Cover

Vorwort

Da es in dieser Geschichte sehr viele Eigennamen, und Fremdbezeichnungen gibt,

habe ich mir erlaubt, ein Glossar zu erstellen,

damit das Lesen einfacher wird.

Viel Spaß beim Schmökern.

Glossar der Begriffe, Redewendungen und Eigennamen

 

Amentrum: Das Reittier eines Kriegers oder Lehrlings, das sich aus dem Sermo verwandelt. Wildhund oder Wildkatze in der Größe eines Pferdes. Treuer Begleiter seines Leiters - selten bissig. 

Amicitia: Freundschaft 

Amicus: Freunde, beste Freunde - oder der ewige Nagel zu meinem Sarg. 

Brestern: Bruder, Schwester, Geschwister, beide Geschlechter werden mit demselben Wort bezeichnet - die ewigen Quälgeister der Familie.

Coa: Frau die von vielen Männern benutz wird. Hure.

Collusor: Zeitweiliger Partner, den man sich aussucht, um Kinder zu bekommen - Spielgefährte

Ein Herz sein: Geliebter, Partner, Beziehung

Fafa: Vater, Papa

Geleit: Sermo/ Amentrum eines Kriegers oder Lehrlings 

Gemma: Kosename. Bedeutet so viel wie Schatz, oder Edelstein.

Heiler: Arzt - der einem immer so bittere Gebräue aufdrängt und behauptet, dass sie helfen würden. Vorausgesetzt natürlich, man stirbt vorher nicht an einer Lebensmittelvergiftung. 

Heilhütte: Krankenhaus

Lagerkristall: Ein kopfgroßer, federleichter Kristall aus den Höhlen des Glanzes, der sowohl Wärme als auch Licht abgibt - nicht zum Fußballspielen geeignet

Land der Götter: Träumen

Leiter: Krieger oder Lehrling eines Sermo oder Amentrum, sein Gefährte und Führer - oder die Person, die einem immer den Mund verbietet. 

Lichtkristall/ Leuchtkristall: Lichtspender, Kristalle, die durch Sonnenlicht aufgeladen werden

Magister: Lehrer - die die alles verbieten, was Spaß machen könnte. 

Mächte: Die Kraft der Götter, die in den Steinen eingeschlossen ist. Auch wenn die Bewohner auf Silthrim aus dem Leib geboren werden, so stammt die Magie der Wesen doch aus den Mächten in den Steinen und geht nach deren Tod dahin zurück.

Meen-Soror: geliebte Schwester, Kosename

Meen-Suavis: Süße, Süßer, Kosename

Mina: Mutter, Mama - der Regelaufsteller

Nasan: Kosewort für Familienmitglieder

Natis: Kinder, Söhne, Töchter, beide Geschlechter werden mit demselben Wort bezeichnet

Occino: Bastets Stimme. Bastet kann auf Silthrim nicht agieren, spricht aber durch ein heiliges Wesen, wenn sie etwas zu sagen hat. In jeder Generation wird ein Occino geboren.

Phantast: Träumer - hat immer den Kopf in den Wolken

Pravum: Böse Kreaturen die die Magier einst für den Krieg erschaffen hatten. Dämonen, Monster.

Reden im Geist/ Geistreden: Gedanken, denken, nachdenken

Rofafa: Großvater, Opa

Romina: Großmutter, Oma - die einem immer in die Backe kneift

Schöpfungstag: Tag der Erschaffung der einzelnen Spezies. Jede Rasse auf Silthrim hat ihren eigenen Schöpfungstag - und der muss gefeiert werden. 

Sermo: Geleit eines Kriegers oder Lehrlings. Ein Tier das sprechen kann, und sich ab einem bestimmten Alter in einen Amentrum verwandeln kann, um seinen Leiter zu tragen - manche von ihnen sind für ihr vorlautes Mundwerk in den unpassendsten Situationen bekannt. 

Sicuti: Zwilling - doppelt hält besser

Stein der Sonne: Ein sehr heißer Stein aus den Bergen der Naga. Da es auf Silthrim kein Feuer gibt, wird er benutzt, um zu Kochen, oder Hitze zu erzeugen, mit der Metalle geschmolzen werden können. Sollte er einmal abkühlen, nur in die Sonne legen, um ihm wieder aufzuladen - von direktem Hautkontakt wird abgeraten, da das zu Verbrennungen dritten Grades führen kann. 

Synode: Konferenzraum

Theatrum: Theater - oder der Ort der theatralischen Dramen.

Valeo-vir: Kosename für geliebte Männer

Vergelts: Danke schön

Götterliste

 

Bastet                         Therianthrop

Chnum                        Elfen

Sachmet                      Magier & Hexen

Osiris                          Succubus & Incubus

Horus                          Engel

Amun                         Satyr

Anubis                        Vampir

Hathor                        Zentaur

Maat                           Selkie

Sobek                         Gorgonen

Ptah                            Banshee

Thot                            Fee

Geb, Nut & Schu           Nymphen

Isis                              Meermenschen

Chepre                        Sirene

Re                               Harpyien

Seth                            Lykanthropen

Bes                             Naga & Echidna

 

Prolog

 

Das Zwielicht der untergehenden Sonne ließ Staubpartikel in der Luft tanzen. Wind rauschte durch die Blätter der Bäume und wehte sanft über die üppigen Wiesen in Seth Tempel. Lachen erklang. Ein paar Lehrlinge rannten über die Wege und verschwanden zum Abendmahl in die Halle der Speisen.

