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1. Kapitel

Wenn ich morgens erwache und die kahle, rissige weiße Decke anstarre, wünsche ich mir es wäre Alles nur ein Traum. Nichts weiter als ein schlechter Traum. Schiebe ihn zurück in die letzte Ecke meines Kopfes. Vergesse ihn, doch ich kann nicht. Das ist kein Traum, es ist die Realität.
Ich erinnere mich an die Geschichten meines Vaters. Das kleine Mädchen, dass loslässt und in eine bessere Welt fliegt. Dort wo es nur Gutes gibt. Einfach loslassen und abheben. Wie sich das anfühlen muss.
Mein Vater erzählte mir das immer und immer wieder. Mein Vater, mein Vater, der schon lange an einem besseren Ort weilt.
Meine Welt besteht aus Krieg und meine tägliche Aufgabe ist es zu überleben. Einfach zu überleben.
Mein Vater starb vor vier Jahren. Er starb in dem grausamen Krieg, der schon seit Jahren tobt ,ohne ein Ende in Sicht.
Es fühlt sich immer noch an, als ob ein Speer direkt durch mein Herz geht. So als ob eine unheilbare Wunde in mir entstanden ist und nichts sie wieder gut machen kann.
Mein Ärger wächst jeden Tag, jede Minute. Mein Ärger über diese Welt, über die Regierung und über die „dunklen Leute“ , wie sie genannt werden. Man sagt, dass Leute, die von ihnen mitgenommen werden, nie mehr zurückkehren. Ich glaube ihnen Allen, seit dem sie meine Mutter mitgenommen haben.
Ich werde sie nicht mehr sehen. Es ist hoffnungslos. Ich bin mir sicher.
Es war ein noch kühler Frühlingstag, als ich in hinausging. Die spärliche Sonne wärmte mein Gesicht und ich genoss diesen Tag. Es war still, kein Krieg in unserer nähe und es war ein normaler Tag des Arbeitens.
Meine Mutter arbeitete in der ungesunden Fabrik oder am Feld, wo alle Frauen arbeiten mussten. Männer waren im Krieg, oder tot.
Ich musste noch nicht arbeiten gehen. Ich war erst zwölf, aber ich war mir sicher, dass ich bald werden muss.
An diesem Tag wollte ich einfach nur woanders hingehen. Weg, weg von meinen schlechten Gedanken.
Ich beschloss in den Wald zu gehen. Mein Vater hatte mich manchmal hierher mitgenommen. Es war ein Ort des Friedens und der Stille. Zwar machte mich der Gedanke an meinen Vater immer noch traurig, war dies doch einer der Orte an dem ich mich am wohlsten fühlte.
Ich sonnte mein Gesicht auf meinem Lieblingsstein und beobachtete die Vögel. Sie waren meine Leidenschaft. Oft saß ich im Wald für Stunden. Einfach nur um mich an der Schönheit und Friedlichkeit dieser wunderschönen Geschöpfe zu ergötzen.
Doch an diesem Tag stimmte etwas nicht. Ich hatte recht behalten. Plötzlich ertönte ein Geräusch, so laut, dass es drohte mir die Ohren zu zerfetzen. Sie hatten die Fabrik gebombt.
Ich war mir sicher, dass meine Mutter drinnen war und tot war. Doch es kam anders.
Ich sah sie, die dunklen Leute. Bevor sie mich sehen konnten, versteckte ich mich hinter meinem Stein.
Sie passierten, ohne mich zu entdecken. Erst als der Wald wieder begann zum normalen Leben zurückkehren, wagte ich es meinem Kopf zu heben und mich umzuschauen. Bevor ich wusste was ich machte ,trugen mich meine Beine zurück zu unserem Haus, was wohl eher mehr eine Baracke war.
Keuchend und geschockt kam ich zu einem Halt und ich fand nichts als Verwüstung vor. Sie war tot oder weg, und meine Geschwister haben sie mitgenommen, dachte ich , und eine Spur der Verwüstung haben sie auch noch hinterlassen.
„Rose! Sie haben sie mitgenommen!“, flüsterte eine leise Stimme.
„Fawn! Du lebst! Und Ellie auch?“, fragte ich und drehte mich um, immer noch fassungslos.
Sie waren also am Leben. Sie hatten es geschafft sich zu verstecken. Ein kleiner Hoffnungsfunke hellte in mir auf.
„Was meinst du..mit „mitgenommen“?“, fragte ich weiter, obwohl ich es schon wusste. Sie hatten sie dorthin genommen, wo niemand mehr zurückkommt.
„Du weißt wohin. Sie waren hier.“ , Fawn weinte jetzt. Ich konnte es ihr nicht verübeln.
Einmal mehr stieg die fassungslose Wut in mir auf.
Ich hatte zwei Geschwister, Fawn, die zehn ist und Elliedie ist sieben ist. Sie sind mein Ein und Alles, vor allem jetzt, da meine Mutter verschwunden ist. Wenn ich müsste, würde ich sie mit meinem Leben beschützen.
„Ja, Ich weiß wohin...!“, ich war jetzt sichtlich wütend. Bevor ich wusste was ich machte, nahm ich den Tonkrug, der am Tisch stand und schmetterte ihn zu Boden. Fawn wich einen Schritt zurück und Ellie versteckte sich hinter Fawn.
„ Rose...Sie wird doch wieder kommen ?“ ,flüsterte Ellie und eine Träne rann ihr kleines zartes Gesicht herunter.
„Ja, Ellie. Alles wird wieder gut.“, flüsterte ich zurück und legte meinen Arm um sie.
Ich hatte sie angelogen. Nichts wird wieder gut. Versprechen konnte ich gar nichts.
Ich befand mich in einer hoffnungslosen Situation.
„Wem haben sie noch mitgenommen?“, fragte ich.
„ Fast Alle.“, antwortete Fawn.
Wenn es stimmte was sie sagte, dann blieb uns kein anderer Ausweg. Wir mussten weg von hier. Jetzt, bevor sie wieder kommen.
Ich kniete mich hin und schaute meine Schwestern an. Sie weinten und ihre Augen waren nass. Ich hatte bis jetzt keine einzige Träne vergossen. Das war nicht so mein Ding. Ich konnte Emotionen nicht gut zeigen. Ich wusste, dass ich auch nicht mehr weinen werde. Stadtessen fühlte sich mein Körper seltsam hohl an. Ich denke, ich kann nicht mehr weinen, seit mein Vater gestorben ist. Keine einzige Träne habe ich seitdem vergossen.
„Wir müssen hier weg, habt ihr mich verstanden? Wir können keine Minute länger hier verweilen. Kommt!“ ,sagte ich und half meinen Schwestern auf.
Sie nickten und ich nickte zurück.
Es war spärlich was wir zum mitnehmen finden konnten. Eine Decke, ein Laib Brot, ein paar Äpfel, ein Messer, eine Jacke und ein paar Wollsocken. Ein paar Münzen fand ich auch noch. Meine Mutter hatte sie versteckt gehalten...meine Mutter. Plötzlich traf es mich wie ein Schwert. Meine Mutter. Ich musste sie finden. Nach Hause bringen. Mir war klar geworden, dass ich nicht noch jemanden verlieren konnte. Nicht jetzt.
Ich schaute, dass meine Geschwister fertig waren und trat hinaus. Mittlerweile war es Mittag geworden und eine warme Brise streichelte mein Gesicht. Mein Kampf hatte begonnen.

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Tag der Veröffentlichung: 21.01.2011

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