Im Schein des Mondes
In einer längst vergangenen Zeit, als die Erde noch nicht mit Menschen übervölkert war, gab es Dinge, die niemand erklären konnte, Geschöpfe die verstoßen und doch geachtet wurden, Gegebenheiten die das Gefühl der Angst in den Menschen manifestierte. Es waren dunkle Jahre, die Not und Elend mit sich brachten.
Es gab die Menschen und die Dämonen. Während die Menschen im Inneren des Landes wohnten, hüteten die Dämonen den Abstand in den Wäldern und Bergen. Wer die Dämonen waren, woher sie kamen, wusste niemand, doch sie wurden getötet und gefangen, wenn sie sich den Menschen näherten. Es war die Zeit der Mythen und Prophezeihungen und ein jeder wünschte sich, dass bessere Zeiten kommen würden, frei von Elend und Leid.
Kapitel Eins
Das Leben in Panasien richtete sich nach dem König und seinem Hofstaat. Nerus von Paliga war der König, der mächtigste Mann des Landes. Er entschied über Steuern, Geld, Recht und Tod. Er war bei seinem Volk, als Nerus der Schreckliche bekannt und sie verachteten ihn heimlich für seine Taten. Mit ihm kamen das Leid und das Elend nach Panasien. Durch ihn wurde der trockene Boden des Landes mit Blut getränkt. Er schickte Streitkräfte in die umliegenden Dörfer, nur weil er seine Macht ausspielen und seine Besitztümer vergrößern wollte. Sein Herz, wenn er denn eines besaß, was viele Bürger anzweifelten, war aus Eis und vor Gier schon ganz schwarz, Gnade und Güte waren Fremdworte für ihn. Panasien schien dem Untergang geweiht. Er schickte Männer und Kinder männlichen Geschlechts in die Berge und Wälder um die Mongunen, wie er die Dämonen nannte auszulöschen. Viele Kinder und Männer mussten ihr Leben lassen, zahlreiche Mütter und Ehefrauen weinten um die Toten. Das Land wurde in Tod und Tränen getaucht und ein jeder wünschte sich ein baldiges Ende dieses Schreckens. Das Land glich einer kargen Ödnis und Panasien hatte nichts mehr mit dem paradiesischen Ort gemein, der es einst gewesen war. Die Grenzen zu den Bergen und Wäldern wurden zum Einsturz gebracht und schon bald wurde das einst sorglose Leben des Volkes von Panasien zu einem harten Überlebenskampf, der jeden Morgen mit dem Sonnenaufgang begann und mit Sonnenuntergang endete. Nerus von Paliga blickte – geschützt von den schweren Mauern seines Schlosses – auf das Leiden seines Volkes. Er betrachtete die Feuer und das Elend in den Straßen, als ergötze er sich an den Qualen der Menschen. Er sah die unzähligen Toten, die die Straßen säumten, er hörte die Schreie der verzweifelten Menschen, der notleidenden Kinder. Doch all das berührte ihn nicht. Der schwarze Klumpen, der in seiner Brust klopfte war unfähig Mitgefühl zu empfinden, er war nicht in der Lage Emotion zu zeigen. Nerus besann sich auf seine täglichen Freuden: ein heißes Bad, wo das Wasser im Land knapp war, weil es seit Monaten nicht geregnet hatte, ein köstliches Mahl, wo die Menschen in den Straßen Hunger litten, ein Abend vor dem knisternden Kaminfeuer, wenn draußen der Schnee lautlos die Straßen und die darauf liegenden Leichen bedeckte. Lange Zeit gab es nur dieses Elend und auch wenn sich die Menschen in Panasien Besserung wünschten und die Hoffnungen nicht aufgaben, schien es aussichtslos, dass sich je etwas ändern würde. Doch sie sollten sich irren, denn als ein Fremder in das Land kam, wurden die Karten neu gemischt.
Es war ein junger Mann, der aus einem der weit entferntesten Dörfer kam. Oft wurde er auf seiner Reise nach Panasien vor Nerus dem Schrecklichen gewarnt, doch er wusste genau, was er tat. Der Fremde ritt auf einem Pferd durch die Straßen von Panasien. Er war erschüttert von den brennenden Häusern, von den Toten, die seinen Weg säumten und von dem Anblick des Elends, der sich ihm bot. Für die Einwohner wirkte er auf seinem ansehnlichen Schimmel wie ein Heiland. Seine Kleidung sah aus, wie die eines Königs, die meisten Panasier trugen schmutzige oder keinerlei Kleidung, obwohl es eiskalt in dieser Jahreszeit war. Doch ihre Herzen wurden von Hoffnung erfüllt, als sie ihn sahen, an die sie sich verbittert klammerten. Er ritt bis zu den Mauern des Schlosses. Die Wachmänner vor dem Schloss verwehrten ihm den Einlass und er sah sie verspottend an. „Nerus der Schreckliche?!“ schrie er in die schwarze Nacht, die nur so vor Elend und Tod stank. Der König zeigte sich auf dem Balkon, einige Einwohner Panasiens waren dem Fremden auf dem Pferd gefolgt und sahen nun gemeinsam mit ihm auf zu dem Herrscher, der für die Verwahrlosung des Landes verantwortlich war. „Ich bin Nerus von Paliga.“ Sagte er mit stolz geschwellter Brust und richtete sein Haupt erhaben gen Himmel. „Ich weiß wer ihr seid.“ Sprach der Fremde unbeeindruckt seiner Worte. Er stieg von seinem Pferd, gesellte sich zu den Menschen, die ihm gefolgt waren. Er war einer von ihnen, er wollte nicht höher sein, sondern so wie sie. Als er sah, dass die Menschen seine Geste lobten, legte sich eine aufrichtige Güte in sein Antlitz. Die Wachmänner warfen ihm erboste Blicke zu, die ihn warnen sollten, doch er ignorierte sie, blickte stetig auf den Balkon. „Und wer seid ihr Fremder, der es wagt meine Ruhe zu stören?“ „Ich bin nur ein Fremder auf der Suche nach Zuflucht.“ Einen Moment lang blieb es still, die Schreie in den Straßen waren deutlicher zu hören und ließen den Menschen eine Gänsehaut über die Körper laufen. Nerus erwiderte, dass er ihm keine Zuflucht geben könne, dann müsse er das für jeden tun, und wäre nicht geachtet. Der Fremde erkundigte sich ob es sein letztes Wort sei und der König bestätigte es. Ohne ein weiteres Wort, wandte Nerus sich von den am Fuße seines Schlosses stehenden Menschen ab und ging in sein Schlafgemach. Die Wachmänner forderten ihn auf umzukehren. „Das wird euch noch leid tun.“ Zischte er leise mehr zu sich selbst, als zu den Wachposten. Der Fremde ritt zurück durch die Straßen, gefolgt von den Menschen, die ihn begleiteten. Dann verteilten sie sich, während der Mann auf dem Pferd den Marktplatz aufsuchte, wo er einen Moment verweilte. „Pssst…“ tönte ein zischendes Geräusch aus einer der zahlreichen dunklen Ecken rund um den Marktplatz. Hektisch sah sich der Fremde um, doch er konnte in der Finsternis niemanden ausmachen. Die Flammen der brennenden Häuser spendeten das einzige Licht in dieser Dunkelheit. Dann trat ein kleiner Junge, aus der von Schatten erfüllten Ecken. Der Anblick des Jungen entsetzte ihn, doch er versuchte sich dies nicht anmerken zu lassen. Der Junge war klein und abgemagert, er trug keine Kleidung und sein kleiner, hagerer Körper war bedeckt mit verkrustetem Blut. Er hatte nur ein Auge, seine Haut war verbrannt und der Fremde fragte sich, wer ihm das angetan haben konnte. Er stieg erneut von seinem Pferd und entnahm die Wasserflasche, die an seinem Sattel hing, hielt sie dem Jungen entgegen. Doch der wich angsterfüllt zwei Schritte zurück. „Wasser.“ Sprach der Fremde gütig. Der Junge kam, nachdem er den Fremden kurz gemustert hatte, wieder näher, griff hastig nach der Wasserflasche und sprang gekonnt zurück. Er öffnete die Flasche und leerte sie in wenigen Zügen. Im Licht der Flammen, die diese Nacht barg erkannte der Fremde den wohligen Gesichtsausdruck des Jungen. Er gab dem Fremden die Wasserflasche zurück und blickte ihn weiter an. „ Das tat gut, wie?“ erkundigte sich der Mann und lächelte dem Jungen gütig zu. Dieser nickte bestätigend. „Du kannst mit zu uns kommen. Wir gewähren die Einkehr in unser bescheidenes Haus.“ Der Junge reichte ihm eine Hand. „Warte wir setzen uns beide auf mein Pferd. Alexia ist eine treue Seele und geht ganz vorsichtig.“ Erklärte der Fremde. Der Junge zögerte, streichelte das Pferd und entschied das Angebot anzunehmen. Alexia schnaubte friedvoll, stieß eine Wolke heißen Atems aus und die beiden ritten los.
Außerhalb der Stadt erklärte der Junge, dass sie fast da seien. Der Fremde brachte Alexia zum Stehen, stieg ab und half dann dem Jungen vom Pferd. Er führte seine treue Stute in eine Stallung, der Junge besorgte etwas Stroh und einen kleinen Rest Wasser. Sofort stürzte sich das Tier gierig darauf. Er verschloss die Stalltür und die beiden betraten das Haus. Eine wohlige Wärme strömte ihnen entgegen. Eine Frau saß am Tisch, begrüßte den Jungen herzlich, drückte ihn an sich, weinte leise. Während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte, erklärte der Junge, dass er einen Gast mitgebracht habe. Seine Mutter stand auf, seufzte kurz und reichte dem Fremden die Hand. „Eleonore Wikam.“ Sagte sie freundlich. „Akones, der Name genügt.“ Sagte er und lächelte kurz. Der Name des Jungen war Alexus. Eleonore stellte einen Topf in das Feuer, das im Kamin brannte, sie schnitt etwas Brot von einem Laib, der sehr trocken schien. „Sie sind sicher hungrig.“ Nahm sie an. Derweil die Suppe im Feuer warm wurde, füllte Eleonore eine große Schüssel mit Wasser. Sie nahm ein weißes Tuch, das über einer Schnur in der Nähe des Feuers hing und wusch ihren Sohn damit. Das Wasser und das Tuch färbten sich rot von dem Blut, das den Körper des Jungen bedeckte. Anschließend setzten sie sich an den Tisch. Das kleine Haus hatte nur drei Zimmer. Die geräumige Stube und zwei Schlafräume. Es wirkte bescheiden und doch konnte Akones die Wärme spüren, die in diesem Haus war. Ein großes Feuer brannte im offenen Kamin in der Stube. Im Stall waren außer dem Pferd, das Akones gehörte, noch zwei Ziegen und ein paar Schweine.
„wo kommen sie her? Ich habe sie noch nie hier in Panasien gesehen.“ Stellte Eleonore fest. Akones aß gierig seine Suppe, nahm von dem Brot und trank immer wieder die Milch aus seinem Becher. Er reagierte zunächst nicht, war von der langen Reise vollkommen ausgehungert, erst als Eleonore ihre Frage wiederholte. „Ich habe eine weite Reise hinter mir, von Nebular bis nach Panasien. Vorbei an karger Ödnis, dichtem Unterholz, Bergketten und Seen.“ „Sie sind durch die Berge und Wälder geritten ohne von den Mongunen angegriffen zu werden?“ erstaunt schüttelte Eleonore den Kopf. „Ja.“ Antwortete Akones. „Was tun sie jetzt hier in Panasien?“ fragte Eleonore, die immer noch verwundert darüber schien, dass ihm nichts geschehen war. „Ich bin auf dem Weg zu Mme Bukina.“ Eleonore begann zu husten, doch nicht weil sie sich verschluckt hatte, sondern weil sie seine Antwort entrüstete. Sie wirkte durcheinander, war sich sicher nicht recht verstanden zu haben, was er sagte. „Alexus, geh doch bitte schon mal zu Bett“ wandte sich seine Mutter an ihren Sohn, der sofort das tat, was ihm aufgetragen wurde. „Sie wollen zu Mme Bukina?!“ wiederholte sie seine Aussage. Er nickte. „was wollen sie von dieser Hexe?“ rief Eleonore aus, als ihr Sohn die Tür zu seinem Schlafraum längst geschlossen hatte. „Ich will Panasien befreien. Sie ist der Schlüssel dazu.“ Erklärte er in kurzen Sätzen. Plötzlich begann Eleonore zu weinen. Mitfühlend blickte er sie an, erklärte, dass er ihr Tränen nicht beabsichtigen wollte. Er legte ihr eine Hand auf den Arm. „Vor einigen Jahren, hat diese Hexe mir meinen Mann genommen.“ Erklärte sie unter Tränen. „Sie verwandelte ihn in einen Dämon, der kreischend durch die Nächte flog. Nerus hatte ihn erschossen.“ „Das tut mir leid.“ Bekundete Akones sein Mitgefühl. „Nerus sollte man erschießen. Was tut er nur mit Panasien?“
„Einst war Panasien ein paradiesischer Ort mit Blumenmeeren, Wasserfällen und reichhaltig bepflanzten Feldern. Die Kinder konnten hier friedlich spielen, es wurden Feste gefeiert. Doch nach und nach veränderten sich die Dinge. Nerus schien als habe er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Sein Herz und damit das ganze Land wurden schwarz. Die Dämonen kommen nachts und nehmen sich was sie wollen: unser Vieh, unsere Kinder. Panasien ist ein Ort des Schreckens geworden.“ Erklärte Eleonore. Ihre Tränen waren getrocknet. „Ich helfe euch.“ Versprach Akones. Eleonore sagte, dass sie erschöpft sei und sich ausruhen wollte. Zuvor bereitete sie einen Schlafplatz für Akones. Sie schüttete etwas Stroh auf und legte eine Decke darüber. „Das ist alles was ich geben kann.“ Erklärte Eleonore und schien sich beinahe zu schämen. „Danke.“ Akones lächelte gütig und ließ sich auf dem Stroh nieder, schloss die Augen und war binnen ein paar Sekunden eingeschlafen.
