Cover


I
Der Reiter scheuchte sein Pferd durch die engen Windungen der Schlucht. Das Klappern der Hufe prallte, wie Trommelschläge vor der Schlacht von den Felswänden. Ihr Echo hallte über das Land. Schnaubend quälte sich das Pferd durch die Bruthitze. Getrockneter Schaum um seine Nüstern. Das Fell über und über mit weißen Schweißflecken bedeckt. Jeder Schritt eine Belastung. Das Tier war esrchöpft konnte das Tempo nicht mehr lange durchhalten. Zu lange war es und sein Herr, der in der Rüstung aus Eisen garte, schon unterwegs.
Der schwarze Umhang mit dem Wappen eines brüllenden Tigers der zum Sprung ansetzte flatterte unbändig im Wind.
Der Ritter hatte die Zügel um sein Handgelenk gebunden, gleichzeitig die Standarte mit dem gelben Wimpel mit Riemen am Sattel festgezurrt.
„Schneller mein Junge“, feuerte er den Hengst immer wieder mit krächzender Stimme an.
Das offene Visier des Helmes ließ etwas Abkühlung in die aufgeheizte Rüstung, in der der Ritter in seinem eigenen Saft kochte.
Pferd und Reiter hetzten über die steinige Einöde. Steine und Felsen. Kein Baum oder Busch, die etwas Schatten spendeten. Pferd und Reiter sehnten sich nach einer Pause. Aber an Ruhe war nicht zu denken, sie hatten eine wichtige Botschaft zu überbringen und der Auftrag ging vor.

Der Ritter war der königliche Bote mit dem geheimen Auftrag, die Depesche bis Mitternacht an König Klatos persönlcih zu überbringen. Das Einzige, was man ihn wissen ließ, was er zu wissen brauchte, war es ging um Leben und Tod; und die Botschaft musste pünktlich Beim Empfänger eintreffen.
Doch die meisten Botschaften, die er in den letzten Wochen befördert hatte waren wichtig und lebensnotwendig gewesen. Das Schicksal ganzer Königreiche, die Nachrichten über Sieg oder Niederlage einer Schlacht hatten schon an seinem Sattel gebaumelt.
Aber diese kleine Rolle die nun an seinem Gürtel hing, wurde ihm mit so einer Eile und ehrfurchtsvoll übergeben, daß er spürte, es war etwas Besonderes.
"Es muss pünktlich ankommen. Es hängt das Leben von vielen Völkern ab", bleute ihm sein Herr König Roderick ein.
"Ja Majestät, ich verstehe."
"Dann los. Verliert keine Zeit."
Am folgenden Abend war losgeritten und nun seit drei Tage ununterbrochen im Sattel.
Sein Rappe strauchelte immer wieder und knickte mit den Vorderhufen ein.
„Los, mein Junge, bald haben wir es geschafft. Ich verspreche dir Ruhe und Wasser so viel du saufen kannst, dazu einen Wagen voller Hafer. Halte durch“, ermutigte er seinen treuen Gefährten. Der Ritter wusste, dass sein Pferd am Rande der Erschöpfung war.
Das Tier trabte unermüdlich weiter. Es verstand nichts von menschlichen Interessen, aber es war seinem Herrn bis in den Tod treu ergeben.

Tomek spähte in die Schlucht. ZUesrt erkannte er die Staubwolke, dann den Reiter, der wie ein Berserker sein Pferd durch die Schlucht trieb.
Ein Pfiff und auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht tauchte eine Silhouette hinter dem Felsen auf. Tomek gab mit dem Bogen das verabredete Zeichen und eilte dann zu seinem Pferd, sprang in den Sattel und gab dem Ross die Sporen. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher, während sein Pferd den Hügel hinab galoppierte. In der Schlucht traf er auf den anderen Reiter.
„Hast du ihn gesehen?“, fragte Tomek.
„Ja“, antwortete Marek und blinzelte in die Sonne. „Ist das unser Mann?“
„Es scheint es zu sein“, kam die Antwort. Tomek blinzelte in die Sonne.
“Er ist früh dran. Ich habe ihn erst später erwartet. Modra hatte Recht“, meinte Marek. „Wir müssen los.“
„Man kann es schon spüren“, sagte Tomek.
„Los komm“, rief Marek und trabte los.
Marek spannte den Bogen und wartete auf den richtigen Moment. Wenn der Reiter um die Ecke kam, würde er ihn vom Pferd holen.
„Nicht den Reiter. Schieß auf das Pferd“, murmelte Tomek. "Wir sollen ihn am Leben lassen."
Hufegtrappel. Das Schnauben des Pferdes. Staub war zu sehen. Der Reiter galoppierte nichtsahnend in den Hinterhalt.
„Jetzt“, rief Tomek, als das Pferd schnaubend um die Biegung preschte.
Pfeile surrten durch die Luft.
Der Hengst stürzte unkontrolliert. Schmerzen in der Brust und im Hals.
Der Reiter flog im hohen Bogen über den Hals seines Rappens, krachte gegen die Felswand und verlor das Bewusstsein.
Das Pferd versuchte noch einmal auf die Beine zu kommen. Vergeblich. Dann sackte es kraftlos in den Staub und strampelte reflexartig ein letztes Mal. Noch ein paar hektische laute Atemzüge und ergab sich dann seinem Schicksal.

