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Kurzkrimi

„Herr Krumbauer?“

„Wer will das wissen?“ brummt es hinter dem aufgeschlagenen Sportteil der Tageszeitung hervor.

„Grüß Gott! Ich bin Lilli Roth, ihre neue Aspirantin.“

„Jössas, stimmt ja.“ Krumbauer klappt den Sportteil zusammen und nimmt die Füße vom Sekretär.

Sein Blick mustert sie von oben bis unten. Lilli streicht sich die Haare hinter die Ohren und räuspert sich verlegen. Dann steht er endlich auf und kommt auf sie zu. Sie streckt ihm ihre Hand entgegen und muss dann ein Zusammenzucken unterdrücken, als er ihre Finger wie in einem Schraubstock zusammendrückt. Verstohlen überprüft sie nach der Begrüßung, ob ihr neuer Ring verbogen ist.

„Sie kommen ja aus Linz. Direkt von der Polizeiakademie, wenn mich nicht alles täuscht. Na, da wird es Ihnen bei uns ja wahrscheinlich schnell langweilig werden. Ihr Vater ist der berühmte Major Roth?!

„War. Er ist leider vor einem Jahr verstorben.“

Krumbauer murmelt etwas, das Lilli nicht versteht. Das Handy am Schreibtisch beginnt im Folgetonhorn eines amerikanischen Streifenwagens zu läuten.

„Wer stört?“ blafft Krumbauer ins Gerät. Stille. „Willst Du mich verarschen? … Wo seid Ihr? … Alles klar, ich rufe den Schröcki an. Wir sind in fünfzehn Minuten bei Euch. Greift um Gottes willen nichts an und riegelt den Einsatzort ab. Eh schon wissen.“ Krumbauer schaut sie an, als ob er vergessen hätte, wer sie ist und was sie hier wollte. Schüttelt den Kopf und sagt: „Sie werden sich jetzt vielleicht wundern, aber wir haben einen Mord.“ Während er das sagt, wählt er am Handy eine Nummer. „Schröcki? Hallo. Kannst Du kurz weg? Am Söderweiher haben sie eine Leiche gefunden. Wäre gut, wenn du dir die einmal anschauen könntest.“ Er lacht auf, als am anderen Ende der Leitung eine Antwort folgt. „Ja. Danke. Also wir sehen uns dort.“ Zu Lilli gewandt meint er: „Ihre Uniform bekommen sie später. Also los!“

                                                                                       *

Lilli sitzt am Steuer des Streifenwagens. Krumbauer lotst sie zum Tatort. Sie fahren über den leeren Ortsplatz. Beim alten Kloster biegen sie an einem Wäldchen ab und sehen schon das ganze Aufgebot an Einsatzfahrzeugen. Aufgeregt kommt ihnen ein Inspektor entgegen. „Chef. Sie werden es nicht glauben. Die Leiche steckt mit dem Kopf voran im Teich. Es sieht aus als hätte sie jemand verkehrt gekreuzigt."

Hilfe. Wo bin ich denn hier gelandet? Lilli holt aus dem Kofferraum die Asservatenausrüstung und Handschuhe. Vorsichtshalber steckt sie noch eine Taschenlampe ein.

Ein weiteres Fahrzeug hält neben ihrem. „Schröcki – das ist meine neue Aspirantin, Frau Roth“, stellt Krumbauer Lilli dem Mann vor, der ausgestiegen ist.

„Lilli Roth. Grüß Gott.“

„Sehr erfreut. Thomas Schröckmayr. Ich bin der Amtsarzt.“ Der Mann macht einen sympathischen Eindruck auf sie. Er zwinkert ihr kurz zu und wendet sich an Sepp Krumbauer. „Also. Wo ist jetzt die Leiche?"

Sie gehen über einen kleinen Kiesweg zum Weiher. Die Sonne scheint. Es wird langsam warm. Es ist wirklich schön hier. Wie kann jemand in so einer Umgebung bloß jemanden umbringen?

Ein paar Meter vor dem Steg hat die Spurensicherung Metallstreben in die Erde gesteckt. Ein Absperrband ist daran befestigt. Der Inspektor hebt es für sie hoch und geht vor ihnen zum Fundort der Leiche. Ein nackter dürrer Männerkörper steckte kopfüber im schlammigen Uferbereich. Lilli schaudert bei dem Anblick. Sein Körper ist wie ein verkehrt Gekreuzigter an den Pfeilern des Bootsstegs gebunden. Die Arme seitwärts an den Steg gefesselt. Über und über weist er Hieb- und Stichwunden auf. Als hätte jemand versucht, ihm ein makabres Tattoo zu verpassen. Lilli verspürt einen leichten Brechreiz, als sie bemerkt, dass der Tote keine Geschlechtsorgane mehr hat. Sie steht hinter dem Revierinspektor und dem Amtsarzt. Schröcki sagt trocken: „Also, nach einem Unfall schaut mir das nicht aus.“ Er wirkt nachdenklich und massiert seinen Dreitagesbart. „Sollen wir einmal schauen, wer das ist?“

Sepp Krummbauer bespricht sich mit dem Inspektor, der sie zur Leiche geführt hat. „In Ordnung, wir haben alles fotografiert. Dann finden wir heraus wen wir da haben.“

Amtsarzt Schröckmayr schneidet mit einem dicken Schweizer Taschenmesser die Seile durch. Krumbauer und der Inspektor halten ächzend je ein Bein der Leiche fest. Sie muss schwerer sein als sie aussieht. Lilli wundert sich, warum sie dabei keine Latexhandschuhe tragen, sagt aber nichts und bereitet eine Plastikplane am Steg vor auf die sie den Toten legen können. Die Männer legen den toten Körper auf die Plane. Das Gesicht des Toten ist voller Schlamm und Seegras. Krumbauer kippt ihm einen Eimer Wasser über den Kopf. „Das ist der Gustl Löbinger, oder?“ bespricht er sich mit dem Arzt.