Es war ein Schlaf, wie er ihn in jeder Nacht fand, begleitet von denselben Albträumen, von den selben Kreaturen, die ihn heimsuchten und so real waren, als stünde er ihnen Angesicht zu Angesicht gegenüber. Nacht für Nacht seit langer Zeit. Er wusste, dass er kaum noch Zeit hatte, er wusste, dass er sich beeilen musste, dass er nur diesen einen Versuch hatte. Er musste es schaffen.
Kapitel Zwei
Es war eine kurze, wenig erholsame Nacht für Akones. Als die ersten Sonnenstrahlen sein Haupt berührten, erwachte er. Er stand auf, seine Glieder waren schwer und schmerzten, von dem harten Boden. Er zog seinen Mantel über und wandte sich aus dem Haus. Akones blickte sich kurz um, lauschte in den Morgen und begab sich zur Stallung. Die kühle Morgenluft erfrischte ihn, trocknete den Schweiß der vergangenen Nacht auf seiner Stirn. Akones wollte nach seinem Pferd sehen, um das er sich sorgte, da er von den Dämonen wusste. Seit vielen Jahren war Alexia ihm schon ein treuer Begleiter und Freund gewesen. Er öffnete das Tor zur Stallung und erschrak. Die Box, wo sein Pferd in der vergangenen Nacht stand, war leer, nur das platt getretene Stroh erinnerte daran, dass Alexia hier gestanden hatte. Er fuhr herum, rannte aus der Stallung, rief den Namen des Tieres und malte sich in Gedanken die schrecklichsten Szenarien aus. Akones wandte sich einmal um die Stallung herum, erblickte einen Pfad, auf dem er nun ging und erkannte Alexus, den er direkt nach seinem Pferd fragte. „tut mir leid, ich hätte dich fragen müssen. Ich habe Alexia gemeinsam mit meiner Stute Pandora auf die obige Weide gebracht, wo der frischeste Klee in ganz Panasien wächst.“ Akones war erleichtert. Er seufzte hörbar. „Was machst du so früh am Morgen schon hier draußen?“ fragte er neugierig. „Ich kümmere mich um die Tiere bevor ich zur Arbeit muss.“ Antwortete der Junge. Akones konnte sich kaum vorstellen, welcher Arbeit ein Junge seiner Statur und in seinem Alter nachgehen sollte. Er erinnerte sich daran, dass die Jungs in dem Ort, wo er wohnte eine Schule besuchten, lernten, Aufgaben erledigten. Alexus erklärte ihm, dass er bis zum Abend in der Weberei arbeiten müsse. Er arbeitet dort um Geld für ihn und seine Mutter zu verdienen. Weiterhin erklärte er, dass es den Frauen in Panasien verboten sei einer Arbeit nachzugehen. Sie hatten hier nur zwei Aufgaben: Die Pflege der Familie und des Haushaltes auf der einen Seite, auf der anderen das Kinder kriegen. „Wenn eine Frau keine Kinder mehr bekommt oder sie zu alt ist, sind sie nutzlos und…“ Seine Stimme brach ab. Er senkte den Blick traurig zu Boden.
Schockiert von den Ausführungen des Jungen, ging Akones auf ihn zu und nahm ihn schützend in den Arm. „Deshalb gibt es keine alten Frauen hier in Panasien.“ Fügte Alexus weinend hinzu. Akones strich dem Jungen sanft über das schwarze Haar. Er dachte an die Frauen in Nebular. An die schönen, jungen Frauen, die sich des Nachts auf Bällen aufhielten, tanzten und nicht an den nächsten Morgen dachten, an die alten Damen, die freundlich ihre Waren verkauften und den Lebensabend genossen. Es überstieg seine Vorstellungskraft, dass es dies hier nicht geben würde, dass man Menschen tötete nur weil sie zu alt geworden waren, was sich nicht aufhalten ließ. Als sich der Junge wieder beruhigt hatte, unterbreitete Akones ihm einen Vorschlag: „Du kannst sehr gut mit Tieren umgehen. Wie wäre es, wenn du dich um mein Pferd kümmerst und ich gebe dir Geld dafür? Außerdem wollte ich in die Stadt und mir eine Arbeit besorgen.“ Der Junge strahlte, die geflossenen Tränen, die noch immer sanft im Sonnenlicht glitzerten, trockneten schnell. Zum Zeichen, dass Akones es ernst meinte, kramte er in seiner Tasche und zog ein Silberstück aus dieser, dass er dem Jungen beinahe feierlich überreichte. „Das ist für heute.“ Erklärte Akones. Alexus bedankte sich und blickte noch mit großen Augen auf seinen Schatz, als Akones sich auf dem Pfad zurück zum Haus machte. Eleonore war mittlerweile aufgestanden. Sie bereitete gerade das Frühstück zu. Er trat ein und wünschte ihr einen guten Morgen. „So gut, wie vergangene Nacht habe ich schon ewig nicht mehr geschlafen.“ Akones dachte an seine eigene Nacht und lächelte bitter. Er dachte an seine Albträume, die ihn schon seit langer Zeit begleiteten. Immer und immer wieder derselbe Traum. Eleonore tischte auf. Die Beiden aßen gemeinsam. „wie lange wollen sie in Panasien bleiben?“ fragte sie vor törichter Neugier, denn sie nahm an, dass der Gast denken könnte, er sei ihr lästig. Doch der Grund für ihre Frage war ein anderer. „Ich habe mich schon ewig nicht mehr so beschützt und sicher gefühlt, wie in ihrer Gegenwart.“ „Ich weiß es noch nicht“, gab Akones zur Antwort, dem die Worte von Eleonore sehr schmeichelten „ich habe einen Auftrag zu erfüllen, eine Zeit lang bin ich hier.“
Plötzlich flog die Tür zum Haus auf. Alexus stürmte hinein, rang nach Luft, keuchte schwer. „Mama, sie kommen!“ rief er noch immer schwer atmend. Durch die offenstehende Tür vernahm man nicht nur den kalten Wind, den dieser Morgen mit sich brachte, sondern auch die lauten Klänge der königlichen Fanfaren. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte Akones unsicher. „Das sind die Steuereintreiber des Königs.“ Rief Eleonore aufgeregt. „Alexus geh in deinen Schlafraum!“ ordnete seine Mutter an. Akones und Eleonore blieben am Tisch. Alexus verschloss schnell die Vordertür und wandte sich in seinen Schlafraum, wo er auch dessen Tür verschloss. Die Fanfaren wurden lauter und verstummten schließlich. Man vernahm Schritte auf dem hölzernen Steg, der sich bis zur Tür des Hauses zog und hörte jemanden heftig gegen diese Hämmern. „Aufmachen! Öffnet sofort diese Tür!“ schrie eine aufgebrachte Stimme, die von dem Klopfen durchbrochen wurde. Eleonore atmete hörbar aus, stand auf und begab sich mit pochendem Herzen zur Vordertür. Akones beobachtete sie, stand auf und stellte sich beunruhigt in einiger Entfernung hinter sie. Eleonore öffnete einen Spalt. „Steuereintreiber des Königs“ so stellte sich der große, dicke Mann vor „Sie stehen mit ihrer Steuer erheblich im Rückstand. Ich fordere sofort 100 Silberstücke!“ sagte er in groben Ton und bäumte sich unheilvoll vor der zierlichen Eleonore auf. „Soviel Geld habe ich nicht!“ sagte sie beinahe wimmernd und richtete ihren Blick betroffen zu Boden. „Sie wissen, was geschieht, wenn sie nicht zahlen können.“ Drohte der Eintreiber und versuchte immer wieder durch den Türspalt ins Innere des Hauses zu sehen. „Verstecken sie jemanden?“ fragte er eindringlich und verschaffte sich sodann Eintritt ins Haus. „Sieh mal einer an…“ sagte der Eintreiber, als er Akones in der Nähe des Kamins stehen sah. Er ging einige Schritte auf ihn zu. „Wer seid ihr? Antwortet!“ forderte er. Akones sagte selbstsicher seinen Namen. Der Eintreiber wandte sich von ihm ab, ging zu Eleonore, ballte die Faust, holte aus und schlug ihr ins Gesicht. Sie verlor das Gleichgewicht, taumelte und fiel zu Boden. Der Eintreiber trat auf sie ein, schrie, was für eine dreckige Hure sie sei und dass sie dafür sterben müsse. Akones stieß ihn zur Seite, Eleonore lag am Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Der Eintreiber sagte zu Akones, dass es der Tod für sie und ihren Sohn sei. Er wollte ihn beschwichtigen, kramte in seiner Tasche und zog einen Beutel mit Silberstücken heraus. „Das sind 150 Silberstücke. Es muss reichen um sie und ihren Sohn freizukaufen.“ Der Eintreiber blickte auf die am Boden liegende Frau, spuckte voller Hass auf sie, sah auf den Beutel mit den Silberstücken und beschloss: „ Das reicht für einen Aufschub. Einen Mond, dann werden sie hingerichtet!“ Der Eintreiber blickte noch einmal zurück, sah dass Akones sich zu Eleonore auf den Boden setzte. „Huren sind eine Schande!“ sagte er mehr zu sich, als zu einen der beiden am Boden befindlichen Menschen, dann ging er und zog die Tür mit einem lauten Knall zu.
„Es tut mir leid. Alles ist meine Schuld!“ Er nahm den Eimer mit Wasser, der in der Ecke stand und mit dem sie ihren Sohn in der vergangenen Nacht gewaschen hatte. Akones nahm das Tuch heraus und tupfte ihr über die blutende Kopfverletzung. „Du hast keine Schuld, früher oder später töten sie mich sowieso.“ Akones dachte an die Worte ihres Jungen, daran, dass die Frauen nicht arbeiten dürften, daran, dass sie nur die zwei Aufgaben hatten, daran, dass sie im Alter nutzlos waren. Er wurde traurig, strich Eleonore übers Haar und sagte, dass er es nicht zulassen werde, dass ihnen etwas passiert.
„Einen Mond haben wir Zeit. Mir wird etwas einfallen, ich helfe euch, lasse euch nicht allein.“ Akones war ein Ehrenmann und er würde zu seinem Wort stehen. Alexus kam aus seinem Zimmer, er weinte. Das Getöse und Geschrei hatte ihn wie viele Male zuvor in Angst versetzt. Wortlos ließ er sich neben seine Mutter nieder. Er fragte nicht, was geschehen war, zu oft schon hatte er sie so aufgefunden. Mit einem Gefühl aus Zerrissenheit betrachtete Akones Mutter und Sohn, die sich in enger Umarmung befanden, sich gegenseitig Halt und Schutz gaben. Plötzlich blickte Eleonore ihn mit großen Augen an: „Wir können nicht hier bleiben. Bitte hilf uns!“ Akones legte schützend seinen Arm um die beiden. In stummen Worten wiederholte er immer und immer wieder, dass er ihnen helfen würde.
Am frühen Mittag, sein Herz war immer noch von der Grausamkeit dieses Landes und der Situation am Morgen gefüllt, machte ihm das Atmen schwer, beschloss er in die Stadt zu reiten. Alexus sattelte sein Pferd, wäre am Liebsten mitgekommen, doch man hatte es ihm verboten. „Gib Acht auf deine Mutter, sie braucht dich hier dringender.“ Akones stieg auf sein Pferd und ritt über den Pfad bis er die Tore zur Stadt erreichte. Bei Tageslicht zeichneten sich die Ruinen der Stadt deutlicher ab, als in der Nacht. Die meisten Häuser waren aus Holz und boten somit keinen Schutz vor den Flammen. Nur die Menschen hier, die ein wenig Geld hatten, konnten sich ein Haus aus festem Stein bauen.
