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Kapitel 1: Der Mond dirigiert das Bühnenspiel




Eine Melodie besteht aus einzelnen Tönen. Nur aus einer Aneinanderreihung ihrer resultiert eine Arie der Emotionen, eine der Lust oder des Schmerzes. Sie konnte bedrückend sein wie Ballast auf den Schultern des Geistes, aber ebenso auch die Flügel jener, die sich dem Tanz der Sinne hingeben.
Kaum einer wusste sie besser zu schätzen als Albert J. Sterling, dessen Kompositionen die damalige Gesellschaft berauschten. Der Tatsache wollte er sich nicht bewusst werden, schließlich waren jene Kompositionen in erster Linie für seine Lebensgefährtin Mary gedacht.
Manch einer behauptete sogar, er hätte zwischen den Noten einen Weg zu unbeschreiblichen Pretiosen versteckt, was er bis zu seinem frühen Tod verleugnete. Im frühen Jugendalter schon bemerkten Alberts Eltern den Enthusiasmus des Burschen, den er in seine Partituren steckte, ihre Fertigstellung sogar dem Speisen und Dinieren vorzog. Selbst die Jahre stoppten seine Begeisterung nicht, ganz im Gegenteil, seine Frau berichtete stehts wie fleißig doch ihr Gatte zahllose Meisterwerke kreierte, obgleich es helllichter Tag oder finstere Nacht war. Doch das Alter hinterließ auch bei ihm seine Male. Sein Äußeres wurde zunehmend gebrechlicher, das Gesicht faltig, das Gehör versagte mit jedem weiteren Lebensjahr. Eines kalten Wintertages, es war im letzten Monat, sprach er zu seiner Gattin; "Meine Lebenszeit ist nur noch die Illusion einer primitiven Sanduhr, Gott gab mir das Geschenk des Lebens, aber nichts wärt ewig auf seiner grünen Erde, drum bin ich glücklich meine Jahre mit dem Menschen gelebt zu haben der mir am meisten bedeutet."
Dem Abend entgegen wurde sein Zustand immer schlechter und in der letzten Minute des Abends machte er auch den letzen Atemzug. Seine Mary fand seinen Leichnam in ruhiger Lage auf dem Rücken gelegen, die Hände ineinander verschlossen.
In diesen lag seine letzte Partitur, auf dem Kopf des Blattes hatte er "die Tränensonate" mit pechschwarzer Tinte geschrieben. Die Nachricht seines Ablebens verbreitete sich in der nahen Umgebung, die Trauer der Leute verschmolz zu einer tristen, grauen Winterwolke, welche das gesamte Land unter sich einschloss. Nach einer vergangenen Woche wurde die Leiche Sterlings auf dem nächsten Gräberfeld bestattet, unter den Augen derer, die ihn durch die Geschehnisse seines Lebens begleitet hatten. Am Abend saß Mary alleine auf ihrer gemeinsamen Veranda, betrachtete den ländlichen Nachthimmel. Über ihr thronte der Mond, um ihn seine stetigen Anhänger, die Sterne. Albert hatte einmal gemeint der Nachthimmel sei ein Bühnenspiel und der Mond würde es dirigieren. Eine Träne rollte ihre Wange herunter.

