PROLOG 7
8
WEISSE NEGER 17
KÜNSTLER UND KUNSTWERKE 25
JOINTS UND TABUS 34
TROMMELN FÜR DEN FRIEDEN 41
IM BUSCH 57
IN DER SAVANNE 75
IM WIND 84
GESPENSTERBÄUME 91
GLOBALISIERUNG 108
DÄMONEN 115
EDELSTEINE 122
PASSKONTROLLE 126
AUF UND DAVON 135
RAMSEYER GEHT GRASEN 142
LIEBEN UND LEIDEN 153
GESCHÄFTSGEBAREN 167
STRESS 177
SCHWEIZER SEIN 185
EPILOG 189
Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Otto Julius Bierbaum
Trotz allen Problemen mit fremden Kulturen muss man es sich immer wieder vor Augen halten: Ohne den Einfluss dieser andern Welten, bliebe den Industrienationen und ihren Men-schen oft nur Automatismus und Elektronik, eine Welt ohne Seele.
Thomas Moser
PROLOG
Nun sitze ich halt wieder einmal, wie schon so oft zuvor, in einem viel zu kleinen und schmuddeligen Hotelzimmer. Der Teppich, ein alter brauner Spannteppich, in dem ich die Mil-ben und das Getier schon fast sehen kann, ist um die Toilettentür herum ganz nass. Irgendwie läuft das Wasser in der Dusche nicht richtig ab, und so drückt eben alles von unten wieder hoch, durch den Teppich. Vielleicht ist es auch ein Rohrbruch. Ich verstehe nicht viel von solchen Sachen. Was immer es auch ist: Es ist schmuddelig, feucht und eklig. Ich habe mir eben überlegt, ob ich es an der Réception melden soll. Aber das gäbe nur viel Umtriebe, kostete Nerven, und am Ende würde doch nichts dabei herausschauen. Viel Lärm um nichts nur. So lasse ich es besser bleiben und checke dafür morgen wieder aus und gehe auf die Suche nach einem neuen Zimmer, das sicher wieder seine eigenen Tücken hat. Viel-leicht ein billigeres, ohne eingebaute Dusche, dafür mit tro-ckenem Boden, der kein Brutnest für Malariamücken ist, und wo das Bett dafür vielleicht Bettwanzen beherbergt. Aber so ist das in Afrika. In Accra bin ich, in Ghana. Ich sitze also in diesem Zimmer und habe mich entschlossen, die Wirklichkeit zu beschreiben, falls es die überhaupt gibt. Und sollte es die Wirklichkeit gar nicht geben, unternehme ich wenigstens den Versuch, die Wirklichkeit auf meiner Reise durch Ghana, so zu beschreiben, wie ich sie sehe und erlebe, so, wie sie sich mir zeigt.
SCHOCK
Der Flug war eigentlich gar nicht so lang gewesen. Ein Ta-gesflug. Trotzdem war es ein langer und ein anstrengender Tag gewesen. Am frühen Morgen flog ich nach Amsterdam. Dort musste ich ein paar Stunden warten und vertrieb mir die Zeit mit Lesen, Herumgucken, Kaffee trinken und Auf-die-Uhr-Schauen. Auf dem Flughafen von Accra ging dann alles ziemlich glatt. Ich liess mich gleich von einem Typen per Taxi zu überhöhtem Preis abschleppen und liess mich in die Travel-ler-Absteige Hotel de California chauffieren. Ich dachte, das wäre die richtige Adresse für den Einstieg: ein paar Weisse, Travellers, Tips, Ideen, und Meinungen.
Es war nicht mehr ganz früh am Abend, vielleicht zehn Uhr, und auf dem Hotelplatz hingen ein paar Typen rum, von denen mich auch gleich ein Rasta mit verfilzten Haaren und einer riesigen Alkoholfahne in Beschlag nahm. Er fuchtelte die ganze Zeit mit den Armen rum, schlug mir dabei ununter-brochen auf die Schultern, umarmte mich sogar und nannte mich sogleich seinen besten Freund. Er sei Trommler und Touristenführer von Beruf, sei mit einer Deutschen verheiratet, die aber zurzeit in Deutschland weile und auf ihn warte und so weiter und so fort. Das war ein bisschen viel aufs Mal, war ich doch eben erst in Ghana angekommen.
