1.WILLIS SECHZEHNTER GEBURTSTAG
Diesmal gabs eine besonders fröhliche
Geburtstagsfeier bei Tante Aurelie.
Das Haus der guten alten Tante
War stets ein Zentralpunkt für alle Verwandte.
Sogar die sonst stets bummelnden Neffen
Konnte man dort fast täglich treffen.
Der Tisch blieb gedeckt fast das ganze Jahr,
Und nun an ihrem Geburtstag erst gar,
Wo sie gewohnt war seit Menschengedenken
Die Neffen und Nichten zu beschenken.
Und wurde ein Neffe sechzehn Jahr,
So bekam er noch extra zehn Mark in bar.
Diesmal war nun der Willi soweit.
Und seine Geburtstagsfeierlichkeit
Hatte man, wie den Wunsch er gehegt,
Auf den Geburtstag der Tante gelegt.
Nicht etwa wegen der zehn Mark - i wo –
Aber es war doch netter so.
Im Vordergrund stand der nunmehrige
Beinah-erwachsene, Sechzehnjährige,
mit langen Hosen und Zwicker geziert,
Und heut zum ersten Male rasiert.
Bei Tisch durft´ er sich des Öfteren stärken,
Es war ihm aber nichts anzumerken.
Im Gegenteil - er schlug tapfer an´s Glas
Und sprach – bald im Diskant, bald im Bass -:
Heut sei der große Tag gekommen
Wo man zu den Männern ihn aufgenommen.
Und der Ernst des Lebens tret` an ihn heran
und er fühle jetzt endlich, er sei ein Mann!
Und das höchste Gut im menschlichen Leben
Sei sittlicher Ernst und mannhaftes Streben,
Und er habe den festen eisernen Willen
Unentwegt seine schwere Pflicht zu erfüllen,
und voll und ganz und jederzeit –
Kurzum, er brüllte vor Männlichkeit.
Nur piepste er manchmal ein bisschen, wie schade.
Er befand sich nämlich im Stimmbruch grade.
Auch sei es sein höchstes Gut auf Erden,
Ein nützliches Glied der Familie zu werden,
Dann werde in Einigkeit wachsen und blühn
Er durch die Familie und die Familie durch ihn.
Denn nur die Einigkeit mache stark –
Und er danke auch für die zehn Mark!
Hier ward er von Beifall unterbrochen,
Man rief „Hurra, Hoch!“ und „Gut gesprochen!“
„Gesegnete Mahlzeit!“ und Tischerücken,
Allseitiger Aufstand und Händedrücken.
Und dann ging alles hinaus in den Garten,
Um dort den Kaffee zu erwarten - -
Es dauert fünf Minuten, es dauert zehn Minuten,
Man klingelt: „Ottilie soll sich doch sputen
Und den Kaffee bringen!“ so tönt ´s in der Runde.
Es dauert eine Viertelstunde, es dauert eine halbe Stunde.
Dann geht eine Kommission den Gang
Laut „Ottilie!“ rufend entlang.
Da plötzlich gibt’s ein gewalt´ges Geklirr,
Wie von vielem zerbrochenen Kaffeegeschirr.
Ein Kreischen, ein Schrei tönt vom Mädchenzimmer
Man stürzt hin und findet inmitten der Trümmer,
Zwischen Kaffee und Kuchen und Milli - -
Das Mädchen Ottilie und den Willi.
Man konnt´ zwar nicht sagen mehr: „Was, Wann und Wie?“
Doch es war so gut wie ein flagrant delit.
Das Mädchen entschlüpfte mit blutrotem Kopfe,
Den Willi aber kriegte man beim Schopfe.
Ihn schleppte der Onkel und Tanten Zahl
Vor das Familientribunal.
„Ist das mein Sohn,“ (man kichert rings)
„Dein sittliches Streben?“ (Ohrfeige links)
„Das Blut in die Wangen einem vermöcht`s
Vor Scham zu treiben!“ (Ohrfeige rechts )
Und dann begannen die Onkeln und Vettern
Noch in gerechtem Zorne zu wettern:
Das sei ein Benehmen, das keiner begreife,
Dem Jungen fehle die sittliche Reife!
Bis dahin hatte der Willi geschwiegen,
Doch jetzt begann er mit flammenden Zügen:
Nein, diese Behandlung sei ihm zu arg,
Und er sei ein Mann und habe zehn Mark,
Und das sei eine Gemeinheit, das mit der Reife.