„Ja. Eindeutig.“

„Siehst Du, woran er gestorben ist?“

„Schwer zu sagen. Ich schätze, er ist seit etwa acht Stunden tot. Die Wundränder sind schon ziemlich verkrustet. Er könnte erschlagen worden sein, oder erstochen. Vielleicht ist er aber auch ertrunken. Nach einem Selbstmord sieht es eher nicht aus. Hat man seine Eier und den Rest vom Gemächt schon gefunden?“

„Nein, keine Spur“, antwortet der Inspektor.

„Könnte es sich um eine Eifersuchtstat handeln?“, fragt Lilli.

„Der Löbinger war keine große Nummer im Ort. Eine Beziehung hatte der, was ich weiß, keine“, sagt Krumbauer mehr zum Arzt als zu ihr.

Er bedeutet der Spurensicherung, den Toten abzutransportieren und knackt mit seinen Fingern. Lilli bekommt von dem Geräusch eine Gänsehaut. „Wer hat den Toten eigentlich gefunden?“

„Ein Junge. 17 Jahre. Sein Name ist Timothy Klein. Er war high, als er uns angerufen hat. Wir haben ein paar Joints bei ihm entdeckt“, berichtet der Inspektor.

„Du schaust Dir die Leiche an?“, wendet sich Krumbauer an den Arzt.

„Muss ich ja wohl“, antwortet dieser mit wenig Begeisterung und folgt dem Abtransport der Leiche. Er hebt zum Gruß den Arm und schenkt Lilli ein letztes Nicken.

Lilli schaut ihm nach und wird rot, als Krumbauer es bemerkt. „Kommen Sie mit, Fräulein Roth! Wir befragen jetzt den Jungen.“

Sie ärgert sich über das Fräulein. Schon auf der Akademie hat sie sich diese unterschwellig abwertende Bezeichnung immer wieder anhören müssen. „Sie können gerne Lilli zu mir sagen.“

 

Der Siebzehnjährige sitzt wie ein Häufchen Elend an die Wand des Bootshauses gelehnt. Als sie kommen, steht er auf und steckt die Hände in die Hosentaschen. Lili nimmt ihr Handy und schaltet die Diktiergerätfunktion ein. „Was hast Du um sieben Uhr hier zu suchen?“, fragt Krumbauer den Burschen unfreundlich.

„Ich war spazieren.“

„Rede keinen Scheiß, sonst nehmen wir dich gleich als Tatverdächtigen mit. Das Märchen kannst Du jemand anderes erzählen. Ein Siebzehnjähriger, der um sieben in der Früh spazieren geht, ist so glaubhaft wie ein WM-Sieg der österreichischen Nationalmannschaft. Also noch einmal: Was hast Du um sieben Uhr hier zu suchen?“

„Die Kirsten geht hier immer in der Früh schwimmen. Nackt. Ich schau ihr gerne dabei zu. Heute habe ich sie aber nicht gesehen, dafür den Toten.“

„Wer ist Kirsten?“

„Kirsten Auer – Freaky. Sie wohnt mit Kilo, ihrem Freund, dort hinten in dem Wohnmobil.“ Timothy deutet ans andere Ufer des Weihers.

„Also gut, Du kleiner Spanner. Was hast Du sonst noch gesehen?“

„Nichts. Ich schwöre es! Bitte sagen Sie Kirsten nicht, dass ich sie beobachtet habe.“

„Gut. Geh jetzt nach Hause! Wenn wir Dich noch einmal beim Haschen erwischen, bekommst Du einen Eintrag. Verstanden? Und Deinen Alten werden wir es auch erzählen.“

Lilli fühlte Mitleid mit dem Jungen. Als Teenager hat man genug Probleme. Einen Toten zu finden, noch dazu einen so grausam verstümmelten, musste eine traumatische Erfahrung für Timothy sein.

„Sollten wir ihn nicht zu einem Psychologen schicken?“, fragt sie Krumbauer.

„Der packt das schon. Nur die Harten kommen durch und von denen auch nur zehn Prozent.“ Er lacht über seinen eigenen Witz. „Dann fragen wir einmal die Nacktbaderin.“

 

Mit langen Schritten marschiert er voran. Lilli muss fast laufen um mithalten zu können. Ein paar Minuten später kommen sie bei dem Wohnmobil an. Krumbauer klopft an die Türe. „Polizei! Wir müssen mit Ihnen reden!“

Ein junger Mann mit langen, zusammengebundenen Haaren öffnet ihnen. Hinter ihm erkennt Lilli eine etwa gleichaltrige Frau mit knallroten Haaren. Sie trägt ein Spaghetti-Top. Ihr Körper ist über und über mit Tattoos bedeckt. Bis auf die vielen Piercings in ihrem Gesicht, ist sie ein hübsches Mädchen. Die Beiden steigen aus dem alten Wohnmobil.

