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Peterle glaubte längst nicht mehr an den Nikolaus, schließlich war er schon sieben Jahre alt. Seine kleine Schwester Rosi gab sich immer noch Mühe, brav zu sein, wenn es auf den 6. Dezember zuging, aus lauter Angst, sie könnte eine Rute vom Nikolaus bekommen. Doch Peterle wußte, daß es die Eltern waren, die ihren Kindern kleine Geschenke in die Schuhe steckten, deshalb nahm er es mit dem Bravsein auch nicht so genau. Es stimmte schon, daß er sein Zimmer oft nicht aufräumte oder sein Fahrrad über Nacht im Hof stehenließ, daß er meistens keine rechte Lust hatte, seine Hausaufgaben zu machen, oder daß er murrte, wenn er der Mutter helfen sollte. Es stimmte auch, daß er seine kleine Schwester häufig schubste und die Katze am Schwanz zog, aber trotz alledem war er ganz sicher, daß er sich auf seine Eltern verlassen konnte.

Am Abend vor dem Nikolaustag stellten sie beide ihre Schuhe vor der Flurtür auf. Neben Rosis auf Hochglanz polierten Stiefelchen nahmen sich Peterles Schnürschuhe aus wie eben aus der Schlacht heimgekehrte Krieger. Ihn störte das nicht, - die Hauptsache schien ihm, daß sie groß genug waren, damit das Polizei-Auto hineinpaßte, daß er sich so sehnlichst wünschte. Ein Polizei-Auto mit dreifach verstellbarem Sirenengeheul und zwei verschiedenen Geschwindigkeitsstufen.
Nachdem die Eltern schlafengegangen waren und es ganz still
im Haus war, schlich sich Peterle noch einmal zur Tür und spähte hinaus. Die Schuhe waren immer noch leer. Er war zwar ein wenig enttäuscht, aber er dachte sich, daß bis morgen früh schließlich noch genügend Zeit war. Schweren Herzens entschloß er sich, abzuwarten und nun doch endlich einzuschlafen.

Er war der erste, der am nächsten Morgen wach wurde, - schon lange, bevor der Wecker klingelte. Barfuß tapste er zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und blinzelte verschlafen hindurch. Und dann war er plötzlich hellwach! Er riß die Augen auf, kniff sie wieder zusammen und riß sie erneut auf. Doch an dem, was er sah, änderte sich nichts: Seine Schuhe waren leer! Immer noch! Aus Rosis Stiefelchen lächelte ihm eine hübsche blonde Barbie entgegen, und bis oben hin war alles gefüllt mit Schokolade und anderen Süßigkeiten. Nur in seinen Schuhen war nichts! Absolut nichts! - Oder doch? Da blitzte doch etwas Weißes. Peterle griff in die gähnende dunkle Leere seines Schnürschuhes und zog ein zusammengefaltetes Zettelchen heraus.
"Hallo, Peterle," las er, "dieses Jahr hast du es wirklich nicht verdient, daß ich dich beschenke. Denk nur an die Fünf im Rechnen in der letzten Woche! Und als ich mir neulich dein Zimmer ansehen wollte, wäre ich fast gestolpert, so wild lagen deine Sachen herum. Und das ist längst nicht alles, was mir an dir nicht gefällt. Ich hoffe, daß du dich besserst, damit ich dir wenigstens im nächsten Jahr wieder etwas bringen kann. - Der Nikolaus."
Peterle war entsetzt. Das konnte doch nicht wahr sein! Wie konnte der Brief vom Nikolaus kommen, wenn es ihn doch eigentlich gar nicht gab? Aber Mamas oder Papas Schrift war das auch nicht, das sah er auf den ersten Blick. Sollte es am Ende doch.....?! Gab es vielleicht wirklich.....? - Oh Gott, wenn er das gewußt hätte!

Den ganzen Tag schlich er trübsinnig herum. In der Schule litt er Höllenqualen, wenn seine Kameraden von ihren Geschenken erzählten. Er hielt sich immer ein wenig abseits, damit ihn niemand fragen konnte, was er bekommen hatte.
Am Nachmittag hielt er es auch zu Hause nicht mehr aus. Der Anblick seiner Schwester, die glücklich mit ihrer Barbiepuppe spielte, bereitete ihm Bauchschmerzen, und außerdem schämte er sich entsetzlich. Er wollte allein sein. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und machte sich auf den Weg durch die Felder in Richtung Wald. Er mußte nachdenken. Und er dachte nach und dachte nach und dachte nach!