Akones erblickte bei seinem Ritt durch die Stadt einige Menschen, die ihm aus ihren Ruinen heraus ansahen. Die Häuser waren so sehr beschädigt, dass sie mehr einem Unterstand als einem Wohnobjekt glichen. Er dachte an seine Heimat Nebular, wo es solch einen Anblick nicht gab. Einige Kinder, die in den Straßen standen, winkten ihm zu, doch ein Mann kam, ließ seine Peitsche niederschnellen und befahl ihnen wieder an die Arbeit zu gehen. Er warf Akones böse Blicke zu. Als Akones sah, wie der Mann ein Kind schlug, stieg er von seinem Pferd und hielt seinen Arm fest, sodass dieser gehindert wurde, weiter auf den Jungen einzuprügeln. „Warum schlagt ihr dieses Kind?“ fragte er den Mann aufgebracht und wütend. Obwohl es dem Mann widerstrebte antwortete er dem Fremden. „Er verweigert die Arbeit!“ Akones beugte sich zu dem Jungen nieder, berührte ihn am Arm und erkannte, dass er große Schmerzen hatte. Der Junge zuckte zurück, schrie laut auf. Akones war sich sicher, dass der Arm gebrochen war. „Er hat sich, so glaube ich, den Arm gebrochen!“ erklärte Akones dem Mann, den er dann losließ. „Ich kaufe ihn für die nächste Zeit frei, damit er sich auskurieren kann.“ Sprach Akones. Er reichte dem Mann 20 Silberstücke und sagte, dass dies genügen müsste. Verwundert nahm der Mann das Geld entgegen, nahm eine Münze aus dem Beutel heraus, biss darauf und erkannte das sie echt war. „Ich weiß zwar nicht, warum ihr euch um den Jungen schert, aber ihr habt ihn soeben für die nächsten drei Monde freigekauft.“ Erklärte der Mann mit einem höhnischen Grinsen. Akones neigte kurz sein Haupt und setzte den Jungen vorsichtig auf sein Pferd, damit er ihn nach Hause bringen konnte. Die Mutter des Kindes, stand in einem völlig beschädigten Haus, der Junge sagte es ihm, als sie in die Nähe der Ruine kamen. Der Junge stieg mit Akones Hilfe schnell vom Pferd, erklärte seiner Mutter hastig was geschehen war. Akones überreichte der gütig lächelnden Frau einen kleinen Beutel mit Silberstücken. „Das ist für den Medicus und die Reparatur des Hauses.“ „Gott schütze sie, guter Mann.“ Sagte sie lächelnd. Einige Menschen, die es mit angesehen hatten, welch gute Taten Akones an diesem Tag vollbrachte, jubelten ihm zu und bezeichneten ihn als „Horeijos“, den Erlöser. Akones stieg auf sein Pferd und grüßte die Menschen, die ihm positiv zugetan waren, freundlich zurück. Er strahlte übers ganze Gesicht. Noch nie zuvor hatte ihn jemand, als Erlöser bezeichnet.
Er machte sich auf den Weg zum Marktplatz, hatte die Vorstellung, dass dort viele Menschen sein würden. Doch er war genauso verlassen, wie in der vergangenen Nacht, als er zum ersten Mal hier gewesen war. Er dachte an den Marktplatz in seinem Heimatdorf Nebular, wo dieser ein Dreh- und Angelpunkt des ganzen Ortes war. Dort gab es Gespräche, zahlreiche Händler und viele Menschen. Doch der Marktplatz hier in Panasien glich der gleichen Einöde, wie sie das gesamte Land zu bieten schien. Kaum ein Mensch war hier. Er stieg von seinem Pferd und ging umher. Fenster aus Läden waren eingeschlafen worden, Scherben lagen umher, gesplittertes Holz, Chaos war zu sehen, dass Diebe, bei ihren nächtlichen Streifzügen hinterlassen haben mussten. Er erblickte einen Mann, der Zettel in der Hand hielt. Er war ein Hausierer und dennoch fragte Akones ihn, ob er Arbeit für ihn habe. „Arbeit brauchen viele hier!“ sagte der Mann und lachte laut schallend. „Ich bin ein Fremder hier und muss eine Arbeit haben, damit ich hier leben kann.“ Der Mann musterte ihn scharf, doch seine ernste Mine wandelte sich in einen gütigen Ausdruck. „Sie sind ein junger, kräftiger Mann und außerdem gut zu Pferd. Versuchen Sie es auf dem Herujas-Feld. Sagen Sie dem Aufseher Pitos schickt sie.“ Akones bedankte sich bei dem Mann, reichte ihm ein Silberstück für seinen freundlichen Rat und machte sich auf dem Weg, den er sich von dem Mann erklären ließ. Der blieb irritiert zurück, lächelte jedoch und wünschte ihm in stillen Worten, alles erdenklich Gute. Er sah Akones nach, als der sich auf seinem Schimmel durch die Straßen Panasiens bewegte.
Als Akones das Feld erreichte, war er überwältigt, traute seinen Augen kaum. In einer Stadt, in der es soviel Elend und Leid gab, existierten noch solch schöne Orte, wie das Herujas-Feld. Es war satt an Grün und Gelb, das in der scheinenden Sonne zu leuchten schien. Schnell konnte er den Aufseher des Feldes ausmachen. Er band sein Pferd in der Nähe des Feldes an einen Baum und sofort begann Alexia von dem satten Grün der Wiesen zu fressen. Akones ging auf den Aufseher zu. „Ich bin Akones. Pitos schickt mich, er sagt, sie hätten vielleicht Arbeit für mich.“ Auch der Aufseher ließ es nicht aus, Akones scharf zu mustern, stimmte jedoch zu. „Ich bin Hajus, der Aufseher hier. Sie bekommen 10 Silberstücke pro Tag. Die Arbeit ist einfach, aber sehr hart.“ Hajus rief einen seiner Arbeiter zu sich. „Das ist Akones. Er ist neu hier. Zeig ihm alles.“ Der Arbeiter reichte Akones seine schmutzige und aufgeplatzte Hand, Akones nahm sie ohne zu Zögern. Dann entfernten sie sich von dem Platz an dem der Aufseher stand. Der Name des Arbeiters war Manoh. Er erklärte Akones wie man die Herujas erntet, säubert, transportiert. Herujas waren Früchte, die die Größe einer Melone hatten. Die gelbe Schale war sehr weich und man musste gut aufpassen, wenn man sie mit der spitzen Hacke aus der Erde grub. Mit Druckstellen, Dellen oder einer beschädigten Oberfläche konnte man die Früchte nicht mehr verkaufen. Herujas wurden für sämtliche Speisen verwendet. Ihr süßes Fruchtfleisch eignet sich hervorragend für Desserts und Schnaps. Akones begann, nach den Anweisungen von Manoh, mit der Spitzhacke, den harten, lehmigen Boden aufzutun. Schon bald darauf hielt Akones seine erste, eigens gestochene Herujas-Frucht in den Händen. Er wusch die Frucht gründlich und legte sie zum Schutz vor der Sonne unter ein Tuch auf eine Karre.
Als die Sonne über dem Feld schon beinahe vollkommen untergegangen war, ertönte ein Signal. „Morgen machen wir weiter.“ Erklärte Manoh und sagte Akones, dass dies das Zeichen für das Ende der Arbeit war. Die beiden und einige weitere Männer begaben sich zum Aufseher um ihren täglichen Lohn entgegen zu nehmen. Akones’ Glieder schmerzten, er war schmutzig vom Staub des Feldes und verschwitzt von der heißen, erbarmungslosen Sonne, die den ganzen Tag auf dem Feld schien. Er nahm sein Geld und genoss die kühle Abendluft, als er zu seinem Pferd ging, dass den ganzen Tag über auf der Wiese gestanden hatte. Er stieg auf und ritt zurück zu Eleonore. Sie und ihr Sohn waren schon krank vor Sorge, weil er bereits am frühen Mittag aufgebrochen war und sie nicht wussten, wie lange er weg bleiben würde. „Hast du eine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe?“ fuhr Eleonore ihn an. „Es tut mir leid.“ Sagte Akones schuldig und öffnete seine schmutzige Hand, in der er 4 Silberstücke hielt. „Das ist für deine Mühen!“ sagte Akones. Als Eleonore das Geld nicht nahm, legte er es auf den Tisch, an dem er sich auf einen der vier unbequemen Holzstühle niederließ. Eleonore bereitete Wasser in einer Schüssel auf. „Komm her, ich wasche dich.“ Sagte sie und Akones kam zu ihr. Und so wie Eleonore am Abend zuvor ihren Jungen wusch, so tat sie dies auch bei Akones. Mit der gleichen liebevollen Haltung und derselben Fürsorge, die sie bei ihrem Sohn an den Tag gelegt hatte. Akones genoss die sanften Berührungen, schloss wohlig die Augen, spürte die angenehme Wärme des Wassers. Eleonore lächelte gütig, als sie die Zufriedenheit in Akones’ Gesicht sah. Anschließend reichte sie ihm neue Kleider. „Die sind von meinem Mann. Dir müssten sie passen.“ Akones hauchte ein Wort der Dankbarkeit. „Wenn du willst kannst du in meinem Bett schlafen, das ist bequemer als der harte mit Stroh ausgelegte Boden.“ Schlug Eleonore vor. Akones zögerte, missfiel ihm der Gedanke, dass die zierliche Frau auf dem harten Boden schlafen musste und wohl mit den gleichen Gliederschmerzen aufwachen würde, wie es bei ihm der Fall gewesen war. Doch Eleonore bestand darauf, Widerrede war zwecklos, das merkte er schnell. Akones aß mit ihr gemeinsam, legte sich danach ins Bett, bedankte sich erneut und war binnen kürzester Zeit eingeschlafen. Eleonore setzte sich in der Stube vor den Kamin. Sie starrte nachdenklich in die Flammen. Plötzlich wurde sie aus dem Strom ihrer Gedanken gerissen. Sie vernahm laute Schreie aus Akones’ Schlafgemach, Schreie, die ihr nur allzu vertraut waren. Sie stürmte ins Zimmer, erkannte dass Akones träumte, denn seine Augen waren geschlossen. „Nein! Nicht!“ schrie Akones Wortfetzen in die Finsternis und es schien als kämpfe er gegen jemanden. Eleonore setzte sich auf das Bett. Sie nahm seine Hand, sagte leise seinen Namen, dass er aufwachen solle, versuchte ihn von den furchtbaren Albträumen dieser Nacht zu erretten. Dann öffnete Akones die Augen. Eleonore tupfte ihm über die Stirn die vor Schweiß glänzte. „Du bist da.“ Sagte er erleichtert. Eleonore lächelte ihm gütig zu, seltsame Gefühle, wie sie sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt hatte, ergriffen ihr Herz. Sie neigte sich zu ihm herunter und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Er erwiderte diesen Kuss. „Ich möchte mit dir zusammen sein. Ich weiß, dass wir uns noch nicht lange kennen, aber ich wollte es vom ersten Augenblick an, als ich deine Augen sah.“ Erklärte sie gefühlvoll. „Ich habe es auch gefühlt. Willst du es wirklich oder nur aus diesem einen Grund?“ hinterfragte Akones misstrauisch, der von ihrer Situation wusste. „In einem Mond soll ich den Tod finden, lass uns bis dahin noch einmal glücklich sein, uns einander beschützen.“ Dann küssten sie sich erneut.
In einer Zeit in der das Grauen und Elend regierten, keimte eine junge Liebe, die die Zeit segnete und jenes Leid erträglicher machen sollte. Doch wie viel vertrug ein liebendes Herz? Wie viele Geheimnisse, wie viele Qualen konnte ein liebendes Herz ertragen, ohne zu brechen?
Kapitel Drei
Die Tage zogen wie Schatten ins Land. Es waren arbeitsreiche, harte Tag mit Liebe und Geborgenheit in der Nacht. Akones und Eleonore wurden glücklich, beide hatten dieses gute Gefühl in sich, schon als sie sich zum ersten Mal gesehen hatten, einander Schutz und Trost spendeten. Die drei waren schon fast eine kleine Familie und froh darüber füreinander da sein zu können. Eleonore sorgte sich sehr um Akones. Nacht für Nacht schrie er in seinen Träumen, kein Tag verging wo er ruhig schlief. Eleonore spürte immer mehr ihre Unsicherheit, versuchte mit Akones über seine Albträume zu sprechen, weil es so wie bei ihm, genau so bei ihrem Ehemann angefangen hatte. Nacht für Nacht dieselben Markdurchdringenden Schreie.
„Ich will nicht, dass diese Hexe auch dich holt!“ hatte sie Akones verzweifelt entgegengeschrien, als sie es nicht mehr aushielt. Sie war den Tränen nahe, hatte Angst ihn zu verlieren. „Du musst mich nur lieben. Das ist alles was wichtig ist.“ Erklärte Akones. Sie bekundete ihre Ängste offen, denn dies war der Tag an dem Akones zu Mme Bukina ausreiten wollte.
Akones ritt durch die tiefsten Wälder und über die höchsten Berge Panasiens. Er dachte häufig an seinen Traum, der ihn Nacht für Nacht quälte. Er wusste, dass es nicht bloß ein Traum war, es war seine Prophezeihung. Einst war Akones der König von Nebular. Doch er trieb falsches Spiel mit seinen Untertanen, genau wie Nerus es tat. Die Beiden waren Halbbrüder. Im Kindesalter sollte Nerus seinen Bruder töten, die blauen Augen, die Akones hatte, waren anormal, denn so was hatte zuvor niemand gesehen. Nerus erklärte, dass er es getan hätte, schickte seinen Bruder nach Nebular wo ihn niemand kannte. Niemand wusste, dass Akones noch lebte, doch er schwor sich an jenem Tag Rache. Akones konnte sich nicht gegen die dunkle Seite seines Herzens wehren. Seine Mutter war eine finstere Herrscherin, sein Bruder eine Kreatur des Grauens. Doch viele Jahre später wurde er ein guter Mensch. Er flehte darum, ein guter Mensch werden zu können, weil er es aus eigener Kraft nicht schaffen konnte. Sein Wunsch wurde erhört, doch damit schloss er den Pakt und erhielt eine Prophezeihung. Diese besagte, dass Akones an seinem 35. Geburtstag in einen Dämon verwandelt werden sollte. Er willigte schweren Herzens ein, war es doch sein größter Wunsch ein guter Mensch sein zu können. Der Fluch konnte nur gebrochen werden, wenn eine Frau ihn trotz seines monströsen Aussehens mit der vollen Kraft ihres Herzens lieben würde. Akones glaubte, alles verloren zu haben, weil er wusste, dass sich die Menschen vor den Dämonen fürchteten.