„Wir haben heute Morgen beim Bootshaus einen Toten gefunden und müssen Ihnen kurz ein paar Fragen stellen“, sagt Krumbauer. „Jemand hat uns erzählt, Sie gehen jeden Morgen im Teich schwimmen.“ Er schaut Kirsten an.

„Ich war aber heute nicht. War das Piepsi, der das gesagt hat? Ich weiß genau, dass er immer da hinten herumlungert und mich beobachtet.“

„Piepsi?“

„Ich glaube, er heißt Timothy. Ich nenne ihn Piepsi, weil er so lieb und unschuldig ist.“

„Haben Sie letzte Nacht etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen?“

„Wer ist der Tote?“, erkundigte sich Kilo.

„Das geht Euch nichts an! Also habt Ihr etwas gehört?“ Krumbauer macht eine ungeduldige Handbewegung.

„Ich war so um eins nochmal zum Pinkeln draußen. Da habe ich ein Auto gehört beim Bootshaus. Ich habe aber angenommen, es fährt weg. Hat sich jemand im See ertränkt?“

„Kannst Du das Auto beschreiben?“

„Nein. Ich habe es nur gehört und nicht einmal die Lichter bemerkt. Es müssen aber mehrere Personen gewesen sein. Ich habe gehört, wie mehrere Türen zugeschlagen wurden.“

„Dürfen wir hineinschauen?“ Krumbauer weist auf die Türe des Wohnmobils.

„Es ist aber nicht aufgeräumt“, sagt Freaky und winkt sie in den Bus. Lilli findet den Namen wegen der Tattoos und Piercings mehr als passend. Sie wirft einen Blick in das Innere und ist überrascht, wie nett und sauber alles ist. Die Einrichtung zeigt viel Liebe zum Detail. Auf einem kleinen Herd dampft ein Teekessel. Es riecht nach Frühstück.

Nachdem sie sich kurz umgesehen haben, sagt Krumbauer: „In Ordnung. Ihr haltet Euch für weitere Auskünfte zur Verfügung!“ Lilli schenkt den jungen Leuten ein entschuldigendes Lächeln.

 

Sie gehen zurück zum Streifenwagen. „Was glauben Sie, Herr Revierinspektor? Haben die beiden etwas mit dem Mord zu tun?“

„Jedenfalls haben die zwei einen Mordshuscher. Bei solchen kann man nie wissen. Wie die daherkommen! Wie zwei Obdachlose.“

Lilli teilt seine Meinung nicht, verkneift sich aber eine Bemerkung. „Wie gehen wir weiter vor?“

„Wir müssen die Angehörigen verständigen. Der Löbinger war oft im „Güterverkehr“. Ich glaube, wir schauen dort einmal vorbei.“

*

Sie halten vor einem rosa gestrichenen Haus mit eindeutigen Beschriftungen.

„Das „Güterverkehr“ ist ein Bordell?“, fragend schaut Lilli den Vorgesetzten an.

„Ja. Frau Kollegin. Woher werde ich wohl wissen, dass der Löbinger öfters hier war? Sie sollten Ihre Gedanken nicht so offensichtlich zeigen. “

Sie betreten das Lokal. Es riecht nach kaltem Zigarettenrauch und Alkohol. Die Fenster sind mit Folie beklebt, so dass kaum Tageslicht ins Innere fällt. Für Lilli wirkt es schmutzig und ungemütlich. Sie fragt sich, wie bei so einer Umgebung Erotik aufkommen soll. Krumbauer geht zum Tresen und betätigt eine altmodische Klingel.

„Das kostet normalerweise eine Lokalrunde“, teilt er Lilli mit. Sie hört eine Tür im oberen Stockwerk und dann Schritte auf der Treppe. Eine Frau, die in jungen Jahren wahrscheinlich einmal attraktiv gewesen ist, erscheint. Jetzt sind ihre Haare zu offensichtlich gefärbt. Ihre Haut wirkt selbst im Dämmerlicht fahl und verbraucht. Rund um den Mund hat sie tiefe Falten, wohl vom intensiven Rauchen. Sie trägt einen Hello-Kitty-Hausanzug.

„Sepp! Du bist aber ein bisschen früh dran.“ Sie begrüßt den Revierinspektor mit zwei Küssen auf die Wangen. „Wie geht´s der Familie?“

Na servus! Lilli schämt sich fast ein wenig Zeuge dieser intimen Begrüßung zu sein.

„Ich bin beruflich da, Ludmilla. Wir haben heute den Gustl Löbinger gefunden. Tot. Ich glaube, Ihr seid euch näher gestanden. Wollte es Dir persönlich sagen.“

Lilli beobachtet die Frau bei Krumbauers Worten. Sie zeigt keine besonderen Gefühle. So nahe dürften die beiden sich wohl doch nicht gestanden haben.

Ludmilla greift zu einer Schachtel Zigaretten auf dem Tresen und zündet sich eine an. Sie macht einen tiefen Zug und bläst den Rauch steil in die Luft. „Das ist ja schrecklich.“ Ihr Tonfall ist ausdruckslos. „Es stimmt, der Gustl war öfters hier. Aber nicht als Kunde, der wollte immer nur reden. Die Birgit, seine verstorbene Frau, war meine Schwester. Er hat sonst keine Familie. Ich war so etwas wie seine Ersatzfamilie.“

„Was kannst Du uns über ihn erzählen?“ Krumbauer macht es sich am Tresen bequem und zündet sich ebenfalls eine Zigarette an. Lilli tritt einen Schritt zurück. Sie hasst Zigarettenrauch. Prompt zieht sie mit der Bewegung die Aufmerksamkeit des Revierinspektors auf sich.

