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Kapitel 1:
Ohne Trainer geht es nicht

Tobias rannte los. Der Mittelfeldspieler des AAW Steinweiler ließ seine Mutter stehen, sprang in sein Auto und düste in Richtung Kunstrasenplatz. Er übersah einige Vorfahrtsschilder und kassierte dafür von den anderen Autofahrern wütende Blicke.
„Egal“, dachte er sich.
Er hatte keine Zeit zu verlieren und erinnerte sich an die Worte seiner Mutter, die ihn wie ein Schock trafen:
„Euer Coach hatte einen schweren Autounfall und liegt im Krankenhaus. Seine Frau hat mich gerade angerufen.“
Es war kalt und ungemütlich in Steinweiler, der Winter hatte Einzug gehalten. Der eiskalte Wind wirbelte einige letzte Blätter auf. Als Tobias am schneebedeckten Spielfeld ankam, war die Diskussion unter seinen Teammitgliedern bereits in vollem Gange.
„Was machen wir denn jetzt?“ „Ohne Trainer können wir nicht am Turnier teilnehmen!“ „Wie geht es dem Coach?“
Die meisten Kameraden hatten sich, nachdem sie von dem Unfall gehört haben, direkt auf ihre Fahrräder geschwungen und waren ebenso schnell wie Tobias in Richtung Kunstrasenplatz gefahren. Jetzt standen sie wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen herum und unterhielten sich lautstark.
Er umarmte Kapitänin Lara und begrüßte seine Mitspieler: Den pfeilschnellen Rafael, der meist als Stürmer agierte, in der letzten Zeit aber an Ladehemmung litt. Mittelfeldspieler Marcel, der in seiner Jugend deutscher Leichtathletik-Meister war. Verteidiger Jan, den Tobias schon seit Jahren kannte. Außerdem Thomas und Sven, zwei Nachwuchstalente, die unterschiedlicher kaum sein konnten: Während Sven im Tor lautstark Anweisungen gab, übernahm Thomas in der Abwehr eher den ruhigeren Part. Zudem umarmte er Verteidigerin Elli. Sie hieß eigentlich Elena, wurde aber von allen nur mit ihrem Spitznamen angesprochen.
„Hey, wie geht es dir?“, fragte er sie.
„Och, soweit ganz gut eigentlich“, antwortete sie.
„Und dir?“
Elli hatte in der Vergangenheit wie Sven und Thomas etliche Klassenkameraden verloren, die drei meisterten die Situation dennoch souverän. Tobias bewunderte insgeheim, wie seine Mitspieler mit diesem Schicksalsschlag umgingen. Darüber gesprochen hatte er mit ihnen aber noch nicht.
„Ja, bis um kurz vor drei war alles noch okay. Dann hat mich meine Mum über den Autounfall informiert“, sagte er. Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass der Trainer des AAW vom Nachbardorf in Richtung Steinweiler fuhr, als ihm eine andere Autofahrerin die Vorfahrt nahm. Die beiden Autos krachten mit voller Wucht gegeneinander. Und obwohl der Coach angeschnallt war, wurde er aus seinem Wagen geschleudert. Zum Glück waren die Rettungskräfte nur wenige Minuten später am Unfallort und versorgten den schwer verletzten Mann. Anschließend kam er ins Krankenhaus.
Elli sagte: „Ich hoffe, dass er bald wieder gesund wird. Er ist so ein guter Mensch.“
Die anderen stimmten ihr nickend zu. Lara ergänzte: „Ohne ihn können wir das Hallenturnier sausen lassen.“
Das Turnier! Seit Monaten schon freuten sie sich auf diesen Wettbewerb. Im vergangenen Jahr hatten sie bei diesem Turnier den letzten Platz belegt – mit null Punkten und nur zwei geschossenen Toren. Dieses Mal hofften sie auf ein besseres Abschneiden. Die Chancen standen eigentlich nicht schlecht: Das Team hatte sich in den vergangenen Monaten konstant weiterentwickelt und die Spieler machten enorme Fortschritte. So galt Thomas als einer der besten Innenverteidiger der Umgebung und Sven hatte sich im Tor zu einer festen Größe etabliert. Auch das Zusammenspiel hatte sich verbessert. Es wurde mehr gepasst und sinnlose Alleingänge gehörten der Vergangenheit an.
Tobias spielte gerne in diesem Team, mit seinen Mitspielern verstand er sich prächtig. Er unterhielt sich oft mit Lara, die trotz ihres jugendlichen Alters einen erwachsenen Verstand besaß und mit der er über alles reden konnte. Auch mit Jan, Marcel, Elli, Rafael und den beiden Nachwuchstalenten ging er gerne abends noch weg, die Mannschaft unternahm viel gemeinsam. Tobias war niemand, der arrogant oder selbstdarstellerisch daher kam. Er war ein Teamplayer und ordnete sich dem Erfolg der Mannschaft konsequent unter. Monatelang hatte er gemeinsam mit dem Coach den Satz gepredigt: „Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen.“ Er war froh, dass seine Kameraden diese Philosophie verstanden hatten.
