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Ludwig und Luise

Ludwig konnte das Leben mit Luise nicht mehr länger ertragen. Über dreißig Jahre lang hatte sie ihn bevor- mundet, und er mußte tun, was sie wollte. Tag und Nacht hatte sie gezetert und an ihm herumgenörgelt. Nun hatte er es endgültig satt, und er mochte nicht mehr. Er beschloß, ein Ende zu machen. Möglichst kurz und schmerzlos.
Doch wie??!!

Da er ein Krimi-Fan war, hatte er schon von den verschieden- sten Sterbe-Methoden gehört, und er zerbrach sich den Kopf darüber, was in seinem Fall wohl das Beste wäre.
Als erstes kam ihm eine Pistole in den Sinn, - nur leider hatte er keine, und wie sollte er sich unbemerkt so ein Ding beschaffen?
Gas kam nicht in Frage, weil es im ganzen Haus nur elektrischen Strom gab.
Ein Sturz aus dem Fenster? - Ludwig schauderte bei dem Gedanken. Die Vorstellung eines Massenauflaufs danach verursachte ihm Übelkeit. Nein, das war wohl auch nicht das Richtige.
Vielleicht doch lieber das altbewährte Gift?
Er schüttelte den Kopf. Auch das war schwierig, denn er hatte keinen Garten und somit hatte er auch niemals irgendwelche Unkraut- oder Insektenvertilgungsmittel gebraucht.
Und Arsen oder Zyankali, das Zeug, das man stets in den Kriminalromanen verwendete? - Er seufzte, woher hätte er das wohl nehmen sollen!

Plötzlich hatte er eine wunderbare Idee! Vor Jahren, als er einmal an einer bösen Krankheit gelitten hatte, hatte ihm der Arzt diese gefährlichen roten Kapseln verschrieben, von denen er allerhöchstens nur eine einzige am Tag hatte einnehmen dürfen.
"Eine Überdosis davon kann tödlich sein," hatte der Doktor gewarnt, "sie verursacht Atemlähmung, und das hat Herzstillstand zu Folge. Und dann gibt's keine Rettung mehr."
Das war gut!! Ludwig wollte keine Rettung.

Er fand die Packung mit den roten Kapseln in der Tasche seines schwarzen Anzugs, den er seit Onkel Emils Beerdigung nicht mehr getragen hatte. Die Schachtel war ganz zerdrückt, - aber es waren noch drei Kapseln darin. Das mußte reichen.

In den nächsten Tagen traf er seine Vorbereitungen. Für den Fall, daß man ihn zu schnell vermissen würde, erzählte er seinen Nachbarn, er müsse seinen kranken Schwager im Ausland besuchen, sie sollten aber um Himmels Willen nicht mit Luise darüber reden. Sie würde sich nur unnötig aufregen, wenn sie erführe, wie schlecht es um ihn stand. Das könnte ihrem kranken Herzen schaden.
Für sie würde ihm schon eine Ausrede einfallen.

Als Luise eines Tages beim Friseur war, hielt er die Stunde für gekommen. Die Nachbarn hielten vor dem Haus ein Schwätzchen, als er mit den Koffern die Treppe herunterkam. Er legte den Finger auf den Mund und zwinkerte ihnen zu, und sie verstanden und nickten. Sie waren Verbündete. Nein, sie würden Luise nicht verraten, was er vorhatte. Sie klopften ihm auf die Schulter, blickten traurig und betreten drein, wünschten ihm eine gute Reise und sahen ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war.
Für Luise hatte er einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen, damit sie nicht gleich die Welt verrückt machte, sollte er nicht rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein.
"Bin bei Willi Geburtstag feiern," stand darauf. Und: "Mach dir keine Sorgen, wenn es spät wird. Heißen Fenchel-Tee findest du in der Kanne auf dem Küchenschrank."
Sie liebte heißen Fenchel-Tee.

Man fand Luise drei Tage später. Den Nachbarinnen war aufgefallen, daß sie ein paarmal beim Tratsch im Treppenhaus gefehlt hatte, deshalb alarmierten sie schließlich die Polizei.
Luise lag friedlich in ihrem Bett. Das Teegeschirr stand noch auf dem Nachttisch. Es roch leicht nach Fenchel. Der Gerichtsmediziner stellte fest, daß ihr Herz einfach aufgehört hatte, zu schlagen.
Ach du lieber Gott, und der arme Mann war nicht da, der kümmerte sich gerade um den kranken Schwager...

Zur selben Zeit lag Ludwig an Deck eines Mittelmeer-Kreuzers in der Sonne, schlürfte einen Orangen-Cocktail und zwinkerte der hübschen Blondine zu, die an der Reling lehnte und scheinbar ein Auge auf ihn geworfen hatte.
Er hatte das Leben mit Luise satt! - Aber nicht das Leben!

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Tag der Veröffentlichung: 20.03.2009

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