„Lilli. Sie könnten in der Zwischenzeit zum Schröcki fahren und nachfragen, ob er schon was sagen kann.“ Er gibt ihr die Adresse. Lilli will gar nicht darüber nachdenken, warum er sie loswerden möchte. Sie kommt der Aufforderung liebend gerne nach.

*

Der Amtsarzt legt ein blutverschmiertes Skalpell zur Seite und zieht sich die Latex-Handschuhe aus. Lilli bemüht sich, die Leiche nicht zu beachten. Sie bemerkt trotzdem, dass ein Tuch über der Stelle mit den fehlenden Genitalien liegt. Lilli ist froh darüber.

Der Arzt trägt einen Mundschutz und eine feste Plastikschürze. Sie sieht ihm zu wie er seine Hände ausgiebig wäscht.

Er hat sehr schöne Hände, denkt sie. Keine Ringe. Sein Blick wandert immer wieder zu ihr. Sie meint ihn hinter der Maske lächeln zu sehen. „Was meinen sie? Was ist die Todesursache?“

Er weist auf eine tiefe Stichwunde am Hals des Toten. „Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er an dieser Wunde verblutet. Zuvor hat er aber einen schweren Schlag auf die Schläfe erhalten, möglicherweise hat er da schon das Bewusstsein verloren. “

„Und die Tatwaffe?“

„Der Schlag kam von einem stumpfen Gegenstand. Die Schnitte und Stiche könnten von einem normalen Küchenmesser stammen, das muss aber noch überprüft werden. Gestorben ist er zwischen zweiundzwanzig Uhr dreißig und Mitternacht. Die Genitalien wurden post mortem entfernt. Die weiteren Stichwunden sind ebenfalls erst später zugefügt worden. Wasser habe ich keines in seiner Lunge gefunden.“ Er räuspert sich und wechselt den Tonfall. „Was treibt Sie ausgerechnet zu uns nach Söderstetten?“

„Ich mochte das Land immer schon lieber als die Stadt. Jetzt hat sich die Gelegenheit geboten. Die Arbeit hier scheint auch spannend zu sein.“ Sie muss grinsen, hebt die Schultern und fragt sich selbst, was genau sie hierher getrieben hat. Glaubt sie ans Schicksal?

„Gibt es schon eine Spur zum Mörder?“

„Ich weiß es nicht genau. Der Revierinspektor ist gerade im „Güterverkehr“ und befragt Ludmilla Kranz. Sie war anscheinend die nächste Angehörige des Toten. Wissen sie eigentlich, woran seine Frau gestorben ist?“

„Ich hatte es vergessen, aber ich habe vorhin nachgesehen. Es ist schon zwölf Jahre her. Sie ist am Grab der Mutter von deren Grabstein erschlagen worden. Ich habe mich dann wieder erinnert. Damals ist alles bekanntgeworden.“ Er bemerkte ihren fragenden Blick. „Löbinger ist wegen seiner Frau aus der Kirche ausgetreten. Was besonderes Aufsehen erregt hat, er war nämlich Pfarrer.“

Wie bitte?!“

„Ja. Er war sogar ein guter Pfarrer und beliebt in seiner Gemeinde. Das war ganz in der Nähe. Einige Zeit haben er und Birgit in heimlicher wilder Ehe gelebt, aber es ist dann doch aufgekommen. Jemand hat es dem Bischof gesteckt, und der hat ihn dann vor die Wahl gestellt. Er hat sich für Birgit entschieden und ist für sie aus der Kirche ausgetreten, anders hätte er sie nicht heiraten können. Das Glück hat leider nicht lange gehalten. Dann ist der Unfall passiert. Seitdem hat er sich total zurückgezogen. Ist nie mehr in die Kirche gegangen. Man munkelte, er habe Gott die Schuld an allem gegeben.“

„Das ist traurig.“ Lillis Handy läutet. Es ist Krumbauer. Er spricht so laut, dass auch der Doktor mithören kann. „Holen sie mich beim „Güterverkehr“ ab!“

Lilli geht Richtung Türe. „Wie lange war etwa die Tatwaffe?“, fragt sie den Amtsarzt im Hinausgehen.

„Es war schon ein ordentlich starkes Messer. Die Klinge etwa dreißig Zentimeter lang und fünf Zentimeter breit.“

„Danke! Bis bald.“ Lilli hält an der Türe einen Moment inne. Als keine Antwort kommt, geht sie zum Wagen. Sie kennt dieses Gefühl genau, wenn ihr jemand zu lange auf den Hintern starrt. Sie steigt ein, mit einem Lächeln auf den Lippen.

*

„Wo soll ich hinfahren?“ Krumbauer neben ihr im Wagen tippt auf seinem Handy herum. Aus den Augenwinkeln erkennt sie irgendwelche Sportergebnisse. Sie geht vom Gas. Fährt an den Rand. Hält an. Er schaut auf und registriert jetzt wohl, dass sie ihn etwas gefragt hat.