Und er schwitzte. Und schwitzte. Und stank. Mein Gott, dachte ich, wenn hier alle so riechen und so aufdringlich sind, so kann ich morgen gleich wieder abhauen. Dann das Hotel-zimmer. Das Hotelzimmer war eine Katastrophe. Klitzeklein, nicht viel grösser als das Bett, und ohne Licht. „Das behebe ich sofort“, sagte mein neu erworbener Freund, und verschaff-te sich dadurch auch gleich Zugang zu meinem Zimmer. Er stellte sich auf einen Stuhl und drehte an der Glühbirne herum, was aber auch noch kein Licht machte. Das Zimmer hatte zudem keine eigene Dusche und kein eigenes WC. Dabei hatte ich mir doch gewünscht, wenigstens bei meiner Ankunft auf dem afrikanischen Kontinent ein bisschen Komfort zu haben. Statt dessen nun diese miese, kleine Bretterbude, in der es zu-dem nicht sehr gut roch. Und niemand da. Kein Weisser, mei-ne ich. Nur diese Horde von Schwarzen. Ich kam doch gerade erst aus Zürich, aus der Schweiz, das erste Mal in Afrika und dann gleich so was. Richtig Down Town. Adabraka. So nennt sich der Stadtteil. Und der Stadtteil wird dem Klang seines Namens gerecht. Adabraka. Das tönt doch schon nach Brechen und Biegen, nach Wrack, nach Zusammenbruch und Zerstörung. Den Typen, Afrika, wie er sich selbst nannte, wurde ich an diesem Abend nicht mehr los. Als ich ihm sagte, dass ich noch kein ghanaisches Geld gewechselt hätte, bot er mir gleich welches an, und unterstrich damit unser unauflösliches Freundschaftsband und sagte grosszügig, dass ich ihm das Geld morgen wieder zurückgeben könne. Ein wirklich guter Kumpel! Ein Trommler und Rasta eben. Eigentlich war er ganz o.k.
Na ja, so liess ich mich halt auf den Handel ein. Viele an-dere Möglichkeiten sah ich im Moment ohnehin nicht, noch zu einem Bier und dem ersten Schnuppern in der neuen Welt zu kommen. So gingen wir in die Kneipe nebenan auf ein Bier und ich liess seinen ununterbrochenen und etwas heiseren Re-defluss über mich ergehen. Es gab Bier vom Fass, wie ich freudig feststellte. Doch das schmeckte wie ein übersäuerter Magen. Das Bier aus der Flasche dann, war schon besser. Später gingen wir in eine von Mauern umgebene Disco in ei-nem Garten, wo lauter Nutten herumhingen. Die versuchten auch gleich, mich dem Rasta auszuspannen. Er sei ein schlechter Mensch, wie alle Rastas (ein in Ghana weitverbreitetes Vorurteil), er wolle mich nur abzocken und so, und ich solle doch zu ihnen sitzen. In ihre Arme kommen und mich von ihnen abzocken lassen, wie sie wohl meinten. Im Grunde wollte ich alle zusammen loswerden. Afrika war zutiefst beleidigt, als ich plötzlich gehen wollte, und bestand darauf, mich von ihm nach Hause bringen zu lassen, nicht ohne dass ich ihm nachher natürlich die Retourkutsche in die Disco bezahlen musste, mit dem Geld das ich von ihm geliehen hatte. Ich schlief nicht gut und nicht lange. Um vier Uhr früh wachte ich verschwitzt und mit paranoiden Halbschlafträumen auf, in denen Afrika die Hauptrolle gespielt hatte. Ein fürchterlicher Lärm von der Strasse weckte mich noch zusätzlich. Das Hotel liegt direkt an der Kreuzung zweier Hauptstrassen, und in der Früh scheint es den Leuten hier besonderen Spass zu machen, zu hupen und aufs Pedal zu treten, als gelte es, den Motor zu testen. Afrika war noch immer anwesend in meiner Seele und drehte in meinem Gehirn ununterbrochen seine Runden. Es schien, als hätte er mich okkupiert. Ihn verfluchend wurde ich ihn langsam wieder los. So stand ich halt auf und unternahm meinen ersten Spaziergang bei Tageslicht und wollte erst mal die nähere Umgebung auskundschaften. Schock. Ich war wirklich schockiert. Ich wusste damals noch nicht, dass ich meinen Spaziergang ausgerechnet in den schlimmsten Stadtteil unternommen hatte, Jamestown, unten am Meer. Alles war schmutzig, heruntergekommen und stank. Die Häuser waren eingebrochen, halb zerstört alles, und die Menschen arm, bitter arm, halbnackt. Am liebsten wäre ich sofort wieder nach Hau-se geflogen.
