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Prolog



Mühsam setzte ich mich auf und hob die Hand, um mir träge den Schweiß der Sünde von der feuchten Stirn zu wischen. Die Luft in der beengenden Kammer des Beichtstuhls stank nach Sex und ich ahnte, dass meine Haut noch immer das unsägliche Feuer der Leidenschaft ausdünstete, das mich angesichts meines Gegenübers überkommen hatte. Mit einem schweren Keuchen blickte ich nach unten und konnte sehen, wie seine weiche Wange sich gegen meinen Schenkel schmiegte. Im ersten Moment hatte ich mich dafür gehasst, dass ich nicht einmal einen Funken Reue für meinen Sündenfall verspürte. Ich, ein Gottesmann, der sein Leben lang nur für ein Ziel gearbeitet hatte, die Verbreitung des wahren Glaubens. Und nun saß ich hier, völlig vom Schweiß der Ekstase durchtränkt mit einem jungen Mann zwischen meinen entblößten Beinen, ohne das geringste Schuldempfinden. Was war nur über mich gekommen, dass ich einer Sehnsucht nachgegeben hatte, derer ich jahrzehntelang nicht einmal in meinen kühnsten Träumen gewahr geworden war? Hatte denn tatsächlich der Teufel von mir Besitz ergriffen oder war es gar Gott gewesen, der mich vor diese schwere Prüfung gestellt hatte? Nein, all das waren nur Ausreden, die wie flimmernde Bilder durch meinen Kopf kreisten. Mein Kopf sank mir zur Seite und schlug leise gegen das dunkle Kirschholz. Ich konnte riechen, dass jede Faser des alten Holzes den ruchlosen Geruch der Hölle bereits in sich aufgesogen hatte und war mir sicher, dass er nie wieder ganz verschwinden würde, so dass ich mich dabei ertappte wie ein zufriedenes Lächeln darüber über mein inneres Antlitz strömte und mich unweigerlich frösteln ließ. Träge schloss ich die Augen für einen Moment, nur um sie kurz darauf wieder zu öffnen als mich seine Worte aus einem weiteren sündigen Tagtraum rissen.
„Bereuen Sie es, Pater Jacobi?“ Eine einfache Frage und doch war ich mir sicher, die Wahrheit würde ihn kränken. Aber ich hatte schon zu viel gelogen in den letzten...wie lange war es her, seit er meine Kirche betreten hatte? Sicherlich waren Stunden vergangen. Ich schüttelte langsam den Kopf und versuchte, meine trockenen Lippen mit der Zungenspitze zu befeuchten, um Worte fassen zu können. Als ich nach unten blickte, durchschlug es mich wie ein stechender Blitz, der durch meine Körperachse direkt in den Boden einfuhr. Diese unsagbar tiefgründigen Augen, so dunkel und leer und doch so feurig und voller Verlangen, dass ich meine Ohren glühen spürte. Ich hatte nicht bemerkt, dass er den Kopf gehoben hatte, um mich anzusehen, meine Beine waren zu taub geworden und pulsierten in sich selbst, so dass es mir in den Muskeln schmerzte. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass ihm meine Geste Antwort genug war für den Moment und als er leise zu summen begann, schloss ich erneut meine Augen und schob die Türe des Beichtstuhls kraftlos etwas mit meinem Fuß auf, so dass die kühle Luft des leeren, von flackerndem Kerzenschein erfüllten Kirchenschiffs uns umspülte. Ein leises Aufkeuchen entfuhr ihm als sich eine Gänsehaut auf seinem Rücken bildete und ihn schaudern ließ. Ich war mir sicher, das weiße Spitzenhemdchen wäre kein ausreichender Schutz gegen die Kälte und lauschte in die aufkommende Stille hinein. Noch immer tobte der Sturm um das Gemäuer, rüttelte unerbittlich an den hohen Buntglasfenstern und der schweren Holztüre auf deren Stufen alles begonnen hatte. Unwillkürlich legte ich eine Hand auf seinen Kopf, eine Geste für die ich mich hätte schämen sollen. Jedem Außenstehenden hätten wir sicher ein klischeehaftes Bild gedeutet, doch letztlich war es doch nichts anderes gewesen. Weißer Kragen schützt letztlich nicht vor menschlichen Lastern, so schoss es mir durch den Kopf und die Erkenntnis beruhigte mein aufgewühltes Gemüt ein wenig.
„Warum tust du das?“, wollte ich wissen, denn ich war sehr interessiert an seinen Motiven. Ich hatte ihn als Wanderpriester kennen gelernt, ein zuversichtlicher, junger Mann, der Worte Gottes predigte, die ich zuvor noch nie vernommen hatte, keine Religion, eine Philosophie Christi, die den Menschen Mut machte und sie beflügelte an einem Strang zu ziehen. Ein Seelsorger, der stets ein gutes Wort für jeden auf den Lippen hatte, niemanden zurück wies, vor allem nicht die Armen und Kranken. Und nun war nichts weiter von ihm geblieben als ein flatterhafter Teenager, ein verdrehter Messdiener und innerlich verzweifelter Beichter, Büßer und zugleich Richter.
„Das ist eine lange Geschichte. Bisher habe ich Sie noch niemandem erzählt.“
„Bisher? Heißt das, du wärst bereit dazu, mit mir darüber zu sprechen?“
„Ich bin bereit, jedem davon zu erzählen. Aber die wenigstens sind ihrerseits dazu bereit, den Preis für dieses Wissen zu tragen.“
Seine Worte jagten mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Obgleich es nicht wie eine Drohung geklungen hatte, wusste ich doch, welchen Preis ein solches Geheimnis verlangen musste. Doch noch während ich darüber nachdachte, wurde mir plötzlich klar, dass es ein gerechtfertigter Preis wäre. Ein Leben gegen ein anderes, hatte es nicht bereits im Alten Testament so geheißen? Er würde mir alles erzählen, mir sein Leben, seine Seele offenbaren. Weshalb wäre nicht berechtigt, im Gegenzug das meine zu fordern?