Leise Klänge melodischer Melodien bezauberten die Ohren. Eine wunderschöne Stimme, wie das Klingeln eines Glöckchens sang zu den Tönen. Die Musiker des Tempels.

Eine Oase in der Wüste, der schönste Ort dieses Landes. Ein Grüner Fleck irgendwo im Nirgendwo.

Acco blinzelte und richtete seinen Blick hinauf zum strahlend blauen Himmel.

„Nimm die Arme hör!“, verlange Aman.

„Damit du gar keine Chance mehr gegen mich hast?“ Vinea lachte.

Schwerter klirrten aufeinander.

Wieder blinzelte Acco. Vor ihm lag das Übungsfeld des Tempels. Sand und Staub wirbelten unter den hastigen Schritten seines Leiters auf. Vinea drängte ihn mit einer Freude zurück, die ihr ganz allein zu Eigen war.

Als sie sich drehte, wehten ihre langen, offenen Haare um ihren Kopf. Doch ihr Bauch … Acco richtete seinen Blick darauf. Er war unversehrt. Keine Verletzungen. Sie war gesund und munter.

Bring mich in die Zeit, an jenen Ort, an dem ich alles Abwenden kann, bring mich zum Schöpfungstag in Bastets Tempel.

Wie ein fernes Flüstern streiften diese Worte seinen Geist.

Bring mich in die Zeit, an jenen Ort, an dem ich alles Abwenden kann.

Zeit.

Er befand sich im Tempel des Seth und … Aman war hier.

„Du lässt nach!“, rief Vinea begeistert.

Im Nächsten Moment wagte sein Leiter einen Vorstoß. Sein Schwert schlug so hart gegen das seiner Brestern, dass sie rückwärts stolperte. Noch im gleichen Moment ließ er seiner Waffe fallen, ging blitzschnell in die Hocke und trat seiner Sicuti die Beine unter dem Körper weg.

Als sie stürzte, spritzte der Sand zu allen Seiten.

Wieder blinzelte Acco. Gleich wird er ihr die Hand reichen und sich dann selber im Sand wiederfinden.

Eine Nase stupste Acco gehen die Wange. „Wandelst du im Land der Götter?“

Der Sermo hob den Blick und richtete ihn auf Onyx, Vineas Geleit. Er war jünger als er selber, doch äußerlich kaum von ihm zu unterscheiden.

Onyx neigte den Kopf zur Seite. „Warum schaust du so?“

Im nächsten Moment begann Aman zu fluchen.

Wieder richtete Acco den Blick auf seinen Leiter. Er lag im Sand und Vinea lachte.

„Das ist schon einmal passiert“, flüsterte er, in Geistreden bei dem Moment, als er mit Lilith vor dem Portal stand, während der Kriegergeneral sich in seinem Schmerz wand. Wochen waren sie dort gewesen. Wochen der Verzweiflung, ohne Aussicht auf Hoffnung. Wochen in denen Acco alles darangesetzt hatte, dass Lilith sich nicht selber verlor, denn sie war Amans Herz. „Lilith.“

„Was sagst du?“

Ich erinnere mich. Langsam kam Acco auf die Beine. Er konnte kaum glauben, dass vor ihm sein Leiter stand – wirklich und wahrhaftig!

 Bring mich in die Zeit, an jenen Ort, an dem ich alles Abwenden kann.

Zeit.

„Acco? Ist mir dir alles in Ordnung?“

„Ich bin zurück“, flüsterte er.

„Zurück?“ Onyx runzelte die Stirn. „Wo warst du denn?“

Aber warum war er zurück? Warum zu diesem Zeitpunkt und nicht viele Jahre in der Zukunft? Warum jetzt? Warum hier?

„Acco?“

Der Sermo schaute zu, wie Aman seine Sicuti an den Beinen mit Sand bewarf, woraufhin sie ihn schubste. Dabei lag nichts als Freude in ihrem Antlitz.

Und Aman. Die Schatten waren aus seinem Blick gewichen. Ein kleines Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

Aman.

Acco konnte nicht verhindern, dass ein Winseln aus seiner Kehle drang. Aman lebte. Aman war hier, bei bester Gesundheit und scherzte mit seiner Brestern.

Bei Seth …

Zeit.

Lilith hatte ihn zurück gebracht, zu dem Zeitpunkt, an dem sie die grausame Zukunft noch abwenden konnten, damit … seine Geistreden gerieten ins Stocken. Bei den Göttern!

„Aman!“, rief er, als ihm der Umfang seiner Geistreden klar wurde und rannte auf seinen Leiter zu.

Zeit. Das Schlüsselwort war Zeit.

Und sie durften nichts davon verschwenden.

 

°°°°°

Kapitel Eins

 

Kaum dass ich an diesem Morgen in den Saal der Speisen trat, verstummten die Gespräche um mich herum und alle Blicke richteten sich auf mich. Doch nur für einen kurzen Moment, dann brachen die Bewohner des Tempels in leises Tuscheln aus.

Als wenn das verbergen könnte, dass sie über mich sprachen. Wären ihre Blicke nicht schon eindeutig, dann zumindest die Finger, mit denen immer wieder unauffällig auf mich gezeigt wurde.

Seufzend öffnete ich die Tür ein wenig weiter und wartete bis auch Sian hindurch war. Daran würde ich mich wohl gewöhnen müssen.