Kapitel 2: Empfang auf Sterlings Residence




In höheren Kreisen erzählte man sich unter dem Einfluss teuersten Champus bei festlicher Musik dass er, wenn er nun ein Juwel wäre, ganz sicher der Diamant unter den Edelsteinen wäre. Eine Koryphäe ohnesgleichen, wenn auch die Älteren ihn des öfteren argwöhnisch beobachteten, und er spürte ihre neiderfüllten Blicke, genießte sie geradezu. Die Leute redeten gern über ihn. Schließlich war er nicht nur überaus talentiert in seinem Fach, sondern auch der Liebhaber der Dorffrauen.
Aber mit Talent kommt auch Arroganz, der Makel aller Vielgelobten und das wurde ihm schon mehrere Male zum Verhängnis. Doch auch das hinderte ihn nicht daran als Meisterdetektiv tituliert zu werden, ja, Francis DuMont war es nicht nur, er lebte gerade dafür. Er liebte den Nervenkitzel, den er bei der Überführung des Täters verspürte, die vielen Stunden, die er damit zubrachte die Hinweise zu entschlüsseln. Man musste sie nur finden.
Seine Familie entstammte einem kleinen Dorf entlang der Seine, früh hatte er das altmodische Elternhaus verlassen um sich in Südengland einen Namen zu machen, wie sein Vater vor ihm. Jener hatte ihn sich als Kriminalautor gemacht, kurz nachdem er als lokaler Polizist den Dienst quittiert hatte. Seiner Feder sind die unglaublichsten, fesselndsten Fälle entsprungen, kaum an Unterhaltung zu überbieten, seine Protagonisten erschienen dem Leser aus Fleisch und Blut, deren Seelen schrieben ihre eigenen Geschichten.
Seine Mutter dagegen verbrachte ihr gesamtes Leben an ihrem Geburtsort, gleich nachdem er sie verlassen hatte und damit verlor er sie bis zu ihrem Ableben aus den Augen.
Die Aufträge wurden ihm nicht per Post geliefert, er hasste die lieblose Ansammlung Buchstaben welche eine Person oder gar eine Bitte ihm gegenüber vertreten sollten, deshalb kamen Kunden zu ihm direkt in das kleine Büro. Die Dame die ihn heute besuchte war allerdings den Komfort großflächiger Gemächer gewohnt. Mary Sterling. Sie hatte ihr schütteres, graues Haar zu einem Dutt gebunden, ihre Falten waren wie Furchen über ihr Gesicht verteilt, entstanden durch tiefliegende Jahre der Trauer und der Sorgen. Die intelligenten kristallklaren Augen wurden von einem schmalen Brillengestell eingerahmt, der Mund klappte schnell auf und zu während sie sprach. als wäre sie es bereits gewohnt das Leute ihre Worte vernahmen und ausführten. Sein geübter Blick blieb an ihrer Brosche hängen welche sie knapp über dem Dekolleté angebracht hatte. Sie fiel oft in Gedanken wenn sie sprach, die rechte Hand hatte sie dann meistens an ihrer Brosche als wolle sie etwas schützen was sie bereits schon verloren hatte. So weit er informiert war musste ihr verstorbener Mann, Albert J. Sterling, ein renommierter Komponist gewesen sein.
"Ich hab Angst um meinen Sohn, Mr DuMont. Er steht auf Luzifers Liste, seit Monaten geschehen schon diese Unfälle." Der junge Mann saß in seinem gewohnten Sessel hinter dem großen Buchenholztisch, seine rechte Hand notierte fleißig jedes Wort auf einen verblichenen Block. "Luzifers Liste?" Er konnte ein Lächeln nicht verheimlichen. "Ich bin Detektiv, kein Priester, wenn sie jenen wollen sind sie hier falsch."
Der Dame waren die scharfen Worte bereits beim Einlass ein Dorn im Auge gewesen, seine freche, selbstsichere Art hatte sie eingeschüchtert. "Und trotzdem melde ich mich bei ihrer, Mr DuMont." "Madame, falls sie mich an diesem Auftrag arbeiten lassen wollen müssen wir bei unserem rationalen Denkvermögen bleiben. Also, es geht um ihren Sohn Richard aus ihrer ersten Ehe welchem seit geräumer Zeit mehrere Unfälle zu schaffen machen." Sie nickte.
"Mrs Sterling, haben sie einen konkreten Verdacht?" Lange Zeit herrschte Stille. Der Zeiger der Standuhr in der hinteren Ecke des Zimmers tickte, wobei das Geräusch die Luft durchschnitt wie ein Messer einen Leib Brot. "Nein, den hab ich nicht. Aber sie können sich selbst ein Bild von seinem Umfeld machen, unsere Familie gibt ein Festbankett am kommenden Sonntag."
Mit einem Klicken schloss er den Füller in seiner Hand und legte ihn zu den anderen Stiften beiseite.