„Wir fahren zu seiner Wohnung. Gmundner Straße 33.“ Lilli programmiert die Adresse ins Navi ein. Krumbauer spricht weiter: „Den Nachbarn ist vielleicht etwas aufgefallen. Wir müssen feststellen, wer ihn wo zuletzt gesehen hat.“

„Alles klar.“ Lilli nickt zustimmend und steigt aufs Gas. Wieder lernt sie neue Teile des Ortes kennen. Jetzt kommen sie in eine Straße mit älteren zweistöckigen Gebäuden. Oft befinden sich im Erdgeschoß Geschäfte.

Sie halten vor einem gelben Gebäude mit einer schönen Stuckfassade. Während der Fahrt hat Krumbauer wieder auf seinen Sportseiten geblättert. Vor dem Aussteigen erzählt Lilli ihm von den Ergebnissen der Obduktion.

 

Am Eingang gibt es eine Glocke mit den Namen der Bewohner. Sie betreten das Gebäude und gehen in den ersten Stock. Am Türschild finden sie die Wohnung des Opfers. Sie hören die Eingangstüre und Schritte die sich nähern. Am Türschild von Löbingers Nachbarwohnung steht: DOROTHEA STRASSER.

Eine blonde Frau Mitte vierzig kommt auf sie zu. Sie fährt sich immer wieder fahrig durch die Haare, als sie die Polizeiuniform sieht. „Grüß Gott, gnädige Frau. Ist das Ihre Wohnung?“, begrüßt sie der Revierinspektor. Sie nickt schüchtern und versucht schnell in ihrer Wohnung zu verschwinden. Krumbauer macht einen Schritt auf sie zu. „Dürfen wir kurz mit Ihnen reden?“ Die Frau bleibt stehen und zieht die Türe fast wieder zu und wartet unschlüssig. „Können wir mit reinkommen?“, macht Krumbauer deutlich, dass sie gerne mit in die Wohnung gehen würden. Darauf öffnet die Frau widerwillig die Wohnungstüre. Ein Geruch nach Desinfektionsmittel liegt in der Luft, alles ist blitzsauber.

Krumbauer nimmt ihre Personalien auf. Sie ist Lehrerin an der Söderstettner Mittelschule von der sie auch gerade heimgekommen ist. Lilli fragt, ob sie sich in der Wohnung umsehen darf. Die Frau nickt kaum merkbar.

Lilli wirft einen kurzen Blick ins Schlafzimmer und geht dann in die Küche. Sie bemerkt, dass ein Messer am Magnethalter fehlt. Sie hört wie Krumbauer die Befragung fortsetzt.

„So, Frau Strasser. Wir hätten nur ein paar kurze Fragen ihren Nachbarn betreffend. Gustav Löbinger wurde heute Morgen tot aufgefunden. Können Sie uns sagen, wann Sie ihn das letzte Mal gesehen haben? Hatten Sie viel Kontakt mit ihm?

„Der Gustav ist tot? Mein Gott!“ Sie legt die Hand vor dem Mund. „Nein, ich kann mich gerade gar nicht erinnern, wann ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Wann ist er gestorben? Mein Gott! Aber ich habe ihn nie in der Kirche gesehen! Vielleicht weiß es die Wiesnerin von der Wohnung im Parterre. Die steht den ganzen Tag am Fenster und beobachtet alles, was im Haus und davor passiert. Sie hat auch einen Wohnungsschlüssel vom Löbinger, sie hat ihm die Wohnung besorgt.“

„Sie haben also gestern Abend nichts Ungewöhnliches bemerkt, oder gehört?“

„Der Löbinger ist oft erst spät nach Hause gekommen.“ Sie flüstert. „Er soll sich in zwielichtigen Spelunken herumgetrieben haben. Sagt man.“

„Sagt wer?“ Krumbauer ist hartnäckig.

„Ist das so wichtig? Vielleicht hätte ich es nicht erwähnen sollen.“

„Liebe Frau Strasser. Alles was Sie uns hier mitteilen, wird von uns äußerst diskret behandelt, Sie müssen sich da keine Sorgen machen. Nur verraten Sie uns bitte, warum Sie vermuten, der Löbinger hätte sich in irgendwelchen Spelunken herumgetrieben?“

„Meine Chorkollegin, Sieglinde, wohnt neben dem „Güterverkehr“. Sie hat mir erzählt, das Auto vom Löbinger steht sehr oft dort. Sieglinde arbeitet gegenüber in der Apotheke. Sie können sie ja selbst fragen.“

Sie verabschieden sich von der Lehrerin und klopfen an der Wohnungstüre im Parterre.

Eine weißhaarige, gebrechlich wirkende Frau öffnet die Wohnungstüre noch bevor sie mit dem Klopfen fertig sind. „Ist was passiert? Ich habe den Streifenwagen vor der Türe gesehen? Ist bei jemandem eingebrochen worden?

„Grüß Gott! Frau Roswitha Wiesner?“ Die Frau nickt. „Wir haben gerade von Frau Strasser im ersten Stock erfahren, dass sie einen Wohnungsschlüssel zur Wohnung von Gustav Löbinger haben. Ist das korrekt?“

„Mein Gott! Ist beim Löbinger eingebrochen worden?“ Entsetzt greift sie sich mit beiden Händen an den Hals. „Bei dem gibt’s ja gar nichts zu holen.“

„Der Herr Löbinger ist tot. Er war anscheinend in einen Kampf verwickelt, jedenfalls weisen gewisse Spuren darauf hin. Haben Sie irgendetwas gehört oder gesehen, das damit zusammenhängen könnte?“

„Nein. Wir sind hier ein ruhiges Haus! Der Löbinger hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Er war immer sehr höflich. Hat einem die Türe aufgehalten und die Einkaufstasche getragen“.

