Eine neue Geschichte vom Rabbi
Nahe Jerusalems, der Hochgebauten, war zu Lebzeiten von einem Weisen aller Weisen - Reb Jojakim Ben Walter s.A - der GanSchamayim (Himmlischer Garten) geschaffen worden, voll der herrlichsten Creationen, wie sie nur eine gepflegte und geschmackvoll kultivierte Natur zu züchten imstande ist.
Hierhin wanderte der Rabbi mit einem jungen modernen Adepten, um sich mit ihm über das Woher - Wohin auszutauschen.
Sich gegenseitig auf all die Schönheit aufmerksam machend, denen sie auf Schritt und Tritt begegneten, bemerkte der Rabbi, dass sein Freund sich mehrmals beugte, als untersuche er durch Auges und der Nase Nähe den vollen Reiz der Umgebung. Gleichzeitig entfiel seiner Hand hier und da ein winziges Körnlein, ohne dass er den Versuch machte, es nicht zu verlieren.
„Was tust du?“ erkundigte sich der Rabbi. „Du verlierst da etwas, das dir kostbar sein könnte.“
Der junge Mann richtete sich auf, und ein verschämtes Lächeln umspielte seine Lippen.“Du achtest auf alles, Meister. Es ist mir wirklich kostbar. Aber ich hoffte, du würdest es nicht bemerken. Jedoch deinen Augen entgeht so leicht nichts. Es ist ein Versuch, den ich starte. Was ich hier halte, ist eine Prise anderer wilder Natur. Höre meine Betonung auf Natur. Ich möchte ergründen, wie sich die Beschaffenheit wilder, ungezügelter Natur unter diesen edel gezüchteten Rosen auswirkt. Weshalb machst du nun ein so bedenkliches Gesicht?“
Nun gibt es zwei Schlussfolgerungen, die jeder nach eigenem Geschmack wählen kann:
Die erste Version:
„Auch Hundekot ist ein Naturprodukt“ erwiderte der Rabbi versonnen „würdest du wohl deinem Hund gestatten, an den Rosen ihr Geschäft zu verrichten, bis die ätzende Masse dem edlen Duft der Gartenkostbarkeit Konkurrenz machen und die Nase der Besucher beleidigen kann? Lass uns dort auf der Bank Platz nehmen und den Schöpfer dieses Gartens preisen, der so bedacht war, seine schwer erarbeitete Schönheit und Grazie fern zu halten von jeglichem Abfall.
Draußen vor dem Tor entsteht ein Haufen von Müll. Dort kann alles wachsen, was und wie es will. Das ist der rechte Platz für deine Samen. Er möge mit seinem krautigen Grün seine eigenen Gäste anlocken…“
Das beherzigte der Adept , und sie verbrachten eine Stunde der tiefsten Besinnung und Andacht, die sie stärkte für ihr alltägliches Tun.
Denn es handelte sich um einen ganz besonderen Garten…
Die zweite Version:
„Ich suche,“ erwiderte der Rabbi, „deinem Gedankengang zu folgen, denn - ob Rose oder Hundekot, alles entsteht wirklich aus der Natur. Man sollte keinem von beiden einen Vorzug schenken. Vielleicht soll unter der Sonne wirklich alles so wachsen, wo und wie es will.“
Danach verließen sie den GanSchamayim und sahen sich lange - ein ganzes Jahr - nicht wieder.
Als sie sich erneut trafen, führte sie der Weg abermals vor die Mauer der Heiligen Stadt, gerade zu auf die Straße zum Himmlischen Garten des weisen Jojakim s.A.
Voll Vorfreude auf die gewiß erneut auf sie wirkenden Schönheiten traten sie ein.
Doch was war hier geschehen? Wild wucherndes Gras und Ungekraut überragte das wenige müde vor sich hinkämpfende, farblose Geblüh zwischen fetten, nackten Halmen voll hässlich-pelziger Samenkapseln, die sich raschelnd - wie voll heiseren Hohngelächters - bereit machten, zu platzen und zu verstreuen, auf dass den wenigen, dorrenden Rosen die letzte Chance zum Leben und Luftholen genommen werden konnte. Das Unkraut hatte gesiegt über all die so kunstvoll gehegte und geschätzte Ästhetik.
Da schlug der junge Famulus die Hände vor das Gesicht und flüsterte: „Was habe ich nur getan?“
Der Rabbi versuchte ihn zu trösten. „Du hast Natur mit Natur verglichen, blind gegen die Verschiedenartigkeit der Einzelexemplare. Nun musst du dich damit abfinden.“
Damit verließen sie den einsam verunkrautenden Garten,
denn niemand mehr wollte die Zerstörung sehen.
Letzte Vollendung
Den Famulus fand man später am Rand der Wüste, wo er die Schönheit einer einzelnen Rose züchtete, indem er sie regelmäßig befreite von jeglich sprießen wollendem Unkraut ringsherum. Und als sie sich zu einem Rankengestrüpp voll duftender Blüten entwickelt hatte, ging er zu dem Rabbi.
„Begleite mich“, bat er, „und sieh, was die Wurzeln bewirkten, die du in mich setztest.“
Tag der Veröffentlichung: 25.06.2011
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