Durch das ziehen einer Schnur ging mit einem Surren die Glühbirne an, die sperrige Garage wurde erhellt und in warmes Licht getaucht. Im ihrem Schein glänzte der Ford Mustang Convertible, Baujahr 1966, sein ganzer Stolz. Der Schlüsselbund klimperte in seiner Hand.
Er verlor sich in seinen Gedanken und ehe er sich versah fuhr er auf einer Landstraße in Richtung Courtlands. Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe und drang in das Chaos seiner Gedankengänge ein. Der nasse Kies der Hausauffahrt knackste unter den schweren Reifen seines Wagens.
Er bremste und hielt vor dem gusseisernen Tor welches die Auffahrt zur Landstraße mit dem Vorhof verband. Zwei steinerne Löwen, in ihrem Brüllen auf ewig erstarrt hielten das Familienwappen in ihrer rechten Pranke, ihre Augen hatten sie stehts wachsam auf die Besucher gerichtet. Den Schirm gespannt stieg er aus dem Mustang, schlug die Autotür zu und lugte durch die Stäbe hindurch auf das Anwesen welches das Plateau beherrschte.
Über ihn ging ein Licht an, ein monotones Surren ließ ihn aufschrecken. Mit einem lauten Klacken öffnete sich das Tor vor ihm.
Als er sich wieder in den bequemen Wagen setzte ärgerte er sich über den Schlamm an seinen Fußsohlen welche seine neuen Fußmatten beschmutzten. Mit einem Seufzen legt er den Gang ein und fuhr den Rest der Auffahrt entgegen.

An der massiven Eingangstür nahm der Hausdiener, William Sheppard, seinen Mantel ab und hängte ihn vorsichtig an die Garderobe die dem großzügigen Flur angrenzte welcher nach einer weiteren Tür in die Eingangshalle führte. Francis prüfte die Zimmerdecke nach Augenmaß und betrachtete die Kunstvollen Gemälde an den Wänden. Mit ihren teuren Rahmen, hauchfein mit Blattgold überzogen, waren sie nicht nur ein kostbares Gut sondern auch eine wahre Augenweide für den ermüdeten Besucher.
Das brilliante Farbspiel auf den Leinwänden weckten Emotionen, erzählten die Geschichte vergangener Tage. "Prachtvoll, nicht wahr? Meine Mutter malte sie in ihrer späten Jugend." Francis schätze ihn vom Hören auf Anfang 30 ein. "Ihre Mutter hat gemalt?" Er drehte den Kopf um sich ein besseres Bild von dem Unbekannten machen zu können. Anfang 40.
"Nicht nur das, auf unserem Speicher finden sich noch etliche Zeichnungen aus ihren ersten Arbeiten." Der Mann streckte ihm die Hand entgegen. "Richard Sterling nehme ich an?" Richard wirkte seinem Alter entsprechend selbstsicher dem jungen DuMont entgegen, sein braunes Haar hatte er nach hinten gekämmt.
"Das bin ich, mit Leib und Seele, obwohl der Leib zu wünschen lässt." Sein Husten unterbrach ihn während er sprach. "Und mit wem hab ich das Vergnügen?" Bei Aufträgen gab sich Francis nicht sofort mit seinem tatsächlichen Beruf zu erkennen, das machte meistens nur Stress und noch mehr Probleme.
"Francis DuMont, mein Vater ist ein guter Freund ihrer werten Mutter." Der Mann schien kurz Inne zu halten, steckte dann doch seine Hand in die Tasche seines Anzugs und schmunzelte. "Tatsächlich? Nun, es ist mir eine Ehre sie kennenzulernen Francis."
"Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, wenngleich ich mich nun empfehlen muss, ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Abend." Mit den Worten zupfte er sein Sacko zurecht und betrat die große Empfangshalle.

Kapitel 3: Das weinende Klavier




Das Wort "prunkvoll" hätte nicht einmal annähernd den Anblick beschrieben welcher sich ihm beim betreten der Halle bot. Seine Schritte hallten auf den steinernen Fliesen durch den Raum, erfüllten ihn mit Leben wie der Virtuose sein Instrument. Sowohl das Anwesen als auch die 'Entrance Hall' waren im Stil des frühen 18 Jahrhundert erbaut und eingerichtet. Die Festtische waren bereits mit Speisen beladen und mit verschiedenem Kitsch drapiert. Daneben saß eine junge Frau, ihr langes goldblondes Haar war zu einem Knoten gebunden, ihr Blick ruhte in einer Novelle. "Edgar Allan Poe?" Der Detektiv lächelte. Sie blickte auf, verzog dabei keine Miene. "Wer will das wissen?" Sie schnaubte verächtlich. "Ihr Benehmen lässt zu Wünschen übrig junger Mann, ich hoffe doch dem Abend entgegen besseres von ihnen sehen zu können." Mit diesen Worten blickte sie wieder in ihrem Roman.
"Der Orang-Utan ist der Mörder." Ihr Kopf fuhr langsam hoch und ihr Blick lastete auf seinen Augen. Ihr Mund, bis dato nur ein schmaler Strich, verzog sich zu einem Lächeln. "Ein Orang-Utan?" "Ja, wenn ich es doch sage. Da ich jetzt ihre Aufmerksamkeit habe möchte ich mich nun ihrer besser vorstellen; Francis DuMont ist mein Name und ihrer?" Sie klappte das Buch zu. "Amy Sterling, die älteste Tochter aus der gleichnamigen Familie." "Wenn wir uns schon in dieser amüsanten Vorstellungsrunde befinden sollte ich wohl nicht außen vor bleiben. Domenique Sterling, der Zweitälteste." Francis drehte sich um und erkannte einen jungen Mann im Schein der Kandelaber, nicht älter als er selbst dafür reifer in seiner Haltung und Gestikulierung. "Angenehm, meinen Namen müssten sie bereits kennen. Ihrer scheint mir französischer Herkunft, liege ich da richtig?" "Goldrichtig. Meine Mutter residierte eine Zeit lang an der Nordküste Frankreich's. Unsere Jüngste, Sarah, ist noch außer Haus, sie wird sich aber später ihnen vorstellen."