„Was passiert, wenn ich bereit bin, den Preis zu zahlen?“
„Dann erzähle ich ihnen von einer Nacht, die dieser gar nicht unähnlich war.“
Wieder überlegte ich eine Weile, ließ meine Gedanken über all das schweifen, was mir bisher widerfahren war, seit er zu mir gekommen war, um die Beichte abzulegen und löste letztlich den Kopf wieder vom Holz, um ihn erneut anzusehen und die Ernsthaftigkeit meiner eigenen Worte erschreckte mich zutiefst.
„Ich bin bereit, zu zahlen. Erzähl mir von dieser Nacht.“


Kapitel 1



Leise raschelte der Stoff des Designerhemds als es über seine samtenen Schultern nach oben glitt und seinen makellos ebenen Rücken bedeckte. Ich konnte sehen, wie seine jugendliche Muskulatur sich unter dem dünnen Stoff abzeichnete und der letzte Schweiß an seiner Wirbelsäule entlang kleine, dunkle Flecken hinterließ. Er war keinesfalls bereit gewesen, mir im Beichtstuhl alles zu erzählen, was ich zu erfahren begehrte, so dass wir die beengende und von Blasphemie verseuchte Kabine verlassen und sie gegen die kühle Weitläufigkeit des Kirchenschiffs eingetauscht hatten. Mir schien als wären seine Bewegungen hier wesentlich flüssiger, ungezwungener und während ich ihn beobachtete, kam mir das Bild eines Kindes vor Augen, das – eine Ewigkeit hinter Mauern eingesperrt – zum ersten Mal eine saftig grüne Wiese betritt und als hätte es nie etwas anderes getan mit einem sonnigen Lachen zu laufen beginnt, einfach zu laufen, egal wohin seine Füßchen es auch trugen. Für einen Moment blieb er so stehen, ehe er sich zu mir umdrehte und sich zwischen meine Beine drängte, die Hüfte gegen den Altar gelehnt. Ich hatte mich umgezogen, so dass ich bequemer auf der dunklen Holzplatte sitzen konnte, die auf dem schweren Marmorfundament ruhte. Mit der Ruhe einer fürsorglichen Ehefrau hob er die schlanken Hände, um mir mit spitzen Fingern den weißen Priesterkragen unter dem meines schwarzen Hemds zurecht zu rücken. Es wäre nicht nötig gewesen, ich war immer sehr darauf Bedacht, dass alles stimmte und so war ich mir sicher, dass es nur eine Möglichkeit für ihn war, die Einhaltung unserer Abmachung etwas länger hinaus zu zögern. Zweimal hatte er mich noch gefragt, ob ich mir tatsächlich sicher sei und wenn ich ehrlich zu mir war, hatte ich kein einziges Mal darüber nachgedacht, mein Angebot doch noch zurück zu ziehen. Ich hob die Hand, um noch einmal über seine zarte Wange zu streichen und entlockte seinem leer wirkenden Gesicht ein halb hohles Lächeln, während ich geduldig wartete. Er griff nach meiner Hand, um sie von sich zu streichen und drehte sich dabei in einer eleganten, fließenden Bewegung, um rücklings am Altar hinunter zu rutschen, die Beine leicht gespreizt angezogen. Sein Blick war stur gerade aus gerichtet und als er die Lippen öffnete, um endlich zu beginnen, durchfuhr mich ein sehnsüchtiges Vibrieren. Ein letztes Mal noch befeuchtete er sich die weichen Lippen und begann zu berichten.

„Es war Winter und wieder einmal ging ein Sonntag zu Ende. Wieder mal einer jener Sonntage an denen all jenen Schäfchen dort draußen etwas von Erlösung und Hoffnung vorgegaukelt wurde, Ideale an denen ich damals selbst stark festhielt. Ich war damals Messdiener – oder wie die Katholiken es lieber nennen – Ministrant in der Santa Anna Kirche. Die Stadt ist nicht wichtig. Sagen wir einfach, es war eine Stadt wie jede andere auch. Damals stand ich kurz vorm Ende meiner Zeit als Messdiener, denn in zwei Wochen wäre ich achtzehn geworden, so dass ich meine Tätigkeit, die ich aus Leidenschaft ausübte hätte aufgeben müssen und wenngleich ich auch eine tiefe Leere in mir verspürte, war ich fest entschlossen, mir nichts davon anmerken zu lassen, denn der Herr hatte mich gelehrt, niemals aufzugeben. Als ältester unter den Messdienern war es meine Aufgabe, nach dem Gottesdienst all jene Spuren zu beseitigen, die angefallen waren. Wie jeden Sonntag hatte ich die Jüngeren unter uns verabschiedet und ihnen in die Jacken geholfen, um sie sicher in die Hände ihrer wartenden Eltern zu entlassen. Als ich die Türe nach draußen schloss, überkam mich ein plötzliches Unbehagen angesichts meines nahenden Geburtstages und so entschloss ich mich, mir nicht die Zeit zu nehmen, mich um zu ziehen, sondern ging noch in meiner angestammten Kluft zurück ins Kirchenschiff, um mit meiner Arbeit zu beginnen. Es war schon spät, so dass das Deckenlicht nur einen fahlen Schein in die weite Leere hinein warf. Vielmehr war es der Kerzenschein am Altar, der mir ein gewissen Gefühl der Geborgenheit und Zuwendung vermittelte und in diesem Moment hätte ich alles dafür gegeben, dass dieser Moment nicht vorbeigehen möge. Unser Pastor – nennen wir ihn der Verschwiegenheit wegen einfach Pater Baxter – hätte mir sicher helfen können und für Außenstehende war er sicher nicht der eifrigste Priester, wenn die Messe erst einmal vorbei war. Doch wer ihn näher kannte oder ihm regelmäßig zuhörte, der wusste, dass es keineswegs so war. Seine Predigt war stets ein loderndes Feuer der Motivation für uns alle und niemals hätte jemand seine Leidenschaft zum Beruf angezweifelt, der ihn auch nur einmal hatte sprechen hören, selbst wenn man ihn stets erst nach Sonnenuntergang antraf.
Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber ich wusste, dass er da war, mich beobachtete als wäre er nur ein verspäteter Kirchenbesucher, der nicht dabei ertappt werden wollte, dass er sich so spät noch in ein Gotteshaus verirrt hatte. Ich konnte spüren, wie sein Blick auf mir ruhte, seine Augen jede meiner Bewegungen verfolgten aber ich war fest entschlossen, mich nicht davon beirren zu lassen und nachdem ich alles auf das Silbertablett gelegt und den Altar sauber gewischt hatte, griff ich nach dem Segenskreuz und der Hostienschale, um alles an seinen angestammten Platz zurück zu stellen und dort einzuschließen. Das leise Karzen seiner Schuhe drang an meine Ohren als er sich hinter mir von einer Ecke in die andere bewegte und für einen kurzen Moment flackerten die Kerzen um mich herum etwas im Luftzug auf, der genügsam durch die Ritzen des Gemäuers pfiff.
Das Zusammenspiel dieser ungewohnten Komponenten vermittelte mir erneut ein unterschwelliges Gefühl von Unwohlsein, so dass ich leicht zusammen fuhr und mich umsah. Sicher ein Gebaren, dass ein wenig so wirkte als fürchte ich, etwas Schlimmeres als er könne dort in den Schatten auf mich lauern, jederzeit bereit ohne Vorwarnung zu zu schlagen und mich zu verschlingen und auch, wenn ich mir nicht mehr sicher bin, glaube ich, dass es nur ein kurzer Moment war, ehe ich den Behälter vor mir wieder sorgsam verschloss, um zum Altar zurück zu kehren, doch noch immer plagte mich ein seltsames Rumoren, so dass ich mich dazu entschloss, der Situation etwas Vertrautes beizufügen.
„Ich hoffe, ich halte Sie nicht zu lange auf, Pater Baxter.“, sagte ich, schließlich war ich mir nicht sicher, ob er sich auch sonst während meiner Aufräumarbeiten noch in der Kirche aufhielt und wollte ihm keinesfalls kostbare Zeit für sein Privatleben rauben. Trotz eines ungewöhnlich dunklen Timbres in seiner Stimme, das mich unter anderen Umständen hätte frösteln lassen, war ich beruhigt als er mir versicherte, er hätte nichts dagegen und er hätte – wie er ausdrücklich hinzufügte – sehr viel Zeit. Hätte ich damals geahnt, wie zwielichtig seine Aussage war, hätte ich vielleicht anders gehandelt, mich zurück gezogen oder hätte einfach alles stehen und liegen gelassen und wäre gegangen. Doch ich konnte nicht einmal ansatzweise erahnen welch schattenhaftes Verderben allein diese Zusicherung schon in sich trug.
Etwas geistesabwesend legte ich den Schlüssel zurück aufs Silbertablett und strich über den kalten Marmor der Altarplatte ehe ich meinen Weg weiter ins Innere fortsetzte, um den liegen gebliebenen Müll einzusammeln und die Gesangsbücher wieder ordentlich auf ihre Plätze zu legen. Ich durchstreifte die Bankreihen eine Weile ehe mich der tiefe Drang überkam, wieder etwas zu sagen, um nicht der drückenden Stille weiter schutzlos ausgesetzt zu sein und sagte ihm, dass seine Predigt mir sehr gefallen hatte.
'Ich wünschte, ich könnte noch länger bleiben als nur diese zwei Wochen.'“

„Das klingt ein wenig als hättest du ein Praktikum gemacht.“, unterbrach ich ihn und schon im nächsten Moment bereute ich, es getan zu haben, denn ich fürchtete, er könnte meinen dreisten Zwischenruf als einen Bruch unseres stillen Abkommens deuten und sich erheben, um zu gehen und nicht mehr zurück zu kommen. Niemals hätte ich diese quälende Unsicherheit ertragen, nicht zu wissen, was weiter passiert war und umso erleichterter war ich, als seine weiche, jungmännliche Stimme erneut mein Trommelfell zum Zittern brachte und mir einen Schauer über den Rücken jagte.
„Damals war ich seit sechs Jahren Messdiener, Pater Jacobi. Vielleicht genügt das, um ihre Zweifel zu zerstreuen.“
Und wenngleich ich es nicht sehen konnte, spürte ich doch das Lächeln auf seinem Gesicht als er ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten fortfuhr.

„Wie ich gerade sagte, teilte ich Pater Baxter mit, dass ich mir wünschte, länger als nur noch diese beiden Wochen und somit zwei Messen über dort bleiben zu können. Vielleicht sagte ich es nur, weil ich jemanden brauchte, der einen Hilfeschrei meiner versteckten Trauer verstand. Aber vielleicht sagte ich es auch nur, um ihm das Gefühl zu geben, dass nicht all die Jahre umsonst gewesen waren in denen wir zusammen gearbeitet hatten.