Zurück im Hotel, wartete natürlich schon Afrika auf sein Opfer. Doch ich war jetzt ganz cool zu ihm und gab ihm sofort das Geld zurück, welches ich vorher bei einer Bank einge-tauscht hatte. Ständig kamen nun neue und immer mehr afri-kanische Typen auf den Hotelplatz, die mir und allen andern Touristen auch, die nun langsam aus ihren Löchern erschie-nen, in ghanaischer Manier die Hände schütteln wollten: ein langausholender Handschlag, wo man dann zum Schluss ge-genseitig am Mittelfinger des andern Anlauf holt und mit dem Finger schnippt. Ob man will oder nicht, das hat man schnell im Griff. Ich dachte, wenn das die ganze Zeit in Ghana so wei-tergeht, ist mein Mittelfinger sicher bald fünf Zentimeter län-ger. Ich war also aufgenommen in den Clan des Hotel de Cali-fornia und lernte in diesem Chaos von Schwarzen, die Jagd auf Weisse und ihr Geld machten, schnell ein paar Leute ken-nen.
Leon, ein Mischling aus New York, hatte das Zimmer ne-ben meinem. Am nächsten Morgen gegen acht fing ein Hotel-angestellter damit an, in der Dusche, die gleich an unsere Zimmer grenzte, eine lecke Wasserleitung auszuspitzen, mit Hammer und Meissel, so dass das ganze Hotel zitterte und die noch schlafenden Gäste Sekunden später kerzengerade in ihren Betten sassen.
Um dem Krach zu entfliehen, gingen Leon und ich gleich mal die Quartierstrasse runter, entlang der nach oben offenen Kanalisation, und wir hätten die Morgenscheisse vom ganzen Quartier begutachten können, wenn wir bloss ein bisschen guten Willen gezeigt hätten. Ein spezialisierter medizinischer Laborant könnte auf einem Morgenspaziergang durch Accra die gesundheitliche Grosswetterlage eines ganzen Stadtviertels mit einem einzigen kurzen Blick auf das Material analysieren. Weiter unten, bei der nächsten Kreuzung, kauften wir uns eine Ananas zum Frühstück und freuten uns an der jungen Verkäuferin, und schlenderten dann ein bisschen weiter in der Gegend rum.
Leon war schon das fünfte Mal in Afrika. Vielleicht suchte er einen Teil seiner Wurzeln, vielleicht aber wollte er auch nur dem Alltag eines Fliessbandarbeiters in einer Autofabrik ent-kommen. Er reiste zusammen mit zwei Saxophonen, „Ich bin ein guter Jazzer“, und einem grossen Koffer, mit vielen ent-behrlichen Sachen vollgepackt. Ein grosses Farbfotobuch über schwarze Frauen zum Beispiel, um nur ein Ding beim Namen zu nennen. Innerhalb einer Woche war er von Abidjan durch Ghana, Togo, Benin nach Lagos und wieder zurück nach Acc-ra gereist. Er hatte nicht mal ein Visa für Ghana und hatte an der Grenze nur 48 Stunden bekommen, die er jetzt schon überzogen hatte. Am andern Tag wolle er wieder nach Benin, um dort ein Geschenk für seine Mutter zu kaufen, und dann wieder zurück nach Accra. Auch eine Variante, seine drei Wochen Ferien in Afrika zu verbringen: In überfüllten Bussen, auf schlechten Strassen und mit viel unnützem Gepäck. Abenteuer pur. Ob er seine Ahnen und Verwandten gefunden hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, da wir uns, so spontan wie wir uns kennenlernten, so schnell auch wieder verpassten. Tagelang hing ich im