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Der große Garten lag am Wege vom Hier zum Dort. Es war ein zauberhafter Garten.
„Seht die prächtigen Blumen!“ sagten alle, die vorbeigingen, und sie staunten.
„Schaut die herrlichen Schmetterlinge!“ riefen andere voller Bewunderung.
Es war wirklich eine ganz grandiose Anlage. Der Besitzer hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, das Bemerkenswerteste dieser Art zu schaffen, das man sich nur vorstellen konnte.
Aus all den prächtigen Gewächsen und Blumen aber ragte sie hervor: die Rose, die ein wenig abseits stand und so stolz war, dass sie sich nicht einmal im Wind bewegte, der mit ihr zu spielen versuchte.
„Was für eine Sinfonie der Farbenpracht!“ riefen diejenigen, die sie erblickten. „Welch ein berauschender Duft. Sie ist etwas ganz Besonderes!“
Das meinte auch der Schmetterling, der sich eines Tages, müde von der Gaukelei über alle anderen Blumen hinweg, auf ihrem Blütenkelch niederließ. „Ich hörte, du seiest etwas Besonderes“, sagte er und schmiegte seine zarten, zauberhaft-bunten Flügel an ihre Blätter.
Da erschauerte die Rose zum erstenmal und bewegte sich leicht unter der Last des Falters.
„Ich werde dich öfter besuchen!“ sagte der Schmetterling. „Immer wenn ich satt bin von
Nektar und Ambrosia der anderen Blumen, komme ich zu dir. Und dann erzähle ich dir, was alles ich in der Welt sah und erlebt habe. Ist dir das recht?“
Die Rose neigte zustimmend die Blüte. Zum ersten Mal hatte sie etwas von ihrer keuschen Unnahbarkeit verloren. Aber gerade dadurch war der leicht künstlich erscheinende Eindruck von ihr gewichen. Sie wirkte nun natürlicher und lebendiger. Sogar ihr Duft schien sich intensiviert zu haben.
Der Schmetterling hielt Wort. Er gaukelte tagsüber von Blüte zu Blüte. Es gefiel ihm in dem großen, prächtigen Garten. Er naschte hier, er kostete dort, und die Blumen und Blümchen am Wege verschmachteten nach ihm. Sie neigten und bewegten sich im Winde, wenn sie nur an ihn dachten.
„Jetzt habe ich genug von euch allen!“ sagte er jedoch am Abend. „Jetzt habe ich etwas Besonderes vor!“ Damit meinte er die Rose, die in ihrer Ecke stand und sich erst dann erschloss, wenn der Falter auf ihr wippte.
„Hübsch ist das Leben“, sagte der späte Besucher. „Zu dumm, Rose, dass du nicht mit mir kommen kannst, um zu sehen, was es in der Welt gibt. Sag, kannst du es nicht wenigstens einmal möglich machen, mich auf der Reise durch den Traum des Tages zu begleiten?“
Da empfand die Rose zum erstenmal ihre Bodenständigkeit als Qual, ihre Natur, die dem Boden verhaftet war, als Unglück.
„Flieg du nur,“ sagte sie leise, und in ihrem Kelch perlte ein Tautropfen. „Ich bin schon glücklich, wenn du nur wiederkommst.“
„Natürlich komme ich wieder. Du bist ja etwas Besonderes, und ich habe nun einmal das Faible für das Besondere.“ Damit tändelte er davon.
Über dem Tändeln, dem Geflatter verging die Zeit. Der Schmetterling in seiner hektischen Umtriebigkeit und seinem flatterhaften Dasein bemerkte es kaum. Aber die Rose, die bereits voll aufgeblüht war, spürte, dass ihre Farben langsam verblichen und dass sie nicht mehr sehr viel Zeit hatte. Ihr Duft war nur noch dann so süß wie Honig, wenn der Schmetterling bei ihr war, und sie wusste, dass sie während seiner Abwesenheit besonders viel Kraft sammeln musste, um sie verströmen zu können, wenn sie ihn heranschwirren hörte. Sie wollte für ihn das Besondere bleiben, damit er immer wiederkam.
Aber der Wind nahm ihr den Duft, der Regen die Farbe, und ihre Stunden waren gezählt. Noch einmal suchte sie allen Zauber in sich zu intensivieren.
„Eine Nacht noch!“ dachte sie, und es war fast ein Gebet, „eine Nacht noch will ich für ihn das Außergewöhnliche sein, damit er mich niemals vergisst.“
All ihren Schmelz, all ihre zauberische Pracht strahlte sie aus, sodass der Schmetterling sich schier in ihrer Süße badete und labte, ehe er am Morgen auf und davon flog.
Da waren ihre Kräfte erschöpft. Sie neigte den Kelch, und die Blätter stoben davon.
„Seht nur“, riefen die, die vorbeigingen. „Die Rose ist verblüht. Es ist aus mit ihr. Ihre Zeit war um. Welk und fahl hängt sie am Stängel.“
„Wirklich“, entgegneten andere. „Es sieht hässlich aus.“ Irgendjemand kam und brach mutwillig den Stiel, die Rosenblüte auf den Boden werfend. Da lag sie ermattet und todesselig und wusste, es war zu Ende.