Wieder konnte ich hören wie er sich weiter bewegte, vermutlich um mich besser im Blick zu haben und im Nachhinein gebe ich zu, dass es sicher ein wenig wie ein Raubtier wirkte, das nicht bereit war, seine Beute aus den Augen zu verlieren. Er fühlte sich geehrt und pflichtete mir bei, dass es immer schade sei, wenn jemand gehen müsse ehe er wieder stehen blieb und mich fragte, ob er mich nach Hause fahren sollte. Ich konnte damals nicht sagen, woher er es wusste aber er sagte mir, ein Schneesturm wäre aufgezogen doch als ich in die Stille hinein lauschte, konnte ich nur hören, dass der Wind zugenommen hatte und unmerklich lauter um die Mauern pfiff, die kalte Luft durch die Ritzen der Kirche trieb, so dass die Kerzen erneut zu flackern begannen und ich fürchtete schon, sie würden jeden Moment erlöschen. Ich war im ersten Moment nicht fähig, etwas zu sagen, sondern drückte nur zwei der Gesangsbücher fest gegen meine Brust während ich scheinbar ziellos ins leere starrte und darüber sinnierte, woher er das Wissen um den Sturm hatte und wieso mir bisher nicht aufgefallen war, dass der Wind tatsächlich zugenommen hatte. Normalerweise war ich kein unachtsamer Mensch und ich war mir sicher, es hätte mir auffallen müssen. Letztlich beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass ich sicher alles ein wenig schleifen ließ in letzter Zeit angesichts der anstehenden Veränderungen in meinem Leben und drehte mich in jene Richtung, wo ich Pater Baxter vermutete, um sein Angebot dankend abzulehnen. Ich wollte ein Taxi nehmen und noch ins Krankenhaus fahren, um meine Schwester zu besuchen. Sie müssen wissen, Sophia war jünger als ich und litt an Krebs im fortgeschrittenen Stadium, weshalb sie immer wieder ins Krankenhaus und Spezialkliniken zur Chemotherapie gebracht wurde in der tiefen, gottgläubigen Hoffnung meiner Familie, dass irgendwann doch etwas fruchten möge und sie endlich wieder nach Hause könne. Pater Baxter wusste schon lange um ihren Zustand, schließlich war er immer ein Ansprechpartner für mich gewesen, wenn ich Kummer oder Sorgen hatte, so dass er mir anbot, mich stattdessen am Krankenhaus abzusetzen und sich nach Sophias Empfinden erkundigte. Ich drehte meinen Kopf ein wenig und nun konnte ich ihn auch sehen wie er dort bei einer der Säulen stand, gekleidet in eine doch recht mitgenommene Jeans und einen dunklen Rollkragenpullover der irgendwo zwischen hier und dort nahezu nahtlos mit seinen dunklen Haaren ineinander floss. Für einen kurzen Moment huschte ein Schatten raubtierhafter Züge über sein Gesicht, ehe sich ein Lächeln darauf ausbreitete. Sein Gebaren ließ mich unvermittelt an Ort und Stelle innehalten und die Bücher zurücklegen, um mit spitzen Fingern über das raue Holz der Banklehne neben mir zu streichen, nur um ihn nicht direkt ansehen zu müssen und obwohl ich gehofft hatte, es wäre ihm entgangen, fragte er mich, was mich eben so abgelenkt hatte. Ich versicherte ihm, dass es nichts Wichtiges war, veräußerte, dass ich nur dachte, etwas gehört zu haben und war mir noch im gleichen Moment sicher, er hatte mich sehr wohl bei meiner Lüge ertappt, so dass ich schnell auf seine andere Frage zurück kam.
'Sie hat sich etwas erholt. Aber bei weitem nicht so wie die Ärzte es sich erhofft hatten.'
Ich erzählte ihm, dass die Ärzte Sophia wieder in eine Spezialklinik überweisen würden, wenn sich in den nächsten Tagen keine weitere Besserung einstellte und wie so oft versicherte er mir auch dieses Mal, dass er für sie beten würde. Ein unverwandtes Drehen seines Kopfes ließ seine Züge vor meinen Augen wieder verschwimmen. Ich war mir sicher, dass er mich noch aus dem Augenwinkel beobachtete, wenngleich sein Blick eindeutig dem hohen Buntglasfenster galt und eine durchaus berechtigte Sorge seine Lippen verließ.
'Hoffentlich frieren die Türschlösser nicht ein. Ansonsten sind wir hier eingesperrt bis morgen Früh die Sonne das Eis schmilzt.'
Ich weiß nicht genau, was an seinen Worten mich dazu veranlasste zu schaudern oder ob es überhaupt an ihm lag, doch wieder hielt dieses unwohle Gefühl Einzug und ich drängte den Zwang, meine Arme um mich zu schlingen zurück, beeilte mich stattdessen lieber, meine Arbeit im Kirchenschiff zu beenden. Ich versicherte mich nochmals seines Angebots, mich am Krankenhaus abzusetzen und nachdem er mir erneut versicherte, es wäre kein großer Umweg, riet er mir lediglich noch an, mich um zu ziehen, ehe wir uns auf den Weg machten. Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich tatsächlich meine Kleidung noch nicht gewechselt hatte, so dass ich mich wieder aufrichtete und ihn geduldigen Schrittes auf mich zukommen sah. Das gleichmäßige Klackern seiner Schuhe ließ meinen Magen rumoren, was allerdings übertönt wurde vom plötzlich vehementen Reißen des bereits erwähnten Sturm an Fenstern und Türen als wolle er das Gebäude zum Einsturz bringen. Das laute Krachen und Rumpeln veranlasste mich dazu, meinen Drang doch nachzugeben, so dass ich mich selbst umarmte und einen Rundblick durch die Kirche wagte, ehe mein Blick wieder auf Pater Baxter zu liegen kam und die Art wie er sich noch weiter auf mich zu bewegte, die sich widerspiegelnde Raubtierhaftigkeit und Eleganz, Dinge, die ich damals nur unterbewusst wahr nahm, ließen mich unsicher und fröstelnd einen Schritt zurück weichen.
