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Freitag.
Willkommen in Hamburg.
Haushohe Kräne leuchten im Abendrot. Container und Kräne bis zum Horizont. Containerschiffe werden von Lotsen und Schleppbooten zum Liegeplatz gebracht.
Über die A7 fahren wir in die Hafenstadt. Durch die Elbtunnel auf die andere Seite. Die Röhre spuckt uns bei Bahrenfeld wieder aus. Von dort geht es in die City. Alles ist vertraut, bekannt und auch erlebt.
Straßenzüge verändern sich selten. Nur Bewohner wechseln. Alles bekannt und doch so fremd.
Seltsames Gefühl in die Stadt zurückzukehren, in der ich elf Jahre meines Lebens verbracht habe. Meine Wahlheimat über eine ganze Dekade. Trotzdem erscheint sie mir heute fremd, wie eine Bekannte aus längst vergangenen Tagen. Nichts ist wie vorher.
Es geht die Stresemannstraße entlang immer tiefer ins pulsierende Herz der Stadt. Der Weg führt am Heiligensgeistfeld/St. Pauli vorbei.
Feldstraße.
Wieder einmal tobt der Dom. Frühlings-Dom. Andauernd findet hier die Kirmes statt. In der ganzen Zeit in Hamburg war ich nur zweimal auf diesem Volksfest.
Bunt blinkende Schaubuden erzählen von tollen Gewinnen. Vom winzigen Schraubenzieher (Trostpreis) bis hin zum kindgroßen Teddy, den noch nie jemand gewonnen hat, ist alles vorhanden. Marktschreier mit Plastikeimern, in denen die Lose sind, verführen Passanten zum Glück. 1 Euro pro Los. Wahrscheinlich über 80% Nieten.
Wurstbuden. Es riecht nach verbranntem Fett. Aufgeplatzte Rote winden sich auf dem Grill. Pommes baden im heißen Fett.
Grölende Menschen in Achterbahnen.
Musik.
Karussell.
Autoscooter.
Eine Momentaufnahme am Freitagabend.
Unsere Fahrt führt uns an der Musikhalle vorbei. Immer tiefer stoßen wir ins Herz der Stadt vor.
Autos schlängeln sich durch die stark befahrenen Hauptverkehrsadern der Stadt.
Über die Kennedybrücke.
Rechts ist die Binnenalster mit der Skyline des Jungfernstiegs zu sehen. Die Wasserfontäne ist heute ruhig. Kein Postkartenmotiv. Vor uns taucht der Hauptbahnhof auf.
Fast am Ziel unserer mehr als sechsstündigen Reise in einem neuen Mercedes GLK in schwarz.


Samstag.
Am nächsten Tag sitze ich nach über siebzehn Jahren wieder auf einem Motorrad. Nachdem die erste Nervosität verflogen ist, folgt die Euphorie.
Gleich zu Beginn lasse ich sie absaufen. Erneuter Versuch. Neu starten. Der Motor summt. Ich fahre etwas wackelig und langsam zur Tankstelle. Das Aufbocken der Maschine bereitet mir Schwierigkeiten. Brauche mehrere Anläufe bis sie steht. Ist alles noch etwas wackelig.
Volltanken. Zwölf Liter haben noch Platz. Danach auf zur ersten Stadtrunde in meinem ehemaligen Kiez.
Ich fahre respektvoll die Grindelallee hoch, biege auf die Bundesstrasse ab und lenke über die Gustav-Falke-Strasse zur Osterstrasse hinaus. Ich lasse meine frühere Wohnung links liegen treibe mich im Wohngebiet herum, fahre zurück zur Dresdner Bank um die Anzahlung zu holen und begebe mich zur Christian-Förster-Strasse.
Alte Heimat noch einmal erlebt. Meine Rundfahrt führt mich zum Hafen, durch die Innenstadt, zum Hauptbahnhof und an der Alster entlang über die Sierichstrasse zurück zum Grindel.
Meine Probefahrt war ein voller Erfolg. Eine Abschiedsfahrt. Gut gelaunt stelle ich das Bike ab. Endlich erfüllt sich ein lang gehegter Traum.