Mit diesem Gefühl und seinem Sorgenerfüllten Herz, erreichte er das Haus von Mme Bukina. Er band Alexia fest und klopfte an die Tür. „Akones Rakina von Nebular. Ich habe dich bereits erwartet.“ Tönte eine sanfte, junge Stimme aus dem Inneren des Hauses. Akones trat ein. Das Haus war sehr klein. Ein Feuer brannte im Kamin und in der einen Ecke des Hauses standen ein Tisch und zwei Stühle. Überall standen und hingen Köpfe von Tieren, die ihn mit weit aufgerissen, angsterfüllten Augen anzustarren schienen. „setz dich zu mir.“ Forderte die Stimme. Im tanzenden Licht des Feuers erkannte man nun die Silhouette einer alten, buckeligen Frau, dessen Stimme nicht zu ihrem Äußeren passte. Akones fuhr zusammen, als er sie sah. Aus seinen Erinnerungen kannte er sie anders. Er fragte sich, was mit der schönen Frau von einst bloß geschehen war. Sie trat näher an ihn heran. In dem lodernden Schein des Feuers wirkte sie noch unheimlicher. Ihre Augen wirkten starr und kalt, sie waren in einem harten grün, das ihn zu durchbohren schien, ihre Haut war fahl und alt. Sie ging gebeugt, ihr graues Haar, das beinahe bis zum Boden reichte, war mit einem Haarband zusammengebunden und schwang im Takt ihrer Bewegungen. Akones bemühte sich sie nicht anzustarren, doch obgleich er sich anstrengte, wusste, er, dass sie es bereits gespürt haben musste. „Akones Rakina von Nebular.“ Wiederholte sie mit frischer und sanfter Stimme. Sie bat ihn sich zu setzen. Akones zögerte kurz, doch dann nahm er Platz. „Ich hatte schon viel früher mit deinem Besuch gerechnet.“ Merkte sie an, zwinkerte mit den Augen. Akones erwiderte nichts, krallte seine Hände in den Holztisch, fühlte eine aufsteigende Wut in sich. Er wusste, was ihn erwartete. Er kannte die Prophezeihung genau so gut, wie sie. „Dein Halbbruder ist die Ausgeburt der Hölle. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihn unlängst vernichtet. Du bist ein guter Mensch, Akones. Ihr hattet dieselbe Mutter, eine Hexe, eine Teufelin, doch nicht denselben Vater. Deine Mutter hat dir das schwarze in deinem Herzen gegeben, dein Vater dir den Wunsch, ein guter Mensch sein zu wollen.“ Erklärte Mme Bukina, die nach einigem Auf und ab gehen, schließlich Platz nahm. Sein Vater hatte dasselbe Schicksal ereilt. Auch er setzte als Dämon auf die grenzenlose Liebe seiner Frau, doch die war unfähig etwas wie Liebe zu empfinden. „Du hattest nie eine Chance. Du bist der Auserwählte, der Einzige, der Panasien von diesem Ungeheuer erlösen und es zu dem Ort machen kann, der es einst gewesen war. Akones blickte sie nun direkt an und er wusste, dass sie seine Gedanken lesen konnte. „Ja, du bist der Auserwählte.“ Bestätigte sie, seine stummen Zweifel. Akones dachte an Worte, die er hätte sagen können, an Sätze, die sein Geist formulierte, seine Lippen jedoch verschlossen hielten. „Als Sohn einer Teufelin, eines guten Geistes und als Bruder eines Monsters, hattest du nie eine Wahl gehabt. Nun hast du die Gelegenheit dich für das Gute zu entscheiden. Mit der wahren Liebe einer Frau, die dich auch als Dämon liebt, wird der Fluch gebrochen. Du musst deinen Bruder töten und wirst sehen, dass sich alles zum Guten wendet.“ Akones fuhr herum. Er stand einer großen Aufgabe gegenüber. Die Zeit lief gegen ihn. Doch wenn er seine Familie retten wollte, musste er es schaffen. „Außerdem bekomme ich dein erstes Kind. Es soll ein Kind der Liebe werden!“ Plötzlich sah Akones empört auf. Er fragte warum und wieso und dachte an seine geliebte Eleonore. „Es muss so sein, Akones, vertrau mir.“ Akones fiel die Geschichte ein, die Eleonore ihm erzählt hatte, wo es um ihren Mann ging, der erschossen wurde, als er als Dämon die Lüfte unsicher machte. Er wandte sich mit seiner Frage an Mme Bukina. „Georgius Senaral.“ Sagte die Hexe fast überschwänglich. Akones nickte wortlos. „Er war der gierigste und skrupelloseste Eintreiber in ganz Panasien. Er tötete eine Menge unschuldiger Menschen, verbreitete Angst und Schrecken. Ich unterbreitete ihm ein Angebot: Er sollte mir die Mondscheinranke besorgen, doch er lehnte ab. Er wurde von Nerus als Dämon erschossen. Mit jedem Menschen für dessen Tod oder Verwandlung ich verantwortlich war, alterte ich mehr. Wie du siehst waren es einige, aber sie hatten ihren Tod verdient.“ Akones, der ihrer Erzählung gebannt gefolgt war, schaute nun wieder abrupt auf. „Niemand hat den Tod verdient!“ sagte Akones scharf. „Akones Rakina von Nebular, wenn du so etwas sagst, wirst du bei der Ermordung deines Bruders zögern. Das wäre dein sicherer Tod.“ Sagte sie im selben Tonfall, wie er gesprochen hatte. Akones schlug mit der Faust auf den Tisch. „Nein! Niemand verdient den Tod!“ Er stand hastig auf, überragte die alte Frau nun um zwei Köpfe. Plötzlich wurde Akones von einem hellen, erscheinenden Licht geblendet. Er blinzelte, doch das grelle, weiße Licht, hinderte ihn daran etwas sehen zu können. Er blickte unsicher durch das tote Haus, blieb regungslos stehen. Als die Schatten wieder länger wurden, erkannte er, dass das Licht verschwunden war, er blickte zu Mme Bukina. In diesem Augenblick sah er in das Gesicht einer wunderschönen Frau. Sie war eine Engelsgestalt mit großen, imposanten, weißen Flügeln auf dem Rücken. Ihr Gesicht war makellos schön, ihr Haar war goldgelockt, ihr schöner Körper wurde von einem weißen, fließenden Kleid umhüllt. „Mme Bukina?“ fragte er überrascht und von Neugier verunsichert. Der Engel nickte. „Akones, mach mich wieder zu dem was ich einst war. Zögere nicht und hör darauf, was dein Herz dir sagt! Geh jetzt!“ Akones nickte, sprach kein weiteres Wort. Er stand auf, ging zur Tür. Noch einmal sah er sich zu dem Engelswesen um. „Geh!“ schrie sie. Das grelle Licht war das Einzige was er sah, dann verließ er das Haus von Mme Bukina. Vor der Hütte blieb er stehen, schritt zu seinem Pferd, band es los und blickte noch einmal zurück. Das grelle Licht war das Einzige, das er durch die schmutzigen Fenster sehen konnte. Dann hörte er Schreie, die so grauenhaft waren, dass sie unmöglich von dieser Welt sein konnten. Er überlegte kurz ob er noch einmal zurückkehren sollte, entschied sich jedoch dagegen, schwang sich auf den Rücken seines Pferdes und befahl ihr loszulaufen. Alexia galoppierte so schnell sie konnte, schnaufte. Akones wurde von den vorbeiziehenden Ästen gepeitscht, als seien es finstere Aufseher, doch er nahm den Schmerz nicht wahr. Noch als er den Wald verlassen hatte und sich auf einer Lichtung befand, hörte er die mark- und herzdurchdringenden Schreie aus dem Haus der Hexe, obwohl er schon viele Meilen von dort weg war. Er dachte nicht nach, ritt so schnell er konnte durch die Nacht. Der Himmel über ihm war schwarz, es schien als habe die Finsternis die glänzenden Sterne verschluckt. Die Wiesen und Felder waren ebenso schwarz und er hatte das Gefühl durch ein endloses Nichts zu reiten. Als er auf eine Lichtung kam, sah er schon von Weitem das Haus wo Eleonore wohnte. Er sah die Lichter und sein Herz wurde von Wärme und Geborgenheit erfüllt. Vergessen waren die kalten und dunklen Bilder aus seinen Gedanken. Er dachte an Mme Bukinas’ Worte, die Eleonore’s Ehemann betrafen. Er fragte sich ob sie die Wahrheit kannte, verwarf den Gedanken wieder, als er die Stallung erreichte. Er nahm ihr den Sattel ab, lobte sie und strich über ihr weißes Fell. „Gutes Mädchen!“ sagte er, klopfte ihr auf den Hals. Er lächelte und verschloss das Tor zum Stall. Er betrat das gewärmte Haus. Eleonore sprang auf, ging zu ihm, als er die Stube betrat. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“ sagte sie unter Tränen. Akones strich ihr sanft über den Rücken, küsste ihr Haar, ihm wurde bewusst, dass sie die Wahrheit über ihren Mann nicht kannte, ihm wurde klar, dass sie ihn liebte, er machte sich Sorgen. Ihm verblieben zwei Wochen bis er sich in einen Dämon verwandeln würde und er durfte ihr nicht sagen, dass er gehen musste. Tränen liefen ihm über die Wangen, als er Eleonore fest im Arm hielt.
Kapitel Vier
Die zwei Wochen bis zur Prophezeihung vergingen schnell. Zu schnell für Akones, der bemerkt hatte, dass es Eleonore immer schlechter ging. Er hatte das Gefühl, als würde sie spüren, dass etwas Schreckliches passieren würde. Sie war angsterfüllt, obwohl sie es nicht gestand, fürchtete sich vor der Hinrichtung, mehr vor der ihres Sohnes, als vor ihrer eigenen. Sie weinte manchmal vor dem Kamin, schluchzte im Traum. Akones versuchte für sie da zu sein, obwohl er selbst voller Sorgen war. Und obgleich es Eleonore schlecht ging, bereitete sie eine Überraschung für seinen Geburtstag vor. Sie plante es für die Nacht, die in seinen Geburtstag überging. Akones wusste nichts davon, er hätte es zu verhindern versucht, obwohl er keine Erklärung gehabt und viel Ärger geschürt hätte. In dieser Nacht, wenn die Uhr zwölf schlug, musste er hinaus in die Nacht, denn er würde sich verwandeln. Den Tag über ging er seiner Arbeit nach. Am Abend kam er nach Hause. Es war bereits spät. Eleonore bereitete das Essen vor. Zu seinen Ehren hatte sie eines der Schweine geschlachtet. Daraus machte sie einen köstlich duftenden Braten, sie hatte Kartoffeln gekocht und frisches Gemüse geputzt. Schon als Akones die Stube betrat wurden seine Sinne von dem herrlichen Duft des leckeren Mahls erfüllt. Sein Appetit wurde angeregt, das Wasser lief im sprichwörtlich im Mund zusammen und als er in die Töpfe linste, zog sich ein breites Grinsen über sein markantes Gesicht. „Wofür all der Aufwand, liebste?“ fragte Akones neugierig, verdrängte den Gedanken an seinen 35. Geburtstag. „Dies ist die Nacht, die in deinen Geburtstag übergeht.“ Sagte sie lächelnd. Akones wirkte erschrocken, all die Gedanken, die er erfolgreich aus seinem Kopf vertrieben hatte, waren mit einem Mal wieder da. In diesem Moment wurde ihm klar, welche Nacht es war. Eine große Traurigkeit überfiel sein Herz. Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. Dann aßen sie gemeinsam. „Ich hoffe ihr vergesst mich nicht.“ Sagte Akones unklar, während sie zu Abend aßen. „Ich liebe euch, danke euch von Herzen.“ Akones erwartete Berührtheit von Eleonore und ihrem Sohn, doch in diesem Bezug wurde er enttäuscht. Mutter und Sohn sahen sich schweigend an. Plötzlich lag großer Zorn in der Luft, der das Zimmer schnell erfüllte. „Warum zerstörst du diese Nacht mit deinen Worten?“ fragte Eleonore erzürnt. „Ich…ähm…ich“ stotterte Akones. Eleonore stand hastig auf, ging in ihren Schlafraum, wo sie die Tür verschloss. Akones und Alexus blieben allein zurück. Akones hörte sie durch die verschlossene Tür weinen. Seine Zeit war fast abgelaufen. „Dasselbe sagte mein Vater, bevor er zu einem Dämon wurde.“ Erklärte Alexus in einem Satz. Akones blickte den Jungen direkt an. Seine Augen, die ihn zu durchdringen schienen, hatten ihm die Wahrheit gesagt, denn der Junge schien verstanden zu haben. Akones stand auf, stellte sich vor die Tür zum Schlafraum. „Du darfst nur nicht aufhören mich zu lieben, dann wird alles gut. Ich liebe dich mein Engel.“ Sagte Akones und spürte, dass seine Verwandlung bald beginnen würde. Er küsste Alexus’ Haupt. Dann ging er ohne ein weiteres Wort in die Nacht hinaus. Im selben Moment als er die Nachtluft spüren konnte, begann er zu rennen. Er rannte so schnell ihn seine Füße trugen. Als er den Wald erreichte, fiel er zu Boden, er wandte sich vor Schmerzen, zuckte, bäumte sich auf und sackte wieder in sich zusammen. Die Verwandlung hatte begonnen. Solange er bei Verstand war, verfolgte er, was gerade vor sich ging, er blickte abwechselnd auf seine Hände und Füße, die Schmerzen schienen ihn zu zerreißen. Dann wurde es dunkel in seiner Welt, die Schwärze der tiefen Ohnmacht erfüllte ihn und lähmte seine Sinne. Das Mondlicht und der blutrote Streifen, der sich durch den schwarzen Himmel zog, beschienen seinen leblosen Dämonenkörper. Als er erwachte schmerzten seine Glieder. Er versuchte sich aufzurichten, doch seine Beine gaben immer wieder unter dem Gewicht seines Körpers nach. Er kroch durch die feuchten Wiesen der Nacht, nahm noch einmal alle Kräfte zusammen und schaffte es endlich zu stehen. Vorsichtig und noch etwas wackelig bewegte er sich weiter im Schutz der Finsternis. Mit der Zeit ging es besser und er versuchte schneller zu werden, zu groß war seine Angst gesehen zu werden. Er erreichte einen See, den Wald in dem er aus seiner tiefen Ohnmacht wieder zu sich gekommen war, hatte er längst hinter sich gelassen. Er zögerte als er vor dem Gewässer stand, wusste er unlängst, dass er sich in etwas Monströses verwandelt hatte. Er fürchtete sich vor seinem eigenen Antlitz. Doch dann trat er so nah an das Wasser heran, dass er die spiegelnde Oberfläche sehen konnte. Er erschrak, als er sein Spiegelbild sah. Mit seinen gewaltigen Pranken versuchte er sich abzutasten, er fasste in sein Gesicht, an seinen Körper. Er sah aus wie ein Monster! Diese Realität hatte er nicht sehen wollen, zumal sie ihm so bewusst wie nie zuvor gewesen war. Seine Haut, glich in Farbe und Struktur, der eines Reptils. Auf seinem Rücken, so konnte er es seitlich sehen, befanden sich eine Reihe von scharfen, silbrig-glänzenden Dornen, die sich horizontal über seine gekrümmte Wirbelsäule zogen und an seinem Schwanz weiter fort liefen. Sein Gesicht war ebenso wie der Körper, es wirkte grauenhaft entstellt. Doch eins war anders: Er hatte dieselben strahlenden und blauen Augen, wie er sie als Mensch hatte. Er verweilte an dem See. Am anderen Ufer gegenüber vernahm er ein Rascheln in einem der Büsche, die sich rings um das Ufer verteilten. Er sah auf, blickte neugierig hinüber. Ein anderer Dämon tauchte auf. Akones bemerkte nun, dass er auch seine menschliche Stimme verloren hatte. Als er etwas sagen wollte, stieß er Laute aus, die nicht wie von dieser Welt klangen. Es waren Fauch- und Knurrlaute. Der andere Dämon wurde hellhörig, stieg in den See und schwamm zu Akones herüber. Die Dämonen kommunizierten über die Gedankenübertragung. Diese Gabe erhielten sie, da ihre Stimmbänder sonst nur Fauch- und Knurrlaute erzeugten, was zur Identifikation, zum Angriff und als Hilferuf diente. Der Dämon stellte fest, dass Akones neu bei ihnen war. Akones war irritiert, fürchtete sich, weil ihm alles so fremd war, er war hilflos. Als der Dämon mit ihm zu kommunizieren begann, überwältigten Akones die Gefühle und er rannte fort in die tiefe, dunkle Nacht, ohne Ziel, ohne Hoffnung und vollkommen allein.