Er hatte bereits jeden Winkel des Anwesens inspiziert und begutachtet, ihm fielen dabei besonders die weiten Korridore ins Auge. Damit man zurück in die 'entrance hall' gelangen konnte musste man zuerst durch die zweite Etage des Westflügels auf welcher man anschließend einen Treppenabschnitt passieren musste der einen schlussendlich in Selbige führte. Der Ostflügel dagegen bestand aus dem Arbeitszimmer des Komponisten Albert Sperling und dem Gemach seiner Gattin. Der überdachte Balkon war einmalig. Als er ihn betrat wurde im erstmals die Schönheit der Umgebung offenbart, das Plateau erstreckte sich über weite Felder welche im Hintergrund zu massiven Bergketten verliefen. "Sie sind der Sohn von Pierré DuMont, liege ich da richtig?" Francis hielt inne. "Ich bin zwar alt, aber nicht debil, meine Mutter hat sie geschickt, nehme ich an?" "Ich merke schon, ihnen kann man nicht so leicht etwas vormachen, Richard."
"Hören sie, meine Mutter outriert das Gesamte, ich stehe nicht in Lebensgefahr und wenn doch, dann sicher durch meine lieben Geschwister." Der Detektiv horchte auf.
"Wie meinen sie?" "Eine ziemlich komplexe Geschichte. Meine Mutter heiratete nach dem Ableben ihres ersten Mannes Albert meinen Vater, Dr. Munford. Als dieser ebenfalls früh verstarb heiratete sie erneut ihren dritten Mann welcher bereits davor drei Kinder aus seiner ersten Ehe hatte." Francis machte sich auf seinem Block kurze Notizen. "Und wie kommen sie zu der Folgerung ihre Geschwister hätten geplant sie umzubringen?" "Sie werden bereits davon gehört haben. Unser Familienname wird seit dem Ableben von Albert Sterling mit einem unglaublichen Schatz in Verbindung gebracht, bestehend aus unermesslichen Juwelen und feinsten Geschmeide, der Hinweis zum Standort von jenem soll in einer seiner letzten Partituren liegen, der "Tränensonate"." - "Die Tränensonate?" "Ja, so wird sie genannt, gesehen habe ich sie allerdings noch nie. Die Gier meiner Geschwister ist unerlässlich müssen sie wissen. Meine Stiefmutter möchte mir als dem ältesten Sohn ihr Gut vermachen, und sollte es so geschehen werde ich diese raffgierige Bande aus unserem Hause rauswerfen, denn sonst würden sie nicht eher Ruhen bis sie den Schatz in ihren Händen halten."
"Und sie folgern nun daraus dass ihre Geschwister sie deshalb Tod sehen wollen."
Richard nickte. "Kommen sie doch bitte mit, ich möchte ihnen etwas zeigen." Gemeinsam gingen sie zurück in den 'living room'. Richard verschloss die Balkontür und legte eine der Schallplatten welche auf einem Stapel verstaut waren in das Grammophon ein. Es knackste.
Was darauf folgte war nicht in Worten zu beschreiben, es war eine Melodie, doch so verzerrt, gar unnatürlich, so deprimierend in ihrer Gestalt. Der Raum in dem sie sich befanden schien sich mit Trauer zu füllen, fast wie eine klebrige Masse aus Honig nahm sie einem die Luft weg. Auf einmal, mitten in der Partitur, wurde die Melodie leicht wie eine Feder, die Töne wurden heller. "Sie erweckt verschiedene Emotionen, sowohl Trauer als auch Glück." meinte Richard. Die Tränensonate fing langsam an wieder abzuklingen und mit dem letzten Ton kam auch die Ruhe zurück.
"Unbeschreiblich." Das war das einzige Wort das dem Detektiven einfiel. "Man könnte meinen dass das Klavier, auf dem sie gespielt wird, tatsächlich weint."