Sonntag.
Ich sehe der Fahrt nach Berlin mit gemischten Gefühlen entgegen. Das Wetter zeigt sich nicht von seiner besten Seite. Gestern schien noch die Sonne und es war relativ mild für Anfang April.
Jetzt Nieselregen. Ein kühler Wind weht um die Häuser. Warm eingepackt mache ich mich auf den Weg. Schon die kurze Fahrt zur Autobahn ist recht windig und kühl. Habe definitiv die falschen Klamotten für eine solche Tour im Frühling. Anfängerfehler.
Vier Shirts, ein Sweatshirt und dicker Pulli unter dem schwarzen Parka reichen nicht aus. der Wind bläst durch den Stoff bis zur Haut.
Ich tröste mich damit, dass die Fahrt nur vier Stunden dauert. Sicher bin ich mir nicht.
Über den Horner-Kreisel gehts zur Autobahn.
Den Gashahn aufgedreht und los. Die ersten 150 Kilometer zuckle ich mit gemütlichen 100 km/h über die schlechte Autostrada. Überall Flicken auf der Fahrbahn. Ein wenig ängstlich und unsicher mute ich mir nicht zu viel zu.
Trotz Kälte und Wolken macht die Fahrt mehr und mehr Spaß. Wenn nur der kalte Wind nicht wäre.
Ab und zu lächelt die Sonne durch die Wolkendecke. Zum Glück regnet es nicht. Ein gutes Omen.
Beim ersten Stopp muss ich mich aufwärmen. Ich bin total durchgefroren, die Glieder schmerzen. Hände, Beine und Nacken sind verspannt. Ungewohnte Bewegungsabläufe und Sitzposition.
Nach einer kleinen Pause, bei der ich mir einen heißen Kaffee gegönnt habe, kommt nun der Endspurt.
Noch ungefähr 150 km liegen vor mir. Ich rase vom Parkplatz auf den Beschleunigungsstreifen und drehe den Motor zum Ersten Mal hoch. Ich will nun wissen was ich mir gekauft habe. Die Maschine zieht und zum ersten Mal spüre ich ihre Power. Sie will gefahren werden.
Ich werde mutiger und beschleunige auf 120 und immer wieder bis 140. Ab 150 wird es ungemütlich. Das Bike beginnt zu unruhig zu schlackern. Ich pendle mich bei 120 ein. Das reicht vorerst vollkommen.
67 km kann ich es laufen lassen. Endlich LKW´s Überholvorgänge sorgen für etwas Abwechslung. Stures geradeaus fahren macht tröge. Die Zeit vergeht im Flug. Schneller als beim Autofahren.
Ich bin wach und konzentriert.
In der Gegenwart.
Im Sein.
Im Jetzt.
Am Leben.
Die Windgeräusche dröhnen, aber sie stören irgendwann nicht mehr, sind nur noch ein Teil der Reise. Dann nach vier Stunden ist es geschafft. 268 km liegen hinter mir. Der erste Teil meiner Etappe ist geschafft. Als ich bei Sebastian ankomme schlottere ich. Ich brauche etwas Warmes. Bin total unterkühlt. Langsam kommt Leben in meinen Körper zurück. Doch die Fahrt fordert ihren Tribut. Erschöpft plumpse ich in den bequemen Stuhl.
Am nächsten Tag bin ich unfähig etwas zu unternehmen. Ich faulenze auf der Couch. Ein kurzer Spaziergang abends kurbelt meinen Kreislauf etwas an.
Danach schlafe ich ziemlich schnell ein.