Kapitel Fünf
„Sie haben ihn geholt!“ flüsterte Eleonore in die Finsternis, als sie bemerkte, dass ihr Sohn Alexus in ihren Schlafraum geschlichen war. Alexus tastete sich durch die Dunkelheit. Eleonore stand auf, begleitete ihren Sohn in die warme Stube. „Er ist fort.“ Sagte Alexus mit zu Boden gerichteten Blick. Das Gesicht von Eleonore zeigte die Male der Traurigkeit. Die Augen waren verquollen, die Tränen getrocknet und sie sah bedrückt in das helle Feuer des Kamins. Sie bemühte sich Fassung zu bewahren, doch Alexus bemerkte ihre grenzenlose Traurigkeit und sagte ihr, dass sie weinen könne. Im selben Moment als er die Worte gesprochen hatte, flossen bei ihm die ersten Tränen. Eleonore nahm ihn in den Arm, immer wieder wischte auch sie sich die aufkommenden Tränen mit dem Handrücken zur Seite. Ihren Blick richtete sie zum Fenster. Der Mond schien hell. Ihre Gedanken schrien warum und ihr Herz betete, dass er zurückkommen sollte. Alexus erklärte, dass er gehen musste, weil er sie beschützen wollte. Eleonore dachte an ihren Mann, bei dem es ähnlich war, sie fühlte sich gestraft, vom Leben verraten. In dieser Nacht – als sie in enger Umarmung mit ihrem Sohn in der erleuchteten Stube stand. Tränen, die treibende Macht waren, Sehnsucht und Angst die stärksten Gefühle – sehnte sie sich zum ersten Mal nach dem Freitod. Vielleicht dachte sie, dass dann alles besser würde? Sie verwarf den Gedanken, so schnell wie er ihr gekommen war, denn sie wollte für ihren Sohn da sein, der ihre Hilfe brauchte, auch wenn ihr selbst alles genommen worden war. Alexus würde ihr Kraft geben. Nach einer Weile ließen sie sich los, saßen gemeinsam schweigend in der Stube. Eleonore erhaschte mit ihrem Blick das Geschenk für Akones. Wieder umfasste eine tiefe Traurigkeit ihr Herz. Sie öffnete das kleine Säckchen und zog eine lange, silberne Kette heraus, die sie Akones schenken wollte. Eine Kette mit dem Symbol des gekreuzten Dolchs, das in Panasien das Symbol des Schutzes und der Kraft war. „Du wirst ihm die Kette geben können. Er wird zurück kommen. Wir müssen nur daran glauben.“ Sprach Alexus und lächelte müde. Eleonores’ Augen glitzerten, sie senkte ihren Blick. „Ich hoffe es.“ Sagte sie leise und ließ die Kette sanft in den samtenen Beutel gleiten, aus dem sie sie genommen hatte.
Das Feuer im Kamin wurde kleiner, bald würde es vollständig erloschen sein und die Kälte der Nacht die kleine Stube ergreifen. Alexus nächtigte im Schlafraum seiner Mutter. Eleonore wollte nicht allein sein, und auch ihr Sohn verfluchte die Einsamkeit in jener Nacht. Mutter und Sohn brauchten in dieser Nacht mehr einander als je zuvor, gegenseitig spendeten sie sich Trost.
Als der Morgen für Akones anbrach, die ersten Sonnenstrahlen an einen düsteren Ort fielen, erwachte er aus todesähnlichem, traumlosem Schlaf. Er war verwirrt, wusste nicht wie er hierher gekommen war. „Hey, du kannst doch nicht den ganzen Tag verschlafen!“ sagte eine Stimme, die er noch nie zuvor gehört hatte. Akones hob vorsichtig den Kopf, er hatte das Gefühl, als würde dieser platzen, so laut waren die Schmerzen. Er sah sich an dem Ort um, wo er war, eine Höhle, eine Grotte, nie war er vorher hier gewesen. Er blickte an sich herunter, erkannte seine menschlichen Füße, seine Hände, seinen Körper, der die Nacht zuvor monströs und grauenerregend entstellt war. Hastig tastete er in seinem Gesicht. Er versuchte seine Gedanken zu sortieren, dachte die vergangene Nacht sei bloß ein Albtraum gewesen. Dann sah er sich nach der Stimme um, die ihn gerufen hatte. Akones erblickte einen jungen Mann in seinem Alter, der ihm vom Eingang der Höhle aus freundlich zulächelte. Akones überkam eine Scham. Er lag bäuchlings an einem Ort, an den er sich nicht entsinnen konnte, sein Körper war nackt, seine Glieder schmerzten. „Wir sind uns gestern Nacht begegnet. Mein Name ist Darkion.“ Akones bemühte sich Erinnerungen aus der vergangenen Nacht aufzutun, immer noch war er nahe der Überzeugung, dass es ein Traum war. „Hast du auch einen Namen?“ fragte Darkion und lächelte wieder um ihm das Gefühl der Angst zu nehmen. Er versuchte alles, damit er Zugang zu Akones bekam. Er wusste scheinbar, wie Akones sich fühlen musste, aus eigenen Erfahrungen. Akones richtete sich auf, sein Körper war schmerzgeplagt und er kniff die Augen zusammen. Ihm war als habe er einen Kampf mit einem übermächtigen Gegner hinter sich, der ihn schlimm verletzt haben musste. Als er gerade stand, wackelte er unsicher, verlor das Gleichgewicht, fiel, fing sich mit den Händen ab, die daraufhin wie Feuer brannten und zu Bluten begannen. Der Boden war hart und uneben, riss seine Hände auf, wurde mit seinem Blut getränkt. Mit schmerzverzehrter Mine blickte er dem Fremden entgegen, der seine Position nicht verändert hatte. Darkion riss zwei Stücke seines Gewandes ab, tat ein paar Schritte auf Akones zu und wickelte es um seine Hände. Dann verschwand er kurz und holte ein weiteres Gewand, dass er Akones um die Schultern legte. „Ich weiß ganz genau wie du dich fühlst.“ Sagte er und lächelte gütig. Darkion half Akones aufzustehen. „So war das für uns alle mal. Nichts wofür du dich schämen müsstest.“ „Was ist letzte Nacht geschehen?“ fragte Akones unsicher. Vorsichtig begann er die ersten Schritte zu laufen, seine Knochen fühlten sich biegsam und instabil an, so als würde er heute zum ersten Mal gehen. Mit der einen Hand stützte er sich an der Felswand ab, die bei jeder Berührung schmerzte, die andere Hand lag über Darkions’ Schulter, der ihm beim Laufen behilflich war. „Ich erkläre dir alles, aber zuerst stelle ich dir die anderen von uns vor.“ Erklärte Darkion. Außerhalb der Höhle schien die Sonne mit voller Kraft. Akones kniff die Augen fest zusammen, konnte nur blinzeln, weil er geblendet wurde. Es war die Wintersonne, die trotz der kalten Witterung, heiß vom Himmel schien. Außerhalb der Höhle erstreckte sich meilenweit eine karge Ödnis. Am Horizont konnte man Berge sehen, sonst bot sich der Anblick von heißem Sand und kaltem Gestein. Unten in der Schlucht, die unterhalb der Höhle und der Felswand lag, erkannte Akones weitere Menschen. Sie standen gruppiert in einem Kreis und lauschten jemandem der erhöht auf einem Felsblock stand. Darkion und Akones bahnten sich den unebenen Weg bis runter in die Schlucht. Darkion rief dem Mann auf dem Felsblock etwas zu, doch Akones lauschte dem nicht, er widmete sich der kargen Landschaft, fragte sich insgeheim, wo er war, was er hier tat und was überhaupt geschehen war. Sein Kopf war leer, er hatte das Gefühl, als wurde er seiner Erinnerungen beraubt. Lediglich Bruchstücke aus der vergangenen Nacht kamen verschleiert in sein Gedächtnis. Er hörte, wie jemand seinen Namen rief, reagierte nicht, immer war er noch tief in Gedanken versunken. Erst beim wiederholten Rufen, sah er auf. Er blickte zu dem Mann der auf dem Felsblock stand. Es war ein alter Mann, mit weißem Haar, einer jedoch sehr jungen Erscheinung. Akones blickte ihm direkt in die Augen. Der alte Mann zuckte zusammen, als er den Blick erwiderte. „Dich werde ich töten müssen, wenn ich die anderen erretten will!“ kam es Akones zusammenhangslos in den Sinn. Er wandte den Blick ab, fasste sich an den Kopf, der immer noch höllisch schmerzte, fürchtete sich, dass der alte Mann seine Gedanken gehört hatte, so laut kamen sie ihm selbst vor. „Du bist also der Neue..“ sagte der alte zögerlich. „Ich bin Grandaf, der Anführer der Dämonen.“ Der alte Mann stieg vom Felsblock herunter. Er ging direkt auf Akones zu. „Deine Augen, so was habe ich noch nie gesehen.“ Stellte er fest. „Ich bin Akones. Wer sind wir? Was geschieht mit uns?“ lenkte er mit seinen Fragen ab, der immer noch vollkommen überrascht von seinen Gedanken war, die ihm in den Sinn kamen, als er Grandaf zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte. Instinktiv wusste er, dass diese eine Bedeutung hatten, welche wusste er nicht. Er würde es herausfinden, wenn die Zeit dazu gekommen war. „Tagsüber sind wir Menschen. Nachts beherrschen wir als Dämonen die Dunkelheit. Jede Nacht verwandeln wir uns, als Strafe für die Taten, die wir als Menschen begangen haben. Wir leben abseits von den Menschen, meiden sie, weil sie uns sonst jagen und töten. Du wurdest in der letzten Nacht zum ersten Mal zum Dämon. Von nun an gelten meine Gesetze. Halte dich daran!“ Akones dachte plötzlich an seine Prophezeihung. In Gedanken war er bei seiner geliebten Eleonore. Diese Gedanken erfüllten sein Herz mit einer tiefen Traurigkeit. Er sehnte sich nach ihren Küssen, ihren Berührungen, nach ihr. Er musste sich den Menschen nähern. Er musste es als Dämon tun, denn nur wenn sie ihn so liebte wie er als Dämon war, in all seiner monströsen Gestalt, würde die Prophezeihung erfüllt, so lauteten die Worte von Mme Bukina. „Ich muss mich den Menschen nähern. So lautet meine Prophezeihung!“ sprudelte es offenbart aus Akones heraus. Grandaf, der sich bereits wieder von ihm entfernt hatte und mit dem Rücken zu ihm stand, blieb stehen. Er drehte sich um, erntete unsichere Blicke von den anderen Anwesenden, die auch Akones streiften und ging zurück zu dem Neuen. „Wenn du das tust, werde ich dich töten!“ sprach der alte Mann scharf, seine Augen blitzten rot leuchtend auf. Akones trat einen Schritt zurück. Die Zeit lief gegen ihn. Auch wenn ihm die Begegnung mit Grandaf Angst einflößte, wusste er, dass er seine Prophezeihung erfüllen musste, wenn er wieder ein normales Leben führen wollte. Er gesellte sich zu Darkion, sagte kein Wort, lauschte den Worten des Anführers. „Die Menschen sind schlecht! Sie wollen uns töten, sie wollen uns alle vernichten!“ hetzte Grandaf gegen die Menschen. Akones konnte nicht mehr an sich halten, sein Zorn verhinderte das. „Die Menschen sind gut. Wir waren selbst welche und ich werde wieder einer von ihnen! Das sind Lügen!“ Grandaf stieg erneut von seinem Podest, kam wieder auf Akones zu. Er zückte einen Dolch und stach ihm in den Arm. „Damit du nicht vergisst, wer dein Anführer ist! Darkion schaff ihn mir aus den Augen.“ Akones hielt sich den Arm, Blut tropfte in den feinen Sand, färbte ihn rot. Darkion brachte ihn in die Höhle. „Du solltest dich nicht mit ihm anlegen.“ Er schmierte Akones eine Paste auf den Arm, die er nicht kannte. Irritiert fragte er, was Darkion da tue. „Das ist nur zu deinem Besten, der Stich eines Dämonenschwertes kann für dich als Mensch tödlich sein.“ Akones sah ihn verblüfft an, wollte erst fragen, warum er ihm helfe und damit gegen Grandaf spielte, doch Darkion erklärte es von sich aus. „Seit ich dich zum ersten Mal in der vergangenen Nacht gesehen hatte, spürte ich, dass du unser Erlöser bist. Wir hatten nie eine Chance, Akones.“ Akones sprach von seiner Prophezeihung und der damit verbundenen Hoffnung. „Ich habe auch einst geliebt, ich bereue meine Taten, den Hass den ich empfand.“ „Ich helfe euch, aber ich muss Grandaf töten!“ sprach Akones und erntete erstaunt bewundernde Blicke, weil er wagemutig und zugleich weise klang. „Er ist ein mächtiger Gegner. Jeder, der bisher versuchte ihn zu töten, fand selbst den Tod.“ Gab Darkion den Rat zur Vorsicht. „Deshalb brauche ich eure Hilfe. Erklär es deinen Leuten.“ Meinte Akones. Dann begaben sie sich zur Ruhe, denn sie wussten, dass die bevorstehende Nacht wieder kräftezehrend werden würde. Die Sonne stand tief am Himmel, bald käme die Dämmerung.