Die Bogenschützen zielten mit dem Bogen auf den Boten, der in seiner zerbeulten Rüstung regungslos im Dreck lag.
„Na mein Freund, wo hast du denn die Botschaft?“, raunte Tomek, drehte ihn auf den Rücken und tastete ihn ab.
„Aha, hier ist sie ja.“ Er schnitt die in Leder gebundene Rolle vom Gürtel und holte das Pergament heraus.
Dann brach er das königliche Siegel.
„Und?“, fragte Marek. „Ist sie’s?“
„Ja. Es scheint noch viel schlimmer zu sein.“ Tomek blickte nachdenklich zu seinem Kampfgefährten.
„Ist er wirklich schon so nah?“ Marek blickte suchend in den wolkenlosen blauen Mittagshimmel.
„Ja ich befürchte, es hat bereits begonnen.“ Tomek steckte die zusammengerollte Botschaft in sein Wams. „Lass uns die Botschaft schnell zu Modra bringen."
"Was machen wir mit ihm?"
"Lass ihn liegen. Er wird es schon schaffen. ich glaube nicht, dass er uns erkannt hat", sagte Marek.
Sie stiegen in die Sättel und ritten in windeseile davon.

II
Umgeben von einem gewaltigen schneebedeckten Bergmassiv thronte die Burg ehrfurchtsvoll am See. Nur eine unwegsame Landstraße schlängelte sich in den dichten Wald der das Tal abgrenzte. Es gab nur diesen einen Pfad der zum Schloss führte.
Die Bauern und Einheimische erzählten sich Geschichten von seltsamen Dingen, die im Wald vor sich gingen. Von unheimlichen Geistern, gewaltigen Drachen, zauberhaften Feen und wilder Hexerei war die Rede. Obwohl noch niemand etwas davon zu Gesicht bekommen hatte, lebten die Legenden fort. Wer ins Schloss gerufen wurde, achtete darauf die Straße nicht zu verlassen. Die Angst sich im Wald zu verirren war zu groß.
Tag und Nacht kreisten schwarze geierartige Vögel über den Zinnen und den Türmen der Burg. Bedrohlich segelten sie am Himmel, wie Vorboten einer dunklen aufziehenden Katastrophe. Ihre schrillen Pfiffe beschwörten das Böse. Sie schienen entgegen der landläufigen Meinung die wahren Wächter über Tal, LAnd und Burg zu sein.

König Klatos schritt unruhig im Thronsaal auf und ab.
„Wo bleibt er nur?“ murmelte er immer wieder. Dabei schweifte sein Blick andauernd zum Fenster. "Diese Biester, kann sie nicht jemand vom Himmel holen?"
„Sire?“ fragte Gonith, der königliche Berater.
Er kauerte auf dem Hocker in der Ecke und beobachtete jeden Schritt seines Herrn.
„Schau mich nicht so fragend an, Gonith. Du weißt genau, wen ich meine. Der Bote Rodericks müsste längst hier sein. Roderick weiß, um die Wichtigkeit der Nachricht.“
Der König zupfte an seinem grauen Bart. Die Krone saß schief auf seinem Kopf. Er musterte seinen Berater und lief erneut zum Fenster, schob den dunkelblauen Samtvorhang zu Seite und blickte ins Tal. Die Straße war wie leergefegt. Nur ein paar Bauern mit ihren Fuhrwerken quälten sich mühsam den Hügel hinauf.
„Was machen die Bauern da?“ Der König sah Hilfe suchend zu seinem Marschall. „Heute ist kein Vorsprechen.“
„Sire, heute ist der Zehnte! Sie kommen und bringen euch eure Steuern“, antwortete der dicke Marschall.
„Gut.“ Der König rieb sich die Hände und konnte sich ein Lächeln nur schwer unterdrücken.
Ein schriller Pfiff ertönte im Tal. Der König guckte in den Himmel. Die schwarzen Vögel zogen ihre Kreise.
Ob sie was spüren?, dachte er.
Anschließend richtet er einen strengen Blick auf seinen Berater.
„Es wäre unser Untergang, wenn dem Boten…, wie war sein Name?“
„Ritter Gustav, Sire.“, sagte der Marschall.
„Also wenn diesem Ritter Gustav etwas zugestoßen wäre. Dann haben wir ein großes Problem, das wissen Sie doch.“
"Ja, Sire." Gonith wusste genau wovon der König redete.