Alle im Tempel wussten was gestern geschehen war. Selbst jene die nicht im Theatrum anwesend waren, hatten bereits mitbekommen wie ich während des Festmahls aufgesprungen war und verlangte die Krieger in den Wald zu schicken, um ein Unglück von ungeahntem Ausmaß zu verhindern.

Nein, eigentlich war es gar nicht ungeahnt gewesen, denn ich hatte genau gewusst, was hätte geschehen könnte – was bereits geschehen war. Doch nun war ich zurückgekehrt um alles ungeschehen zu machen. Und es war mir gelungen.

„Sie starren uns alle an.“ Sians Blick glitt wachsam von einem Ailuranthropen zum anderen. Meinem zweijährigen Sermo war das unheimlich. So viel Aufmerksamkeit … das kannte er nicht.

Ich bückte mich nach ihm und hob ihn auf meinen Arm. „Sie sind neugierig.“ Nicht nur auf die Auserwählte die aus dem Nichts zwischen ihnen erschien war, sondern auch auf den Lehrling der das größte Unglück aller Zeiten verhindert hatte – nicht das einer von auch nur ansatzweise ahnte was hätte geschehen können.

Während ich versuchte die Blicke und das Flüstern zu ignorieren, bahnte ich mir einen Weg zwischen Sitzkissen und Tischen, bis ich in der hintersten Ecke ankam – der Stammplatz von meinen Amicus und mir. Bis auf eine große Platte voller Obst, Gemüse und Fleischhäppchen war der Tisch noch verwaist. Das war mir ganz recht so, denn ich wusste genau was geschehen würde sobald die anderen dazu kämen: Fragen. Seit ich gestern im Theatrum aufgesprungen war, hatte jeder Fragen an mich. Doch niemand konnte mir die meine beantworten. Warum erinnerte Aman sich nicht an mich? Allein die Erinnerung an den gestrigen Abend, ließ den kleinen eisernen Ring um mein Herz ein wenig fester werden.

„Ich habe sie noch nie in meinem Leben gesehen.“

Ich ließ so hastig von ihm ab, als sei er plötzlich heiß wie die Sonnensteine. Unglaube lag in meinem Blick. Was er da behauptete … wie konnte er nur? „Warum sagst du so etwas?“ Versuchte er mich zu verleugnen? Nach allem was wir geteilt hatten? Nachdem was ich durchmachen musste? Jetzt, wo er endlich wieder vor mir stand? Warum?

Vinea schaute von mir zu ihrem Brestern, der mich nur stirnrunzelnd betrachtete. Und sein Blick … warum nur schaute er mich an wie eine Fremde?

„Aman, du …“

„Woher kennst du meinen Namen?“

Diese kleine Frage ließ einen eisernen Ring um mein Herz entstehen. Nur fünf kleine Worte und sie drohten mir den Boden unter meinen Füßen zu entreißen, während tausende von Fragen durch meinen Kopf sausten. „Du … du musst doch wissen wer ich bin, ich … du …“ Heillos, würdest du mal aufhören zu stottern? Dann würde er dich vielleicht auch nicht ansehen, als seist du geisteskrank. „Wenn du dich nicht erinnern kannst, warum bist du dann hier?“ Na bitte, war doch gar nicht so schwer gewesen. Aber viel wichtiger war eigentlich die Frage, warum er sich nicht erinnern konnte. Genau wie all die anderen. Niemand erinnerte sich an das was geschehen war – oder besser gesagt, an das was geschehen würde. Doch das Aman mich vergessen hatte, schmerzte am meisten. 

Sein Gesicht, das leicht spitze Kind und die krumme Nase, sie waren mir so vertraut. Ich hatte meine Hände in seinem bunten Haar gehabt, hatte sie über dem Bartschatten in seinem Gesicht und über den schlanken, sehnigen Körper wandern lassen. Und diese dunklen, fast schwarzen Augen … sie waren mir ins Land der Götter gefolgt – so oft. „Warum bist du hier?“, fragte ich erneut. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Wie bei unserer ersten Begegnung tauchte diese kleine Falte in seinem Gesicht auf. „Mein Geleit hat mir gesagt, dass wir hier gebraucht werden.“

„Acco“, entfuhr es mir. Mein Blick schweifte umher, bis ich ihn neben einem anderen Wildhundsermo fand. Sein Blick ruhte mit einer Ernsthaftigkeit auf mir, die so selten bei ihm war. „Du weißt …“

„Ja“, sagte er, ohne dass ich meine Worte beenden musste und trat einen Schritt auf mich zu. „Ich erinnere mich, aber wie es scheint bin ich der einzige.“ Sein Blick glitt hinauf zu Aman und Vinea. „Sie wissen nicht, was geschehen ist.“

„Warum nicht?“, fragte ich ihn, ohne wirklich eine Antwort von ihm zu erwarten und wandte mich Aman und seiner Schwester zu. „Warum könnt ihr euch nicht erinnern? Vinea? Du musst doch noch wissen, wie John dich geheilt hat, oder wie du Janinas Baby auf die Welt gebracht hast.“

Sie schien eher überrascht darüber, dass ich ihren Namen wusste, als über meine anderen Worte.