Mit schweren Lidern, bedingt durch die unzähligen Tränen der Nächte, erwachte Eleonore. Die grelle Sonne blendete sie und sie kniff die Augen zusammen, hielt sich schützend die Hand vor das schöne Gesicht. Alexus war schon längst bei der Arbeit. Sie stand auf, hatte das Gefühl sich selbst beim Gehen zu beobachten. Sie fühlte sich, als sei sie eine Hülle, ein Körper, dem man all sein Leben entzogen hätte. Ihr Geist und ihre Gedanken waren weit fort, bei der Liebe, die sie in jenem Moment empfand, als sie Akones zum ersten Mal in die Augen geblickt hatte. Sie kleidete sich an, und verließ das Haus. Zunächst wandte sie sich an den Stall, wo Alexia ruhig stand und von dem Heu probierte, das rings um sie am Boden lag. „Du vermisst ihn auch, stimmt’s?“ sprach sie sanft zu der zahmen Stute, die sie gütig ansah, als habe sie jedes einzelne Wort verstanden. Eleonore kam die Idee, dass das Tier bewegt werden musste, sie sattelte das Pferd obgleich. Dann führte sie Alexia aus dem Stall, sie setzte sich auf den Rücken des Pferdes, das sogleich zaghaft wieherte und fühlte sich Akones sehr nah. Das gute Gefühl, dass Eleonore empfand schien auf das Tier überzugehen, denn die Stute wieherte wiederholt leise und begann vorsichtig loszulaufen. „Gutes Mädchen!“ sagte Eleonore, lächelte und klopfte dem Tier auf den Hals. Sie ritt auf dem Pfad entlang, den Akones sooft passiert hatte, bis zu den Toren der Stadt. Ihr fiel auf, dass die Stadt seit Ewigkeiten nicht brannte. Die Menschen halfen einander die Ruinen, die einst ihre Häuser waren zusammen aufzubauen. Sie wunderte sich, freute sich aber, weil sie spürte, dass etwas geschehen würde. Eine große Veränderung nahte, die man genau fühlen konnte. Es war das gute Empfinden, das in jenem Moment ihr Herz ergriff und ihr zuflüsterte, dass bessere Zeiten kommen würden. Sie bemerkte, dass seit Langem keine Soldaten mehr in der Stadt patrouillierten, sie hörte keine Schreie, sie sah kein Elend, sie spürte den Frieden. Eleonore stieg von dem Pferd und betrat einen kleinen Laden. Ein kleiner, rundlicher Mann stand hinter einem Thresen. Über die Gläser seiner Brille sah er hinweg auf ein kleines Objekt an dem er gerade bastelte. Er wirkte konzentriert. Seine lichten, grauen Haare standen wild vom Kopf ab, das Haupt wirkte im Gegensatz zum Rest seines Körpers, klein und unproportional. Als er die Klingel hörte, die über der Tür seines kleinen Lädchens angebracht war und bei jedem Kunden, der den Laden betrat läutete, sah er neugierig auf. Er erkannte seine langjährige Freundin Eleonore, lief einmal um den Thresen herum und ging auf sie zu. Er öffnete seine Arme und drückte sie fest an sich. Dann sah er sie an, sagte ihr, dass sie bezaubernd aussehe und drückte sie wieder fest an sich. „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!“ merkte der kleine, pummelige Mann an. „Ich dachte ich besuche meinen treuen Freund Theodor mal wieder!“ erklärte Eleonore und hätte ihm am Liebsten direkt ihr tonnenschweres Herz ausgeschüttet. Theodor, der eine hervorragende Menschenkenntnis besaß und Eleonore zudem schon viele Jahre kannte, spürte schon, als sie den Laden betrat, dass sie etwas auf dem Herzen hatte. „Du siehst so schön aus, wie der heutige Tag, deine Augen sprechen jedoch die Sprache der Traurigkeit.“ Eleonore blickte zu Boden, dann sah sie ihn wieder an. „Wie Recht du doch hast, lieber Theodor. Lass uns später darüber sprechen. In Ordnung?“ Theodor nickte wortlos und setzte ebenso eine traurige Mine auf. „Was anderes…wie geht es dir?“ fragte Eleonore und bemühte sich um ein Lächeln. „Mir geht es fantastisch, wir sind gesund, das Geschäft läuft gut und heute ist ein außergewöhnlich friedlicher und schöner Tag, beinahe so, als würde in naher Zukunft etwas geschehen.“ „Er spürt es also auch.“ Dachte Eleonore und schenkte ihrem Freund ein aufrichtiges Lächeln. Als ein Mann den Laden betrat, ging Theodor wieder hinter den Thresen. Eleonore beugte sich zu ihrem Freund herüber: „Komm heute Abend zum Essen. Dann können wir in Ruhe reden!“ schlug sie flüsternd vor. Theodor stimmte zu, verabschiedete seine Freundin und widmete sich dann dem Kunden. Beim Rausgehen, betrachtete Eleonore noch einmal den Laden ihres besten Freundes. Sie erkannte die Schönheit in den vielen kleinen Dingen, des Antiquitätenladens. Kleine wertvolle Schätze, die alle eine kleine eigene Geschichte zu erzählen hatten. Theodor warf ihr einen Blick zu, während er mit dem Kunden sprach und für einen kurzen Moment innehielt um ihr beim Bewundern seiner Verkaufsgegenstände zu zusehen. Er seufzte und ging dann wieder seiner Arbeit nach, als Eleonore den Laden verließ. Vergessen waren letztendlich die quälenden Gedanken an den eigenen Freitod, die sie genau wie die grenzenlos erscheinende Traurigkeit überfallen hatten.
Darkion hatte ihm viel aus seinem eigenen Leben erzählt, Dinge, die ihn sehr oft traurig stimmten, Dinge, die er zutiefst bereute. Akones erkannte die Parallelen zu seinem eigenen Leben. Er wollte Darkion helfen, der ihm sagte, dass Grandaf Unrecht habe, wenn er sagte, die Menschen seien schlecht, schließlich waren sie selbst einst welche gewesen. Akones bemerkte an diesem ersten Tag in fremder Gesellschaft, dass er ständig von Grandaf beobachtet wurde. Immer noch war ihm nicht klar, ob er seine Gedanken hatte lesen können, ob Grandaf wusste, was Akones tun würde. Du darfst nicht zögern, so kamen ihm die Worte von Mme Bukina in den Sinn.
Als Akones noch ein König war, hatte er zahlreiche Menschen hinrichten lassen, unter ihnen auch Unschuldige. Doch jetzt – wo er für seine Taten büßte – wo er die Wahl hatte, war er sich nicht sicher, ob er je wieder im Stande sein würde, einen Menschen zu töten. Er wusste nicht, ob er zögern würde. Doch er durfte nicht und die starke Liebe, die er empfand und sein sehnsüchtiges Herz würden ihm helfen diesmal die richtige Entscheidung zu treffen. Er glaubte damals, ein normales Leben zu führen, seine Mutter hatte ihm es so gelehrt. Er war naiv, wie er im Nachhinein wusste. Er glaubte bis zu dem Tage, als sein Bruder ihn töten sollte, dass er richtig handeln würde, dass er keine Fehler beging. Als er dann lebte, hatte er keine Wahl, es war als trüge er die dunklen Herzen seines Bruders, seiner Mutter in sich. Es war für Akones wie ein Fluch. Das Zeichen, das er trug, waren seine Augen. Niemand hatte solche Augen wie Akones, die in der Dunkelheit von sich aus zu leuchten schienen. Er wollte für seine Taten büßen, war fest entschlossen die Prophezeihung zu erfüllen, Panasien vom Bösen zu befreien und seine einzige wahre Liebe, die er zu Eleonore empfand zu leben. Sein bisheriges Leben war ein einziger böser Traum gewesen und Akones wusste, dass es Zeit war aufzuwachen.
„Dir wurde auferlegt, dass eine Frau dich so lieben muss, wie du in deiner dämonischen Gestalt bist?!“ hinterfragte Darkion neugierig. Akones nickte. Er hatte seine Geschichte bereits erzählt, doch er ahnte, dass Darkion einen Plan haben musste. „Wenn der Mond hell und voll auf eine Lichtung fällt, dann kann sie dich einen kurzen Moment so sehen, wie du als Mensch aussiehst. Es müsste klappen!“ erklärte Darkion. Akones lächelte. Er dachte daran, wie er es überhaupt schaffen würde, dass Eleonore einem Dämon bis auf eine Lichtung folgt, doch er war sicher, dass ihm etwas einfallen würde. „Ich muss es schaffen.“ Sagte er entschlossen und dankte seinem neuen Freund für diesen Rat.
Grandaf kam zu den Beiden. „Darkion, geh bitte. Ich muss allein mit Akones sprechen!“ forderte der Anführer der Dämonen. Darkion tat, wie ihm aufgetragen, warf Akones jedoch noch einen letzten Blick zu. Grandaf ging auf und ab, während er mit dem neuen Mitglied bei den Dämonen sprach. „Du kommst hierher als Fremder, willst Regeln brechen und bringst ein heilloses Durcheinander in meine Gruppe.“ Fasste Grandaf zusammen. Akones sah ihn wieder direkt an. „Ihr macht sie abhängig von euch und erzählt Lügen über die Menschen.“ Gab Akones zur Antwort. Grandaf wurde hellhörig. „Es sind keine Lügen. Du weißt was mit Georgius geschehen ist.“ Sagte er erzürnt. Das wusste Akones. „Er hat dafür gebüßt, dass er sich gegen jene gute Macht in sich gewährt hat. Er hatte eine Chance.“ „Meinen Dämonen fehlt es an nichts. Sie sind zufrieden hier mit mir.“ Erwiderte Grandaf. „Ein eigener Wille, Gefühle, eine Chance ihre Taten wieder gut zu machen!“ zählte Akones auf und seine Liste wäre noch länger geworden, wenn Grandaf ihn nicht unterbrochen hätte. „Sie machen ihre Taten gut, indem sie das verkörpern was sie geworden sind, Dämonen.“ „Ich werde die Menschen aufsuchen!“ sagte Akones kalt und klar. „Wenn du das tust verrätst du deine Gruppe, ich werde dich töten müssen.“ Grandaf sprach mit scharfem Ton, packte Akones am Handgelenk. „Dann versucht es doch!“ gab Akones im selben Ton zurück und schlug seine Hand weg.
Grandaf ging und Akones war sich sicher, dass der Kampf zwischen ihnen schon in derselben Nacht ausgetragen werden würde.
