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„Du meinst die Bombenattentate?!“
Frank beugte sich hinter die Plexiglasscheibe der Telefonsäule, schirmte die Sprechmuschel gegen den Baulärm ab und schrie in den Hörer.
„Ja, geht es dir gut?“, fragte Ingrid. „Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich es im Radio erfahren habe.“
Sie war nur besorgt. Noch war nichts verloren. Alles im grünen Bereich.
„Brauchst du nicht. Hab nichts davon mitbekommen. War mit Ala tauchen. Die Geschichte mit dem Hai. Weißt du nicht mehr? Hab dir doch ´ne Karte geschickt.“
Tappte sie in die Falle? Zog die unsinnige Geschichte wirklich?
„Haigeschichte…?“, erwiderte sie. „Ach ja, die Karte. Sie kam gestern, habe sie nur überflogen." Pause. "Wer ist eigentlich Ala?“
Sie lenkte ein? Dieses Miststück. Aber er hatte es gewusst, die Weiber waren alle gleich. Die Neugier siegte meistens. Warum log sie? Es gab keine Karte, er hatte nie eine verschickt und Ala war seiner Fantasie entsprungen. Und ein Haiangriff im Mittelmeer, wer glaubte so einen Quatsch?
„Ingrid!? Ich muss jetzt Schluss machen, mein Kleingeld ist gleich…“
Klick.
Tuut-tuut.
Seine Hand lag auf der Gabel und Restgeld klimperte in den Rückgabeschacht.
Soweit war ihre Ehe also.
Lügen über Lügen.
Sie wechselten sich beide ab. Jeder belog jeden. Was war ihre Ehe denn noch anderes, als eine Aneinanderreihung stümperhafter Ausreden.
War die Angst vor dem Allein-sein wirklich so groß?
Gewohnheit und Selbstverständlichkeit hatte sich in ihre Partnerschaft geschlichen. Heimlich und ohne großen Tamtam, waren plötzlich da. Die Tage waren öde und gleichbleibend langweilig geworden.
Und das nach nicht einmal zehn Jahren.
Wie sollte das weitergehen?, fragte er sich.
Wann die veränderungen begonnen hatten, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Wenn er sich zurückerinnerte, dann war es ein schleichender Prozess, der die Partnerschaft zersetzt hatte.
Nichts kam einfach so von heute auf morgen.
So war es auch bei ihnen gewesen. Die Ehe funktionierte perfekt, wie ein Uhrwerk und eines Tages wachte er auf und nichts war mehr wie zuvor.
Aus der Traumfrau war eine austauschbare x-beliebige Frau geworden. Der Mann war nur noch ein angenehmes Accessoire an ihrer Seite. Ein Vorzeigeobjekt. Für die anderen halt.
Die Gewohnheit machte aus dem Zauber der Liebe, schneller als gedacht ein Zerrbild der Wirklichkeit.
Vor zwei Wochen hatte Frank beschlossen, sich eine Auszeit zu gönnen. Er kaufte im Internet ein Lastminute-Ticket nach Mallorca und erzählte seiner Frau, er sei auf Geschäftsreise. Natürlich wusste sie, dass er ihr ins Gesicht log. Aber sie nahm es hin. Die einzige Reaktion ihrerseits war, sie bestand darauf ihn persönlich zum Flughafen zu bringen. Ingrid hatte sich extra ein paar Stunden frei genommen. Sie chauffierte ihn zum Flughafen und setzte ihn vor dem Terminal ab. Es gab keinen Abschiedskuss. Nur einen kritischen Blick.
War da etwa ein Fünkchen Liebe?
Sie lächelte ihm zu und düste mit dem Jaguar davon, nachdem er sein Gepäck, bestehend aus einem Rollkoffer und einem handlichen Rucksack, aus dem Kofferraum gehievt hatte.
Hatte sie bemerkt, dass er log? Natürlich hatte sie das. Frauen waren so verdammt intuitiv.