III
Der Vollmond ergoss sein Licht über die hohe Klostermauer. Das massive Holztor versperrte den Weg in den Innenhof, der quadratisch angelegt war und an dessen vier Ecken Glockentürme in die Höhe ragte. Über den Hof ging es zur Kapelle, in der die Abendmessen und Gottesdienste abgehalten wurden. Die gusseisernen Glocken riefen pünktlich zum Gebet. Im Hof gab es einen Brunnen, daneben kleine Gemüse- und Kräutergärten, die von den Mönchen gehegt und gepflegt wurden. Rechts davon führte ein Weg in die Vorratskammer, in der das Korn, Getreide und Hafer lagerte.
Katzen strichen im Schutz der Nacht durch die Gänge und jagten Ratten und Mäuse, die sich am Getreide satt fraßen.
Durch den mit Fackeln beleuchteten Hofgang gelangte man zu den einzelnen Zellen. Am Ende des Korridors war die Zelle des Abtes. Hier brannte in dieser Nacht das einzige Licht in der Abtei. Der alte Abt hockte über ein Buch gebeugt auf dem Holzschemel.
Eine innere Unruhe ließ ihn das Buch lesen, die Buchstaben rannten vor seinem geistigen Auge vorbei, aber den Sinn erfasste er nicht.
Als das Hufgetrappel vor der Abtei ertönte beruhigte er sich.
"Endlich!", atmete er.