Theodor kam noch bevor die Sonne unterging. Er trat in die Stube, grüßte Alexus, den er bereits seit Geburt kannte und gab Eleonore einen Kuss auf die Wange. „Schön, dass du da bist!“ sagte sie zu ihrem Freund und klang erleichtert. Theodor setzte sich vor den Kamin. „Es ist kalt draußen, ich glaube, wir haben bald wieder Vollmond.“ Merkte er an, blickte immer wieder auf Eleonores’ Körper, die das Essen vorbereitete und mit dem Rücken zu ihm stand. Theodor entdeckte das samtene Täschchen, in dem sich Akones’ Kette befand. Eleonore bekam es nicht mit und schon bald darauf hielt Theodor die Kette in den Händen. „Sag’ mal das Schmuckstück muss ein kleines Vermögen gekostet haben. Ein gekreuzter Dolch…“ Eleonore wurde hellhörig, sah dass Theodor die Kette hin und her baumeln ließ, stürmte auf ihn zu und entriss ihm das Schmuckstück. „Das geht dich nichts an!“ schrie sie und schien selbst überrascht über ihre aufbrausende Reaktion. Theodor sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Er senkte seinen Blick und sagte leise, dass es ihm leid tue, er wollte nicht in Sachen schnüffeln, die ihn nichts angehen. Eleonore lehnte sich ans Fenster. Sie seufzte schwer. Theodor stand auf und nahm sie von hinten in den Arm. Er begann sanft ihren Hals zu küssen. Sie riss sich los von ihm, wollte nicht, dass er sich auf die Art ihr näherte. „Die ist für jemanden der dir sehr viel bedeutet?“ fragte er rhetorisch und hätte sich gewünscht, dass er Unrecht hatte, denn schon vor langer Zeit begann er selbst Gefühle für Eleonore zu hegen, die sie nie erwidert hatte. Beim Abendessen erzählte Eleonore ihrem Freund die ganze Geschichte. Theodor hörte ihr aufmerksam zu. „Du weißt doch kaum etwas über ihn. Willst du ihn nicht einfach vergessen? Du leidest wie bei deinem Mann damals. Willst du das alles noch einmal durchleben?“ „Ich liebe Akones, mehr als mein eigenes Leben, für ihn würde ich die Hölle passieren. Es spielt keine Rolle, wie viel ich über ihn weiß, seitdem ich das erste Mal seine Augen sah, wusste ich, dass er der einzige Mann sein wird, den ich jemals wieder lieben kann. Die nahende Veränderung die zu spüren war, ich fühlte, dass er etwas damit zu tun hat.“ Theodor senkte den Blick. Er wusste, dass sie für ihn keine Gefühle hegte, doch er hatte nie aufgehört sie zu lieben, obgleich er selbst verheiratet war. Sie wusste davon, doch sie sagte ihm, dass sie nichts für ihn empfinde außer Freundschaft. Theodor zweifelte an ihrer Theorie, er stellte fest, dass sie bei ihrem Mann damals der gleichen Überzeugung war und enttäuscht wurde. Eleonore wechselte das Thema. Sie erklärte, dass sie mit dieser Hoffnung sterben wollte, mit der Liebe, die Akones ihr schenkte. Sie erzählte ihrem treuen Freund von ihrer baldigen Hinrichtung. Theodor sprang auf, er fuhr in einem Gefühl aus Wut und Traurigkeit herum. Er wollte wissen warum. Sie erklärte, dass man sie bezichtigte eine Dirne zu sein und ihr Sohn ein Produkt daraus. „Ich hoffe er weiß es zu verhindern.“ Sagte er und klang wenig überzeugt davon. Als sie innehielten hörten sie plötzlich ein lautes unheimliches Geräusch, das sich ganz in der Nähe befinden musste. Eleonore fuhr zusammen, als das Geräusch immer lauter zu werden schien. Sie zitterte am ganzen Leib und betete inständig, dass Akones nicht den Tod finden würde. „Der Kampf hat heute Nacht begonnen.“ Sagte Eleonore und faltete ihre Hände im stummen Gebet.
Akones war bereit. Mit schnellen Schritten wandte er sich durch das dichte Unterholz des Waldes. Er rannte so schnell ihn seine großen, dämonischen Füße trugen. Plötzlich prallte er gegen etwas. Er wäre fast gefallen, doch mit seinem Schwanz gelang es ihm sich abzustützen. Er richtete seinen Blick auf und sah in die feurig roten Augen von Grandaf. „Ich hab gesagt, dass ich dich töten werde, wenn du versuchst zu den Menschen zu gehen!“ Er holte aus und sprang auf ihn zu. Mit weit aufgerissenem Maul, ließ er seine scharfen Zähne blitzen, die er Akones in den Oberkörper rammen wollte. Der sprang zur Seite und Grandaf fiel zu Boden. Akones zögerte, dies war der Fehler, denn Grandaf schwang seinen Schwanz hin und her und brachte Akones so zu Fall. Grandaf sprang auf und stürzte sich auf den am Bodenliegenden. Diesmal biss er ihm in die Brust. Akones schrie auf. Schreie die man meilenweit hören konnte. Ein lautes Knurren und Ächzen zog sich durch die schwarze Nacht. Rotes Blut floss, das in der Finsternis ebenso schwarz war, wie der sternenlose Himmel. Plötzlich wurde Grandaf heftig zur Seite gestoßen, er schrie vor Schmerzen, denn ein dicker Ast hatte sich geradewegs durch seine Schulter gebohrt. Mit einem Ruck, befreite er sich aus seiner Lage. Darkion war aus der Dunkelheit aufgetaucht und stand auf Akones’ Seite. „Dann werde ich euch eben beide töten!“ Mit seiner Pranke holte er aus, erwischte Darkion, der aufschrie und sich das verletzte Gesicht hielt. Akones stürzte sich auf Grandaf, biss sich in seinem Rücken fest, riss einen der Stachel auf dem Rücken heraus. Das schwarze, feuchte Blut klebte an seinen Pranken, an seinem Maul. Er keuchte, schrie aus Leibeskräften. Einen Moment lang blieb es still auf der Lichtung. Grandafs Körper lag regungslos da. Darkion erkundigte sich, ob er tot sei, immer noch hielt er sich das Gesicht. Zum ersten Mal gebrauchte Akones seine Gedankenübertragung, doch es mischten sich weitere Worte hinzu. „Nun bist du dran!“ tönte es in seinem Kopf. Akones blickte sich um, wobei er kurz den Himmel mit seinen Blicken streifte, die Wolken zogen weiter machten dem vollen Mond Platz. Er vernahm einen mächtigen Schatten hinter sich. Grandaf. Er wandte sich um und biss ohne zu Zögern zu. Im grellen Mondlicht erkannte Akones, dass er Grandaf Hals erwischt hatte. Im Schein erkannte er den alten Mann, er dachte an Darkions Worte. Auch er sah seine menschlichen Züge. Er spürte den metallischen Geschmack des Blutes in seinem Mund. Grandafs Körper war blutüberströmt, Blut, das im weißen Licht des Mondes nun rot wurde und feucht glänzte. Akones wich zurück. Grandafs Körper bäumte sich noch einmal auf, er rang nach Luft, hielt sich den Hals, stöhnte vor Schmerzen und sackte schließlich zusammen. Der Anführer der Dämonen war tot. Als die Wolken den Mond wieder verschluckten, nahm auch Akones wieder dämonische Gestalt an, der Körper von Grandaf blieb menschlich. „Ihr seid nun frei.“ Sagte Akones ruhig, aber entschlossen. Darkion dankte ihm. Gemeinsam zogen sie in Richtung Stadt. In dieser Nacht lag der Geruch des Todes in der Luft, aber auch der süße Duft der Erlösung. Nun lag es an jedem Einzelnen den Fluch zu brechen. Akones hatte die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Dämon geschaffen. Er wusste, dass er seinem Ziel ein Stück näher gekommen war.
Kapitel Sechs
In den nächsten Nächten wurde Akones zum neuen Anführer der Dämonen. Die anderen hatten dasselbe gespürt, wie Darkion es gefühlt hatte, als er Akones zum ersten Mal in die Augen sah. Sie beschrieben es, als eine Art Magie, die er ausstrahlte. Sie hatten gewusste, dass er sie aus den dämonischen Fängen befreien würde. Er konnte sie nicht bekehren, ihm war es unmöglich gute Menschen aus ihnen zu machen, das musste jeder Einzelne von ihnen selbst entscheiden, doch er konnte ihnen die Werte vermitteln, die er als gut erachtete. Sie zogen Nacht für Nacht in die Stadt, geschützt von den langen Schatten der Dunkelheit. Gemeinsam bauten sie die Ruinen der Stadt wieder auf. Die Menschen wunderten sich, wussten nicht was geschah, doch auch sie spürten die Besserung. Vor Sonnenaufgang machten sie sich auf den Weg zurück. Ein paar Mal war Akones an Eleonores’ Haus. Aus weiter Entfernung sah er sie traurig am Fenster sitzen und es war, als könnte er ihre Gedanken lesen, die immer wieder darum baten, dass er zurückkam. Er wusste, dass sie die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, er wusste, dass sie auf ihn wartete.
Doch Akones wusste auch, dass die Zeit knapp war. In einer Nacht war ihm die königliche Kutsche mit dem Symbol des Schlangenschwertes aufgefallen. Er saß zusammengekauert in einem Gebüsch. Die Pferde scheuten, denn sie spürten seine Anwesenheit. Der König ließ die Kutsch anhalten, er befahl nachzusehen, was die Pferde verängstigt hatte. Der Wachmann stieg ab und schwang seine Fackel durch die schwarze Nacht um die Dunkelheit zu durchbrechen. Akones zog sich weiter in das finstere Dickicht zurück. Äste knackten unter ihm, Blätter raschelten. Nerus stieg aus dem Inneren der Kutsche, doch er konnte Akones nicht sehen. Akones überkam eine grenzenlose Wut, er krallte sich in den Arm, bis warmes Blut daran herunterlief. Der König befahl dem Wachmann die Ware abzuholen. Zwei Frauen wurden dem König vorgeführt. Man hatte ihnen die Augen verbunden, sie wimmerten, weinten, hielten einander fest. „Ihr werdet bezichtigt eines Hexenbundes anhängig zu sein. Ihr werdet zum sofortigen Tode verurteilt.“ Die Frauen schrien, sagten, dass das eine Lüge sei, flehten um ihr Leben, bettelten um Gnade. Akones wäre am Liebsten losgerannt, hätte sich auf seinen Halbbruder gestürzt und ihn mit einem Biss getötet, doch er hätte selbst den Tod gefunden. Er musste mit ansehen, wie Nerus die beiden Frauen kaltblütig tötete, sie enthauptete, hören wie sie schrien um ihr Leben flehten, ihre Köpfe dumpf ins hohe Gras fielen. Das Blut der Unschuldigen tränkte den trocknen Boden. Heiße Tränen, die wie Säure auf seiner entstellten Haut brannten, liefen ihm die Wangen hinab. Nerus und der Wachmann bestiegen wieder die Kutsche. Akones ließ sich auf die Knie fallen, er durchbrach die Nacht mit einem tiefen und furchteinflößenden Dämonenschrei, der meilenweit die Finsternis erfüllte und in der Ferne widerhallte. Die Pferde vor der Kutsche rannten los, ließen sich kaum kontrollieren. In der Nähe hörte er die anderen Dämonen und er wusste, dass die nächste Nacht, die seine werden würde. Es sollten keine Unschuldigen mehr den Tod finden. Akones fühlte sich mit Schuld. Er hätte es verhindern können, doch er hatte es nicht getan. Mit der schweren Last der Schuld, dem Gefühl der grenzenlosen Wut und einer übermannenden Traurigkeit sprang Akones tiefer in das Dickicht. Er rannte durch das Unterholz, störte sich nicht an den ihn peitschenden Ästen.
Am Tage berichtete er den anderen was geschehen war. Akones dachte wieder an seine Liebe. Er erklärte den anderen den Plan, verteilte die Aufgaben, machte klar, dass er den König töten musste. Die Dämonen verstanden, begaben sich in ihre Ruhestätten, die nächste Nacht würde kräftezehrend sein und sie an den Rand der Erschöpfung treiben.
Akones fand zunächst nicht in den Schlaf. Er dachte an die beiden Frauen, hörte in Gedanken immer wieder ihre Todesschreie…er bereute, aber er schwor sich ihren und den Tod vieler anderer Unschuldiger zu rächen.
Eleonore hatte ihren Freund Theodor gebeten bei ihr zu bleiben, bis sie hingerichtet werden würde. Er nahm das Angebot an, schloss für ein paar Tage seinen Laden um für seine Freundin da zu sein. Alexus ließ sich den bevorstehenden Tod nicht anmerken, doch auch er fürchtete sich, wollte jedoch für seine Mutter stark sein. Dies wäre ihre letzte Nacht unter den Lebenden. In der kommenden würden sie durch das Schwert des Königs getötet. Die Nacht wurde von Tränen und weniger Worte bestimmt. „Er wird uns retten!“ sagte Alexus aufmunternd obwohl auch bei ihm die Hoffnung geringer wurde, dass es wirklich so sein würde. Auch in dieser Nacht hatte Eleonore am Fenster gestanden und hinaus in die schwarze Nacht gesehen. Sie blickte auf zu den glänzenden Sternen, betete dass er ihnen helfen würde. Tränen rannen an ihren Wangen herunter, heiß und beständig, sie schluchzte, als sie stumme Gebete an den hellen, vollen Mond schickte.
