Wo die Londoner City – das Gebiet, welches selbst die Queen nur mit Erlaubnis des Lordmayor betreten darf – von der Fleetstreet begrenzt ist, lag das Juweliergeschäft von Harper, Harper & Son. Es war derselbe Harper, der vor etlichen Jahren für Schlagzeilen in der „Times“ sorgte. Man verdächtigte ihn damals, einen Versicherungsbetrug begangen zu haben
Etwas Konkretes konnte ihm zwar nicht nachgewiesen werden, doch hundertprozentig gelang es ihm nicht, sich zu rehabilitieren. Von da an umwitterte ihn eine Aura d´Scandaleuse, die dem Geschäft einen ungeheuren Aufschwung verlieh.
War es Zufall oder Schicksal, dass sich Lord William Buddenbrooke und sein Freund Arthur Elroy gerade diese Ecke zum Treffpunkt ihres Meetings ausgewählt hatten?
An der niedergeschlagenen Miene Arthurs erkannte der Lord sofort, wie die Aktien standen.
„Du hast kein Geld für uns auftreiben können, nicht wahr?“ fragte er. „War wirklich kein einziger meiner Freunde bereit, einem in Schulden geratenen, aber doch sonst recht anständigen Kerl unter die Arme zu greifen?“
„Niemand!“ erwiderte Arthur düster. „An eine Freundschaft konnte sich niemand erinnern. Im Gegenteil, man nannte dich einen Tunichtgut, den entartetsten Spross seiner Familie, einen Spielhallenbankrotteur und noch anderes, was ich gar nicht widerholen mag.“
„Der Teufel soll sie alle holen“, murmelte der Lord grimmig. „Ich werde den Spieß nun umdrehen und ihnen allen zeigen, was und wer ich zu sein imstande bin. Wenn mich nur erst der lausige John Fisher als Schwiegersohn anerkannt haben wird…“
„Wenn – mein Freund, wenn…!“ seufzte Arthur vielsagend. „Der alte Yankee möchte schon gern aus seinem Töchterchen eine Lady machen, aber er wagt es nicht, die dazugehörigen Millionen einem Hasardeur anzuvertrauen.“
„Ich muss ihm nur beweisen, dass mein schlechter Ruf täuscht und ich noch über genug eigene Reserven verfüge“, murmelte der Lord und wandte sich der Schmuckauslage von Harper zu. Plötzlich packte er Arthur am Arm.
„Schau nur, was für ein herrliches Stück!“ flüsterte er hingerissen.
Seine Augen leuchteten, während er das Brillantkollier unter dem schützenden Glassturz betrachtete. „Könnte ich d a s Miss Fisher um den Hals legen, käme der Alte nie auf die Idee, ich sei ein Mitgiftjäger. Und als sein Schwiegersohn wären wir beide aus unserer Misere heraus, old friend.“
Arthur Elroy zuckte melancholisch die Achseln.
„Denk gar nicht drüber nach, Billy. Wie solltest du zu so einem Schmuckstück kommen? Man kann nicht einfach bei Harper hineinspazieren, sich aussuchen, was einem gefällt, es einstecken und mit einem freundlichen Dankeschön verschwinden.“
Der Lord riss die Augen weit auf. Er war schon immer für seinen Phantasiereichtum bekannt gewesen.
„Warum – bitte sehr - sollte das eigentlich nicht doch möglich sein, Arthur? Du zum Beispiel könntest es gut und gerne tun.“
„Ich?“ rief Elroy ganz erschüttert ob solcher Naivität. „Wie kommst du denn darauf ?
„Weil i c h es natürlich nicht tun kann“, sagte der Lord kühl. „Oder – kneifst du?“
Elroy entrüstete sich. „Ich habe dich noch nie im Stich gelassen, seit wir uns kennen. Und das sind rund fünfundzwanzig Jahre.“
Buddenbrooke klopfte ihm auf die Schulter.
„Na also, dann reg dich wieder ab. Eins sage ich dir. Wenn alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, haben wir bald allen Schlamassel überwunden.“
Er schien sich bereits auf das Leben als Schwiegersohn eines Multimillionärs einzurichten. –
In früherer Zeit hatte das Juweliergeschäft Harper viel und auserlesene Stücke an den alten Lord Buddenbrooke und seine Gemahlin verkauft. Später schliefen die Geschäftsverbindungen ein. William, letzter Spross der Familie, brachte das Erbe der Väter in Spielcasinos durch und lebte endlich mehr schlecht als recht von der Gunst sich immer mehr zurückziehender Freunde.