Es sei ihm jetzt alles egal und er „pfeife“.
Was denn die Tante Aurelie denke,
Was denn die Neffen hier locke? Die lump´gen Geschenke?
Oder das bisschen Essen? Der Wein?
Oder die Tantenliebe? O nein!
Nein, dieses Hauses Attraktion
Lieg´ in der Zofenregion.
Es sei traditionell in der jüngeren Familie:
Hier im Haus poussiert alles mit der Ottilie!
Und zwar ganz genau nach Rang und Alter.
Das Vorrecht habe Onkel Walter,
Dann Onkel Max und der Neffen Chor
Von Siegbert bis zu Theodor.
Und heut sei der große Tag gekommen.,
Da man i h n zu den Männern hab ´aufgenommen.
Heut sei er sechzehn Jahre schon,
Und da sei das Familientradition.
Und er habe sich so auf den Tag gefreut,
Aber es gäbe keine Gerechtigkeit.
Und - er bleibe stets an der Pfanne kleben,
Und – er pfeif´ auf das ganze Familienleben…
Und ward ganz blaurot im Gesicht,
Und die zehn Mark, die brauche er nicht!
Und warf das Geld auf den Tisch, dass es krachte - -
Es waren aber nur noch achte! - -
Eine Zeitlang war alles in Schweigen versunken,
Dann sagte man, das Kind sei betrunken.
Es gab aber doch `nen Missklang, `nen leichten,
Und namentlich die Onkel erbleichten.
Man verließ bald das gastliche Heim in Massen,
Das Mädchen ward reich beschenkt entlassen –
Man wollte nicht, dass sie irgendwas redet –
Doch das Haus der Tante blieb seitdem verödet.
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Dies war das erste Kapitel aus "Willis Werdegang / Familienleben"
von Rideamus
KLEINER lEBENSLAUF
Der Verfasser von "Der Vetter aus Dingsda" nennt sich Rideamus. Rideamus, das heißt auf lateinisch "Lasst uns lachen". Es war das Pseudonym des jüdischen Juristen Dr. Fritz Oliven (1874-1956). Er war einer der erfolgreichsten deutschen Humoristen des ersten Drittels im 20. Jahrhundert. Kabarettist, Librettist und Aufsichtsratmitglied der ersten GEMA, ist er heute so gut wie unbekannt. Seine in Reimen verfassten lustigen Bücher, wie "Willis Werdegang" oder "Die Erfindung der Sittlichkeit", erzielten hohe Auflagen und wurden von populären Künstlern illustriert. Zusammen mit Oscar Strauss schuf er die burlesken Operetten "Die lustigen Nibelungen" und "Hugdietrichs Brautfahrt". Der satirische Unterton und anarchische Humor dieser Werke ist weit entfernt von der Süßlichkeit späterer Straußwerke. Oliven entwickelte sich weiter in Richtung des modernen Revuetheaters im Berlin der zwanziger Jahre. Seine Lieder zu Melodien von Walter Kollo und Eduard Künnecke waren Schlager - oder wie man damals sagte - "Gassenhauer". Marlene Dietrich machte seine Liedtexte bekannt: "Mit dir möcht' ich am Sonntag angeln geh'n" (Kollo), "Berlin bleibt doch Berlin" und ein Auszug aus dem Lied "So lang noch unter'n Linden die alten Bäume blüh'n" (Haller-Revue 1923). Im privaten Leben war Oliven ein zurückhaltender Bonvivant und gutmütiger Familienmensch an der Seite einer starken Ehefrau, der Bankierstochter Leonie Meyer. Unter den Nazis durfte Oliven als Jude nichts mehr veröffentlichen. Also emigrierte er mit seiner Familie 1939 nach Brasilien. Der vorliegende Text möchte einerseits einen beinahe vergessenen Publikumsliebling in Erinnerung rufen, zum anderen zeigt es exemplarisch den zerrissenen Lebenslauf eines Mannes aus dem emanzipierten deutsch-jüdischen Bürgertum des frühen 20. Jahrhunderts.
Der vorstehende kleine Lebenslauf wurde z.T. dem Internet entnommen und für diese bookrix-Einstellung genutzt von
TBZ. am 18.2.2011 um das Andenken eines großen Künstlers zu wecken und zu erhalten.
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2011
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