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DER RING MEINER MUTTER


…am nächsten Morgen wollten wir meine Mutter aus dem Krankenhaus nach Hause holen, um sie in ihrem eigenen Bett, umgeben und begleitet von Tochter und Enkelin, den letzten Atemzug tun zu lassen. Aber in den frühen Stunden des neuen Tages erhielten wir telefonisch die Mitteilung, dass sie bereits für immer die Augen geschlossen hatte . Sie war gänzlich allein gestorben, ohne auf die Mithilfe ihrer Lieben zu warten, die sie im Leben auch oft allein ihres Weges hatten ziehen lassen .
Marionetten an Fäden gleich, reagierten wir und machten uns auf den Weg zu ihr. Fertig angekleidet stand ich an der Wohnungstür, kaum registrierend, dass meine Tochter für Minuten verschwunden blieb, um sich dann zu mir zu gesellen. Meine nächste Erinnerung an diesen Morgen ist der widerhallende Klang unter unseren Schritten im Krankenhaus, als würden aus den Steinen alle Schreie der hier Abgelebten uns von der bisherigen Realität für immer entfernen.
Meine Mutter war dabei, in der Abstellkammer für Reinigungspflege des Krankenhauses, den letzten Abglanz des Lebens zu verlieren. Wir standen und sahen in ein uns zwar bekanntes Gesicht, doch seltsam entrückt und uns abwehrend, die wir noch der alten Dimension angehörten, während sie sich von uns entfernte. Wir sahen ihr gleichsam nach, Zurückbleibende, die dem sich entfernenden Wanderer einen letzten Gruß mitzugeben wünschen und nicht recht wissen, ob es genehm oder aufdringlich ist.
Meine Tochter durchwühlte ihre Jackentasche, und in dem Moment, als sie die Hand wieder herausholte und ich etwas glänzen sah, wusste ich, was sie vor der Abfahrt ins Krankenhaus bewogen hatte, mich warten zu lassen. Zwischen den Fingern hielt sie den Ring meiner Mutter, den ich dieser vor rund 35 Jahren geschenkt hatte. Zu ihrem 60 Geburtstag, das hatten wir - der Vater meiner Tochter und ich – uns vorgenommen, sollte sie etwas Besonderes bekommen: einen Brillantring. Dass es dann ein nur dünnwandiger und wenigkarätiger Ring wurde, lag daran, dass mein Lebenspartner auf Zeit das Weite gesucht hatte und sich finanziell dementsprechend nicht mehr beteiligte. Mutti freute sich dennoch und liebte den Ring, den ihr ihr „Einziges“ schenkte.
Nun –am Totenbett meiner Mutter stehend - sah ich diesen Ring in der Hand meiner Tochter. „Omama“, hauchte sie, „hier ist dein Ring, den ich mir jetzt auf den Finger ziehe… Er wird mich immer an dich erinnern.“
Ich erstarrte zum Publikum einer schauspielaktreifen Szene, die in das Auf und Ab meiner Seele eintauchte und nur manchmal aufwellte, dann - wenn ich den Ring in späteren Jahren am Finger meiner Tochter sprühen sah. Geistesgegenwärtig schlug ich stets diese Erinnerung in ihre Tiefen zurück, - sie versank, es blieb dennoch irgendwo ein dumpfer Schmerz…
Lange sah ich das Eigentum meiner Mutter nicht mehr; meine Tochter trug meist andere Ringe, z.B. auch einen von mir ihr geschenkten, der ähnlich in Form und Art jenes meiner Mutter zum Geburtstag überreichten war und ebenso als ein Symbol galt.
Doch gestern trug sie an beiden Händen den jeweiligen Ring. Nie hatten wir über jene Szene am Totenbett meiner Mutter gesprochen. Gestern plötzlich sagte sie: „Hast du schon meinen neuen Ring gesehen?“ Ich wollte das mich schmerzende Thema nicht ausweiten. „Ich sehe nichts Neues! Was meinst du denn?“
Sie hob die linke Hand. Darauffallender Lampenschein ließ die Diamantensplitter aufblitzen und „Sieh doch mal“, flötete meine Tochter, wie immer bar jeder Sensibilität, wenn sie nicht die ihre ist. „Fällt dir denn wirklich gar nichts auf?“
Sie zog das Schmuckstück vom Finger und – reichte es mir. Der Ring erschien mir gewichtiger als je, zudem hatte sie ihn auch mühsamer als sonst abzuziehen vermocht.
Ich schluckte und vermutete: “Du hast ihn dir enger machen lassen?“ „Nicht nur das“, frohlockte meine Tochter begeistert. „Schau doch mal. Es ist ein ganz anderer Ring geworden. Er war ja so dünn, nun ist der Reif richtig dick unterlegt. Eigentlich ist nur das aufgesetzte Kopfstück mit den Brillantsplittern übrig geblieben. Und eine Gravur ist nun auch drin. Es steht jetzt auf der Innenseite: ``Gott schütze dich, mein Kind.´´ Schön - nicht wahr!“
Da wellt es und steigt auf aus den Abgründen des Schmerzes. Es umgibt mich ein Klang – eine Stimme, meine Mutti sagt zu mir, ihrem „Einzigen“: “Gott schütze dich, mein Kind!“ Das schlägt die Brücke vom Damals zum Heute. Was ihr nicht mehr gelang, mir sagen zu können als letzten Segen, jetzt endlich ist ihr gelungen, an mich heranzubringen, was ich so vermisst habe. Ich spüre, es ist ein Wunder geschehen.
Meine Tochter streckt ihren Finger aus, zieht den Ring darüber, den ich ihr zurückgebe…Ich sehe, wie sie ihn überstreift. Es ist ein sehr schöner und kostbarer Ring geworden. Und eigenartig, es schmerzt mich nicht mehr, ihn anzublicken.Dieser Ring am Finger meiner Tochter ist ein völlig fremder Ring, nicht der meiner Mutter. Der ruht jetzt in meiner Seele – mir gestern zurück überreicht – durch meine Mutter selbst. Danke - dass dir gelang , Ring und Segen mir zukommen zu lassen. Wie sehr musst du mich geliebt haben, liebst du mich immer noch, meine Mutter! – Ach du– meine Mutter!

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Tag der Veröffentlichung: 04.04.2011

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