Die zwei Gestalten zügelten ihre Pferde vor dem Klostertor.
„Branek, mach´ das Tor auf. Wir sind es Tomek und Marek“, rief Tomek mit lauter Stimme. „Komm schon, beeil dich.“
Nach einer ganzen Weile knarrte das Tor.
Die Brüder ritten in den Hof, rutschten aus dem Sattel und übergaben die Zügel dem alten Mönch der mit einer Laterne in der Hand auf sie zukam.
„Ah, der gute alte Bruder Tomek und Bruder Marek. Was wollt ihr noch so spät hier, Brüder?“ begrüßte er sie.
Er hielt die Lampe in die Höhe um sie besser zu sehen und zeigte dabei seine Lederaugenklappe über dem rechten Auge und seine fauligen Zahnstummel.
„Modra erwartet uns“, sagte Tomek.
Der Alte nickte. „Ich sorge nur ganz kurz für eure Pferde. Dann bringe ich euch gleich zu ihm. Johannes.“
Ein junger Novize kam aus dem Stall und übernahm die Pferde. „Sorge dich um die Tiere, gib ihnen Wasser und Hafer.“
„Gewiss“, erwiderte der junge Mönch und führte die Rösser über den Hof.
Branek lief zum Hofgang und die Brüder folgten ihm bis zum Ende des Korridors. Der Alte stieg die Stufen hinauf und hämmerte mit der Faust an die Tür.
Poch. Poch. Poch.
„Ja“, erklang die Stimme aus der Zelle.
„Meister, ich bin es Branek.“
„Was ist?“
„Ich habe Tomek und Marek bei mir. Sie wollen dich sprechen.“
„Kommt herein.“
Die Drei betraten den Raum. Die Tür knallte hinter ihnen ins Schloss.
Marek zuckte erschrocken zusammen.
„Du wirst doch keine Angst haben Marek?“ sagte Modra, der sich vom Schemel erhob und um den Tisch ging.
Sein schlohweißer Bart reichte bis zu den Knien und die ebenfalls weißen Haare fielen wallend auf die Schultern.
„Keine Angst, ich mache dir nichts“, sagte der Abt. "Da kennen wir uns so lange und du hast Angst vor mir." Modra lächelte Marek zu. „Ich bin froh, dass ihr endlich hier seid. Ist alles nach Plan gelaufen?“, begrüßte er Tomek mit sanfter Stimme und klopfte ihm herzlich auf die Schultern.
"Ja, Meister." Tomek zog die Rolle unter dem Wams hervor und übergab sie dem Abt. Modra entrollte das Pergament, lief zum Tisch und nickte während er die Zeilen las.
„Die Prophezeiung“, murmelte er vor sich hin. „Der Zeitpunkt rückt näher. Wie ich es vorausgesagt hatte.“
„Ja das wissen wir, aber was kann man dagegen tun? Wie kann man es aufhalten?“ fragte Tomek.
Modra runzelte die Stirn. Er tapste mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab.
„Wie mir bekannt ist, gibt es nur einen Auserwählten, der das Ganze aufhalten kann.“
„Und wer ist das?“, fragte Marek.
„Ich kann es euch nicht genau sagen. Aber ich weiß wo es geschrieben steht. Folgt mir.“
Modra zog am Kerzenleuchter über dem Kamin, in der Wand schwang eine Geheimtür auf. Eine Wendeltreppe führte in einen hohen Raum. Der Abt entzündete Fackeln und Kerzen, bis der Raum hell erleuchtet war.
Branek zog einen Stein aus der Mauer und die nächste Wand versank in den Boden. Dahinter lag eine weitere Treppe, welche bis zu einer Tür mit Eisenbeschlägen führte.
Modra hantierte mit einem großen Schlüssel, den er unter seiner schwarzen Kutte hervor holte und öffnete das Schloss.
Sie betraten nun ein Bibliothek mit langen Regalreihen und haufenweise Bücher und beschriebenen Pergamentrollen.
Der Abt steuerte direkt auf einen Tisch mit dicken Wälzern zu, wühlte und blätterte in den Seiten bis er das gefunden hatte was er suchte.
„Ach hier steht´s“, rief er freudestrahlend. „Der Überbringer der Botschaft ist auserkoren die Welt in den Fugen zu halten. So steht es hier geschrieben.“
Tomek und Marek sahen sich verständnislos an.
„Du meinst, wenn ich die Botschaft überbringe, dann bin ich der Auserwählte?“ fragte Tomek.
Modra lachte. „Nein, so leicht ist es gewiss nicht. Hier in dieser Schrift…“ Modra hielt das Buch in die Luft. „…steht geschrieben, der Auserwählte ist derjenige der den Befehl erhalten hat die Botschaft König Klatos zu überbringen.“
„Also, der Bote“, grunzte der bucklige Branek. "Ist doch einfach."
„Ja, genau der“, sagte Modra. „Wo ist er?"
"Wer? Der Bote?", fragte Marek.
"Ja der Bote. Ihr habt ihn doch nicht getötet, oder?“
Marek vermied jeglichen Augenkontakt mit seinem ehemaligen Lehrer.
„Also getötet haben wir ihn nicht. Aber ob er noch lebt können wir nicht mit Sicherheit sagen, Vater“, erklärte Tomek und senkte dabei schuldbewusst den Blick.
Dann berichtete Marek was sich in der Schlucht zugetragen hatte.
„Es gibt nur eine Möglichkeit, wir müssen zurück und schauen ob er noch lebt. Branek sattle mein Pferd“, ordnete Modra an.
In seine Augen funkelte die lang verloren geglaubte Abenteuerlust.