Trotzdem schien er keinesfalls, wie die Gerüchte wissen wollten, ganz am Ende zu sein. Er musste noch genügend eingefrorene Reserven besitzen. Jedenfalls erschien er bei Harper und wünschte, eine größere Kollektion von Ringen zu sehen. Es sollten die ausgesuchtesten und exclusivsten sein, wie er ganz nebenbei fallen ließ. Preis uninteressant.
„Ich gedenke, in Kürze zu heiraten“, sagte er nonchalant. "Vielleicht haben Sie bereits davon gehört, Mister Harper, Pikanterien sind schnell in aller Munde.“
Der Juwelier dienerte. „Nun suchen Mylord gewiss das passende Brautgeschenk, - ich verstehe!“
Bald glänzten die wertvollsten Diamanten auf schwarzem Samt. Davor hatte der Lord in einem Sessel Platz genommen. Er spielte mit dem Knauf seines Spazierstockes, den er lässig zwischen den Knien hielt.
„Ich weiß nicht so recht“, sagte er unschlüssig. „Vielleicht sollte es doch etwas anderes sein als ein Ring. Womit könnte man einer schönen Frau sonst noch eine Freude bereiten?“
„Wie steht es mit einem Collier, Mylord?“
Buddenbrooke winkte lässig ab. „Nein, nein, kein Collier.“
„Dann vielleicht – ein Diadem?“
Buddenbrooke schien keinen Entschluss fassen zu können.
„Haben Sie etwas Besonderes, das Sie mir zeigen können?“
Hin und her gerissen nahm er doch noch einen der Ringe zwischen die Finger und betrachtete ihn leicht gelangweilt. Dadurch wurde der Juwelier gehindert, die Ringkollektion zu entfernen. Mit einem geübten Blick vergewisserte er sich der Anzahl der Ringe und wandte sich dann dem Schrank zu, hinter dessen bruchsicheren Glasscheiben die Diademe lagen. Eins der Stücke nahm er heraus, sah die düstere Miene des Lords und wechselte das Vorzeigeobjekt aus. Aber auch das zweite machte keinen größeren Eindruck auf den Lord. Leicht nervös suchte der Juwelier den dritten Haarschmuck zu präsentieren, gerade in dem Moment, in dem die Ladentür sich öffnete und ein Mann in ihrem Rahmen erschien.
Er war sauber gekleidet, dennoch sah man ihm an, dass er kaum zur Kundschaft eines so exquisiten Geschäftes gehörte. Auch schien er unter Alkoholeinfluss zu stehen, denn er hatte Mühe mit seinem Gleichgewicht und torkelte ein wenig. Trotzdem kam er zielstrebig zum Tisch, an dem der Lord saß und unwillig aufblickte.
Der neue Kunde sah die Ringe und lachte begeistert auf.
„Oh!“ rief er, „so etwas wollte ich meiner sweet Mary schon lange schenken. Sie hat es verdient, ist ein teuflisch gutes Girl, meine Kleine. Ich nehme einen davon mit, okay? Was kostet sowas denn? Na, ich denk schon, dass meine zwei Shilling dafür reichen werden. So viel hab ich gerade noch. Alles Übrige ging leider einen anderen Weg.“ Er machte eine Gebärde, erheitert über sich selber, als würde er eine Flasche hochheben und sich ihren Inhalt in die Kehle gießen.
Dann kramte er in seiner Jackentasche und warf ein Geldstück auf den Tisch, dass es klirrte, und der entsetzte Juwelier sah gleichsam erstarrt, wie einer seiner kostbarsten Ringe in der soeben entleerten Tasche des impertinenten Subjektes verschwand.
Der Lord war der erste, der sich vom Schrecken erholte. Er hielt dem Mann die Hand fest, als er sie nach einem zweiten Brillantreif ausstreckte
„Heh – heh - “ sagte er, „das kann doch wohl nicht wahr sein?“
„Diebe!“ begann Harper zu kreischen und drückte gleichzeitig auf die Alarmanlage. Vor dem Laden fing eine Sirene an, schrill aufzujaulen.
Der Lord schüttelte missbilligend den Kopf.
„Das hätten Sie besser nicht tun sollen, Mister Harper. „Sie sehen doch, es handelt sich hier um keinen gewöhnlichen Diebstahl. Das ist ein Witz und bedarf keines Polizeieinsatzes. Der Mann ist betrunken, ein bisschen verrückt, aber gewiss kein gewöhnlicher Verbrecher. Der ist gar nicht zurechnungsfähig. Er versucht ja nicht einmal, zu flüchten.“
Der Mann lachte fröhlich.