Mein Blick richtete sich wieder auf Aman. „Und du, wie konntest du nur alles vergessen, wie …“ Meine Lippe begann zu beben. Warum brachte das Schicksal uns erneut zusammen und war dann so grausam zu mir? „Deine Worte, deine … wie hast du das alles vergessen können?“

„Ich denke“, sagte Acco dann und neigte leicht den Kopf, „dass er und auch die anderen sich nicht erinnern können, weil es noch nicht geschehen ist.“ Etwas Mitleidiges lag in seinem Blick. Er wusste um das, was zwischen mir und Aman passiert war, oder passieren würde – Göttin war das kompliziert – und kannte auch meine Wahrheit, die Wahrheit die ich Aman nicht mehr hatte mitteilen können.

Er war mein Herz.

Nein, er war mehr als das. Wir waren Finis, von den Göttern füreinander bestimmt. Doch im Moment waren wir Fremde.

Diese Geistrede ließ mich schlucken. „Und warum können wir uns dann erinnern?“, wollte ich von Acco wissen und sah zu meinen Amicus Anima und Gillette, die mit den Priestern des Tempels der Bastet schweigend unseren Worten lauschten. „Warum wir, und nicht sie?“

„Ich weiß nicht.“ Der Sermo runzelte angestrengt die Stirn. „Wir waren die einzigen, die mit dem Tigerauge durch das Portal gestiegen sind, die anderen waren bereits vergangen. Vielleicht ist das der Grund.“

Was? Nein, nein, das durfte nicht sein. Wie konnten die Götter mir das antun? Meine Augen flogen wieder zu Aman, doch in seinem Blick lag kein Wiedererkennen. Er hatte mich vergessen. Er … nein, er hatte mich nicht vergessen. Hier, genau in diesem Moment kannten wir uns noch gar nicht. Heute war der Schöpfertag und vorher waren wir uns nie begegnet. Er konnte sich gar nicht an mich erinnern, denn die Vergangenheit, die für mich so real war wie sein jetziges Antlitz vor mir, existierte weder für ihn, noch für einen anderen hier im Tigersaal.  „Und die Erdlinge?“, fragte ich leise. „Erinnern sie sich?“ Oder hatten auch sie alles vergessen?

Acco schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“

Ich biss mir auf die Lippe. Oh Göttin, das durfte nicht sein. Warum wurde mir nur diese Last aufgebürdet? Ich verstand es nicht.

Wieder glitt mein Blick zu Aman. Er wusste nicht wer ich war, kannte nicht mal meinen Namen, hatte keine Ahnung von dem was er mit mir getan hatte, in welche Verwirrung mich sein Verhalten die letzten Tage unseres Zusammenseins gestürzt hatten. Wie auch? Es war zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht geschehen. „Also warst du es, der sie hergebracht hat“, fasste ich zusammen und konnte nicht verhindern, dass die Enttäuschung in meiner Stimme mitschwang.

Acco nickte. „Als ich merkte, dass ich zurück bin und die anderen nicht mehr wussten, was geschehen war, habe ich sie dazu angehalten herzukommen.“ Er sah zum Tigerauge und dann zu den Priestern. „Ich war mir nicht sicher, ob es hier jemanden gab, der sich erinnerte und ich wollte nicht, dass es noch einmal geschieht.“

Er wollte seinen Leiter kein zweites Mal verlieren. Ich verstand ihn, denn nicht nur ich hatte unter dem Verlust dieses Mannes gelitten.

Und obwohl er nun wieder unter uns wandelte, war mein Leid nicht beendet. Aman wusste nicht wer ich war, hatte bis gestern nicht einmal geahnt, dass ich existierte. Für ihn war ich nur irgendein Lehrling der Bastet. Ohne Bedeutung. Ein Niemand. Uninteressant.

Ich drückte die Lippen zu einem festen Strich zusammen. Ich hatte es geschafft. Ich war nicht nur aus den Fängen von General Silvano Winston entkommen, ich hatte auch alles ungeschehen machen können und den Ailuranthropen rechtzeitig eine Warnung zukommen lassen um das böse Omen, das wie ein Schatten über dem Tempel lag zu vernichten. Ich hatte alle gerettet. Meine Familie, meine Amicus. Jeden Ailuranthropen auf Silthrim. Und doch stand ich nun hier, beseelt von einer einzigen Geistrede: Er hat mich vergessen.

„Lilith, ich hab Hunger.“

Ich senkte meinen Blick auf Sian, der etwas verloren in meinen Armen hing. Eigentlich war er bereits viel zu groß, um sich von mir durch die Gegend tragen zu lassen. Doch seit ich ihn gestern wiedergesehen hatte, konnte ich einfach nicht anders, als ihn immerzu bei mir zu behalten.

Auf leisen Pfoten schlich ein kleiner Schneeleopard durch den Saal und versteckte sich halb hinter mir, während ich noch versuchte meine Geistreden zu ordnen und meine Enttäuschung einfach runter zu schlucken. Aman erinnert sich nicht an mich.

Acco bemerkte den jungen Sermo und musterte ihn interessiert. „Hey, ist das nicht dein Sian? So wirkt der gar nicht mehr so furchteinflößend, eher niedlich.“

Mein kleiner Schneeleopard warf mir einen fragenden Blick zu, als ich Acco ins Ohr Kniff.

„A-ua!“, protestierte er, schüttelte den Kopf aus und trat schnell aus meiner Reichweite. „Das hat wehgetan.“

„Dann sprich nicht so!“ Nicht vor Sian, meinem zweijährigen Sermo. Er wusste nicht was die Zukunft für ihn bereit hielt und ich wollte nicht, dass er es erfuhr. Es war einfach zu schrecklich. Hier, genau in diesem Augenblick, war es noch nicht geschehen, er war nicht Pravum und er würde es auch niemals werden. Ich würde es zu verhindern wissen.