„Können Sie uns die Wohnung des Opfers aufsperren?“ Die alte Dame geht kurz in ihre Wohnung und kommt mit einem Schlüsselbund zurück. Sie schließt ihre Türe zweimal ab und geht langsam, sich am Stiegengeländer hochziehend, vor ihnen die Stufen hinauf. Im Zwischenstock macht sie eine Pause und hält schwer atmend inne. „Herzklappe.“ Sie deutet sich an die Brust.

„Möchten sie sich einhängen?“ Lilli bietet Frau Wiesner ihren Ellbogen an.

„Ja. Danke.“ Die Frau stützt sich schwer auf sie. Langsam geht Lilli mit ihr weiter.

Die alte Frau sperrt Löbingers Wohnung auf. Sie war nur einmal versperrt. „Der ist ja so unvorsichtig!“ Sie schüttelt den Kopf. Die Wohnung ist nüchtern eingerichtet. Ein paar Fotos aus glücklichen Jahren hängen im Flur. Sie zeigen Löbinger mit einer hübschen Frau an seiner Seite. Die Ähnlichkeit zu Ludmilla ist unverkennbar.

„Haben Sie die Frau Löbinger gekannt?“, fragt Lilli die alte Frau Wiesner.

„Das war eine ganz liebe. So ein Unglück! Der Löbinger hat mir leid getan. Deshalb habe ich ihm auch die Wohnung mitgemacht, obwohl es mir schon recht schwer fällt inzwischen.“

„Frau Wiesner. Kennen Sie irgendjemanden, der dem Herrn Löbinger etwas hätte antun wollen?“ Lilli spürt instinktiv, dass sie den besseren Draht zu der alten Dame hat und gibt ihrem Chef deshalb ein Zeichen ihr die Befragung zu überlassen. Krumbauer ist einverstanden und übernimmt dieses Mal das Durchsuchen der Räume. Lilli hört ihn in der Küche mit den Küchenschränken klappern und wie er die Besteckladen überprüft.

Die alte Dame antwortet auf Lillis Frage: „Nein! Er war ein ganz ein Stiller. Immer besonnen. Mit der Birgit hat es nie Streit gegeben!“ Sie überlegt ein paar Sekunden. „Nur die Birgit und die Ludmilla, die haben sich ganz schön oft in die Haare gekriegt. Zwillinge halt. Aber der Gustav ist da immer dazwischen gegangen und dann war meistens Ruhe.“ Daher kommt also die Ähnlichkeit. Denkt Lilli.

„Hat Herr Löbinger nach dem Tod seiner Frau vielleicht mit Ludmilla eine engere Beziehung gehabt?“

„Sie meinen Sex? Nein. Wo denken Sie hin! Der Gustav war zwar immer höflich zur Ludmilla, aber insgeheim hat man schon gemerkt, dass er ihren Lebensstil, wenn Sie wissen was ich meine, nun ja, verachtet.“

„Man hat den Herrn Löbinger aber öfters im „Güterverkehr“ gesehen“.

„Ja. Er hat mir einmal erzählt, dass es ihm hilft bei Ludmilla zu sein. Er hatte immer Angst zu vergessen, wie Birgit ausgeschaut hat. Er hatte eine regelrechte Panik davor. Wenn er gespürt hat, es ist wieder einmal so weit, dann ist er zur Ludmilla gefahren.“

„Wann genau haben sie den Herrn Löbinger das letzte Mal gesehen?“, bohrt Lilli weiter nach.

„Das war gestern zu Mittag.“ Sie überlegt. „Nein. So gegen sechzehn Uhr. Genau. Die Frau Strasser ist gerade von der Schule heimgekommen und ich habe die beiden im Stiegenhaus gehört.“

Lilli und Krumbauer werfen sich einen Blick zu. Krumbauer hat inzwischen auch das Schlaf- und Wohnzimmer fertig durchsucht. Nichts deutet darauf hin, der Mord könnte hier passiert sein.

„Danke, Frau Wiesner. Sie haben uns sehr geholfen.“ Lilli bringt die alte Dame noch zurück an ihre Wohnungstür.

Im Auto sagt Lilli zu Krumbauer: „Schon komisch, dass sich Frau Strasser nicht erinnert hat, obwohl sie am Nachmittag noch mit dem Löbinger gesprochen hat, oder?“

Krumbauer schnaubt nur durch die Nase und hält schon wieder das Handy in der Hand.

„Sollen wir jetzt noch die Frau in der Apotheke befragen? Diese Sieglinde?“, schlägt Lilli ihrem Chef vor. „Übrigens. In der Küche von Frau Strasser hat ein Messer gefehlt!“

„Das ist sehr interessant. Einverstanden. Statten wir der Dame einen Besuch ab. Gehen sie schon einmal vor. Ich komme gleich nach. Ich muss da noch etwas erledigen.“

Lilli verdreht die Augen und geht über die Straße auf die Apotheke zu. Sie öffnet die Ladentüre. Eine Klingel ertönt. Es riecht nach allerlei Salben und Tinkturen. Die Apotheke ist leer. Aus dem Hinterzimmer hört sie ein Geräusch. Sie öffnet noch einmal etwas geräuschvoller die Tür und schließt sie. Wieder klingelt es.