Ihre aktuelle Topform wollten die Spieler in zwei Wochen beim Hallenturnier im Nachbarort Hörbach unter Beweis stellen. Doch durch den Unfall ihres Trainers sanken die Chancen Richtung null. Der Coach sorgte für die richtige Stimmung innerhalb der Mannschaft und gab durch seine Anweisungen die richtigen Impulse. In seiner Jugend hatte er selbst aktiv gespielt und Elli und Co. konnten sich von ihm eine ganze Menge abschauen.
„Was wollen wir jetzt machen?“ Es war Jan, der fror und deshalb auf eine schnelle Entscheidung drängte.
„Wir können das Turnier entweder sein lassen oder es ohne den Trainer probieren.“
Es entbrannte ein heftiger Wiederstand und es wurde eine große Diskussion gestartet.
„Niemals lassen wir das Turnier sausen, wir haben monatelang dafür trainiert!“, erwiderten Rafael, Lara und Marcel.
„Aber ohne Trainer können wir nicht antreten, so haben wir keine Chance“, sagten Jan, Elli und Sven.
Der stille Thomas enthielt sich seiner Meinung.
Die Mitspieler diskutierten weiter. Tobias dachte einen Moment nach und mahnte dann seine Teamkameraden zur Ruhe.
„Also ich denke, dass wir so nicht weiterkommen. Was ich euch vorschlagen kann, ist folgendes: Ich habe einen alten Bekannten, der früher als Trainer in der Regionalliga gearbeitet hat. Ich könnte ihn mal fragen, ob er Lust hat, uns zu coachen. Es wäre aber schön, wenn auch ihr euch umhört, vielleicht kennt ihr ja jemanden.“
Der Vorschlag stieß auf Zustimmung. „Gute Idee!“, „So machen wir es“ „Ja, bevor wir das Turnier absagen!“
Elli verkündete, dass sie gute Kontakte zu einem ehemaligen Bundesligatorhüter hat, der jetzt als Trainer im Nachwuchsbereich arbeitet. Sie versprach, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Anschließend diskutierten sie noch ein wenig untereinander, ehe sich die Wege der Teamkameraden trennten und sie sich von einander verabschiedeten. Lara sagte noch zu Tobias, dass sie morgen telefonieren sollte. Er stimmte ihr zu und stieg in sein Auto, in dem wegen der Kälte die Scheiben zugefroren waren. Fluchend kratzte er sie wieder frei.
Als er zu Hause ankam, suchte er sofort die Nummer des früheren Trainers heraus. Eddy Tischler hatte das Team des TSV Litzingen trainiert, sich in den vergangenen Jahren aber aus dem Fußballgeschäft zurückgezogen. Sein Herz klopfte, als er die Telefonnummer wählte.
„Tischler.“
„Hallo Eddy, hier ist Tobi. Alles gut?“
„Ja, bei mir schon. Ich hoffe, bei dir auch?“
„Es geht so. Mein Studium ist okay, aber es gibt Probleme in der Fußballmannschaft und ich habe deshalb eine kleine Frage an dich.“
„Klar, schieß los!“
Tobias mochte Eddy, sie hatten früher im Sommer hobbymäßig gekickt und er hatte seine fußballerischen Fähigkeiten dadurch enorm steigern können.
„Unser Trainer hatte einen schweren Autounfall und wir stehen jetzt ohne Coach da. Am Samstag in einer Woche ist ein Hallenturnier in Hörbach und wir würden gerne daran teilnehmen, trauen uns allerdings nicht ohne Trainer. Hättest du vielleicht Lust, uns am Wochenende zu betreuen?“
Stille.
Dann antwortete Eddy:
„Also erst mal tut es mir wahnsinnig leid, was mit eurem Trainer passiert ist. Richte ihm meine besten Genesungswünsche aus. Ich muss dir leider absagen, da ich seit Jahren keine Mannschaft mehr trainiert und keine Motivation mehr habe. Außerdem bin ich am Samstag schon anderweitig verplant. Nimm es mir nicht übel.“
Tobias versuchte seine Enttäuschung zu verbergen, er ließ sich nichts anmerken.
„Das ist kein Problem. Ich dachte halt, ich frage dich mal. Wir werden schon jemanden finden.“
„Davon bin ich fest überzeugt. Viel Glück und bis bald.“
Tobias legte den Hörer auf. Er setzte sich auf sein Bett und dachte nach. Außer Eddy kannte er keinen Trainer. Er hoffte, dass die anderen mehr Glück bei der Suche hatten und sie vielleicht doch noch einen Ersatzcoach finden würden. Er nahm sich vor, am nächsten Tag gemeinsam mit Lara den verletzten Trainer im Krankenhaus zu besuchen, ehe er einschlief.

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Tag der Veröffentlichung: 26.02.2011

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