'Äh ich...muss die Kerzen noch löschen, dann komme ich gleich.' , stammelte ich nervös und ärgerte mich noch über meine eigenen Worte als die seinen dumpf an meine Ohren drangen.
'Natürlich. Ich habe alle Zeit der Welt.' Ich habe diese Worte nie wieder vergessen. Alle Zeit der Welt...Wenn ich nur gewusst hätte, wie Recht er hatte.
Ich war so gefangen von seinem Anblick, seiner versteckten Grazie, die mir noch nie aufgefallen war, dass ich im ersten Moment nicht einmal fähig war, mich zu bewegen und mir lediglich mit einem seichten Nicken ein paar Haare aus dem Gesicht strich. Ob Sie es glauben oder nicht, die Kerzen hatte ich schon längst wieder vergessen. Alles was in diesem kurzen Moment zählte war, dass Pater Baxter mir immer näher kam und bald würde bei mir sein, so dass ich ihn riechen, seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte.“

„Warum warst du so gefangen von diesem Mann? Hast du dir etwa gewünscht, dass er dich unzüchtig anfasst?“
Ich spürte, wie er den Kopf schüttelte und die Stirn gegen meinen Schenkel legte wo sein heißer Atem immer wieder gegen meine Haut wogte.
„Nicht zu diesem Zeitpunkt. Üben Sie sich in Geduld, Pater Jacobi. Ich werde alle ihre Fragen noch beantworten...zu einem späteren Zeitpunkt.“
Ein schweres Schlucken zwängte sich durch meine Kehle, denn auch, wenn ich sein Lächeln sehen konnte als ich nach unten blickte, konnte ich doch spüren, dass diese weitere Unterbrechung nicht gut gewesen war. Seine Worte allerdings verrieten mir, dass wir noch nicht am Ende der Geschichte angekommen waren, so dass ich mich entschuldigte und ihm versprach, von jetzt an still zu sein, so dass ich mich wieder zurück stützte und zur kunstvoll bemalten Kirchendecke blickte.

„Da stand ich nun also, wie angewurzelt vor der hoch aufragenden Gestalt Pater Baxters, unfähig mich zu bewegen und ein bedrohliches Bild an Perversion baute sich vor meinem inneren Auge auf. Es gab genug Geschichten über Pastoren, die sich an jungen Knaben vergriffen und doch war ich mir sicher, dieses Alter bereits verlassen zu haben. Dennoch war ich schon im nächsten Moment froh darum, die Kerzen nicht schon früher gelöscht zu haben, denn mit einem halbwegs lauten Rumpeln, das mir einen leisen Aufschrei entlockte, erlosch das Deckenlicht und ich blieb allein mit ihm zurück im unruhig flackernden Licht der Kerzen. Ich hatte die Hände im Schreck hoch gerissen, war zusammengefahren und hatte Schutz erhoffend die Augen zusammen gekniffen, so dass ich feststellen musste, dass ich nicht einmal mehr genau sagen konnte, wo Pater Baxter stand als ich mich aus dieser kurzweiligen Starre wieder löste und vorsichtig in die Stille hinein nach ihm fragte.
Er antwortete mir aus so weiter Ferne aus den noch dunkler wirkenden Schatten heraus, dass ich mir sicher war, er konnte keinesfalls so schnell dorthin gelangt sein und doch hegte ich plötzlich Zweifel, ob meine Reaktion tatsächlich nur einen Lidschlag lang angehalten hatte oder ob ich mir nicht schon vor dem Knall etwas zusammen phantasiert und er mich nur aus diesem schauerlichen Alptraum gerissen hatte. Erleichtert darüber, dass der Herr Pater Baxter nun nicht mit einem lauten Donnerknall zu sich geholt hatte und er verschwunden war, legte ich mir eine Hand an die Brust und spürte, wie mein Herzschlag sich langsam wieder beruhigte als ich auch die vagen Umrisse des Priesters wieder ausmachen konnte.
'Ich hole uns Taschenlampen. Sonst stehen wir gleich völlig im Dunkeln.' Ich hielt es für eine Notwendigkeit, schließlich wollte ich weder warten, bis das Deckenlicht wieder funktioniert, noch meine Schwester länger warten lassen und ich konnte wohl kaum die Kerzen einfach brennen lassen. Doch gerade als ich mich umdrehte durchfuhr mich erneut ein Schreck, der mich abrupt stehen bleiben ließ als ich wie aus dem Nichts Pater Baxters Hand auf meiner Schulter liegen spürte.
'Hast du Angst vor ein klein wenig Dunkelheit?'
Seine Stimme hatte einen tiefen Unterton bekommen, der selbst durch den keuschsten Körper mit einem angenehmen Kribbeln vibriert hätte bis er Zentren gefunden hätte, die man vielleicht selbst noch nie gefunden hatte und ich antwortete im ersten Moment mit einem beschämten Keuchen und schlang erneut die Arme um mich. Für einen kurzen Augenblick schloss ich nochmals die Augen, um die seltsamen Regungen, die durch meine Fasern jagten zu verarbeiten. Ich wusste, ich musste ihm antworten, doch meine Worte waren nichts weiter als ein verunsichertes Stottern.