IV
Gustav kam zu sich. Nacht. Etwas benommen nahm er den schweren Helm ab. Der Kopf brummte.
Neben ihm lag sein treuer Hengst. Die Fliegen summten um den stinkenden Kadaver. Ein Pfeil steckte im Hals und ein zweiter in der Flanke.
Gustav streichelte das leblose Tier.
Er entledigte sich der schweren Rüstung und warf Brustpanzer und Kettenhemd in den Staub.
Dann trottete er mit der Standarte, auf der er sich abstützte durch die Schlucht.
„Ich muss die Botschaft überbringen“, murmelte er vor sich hin. "Diese Strauchdiebe. Viel gefunden habt ihr ja nicht."
Die Botschaft. Sein Auftrag war es die Botschaft zu überbringen. Alles andere war ihm jetzt egal. Ohne Pferd war es zwar schwieriger, aber er durfte nicht aufgeben. Seine Hand tastete den Gürtel ab. Die Rolle mit der Depesche war weg.
Wo war sie?
Erschrocken suchte er in der Dunkelheit auf allen Vieren anch ihr.
Die Gedanken kreisten, um seinen königlichen Auftrag und seine Ritterehre. Wenn er die Botschaft verloren hatte, dann war sie verwirkt.
Wie konnte er je wieder unter die Augen des Königs treten?
Er wusste, was der König in solchen Fällen zu tun beabsichtigte. Sicherlich würde ein Exempel an ihm statuiert werden.
„Das ist wieder einmal typisch“, schimpfte er. „Wenn ich einmal eine Chance bekomme vermassle ich sie.“
Am Himmel zogen schwere und graue Wolken auf. Sie schoben sich vor die Sterne und den vollen Mond. Plötzlich war es stockfinster in der Schlucht.
Donner.
Wetterleuchten.
Das Unwetter braute sich über ihm zusammen.
Blitze erhellten die dunkle Schlucht, während die Felswände das Donnergrollen zurückwarfen. Die Erde bebte.
„Auch das noch“, murmelte Gustav wutentbrannt.
Die ersten Regentropfen landeten auf seinem Haupt. Das Gewitter entlud sich über ihm. Er faltete die Hände und trank das Wasser. Jeder Schluck belebte seine Sinne. Der Regen prasselte stärker herab und weichte das ausgetrocknete Erdreich vollkommen auf.
Gustav stapfte durch den Moras, jeder Schritt wurde zur Tortur. Schließlich entschloss der junge Ritter eine Pause einzulegen und setzte sich an die Felswand. Sie schützte ihn wenigstens ein wenig vor dem Regen.
Ich brauche einen Plan, dachte er. Zuerst muss ich die Halunken finden, die mein Pferd getötet und die Depesche gestohlen haben.
Er fragte sich was räudige Straßendiebe mit einer Nachricht anfangen wollten?
Wahrscheinlich hatten sie mehr erwartet. Gold oder Edelsteine. Aber warum hatten sie dann nur die Rolle mitgenommen und ihm am Leben gelassen? Sie wussten genau was sie taten. Es waren keine herkömmlichen Wegelagerer gewesen.

Die Geier labten sich am toten Kadaver des Pferdes. Der Ritter war spurlos verschwunden.
„Wo ist er?“ fragte der Abt, der seit langem wieder im Sattel saß und den Ausflug genoss.
„Keine Ahnung. Als wir los geritten sind lag er noch hier.“ Tomek zeigte auf die Stelle, wo Helm und Rüstung lagen.
„Auf jeden Fall wissen wir, dass er nicht tot ist“, sagte Marek. „Wie müssen uns beeilen, denn wie es aussieht braut sich ein höllisches Unwetter zusammen.“
„Du hast recht“, bestätigte Tomek. „Wir müssen los, bevor sich die Spuren im Regen verlieren.“
„Allzu weit kann er noch nicht gekommen sein.“
„Also gut, dann weiter“, rief Modra und gab seinem Schimmel die Sporen.
Marek fand den Brustpanzer, der zur Hälfte vom Schlamm begraben war.
„Hier muss er entlang gekommen sein“, schrie er gegen den Donner und Regen an.
„Ja und das kann noch nicht lange her sein“, rief Tomek. „sonst wäre der Panzer längst nicht mehr zu sehen.“
Sie trieben die Pferde an und preschten über den aufgeweichten Boden.
Das Unwetter tobte. Der tosende Wind peitschte dicke Tropfen in ihre Gesichter. Der Regenvorhang dunkel und undurchdringlich. Man konnte die Hand kaum vor Augen sehen. Nur die Tiere trabten verlässlich und instinktiv durch die Schlucht.