legendären Hotel de California rum, eine Ewigkeit, wie mir schien. Doch ich wollte weg von dort, nur weg. Aber irgend etwas hielt mich fest. Waren es die Typen, bei denen ich eine gewisse Führungsrolle übernommen hatte, oder die Touristen, die mir durch die Ähnlichkeit der Situation, in der sie in Afrika steckten, etwas Halt und Solidarität gaben, oder war es einfach der Drang ein Zuhause zu haben? Doch ich wollte flüchten aus den Klauen des Hotel de California. Am Sonntag dann, ich war nun schon fünf Tage in Ghana, liess ich mich von den Typen rund ums Hotel zur Labadi Beach abschleppen. Labadi Beach ist der Strand, wo sich sonntags die afrikanische Mittelschicht und die Weissen ein Stelldichein geben. Labadi Beach, das heisst Restaurants, Bars, Sand, Liegestühle, Tische, Sonnenschirme, Coca-Cola, Bier, Shrimps, nackte Haut, Rasta-Bands, Trommeln und wilde afrikanische Tänzer, Masken- und Schmuckverkäufer, überhöhtes Eintrittsgeld, Nutten, fliegende Händler, das Rauschen der Brandung, Pferde, die auf einen Ausritt mit einem Touristen warten und durch den Sand stieben, zum Schrecken der auf zu kleinen Badetüchern Bücher lesenden Intellektuellen. Labadi Beach, das Eldorado für Träume, Hoffnungen und Sehnsüchte. Labadi Beach, das Sand gewordene Hollywood im afrikanischen Ghana.
Dort traf ich sie. Monika. Sie, die mich dem eisernen Griff des Hotel de California entreissen wird. Sie, die mich in den reissenden Fluss des sich manifestieren wollenden Schicksals stossen wird. Eine Stunde nach unserer Begegnung habe ich sie bereits ganz romantisch in der noch frischen Dunkelheit am Strand in der Nähe der Eintrittshäuschen, auf die sie stän-dig schielte - als ob sie dort jemandem Signale zu senden oder welche zu empfangen habe -, geküsst und bin auch gleich mit ihr ins Hotel de California zurückgefahren, froh darüber, der aufdringlichen Szene im Hof durch das starke Geleit dieser Frau endlich entfliehen zu können. Sie war selbstsicher und stellte diesen aufrechten, afrikanischen, lasziven Gang zur Schau, so dass ich sozusagen in ihrem Schatten hinter ihr her durch Accra wandelte, ihr wie hypnotisiert das Kleingeld übergab, damit sie die Taxis und die Details bezahlen konnte. Eine Sphinx ist sie, habe ich mir gesagt. Sie sprach praktisch nichts, und ging ganz gelassen immer den nächsten Schritt an. Ihre analphabetisierte Seele tat mir gut, ihr unausgesprochenes Geheimnis liess sich leicht mit mir teilen. Unsere Begegnung war wie ein Komplott. Die Verschwörung der Liebe, gepaart mit jedem seiner Kompensation: Sie brauchte Geld und bekam es auch, und ich war emotional ausgehungert und wurde entschädigt. Am nächsten Tag checkten wir zusammen aus und fuhren gleich an den Strand nach Kokrobite. Zusammen sollten wir noch die halbe Küste Gha-nas abklappern, bis dann das Ende kam, das unausweichliche Ende, fast so wie ich es von Anfang an geahnt hatte, seit sie damals auf den besagten Eingang zur Labadi Beach schielte. Nur dass ich meinem Instinkt, dass sich dort tatsächlich ein Sender aufhielt, der unser Liebesdrama fernsteuerte, nicht trauen wollte.
