DIE LETZTE SILVESTERNACHT
Die am Tag so lauten Straßen
träumen nachts, sind still und leer;
fangen sich, entleert von Massen,
nur Schatten ein von Tag´s Verkehr.
Und der Mond kippt um die Schale,
schüttet Milch aus hohen Sphär´n.
Katz und Mäusen tropft´s zum Mahle.
Tages Streit liegt weit und fern.
Alter Mann hinter den Scheiben,
ihn flieht Schlaf, noch hat er Zeit.
Viel Gedanken, die ihn treiben,
reichen in Vergangenheit.
Feuer fiel vom hohen Himmel,
und es krachte weit und breit.
Damals lacht´ drob kleiner Lümmel,
begriff gar nicht, dass Mutter schreit.
Was war mit ihr denn bloß geschehen
in jenen lauten grellen Stunden?
Die Mutter ward nie mehr gesehen,
er hat sie niemals mehr gefunden.
Bomben hätten sie getötet!
Von da an war sein Leben schwer,
sein Himmel blieb stets blutgerötet.
Man sagte ihm, sie gäbs nicht mehr.
Nur eine Nacht scheint schmerzgemindert,
Silvesternacht mit ihrem Krachen!
Selbst wenn es seine Angst nicht lindert,
er hört der Mutter sanftes Lachen.
Zusammenfließt, was mal zerbrochen.
Heut Silvester, damals Krieg.
Erinnerung kommt angekrochen,
dieweil ein Schrei zum Himmel stieg.
Wenn Böllerschußwerk jubelnd kracht,
Sehe ich an jenem Fenster
immer zur Letztjahresnacht
den alten Mann und die Gespenster…
Und laut bejubeln viele Knaben
mit Gelächter und Geschrei,
warum die Alten sich so haben.
Was ist am Spaß denn schon dabei?
Der soll keine Freud verderben.
Er glaubt nicht an des Friedens Macht?…?!
Wie sollt´ er auch, sah Mutter sterben
und hielt es für Silvesternacht...
Ich will behutsam mit ihm reden,
nachdem ich neben ihn getreten.
Sein Schicksal bracht ihm schwere Schäden,
heutsollten wir gemeinsam beten.
Er schaut mich an , schiebt mich zur Ecke:
„Denk nur nicht, dass ich es nicht biege.
„Mama, schnell, - ich dich verstecke .
Wir haben und wir feiern Kriege!“
Da schießt´s in sonst so dunkler Gasse
hell wie Scheiterhaufen auf.
Etwas stürzt auf mich als Masse,
und ich hör den letzten Schnauf:
„Meine Mutter muss ich schützen,
damals konnt ich´s nicht, doch jetzt…“
In des Feuerwerkes Blitzen
seh ich in blut´gem Morgenrot
den alten Mann, und - er ist tot.
Ich selbst blieb (völlig?) unverletzt.
Berlin, zwischen den Jahren 2012 und 2013
TBZ
Texte: TBZ (Autorin)
Bildmaterialien: Reinhold Stier / TBZ (1911)
Lektorat: Autorin
Tag der Veröffentlichung: 28.12.2012
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