Der Abend war angebrochen. Gäste strömten in die Eingangshalle, darunter Politiker, bekannte Schriftsteller, Künstler aber auch Freunde und Verwandte der Sterlings. Francis selbst hatte sich zu Richard, Domenique, seiner Mutter und anderen geladenen Besuch in einem Kreis gesellt und knabberte lustlos an den frittierten Calamari. Richard schilderte unterdessen eine Anekdote über seine Jugendzeit als Chauffeur, ein Lachen folgte. "Ich hätte nicht die Schokoladenpastete nehmen dürfen," meinte er lachend und wischte sich mit dem Tuch aus der Brusttasche des Sackos die Reste um seinen Mund weg, "nicht nur geht mir das auf die Linie, nein, wenn ich einmal damit beginne haltet mich da nichts mehr zurück."
"Domenique, wegen dir haben wir doch erst die Pastete uns zukommen lassen, sonst bist du immer der erste am Büffet. Fühlst du dich nicht wohl?" fragte ihn seine Mutter.
"Nein, nein, Mutter, ich halte es mir nur für den späteren Abend frei."
Domenique lächelte, nippte an seinem Rotwein und fing an sich mit einem jungen Mann neben ihm zu unterhalten. "ich denke es wird langsam Zeit für unseren Champagner, finden sie nicht auch?" meinte Amy. "Nein, mein Kind, ich möchte unseren Gästen noch die Gemälde zeigen, aber später gerne." Ein etwas beleibterer Mann im Anzug versuchte sich durch die Menge zu bewegen und sprach die Dame an. "Mrs. Sterling, ihr Fest ist wirklich außerordentlich gelungen, doch muss ich sie fragen ob die Hitze in den Korridoren tatsächlich von Nöten ist?"
Die Dame hielt in ihrer Bewegung inne, lächelte ihm zu und nippte an ihrem Tee. "Nein, es tut mir außerordentlich Leid, mein Sohn Domenique war eigentlich dafür verantwortlich, ich bitte vielmals um Entschuldigung."
Francis sah zur Tür, welche zum Westflügel führt als eine junge Frau sich zu den Festlichkeiten gesellte. Sie wurde ihm als Sarah Sterling vorgestellt, der Jüngsten aus der Familie. Sie stellte sich ebenfalls neben ihre Mutter, zuvor nahm sie sich aber noch ein Glas des herben, italienischen Rotweins.
"Verehrte Gäste." die Stimme von Richard Sterling hallte durch die Halle, die Musiker pausierten ihre Musik, die Gäste wendeten sich ihm zu. "Hiermit heiße ich sie nun herzlich willkommen auf Sterlings' Residence, meine Familie fühlt sich durch ihre Anwesenheit geehrt und wünscht ihnen einen unterhaltsamen Abend. Um die Besonderheit des Selbigen zu verdeutlichen möchte ich nun meine Schwester Sarah bitten die Schallplatte mit der "Tränensonate" meines Vaters aufzulegen." Er nickte ihr zu. Nach einem erneuten knacksen erklang die Melodie, dieses Mal schien sie sogar noch stärker die Stimmung des Raumes zu dominieren. Die geladenen Gäste wirkten eingeschüchtert, wussten nicht wie sie diese verschiedenen Emotionen verarbeiten sollten. Und dann passierte es.