'N-nein aber...' Ja aber was? Was wollte ich gerade sagen? Ich hatte es völlig vergessen, als wäre es nie da gewesen, ein nie zu Ende gedachter Gedanke und unweigerlich spürte ich, wie Pater Baxter sich etwas zu mir hinab beugte und einen tiefen Atemzug meines Körpergeruchs einsog. Viel später erst sollte ich erfahren, welch Hochgenuss ihm dies bescherte und dass es weniger mein Körpergeruch war, der ihn lockte, sondern vielmehr etwas völlig anderes, das ihn dazu zwang, jeden Moment in meiner Nähe derart aus zu kosten. Dezent fragte er nach, was ich hatte sagen wollen und ich war dankbar dafür, dass er noch einmal das Wort ergriff, denn letztlich war er es, der mich damit wieder einmal zurück in die Realität katapultierte und mich innerlich stärkte, gegen alles Unzüchtige an zu kämpfen, das sich ob der pikären Situation in mir angesammelt hatte. Meine Hände ballten sich zu zitternden Fäusten und ich drehte mich bestimmt um, seine Hand von meiner Schulter wischend, um wieder einen Schritt vor ihm zurück zu weichen. Ich sagte ihm, dass ich mich nicht stoßen wolle, wenn ich mich zum Gehen fertig machte und kaum hatte ich zu Ende gesprochen, konnte ich in seinen Augen sehen, wie sehr ihn meine Worte gekränkt hatten, was für ein unverblühmter Schlag ins Gesicht meine Zurückweisung für ihn gewesen sein musste, doch das kümmerte mich nicht. Zu diesem Zeitpunkt war ich zu verblendet, um die Wahrheit zu erkennen, sogar jetzt noch, da sie für einen kurzen Moment offenkundig vor mir lag, doch ich war froh um jede Sekunde, die ich mich weiter von ihm entfernen konnte.
'Dann solltest du gehen. Du weißt ja, wo die Taschenlampen liegen.'
Ein Startschuss zur vorläufigen Flucht, den ich dankend annahm, so dass ich mich schnellen Schrittes wieder in die Sakristei begab, um mich dort endlich um zu ziehen. Um sicher zu sein, dass ich genügend Licht hatte, hatte ich eine der Taschenlampen auf den Schrank angeknipst und auf den Tisch gelegt, so dass ich mich in ihrem Schein beruhigt umziehen konnte. Ich frage mich bis heute, ob ich nur zu beschäftigt war, ihn kommen zu hören oder ob er mir tatsächlich lautlos gefolgt war, denn gerade als ich mir mein Spitzenhemdchen hochraffte, um mir die Hose zu öffnen, die ich der Bequemlichkeit halber immer zum Gottesdienst trug, erlosch die Taschenlampe plötzlich, so dass ich wieder im Dunkeln stand, vermeintlich völlig allein und ohne den schwachen Schein auch nur einer einzigen Kerze. Für einen kurzen Moment wünschte ich mich wieder zurück ins Kirchenschiff als ich spürte, wie meine Hose mir entglitt und vollständig zu Boden sank und ich mit einem überraschten Aufkeuchen halb herum wirbelte. Ein stechender Schmerz durchschoss meinen Ellenbogen als ich mich an der Schranktüre stieß und einmal mehr war ich dankbar für das Fenster nach draußen, das mir anzeigte, in welche Richtung ich ungefähr tasten musste.
'Santa Lucia, steh mir bei.' , hauchte ich leise in die drückende Stille hinein und schüttelte letztlich meine Jeans vollständig ab, um einen Arm vor zu strecken auf der Suche nach Tisch und Taschenlampe. Fast instinktiv umfasste ich mit der noch freien Hand das Goldkreuz auf meiner Brust. Ich trage es immer noch. Sicher haben Sie es vorhin bemerkt.
Mittlerweile hatte ich einen vagen Umriss im Gegenlicht des Fensters ausmachen können, direkt dort, wohin ich mich begab und bemüht darum, ihn nicht wieder aus den Augen zu verlieren fragte ich: 'Pater Baxter? Sind Sie das?', und wusste selbst nicht einmal, ob ich mir tatsächlich ein ja erhoffte oder ob Schweigen oder gar ein nein nicht doch besser gewesen wären.
Im ersten Moment war ich erschrocken darüber und zuckte leicht zurück. Es fühlte sich halbwegs weich an, irgendwie menschlich und noch ehe ich etwas tun konnte, fühlte ich wie ein starker Arm sich fest um meine Hüften legte und wieder schrie ich leise auf, denn auch eine Antwort blieb aus. Was, wenn ein Fremder in die Sakristei eingedrungen war? Der Sicherungskasten befand sich draußen an der Rückseite der Kirche und es wäre nicht das erste Mal, dass jemand ihn manipuliert hatte. Und selbst wenn der Sturm die Verantwortung für das fehlende Licht trug, es waren schon mehr als einmal Leute hier eingedrungen, um etwas zu zerstören oder einfach einen Platz für die kalte Nacht zu finden. Vielleicht war es dieses Mal jemand, der nun die Chance witterte, seine perversen Gelüste zu befriedigen. Im Reflex hatte ich meinen Körper zurück gelehnt und drückte mich widerspenstig mit den Händen an den Schultern meines Gegenübers ab, so dass ich eindeutig ausmachen konnte, dass es sich um einen Mann handelt, denn zwangsläufig war ich so gezwungen, meine Hüfte gegen die des Fremden zu drücken. Umso peinlicher war mir die Situation als ich zu allem Übel noch feststellen musste, dass der Geist zwar willig, das Fleisch aber unwillkürlich schwach war und Pater Baxter bei weitem nicht so spurlos an mir vorbei gegangen war, wie ich es mir erhofft hatte. Erst ein paar Atemzüge später war ich mir sicher, dass ich vor Pater Baxter stand, dessen Griff mich fest wie eine angezogene Schraubzwinge an sich gepresst hielt und mir keine Möglichkeit des Ausweichens ließ. Ich spürte meinen rasenden Herzschlag, konnte meinen flachen Atem im fahlen Zwielicht des Mondes kondensieren sehen und ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Es war nicht der Schreck gewesen, der mich in diese unzüchtige Rage gebracht hatte, es waren vielmehr meine Gedanken gewesen. Seine Berührung, seine Worte, sein Geruch...Es wäre so schön gewesen, einfach nachzugeben, mich einfach willenlos in meine Phantasien zu stürzen und doch war ich so bestürzt über mich selbst, dass ich beschämt und schockiert zugleich den Kopf etwas zur Seite hin weg drehte ehe ich meine Sprache wieder fand. Ein noch größerer Zwiespalt entbrannte in mir als ich mich selbst reden hörte.
'Pater Baxter, was....was machen Sie? Lassen Sie mich bitte los.'
Meine verruchte Seite war umso erfreuter darüber, schrie fast auf vor Verzückung, als seine Nase sich für einen Moment vage zwischen meiner Halsbeuge und dem Haaransatz vergrub, um noch einmal einen tiefen Atemzug meines Duftes aufzunehmen, eine Geste, deren gewichtige Bedeutung mich nun fast schaudern lässt. Es muss besser für ihn gewesen sein als jedes Parfum der Welt.
'Ich halte dich nur fest.', erwiderte er und wieder lag dieser feine aber tiefe Ton in seiner Stimme, der Körper und Geist dahin schmelzen ließ und noch einmal Gefühle und Gedanken in mir wach rüttelte, die bis vor Kurzem noch in tiefem Schlummer lagen.
Ich krümmte die Finger etwas, als müsse ich trotz des festen Griffs Halt an Pater Baxter suchen, um nicht zusammen zu brechen, denn ich spürte deutlich, wie meine Knie weich wurden und mein Kopf sank für einen Augenblick wie im Sekundenschlaf willenlos nach vorne, ehe meine gottesfürchtige Seite erneut die Oberhand errang.
'Bitte nicht. Sie machen mir Angst und...und wenn ich nicht bald los komme, lassen Sie mich nicht mehr zu meiner Schwester.'
Erneut war ich erschrocken über das zaghafte, unsichere Flüstern, das meine Lippen verließ, ein Schatten jener Stimmfestigkeit, die ich eigentlich an den Tag hatte legen wollen.
Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich sie nicht erwähnt hätte. Vielleicht wäre ich jetzt nicht hier und würde ihnen all das erzählen, sondern in meinem Appartement sitzen und die Predigt vorbereiten, die ich meiner eigenen Gemeinde nächste Woche darlegen möchte. Vielleicht hätte es aber nichts an der Sache geändert und ich wäre trotzdem zur Hölle gefahren. In diesem Moment allerdings war ich froh, als sein Arm kurz zuckte ehe er an mir hinab rutschte und ich wieder frei war. Trotzdem entfernte ich mich nicht von Pater Baxter, sondern beugte mich lediglich etwas zur Seite und wieder nach vorne, um mit einer Hand an ihm vorbei zu greifen und nach der Taschenlampe zu suchen, während die andere sich Halt suchend an der Hüfte des Anderen fest hielt. Er machte mir etwas Platz und fragte mich erneut, ob er mir ein Taxi rufen sollte und ich bemerkte, dass ein leichtes Zittern von seiner Stimme Besitz ergriffen hatte. Unter anderen Umständen hätte ich sicher Mitleid mit ihm gehabt, denn seine Enttäuschung und das Verlangen waren deutlich in der Luft zu spüren und ich fragte mich, ob er wohl auch meine Sehnsucht fühlen konnte, sie vielleicht sogar gerochen hatte, meine zurückgehaltene Leidenschaft, das Verlangen, die Geilheit, die mir ohne Zweifel anhaftete. Doch im Moment wollte ich einfach nur weg, weg von ihm, weg von allem, so dass ich hastig den Kopf schüttelte und endlich bekam ich die Taschenlampe zu fassen.
'Ich glaube, ich gehe zu Fuß, Pater.', hörte ich mich sagen und eine Wut über das Zittern meiner eigenen Stimme flammte in mir auf, schlug das Verlangen weiter nieder und stachelte die Verzweiflung über meine gedankliche Umtriebigkeit weiter an.
'Nein, nein, der Sturm draußen ist viel zu stark, da holst du dir den Tod.'
Ich konnte spüren, dass er den Kopf schüttelte, spürte seine Hüfte sich im Gegenzug meiner entgegen bewegen und biss mir auf die Unterlippe, um nicht noch einmal zu keuchen, denn ich war mir sicher, dieses Mal wäre es verräterisch angetan, so dass ich mich lieber umdrehte und schnell die Taschenlampe anmachte, um einfach wüste meine Sachen zusammen zu raufen, wie ich sie gerade zu greifen bekam.