Klopp. Klopp. Klopp.
Gustav hörte den Hufschlag und griff zum Schwert. Er blickte in die Regenwand und erwartete die herannahenden Reiter. Aus dem Nichts tauchten schwarze Silhouetten auf. Drei Reiter. Und sie führten ein gesatteltes Pferd hinter sich her.
Gustav stellte sich ihnen in den Weg.
„Halt wer seid ihr, im Namen des Königs?“ rief er den Gestalten zu.
Die Reiter zügelten die Pferde.
„Wer seid ihr?“ fragte Gustav erneut. „Gebt euch zu erkennen. Im Namen des Königs, sagt mir euren Namen.“
Modra schlug die Kapuze nach hinten. „Wer gibt euch das Recht unsere Reise zu unterbrechen, junger Herr?“
„Ich nehme mir das Recht. Ich bin Ritter Gustav von Klondik und diene dem König.“
„Welchem König?“, donnerte der Alte vom Pferd, während der Blitz ihn eindrucksvoll in Szene setzte.
Gustav erstarrte vor der stolzen Erscheinung im Sattel.
„Eurer Majestät König Roderick“, erwiderte Gustav und reckte das Schwert in den Himmel.
„Ah, dann seid ihr unser Mann, junger Mann“, kam die Antwort.
„Wie? Ihr sucht mich. Hat euch König Klatos geschickt?"
"Warum, sollte er?", fragte Modra.
"Weil ich bin unterwegs zu ihm."
"Und wo ist euer Pferd? Oder seid ihr zu Fuß unterwegs?"Die Diebe haben mein Pferd getötet und eine wichtige Sache an sich genommen.“
Marek und Tomek schielten unter ihren Kapuze hervor und lächelten, als sich ihre Blicke trafen.
„Nicht ganz, edler Herr“, sagte Tomek.
„Wir handeln im Auftrag eines größeren Herrn“, fügte Marek hinzu.
„Was soll das heißen?“, fragte der Ritter. „Seid ihr nicht für Euren König? Es gibt keinen größeren Herrn in diesem Land als euer König Klatos…“ Gustav schwieg und musterte die Fremden. „Außer Gott vielleicht. Seid ihr Diener Gottes?“
„Was denkt ihr, junger Herr?“, Tomek trieb weiter sein Spiel mit Gustav.
„Ich denke, wir haben genug geplaudert. Gebt euch zu erkennen“, zischte der Ritter.
Tomek wollte gerade aus dem Sattel steigen als, sich Modra einmischte.
„Genug ihr Hitzköpfe. Beendet Euer beider Geplänkel. Wir sind Gottesdiener, Herr Gustav.“ Der Abt beugte sein Haupt vor dem Ritter. „Ich bin Abt Modra vom Orden der Heiligen Illusios und das sind die Brüder Marek und Tomek. Ich schlage vor, wir begeben uns an einen trockeneren Ort. Was haltet ihr von diesem Vorschlag?“ Er bot Gustav das vierte Pferd an. "Nehmt das Pferd so lange."
„Ich nehme eure Einladung dankend an. Ich bin froh wenn ich ein Dach über dem Kopf habe. Und etwas zu essen ist nie verkehrt.“
„Also steigt auf“, erwiderte Modra.


