unterschätzt hatte. Während die Elfen sich über diese Neuigkeit austauschten, ging ich in mich. Sollte ich den Schritt wagen und eine Elfe werden? Erst im Nachhinein war mir bewusst geworden, dass ich nicht zurück nach Hause gehen konnte. Der König wusste, wen er losgeschickt hatte und die Tatsache, dass niemand zurückkam, würde ihn auf mich führen. Welche Wahl hatte ich also? Wollte ich den Tod oder die Chance, ein neues Leben als Elfe zu führen? Natürlich war es davon abhängig, ob sie mich aufnehmen würden. Doch die Tatsache, dass mich niemand mehr angefallen hatte, beruhigte mich. Es war meine Chance und so nahm ich meine Umgebung wieder wahr.
Sanaha war nicht von meiner Seite gewichen, das Gemurmel hatte geendet. Erwartungsvoll sahen mich alle an. Doch ich würde nicht die Frage stellen, ob sie mich aufnahmen. Auf der anderen Seite erwarteten sie vielleicht genau das. Ich sollte zeigen, dass ich es wirklich wollte. Nach einem kurzen Blick zu Sanaha straffte ich meine Schultern und durchflog die Menge mit meinem Blick.
„Würdet ihr mir die Ehre erweisen, eine Elfe zu werden? Unter euch zu leben und mich anzuerkennen als eine von euch? Vergessen, dass ich ein Ork war?“ Die Worte klangen geschwollen, doch ich war zu aufgeregt.
Keiner rührte sich, alle sahen sie noch immer mich an. Sofort grübelte ich darüber, was ich vergessen oder Falsches gesagt haben könnte. Doch mir fiel nichts ein, weshalb ich beschloss, abzuwarten.
Der Wind streichelte die Blätter und eine klangvolle Melodie brauste durch den Wald, über uns alle hinweg. Voll und ganz konzentrierte ich mich auf diese Musik, die etwas Natürliches an sich hatte und ein Lächeln formte meine Lippen. Das Gefühl, mit dieser Melodie eins zu werden, war himmlisch und ich schwelgte im Rausch der Stimmen.
„Tarea“, die Stimme war lebendig und klangvoll und holte mich aus meinem träumerischen Zustand, „höre mich an: Du hast Tapferkeit und Treue bewiesen. Als Zeichen meines Dankes sollst du als Elfe unter uns leben, wie du es begehrt hast. Unsere Traditionen hast du zu lernen und mich, Aythya, als deine Königin anzuerkennen.“
Einen Moment sah ich die Elfe mit dem langen, dunkelbraunem Haar an und in ihren grünen Augen lag Dankbarkeit.
„Ich werde alles tun, um eine würdige Elfe sein zu können.“ Ich brachte das Lächeln nicht mehr von meinen Lippen, es war wie angewachsen, so glücklich fühlte ich mich.
„Dein Herz wird immer das eines Orks bleiben, daran ändert auch die Verwandlung nichts. Doch deine Seele wird die einer Elfe sein, verbunden mit der Natur. Vertraue deshalb in Zukunft auf deine Seele und du wirst eine würdige Elfe sein.“
„Ich verspreche es.“ Es dauerte nicht lange und die Königin kam auf mich zu und streckte ihre Hand nach mir aus. Nach einem tiefen, letzten Atmer als Ork schloss ich die Augen und reichte Aythya meine Hand, die fast doppelt so groß war. Ein Kribbeln durchzuckte meinen Körper und ich fühlte, wie ich schrumpfte, meine Haut sich veränderte und ich zu einer Elfe wurde.



Impressum

Texte: Die Rechte liegen bei mir
Bildmaterialien: Die Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 13.10.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /