VII
Hufgetrampel.
Pferdeschnauben.
Die vier Reiter eilten auf ihren Rössern durch die sternenlose Nacht, durchquerten die steinige und hüglige Einöde im Galopp. Ließen in den Himmel aufragende Steinkolosse und enge Schluchten hinter sich.
Im Mondlicht erhob sich die Bergkette, auf deren Spitze die Burg Königs Katlos thronte.
Die Reiter nahmen die einzige Straße durch den magischen Forst.
Die Pferde wieherten unruhig, trabten schneller, als wollten sie diesen finsteren Ort hinter sich lassen. Die Reiter wußten um die Sagen und die Legenden, die sich um den Ort rankten. Gerade deswegen trieben sie ihre Pferde an.
Als der Wald sie verschluckte und alles um sie herum absolut schwarz wurde, pfiffen die Geier über ihnen.
"Was war das?", fragte Gustav.
"Die Wächter", antwortete Modra. "Ihr wisst was zu tun ist."
"Ja", riefen Marek und Tomek und preschten an Modra und Gustav vorbei.
"Was machen sie?" Gustavs Neugier war kaum zu bändigen. Seit er sich seinem Schicksal ergeben hatte, meinte er das recht zu haben über alles informiert zu werden.
"Sie werden die Wächter in die Irre führen."
"Wer sind die Wächter?"
"Hast du noch nie von den Augen des Tales und den Wächtern der Burg in Katlos Land gehört?"
"Die Geiervögel?!"
Modra nickte.
"Es gibt sie wirklich?"
"Du hast sie eben gehört."
"Marek und Tomek?"
"Sie werden die Augen der Wächter schließen."
Marek scheuchte seine Stute durch die Baumallee bis er den Wald hinter sich gelassen hatte. Über seinem Kopf kreisten die Wächtervögel ihre Runden. Marek wußte, dass sie ihn sehen musste, damit der Plan aufgehen konnte. Also lenkte er sein Pferd im Galopp auf die freie Straße. Die Hufschläge dröhnten im Tal.
Die Vögel wurden aufmerksam auf ihn und wechselten ihre Richtung. Auf einmal waren sie nur noch über ihm. Sie waren zwar sehr weit oben , aber er spürte ihre Blicke. Selbst aus dieser Entfernung durchbohrten sie ihn wie Spitzen. Immer wieder stießen seine Beobachter einen schrillen Pfiff aus.
Marek verlangsamte sein Tempo, als er Tomek am Waldrand entdeckte. Der Hinterhalt war perfekt.
Tomek konnte nach Gehör einem Huhn auf zweihundert Fuss die Augen ausschießen.
Konzentriert visierte er den ersten Geier an. Dann ließ er los und legte im selben Augenblick einen neuen Pfeil auf den Bogen. Kaum trudelte der erste Vogel getroffen vom Himmel, als der zweite Vogel aufschrie und versuchte aufzusteigen. Aber der Pfeil durchbohrte ihn und er stürzte ungebremst zu Boden.
"Das wars dann", sagte Tomek und traf sich mit MArek auf der Straße.
gemeinsam ritten sie zum Wassergraben. Dort banden sie die Pferde unter die Bäume.
Marek musterte die Burgmauer und schleuderte den Enterhaken mit denm Seil über die Burgzinnen. Rasselnd und polternd landete er auf der Wehr. Marek raffte die Schnur bis der Haken sich festzurrte und das Tau straff war.
„Und das soll halten?!“ Modra beäugte misstrauisch das straffe Hanfseil, dass sich nun vom Waldrand über den Burggraben bis zur Burg spannte.
"Da seid ihr ja endlich", sagte Tomek. "Wir haben alles vorbereitet. Die Wächter gehören der Vergangenheit an."
"Ich hab es gesehen."
„Das hält“, versicherte Marek. „Ich werde es beweisen und zuerst hochklettern.“
Marek hangelte sich elegant am Tau hoch. Oben angelangt vertaiúte er das Seil um eine Zinne. Er bedeutete seinen Gefährten zu folgen. Nacheinander erklommen zuerst Tomek, dann Gustav die Mauer. Zuletzt zogen sie Modra mit aller Kraft hinauf, während Tomek mit Pfeil und Bogen die Seiten sicherte.
„Bisher ging ja alles reibungslos“, flüsterte Marek.
„Ja fast schon zu einfach“, erwiderte Tomek skeptisch. „Wo sind die Wachen?“
„Seltsam?“ Modra kraulte den Bart. "Du hast Recht keine Wachen. Wir trennen uns. Ihr beiden wisst was ihr zu tun habt. Versucht in Erfahrung zu bringen, was mit den Wachen los ist“, sagte er an Marek und Tomek gerichtet. "Und wir beide müssen zum Nordturm.“
Der Abt zeigte auf den größten der vier Türme, die den Innenhof einrahmten. „Folge mir!“
Gustav und Modra schlichen an einigen Wachposten vorbei, die tief schliefen.
„Sie schlafen alle?!“, wunderte sich Gustav.
"Etwas stimmt hier nicht", sagte Modra.
"Ein Zauber?"
"Nein, ich würde es spüren. Das ist kein Zauber."
Im Burghof huschten sie im Schatten der Gebäude zum Nordturm. Sie hasteten die Stufen hinauf bis vor die Holztür.
Gustav knackte das Schloss gewaltsam, so dass die Tür knarrend aufschwang.
„Dort in der Truhe.“ Modra deutete auf den Tisch und klappte den Truhendeckel auf.
„Sie ist leer!“, stellte er fest.
„Das kann nicht wahr sein“, stöhnte Gustav. „Wozu das alles, wenn es nicht hier ist?“
„Der König“, flüsterte Modra. „Er will die Prophezeiung wahr werden lassen.“
„Dann sollten wir ihn schnell warnene.
"Du hast Recht, bevor das Unheil seinen Lauf nimmt. Das Relikt darf nicht in die falschen Hände fallen. Sonst ist alles verloren.“
VIII
Die vier schwarzen Gestalten warteten vor dem Burgtor.
Die Pferde bliesen weiße Dampfwolken aus.
„Was wollt ihr?“ rief die Turmwache.
Keine Antwort.
Nur das gleichmäßige Schnauben der Pferde.
„Wer seid ihr? Mann, redet. Oder verschwindet? Wenn ihr nicht sofort antwortet dann verjagen euch meine Pfeile“, rief der Wächter und spannte den Bogen.
Doch bevor er ein weiteres Wort herausbrachte, stürzte er röchelnd über die Mauer. Klatschend plumpste er in den Wassergraben.
Die Pferde tänzelten.
Auf der Burgwehr erschien Gonith mit dem blutbesudelten Krummdolch in der Hand.
„Da seid ihr ja“, begrüßte er die Fremden. „Ich öffne das Tor.“
Quietschend und knarrend zog er die Kette des Fallgitters hinauf, während die Zugbrücke langsam nach unten glitt.
Die schwarzen Reiter trabten in den Hof, während Gothin die Treppe hinunter kam und dem ersten Reister den Beutel übergab.
„Ihr wisst was zu tun ist! Schnell bringt es ihm. Beeilt euch. Uns bleibt nur noch sehr wenig Zeit“, befahl Gothin.
Der Reiter nickte wortlos, verstaute das Päckchen unter dem Cape und gab seinen Begleitern das Zeichen abzuziehen.
Als sie vor dem Torbogen ankamen rasselte das Fallgitter donnernd nach unten. Die Pferde stiegen erschrocken auf ihre Hinterbeine, die Reiter hatten Mühe die Tiere zu bändigen und im Sattel zu bleiben.
Dann surrten Pfeile aus der Dunkelheit und zwei der dunklen Gestalten fielen in hohem Bogen aus den Sätteln. Die beiden Anderen lenkten ihre Pferde in den Burghof in die Schatten der Häuser, um dort den tödlichen Geschossen zu entkommen. Sie fanden Deckung und jagten ihre Tiere durch die engen Gassen, bis ihnen eine Gestalt mit gezogenem Schwert den Weg versperrte.
„Stopp, ihr Ungläubigen. Gebt uns das was rechtmäßig unser ist und streckt die Waffen nieder, sonst geht es euch wie euren Gefährten“, rief Marek mit tosender Stimme.
Tomek hastete blitzschnell zu den Pferden und ergriff die Zügel.
„Tut was er sagt, oder ihr werdet es bereuen“, raunte er.
Die Schwertspitze bohrte sich in den Bauch des Reiters. Der Maskierte streckte die Arme in die Luft. In diesem Moment hieb sein Gefährte die Axt nach unten und trennte Tomeks Hand ab. Der junge Bruder schrie und umklammerte den bluttriefenden Armstumpf.
Die schwarzen Reiter nutzten ihre Chance und preschten davon.
Marek drehte sich geistesgegenwärtig um die eigene Achse und schickte in der Drehung einen Pfeil in die dunkle Gasse.
Das Geschoss bohrte sich in die Schulter eines der Männer. Zusammengekauert im Sattel verschwand er in die Dunkelheit zwischen den Gebäuden.
„Nimm das, mein Freund“, sagte Marek zu seinem Bruder, reichte ihm ein Trinkhorn und band den blutenden Armstumpf ab.
Tomek trank hastig aus dem Horn.
Die schmerzlindernde Wirkung setzte sofort ein und die Blutung stoppte allmählich.
„Was ist das?“ fragte er ungläubig.
„Ich weiß es nicht. Modra hat mir die Flasche in die Hand gedrückt, bevor wir aus dem Kloster gegangen sind und meinte: Für alle Fälle.“
„Er hat etwas geahnt.“
„Du kennst ihn. Er weiß es einfach. Jetzt müssen wir nur die Beiden erwischen“, meinte Marek. „Willst du hierbleiben?“
„Nein, auf keinen Fall. Ich gehe mit Dir.“ Tomek hielt seinen verletzten Arm in die Luft. „Er soll dafür büßen.“
Die Männer liefen zu den Stallungen, nahmen die Abkürzung durch den Hof, die sie kannten, weil sie den Burgplan jahrelang studiert hatten.
IX
Von den Burgzinnen aus hatte Tomek freie Sicht über dieGassen und Gebäude der Festung. Marek balancierte auf dem Dachfirst von einem Dach zum anderen. Unter ihm in den dunklen Gassen war es still. Wie Schlunde lagen sie unter dem Jäger.
Die Maskierten waren wie vom Erdboden verschluckt.
Die Brüder verharrten still wie Jäger, die auf ihre ahnungslose Beute lauerten.
Plötzlich hallten Hufe durch die Gassen. Marek nahm ruhig einen Pfeil aus dem Köcher und spannte seinen Bogen. Das reiterlose Pferd trabte über den Hof. Marek stand regungslos auf dem Dach und ließ die Gasse aus dem das Pferd gekommen war nicht aus den Augen.
Tomek kletterte von den Zinnen. Unten angelangt drückte er sich platt gegen die Wand, pirschte geduckt zu den Wassertrögen und kauerte dahinter nieder.
Eine schattenhafte Gestalt tauchte aus der Seitengasse auf und fiel hinterrücks über ihn her. Der Maskierte würgte und riss ihn zu Boden. Die Rivalen wälzten auf dem Boden.
Tomek verlor sein Schwert und versuchte den Dolch zu zücken.
Doch sein Gegner war ganz klar im Vorteil. Er war stark und unverletzt.
Tomeks Arm dagegen pochte wie verrückt.
Der Maskierte zog einen Dolch. Immer wieder holte er aus und stieß auf Tomek ein.
Geifernd bleckte der Angreifer seine Zähne. Er stank nach Fäulnis, billigem Wein und Wahnsinn. Die Augen groß, weit aufgerissen, dunkle Fenster in andere Welten.
Tomek rang mit aller Kraft um sein Leben. Unerträgliche Schmerzen. Die KLinge des Angreifers zerschnitt seinen Wams. Tomek wußte, di eKLinge könnte sein Todesurteil sein.
Der Maskierte holte noch einmal aus, war sich seiner Übermacht bewußt und holte aus. Tomek erwatete den Stoß. Plötzlich erstarrte der Mann in der Bewegung und sackte in sich zusammen. Al ser vornüber fiel verfehlte der Dolch Tomeks Gesicht um haaresbreite.
Der Bruder stieß den toten Körper von sich. Im Rücken des Mannes steckte Mareks Pfeil.
„Danke, mein Freund“, murmelte Tomek.
Er beugte über den Leichnam und durchsuchte seine Sachen.
„Und hast Du es gefunden?“ Marek war zwischenzeitlich vom Dachfirst geklettert.
„Nein, nichts er trägt es nicht bei sich", erwiderte Tomek enttäuscht.
„Dann hat es der Letzte bei sich. Los komm. Er muss hier irgendwo sein.“ Marek lief in das Labyrinth aus Gassen.
„Warte!“, rief Tomek.
Marek hielt inne, sein Bruder kam und legte ihm dankbar die Hand auf die Schulter. „Danke für deine Hilfe.“
„Schon gut, gern geschehen, Bruder.“
Nach kurzer Zeit fanden sie das herrenlose Pferd des zweiten Reiters mitten auf der Straße. Es stand neben seinem Herrn, dessen Körper regungslos auf dem Boden lag. Mareks Pfeil in die Gasse hatte ihn zur Strecke gebracht. Während Marek seinen Bruder weiter Deckung gab, ging Tomek zu dem Mann und durchsuchte ihn.
Er fand den Beutel, öffnete ihn und nahm die Reliquie an sich.
Bevor die vom Kampflärm alarmierten Wachposten schreiend anrückten, würden die Brüder wieder in die Schatten der Burg abgetaucht sein.
X
„Sie haben mich schneller aufgestöbert, als ich es für möglich gehalten hätte. Ich muss mir etwas Einfallen lassen, sonst geht mein Plan nicht auf.“
Gothin durchquerte wutentbrannt den Palast.
Noch schlummerten die betäubten Wachen und die ganze Dienerschaft des Hofes.
„Ich hätte den Wachen kein Schlafmittel in den Wein kippen sollen“, murmelte er. „Jetzt könnte ich ihre Hilfe gut brauchen.“
Er durchquerte den Speisesaal und erreichte den Thronsaal. Vor dem Thron verharrte er und beäugte ihn argwöhnisch.
„Hier ist eine gute Stelle.“
Er breitete die Arme aus, drehte sich im Kreis.
„Herr der Finsternis erhöre mich: nunios-diabolis-drakons erscheine, gib mir die Macht Draculs, dem Erben der Endzeit.“
Heftiges Zittern durchfuhr seinen Körper, seine Gliedmassen vibrierten. Gothin krümmte sich vor Schmerzen. Er schrie und wandte sich.
Sein Gesicht verformte sich, der Kiefer wurde breiter, die Zähne spitzer und die Augen quollen aus den Höhlen. Der gesamte Körper wuchs ins Unvorstellbare und eine schuppige Schicht überzog ihn von Kopf bis Fuß.
Die Verwandlung nahm groteske Formen an. Von dem ursprünglichen Erscheinungsbild des königlichen Beraters war nichts mehr übrig.
Das Böse hatte sich seiner bemächtigt und in ein Ungeheuer verwandelt.
XI
Modra und Gustav gingen durch die Kolonaden zum Thronsaal. In der Ecke schliefen die Diener des Könisg und seine Soldaten.
„Die sind richtig weggetreten“, bemerkte Gustav und stupste die Leute mit dem Schwert.
„Das gehört zu seinem Plan. Er muss sicher gehen, dass ihn niemand stört. Die Verwandlung hat begonnen“, flüsterte Modra.
Sie durchschritten die mit Fackeln beleuchteten Halle. Das flackernde Licht warf lange Schatten auf die Wandteppiche und Ölgemälde.
Es war sehr still. Die Ruhe vor dem Sturm.
Gustav stemmte mit aller Kraft die Tür zum Thronsaal auf. An den Wänden hingen jede Art von Waffen. Morgenstern, Schwert, Lanze und Axt hingen in Reih und Glied nebeneinander.
„Halt!“, raunte Modra.
„Was?“
„Es ist an der Zeit dir den wahren Sinn der Prophezeiung zu offenbaren.“
„Was meinst du?“
"Das Böse ist schon hier auf Erden."
"Das sagtest du bereits."
"Ja, aber es war schon immer hier unter uns. Es hat sich bei uns eingeschlichen, um uns besser lenken zu können."
"Du meinst, König Katlos ist das wahre Böse?"
"Nein nicht der König. Meister Gothin ist die Verkörperung des Bösen.“
„Was? Der Berater des Königs?“ Gustav war fassungslos. "Wie kommst du darauf?"
"Der König hat sich die ganze Zeit nicht gezeigt. Warum? Er ist der König und Herrscher des Reiches, also warum sollte er sich in seiner Burg verstecken? Und warum sollte er seine Wachen in den Schlaf versetzen?"
"Du hast Recht, das ergibt keinen Sinn."
"Nur ein Mann der sich nicht ganz sicher ist, ob er Macht über den Hof hat, tut so etwas. Also kann es nur der Berater sein. Er fürchtet den Hof, weil er den König aus dem Weg geräumt hat."
"Aber Meister Gothin war mir geegnüber immer zuvorkommend und hilfsbereit."
„Weil er ganz genau wußte wer du bist.“ Der Abt sprach ruhig und deutlich.
„Du meinst, er hat mich die ganze Zeit studiert?“, erwiderte der Jüngling.
Modra nickte.
„Das Böse war schon immer listig und schlau. Es wird uns immer täuschen und dabei unter uns wandeln. Es wird bis in alle Ewigkeit verscuhen das Gleichgewicht zwischen Hell und Dunkel zu stören. Der entscheidenden Kampf. Jetzt und in alle Ewigkeit. An verschiedenen Orten und in verschiedenen Zeitaltern. Heute wird er in diesen Räumen ausgefochten!“
„Du wusstest die ganze Zeit darüber Bescheid?“
„Nein erst seit wir in der Burg sind und die Schlafenden gesehen haben.“
„Und was ist mit Tomek und Marek!?“
„Sie haben ihre eigene Bestimmung. Sie sind die Hüter des Relikts uns sorgen dafür, dass es nicht in falschen Hände gerät.Sie werden es uns zum richtigen Zeitpunkt bringen.“ Modra deutete auf die Tür zum Speisesaal.
"ER wartet dort drinnen auf uns.“
"Dann mal los!" Gustav stolzierte mutig zur nächsten Tür und öffnete sie mit ganzer Kraft.
XII
Die riesige Echse füllte den ganzen Saal aus. Grünschimmernde schuppige Pfoten mit messerscharfen blitzenden Krallen schabten auf dem Steinboden, als die Tür donnernd aufflog. Der dornenbesetzte Schwanz schrubbte über den Boden. Zwei mannshohe Stacheln ragten zwischen den tellergroßen gelben Augen hervor.
Die Echse riss fauchend ihr gewaltiges Maul auf, entblößte ihre scharfen Reißzähne. Die Halle bebte beim Gebrüll des Ungeheuers.
Schwefelgeruch erffüllte die Luft.
„Na da bist du ja endlich!“, grollte die Echse. „Ich habe dich bereits erwartet. Zeig mir was du kannst, junger tapferer Ritter.“
Gustav stürzte wagemutig mit erhobenem Schwert auf das Untier los. Mit einem gewaltigen Schwanzhieb schleuderte die Echse seinen Angreifer gegen die Wand, wo er die Wand herunter rutschte und zusammengekauert liegen blieb.
„War das schon alles.“ Die Echse zischte höhnisch, stieß den Kopf nach hinten und brüllte siegesgewiss.
Kleine gelbliche Schwaden kräuselten sich aus den Nasenlöchern.
Der junge Ritter sprang auf und hechtete auf das Ungeheuer zu. Er stieß das Schwert nach vorne. Die Klinge bohrte sich in den schuppigen grünen Panzer unterhalb der rechten Flanke. Grünes Blut tropfte heraus. Das Untier röhrte, als das Eisen in sein Fleisch drang und wirbelte wild geworden herum.
Der Ritter packte die Chance am Schopf und erklomm den Rücken des schwerfälligen Tieres. Erneut holte er zum Stoss aus und hielt sich am Schwert fest, als das Eisen im Fleisch steckte. Das Untier schnaubte und fauchte. Es dreht esich und riss die Säulen nieder, während es sich im Kries drehte. Mittlerweile drehte es sich so wild, dass Gustav den Halt verlor und unkontrolliert durch die Halle segelte.
Die Echse verspritzte ihr schwarzgrünes Blut im Saal. Wütend stürzte sie sich auf Gustav, der geschickt reagierte und den Fangzähnen auswich, die sich in den Steinboden rammten.
Gustav rannte in den Thronsaal und riss eine Lanze von der Wand.