Kapitel 4: Der Tod erhebt sein Glas




Alle Licher gingen mit einem Klacken aus. In diesem Moment kam wieder das Leben in die Festgesellschaft, Frauen fingen an zu schreien, Stühle wurden umgestoßen. Nur das Mondlicht welches durch die gewaltigen Fenster fiel erhellte einen Teil der Halle, der andere hingegen stand in tiefschwarzer Dunkelheit. "Keiner Bewegen!" brüllte Francis in den Raum hinein, seine Stimme hallte von den Wänden wieder. "Bitte verhalten sie sich ruhig, es gibt nichts zu befürchten." Seine Rufe wurden von denen der anderen komplett verschluckt, jemand stoßte ihn von hinten an. Es machte Klick und das Licht ging wieder an. Ruhe kehrte wieder ein, die einzelnen Gäste sammelten sich erneut in der Mitte des Raumes. "Ich bitte vielmals um Verzeihung, wir hatten wohl einen kleinen Stromausfall, aber das sollte unserer Stimmung nicht entgegen wirken." Richard schien seine Laune dennoch nicht verloren zu haben und hielt sein Glas Champagner der Decke entgegen. "Deshalb trinken sie bitte mit mir auf unser aller Wohl!"
Ein nervöses Lachen ging durch die Menge. Die Gäste nahmen sich ebenfalls ihren Champagner zur Hand, erhoben ihre Gläser und nahmen einen großen Zug. Francis blickte sich um. Amy stand gemeinsam mit ihrer Schwester Sarah zur Rechten von Mrs Sterling, Domenique dagegen befand sich bei den Anderen. "Ich hoffe doch innigst dass sie, liebe Freunde, den Abend trotz allen in guter Erinnerung behalten, denn..." Er schluckte. "...denn..." Er versuchte zu Lachen, brachte aber nur ein heiseres Husten heraus. "...denn wir..." "Alles in Ordnung Richard?" fragte seine Mutter besorgt.
Der Mann kippte nach vorne. Ein Aufschrei ging durch die Menge während der Körper auf den Boden knallte. Francis stürzte nach vorne auf den Körper zu. "Aus dem Weg, lassen sie mich durch!" Er kniete sich neben ihn hin und fühlte den Puls. Stille. "Verehrte Anwesende, dieser Mann ist tot, ich bitte sie nun sich ruhig zu verhalten und an ihren Plätzen zu verharren." Amy fuhr ihn entgeistert an. "Und wer gibt ihnen das Recht uns solchen Befehlen zu unterstellen?"
"Wenn ich mich ihnen allen vorstellen darf, mein Name ist Francis DuMont, meines Zeichens Privatdetektiv, ich denke dass sie von mir bereits gehört haben. Wenn sie meinen Bitten folge leisten kann der Fall unverzüglich geklärt werden." Ein Raunen ging durch die Gäste.
"William, bitte bringen sie mich zu der Elektrischen Sicherung, der Stromausfall kann kein Zufall gewesen sein."

Der Sicherungskasten befand sich im Keller des Anwesens umgeben von einer Vielzahl an Gerümpel und Antiquitäten. "Ist die Hitze hier unten normal, William?" "Nein Sir, so heiß ist es sonst nie, die werte Mrs Sterling lässt das Anwesen immer auf Zimmertemperatur heizen." Francis sah sich die Balken an der Decke an und begutachtete den Boden. "Hier ist der Sicherungskasten, Sir." William fischte einen Schlüsselbund aus der Tasche und schloss damit das Kästchen auf, eine Vielzahl Kabel quoll hervor. Der Detektiv machte einen Schritt vor, mit einem platschen stieg er direkt in eine Pfütze unter dem Sicherungskasten. Er fluchte leise untersuchte aber trotzdem den Kasten. Über ihm war ein Regalbrett angebracht worden, welches aber viel zu schief war als das man irgendetwas darauf stellen konnte. Auf der rechten Seite des Kastens macht er einen kleinen Hebel aus welcher mit "Licht" beschriftet war, an seinem Kopf hing eine kleine Schnur.
Francis konnte ein Lächeln nicht verbergen. "William, ich nehme an dass das Haus eine Notstromversorgung für das Licht besitzt?" Der kleine Mann nickte zaghaft. "Ja, Sir, sie kann durch eine Uhrzeit eingeschalten werden sobald es von Nöten wäre."
Damit hatte er das Alibi und den rätselhaften Stromausfall geklärt. "Kommen sie William. Das könnte interessant werden."