V
Im Kamin knisterte das Feuer. Die Wärme erfüllte den Raum und die Männer saßen stumm am Tisch und genossen ihre Mahlzeit. Nur ihr lautes Schmatzen erfüllte die Klosterküche.
Gustav verschlang das frische Brot und trank den Wein der Klosterkelterei.
Modra hatte die Mönche aus der Küche geschickt, um allein und ungestört mit seinen Gästen zu speisen. Er wies Branek an bis aufs weitere die Tagesgeschäfte zu übernehmen.
„Vor langer Zeit wurden in dieser Abtei eine geheimnisvolle Schriftrolle entdeckt.“ Modra hatte sich zurückgelehnt, den Kopf gesenkt und die Hände ineinander verschränkt. „Sie war in einer sehr alten Sprache verfasst und es dauerte Jahrzehnte bis die Mönche den wahren Gehalt des Textes erfassen konnten.“
"Ja und warum erzählt ihr das?", schmatzte Gustav.
"Ihr werdet es gleich erfahren."
"Was?"
"Es hat mit euch zu tun", sagte Marek.
„Was hat ein uralter Text in einem Kloster mit mir zu tun?“ Gustav schob sich weiter Brot und gekochten Schinken in den Mund. Mönche waren seiner Meinung nach schon immer seltsam und eigenartig. Sie fanden immer wieder irgrendwelche Omen und Orakel, die sie nach ihrem Gutdünken interpretierten.
„Habt Geduld ihr werdet gleich verstehen“, sagte Marek. „Lasst den Abt ausreden.“
„In der Schrift wird der Kampf zwischen Gut und Böse, Dunkel und Hell, beschrieben.“
„Das predigen uns die Pfaffen schon seit Jahrzehnten. Ihr müsstet wissen, dass nichts an der Sache dran ist“, warf Gustav ein und richtete den verächtlichen Blick auf Modra. „Es ist ein Mittel der Kirchenmänner, um das dumme Volk zu erschrecken.“
„Es wird stattfinden“, erwiderte Modra ruhig. „Weiterhin steht geschrieben, dass ein Mann kommen wird der diese Schlacht für die Menschen schlagen wird.“
Gustav lachte und prustete den Wein über den Tisch. „Ammenmärchen für Kinder. Ihr glaubt doch nicht daran.“
Tomek und Marek durchdrangen ihn mit bohrenden Blicken, so dass sein Lachen erstarb.
„Ihr glaubt also an dieses Märchen?“
Stille.
Nur das Feuer im Kamin knisterte.
In der Ferne erklang der Gesang der Mönche.
„Der Kampf wird über den weiteren Weg der Menschheit entscheiden. Entweder wird sie ins Licht gehen oder ihr stehen dunkle Zeiten bevor“, erhob Modra die Stimme.
Seine Haare flatterten um seinen Kopf, die Augen glühten und verschossen Feuerblitze. Sein Körper bebte und schwebte über dem Stuhl.
Heftiger Wind fegte durch die Küche, brachte Töpfe zum erzittern und fegte Teller aus dem Regal.
Die drei Männer sprangen auf und starrten fassungslos auf den schwebenden Abt.
Gustav traute seine Augen nicht, er hatte schon von schwebenden Menschen gehört, sie immer als Ammenmärchen abgetan und nun war er selbst Zeuge einer solchen Erscheinung.
„Weißt du was in der Depesche steht?“, dröhnte Modras Stimme.
Gustav schüttelte den Kopf. „Nein, das weiß ich nicht.“
Der Abt berührte den Boden, der Sturm in der Küche verebbte. Ruhe kehrte ein.
"Setzt euch", sagte Modra und deutet auf die leeren Stühle.
Gustav setzte sich ohne den Abt aus den Augen zu lassen.
Modra zog die königliche Depesche hervor und breitete sie aus.
„DIEBE!“ Gustav sprang auf, zückte sein Schwert. „Ihr Diebe gebt mir das Eigentum des Königs zurück. Ihr habt das königliche Siegel zerbrochen, darauf steht die Todesstrafe. Ich fordere euch auf, gebt mir die Depesche.“
„Ruhig Blut“, beschwichtigte Modra den aufgebrachten Ritter.
Er deutete Tomek und Marek, die Waffen zu senken. Beide schoben widerwillig ihre Schwerter in die Scheide, ließen ihre Hände auf den Schwertern, bereit zum Eingreifen falls es nötig wurde.
„Ihr seid also die Diebe. Ihr habt mein Pferd getötet“, brüllte Gustav und ging geradewegs auf Modra zu.
Die Klingenspitze berührte die Kehle des Alten.
„Hör zu! Wir mussten es tun, ansonsten wäre die Nachricht in die falschen Hände gefallen. Du musst verstehen“, sagte der Abt und drückte die Klinge sanft zur Seite. „Was willst du tun? Mich töten? Du meinst das sei eine Lösung? Du wirst keine zwei Minuten später von Marek und Tomek getötet. Siehst Du nicht sie warten nur darauf.“
Gustav war überrascht, der Alte zeigte keine Angst.
„Sei klug und lies.“ Modra reichte ihm die Schriftrolle. Gustav griff danach und las.
„Aber das ist doch ein Scherz, das kann nicht sein“, sagte er ungläubig.
Modra schüttelte wortlos den Kopf.
„Was da geschrieben steht entspricht der Wahrheit“, ergriff Tomek das Wort.
„Woher weißt Du das?“ fragte Gustav. „Hast du es gelesen?“
„Ja. Bruder Marek und ich wurden unser ganzes Leben lang auf diesen Tag vorbereitet. Wir sind die Hüter der Geheimnisse“, antwortete Tomek.
Hier ging etwas vor Unglaubliches sich, das Gustav nicht begriff. „Ihr behauptet also mit dieser Nachricht für König Katlos wird das Schicksal der Menschheit besiegelt werden.“
„Ja.“
„Ich soll der Auserwählte sein?“
„Du bist der Überbringer“, sagte Modra. „Der Überbringer ist der Auserwählte.“
Gustav plumpste auf die Bank, sein Schwert entglitt seiner Hand und fiel scheppernd zu Boden.
„Es ist eine schwere Bürde, die auf dir lastet.“ Der Abt erhob sich aus seinem Stuhl. „Du bist nicht allein. Wir drei werden dich dabei unterstützen.“
„Ihr drei? Eure beiden Brüder haben mich überfallen und fast getötet. Ihr seid ein alter Abt. Verzeiht, Modra, aber ich traue euch kein bisschen über den Weg. Wenn ihr mich nicht mehr braucht mordet ihr mich vielleicht hinterrücks... Nein, ich brauche euch nicht.“
„Der Überfall war ein Versehen“, verteidigte sich Marek. „Wir werden dein Pferd ersetzen. Aber vergiss nicht welches Opfer dein Pferd brachte. Verstehst du nicht?“
Gustav suchte in all den Worten und Versprechungen nach der Wahrheit. Er beobachtete die züngelnden Flammen im Kamin, die vor seinen Augen tanzten und Schatten an die Wand warfen.
War die Prophezeiung wirklich ein Werk des Bösen oder gar eine gelungene Fälschung und Irreführung?
Gustav ließ alle Worte und Ereignisse der letzten Tage vor seinem geistigen Auge ablaufen.
Wie war er zu der Depesche gekommen? Warum hatte man ihn ausgesucht? Er überlegte und überlegte, aber er fand keine Antwort.
Was wenn er tatsächlich der Auserwählte war?
Was wenn all das der Wahrheit entsprach?
Er musste eine Entscheidung treffen. Die Zeit verrann. Es war an der Zeit Stellung zu beziehen.
„Und wie können wir es aufhalten?“, fragte er.
„Mit der Reliquie!“ Modra zupfte an seinem Bart, während er das Pergament studierte.
„Welche Reliquie? Von was sprichst du?“
„Keiner weiß genau was es ist. Wir wissen nur, König Katlos hat sie all die Jahre versteckt. Wir müssen verhindern, dass ER sie bekommt“, sagte Tomek.
„Wer ER? König Katlos?“
„Nein."
"Wer dann?"
"Später“, winkte Tomek ab.