Nach 16 Tagen Spass, Liebe und Reisen verschwand sie mit 330 Dollar, die sie mir unter dem Bett hervor gestohlen hatte, und ich vermisste sie trotzdem. 330 Dollar, exakt die Hälfte meines noch verbliebenen Bargeldes. Brüderlich und schwesterlich geteilt. Fast schon wieder sympathisch. Und draussen vor meinem Fenster sitzen diese afrikanischen Rie-senkrähen, über die wir noch gespottet hatten, als Monika noch da war. Jeder prophezeite dem andern, dass sie ihn holen kommen würden, wenn wir uns getrennt hätten. Und jetzt sind sie da und krähen vor meinem Fenster. Bekrähen sie mein Schicksal mit Monika, oder bilde ich mir das einfach nur ein, weil ich krank bin? Eine furchtbare Magenruhr hat mich heimgesucht. Kotzen, Magenkrämpfe, Dünnschiss. Tagelang. Ich habe den Eintritt und meine Naivität zu und in Afrika gleich doppelt bezahlt.
Zwei Tage bin ich jetzt flach gelegen, mit Magenkrämp-fen, Durchfall, Erbrechen und Fieber. Ich habe mich von mei-ner dicken Schlummermutter, so um die 50, und ihrem Mann, einem richtigen afrikanischen Häuptling, verabschiedet. Drei Tage vorher kam ich abends mit einem Tetrapack billigen spanischen Weins, den ich in einer lokalen Bar gekauft hatte, ins Hotel in Dixcove an der Westküste Ghanas. Sie begrüsste mich stürmisch und schon etwas betrunken mit einem Hand-schlag. Sie wollte mich unbedingt vorher schon mal als Gast in ihrem Hotel gesehen haben. So schenkte ich ihr halt auch ein Glas voll ein, und dann kamen wir hinter dem Haus auf dem Rasen zusammen ins Gespräch.
„Also wenn Sie hier ein Haus bauen wollen“, referierte sie, „dann kaufen Sie das Land am besten bei mir. Mir gehört das halbe Dorf hier, ich bin die Tochter eines Häuptlings. Wir ha-ben schon an andere Ausländer verkauft. Meine Tochter ist mit einem Deutschen verheiratet, und die haben für 3000 Mark Land gekauft und für weitere 3000 ein kleines Ferienhäuschen gebaut. Hier in Ghana ist alles billig. Der Zement ist billig, die Bausteine sind billig, Holz ist billig, Arbeit ist billig, alles andere ist auch billig.“ Sie kam so richtig in Fahrt und ich hörte ihr einfach zu, war froh, nichts sagen zu müssen und mich bei einem Gläschen Wein unterhalten zu lassen. Als es dunkel geworden war und ich gegessen hatte, ging ich wieder zu ihr in den Garten. Sie war jetzt schon ziemlich angeheitert und froh, dass ich ihr wieder Gesellschaft leistete.
Am andern Morgen hatte ich dann diese Magenkrämp-fe und einen furchtbaren Durchfall und starkes Fieber und ich kotzte und schiss die ganze Toilette voll, und fühlte mich elend, sterbenselend. Agnes, so hiess die Chefin von Dixcove, war besorgt um mich, machte mir Schwarztee und brachte mir irgendwelche afrikanische Medizin, bis ich wieder genesen war und weiterziehen konnte.
WEISSE NEGER
Herr Oberhans, wie er sich selbst vorstellte, war ein Öster-reicher, wie ich ihn schon an der ersten nasalen Silbe erkannte, Rentner, 62 Jahre alt. Er stand da im Hof des Hotels Holly-wood in Elmina, wo ich am letzten Sonntag versuchte, mich von meiner Darmgrippe zu erholen. Versuchte.
Da fand aber eine Begräbnisfeier statt. Begräbnisse dauern hier in Afrika oft tagelang. Da wird gegessen, getrunken und palavert, da kommen Mann und Frau in die schönsten Tücher gehüllt, ganze Familienclans in den gleichen Farben, und zei-gen ihre schönen Töchter her. Und hören Musik. Man hört Musik. Afrikanische Musik. Einen langen Nachmittag lang. Stundenlang. In voller Lautstärke. Auf einer schlechten Anla-ge, wo sich die Bässe überschlagen und die Höhen zu schrill tönen und an den geweisselten Betonmauern zerschellen und einem in die Ohren zurücksausen wie Splitter einer Handgra-nate. Hier verbrachte ich den Nachmittag, in diesem Hotel in Elmina, einem kleinen, schmutzigen Kaff am Meer. Am Abend nach der Begräbnisparty waren meine Ohren zu und schmerzten, so dass ich fürchten musste, ich bekäme zu allem Überfluss des Darmes auch noch eine Ohrenentzündung bei-gemischt. Am andern Morgen, ich war eben am Auschecken, sah ich Herrn Oberhans, wie er breitbeinig, wie ein kleiner Capo, neben seinem Auto stand, an dessen Batterie sich ein Schwarzer zu schaffen machte. Ich grüsste ihn, und er stellte sich sofort vor. Er wohnte gleich nebenan in einem kleinen, selbstgebauten Häuschen, das von aussen aussah wie eine Garage, aber für afrikanische Verhältnisse ziemlich perfekt gemacht und eingerichtet, mit Dusche, Licht und Steckdosen. „Das ist mein Wartestübchen“, erzählte er mir.
