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Was Rotkäppchen heute sagen würde...



- eine Homage an ein Märchen der Gebrüder Grimm -

In einem kleinen Städtchen lebte vor gar nicht allzu langer Zeit ein Mädchen. Sie hatte eine besondere Vorliebe für alles rote. Ihr Zimmer mit der Dachschräge war in Rot gestrichen. Ihre Möbel hatten ein rotes Furnier und am liebsten trug sie Klamotten in rot und pink. Und natürlich ging sie nie ohne Ihr Basecup, das selbstverständlich auch rot war und mit Strasssteinen besetzt. Sie hatte in Ihrem Zimmer einen roten Laptop, einen kleinen roten Fernseher, eine rote Stereoanlage und natürlich auch eine Wii und eine PS-2 mit rotem Cover. Selbst für ihr Smartphone hatte sie eine rote Schale besorgt. Wegen dieser Manie wurde sie von Ihren Schulfreunden nur Red genannt. Jedes Wochenende radelte sie auf ihrem roten Mountainbike durch den Wald zu Ihrer Oma die auf einem Berg oberhalb der Stadt wohnte. Letztens hatte Ihre Mutter Sie gebeten für die Oma eine Kopie der neuesten Volksmusik-CD mitzunehmen.

An diesem speziellen Samstag begab es sich, dass sie sehr unachtsam auf dem Waldweg unterwegs war. Ein Spaziergänger kam ihr langsam entgegen und da geschah es.
Eine Wurzel ragte ein Stück aus dem vom Regen aufgeweichten Boden. In hohem Bogen flog Red mit einem spitzen Schrei über den Lenker und landete im Matsch.

Der Spaziergänger, ein kleiner Mann mit spitzer Nase und Nickelbrille, klaubte als erstes die CD aus der Pfütze, bevor er Red seine Hand reichte um Ihr aufzuhelfen.
„Na wo willst du denn so schnell hin?“, sprach er mit näselnder Stimme. „Ich wollte zu meiner Oma Nate,“ schluchzte Red, „OMG wie ich nur aussehe – ich werde erst nach Hause fahren und mich umziehen.“
Der kleine Mann blickte Red nach, bis sie seinem Blick entschwunden war, dann wandte er sich um und schritt eilends in die Richtung aus der er gekommen war.

Als Red zu Hause den Flur betrat sah sie den AB blinken. Sie betätigte die Wiedergabetaste und hörte die Stimme Ihrer Großmutter: „Red mein liebes Kind, kannst du mir bitte eine Flasche Franzbranntwein mitbringen? Mein Kreuz tut so weh! Ich glaube ich habe wieder viel zu lange vor dem PC „Solitär“ gezockt! Danke ich freu mich auf dich! – Hab dich lieb!“
Seufzend machte sich Red daran neue rote Sachen für sich herauszusuchen, sich im Bad zu säubern und für die Oma eine Flasche Franzbranntwein aus dem Medizinschrank einzupacken.

In der Zwischenzeit war der kleine Mann in Begleitung eines zweiten Mannes beim Hause der Oma angekommen. Dort lauschten sie am Fenster. Dann klingelte er an der Tür.
„Guten Tag ich bin Herr Wolf von der Gebühreneinzugszentrale, ich darf doch hineinkommen!“ und schon hatte er sich an der verdutzten Oma vorbei, durch die Tür gedrängt. „Hab ich es doch gewusst!“, polterte er laut los, „Sie haben kein Fernsehempfangsgerät angemeldet und schauen doch den ganzen Tag die volkstümliche Hitparade! Und wie ich sehe haben Sie auch einen internetfähigen PC und ein Smartphone welches Sie nicht angemeldet haben! Ich werde Sie von meinem Kollegen zur Vernehmung mit in unsere Zentrale bringen lassen!“
Völlig verschreckt sank die Oma auf Ihren großen Ohrensessel zurück.
„Und die Raubkopiererfamilie erwische ich auch noch! Dann können Sie einige Jahre zum Geburtstag vor der Gefängnismauer ihre volkstümlichen Geburtstagsständchen singen!“, drohte Herr Wolf.
Völlig in Tränen zerflossen suchte Oma Nate sich ihre Sachen zusammen und schlurfte mit dem zweiten Mann Richtung Hauptstraße davon.