Aman trat einen drohenden Schritt auf  mich zu. „Leg nicht noch einmal Hand an mein Geleit.“

„Dann bring du ihm endlich Manieren bei, bevor er sich noch einmal um Kopf und Kragen redet!“

Wir funkelten uns gegenseitig an, bis Priesterin Tia die aufkeimende Stille durch ein Räuspern unterbrach. Ihre schwarze Robe, mit dem Zeichen unserer Göttin auf der Brust, streifte über den Boden, als sie zu uns schritt. „Ich weiß nicht genau, was ich von all dem halten soll, doch nun möchte ich darum bitten mir zu erklären, was hier vor sich geht und wie ihr wissen könnt, dass wir von Sachmets Volk angegriffen werden.“

„Lilith?“

„Entschuldige.“ Ich ließ Sian herunter und setzte mich auf eines der Sitzkissen. Im Gegensatz zu meinem Sermo hatte ich kein Hunger. So viel war geschehen. Ich hatte Priesterin Tia von der Wahrheit in meinen Worten überzeugen können. Sie hatte die Krieger hinaus in den Wald geschickt. Ich wusste nicht genau was dort geschehen war, denn ich war mit den anderen Lehrlingen fortgeschickt worden, während sie den Tempel vereidigten. Es gab Verletzte, doch wir hatten gesiegt und Sachmets Brut würde es sich das nächste Mal zweimal überlegen, ob sie sich wirklich auf den Weg zu uns machen wollen.

In den Frühen Morgenstunden waren die Krieger zu uns gekommen und hatten uns zurück in den Tempel gebracht. Doch die Stunden des Wartens hatten an meinen Nerven gezerrt. Die Blicke, das Getuschel, die Fragen. Ich hatte sie alle ignoriert. Ich war einfach nicht in der Lage gewesen, irgendetwas preis zu geben, bevor ich nicht wusste, dass mein Plan funktionierte.

„Nun gut.“ Priesterin Tia warf mich noch einen letzten zweifelnden Blick zu, dann wandte sie dich ihr zu. „Die Krieger sollen den Wald durchsuchen und sich Sachmets Volk entgegen stellen. Bringt die Lehrlinge in den Tigersaal. Ich werde das Portal öffnen und …“

„Nein!“, unterbrach ich sie beinahe panisch. „Das dürft ihr auf keinen Fall tun!“ Denn so hatte alles begonnen und könnte erneut beginnen.

Priesterin Tia runzelte wieder die Stirn. „Aber wir müssen die Bewohner in Sicherheit bringen und dies ist der schnellste Weg.“

„Nein“, wiederholte ich. „Das Portal darf nicht genutzt werden. Am Besten sprecht ihr sogar ein Verbot aus. Niemand darf in diesen Saal betreten, nicht mehr bis wir Sachmets Brut zurückgeschlagen haben.“

Magister Damonda zweifelte. „Das ist albern. Am besten …“

Mit einer erhobenen Hand brachte Priesterin Tia sie zum Verstummen. Ihr Blick war ernst. „Dann sag mir Lilith, was sollen wir sonst tun?“

Ich sollte das entscheiden?! Oh Göttin, nein. Nein, dass konnten sie nicht von mir verlangen, diese Verantwortung wollte ich nicht. Was wenn ich mich falsch entschied?

Alle Blicke waren auf mich gerichtet, doch ich wusste nicht was ich sagen sollte.

„Lilith.“ Acco trat neben mich. „Wir haben keine Zeit mehr.“

Nein, hatten wir nicht. Aber … was sollte ich sagen? Die Geschichte … so wie sie geschehen war, dürfte sie sich nicht wiederholen. Ich musste etwas tun ich … der Ausgangspunkt. Ich musste alles von vorne herein ändern, dann würde es gar nicht erst in diese ausweglose Situation kommen, die nichts als Schrecken nach sich ziehen würde.

Aber wie sollte ich das machen? Mein Blick glitt von einem Gesicht zum andren. Anima, Gillette, Vinea.

Aman.

Zum Schluss fiel er auf das Tigerauge, der wertvollste Schatz meines Volkes. „Es muss alles anders sein“, flüsterte ich.

Wartende Blicke lagen auf mir.

„Die Krieger sollen hinaus ziehen“, entschied ich dann und hoffte dass es richtig sein würde. „Am besten wäre ein Hinterhalt, mit dem wir sie überraschen. Niemand darf den Tigersaal betreten, das Portal muss geschlossen bleiben und das Tigerauge …“

„Ich wiederspreche dir ja sehr ungern“, wiedersprach Magister Damonda mir, „aber der Tigersaal ist der sicherste Ort auf dem ganzen Gelände. Das Portal …“

„Wir werden gefangen sein!“, unterbrach ich sie. Warum nur wollte sie nicht verstehen? Weil ich nur Lilith war, einer der schlechtesten Lehrlinge auf dem ganzen Gelände. Aber nein, diese Geistrede würde mich nun nicht von dem abhalten was ich tun musste. Dafür hatte ich in den letzten Wochen zu viel mitmachen müssen. „Macht was ich sage. Das Portal wird sonst beschädigt werden und die Folgen wären entsetzlich. Niemand darf in den Saal. Die Bewohner müssen nach Süden gehen, weg vom Gelände. Und das Tigerauge, es darf nicht hier bleiben.“ Es durfte kein zweites Mal verloren gehen.

