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Wenn Alfred in den Spiegel schaute, war er mit seinem Aussehen sehr zufrieden. Für einen Endfünfziger konnte er sich noch immer sehen lassen. Und das war gut so, denn in seinem Beruf waren gutes Aussehen und Charme die wichtigsten Voraussetzungen, und beides hatte ihm der liebe Gott mit in die Wiege gelegt. Er war nämlich von berufswegen ein Heiratsschwindler. Diese Bezeichnung gefiel ihm allerdings überhaupt nicht, er selbst nannte sich lieber einen "Frauenfreund". Obwohl er natürlich einsah, daß Heiratsschwindler auch nicht ganz falsch war.

Leider war ihm bisher noch nicht allzuviel Erfolg beschieden gewesen, denn er hatte immer nur kleine Fische an Land gezogen. Doch das sollte sich nun ändern, und genau deshalb war er vor einiger Zeit in diese gottverlassene Kleinstadt gekommen. Er hatte nämlich erfahren, daß hier die Witwe Therese Obermeier wohnte, und die sollte die reichste Frau im ganzen Umkreis sein. Allein ihr Schmuck, so sagte man, sei ein Vermögen wert, und dann noch das viele Geld..... Und wie man sich erzählte, sollte sie keiner Bank trauen und all ihre Reichtümer in ihrer Villa am Stadtrand versteckt aufbewahren. Das hatte natürlich Alfreds Ehrgeiz geweckt, denn schließlich liebte er seinen Beruf, und es wurde Zeit, daß er nun endlich den großen Coup landete, damit er im Alter ausreichend versorgt war.

Ganz diskret hatte er die Lage erkundet, mußte jedoch bald feststellen, daß die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, wahrhaftig nicht ganz einfach war. Das eigentliche Problem war nicht, daß die Witwe auf die siebzig zuging, sondern daß sie von Männern absolut nichts mehr wissen wollte. Zwar war er bei verschiedenen Anlässen immer wieder um sie herumgeschwirrt, hatte ihr die Türen aufgehalten, Platz angeboten, aus dem Mantel geholfen.... aber nichts! Sein Charme stieß auf Granit. Stets traf ihn nur ein mißtrauischer, ja sogar abweisender Blick aus ihren kleinen wachen Augen.

Aber Alfred war ein geduldiger Mensch, er ließ nicht locker. Er wußte, nur Ausdauer konnte ihn ans Ziel bringen. Und eines Tages, fast hätte er schon aufgeben, zeigte sich, wie recht er gehabt hatte: Therese erhörte ihn endlich und ließ sich von ihm in die Oper begleiten. Er war außer sich vor Freude, und er versuchte gar nicht erst, das vor ihr zu verbergen. Im Gegenteil! Er gab ihr die Gewißheit, daß sie ihn zum glücklichsten Mann auf der Welt gemacht hatte, und er behandelte sie, als sei sie die schönste Frau des Abends, - oh nein, der ganzen Stadt. Er war galant, küßte ihr die Hand und bot ihr seinen Arm, - ganz so, wie sich das eine Frau ihres Standes erträumen mochte. Als er ihr aus dem Pelzmantel half und das Brilliant-Collier um ihren Hals sah, kribbelte es ihn in den Fingern, und er schloß eine Sekunde lang sehnsuchtsvoll die Augen, doch dann biß er die Zähne ganz fest zusammen. 'Nur Geduld,' sagte er sich, 'nur Geduld! Alles zu seiner Zeit!'

Danach dauerte es nicht mehr lange, bis ihn Therese das erste Mal in ihre elegante Villa zum Tee bat. Er war ein charmanter Plauderer, gab kleine Anekdoten zum Besten und hörte voll Mitgefühl zu, wenn sie von ihren kleinen Alltagssorgen berichtete, oder von all den Schwierigkeiten, mit denen sie in ihrem Leben schon zu kämpfen gehabt hatte. Nein wirklich, ihr war nichts erspart geblieben, so manchen schweren Schicksalsschlag hatte sie hinnehmen müssen. Vor allem mit den Männern hatte sie Pech gehabt. Dabei sehnte sie sich so sehr nach ein paar starken Armen und einer Schulter, an die sie sich ab und zu ein wenig lehnen konnte.

Niemand verstand sie so gut wie Alfred. So viele tröstende Worte hatte sie schon lange nicht mehr gehört. "Verzeihen Sie, wenn ich so offen bin, Gnädigste," sagte er zu ihr, "aber Sie sollten unbedingt wieder heiraten. Ein Mann an Ihrer Seite könnte Ihnen alle Sorgen abnehmen."

Natürlich war es besser, ihr nicht gleich zu sagen, daß er sich für den Richtigen hielt. Noch nicht! Aber unterdessen wanderten seine Augen schon einmal geübt umher und kundschafteten aus, wo die wertvollsten Gemälde hingen, mit wievielen Stellen vor dem Komma bei den übrigen Kunstgegenständen gerechnet werden konnte, die überall herumstanden, und wo eventuell ein Safe verborgen sein könnte. Dabei fiel sein Blick immer wieder auf das oberste Fach im Bücherregal. Dort standen nämlich in Reih und Glied vier bronzene Urnen. Alfred mochte diesen Anblick nicht, und er setzte sich so auf dem Sofa zurecht, daß er sie nicht immerzu ansehen mußte.

Als er ihr gerade offenbarte, welch perfekter Kenner eines guten Tröpfchens er sei, meinte Therese traurig: "Ach, genau wie mein erster Mann, - Gott hab ihn selig! Leider wurde ihm das zum Verhängnis, denn als er eines Tages eine gute Flasche Burgunder heraufholen wollte, stürzte er die Kellertreppe hinunter und brach sich dabei das Genick."