Herr Wolf machte sich in der Zwischenzeit über den PC her und versuchte herauszufinden ob die Oma vielleicht unbezahlte lizenzpflichtige Software auf dem Rechner hatte.

Red hatte inzwischen sogar ich schönes rotes Mountainbike mit dem Kärcher grob gesäubert und machte sich nun daran mit vollgepacktem Fahrradkorb in Richtung Oma zu fahren.
Auf dem Waldweg musste sie plötzlich anhalten. Ein Mann mit Laptop und seltsamen Antennengeräten machte sich am Wegesrand zu schaffen und hatte eine große Kiste mitten auf den Weg gestellt.
„Darf ich bitte mal durch, was machen Sie eigentlich da?“ fragte Red höflich.
„Ich bin Jack Jäger von den Piraten und unsere Gruppe macht heut Geocaching! Moment ich bin gleich fertig!“
„Pirat ha, ha verarschen kann ich mich selber!“, meinte Red, „Du siehst nicht gerade wie Jack Sparrow aus!“
„Aber nicht doch, wenn wir Piraten mit Augenklappe, Holzbein und Papagei auf der Schulter rumlaufen würden, hätten wir bei der Wahl ja keine Chance mehr!“, lachte der Mann.
„Papageien finde ich cool!“ meinte Red achselzuckend, schob ihr Rad an der Kiste vorbei, stieg auf und radelte weiter.

Am Hause der Großmutter trat Red verwundert in die nur angelehnte Tür. Dunkelheit umfing sie die Vorhänge waren zugezogen und Red meinte die Gestalt ihrer Oma im Ohrensessel zu erahnen. „Warum ist es hier so finster?“, fragte Red. Leise hingehaucht antwortete ihr eine etwas näselnde Stimme: „Ich habe zu lange im Internet gezockt, nun tun mir die Augen weh! Hast du worum ich dich gebeten habe? Und sprich laut und deutlich meine Ohren sind entzündet.“ „Ja klar doch Omi, hier ist der Franzbranntwein!“, klang die etwas verunsicherte Stimme von Red. „Nein nicht doch das Zeug sondern die Raubkopie!“ klang es lauernd.

„Ach die CD meinst du!“, sprach Red und griff in ihre Jackentasche.
Wie ein Panther sprang die Gestalt aus dem Ohrensessel auf Red zu und grabschte nach ihrer Hand.
Kreischend und völlig verschreckt sprang Red zurück und schrie laut um Hilfe.
Mit einem lauten Krachen flog die Tür auf, und in helles Licht getaucht wie ein Rächer aus längst vergangenen Zeiten stand Jack der Pirat in der Tür und betätigte den Lichtschalter.
„Was geht hier vor!?“ rief er und deutete auf das Diktiergerät in der Hand des Herrn Wolf.
„Ich kenne diesen Mann nicht, wo ist meine Oma?!“ jammerte Red und drängte sich an Jack.
„Nun vielleicht kann dieser Herr uns ja hier Auskunft geben!“, meinte Jack und blickte herausfordernd zu Herrn Wolf. „Aber natürlich“, näselte dieser, „ich bin von der GEZ und führe eine Ermittlung wegen Gebührenhinterziehung und Raubkopiererei durch!“ und deutete auf die schick verpackte CD in Reds Hand.
„Hat sich was von wegen Ermittlung! So etwas darf nur die Polizei und von jeder gekauften CD darf man 5 Kopien an Freunde zu privaten Zwecken verschenken!, am besten ich rufe gleich mal die Bullen an!“, sprachs und zückte sein I-phone.

Kurze Zeit später war die Polizei da und auch die Oma war inzwischen wieder zu Hause angekommen. Eine Anzeige gegen Herrn Wolf wurde aufgenommen und so ganz langsam beruhigten sich alle wieder. Und sich freundlich in der Tür verabschiedend meinte Jack - Sie brauchen niemanden jemals in ihre Wohnung zu lassen – es sei denn er ist Beisein der Polizei und hat einen Gerichtsbeschluss oder es sind Polizei oder Feuerwehr die eine genau bestimmte Gefahr abwenden wollen.

Und so endete dieser seltsame Samstag für Red – unser modernes Rotkäppchen und ihre Großmutter.

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Tag der Veröffentlichung: 17.10.2012

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