„Moment!“, hört sie jemanden aus dem Hinterzimmer rufen. Eine Frau kommt in den Laden. Sie richtet ihren Apothekermantel. Lilli bemerkt, dass er falsch zugeknöpft ist. Die Haare der Frau sitzen auch nicht perfekt. Und sie ist außer Atem. „Grüß Gott! Was kann ich für Sie tun?“, fragt die Frau.

„Ich suche eine Frau Sieglinde, sind das vielleicht Sie?“

Misstrauisch sieht die Apothekerin sie an. „Sieglinde Bauer. Warum suchen sie mich?“

Lilli zeigt ihr ihre Dienstmarke. „Wir ermitteln in einem Mordfall. Herr Gustav Löbinger wurde gestern ermordet. Er wohnt in dem Haus gegenüber. Kennen Sie ihn vielleicht?“

„Den Gustl, ja sicher. Hier im Ort kennt quasi jeder jeden. Ermordet? Das ist ja schrecklich! Haben Sie den Täter schon gefunden?“ Die Frau wirkt ehrlich überrascht.

„Frau Bauer, haben sie den Herrn Löbinger gestern einmal gesehen?“

Die Apothekerin überlegt. „Gestern. Ja. Ich glaube ja. Am Nachmittag habe ich ihn mit Dorothea gesehen, seiner Nachbarin. Die beiden haben sich vor der Haustüre unterhalten.“

„War das eine nachbarschaftliche Unterhaltung? Oder hatten die beiden einen Streit?“

Die Ladentüre geht auf und Krumbauer betritt die Apotheke. Unsicher blickt die Frau zum Hinterzimmer.

„D…die Dorothea wollte schon gerne mehr von Gustav. Glaube ich. Wir kennen uns vom Kirchenchor. Sie hat da einmal so etwas angedeutet. Nein, ein Streit war das nicht. Zumindest nicht vor der Haustüre. Die zwei sind aber dann zusammen ins Haus gegangen. Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?“

Krumbauer schaut zu Lilli. „Frau Kollegin? Sind sie fertig?“

Lilli nickt. „Danke Frau Bauer, das war´s fürs Erste. Auf Wiedersehen!“ Sie verlassen die Apotheke. Sie gehen nebeneinander über die Straße. Lilli blickt immer wieder über die Schulter zurück. Dann setzt sie sich hinters Steuer. Sie behält die Ladentüre zur Apotheke weiter im Auge. „Würde mich interessieren, wer als nächstes da herauskommt“, sagt sie zu Krumbauer und erzählt ihm von den Geräuschen aus dem Hinterzimmer.

 

Sie warten etwa zehn Minuten. Dann geht die Ladentüre auf. Ein Mann kommt heraus. Lilli stößt Krumbauer an, der mit seinem Handy hantiert. Lilli gewöhnt sich schön langsam daran.

„Wer ist das?“ Krumbauer blickt auf. Der Mann geht zu einer grauen Limousine und schließt auf.

„Das ist unser Pfarrer. Wo kommt der denn auf einmal her?“

Lilli schüttelt den Kopf. „Was ist nur mit den Pfarrern hier in dieser Gegend los? Vom Keuschheitsgelübde hält man hier wohl nicht gerade viel?“

Jetzt ist es an Krumbauer, den Kopf zu schütteln. „Gut kombiniert, Frau Kollegin.“

„Glauben Sie, der Mord hat einen religiösen Hintergrund? Ich meine wegen der seltsamen Art und Weise, in der die Leiche am Steg festgebunden war?“

„Möglich.“ Krumbauer sieht auf die Uhr. „So. Feierabend, Frau Kollegin. Heute gibt es ein wichtiges Spiel, das will ich nicht versäumen.“

*

Lilli sitzt noch immer unschlüssig im Streifenwagen. Dann beschließt sie, noch einmal zum Tatort zu fahren. Sie hat keine Lust auf ihre neue Wohnung. Dort warten nur eine Unmenge an Übersiedlungskartons auf sie. Die Möbel werden erst in den nächsten Tagen geliefert.

Sie stellt den Streifenwagen ab und geht eine Runde um das Bootshaus. Es lassen sich keine einzelnen Reifenspuren mehr ausmachen. Die Einsatzfahrzeuge haben diese Hinweise vernichtet. Sie seufzt und schaut zum Wohnmobil von Freaky und Kilo hinüber. Es raucht aus dem kleinen Kamin am Dach des Busses. Eine leise Wehmut erfasst Lilli. Die beiden haben es sicher gerade gemütlich in ihrem kleinen Domizil. Einen Moment fühlt sie sich sehr einsam. Dann denkt sie an den Amtsarzt und ihre Stimmung bessert sich. Sie geht zurück zum Streifenwagen.

An einem Busch glitzert etwas. Sie schaut genauer hin und findet ein Armband. Hello Kitty. Sie holt ein kleines Plastiksäckchen aus dem Streifenwagen und tütet das Schmuckstück ein. Dann fährt sie zum Wohnmobil hinüber und klopft an der Türe. Freaky öffnet.