„Wieso sollte ich weglaufen? Ich habe die Ware ehrlich bezahlt, da brauche ich doch nicht zu flitzen. Damned, wird meine Mary sich freuen, - jetzt kann sie ein schönes Ringlein an ihren Finger stecken.“
„Das hübsche Ringlein, mein Bester“, klärte Buddenbrooke ihn jovial auf, „hat ein paar kostbare Brillanten aufzuweisen. Er kostet keine zwei Shilling, sondern mehrere tausend Pfund.“
Der sonderbare Kauz schien irritiert.
„So?“ sagte er gedehnt. „Ist das wahr? Dann nehme ich lieber einen von den anderen.“ Erneut fasste er zwischen den Schmuck.
„Von all diesen Ringen können Sie nicht einen einzigen bezahlen, guter Mann“, belehrte ihn der Lord. "Legen Sie sofort alles schön zurück auf den Tisch. Dann sieht Mister Harper, dass es sich um ein Missverständnis handelt und nicht um ein Verbrechen.“
Im gleichen Moment wurde von aussen die Tür aufgerissen. Es stürmten mehere Bobbies herein und besetzten den Laden. Sie nahmen den Lord, den Juwelier und den naiven Kunden zwischen sich.
„Was ist los? Worum geht es?“
„Ein Dieb!“ ächzte der Juwelier, „er hat mich bestohlen!“
Der Lord machte eine beschwichtigende Handbewegung
„Diebstahl – welch schwere Bezichtigung. Eher handelt es sich hier um ein Missverständnis.
Der Mann ist betrunken und weiß nicht, was er tut. Sehen Sie nur, er räumt schon wieder seine Taschen aus und legt alles zurück, was er eingesteckt hat. Überzeugen Sie sich selbst, meine Herren.“
Der „faule Kunde“ zeigte sich zerknirscht.
„Na ja, scheint doch bisschen teurer zu sein, als ich dachte.“ Er warf ein paar klirrende Ringe zurück auf das Samttuch. Es verschob sich, etliche Schmuckstücke fielen zu Boden. Harper tauchte in das Dunkel unter den Tisch und suchte zusammen, was er fand. Der Mann krempelte seine Taschen um und brummte: „Alles wieder raus. Hab nichts mehr. Ist mächtig schade. Aber jetzt will ich meine zwei Shilling wiederhaben. Jawohl, das will ich und zwar bisschen plötzlich.“
„Es fehlen drei Ringe“, ächzte der Juwelier, mit rotem Kopf auftauchend. "Auch ein Diadem ist weg, Sergeant. Sie sollten den Kerl genau untersuchen. Das Zeug muss doch schießlich irgendwo sein." Er schien völlig aus dem Häuschen.
Aber so sehr der vermeintliche Dieb gefilzt und herangenommen wurde, es fand sich kein Brillantstäubchen mehr bei ihm.
Einer der Polizisten hielt sich für besonders scharfsinnig. „Vielleicht hat er was verschluckt!“ mutmaßte er.
„Vielleicht das Diadem?“ lächelte der Lord süffisant.
„Aber – die Ringe, drei kostbare Ringe,“ keuchte der Juwelier erstickt. „Die teuersten Stücke meiner Kollektion, als ob er sie genau herausgesucht hätte. Wo sind sie bloß?“
Die Bobbies sahen sich unschlüssig an. Die Situation war völlig undurchsichtig. Dennoch – sie kannten den Lord, den Juwelier, und den komischen Vogel hatten sie fast kopfgestellt. Der Lord ergriff die Initiative.
"Mister Harper“, sagte er, den Juwelier fest ins Auge fassend. „Tatsache ist, dass drei Ringe verschwunden sind, ebenso wie ein Diadem. Ich möchte nur ungern in den Verdacht geraten, etwas mitgenommen zu haben, was mir nicht gehört. Ich bin bereit, mich einer Leibesvisitation unterziehen zu lassen, wenn auch Sie es tun. “
„Ich?“ protestierte Harper fistelnd. Seine Gesichtsröte wich einer fahlen Blässe. Er mochte sich wohl jener unliebsamen Geschichte vor mehreren Jahren erinnern. Die Versicherung würde kaum ohne weiteres zahlen, wenn nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden waren, die Sachlage zu klären. Der Lord hatte recht: sämtliche Anwesenden mußten beweisen, dass sie nichts eingesteckt hatten.
„Nun, - Mister Harper?“ fragte der Lord liebenswürdig. Der Juwelier erwachte aus seiner Apathie.
„Mylord“, protestierte er. „Sie sind über jeden Verdacht erhaben, ich bitte Sie. Sie – sind doch kein Dieb!“
„Natürlich nicht, ebenso wenig wie – Sie!“ lächelte der junge Lord charmant
Der Sergeant salutierte.