Alfred schluckte und bemühte sich, das Thema zu wechseln. Er begann, von seinen Reisen in die Metropolen der Welt zu erzählen. Er hatte sie zwar nie selbst gesehen, aber immerhin hatte er sehr viel darüber gelesen, und ein paar kleine Notlügen mußten erlaubt sein, wenn es um eine so große Sache ging. Hin und wieder lobte er dann das Gebäck, das in einer silbernen Schale auf dem Tisch stand, nahm einen Schluck aus der Tasse aus echtem Meißner Porzellan und schwärmte, Thereses Tee sei der beste und würzigste, den er je getrunken habe. "Ja," meinte sie und schüttelte gedankenverloren den Kopf, "mein zweiter Mann hat ihn auch so gern gemocht. Leider hat er sich eines Tages daran verschluckt und ist erstickt. Vielleicht, weil der Tee an jenem Tag so bitter war. Ich hatte ihn zwar selbst zubereitet, weil das Mädchen ihren freien Nachmittag gehabt hatte, aber es war wohl nicht das richtige Maß. - Möchten Sie gern noch eine Tasse?" Alfred beeilte sich, dankend abzulehnen. Ihm war plötzlich übel, aber er wußte nicht, ob es am Tee lag, oder an der traurigen Geschichte von Thereses zweitem Ehemann, die ihn eigentümlich berührte. Er warf einen verstohlenen Blick hinauf zu den Urnen, die drohend und warnend auf ihrem Podest standen. Zufall, sagte er sich, alles nur Zufall! Aber er konnte einfach nicht darüber hinwegsehen, daß da oben noch zwei weitere Urnen standen. Er richtete sich auf und schalt sich einen Narren, weil er für einen Augenblick vergessen hatte, was auf dem Spiel stand, und daß mit dem heutigen Tag Thereses Riesenvermögen vielleicht schon einen kleinen Schritt in greifbare Nähe gerückt war.

Eine Stunde später zeigte ihm Therese ihren Garten. Er war großzügig angelegt. Wie ein grüner Teppich breitete sich der Rasen vor ihnen aus. Rechts und links davon stand eine Reihe alter, schattenspendender Bäume. In einer Senke lag ein kleiner schilfumwachsener Teich. Die Sonne schien, und die Vögel zwitscherten, und Alfred wollte gerade beginnen, sich wieder wohlzufühlen, als Therese die friedvolle Stimmung mit einem einzigen Satz zerstörte. "Hier ist mein seliger Wilhelm gestorben," sagte sie leise. "Er war mein dritter Mann. In diesem kleinen Weiher ist er ertrunken." Sie wies auf eine Stelle, an der das Ufer seicht in den Teich hineinführte. "Hier haben wir ihn gefunden. Mit dem Kopf im Wasser."

Nun wurde Alfred wirklich übel. Er wandte sich um und wankte in Richtung Haus zurück. Am liebsten wäre er davongelaufen. Fort von diesem Ort, an dem ein böser Geist zu wohnen schien. - Oder war es eine böse Frau? Zwar war Alfred hart im Nehmen, und sein Ehrgeiz gewann bald wieder die Oberhand, aber dennoch war er unsicher geworden. Schön, ich muß sie ja nicht unbedingt heiraten, sagte er sich, innerlich zu einem Kompromiß bereit. Er war ein recht geschickter Mann, - vielleicht konnte er sich zu ein oder zwei weiteren Besuchen durchringen und dabei zumindest den einen oder anderen wertvollen Gegenstand in seinen Besitz bringen.

Just in diesem Augenblick verlor er den Boden unter den Füßen. Der Läufer im Korridor rutschte weg, und Alfred fiel ein paar Stufen hinunter und schlug sich heftig den Kopf an. Alles war sehr schnell gegangen, und obwohl er sich nicht ganz sicher war, wurde er doch den Verdacht nicht los, die alte Hexe hätte den Läufer absichtlich weggezogen. Er griff sich an die Schläfe, - das Blut an seiner Hand versetzte ihn in Panik.

Therese beugte sich besorgt über ihn. "Das sieht böse aus, ich werde einen Arzt rufen," sagte sie. "Und wer weiß, welche inneren Verletzungen Sie noch davongetragen haben. Meinem vierten Mann ist genau das gleiche passiert, dem Ärmsten. Genau hier, an dieser Stelle! Und drei Tage später war er tot!" Alfred rappelte sich auf und hielt sein Taschentuch auf die blutende Wunde. Er wollte keinen Arzt, er wollte nur noch weg. Fort aus diesem Haus und von dieser Frau! Er atmete schwer, als er aus dem Haus stolperte und zu seinem Wagen zurückhastete.

Therese Obermeier sah ihm nach und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sorgfältig schloß sie die Haustüre hinter ihm ab, zog sich einen Stuhl vor das Bücherregal und stieg hinauf. Sie war nicht sehr groß und konnte die Urnen nur mit Müh und Not erreichen, aber als sie hineingriff, fühlte sie, daß Schmuck und Geld noch da waren. Und das war ein gutes Gefühl! Dann ging sie zum Telefon und rief ihre Schwester an. "Die Idee mit den Urnen hat sich mal wieder bestens bewährt," lachte sie. "Am Ende hat er sich noch den Kopf aufgeschlagen, der Arme. Das ist zwar nicht unbedingt meine Absicht gewesen, doch das Wichtigste ist: Ich glaube, jetzt bin ich ihn endgültig los!"


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Tag der Veröffentlichung: 18.03.2009

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