Was er hier unten denn mache, fragte ich ihn.
„Für mein Haus kämpfen“, erklärte er mir in einem Ton, als würde er mir erklären, wo es die besten Bananen zu kaufen gäbe. Seine Frau wolle ihm das Haus wegnehmen bezie-hungsweise seine Ex-Frau habe es ihm schon weggenommen.
Sie habe es einfach vermietet, während er in Österreich gewesen sei. Dummerweise habe er es auf ihren Namen ge-baut. „Die Torheit der Liebe“, erklärte er lakonisch. Als ob ihm das alle Jahre mal passieren würde. Und jetzt warte er hier auf den Prozess.
„Die Frau habe ich per Annonce in einer österreichischen Zeitschrift kennengelernt. Sie hatte auch eine kleine, süsse Tochter. Die Situation hat mich angesprochen und wir haben also bald geheiratet, und ich habe das Mädchen adoptiert, und beide kamen nach Wien. Der Kleinen hat’s gut gefallen im Kindergarten. Bald kaufte ich mir ein Stück Land in der Nähe von Cape Cost, auf einem Hügel mit wunderbarer Aus-sicht, und baute da mein eigenes Haus. Ich kann alles, müssen Sie wissen“, sagte er wieder auf seine selbstverständliche Art. „Ich habe alles selbst gemacht. Selbst gemauert, selbst die Rohre und die Leitungen gezogen, selbst alles angestrichen, die Betten selbst gezimmert, einfach alles selbst gemacht. Ich habe mir mein Haus selbst gebaut. Wir Österreicher können das eben noch, wir tun das oft. Das Haus in Wien habe ich auch selbst gebaut und es dann verkauft. Ich mache immer alles selbst. Das kommt billiger. Wir sind eben nicht so reich wie ihr Schweizer“, lacht er „dafür können wir aber noch was.“
Ich protestierte nicht.
„Und die Afrikaner, denen darf man sein eigenes Haus nicht zum Bauen anvertrauen. Wie sagt man doch bei uns: Die haben keine Ahnung von nichts, so sagt man doch“, und er lachte.
Wie er später herausgefunden habe, sei die Frau schon einmal mit einem Deutschen verheiratet gewesen. Zwei Wo-chen nach der Hochzeit sei der aber tot aufgefunden worden. In Afrika. Vergiftet, wie die Obduktion ergeben habe. In Deutschland.
Als Beweis zeigte er mir auch gleich ein Foto: sie im weis-sen Brautkleid mit keuschem Gesichtsschleier, eine schöne Frau mit schräg nach oben verlaufenden, schmalen Augen, daneben ein Mann, eben dieser jetzt tote Deutsche. „Ich lebe wenigstens noch, ich habe Glück gehabt, und das Haus werde ich auch zurückgewinnen, ich habe Freunde hier, mächtige, einflussreiche Leute, müssen Sie wissen. Ghana ist nämlich jetzt auch ein Rechtsstaat“, sagte er überzeugt. Den Richter mussten sie schon auswechseln, weil der korrupt gewesen sei. Hier seien alle korrupt, nach zwei Jahren im Amt sei der ehr-lichste Mann hier unten käuflich, deshalb würden die Richter im Turnussystem ausgewechselt und immer wieder in andere Provinzen geschickt, damit der Rechtsstaat aufrechterhalten bleiben könne.