In diesem Moment durchbrach das Ungeheuer die Mauer. Holztüren zerbarsten, Steine und Mörtel rieselten von der Decke. Die Luft war auf einmal voll Staub. Die Sicht für Momente getrübt.
Gustavs nahm auch diese Gelegenheit wahr und warf im Schutz der Staubwolke die Lanze. Sie surrte durch die Luft und bohrte sich in den Hals der Echse.
Das Monster rastete vor Schmerz aus. Es schüttelte den Kopf, als wollte es den Fremdkörper abwerfen. Seine Hörner verfehlten Gustav nur ganz knapp. Die vorderen Pranken holte zum Schlag aus. Gustav wurde mit voller Wucht getroffen und knallte dumpf die Überreste einer Säule, wo er regungslos liegen blieb.
Das Untier stampfte auf sein Opfer zu.
„Halt, bei Nuntius – Drakon und Gott! Ich befehle dir stehen zu bleiben!“ Modras Schrei hallte im Saal.
Die Echse musterte den Eindringling.
„Was willst du, alter Mann?“, fauchte Gothin und sein Atem pustete den Abt dabei fast zu Boden. „Verschwinde bevor ich dich zum Nachtisch verspeise!“
„Nithog du hast dich schon immer gern aufgespielt. Aber so mächtig bist du nicht.“
„Woher kennst du meinen Namen?“, fragte die Echse leicht verblüfft.
„Ich weiß weit mehr über dich, als du dir vorstellen kannst.“ Modra trat unerschrocken vor die Echse. „Wo ist der König?“
„Der König?“ Die Echse verzog sein Maul zu einem Grinsen. „Der König ist tot. Lang lebe der König. Siehst du meine Krone nicht, die ich auf dem Haupt trage?“, spottete Gothin.
„Du hast ihn gemeuchelt!?“
„Er war ein dummer König und unvorsichtig obendrein, also ist er an seinem Tod mitschuldig.“ Die Echse kniff die Augen zusammen. „Der Stärkere gewinnt, das war schon immer so. Also verschwinde, bevor ich dich gleich verspeise.“
„Du denkst, du bist mächtig und stark. Aber wie gefällt dir das?“ Modra schleuderte der Echse den faustgroßen Lederbeutel gegen den Kopf.
Erschrocken wich das Untier aus.
Instinktiv spürte es die Gefahr, die sich dahinter verbarg. Eingeschüchtert zog es sich in den Saal zurück.
Mittlerweile knieten Tomek und Marek neben Gustav, der allmählich wieder zu Bewusstsein kam.
„Wo ist das Vieh!“, nuschelte der junge Ritter.
Die Brüder stützten ihn.
„Lasst mich los! Wo ist er?“
Tomek deutete wortlos in den Thronsaal.
„Er hat sich in der hintersten Ecke verkrochen.“, sagte Modra.
„Warum? Was ist geschehen?“
Modra hielt den Lederbeutel in der Hand. „Deswegen. Das Relikt!“
„Was ist das Relikt?“
„Sieh selbst!“ Modra überreichte ihm den Beutel.
Erstaunt nahm Gustav die Kugel aus dem Beutel. Sie glänzte golden und war spiegelglatt. Keine Kerben oder Macken.
„Soll das heißen, er hat Angst vor dieser Kugel?“
Die Brüder nickten einstimmig.
„Und wie erledige ich ihn?“
„Du musst es ihm ins Maul werfen!“, sagte Tomek.
„Also gut dann knöpf ich mir das Ding noch einmal vor.“
Gustav klopfte den Staub vom Wams, nahm eine neue Lanze von der Wand und stapfte los.
„Wo bist du? Hast du schon genug?“, schrie er.
Der Ritter erwartete in der Mitte des dunklen Saals seinen Gegner. Alle Fackeln und Kerzen waren urplötzlich erloschen. Die Finsternis hatte den Raum vollends im Griff.
"Hast du jetzt Angst vor mir?"
Im Augenwinkel nahm Gustav die schemenhafte Bewegung wahr. Er wirbelte herum, die Kugel in der einen die Lanze in der anderen Hand.
Zischend und fauchend erschien der stachelige Echsenkopf zwischen den Säulen. „Du hast noch nicht genug?“
„Nein wir waren noch nicht fertig!“, antwortete Gustav.