Die massive Eichenholztür fiel hinter ihm ins Schloss als er die Halle erneut betrat, dutzende Augenpaare ließen ihren Blick auf ihm ruhen. Die Schritte hallten unter ihm durch den Raum, jeder andere Ton verstummte, wurde gerade zu ausgelöscht. "Der Stromausfall," fing er an, "dauerte höchstens fünf Sekunden, nicht einmal lang genug um die Tür zu den Korridoren zu erreichen. Der Täter machte sich einen einfachen Trick zu nutze mit welchem er sowohl Zeit als auch Raum überwinden konnte." Er setzte sich neben die Leiche. Die Lippen des Leichnams waren bereits blau angelaufen, seinem Mund entströmte ein beißender Geruch der an Mandeln erinnerte.
Da ansonsten keiner der hier anwesenden Gäste einen Vorteil aus Richards Tod erzielen könnte sollten wir uns auf die restlichen Mitglieder der Familie konzentrieren. Mit seiner linken Hand fuhr er dem Toten über die Augen und schloss deren Lieder. "Amy, Domenique und Sarah Sterling."
Die Menge wich den Geschwistern zurück, ein leises Flüstern machte sich breit, einige tuschelten mit ihren Frauen, andere betrachteten die drei unglaubwürdig. "Was für eine bodenlose Frechheit, sie machen sich hier wichtiger als sie tatsächlich sind, sie aufgeblasener Emporkömmling!" Domenique war außer sich vor Wut. Der Detektiv sah aus dem Fenster in die verregnete Nacht. "Ich dachte mir dass sie das sagen. Schließlich stehen sie auf sehr dünnem Eis als der offensichtliche Täter."

Ein weiteres Mal undurchdringbare Stille. Der Sohn ballte seine Fäuste, sein Gesicht verkrampfte sich zunehmend. Von der anfänglichen Gelassenheit war nichts mehr zu sehen. Er schluckte. "Sie widerlicher, arroganter Mistkerl, wissen sie überhaupt was sie mir hier unterstellen?" Kleine Schweißperlen rannten seine Schläfe herunter. "Vertrauen sie mir, ich weiß sehr wohl wovon ich rede aber sie wissen es wahrscheinlich noch besser." Der Detektiv blickte ihn herausfordernd an. Domenique packte ihn am Kragen. "Wie soll ich das Wunder dann geschafft haben? Wie soll ich das Licht im Keller ein- und auch wieder ausschalten ohne mich aus diesem Raum bewegt zu haben? Erklären sie mir mal das."
Francis blickte ihn tief in die Augen. "Naturwissenschaften." Der Mund des Mannes öffnete sich, wobei er keine Miene verzog.
"Ja, sie haben richtig gehört, Naturwissenschaften." Er löste sich aus der Umklammerung und spazierte zurück zu dem toten Körper Richards. "Chemie - die Lehre der Stoffe und Physik, die Lehre Kräfte und Gesetzmäßigkeiten. Man nehme einen Bottich mit simplen Wasser, legt eine Schnur in diesen und lässt ihn gefrieren. Sobald dies nun geschehen ist macht man aus dem einen Ende der Schnur eine Schlaufe, schlingt sie um den Kopf des Hebels welcher das Licht regelt und stellt den gefrorenen Eisblock auf das Regal über dem Sicherungskasten."
Schweigen. Amy rieß die Augen auf. "Natürlich! Sobald es in dem Keller warm genug ist schmilzt die untere Fläche des Eisblocks, er rutscht von dem Regal ab und zieht den Hebel mit sich was das Ausgehen der Lichter zur Folge hat!" Eine Träne kullerte von ihrem Auge über ihre Wange. "Domenique, du hast doch nicht...." - "NEIN!" Sein Aufschrei war gefüllt mit Wut und Hass. "Das beweist überhaupt nichts!"
"Lassen sie mich erläutern." Francis reagierte gelassen auf dessen entzürnte Reaktion. "Nachdem der Schalter für das Licht umgelegt wurde muss man jetzt nur noch die Notstromversorgung für das Licht richtig einstellen, eine einfach Rechenaufgabe, den Rest überlässt man einfach dem Zufall. Somit hat mein ein perfektes Alibi, aber eben nicht ganz perfekt." Die Leute wurden wieder unruhig. "Das ist eine ganz nette Theorie die sie da haben, aber jeder der hier anwesenden Leute hätte diesen Mord begehen können!"
Der Detektiv lächelte, darauf hatte er gewartet, das war das Stichwort.
"Nein. Das konnten nur sie."