Montag.
7.25 Uhr. Die Straße ruft. Meine letzte und größte Etappe liegt vor mir. 648 km.
Morgenverkehr in Berlin. Für 15 Kilometer benötige ich über eine Stunde. Im Stopp-and-Go-Tempo geht es schleppend voran. Auto und LKW stinken mich abwechselnd voll, blasen mir ihre Abgase ins Gesicht. Großstadt-Wahnsinn. Jeden Morgen zieht die Blechlawine durch die Straßen der Städte. Vorschriftsmäßig schleiche ich hinter einem rußenden LKW her bis ich eine Chance sehe ihn hinter mir zu lassen.
Endlich lasse ich die Stadt hinter mir.
Noch einmal voll tanken. Dann ab auf die Autobahn. Vier- und dreispurige Straßen. Neuer Belag. Eine wahre Freude. Der Weg führt mich durch Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Bayern bis nach Baden Württemberg.
Zuerst begleitet mich die Sonne, strahlt vom fast wolkenlosen Himmel. Mein Ritt wird zum Abenteuer. Gut gelaunt düse ich über die neuen Autobahnen. Jetzt weiß ich wo der Solidaritätszuschlag hinfließt. Es macht Spaß über die neuen Straßen zu brettern. Jedoch ändert sich das schlagartig, als ich in ein Nebelloch fahre.
Die Sonne verschwunden und es kühlt mit sofortiger Wirkung ab. Feiner Tau legt sich auf meine Klamotten. Es wird kalt. Die Kälte dringt zu meinen Knochen durch. Glücklicherweise habe ich diesen Abschnitt bald hinter mir. Dann lacht die Sonne als wäre sie nie weg gewesen. Die Wärme trocknet den Parka.
Der zweite Stopp führt mich in ein kleines Dorf weitab der Autobahn. Eine Aral-Tankstelle. Beim Aufbocken der Suzi spüre ich meine lahmen und kalten Glieder. Ich muss aufs Clo. Dann stelle mich ein paar Minuten in die Sonne. Ihre Strahlen wärmen mich auf.
Heute habe ich mir Zeitungen um den Bauch geschnallt. Hält den Wind ab. Etwas. Ein wenig. Besser als Nichts. Im Gegensatz zum Sonntag, wo der Wind ungestört bis zur Brust durchgeblasen hat, ist es um Welten besser.
Ich setze meine Reise fort und plötzlich friert es mich schon nach ein paar Kilometer. Ich bin noch nicht einmal auf der Autobahn. Keine Ahnung wie viele Kilometer noch vor mir liegen. Noch viele.
Anhalten, die Klamotten richtig in die Hose stecken und weiter geht es mit zusammen gebissenen Zähnen.
Auf der Autobahn kümmert es mich nicht mehr, dass ich friere oder vielleicht habe ich es einfach vergessen, weil der Körper Adrenalin durch die Blutbahn pumpt.
Diesmal brause ich mit 140 km/h über den Asphalt. Ich habe noch über 300 km vor mir.
Das Wetter schlägt wieder um und von Bundesland zu Bundesland wechselt der Fahrbahnbelag. Mal ist er im miserablen Zustand, dann wieder erste Sahne.
der Himmel bewölkt. Ich überhole Autos und LKW, bin im Fluss. Immer wieder lege ich mich auf den Tankrucksack. Verringerter Luftwiderstand. Die Maschine fährt schneller und stabiler. Außerdem tut langsam das Hinterteil und die Beine weh. Ständig wechsle ich die Sitzposition. Die Sitzbank ist hart, nicht für mich gedacht. Das sollte ich noch mehrere Male erfahren dürfen. Ein besonderes Leben wird der Ritt von Rom nach Stuttgart Non-Stopp.
Dritter Boxenstopp an einem Rasthof. Ich beschließe mir eine heiße Flädlesuppe zu genehmigen. Die erste warme Mahlzeit. Die heiße Brühe bringt die Lebensgeister in meinem ausgekühlten Körper.
Die Weiterfahrt ist angenehmer. Ich friere nicht mehr. Irgendwann weiß ich nicht mehr wie ich sitzen soll.
Jetzt wird die Tour zur Tortur. Quälend langsam ziehen sich die Kilometer dahin. Zehn Kilometer werden zu gefühlten einhundert. Und zu guter Letzt regnet es. Die ganze Zeit habe ich für eine trockene Fahrt gebetet. Doch die letzten Kilometer wird mein Gebet nicht erhört.
Im Regenschauer fahre ich mit verminderter Geschwindigkeit durch Baustellen, klemme hinter LKW´s fest.
Das Helmvisier vom Spritzwasser verdreckt. Regen spült den Schmutzfilm fort. Die Angst vor den rutschigen Fahrbahnmarkierungen vermiesen mir die Laune.
Kilometer um Kilometer quäle ich mich dem Ziel entgegen. Immer in der Hoffnung, dass der Regen bald aufhört.
Vierter Stopp. 150 km zum Ziel. Es gießt in Strömen. Meine Schuhe und Hosen sind längst durchnässt. Wie erwähnt Anfängerfehler.
Beim Pinkeln bekommt man Gutscheine im Wert von 0,50 Euro, die man im Shop einlösen kann. Folglich bleibt das Geld beim Besitzer der Raststätte. Clevere Idee. Ich trinke einen warmen Kakao. Die Toiletten funktionieren mit Unterdruck. Ich finde es immer noch eine Halsabschneiderei, dass man fürs Pinkel zahlen muss. Frage mich, wo die Mitmenschlichkeit bleibt?
Ich schlürfe meine Tasse Kakao und bereite mich auf den letzten Teil meiner Tour vor. Meine Handgelenke schmerzen, der Nacken und die Schultern sind verspannt. Ich freue mich auf zu Hause.
Der Regen hört auf. Die Fahrbahn ist noch nass, aber auch dass gehört bald der Vergangenheit an. Ich bin dem Regengebiet entkommen.
Als die Straße wieder trocken ist, drehe ich den Gashahn auf. Ich will nach Hause. Nun zeigt sich die Sonne wieder und meine Lust am Fahren keimt erneut auf.
Die letzten fünfzig, vierzig, dreißig Kilometer. Endlich verlasse ich die Autobahn.
8 Kilometer Landstraße. Der Geschwindigkeitsunterschied kommt mir surreal vor. Das Rauschen unter dem Helm wird leiser.
Dann fahre ich in Stuttgart ein.
Nach vier Tagen und ca. 900 km beende ich meine erste Motorradtour nach siebzehn Jahren Abstinenz.
Erschöpft, körperlich am Ende und mit durchnässten Klamotten steige ich von der Suzi. Zuhause.
Als ich in der Wohnung bin und meine Klamotten in der Ecke liegen zittere ich am ganzen Körper. Die Anspannung fällt von mir ab. Für die Kälte, die Erschöpfung und den Adrenalinkick dem der Körper ausgesetzt war zolle ich nun meinen Tribut.

Suzuki GS500E
Bj: 1999
15000 km
grün metallic

Impressum

Texte: Michael Fritz Zeh
Bildmaterialien: Michael Fritz Zeh
Tag der Veröffentlichung: 22.02.2013

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