„Gut, dann beenden wir die Sache“, zischte die Echse und sprang mit einem Satz in die Mitte.
Das Gemäuer bebte. Gustav taumelte.
In dem Augenblick als er sein Gleichgewicht wieder fand schleuderte er die Lanze. Sie durchschnitt die Luft und blieb in der Brust stecken. Das Ungetüm brüllte. Noch mehr schwarzgrünes sickeret auf den Boden.
Gustav schwang den Beutel und schmetterte die Kugel in den weit aufgerissenen Schlund des Monsters. Dann ging alles blitzschnell.
Das Ungeheuer torkelte und ging krachend zu Boden. Zuckend lag es in einer Lache seines Blutes und wirbelte mit dem Schwanz unkontrolliert Staub auf.
Gustav nahm die Streitaxt von der Wand und taumelte auf die Echse zu.
Der Ritter wartete einen Moment und blickte dem Monster in die Augen, die auch jetzt noch kalten Hass versprühten. Dann kletterte er auf den Schädel und hieb die Streitaxt mit voller Kraft hinein.
„Ich komme wieder!“, krächzte die Stimme bevor der Schäde3l gespalten war.
„Ja aber nicht so lange ich lebe, du Haufen Dreck“, antwortete Gustav und hieb den Kopf vom Hals.
XIII
Sie hatten es geschafft und ihre Aufgabe erfüllt. Das Böse war vernichtet und die Menschheit vorerst gerettet. Da König Katlos Leiche gefunden wurde, hatte man ihm ein ehrenvolles Begräbnis zuteil werden lassen. Der MArschall übernahm vorerst die Geschäfte des reiches bis König Roderick einen neuen Regenten einsetzen würde. Gustav wurde losgeschickt um König Roderick zu informieren.
Hinter dem Hügel ging wie jeden Morgen die Sonne auf und streifte mit Ihren Strahlen die saftige Wiesen und satten Felder. Der Morgentau verwandelte sie in ein Meer aus glitzernden Lichtpunkten, die wie Wellen im Wind wiegten.
Die Silhouetten der vier Reiter hob sich vom Horizont ab.
Gustav verabschiedete sich von seinen neu gewonnenen Freunden. „Ich danke euch für eure Hilfe."
"Wo gehst du nun hin?", fragte Tomek.
"Ich bin ein Ritter König Rodericks. Ich werde ihm die Nachricht vom Tod Katlos überbringen., sagte Gustav mit stolz geschwellter Brust. "Ich gehöre zu ihm."
"Gut, du hast deinen Weg gefunden", sagte Modra. "Du hast die Menschheit vor der Finsternis bewahrt."
Er schüttelte Gustav die Hand. "Danke. Mach es gut mein Freund und achte auf dich. Sende Grüße an König Roderick.“
Tomek trabte neben den Ritter und gab ihm einen Beutel mit Geldstücken. "Es kann zwar kein treues Tier ersetzen, aber es kann den Kummer verkürzen. Das ist die Wiedergutmachung für dein Pferd“, sagte Tomek.
„Und das hier…“, Marek händigte ihm seinen Eibenholzbogen mit Köcher und Pfeilen aus. "…ist für deine Verdienste und deine Freundschaft. Wenn du jemals Hilfe brauchst, dann schick nur einen dieser Pfeile und wir werden kommen.“
„Danke. Ihr seid mir wahrhaft Freunde geworden. Macht es gut.“
Gustav trabte über die Wiesen in Richtung Sonnenaufgang, drehte sich noch einmal im Sattel und winkte.
Die drei Gefährten beobachteten wie seine Silhouette mit dem Horizont verschmolz.
„Na das war mal wieder ein Abenteuer nach meinem Geschmack“, sagte Modra und strich sich über den Bart. „Es wird mir schwer fallen mich wieder ins Kloster zurück zu ziehen und mein Leben den heiligen Schriften zu widmen.“
"Tja Meister so ist das Leben", sagte Marek.
"Kluge Worte, Bruder Marek. Aber nicht gerade weise", sagte Modra.
Lachend ritt er davon und die Brüder folgten ihm.
E N D E
Texte: Michael Fritz Zeh
Bildmaterialien: Alexander Kröner
Tag der Veröffentlichung: 26.02.2013
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