Magister Damonda schnaubte, doch Priesterin Tia nickte. „In Ordnung, wir werden es genauso machen wie du es gesagt hast. Anima, du wirst das Tigerauge verwahren und …“

„Nein!“, unterbrach ich sie wieder. Nichts durfte sein wie beim letzten Mal. Anima durfte nicht einmal in die Nähe des Tigerauges kommen.

„Gut, dann … wem sollen wir es dann anvertrauen?“

Ja, wem? Es musste jemand sein, bei dem die Magier und Hexen es niemals vermuten würden, jemand der unwürdig war es in den Händen zu halten und jemand der trotzdem unser Vertrauen genoss – oder wenigstens meines. Mein Blick viel auf Acco. „Gillette“, sagte ich hastig und bückte mich zu Sian hinunter. „Der Beutel an deinem Gürtel, gib ihn mir.“

Auch wenn er nicht verstand, folgte er sofort meinen Worten, während ich das silberne Halsband um Sians Hals löste. „Du bekommst es wieder“, versprach ich ihm und griff nach dem Beutel, den Gillette mir bereits hinhielt.

Mit beidem in der Hand eilte ich zu dem Sockel, auf dem die Macht unserer Göttin thronte. Eingeschlossen in einem Stein, auf das ihre Kraft dem Volk auf immer erhalten blieb. Ein Tigerauge, dessen sanftes Leuchten einen schwachen Schein abgab.

Ohne zu zögern griff ich den Stein und steckte ihn in den Beutel. Dann verschnürte ich das ganze fest und band es an das Halsband. Ich warf einen Blick zu den Priestern und den drei Dutzend Kriegern der Lykanthropen. Dann eilte ich zu Acco und fiel vor ihm auf die Knie.

„Was tust du da?“, fragte Magister Damonda beinahe entsetzt, als ich Acco das Halsband mit dem Stein anlegte. „Er ist ein …“

„Er hat mein Vertrauen“, unterbrach ich sie. „Acco besitzt nicht nur Ehre, er ist mein Amicus.“

„Er gehört zu den Seth‘ Volk!“

Unruhe machte sich im Saal breit, doch ich ließ mich nicht beirren und verschloss das Halsband in seinem Nacken. „Geh“, flüsterte ich. „Bring es von hier fort und bring es heil zurück.“

Er schaute zu seinem Leiter auf, der das Ganze mit einem tiefen Stirnrunzeln beobachtete, nickte dann aber und stupste mir gegen die Wange. „Ich werde nicht zulassen, dass sich das Geschehene noch einmal wiederholte.“

„Vergelts.“

„Nein!“ Magister Damonda zog ihr Schwert und richtete es auf den Sermo.

Das war genug Anlass für Aman seinen Bogen von der Schulter zu reißen und einen gespannten Pfeil auf die Kriegerin zu richten.

„Hört auf!“ Ich fuhr auf. „Acco wird das Tigerauge zurück bringen. Ihr müsst mir vertrauen.“

„Aber es ist schwer.“ Priesterin Tia schüttelte unwillig den Kopf. „Was wenn er es in Seth‘ Tempel bringt?“

„Das wird er nicht tun. Bitte, so glaubt mir. Niemand aus Sachmets Volk würde vermuten, dass ein Sermo der Lykanthropen unsere Macht bei sich hat. Und im Notfall ist er stark genug, um sie zu verteidigen. Wir müssen sie wegbringen, bevor es zu spät ist.“

Keiner im Saal bewegte sich oder wusste so recht was er von meinem Plan halten sollte. Weder die Lykanthropen, noch die Ailuranthropen. Es war gegen alles, was uns beigebracht wurde.

„Bitte, lasst ihn ziehen und brecht auf.“

Ich sah ihren Widerwillen, konnte ihn geradezu spüren. Doch dann seufzte Priesterin Tia geschlagen. „Ich hoffe dein Vertrauen ist gerechtfertigt“, sagte sie und klatschte in die Hände. „Es wird genauso gemacht wie Lilith es uns gesagt hat. Anima, Gillette, geht ins Theatrum und bringt die Bewohner vom Gelände. Krieger, hinaus in den Wald und Sermo Acco …“ – sie wandte sich ihm zu – „… merke dir gut: Die Macht der Bastet ist unser Eigentum. Solltest du nicht mit ihr zurückkommen, wird das schwere Folgen für dein Volk haben. Wir werden kommen und wir werden auf niemanden Rücksicht nehmen.“

Ein paar der Lykaner und ihrer Sermos knurrten angesichts dieser Drohung. Aman war nicht darunter. Er beobachtete nur Schweigend und versuchte sich einen Reim auf diese Situation zu machen.

Acco trat ihr erhobenen Haupts entgegen. „Das Vertrauen eines Ailuranthropen zu gewinnen ist eines der schwersten Dinge dieser Welt, doch ich habe es geschafft.“ Er sah ihr fest in die Augen. „Ich werde dieses Vertrauen nicht missbrauchen.“

„Nun gut, so sei es. Lasst den Sermo ziehen. Krieger, hinaus in den Wald. Damonda, stell ein paar Leute ab, die den Tempel durchkämmen, um auch wirklich jeden vom Gelände zu bekommen.“

Es war geglückt, mein Plan hatte funktioniert. Die Krieger waren hinausgezogen und siegreich zurückgekommen. Nur Acco … soweit ich wusste, war er noch immer nicht zurückgekehrt. Aus diesem Grund befanden sich dir Lykanthropen auch noch im Tempel. Die Krieger der Bastet ließen sie nicht ziehen. Sie würden bleiben, bis das Tigerauge wieder sicher in unserer Verwahrung war. Und damit befand sich auch noch Aman auf dem Gelände.