Frank nahm ein Taxi und fuhr in die Stadt zurück. Dort checkte er in einer heruntergekommenen Pension in einem Außenbezirk ein. Er räumte seine Sachen in den alten Schrank, verstaute Koffer und die Wertsachen unter dem Bett. Dann ging er auf die Suche.
Drei Tage, besser gesagt Nächte, war er in den abgefucktesten Pubs und Clubs der Stadt unterwegs gewesen. Hier musste er keine Angst haben, bekannten Gesichtern zu begegnen.
Am dritten Abend hatte er sie gefunden. Ihre Blicke trafen sich und er spürte sie ganz nah. Sie blieb unnahbar, auf Distanz. Er schenkte ihr ein Lächeln, sie gab es schüchtern zurück.
Nun besuchte er jeden Abend denselben Club Er konnte nicht mehr anders. Tagsüber lag er auf dem Bett starrte an die Decke, konnte es kaum erwarten bis die Sonne unterging.
Im Schutz der Dunkelheit heftete er sich an ihre Fersen und beobachtete sie, stets darauf bedacht nicht erkannt zu werden und aufzufallen. Jeden Tag trug er neue Kleider oder eine andere Kombination. Er hatte seinen Koffer vollgepackt mit alten Klamotten, die eigentlich im Rotkreuz-Sack landen sollten.
Zum Glück war Ingrid schlampig und hatte es immer wieder hinausgeschoben ihn vor die Tür zu stellen.
Eines Abends war er ihr unvorsichtigerweise viel zu nah gekommen. Ihre Blicke trafen sich wieder. Für einen Augenblick wusste er nicht, ob sie ihn erkannt hatte. Rechtzeitig, dem zweiten Blick entgehend, tauchte er in der Menge unter. Ab da folgte er ihr in angemessenem Abstand. Er erfuhr wo sie wohnte und mit wem sie sich umgab.

Eine Woche später stand er im verregneten München auf der Marienstraße, telefonierte mit seiner Frau und erzählte ihr er sei im sonnigen Spanien.
Schmunzelnd schob er die dunkle Ray-Ban-Brille auf die Nase, während sein Blick der langbeinigen Blondine folgte, die ihr Handy in die Handtasche steckte und nervös um sich schaute. Ein gut aussehender junger Schnösel begrüßte sie, flirtete ungeniert mit ihr und küsste sie leidenschaftlich.
Widerlich! Kein Schamgefühl!
Frank beobachtete das Paar vom Café aus.
Glaubte Ingrid wirklich, er sei blöd, dachte er. Sie ließ es zu, dass er mit einer Ala zwei Wochen auf Mallorca herumtobte.
Sie interessierte sich nicht einmal für die Neue an seiner Seite. Etwas lief da gewaltig schief.
War seine Ehe noch zu kitten?
Neun Jahre!
Warf man die so einfach weg?
Wollte sie ihn herausfordern oder kränken?
Was erwartete sie von ihm?
Er wurde allmählich sehr wütend auf seine Frau. Etwas in ihm schrie nach Ingrid. Er wollte sie zurück, ihre Liebe und ihr Lachen. Warum konnte es nicht wieder wie früher sein?
Der Schmerz saß wie ein Stachel im Fleisch. Der Stachel musste raus, der Schmerz verschwinden, etwas wollte Veränderung.

Am Himmel funkelten die ersten Sterne durch die aufgelockerte Wolkendecke. Der Mond tauchte den menschenleeren Park in gespenstisches Licht. Über den Wiesen stieg der Nebel nach dem letzten Gewitter in die Höhe. Es roch nach frisch gemähtem Gras.
Frank kauerte im Gebüsch. Sein Puls raste. Kalter Schweiß rann den Nacken hinab.
Klack. Klack. Klack.
Schritte.
Sie wurden lauter.
Adrenalin schoss durch seinen Körper.
Angetrunken torkelte sie an seinem Versteck vorbei.
Sie war sturzbetrunken, wie jeden Abend. Auch den Nachhauseweg wechselte sie nie. Es war ihre Gewohnheit und wie Frank ihr gern gesagt hätte und es auch genau wusste, sind Gewohnheiten auf Dauer tödlich.
Dann trat er aus dem Busch lief hinter ihr. Sie bemerkte ihn nicht. Als er nah genug war warf er blitzschnell die Stahlschlinge um ihren Hals. Die Blondine war erschrocken und schockiert. Sie wusste nich wie ihr geschah.
Frank zog mit aller Kraft zu. Die junge Frau schlug mit den Händen unkontrolliert um sich, versuchte die Schlinge zu lösen und rang nach Luft.
Wenige Augenblicke später kniete er über dem zuckenden Körper, arrangierte die Leiche zu seinem einsamen Kunstwerk. In aller Ruhe betrachtete er die Tote.
War das nun die Rache an Ingrid? Nein.
Er überlegte welches Souvenir er Ingrid mitbringen könne. Sein Blick fiel auf die lange goldene Kette mit dem Kreuz. Ein schönes Geschenk mit göttlicher Symbolik. Er streifte der Toten die Kette über den Kopf. Sie sah wertvoll aus. Aber bevor er sie Ingrid geben konnte musste er sie beim Juwelier überprüfen lassen.
Vielleicht gab es doch noch einen Weg Ingrid zurück zu gewinnen. Frank steckte das Schmuckstück in die Hosentasche und spazierte zufrieden in die Nacht.
Es gab Hoffnung.

ENDE

Impressum

Texte: Michael Fritz Zeh
Bildmaterialien: Michael Fritz Zeh
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2013

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