„Hallo!“

„Darf ich reinkommen? Ich war gerade noch einmal am Tatort, da habe ich Licht gesehen bei Euch.“

„Sicher, bei uns gibt es Spaghetti. Wir essen gerade. Haben Sie Hunger?“ Lilli überlegt. Eigentlich sollte sie berufliches und privates besser trennen, aber sie kennt hier doch sonst niemanden.

„Ja, was soll´s.“

Die Nacht verbringt sie auf dem Bett im Hinterzimmer des Reviers.

                                                                                   *

Am nächsten Morgen empfängt Lilli ihren Chef bereits mit frisch gebrühten Kräutertee. Er verzieht das Gesicht. Sie übergibt ihm das Tütchen mit dem Armband und erzählt ihm vom Vorabend. „Soll ich es zum Amtsarzt zur Analyse bringen?“, schlägt sie vor.

Krummbauer macht es sich in seiner Lieblingshaltung am Schreibtisch gemütlich. Füße auf dem Tisch, Handy in der Hand. „Das brauchen wir vielleicht gar nicht mehr“, meint er beiläufig. „Ich habe gestern den Inspektor in die Mittelschule geschickt, wegen des fehlenden Messers bei der Lehrerin. Sie haben tatsächlich ein Messer im Spind von der Strasser gefunden. Liegt gerade zur Überprüfung bei der Spusi.“

Lilli versucht ihre Enttäuschung zu verbergen. „Sollen wir nicht doch vielleicht …?“ Krumbauer schaut sie ratlos an. „Also meinetwegen, kann ja nicht schaden, wenn man eine zweite Spur verfolgt. Dann fahren sie halt.“

Der Vormittag beim Amtsarzt gestaltet sich äußerst angenehm. Er trägt noch immer keinen Ring. Inzwischen hat er ihr auch angeboten beim Aufbauen der Möbel behilflich zu sein. Es ist kurz vor elf Uhr als das Telefon klingelt. Schröckmayr hebt ab. „Ja? … Aha. … Interessant. …Ja, ist bei mir, ich sag´s ihr.“ Er legt auf. „Die Laboranalysen sind gekommen. Am Messer hat man Spuren von Kokosnuss gefunden. Es gab anscheinend eine Bastelstunde mit Kokosschalen in der Schule.“

„Auf dem Armband“, Schröcki lächelt, „hat man allerdings die selbe DNA gefunden wie unter den Fingernägeln der Leiche.“

„Was!“

„Du sollst sofort aufs Revier fahren und Krumbauer abholen. Ihr fahrt noch einmal zum „Güterverkehr.“

*

Während der Fahrt verliert Krumbauer kein Wort. Die Sportergebnisse auf seinem Handy sind wieder interessanter. Erst vor Ort kommt ein kurzes Lob: „Gute Arbeit, Frau Kollegin.“

Beim „Güterverkehr“ treffen sie auf weitere Einsatzfahrzeuge von der Spurensicherung und dem Einsatzkommando. Krumbauer und Lilli betreten das Lokal. Ludmilla sitzt an einem der Tische und blättert in einem Magazin. Sie ist ungeschminkt.

„So Ludmilla, hast du uns etwas zu sagen? Vermisst du vielleicht etwas?“

Sie schaut ihn müde an.

Krumbauer legt ein Blatt vor sie auf den Tisch. „Das ist ein Durchsuchungsbefehl. Wir haben da so ein Gefühl, als ob wir in deiner Gefriertruhe ein paar spezielle Eier finden könnten. Hast du übrigens schon von moderner DNA-Analyse gehört? Inzwischen kann man kleinste Hautpartikel an allen möglichen Gegenständen feststellen. Außerdem vermisst du das hier sicherlich.“ Er zieht das Tütchen mit dem Armband hervor.

Ludmilla stützt den Kopf auf beide Hände und beginnt zu weinen. „Er ist vorgestern hierher gekommen. Zuerst hat er sich ganz normal mit mir unterhalten. Wir haben was getrunken. Ich habe zu viel erwischt. Irgendwie habe ich ihm gebeichtet, dass der Grabstein damals, der Birgit erschlagen hat, nicht von selbst umgekippt ist. Da ist er aufgesprungen und hat mich geschüttelt wie ein Wahnsinniger. Ich habe ihm gebeichtet, dass ich es nur aus Liebe zu ihm getan habe. Doch er wollte nichts von mir wissen. Das wollte er nie. Ich habe meine Schwester ganz umsonst um die Ecke gebracht. Ich war so wütend.“ Sie springt auf und wirft den Stuhl dabei um. „Er war auch wütend. Ich hatte Angst er bringt mich um. Da habe ich ihm den Pokal vom Kegelverein auf den Kopf gehauen. Dann habe ich das Orangenmesser von der Theke geholt und habe meinen ganzen Frust an ihm ausgelassen.“

„Und die Genitalien?“

„Die habe ich im Garten vergraben. Wenn man so lange in diesem Gewerbe arbeitet, wie ich, wünscht man sich sehnlichst, die Dinger einfach abzuschneiden. Das ist das Einzige, was ich nicht bereue.“

Krumbauer schüttelt den Kopf. „Ach Ludmilla.“ Er nimmt ihren Ellbogen und führt sie ab. Als er an Lilli vorbeikommt, nickt er ihr anerkennend zu. Lilli nickt zurück.

 

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Tag der Veröffentlichung: 02.11.2018

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