Er war so überzeugt von dem, was er sagte, so überzeugt, dass er sein Haus, das nicht auf seinen Namen registriert war, hier unten in Afrika, zurückbekommen werde - ich musste es ihm einfach glauben. Und die Frau sei davongekommen, man habe ihr nichts nachweisen können!
„Aber die Sache war eindeutig, sie hat ihn vergiftet. Stellen Sie sich vor, die lebten zuerst sechs Jahre lang zusammen, und er hat nichts gemerkt, und zwei Wochen nach der Hochzeit, wo sie doch so schön brav und keusch den Blick nach unten richtet, zwei Wochen später ist er tot. Vergiftet. Alles von lan-ger Hand vorbereitet. Jahrelang bis ins Detail geplant. Auch in meinem Fall. Alles geplant. Aber mich kriegt sie nicht. Ich habe jetzt die Scheidung eingereicht, und das Haus kriege ich auch zurück. Wenn nicht, so ist alles verloren, mein ganzes Leben, denn ich bin jetzt 62.“
Aber so kam er mir gar nicht vor, als ob alles für ihn aus und vorbei wäre, wenn er den Prozess verlöre. Eher schien das alles für ihn ein Abenteuer im Alter zu sein, fast besser noch, als wenn es geklappt hätte mit der Liebe und er jetzt ganz bie-der mit ihr und der Tochter da oben auf dem Hügel hausen würde. So kam er mir vor. Irgendwie stolz darauf, dass er seine Naivität erhalten hat, die es ihm auch noch im Alter erlaubte, auf die Tücken der Liebe reinzufallen. Ich solle ihn wieder mal besuchen kommen, wenn ich vorbeikäme und sein Auto vor seinem Häuschen sähe.
Er war ein typischer Engländer, so jedenfalls war mein ers-ter Eindruck von ihm. Kühl, etwas steif, selbstbewusst, kon-servativ und durch nichts aus der Fassung zu bringen. Mike ging so gegen die 50 und hatte eine 20jährige Frau aus Accra dabei. Er kam mit dem Auto nach Kokrobite, wo es eine schö-ne, kleine Bungalowsiedlung für Touristen gibt, die von einer Engländerin und einem viel jüngeren Rasta geführt wird. Kleine, einfache aber saubere Bungalows, ohne jeden Kom-fort, ohne Strom, ohne eigene Toilette und ohne Dusche. Da-für gibt es ein Plumpsklo hinter dem Gebüsch und einen Zieh-brunnen, wo man das Wasser noch mit Kübeln aus der Tiefe herausholen muss, um sich dann hinter einer Blätterwand ab-zuduschen. Ein netter Ort mit viel Charme, vielen Bäumen und Schatten und einigen Hängematten. Ein Platz zum Rum-hängen, zum Lesen, zum Nichtstun. Ein Platz am Meer eben. Ein langer Sandstrand gibt’s und viele halbnackte Fischer, die alle an den Strand scheissen. Ein Ort, wo am Abend die einzige Attraktion das Essen ist und wo man schon um acht Uhr ins Bett geht, dafür morgens um fünf Uhr hellwach ist. So lebt man gesund und hat erst noch mehr vom Tag. Ein verplemperter Tag in der Stadt ist ein verlorener Tag, aber ein verplemperter Tag am Meer ist ein gewonnener Tag.
Der Platz gefiel mir von Anfang an recht gut. Obwohl er etwas Feministisches und Sektiererisches an sich hat, da Con-ny, die Besitzerin, Vegetarierin ist und alle Gäste es ihr gleichzutun hatten und es deshalb zum Essen nie Fleisch gab. Dafür musste man zum Frühstück die Petroleumlampe der Hütte unbedingt zurück zum Haupthaus bringen, sonst be-komme man kein Frühstück, sagte Conny scherzhaft, meinte es aber trotzdem so. Die Lampe durfte man, wieder aufgefüllt, erst am Abend nach dem Essen zurück in die eigene Hütte nehmen, da sie während des Nachtessens, das meist schon in der frühen Dunkelheit stattfand, Licht für alle essenden Gäste spenden sollte.