Kapitel 5: Luzifer lässt die Maske fallen




"Wie ich vorher bei unserem geselligen Speisen bemerken durfte gibt es hier ein besonderes Kleidungstück welches, nicht wie sonst auch als Zierde getragen wird sondern als Serviette gebraucht wird, eine Tradition aus der umliegenden Gegend." Der Detektiv blickte sich kurz in der Menge um und ging auf einen etwas älteren Mann im Anzug zu. "Sir, dürfte ich mal? Danke." Er nahm ohne die Antwort abzuwarten dessen Anstecktuch aus der Brusttasche, hielt es hoch was ein erneutes Raunen zur Folge hatte. "Die Rede ist von diesem Teilstück eines jeden Anzuges. Domenique, sie mögen Schokoladenpastete, liege ich da richtig? Sie können keine Festlichkeit ohne sie genießen wie mir scheint, aber dieses Mal nicht. Können sie uns das erklären?"
Der Sohn blickte auf den Boden. "Ich hatte keinen Hunger." Er schnaubte.
"Falsch. Sie konnten nicht. Der einzige Nachteil an dieser Pastete ist das sie leicht in der Hand schmilzt, was sich in dieser Gesellschaft nicht unbedingt ziert, hätten sie also zugegriffen hätte es zu so einem Malheur kommen können. Der alten Tradition willens hätten sie sich die Pastete natürlich mit ihrem Anstecktuch abwischen müssen, alles andere wäre sofort aufgefallen."
Sarah unterbrach ihn harsch. "Aber warum hätte er es nicht tun können? Das Tuch ist schließlich nicht giftig oder..." Ihre Stimme stockte, die Augen weiteten sich. "Meine Damen, sie tragen beide exquisite Kleider, doch ihr Nachteil besteht darin das man mit ihnen nichts mitführen kann. Dagegen hat ein Anzug mehrere Taschen in welchen man bequem, sagen wir mal," er musst lächeln, "ein mit giftigen Zyankalipulver gefülltes Anstecktuch tragen kann ohne allzu aufzufallen. Ich bin mir sicher dass man in den Innentaschen nach einer Prüfung den Verdacht auf Zyankali nachweisen kann, Domenique Sterling, sie sind hiermit überführt."
Mit diesen Worten fiel die Maske des Teufels vor den Augen der Festgesellschaft. "Ja, ich war es, ich gebe es zu." flüsterte Domenique. Seine Augen hatte er verschlossen, die Anspannung löste sich von seinem Körper, die Schultern sanken nach unten. "Es war einfach unfair das ausgerechnet Richard..." "Unfair?!" Die Stimme von Mary Sterling zerschnitt alles und auf einmal kam Leben in die kleine Dame die bis dahin nur stillschweigend da gestanden war. "Albert hätte das alles nicht gewollt, dieses verdammte Lied hat mir bereits mehr kaputt gemacht als es mich unterstützen sollte, ich wollte sein Ableben endlich vergessen." Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Du hast mir meinen Sohn genommen um einem Hirngespinst anderer Leute hinterher zu jagen, das ist unfair. Ich wollte es Richard vermachen da ich genau wusste dass er der Einzige von euch sein würde der euch wieder zusammenbringen kann, seht euch an, die Gier hat euch zu Monstern gemacht!" Die letzten Worte schrie sie Domenique entgegen. Sie trafen ihn mitten in sein Herz, wie Steine die eine Glasscheibe einschlugen. Der Regen prasselte gegen die Fenster der Eingangshalle.

Kapitel 6: Das letzte Werk des Albert J. Sterling




In der Ruhe liegt die Kraft, so sagt man, und in jener liegt auch die Inspiration für große Werke. Ich spüre es, diese Nacht wird die letzte in welcher mein Körper in seinem irdisches Leben existiert, deshalb sollen diese letzten Worte meiner Frau und Lebensgefährtin Mary gelten; den nächsten Sonnabend hätte sich unsere Trauung nun schon zum vierzigsten Mal gejährt und die Gefühle meinerseits blieben mir sowohl heute wie damals. Sollte mich der Knochengräber heute ereilen so möchte ich dich wissen lassen dass meine letzten Gedanken stehts bei dir sein werden. Ich kenne dich, du würdest mich schimpfen noch in der späten Uhrzeit eine neue Partitur zu komponieren, aber diese hier soll etwas besonderes sein, die "Tränensonate" wird sie lauten.
Es soll nicht nur die letzte sein, nein, sie wird auch noch unser Geheimnis hüten, unseren ganz persönlichen Schatz. Sieh sie dir genau an. Zieht man einen Strich durch jede dieser Noten wirst du meine letzten Worte lesen können.

In Liebe,

Dein Ehemann Albert Johann Sterling


Impressum

Texte: (c) L. Cocco
Tag der Veröffentlichung: 25.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

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