„Was soll nun mit dem Kerl geschehen? Erheben Sie Strafanzeige? Soll ich ihn mitnehmen? Er hat ja nicht einmal einen Ausweis bei sich.“
„Lassen Sie den armen Kerl laufen“, raunte der Lord. "Ich könnte meine Hand ins Feuer legen, dass er die Ringe nicht bei sich hat, ebenso wenig wie das Diadem."
Der Juwelier strich sich über das zitternde Oberlippenbärtchen. Dann sagte er: „Mylord haben recht. Ich verzichte auf eine Anzeige. Er – er soll nur schnell verschwinden. Ich bin fertig mit den Nerven.“
Budenbrooke kramte in seiner Jackentasche und ließ ein Zweishillingstück in die Hand des verhinderten Ringkäufers fallen.
„Ich glaube“, sagte er mitfühlend, „Sie werden einen kleinen Schluck auf den Schrecken gebrauchen können. Machen Sie´s gut!“
Er verließ als Letzter den Laden des gebrochenen Juweliers und klopfte ihm leutselig auf die Schulter.
„Ich rate Ihnen, noch einmal genau zwischen den Teppichfalten zu suchen, lieber Harper. Ich bin sicher, die Schmuckstücke werden sich anfinden. Und – wenn nicht, ich bin bereit, be Ihrer Versicherung auszusagen, unter was für mysteriösen Umständen das Verschwinden der Schmuckstücke zustande kam. Ich bin sicher, mein Wort wiegt mehr als das Ihrige.“
Der Juwelier verbeugte sich schlotternd: „Zu gütig, Mylord, wirklich, sehr gütig und – vielen Dank!“
„Das hätte leicht ins Auge gehen können“, sagte Arthur Elroy, als er sich vom schäbigen Subjekt wieder zu seinem wahren Ich gemausert hatte und nun mit dem Lord die Sachlage erörterte. „Wie konntest gerade du eine Leibesvisitation vorschlagen, da du die Schmuckstücke in der Tasche hattest, die Harper vermisste?“
Buddenbrooke lachte schallend. Er war in bester Laune.
„Du irrst, ich wusste ganz genau, dass sich das Diadem nicht in meiner, sondern in Harpers Tasche befand. Ich wusste es, weil er seinen Verlust so schallend heraus posaunte und ich das Diadem nicht hatte. Es blieb ihm gar keine andere Wahl, als die Leibesvisitation – meine und damit auch seine – abzulehnen.“
„So ein abgefeimter Gauner“, rief Elroy voller Bewunderung. „Wieder einmal wollte er seine Versicherung über das Ohr hauen.“
„Es ließ sich alles weit besser und leichter an, als ich dachte“, murmelte Buddenbrooke und zog die Corpus delicti aus seiner Tasche. „Sind das nicht drei prachtvolle Ringe?“
„Weshalb hast du denn nicht das Diadem eingesteckt, Billy? Ich dachte, das wäre das Objekt, auf das du reflektiertest.“
Der Lord blitzte ihn entrüstet an.
„Du magst ein ganz guter Meister deines Faches sein, Arthur, aber eins wirst du nie begreifen. Ein Buddenbrooke macht seiner Auserwählten keine geklauten Geschenke. Die erwirbt er reel. Merk dir das. Wo bleibt denn da der Anstand?“
Zwei Tage später erschien der ehrenwerte Lord abermals bei Harper, der ihm mit gemischten Gefühlen entgegensah und sich dann entschloss, den Biedermann zu spielen, um nicht von der Gnade eines launenhaften Mitwissers abhängig zu sein.
„Das Diadem, Mylord wissen schon, - es hat sich tatsächlich angefunden, haargenau, wie Sie vermuteten, - zwischen den Teppichfalten…“
Buddenbrooke lächelte, leicht die Brauen hebend.
„Na, sehen Sie, mein Bester, nun hat sich doch alles geklärt. Nichts wird schließlich so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Für die Ringe - ? Nun, dafür bin ich bereit, zu schwören, dass Sie nichts damit zu tun haben. Die Versicherung wird Ihnen ein hübsches Sümmchen auszahlen müssen. Übrigens – ich habe mich nun doch entschlossen, meiner Braut ein Collier zu kaufen, und zwar das dort unter dem Glassturz, - gut, dass es noch da ist. Wenn es meiner Frau gefällt, werden Sie uns sicher wieder häufiger zu Ihren Kunden zählen dürfen, mein lieber Harper.“
Harper, Harper & Son wurde der absolute Starlieferant für Lady Buddenbrookes Schmuckschatulle
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2010
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