'Nein wirklich, es geht schon. Machen Sie sich keine Mühe, ich komme schon zurecht.', widersprach ich nochmals, so dass er mir - vermutlich aus Angst, ich könne einfach weg laufen – deutlich bestimmend an die Schulter griff und mir sagte, ich wolle bestimmt nicht, dass meine Schwester mich im Krankenhaus besuchen müsse. Wieder drehte ich mich ihm zu und seiner Reaktion nach zu urteilen hatte er gesehen, was in meinen Augen unumstößlich blitzen musste, etwas, das selten bei einem derart keuschen Menschen wie ich einer war durch die selige Fassade bracht, ein Feuer, eine Leidenschaft, tiefe Sehnsucht danach, geliebt zu werden, angefasst zu werden, nur ein einziges Mal alle Hoffnung und allen Glauben und Moral fahren zu lassen, sei es drum, ob man dafür in die Hölle fuhr oder nicht, denn er drehte den Kopf zur Seite hin weg und fragte erneut, ob er mir ein Taxi rufen sollte. Ich konnte an der Spiegelung seiner Augen deutlich ablesen, wie schwer es ihm fiel, mich zurück zu weisen und ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass er all das, was ich in der letzten halben Stunde empfand durchaus erwiderte und auch, wenn ein wenig Enttäuschung in meiner Zusage und meinem Dank mitschwang, so war ich trotz allem froh, endlich von hier weg zu kommen, so dass ich den Drang zurück kämpfte, seine Wange zu berühren und ließ ihn zurück ins Kircheninnere gehen, um von dort aus ein Taxi zu rufen, während ich immer noch völlig zerstreut meine Sachen in den Rucksack stopfte, in die richtige Jeans schlüpfte und meine Winterjacke über das weiße Hemdchen warf, nur um Zeit zu sparen. Ein paar Minuten später hielt das Taxi vor der Kirche und Pater Baxter bat mich, in der allgemein etwas wankelmütig kühlen Stimmung, meine Schwester von ihm zu grüßen und händigte mir sowohl seine private Adresse, als auch die Telefonnummer aus, falls er es vergäße und ich den Drang hätte, nach meinem vorläufigen Austritt noch einmal über kirchliche Belange zu sprechen mit ihm, denn für gewöhnlich ging er nach der Messe, so dass auch bei zukünftigen Kirchenbesuchen kaum die Möglichkeit blieb, sich unter vier Augen zu unterhalten. Ich nahm beides an, versuchte so freundlich wie möglich zu lächeln und doch war genug Zeit vergangen, um mir all meiner Verfehlungen gewahr zu werden, so dass ich unruhig die Stufen der Kirche nahm und beinahe fluchtartig in das Taxi sprang, um mit einem letzten, hastigen Dank zurück endgültig zu verschwinden. In aller Hektik war ich mir selbst nicht mehr sicher, ob mein Tonfall wirklich noch im Rahmen des Freundlichen lag als ich dem Taxifahrer sagte, wohin er fahren sollte, denn ich wusste, es gab nur einen einzige Weg, meine verdorbene Seele noch zu retten und Einlass ins Himmelreich zu erhalten. Gott war gnädig, sicher würde er mir vergeben. Ich musste nur den richtigen Ort aufsuchen und vor allem musste ich vor allem anderen die Beichte ablegen. So würde ich vielleicht endlich das Gefühl des Schmutzes an mir los werden und vielleicht sogar in der Lage sein, meine immer noch durch meinen Kopf spuckenden, pervertierten Träume vergessen können. Deshalb zögerte ich keine Sekunde. Ich musste zur Raphaelskirche zu Pater Ferguson, denn er würde mir sicher helfen können.“

Er schwieg eine ganze Weile und es dauerte bis ich registrierte, dass dies wohl das Ende seines Berichtes war, so dass ich mich mit einem tiefen Durchatmen aufsetzte, um die aufkeimende Enttäuschung nieder zu schlagen. Als ich zu ihm hinunter sah, stellte ich fest, dass sein Blick auf das langsam heller werdende Buntglasfenster gerichtet war. Seine Beichte, unsere Orgie, die Erzählung, das alles sollte fast die ganze Nacht gedauert haben? Wie zur Bestätigung begann mein Rücken zu schmerzen, so dass ich leicht das Gesicht verzog und als ich wieder in der Lage war, klar zu sehen, war er bereits aufgestanden und die wenigen Stufen in den Raum hinein gegangen, so dass mir wieder nichts anderes übrig blieb als nur seinen schmalen Rücken zu betrachten. Wieder wartete ich einen Moment, betrachtete das Glitzern der ersten zaghaften Sonnenstrahlen in seinen Haaren.
„War....das alles? Ich meine....was ist mit deiner Beichte? Mit Pater Ferguson? Und was genau hat das mit all dem zu tun, was wir getrieben haben?“
Ich rutschte vom Altar und ertappte mich beschämt dabei, dass ich innerlich wütend darüber war, vielleicht nur eine dreckige Phantasie von ihm zu sein. Für einen Moment fühlte ich mich in unserer Abmachung betrogen, denn wenn dies sein Geheimnis gewesen war, warum war es dann einen so hohen Preis wert? Dafür würde ich keinesfalls meine Seele oder gar mein Leben geben, so viel stand fest. Meine Finger schmerzten als sie über das Holz der Altarplatte scharrten und flache Furchen hinterließen doch auch wenn seine Antwort mich nur noch mehr reizte auf eine ganz andere Art und Weise, war ich doch froh und erleichtert darüber.
Im Widerschein des Fensters wirkte er wie ein strahlender Engel in der Morgensonne als er sich schwingenden Haares halb zu mir umdrehte und verführerisch die Augen aufschlug, so dass kurzfristig wieder Watte meinen Kopf füllte und sich alles um mich herum in Zeitlupe abzuspielen schien.
„Wie ich schon sagte, Pater Jacobi. Üben Sie sich in Geduld. Ich werde ihnen noch mehr erzählen. Schon morgen werden Sie wissen, warum mein Geheimnis ein so wertvolles ist.“
Und noch ehe ich wieder richtig bei Sinnen war, war er verschwunden als wäre er nie da gewesen. Lediglich das leise, entfernte Zufallen der Kirchentür verriet mir, dass all dies kein verzerrter Traum gewesen war. Ich hatte tatsächlich einen Engel unter Sterblichen getroffen. Und bald würde ich wissen, welch schwarze Seele in ihm schlummert.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.09.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
In Erinnerung an die vielen schönen Stunden, die ich mit dem Mann meines Herzens verbringen durfte. Mögen sie nie vergessen sein.

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