Kapitel Sieben
Die entscheidende Nacht begann mit Sonnenuntergang. Jeder von den Dämonen wusste um seine Aufgabe. Sie sammelten sich im Wald, der in unmittelbarer Nähe von Eleonores’ Haus lag. Sie warteten. Kurz vor Mitternacht vernahmen sie das Geräusch der nahenden Kutsche. Die Pferde scheuten sehr, stiegen auf, zeigten ihre mächtigen Hufe, als sie die Dämonen in der Nähe wahrnahmen. Nerus stieg in Begleitung zweier Männer aus, in seinem Halfter glänzte das Schlangenschwert silbrig im Mondlicht. Alexia blickte aus dem Scheunentor, sie scheute nicht, spürte sie Akones’ Nähe, auch wenn er in anderer Gestalt war. Nerus klopfte an die Tür. Theodor öffnete. Er wollte seine Freundin beschützen. Nerus war überrascht bat ihn zur Seite. Doch Theodor weigerte sich. Die beiden Männer schlugen ihn zu Boden, traten auf ihn ein. „Sie werden zum sofortigen Tode verurteilt, weil sie eine Dirne sind und ihr Sohn das Produkt daraus.“ Mit gesenkten Häuptern traten Eleonore und ihr Sohn aus dem Haus. Einer der Männer wollte ihnen die Augen verbinden, doch Eleonore äußerte, dass sie dem Tode ins Angesicht blicken wollte. Ihr Wunsch wurde akzeptiert. Eleonore drückte die Hand fest, die sie von Alexus fest in ihrer verschlossen hielt. Nerus zog sein Schwer aus dem Halfter.
Akones gab in diesem Augenblick das Zeichen für den Angriff. Er rannte aus dem Wald, direkt auf Nerus zu, der das Schwer t für die Exekution in die Lüfte erhoben hatte. Durch die Wucht fiel Nerus zu Boden, das Schwert lag neben ihm. Eleonore schrie auf, sie löste ihre Fesseln und danach die ihres Sohnes, stellte sich schützend vor ihn, als sie die Dämonen sah. Akones saß mit schwerem Gewicht auf dem Oberkörper des Königs. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen, er war starr vor Furcht, unfähig sich zu bewegen, als er in die monströse Fratze des Dämons sah. Als der Mond kurzzeitig von den Wolken befreit wurde, erkannte Nerus das wahre Gesicht des Monsters auf ihm. „akones?“ fragte er als würde er seinen Worten selbst nicht trauen. Er sah seine blauen Augen. Nerus tastete blind nach seinem Schwert. Er ergriff es und stach zu. „Du lebst noch!“ stellte er fest und ergötzte sich an seinen Schmerzensschreien. Eleonore schrie, sie setzte sich an die hinterste Ecke ihres Hauses, im Schutze der Dunkelheit, betrachtete sie das Geschehen. Akones wandte sich, fasste an die tiefe, klaffende Wunde in seinem Bauch. Der Mond wurde wieder von den vorbeiziehenden Wolken verhangen. Böse und voller Wut blickte Akones seinem Halbbruder in die Augen, während er wieder zum Dämon wurde. Nerus erschrak, fürchtete sich vor der dämonischen Gestalt, versuchte sich aufzurichten. „ Wenn du mich tötest, wird auch ein Teil von dir sterben!“ sagte der König angsterfüllt, stolperte ein paar Schritte rückwärts. Akones ging mit fauchenden Drohgebärden auf ihn zu. Einer der Wachmänner stach ihm aus dem Hinterhalt ein Messer in den Rücken. Akones legte den Kopf in den Nacken, durchbrach die Nacht mit fürchterlichen Lauten. Darkion stürzte sich auf den Wachmann, tötete ihn obgleich. Nerus hob sein Schwert, doch Akones nahm seine Pranke und hielt ihn davon ab, ihn töten zu können. Seine Krallen bohrten sich in den Unterarm des Königs, er schrie, ließ sein Schwert fallen. Mit verhasstem Blick und nun rot gefärbten Augen biss Akones ihm in die Brust. Ein letzter Schrei des Königs durchbrach die blutige Nacht. Akones hielt das vor Hass schwarze Herz seines Bruders in den Händen. Plötzlich begann es in seinen Klauen zu glühen, schickte einen Strahl von gleißendem Licht in den Himmel. Der Himmel schien sich daraufhin zu öffnen. Auf dem Boden erblickte Akones die anderen Dämonen, die plötzlich dasselbe Licht annahmen, wie das Herz in seinen Klauen. Er hörte Schreie. Als das Herz aufhörte zu Glühen wurde es still, nichts ward zu hören. Das Herz zerfloss in seinen Klauen, tropfte schwarz zu Boden. Akones sank auf die Knie. Er atmete schwer. Eleonore, die den Dämonen regungslos am Boden liegen sah, näherte sich ihm. Voller Furcht flüsterte sie: „Akones?“ Doch der Dämon reagierte nicht. Die Wolken am Himmel waren vom Licht wieder vertrieben worden, der Himmel war sternenklar und ein großer, greller Mond zeichnete sich daran. Der Schein des Mondes tastete seinen Körper ab, er öffnete die Augen und Eleonore erkannte, dass er es war, den sie erwartete. Nach und nach verwandelte sich Akones zurück in den Menschen, der er war. Eleonore ging nun entschlossen auf die Gestalt zu, die nun halb Mensch und halb Dämon war. Sie sagte ihm, dass sie nie daran gezweifelt hatte, dass er ihr hilft. Sie legte ihren zarten Körper über den riesigen seinen. „Du darfst nicht sterben! Ich liebe dich doch!“ flehte sie. Eleonore weinte, sie wich zurück, als sie das grelle Licht bemerkt. Das gleißende Licht stieg in den Himmel auf. Als es erlischt, war die Verwandlung zum Menschen abgeschlossen. Die unzähligen Wunden glänzten rot auf seinem Körper. Akones öffnete seine Augen: „Eleonore“ flüsterte er schwach. Er dankt ihr. Eleonore nahm ihn zärtlich in den Arm, küsste sein ganzes Gesicht. „Ich bin so froh…“ Ihre Stimme brach ab. Zaghaft begannen seine Wunden zu heilen. Eleonores’ Liebe und seine Entschlossenheit retteten ihm das Leben. Ein paar Augenblicke darauf, richtete Akones sich auf. Eleonore versuchte ihn zu stützen, Theodor, der sich von den Prügeln erholte und Alexus halfen ihr dabei. Als sie vor der Tür standen, hörte Akones, wie jemand seinen Namen rief. Es ist Darkion. In nun menschlicher Gestalt, rannte er auf Akones zu, drückte ihn an sich. „Danke Akones, danke!“ Auch die anderen Dämonen gesellten sich dazu. Sie sind wieder zu dem geworden, was sie einst waren: Menschen. Mit dem freien Willen gutes zu tun, und selbst zu handeln, zu lieben und zu fühlen. Sie dankten ihm, zogen dann Richtung Stadt im Schutz der Nacht, obgleich sie diesen nicht mehr brauchten. Akones wurde ins Haus gebracht. Eleonore und die anderen sind erstaunt, dass seine Wunden so schnell heilten. Im Haus nahm er Eleonore in den Arm, sie weinte vor Freude. „Ich dachte ich sehe dich nie wieder.“ Gab sie ihre nun überstandenen Ängste zu. Akones strich über ihr Haar. „Ich bin in freudiger Erwartung.“ Flüsterte sie ihm ins Ohr und lächelte. Akones blickte sie erschrocken an, versuchte seine irritierte Mine in Güte zu verwandeln, doch als er hörte, dass sie in freudiger Erwartung ist, kamen ihm die Gedanken daran, dass er das erstgeborene Kind in die Obhut von Mme Bukina geben sollte. Dies war der finale und letzte Teil, den er für seine Prophezeihung erfüllen musste. Traurig blickte er über Eleonores’ Schulter. Wie sollte er ihr diese Wahrheit sagen?
Kapitel Acht
Die Nachricht vom Tod des Königs durch die Hand eines Dämons verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land. An jeder Ecke hörte man die Leute darüber sprechen. Alle waren froh, dass das Land von diesem brutalen und skrupellosen Herrscher befreit wurde, manche bekundeten ihre Sorge, dass das Land nun von Dämonen regiert werden könnte. Akones und Eleonore, die Theodor in die Stadt begleiteten, sahen, dass die Menschen froh über den Tod des Königs waren. „Es gibt keine Dämonen mehr!“ erklärte Akones den Bürgern, die er mit dieser Aussage überrascht zurück ließ.
Akones ging zum Schloss. Er zog ein Dokument aus der Tasche, das besagte, dass er der rechtmäßige König von Panasien war. All die alten Sachen seines Halbbruders ließ er im Rahmen eines großen Festes zu Ehren der panasischen Bürger verbrennen. Man verneigte sich vor dem neuen König. Akones zog gemeinsam mit Eleonore und Alexus in das Schloss. Schon bald wurde Akones als neuer König geliebt und verehrt. Es brachen glückliche Zeiten an.
Kapitel Neun
Panasien wurde wieder der Ort, der er einst gewesen war. Die Vegetation erholte sich und das Land blühte in den schönsten Farben. Nur die Erinnerungen und Bilder an die Herrschaft von Nerus würden noch an die schrecklichste Zeit Panasiens erinnern. Das panasische Volk konnte wieder in Frieden leben und mit der Zeit würden die Erinnerungen an dunkle Tage verblassen. Es war wieder ein schönes Leben in Panasien. Vertrieben war das Leid und Elend, die Stadt wurde neu aufgebaut und ein jeder war herzlich willkommen.
Die Geburt ihres ersten Kindes stand kurz bevor und Akones war erfüllt von quälenden Gedanken und Ängsten. Seit vielen Monden trug er ein Geheimnis mit sich, das nicht nur ihn betraf und so dunkel war, wie manche Nacht, die er durchstreift hatte. Er wusste nicht, wie er es Eleonore sagen sollte, zumal sie sich sehr auf das Kind freute. Sie sah schön aus, auch als schwangere Frau mit dickem Bauch, konnte er einfach nur stundenlang da sitzen und sie ansehen. Sie strahlte das Glück aus, dass sie in sich trug. Die Bewohner von Panasien schenkten den werdenden Eltern allerhand. Vom selbst gebauten Kinderbett über selbst genähte Kleider und Lebensmittel. Akones brachte es bis zum Schluss nicht übers Herz ihr von dem Pakt mit Mme Bukina zu erzählen, dann kam der Tag der Geburt und für ihn war es zu spät für eine Beichte.
Unter Tränen und heftigen Schmerzen gebar Eleonore eine kleine Tochter, die dieselben Augen wie ihr Vater hatte. Sie war wunderschön und die beiden Eltern einigten sich auf den Namen: Elena. Das Kind der Liebe. Gerade als Eleonore ihre Tochter im Arm hielt, Akones an ihrer Seite saß und ihre Hand hielt, sie ihr Glück bekundete, flog plötzlich die Tür auf. Umherliegende Blätter wirbelten durch die Luft, der Raum wurde von einer eisigen Kälte erfüllt. Erschrocken blickte Eleonore zur Tür. Helles Licht, das in den Augen schmerzte, erfüllte den ganzen Raum und tauchte ihn in einen hellen Schein. Eleonore und Akones hielten sich schützend die Hände vor die Augen. Als das Licht nachließ, ertönte die junge Stimme von Mme Bukina. Sie hatte ihre junge Gestalt zurück und sah engelsgleich aus, wie Akones sie zuletzt in der kleinen Hütte im Wald gesehen hatte. „Akones, du weißt warum ich gekommen bin!“ stellte sie den frisch gebackenen Vater zur Rede. Eleonores’ Blick wanderte von ihrer kleinen Tochter, zu Akones, bis hin zu Mme Bukina. Mit unsicherem Blick sah er ihr direkt in die Augen. Akones nickte zögerlich, bestätigte mit gesenktem Blick, dass er wisse, warum sie gekommen sei. „Würde mir mal jemand verraten worum es geht?“ forderte Eleonore in harschem Ton. Akones mied es sie anzusehen, er fühlte die schwere Schuld in seinem Herzen. Akones nahm seine kleine Tochter auf den Arm. Sie öffnete die Augen und sah ihn direkt an. Es waren seine Augen und in diesem Moment, als sein Herz schwer wurde, wusste er genau, dass er nicht in der Lage war, das Mädchen herzugeben. „Ich kann sie euch nicht geben!“ erklärte er Mme Bukina und war den Tränen nahe. Einen Augenblick lang blieb es still zwischen den Anwesenden. „Akones, du weißt wie die Prophezeihung lautet. Sie soll ein Kind der Liebe werden!“ „Wenn ich sie hergebe, hat auch sie keine Wahl. Meine Frau und ich werden ein Kind der Liebe aus ihr machen, sie trägt bereits den Namen Elena. Nehmt was ihr wollt, aber lasst uns unser Kind!“ flehte Akones seine Tochter behalten zu dürfen. Mme Bukina überlegte einen Augenblick. Ihr Blick erfüllte sich mit Güte. „Akones du bist ein guter Mensch und du hast viel gelernt. Ich lasse dir deine Tochter, aber ich nehme in der Tat etwas mit: Dein Versprechen!“ Akones lächelte, dankte ihr und versprach sie nicht zu enttäuschen.
Dann verschwand die engelsgleiche Frau in demselben Licht in dem sie erschienen war. „Ich habe es nicht übers Herz gebracht, dir etwas davon zu sagen.“ Entschuldigte sich Akones bei Eleonore. Sie nahm an und war froh, dass er es zu verhindern wusste.
Eleonore und Akones heirateten bald darauf, somit wurde Eleonore Königin von Panasien. Die Hochzeit war ein Fest für das ganze Volk.
Akones wurde geliebt und regierte das Land mit voller Güte. Er war ein guter Mensch, der seine Wahl richtig getroffen hatte.
Tag der Veröffentlichung: 10.09.2010
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