Plötzlich bemerkte er, daß ein alter Mann neben ihm herlief, und er erschrak ein wenig, weil er ihn nicht hatte kommen hören, - so sehr war er in Gedanken gewesen.
"Du siehst so traurig aus, was ist passiert?" fragte der Mann.
Zuerst kniff Peterle die Lippen zusammen und schwor sich, kein Wort zu sagen. Er machte Riesenschritte, als wollte er dem Fremden davonlaufen, aber der blieb immer an seiner Seite und schaute ihn mit freundlichen Augen an. Er hatte graues Haar und einen dichten grauen Bart. Sogar seine
Augenbrauen waren grau und buschig.
"Willst du mir nicht erzählen, was dich bedrückt?" fragte er.
Eigentlich wollte Peterle nicht, aber der alte Mann mit dem runzeligen Gesicht schaute ihn so lieb und vertrauenserweckend an, daß er schließlich doch begann, zu erzählen. Zuerst nur stockend, aber dann war er auf einmal richtig froh, daß er mit jemandem darüber reden konnte.
"Ich hab ja nicht gewußt, daß es den Nikolaus gibt," schloß er seinen Bericht und hob hilflos die Schultern. "Ich meine, es könnte ja sein, daß es ihn wirklich gibt, oder nicht? Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich bestimmt öfter aufgeräumt und wäre vielleicht auch netter zu meiner Schwester gewesen. Und all die anderen dummen Sachen hätte ich auch nicht gemacht....."
Der Fremde brummelte zustimmend und strich sich über den Bart. "Den Nikolaus gibt es wirklich, das kann ich dir versichern," sagte er dann. "Aber weißt du, er will nicht, daß du es für ihn tust. Du sollst nett zu Deiner Schwester sein, weil sie ein liebes kleines Mädchen ist. Und deiner Mutter sollst du helfen, weil sie unendlich viel für dich tut und immer für dich da ist. Und auf dein Fahrrad sollst du aufpassen, weil es viel Geld gekostet und dein Vater schwer gearbeitet hat, um es dir kaufen zu können. - Verstehst du, was ich meine?"
"Ja," antwortete Peterle und nickte. Jetzt sah er es ein, - jetzt, wo es zu spät war.

Sie waren inzwischen an einer Stelle angekommen, an der sich der Weg gabelte. Der Fremde blieb stehen. "Geh jetzt nach Hause, Peterle," sagte er und schob ihn sanft auf den Weg, der ins Dorf zurückführte. "Ich muß in die andere Richtung."
Peterle sah ihn verwundert an.
"In den Wald?" fragte er.
"Ja, in den Wald," war die Antwort.
Der Junge verabschiedete sich von seinem Begleiter, sah ihm nach und winkte.
Nach ein paar Metern blieb der alte Mann noch einmal stehen und wandte sich um.
"Wenn deine guten Vorsätze ernst gemeint sind," rief er Peterle zu, "dann kommt der Nikolaus vielleicht auf dem Rückweg noch mal bei dir vorbei, - falls er dann noch etwas übrig hat."
In Peterle keimte ein Hoffnungsschimmer auf. Vielleicht kam der Nikolaus wirklich zurück, - vielleicht hatte der alte Mann mit dem Bart recht!
Der alte Mann mit dem Bart? - Wie vom Blitz getroffen blieb Peterle stehen und fuhr herum, aber der Fremde war schon hinter den Bäumen verschwunden.

Peterle war ganz aufgeregt, und je länger er darüber nachdachte, desto aufgeregter wurde er. Er lief immer schneller, und am Schluß rannte er sogar, und als er dann mit glühenden Wangen vor seiner Mutter stand, wußte er es mit unumstößlicher Sicherheit: Er war dem Nikolaus begegnet!
"Ich habe den Nikolaus getroffen," platzte er heraus. "Und er hat mir gesagt, daß er vielleicht auf dem Rückweg bei mir vorbeikommt, wenn ich verspreche, mich zu bessern."
Die Mutter lächelte. "Und? Versprichtst du's?"
"Ja!" rief Peterle und nickte. "Ja, ja, ja, - ich verspreche es!" Und es war ihm bitter ernst damit.
Zur Sicherheit ließ er auch in den kommenden Nächten seine Schuhe vor der Tür stehen. Er polierte sie sogar so blank, daß sie kaum wiederzuerkennen waren. Und die Mühe lohnte sich: Eines Morgens steckte tatsächlich das Polizei-Auto mit dem dreifach verstellbarem Sirenengeheul darin! Und jede Menge Schokolade. Und viele viele andere Leckereien. Ein bißchen verspätet zwar, aber was machte das schon.
Peterle strahlte, und ein dicker Stein fiel ihm vom Herzen. Und als er einmal seinen Freund Klaus sagen hörte: "Pah, es gibt doch gar keinen Nikolaus, das ist doch nur ein Märchen für kleine Kinder!" da lächelte er in sich hinein und schwieg. Er wußte es besser. Den wirklichen Nikolaus erkennt man nicht immer gleich, denn nicht immer trägt er seinen roten Mantel.



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Tag der Veröffentlichung: 07.12.2009

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