Wieder zerrte der eiserne Ring an meinem Herz. 

Ich hab sie noch nie in meinem Leben gesehen.

Warum? Warum taten mir dir Götter das an? Ich hatte doch alles getan, was sie verlangt hatten. Das war einfach nicht …

Eine Hand die plötzlich vor meinem Gesicht rumwedelte, ließ mich mit dem Kopf zurück zucken. Ich sah auf und damit direkt in Jarons lächelndes Gesicht.

„Wo bist du nur mit deinen Geistreden?“ Er ließ sich neben mir auf Sitzkissen sinken, setzte Mochica, sein Sermobaby, auf seinen Schoß und griff nach dem Obst auf dem silbernen Tablett. Dabei bemerkte er, wie ich ihn beobachtete, aber nicht wie ich ein Stück von ihm abrückte. „Warum starrst du mich so an?“

Weil ich nicht anders konnte. Ich sah dieses Gesicht, sah die Wildheit auf seiner Haut. Jaron, ein Ailuranthrop der so ganz anders war, als all die anderen Bewohner im Tempel. Etwas Besonderes, etwas seltenes. Aber ich sah auch was aus ihm werden würde, hörte seine Worte, die Erniedrigung, seine Falschheit dessen was mir wiederfahren war.

Aber vor allen Dingen sah ich wie er seinen Bogen hob und einen Pfeil von der Sehne schnellen ließ. Einen Pfeil, der einen Augenblick später in Sians Brust gesteckt hatte.

Er neigte den Kopf leicht zur Seite, während er versuchte Mochica davon abzuhalten auf den Tisch zu klettern. „Lilith?“

Keine Reue. Jaron hatte keine Reue gekannt. Alles war er gewollt hatte, war sein Ziel zu erreichen. Rücksichtslos.

„Ähm … hab ich …“

„Komm mir nicht mehr zu nahe.“

Etwas verdutzt blinzelte er. „Wie meinst du das?“

„Genauso wie ich es gesagt habe.“ Ich stand auf und hob Sian auf meinen Arm. Ich würde ihm später etwas zum Fressen besorgen. Jetzt musste ich ihn erstmal von Jaron fort bringen. „Bleib mir fern und wage dich niemals in Sians Nähe, sonst wirst du es bereuen.“

„Ich werde es bereuen?“ Nun war es ihm gleich, ob Mochica auf den Tisch kletterte. Er schaute mich nur an, als sei ich von allen guten Geistern verlassen worden. „Warum sagst du das?“

„Weil ich weiß wie du einmal sein wirst.“ Ich drückte Sian fester an mich. Ja, vielleicht war es nicht gerecht, aber bei seinen Anblick war diese Angst gekommen. Ich hatte gesehen wozu er fähig war. Ich hatte es gespürt. Und auch wenn alle anderen vergessen hatten, was hätte sein können, so konnte ich mich an jede Einzelhit meiner Vergangenheit erinnern.

Stirnrunzelnd schaute Jaron zu mir auf. „Ich verstehe nicht.“

„Noch nicht, aber das wirst du.“ Ich wollte an ihm vorbei gehen, doch bevor ich auch nur einen Schritt getan hatte, sprang er auf und stellte sich mir in den Weg.

Mochica nutzte die Gunst der Stunde und kletterte nicht nur auf den Tisch, sondern setzte sich sofort mitten in die Essensplatte und begann hastig das Frühstück zu verschlingen. Dabei ließ sie ihren Leiter nicht aus dem Blick.

„Lass mich durch“, verlangte ich von Jaron.

„Nein, erstmal erklärst du mir, warum du mich plötzlich von dir stößt.“ Er strich sich übers Kinn. „Ich habe nichts getan.“

„Nein, noch nicht, aber das wirst du. Und ich werde nicht zulassen, dass die Geschichte sich wiederholt.“ Nichts davon. Aber besonders nicht dieser Teil.

Sein Blick glitt zu meinem Bein. Dort, tief in die Haut gegraben, bildete sich das Zeichen meiner Göttin ab und machte mich zu dem, was ich nun war: eine Auserwählte. „Du kannst mich doch nicht für etwas bestrafen, was ich noch gar nicht getan habe.“

„Ich bestrafe dich nicht, ich schütze nur was mir wichtig ist.“

Diese Worte hatten ihn verletzt. Ich sah es in seinen Augen. Noch hatte er nicht gelernt, seine Gefühle hinter einer eiskalten Mauer zu verbergen. „Ich geistredete immer, ich sei dir wichtig.“ Diese Worte kamen sehr leise über seine Lippen.

„Du bist nur Gillettes kleiner Brestern.“ Ich wollte ihm keinen Schmerz zufügen, doch ich konnte auch nicht zulassen, dass er sich in meiner Gegenwart aufhielt. Die Geschichte durfte sich nicht wiederholen – nichts davon. Ich musste alles von Grund auf ändern. Ich würde schützen was ich liebte.