NUN KANN MAN SICH ZWEI VERSIONEN AUSSUCHEN

Finale eins:

Als am Abend der Schmetterling zur gewohnten Stunde kam und die verendete Rose sah, packte ihn Entsetzen. Er flatterte verstört um sie herum.
„Pfui!“ rief er aus. „Das ist nicht meine Geliebte. So etwas Hässliches kann ich nie geliebt haben.“
Damit stob er davon zurück zu all den anderen Blüten, von denen es immer neue und auch ganz hübsche gab, obwohl sie sich dennoch alle glichen. So dachte der Schmetterling nicht mehr an die Rose, denn nur das, was man ständig vor Augen hat, bleibt einem im Gedächtnis haften.
Und darum wird, was tot ist, auch schnell vergessen.


Finale zwei:

Als am Abend der Schmetterling zur gewohnten Stunde kam und die gebrochene Rose sah, packte ihn Entsetzen. Er flatterte verstört um sie herum.
„Oh, meine Geliebte“, klagte er, denn plötzlich ging ihm auf, was er verloren hatte, „wäre ich doch bei dir geblieben, - nie hätte man dir dieses antun dürfen. Was soll ich nun machen? Wie kann ich weiterleben – ohne dich? Du darfst nicht sterben! Warte, ich will dich erwärmen und damit neu zum Leben zurückführen.“
Er wippte auf der welken Blüte, die im Sande lag. Er küsste sie und benetzte sie mit dem bunten Staub seiner Flügel, weil er hoffte, sie dadurch zu neuer Farbenpracht erwecken zu können.
Doch es war vergeblich, und ihm wurde klar, wie einsam und allein er von nun an sein würde. Und der Gedanke kam ihm, dass auch für ihn bald die Stunde gekommen sein würde, Abschied vom Garten des Lebens zu nehmen.
„Was macht das schon?“ dachte er. "Wenn du nicht mehr hier bist, Geliebte, gehe ich gern dahin." Ein letztesmal versuchte er, sie zum Leben zu erwecken, auf dass er nicht allein und einsam sein müsste, inmitten der Pracht all der anderen hübschen Blüten, von denen ihm doch keine einzige das hatte vermitteln können, was ihm von der Rose gegeben worden war. So fest drückte er sich an sie, um sie zu spüren, dass ein Stachel ihres dornbewehrten Stieles sich in seinen Leib bohrte und er wie aufgespießt an ihr hängen blieb, bis auch er tot war.

Am Morgen kam der Gärtner, um Ordnung zu schaffen. Er fand die abgebrochene Rose mit dem daranhängenden Schmetterling, und beides zusammen – denn eins schien sich vom anderen nicht trennen zu können – warf er auf den Komposthaufen.
Keinem Menschen fiel ihr Verlust auf. Niemand dachte mehr daran, dass Rose und Falter etwas ganz Besonderes gewesen waren.
Und – wahrscheinlich waren sie es auch gar nicht. Denn – was ist an der Liebe schon Besonderes?


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Tag der Veröffentlichung: 04.04.2009

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