VI
König Katlos erklomm die feuchten, moosüberwucherten Stufen des Nordturms. Er schob die Eichentür auf. Dahinter lag das hellste und höchste Zimmer der Burg. Eine hölzerne Truhe ruhte auf dem einzigen Tisch des Raumes.
Katlos klappte den Deckel auf, bettete einen runden in Tücher gewickelten Gegenstand behutsam in die Hand und streichelte ihn zärtlich.
„Die Zeit ist gekommen. Seit meiner Geburt warte ich voller Ungeduld darauf. Die Entscheidung ist nah.“
Er verschloss die Truhe und verbarg den runden Gegenstand unter seinem Wams.

Gothin beobachtete aus der dunklen Ecke, wie der König den Turm hinunter stolzierte und über den Innenhof schlich. Nach dem Gothin ein paar Momente gewartet hatte, folgte er seinem Herrn. Im Schutz der Wehranlage stahl er sich zu den Stallungen, wo der König auf dem Boden kniete und unter Stroh eine Falltür freilegte. Er hievte die Tür hoch und stieg den Schacht hinab.
Gothin verharrte hinter der Bretterwand.
Als der König die Falltür behutsam hinter sich schloss, trat sein Berater aus dem Dunkel. So leise wie möglich stemmte der kleine Kerl die Falltür hoch und spähte in das Loch. Flackernde Pechfackel erleuchteten den Treppenabgang. Gothin stieg hinab, folgte dem Tunnel in die Katakomben des Gemäuers.
"Wo bist du, alter Narr", flüsterte Gothin.
Plötzlich vernahm er die seltsamen Laute.
Stimmengemurmel.
Er schlich an den Weinfässern entlang. Dann sah er seinen Herrn. Katlos kniete auf dem Boden und schien zu beten.
Gothin näherte sich ihm mit samtweichen Schritten einer Katze. Vor dem König lag eine Kristallkugel im Stroh, die rotes Licht ausstrahlte.
„Die Zeit ist gekommen. Der Retter wird eintreffen und uns vor dem Unheil bewahren. Abe mane gena tena. Onir tenoui genite“, intonierte der König mit tiefer Stimme.
Das Licht wurde heller und durchflutete den ganzen Tunnel und färbte die Wände blutrot.
Die Kugel schwebte über dem Boden und hing reglos in der Luft. Gebannt starrte der König in das pulsierende Leuchten. Auch Gothin konnte sich dem wundervollen Anblick nicht entziehen. Das Licht erzählte Geschichten von längst vergangenen Zeiten und Welten. Gothin kam aus seinem Versteck heraus und pirschte sich lautlos an Klatos heran.
Plötzlich drehte der König den Kopf, richtete seinen Blick auf seinen Berater, sah ihm direkt in die Augen.
Gothin war zuerst gelähmt vor Schreck, aber dann stieß er kraftvoll zu. Die lange Klinge seines Dolches durchbohrte die königliche Brust. Fassungslos starrte Katlos auf den Dolch in seiner Brust. Das Gift auf der Klinge lähmte die Stimmbänder des Königs. Der Herrscher sackte lautlos vornüber.
“Denouiz, onitz, klonuit”, beschwor Gothin und drückte die Lichtkugel behutsam in den Beutel zurück.
Dann verschnürte er den Beutel, entriss dem Toten den Schlüssel zum Turmzimmer, löschte die Fackeln, bedeckte die Falltür mit Stroh, verwischte die Spuren und verließ den Ort des Schreckens.

Impressum

Texte: Michael Fritz Zeh
Bildmaterialien: Michael Fritz Zeh
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2013

Alle Rechte vorbehalten

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