Und so sass man dann also zusammen mit wildfremden Menschen an einem langen Holztisch, wie bei einem Waldfest zu Hause, und ass im Lichte der Petroleumlampen schweigend sein Mahl. Setzte man sich abseits an einen anderen Tisch, versuchte also etwas für sich zu sein, galt man schon als asozi-al, und nahm man die Lampe zu früh mit in die Hütte, galt man als unsolidarisch. Fast wie im Militär. Oder bei den Kommunisten. Gibt’s die eigentlich noch, die Kommunisten, heutzutage?
Da waren zudem noch zwei Amerikanerinnen, Mutter und Tochter, wie ich später erfuhr. Die hatten zwei Touristenführer bei sich, zwei Rastas aus der Ashanti-Region, ein junger und ein schon etwas älterer. Einer für die Mutter und einer für das liebe Kind. Und so sah man ab und zu eines der beiden Paare für eine gewisse Zeit im Zelt verschwinden. Wohl um Routen-pläne für Touristenwanderungen zu schmieden. Ich frage mich: Warum sind gerade diese Rastas mit ihren nicht eben appetitlichen Haaren bei den weissen Frauen so beliebt und erfolgreich? Ist es ihr Geplapper von „Menschen aller Länder vereinigt euch?“ Oder sind die einfach für jede zu haben? Sextourismus? Oder vielleicht doch einfach nur kultureller Austausch, wie es die beiden Frauen nennen würden? Mike also wohnt schon seit Jahren in Ghana. Er macht den Eindruck eines älteren Playboys, jedenfalls versucht er es. Er habe in Ghana ein Business aufgebaut, er verkaufe diese künstlichen Haare, nach denen die Afrikanerinnen so scharf sind und die sie sich in Form scheusslicher Zöpfchen in die Haare flechten lassen. Furchtbar, wenn man dann mit einer im Bett ist und ihre Haare streichelt, hat man das Gefühl mit einer Plastikpuppe zu schmusen. Um dieses Business kämpfe er jetzt, vertraute er mir an. Gegen seine Frau. Noch-Frau. Er habe dieses Geschäft unter dem Namen seiner Frau angefangen, um so vom rechtlichen Status her einfacher ins Geschäftsleben einsteigen zu können, und jetzt, wo die Ehe kaputt sei, wolle sie ihm auch noch das Geschäft wegnehmen, um es selber weiterzuführen.
„Aber die haben hier unten ja keine Ahnung, wie man effi-zient ein Geschäft führt. Wenn sie jetzt alleine weiterwirt-schaftet, so ist das Geschäft in zwei, drei Jahren ruiniert. Das würde mir weh tun. Schon deshalb muss ich den Prozess ge-winnen. Es ist mein Geschäft, ich habe es aufgebaut, und jetzt soll ich es mir ruinieren lassen?!“
Er habe zwei kleine Mädchen mit der Frau. Ein weiteres habe er noch in Asien, in Papua-Neuguinea. Da habe er wäh-rend 15 Jahren für eine Goldmine gearbeitet, als Ingenieur, bevor es ihn dann nach Afrika verschlagen habe. Aber zurück nach Australien - er war also doch kein Engländer - wolle er auch nicht mehr. Nur schon deshalb nicht, weil er dort in sei-nem Alter und mit der Glatze nicht mehr an junge Mädchen herankommen könne, gestand er mir. Ein Grund, in Afrika zu bleiben. Sechs Kinder habe er schon gezeugt, die überall auf der Welt verstreut seien. Ein Junge, der schon über 20 sei, lebe an der Elfenbeinküste. Ein Tochter wohne in Asien und dann eben die zwei Kleinen mit seiner Noch-Frau hier in Ghana. Zudem habe er noch ein weiteres kleines Mädchen in Accra, ein Produkt eines Seitensprungs. Von Aids hat er, wie es scheint, keinen Respekt und von Kondomen wahrscheinlich noch nie etwas gehört. Verschmitzt lacht er und hält schon wieder Ausschau nach einem neuen Opfer, während die Frau, mit der er hier ein paar Tage verbringt, ihm den Nacken strei-chelt. Playboygewordene Identität. Britisch. Bond. James Bond. Er scheint daran festzuhalten, auch wenn um ihn herum seine Welt langsam abbröckelt und zerbricht
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Tag der Veröffentlichung: 05.08.2010
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