Cover



Sie erhebt sich von der Chaiselongue, auf der sie stundenlang wartend und gespannt gelegen hat. Beinahe ungeschickt, doch bereits mit der sicheren Eleganz einer Ehefrau geht sie barfüßig zum Fenster, den Blick nach draußen gerichtet, auf die Hektik und Lebensfreude der Pariser Märkte.
"Wollen Sie es denn nicht sehen?"
Die Stimme hinter ihr scheint kein Grund für sie zu sein, sich umzudrehen und den Blick des Malers zu erwidern. Sie möchte nicht den gekränkten Stolz sehen, den sie bereits aus seiner Stimme heraushört.
"Ich weiß nicht", antwortet sie, noch immer in die Richtung der Marktschreier. Daraufhin schweigt er. Nein, sie kann ihm nicht erzählen, welche Angst in ihr lauert, seitdem sie ihm ihre Geschichte erzählt hat, in den vielen Stunden seiner Arbeit. Die Grundierung, die vielen Vorstudien, das Mischen der Farben - all das hatte ihn nicht davon abgehalten, ihr leise und urteilsfrei zuzuhören. Und nun, als er sein eigenes Werk fertig vor sich stehen sieht, fühlt er sich ähnlich unsicher.
"Sie müssen es sehen, es hat doch so viel Zeit und Mühe beansprucht", sagt der Maler mit leiser Verzweiflung.
Langsam dreht sie sich um, gefasst und stolz, und geht zu der Staffelei, die mit dem Rücken zu ihr steht. Davor bleibt sie stehen, den Blick ausdruckslos auf ihr Bildnis gerichtet.
"Gefällt es Ihnen nicht?" - Nun ist die Panik des Malers unverkennbar. Doch sie antwortet nicht, starrt weiter das Bild an.
Es zeigt sie in einer impressionistischen Pose, jedoch mit einem fast klassizistischen Ausdruck und detaillierten Zügen. Ihre Anmut im starken Kontrast zum Hintergrund des Bildes, einem tiefen Schwarz, wilder Duktus. Und links oben, am Rand des Bildes, ein Schmetterling.
Ein unangenehmes Schweigen erfüllt den Raum. Es wird jäh unterbrochen von dem Geräusch einer Tür; ein Mann betritt das Atelier, das fast zu klein zu sein scheint für seine Stattlichkeit. Ohne ein Wort der Begrüßung geht er zu der Staffelei, vor der noch immer seine junge Braut steht, und betrachtet das Bild. Mit kühlen Augen dreht er sich zu dem eingeschüchterten Maler um.
"Übermalen Sie den Schmetterling. Er zerstört das Gleichgewicht des Bildes."
Ein verwirrter Blick von ihr, fast trotzig, doch sie bleibt stumm. Schüchtern nickt der Maler und knetet nervös seinen Hut.
"Wenn das erledigt ist, nehmen wir es. Einen schönen Tag noch."
Der Mann nimmt seine Zukünftige am Arm und verlässt mit ihr den Raum.
Mit einem Seufzen macht sich der Maler an die Arbeit.



Impressum

Bildmaterialien: Cover: William Turner (http://www.artoffer.com/_images_user/3396/23547/large/William-Turner-Verkehr-Schiff-Krieg-Neuzeit-Romantik.jpg)
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An die Leidenschaft.

Nächste Seite
Seite 1 /