Jaron schnaubte. Er verschränkte die Arme vor der Brust, schaute von mir zu Sian und schnaubte noch einmal. Er versuchte auf mich herab zu sehen, doch der Schmerz in seinen Augen strafte diesen Versuch lügen. „Also bist du dir als Auserwählte plötzlich zu fein für das Fußvolk.“

„Das hat damit nichts zu tun. Und nun tritt zur Seite, ich möchte gehen.“

„Oh, Befehle wie eine Große kannst du also auch schon geben. Sag mir Lilith, musstest du das vorm Spiegel üben, oder fällt einem das in den Schoß, wenn man plötzlich zu etwas Höherem bestimmt ist?“

„Lass den Unsinn.“

„Ich soll den Unsinn lassen?“ Er lachte auf. Dieses Geräusch hatte nichts Fröhliches an sich. „Du sagst mir aus heiterem Himmel, dass ich mich von dir fernhalten soll, gibst mir nicht mal eine Erklärung dafür und sagst mir dann auch noch, dass ich den Unsinn lassen soll?“

Ein paar Lehrlinge der umliegenden Tische wurden auf uns aufmerksam. Ihre neugierigen Blicke klebten geradezu an uns.

„Nenn mir wenigstens einen Grund.“

Ich drückte die Lippen aufeinander.

„Warum schweigst du? Gibt es vielleicht gar keinen Grund?“

„Doch, den gibt es.“

„Warum sagst du ihn dann nicht?“

Mein Blick huschte zu Sian. Natürlich bemerkte Jaron das. Er runzelte die Stirn, sah wie ich den Kleinen fester an mich drückte und einen Schritt vor ihm zurück wich.

„Wegen Sian?“ Seine Stirn legte sich in Falten. „Ich verstehe nicht.“

„Tritt zur Seite Jaron.“

„Nein, nicht bevor du mir gesagt hast, was plötzlich mit dir los ist!“, fauchte er mich an.

„Ich werde es dir aber nicht sagen!“

„Warum?!“

Weil ich ihn nicht noch mehr verletzten wollte. Weil ich das Geschehene einfach vergessen wollte. Weil ich nicht wusste, wie er darauf reagieren würde.

„Sag es mir!“ Als ich weiterhin schwieg, griff er grob nach meinem Arm.

„Au! Lass m ich sofort los!“

„Nicht bevor du mir sagst …“

„Was ist denn mit euch los?“

Jaron und ich drehten gleichzeitig den Kopf und schauten zu Anima, die verwirrt zwischen und hin und her blickte. Gillette war bei ihr und beugte sich gerade vor, um Mochica aus dem Essen zu heben. Das gefiel der Kleinen nicht. Sie versuchte noch zur Seite zu weichen, da hatte er sie aber auch schon gepackt und schüttelte die Essenreste aus ihrem Fell.

„Das wüsste ich auch gerne!“, sagte Jaron und ließ mich los. „Sie sagt ich soll mich von ihr fern halten und will mir nicht mal einen Grund nennen!“

Verwirrung machte sich bei Anima breit. „Er soll sich von dir fernhalten? Warum?“

„Ich habe meine Gründe.“ Und auch unter den vorwurfsvollen Blicken würde ich nicht nachgeben.

„Aber …“ Anima schaute zu Gillette, doch auch er konnte ihr nicht helfen. „Das verstehe ich nicht. Hat das etwas mit deiner Reise zu tun?“

Reise. Fast hätte ich geschnaubt. „Was ich hinter mir habe ist vieles, aber sicher keine einfache Reise.“

Sie runzelte die Stirn. Ich konnte ihr die Frage vom Gesicht ablesen. Die gleiche Frage, die auch alle anderen hatten. Was war geschehen? Woher hatte ich mein Wissen?

Sie hatte sie mir gestern bereits mehr als einmal gestellt, doch ich war noch immer nicht beriet darauf zu antworten. Wie sollte ich das auch? Ich konnte ihr nicht sagen, dass ihr Geist wirr wurde, weil Gillette gestorben war. Wie sollte ich ihr erklären, dass sie sich daraufhin einem anderen Mann zugewandt hatte? Wenn auch nur platonisch. Gillette war ihr Herz und Pascal ein Natis von Sachmet.

Nein, ich konnte es ihr nicht sagen. Es war so viel geschehen. Ich wollte nur vergessen. Was geschehen war, gehörte nicht in die Gegenwart, nicht solange ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte.

„Lilith.“ Anima seufzte, wusste aber offensichtlich auch nicht, was sie sagen sollte.

Gillette zupfte währenddessen die Essenreste aus dem Fell eines zappelnden Leopardenbabys und klemmte sie sich dann unter den Arm. „Du kannst uns nicht vergeistreden, dass wir wissen wollen was geschehen ist. Besonders nicht, wenn du nur immer das nötigste Preis gibst – wenn überhaupt.“

„Das hat seinen Grund.“

Er schüttelte den Kopf. „Das mag sein, aber du wirst nun trotzdem Antworten geben müssen.“

Ich drückte die Lippen aufeinander.

„Nicht ihm“, sagte Anima da. „Den Oberhäuptern. Priesterin Tia hat mich geschickt dich zu holen. Der Sermo ist gerade zurückgekehrt.“

„Acco?“

Sie nickte. „Sie warten auf dich.“

Natürlich. Bisher hatte ich mich um ein näheres Gespräch drücken können und das auch nur, weil die Verteidigung des Tempels so viel wichtiger gewesen war. Doch nun war der erste Schrecken vorüber und wir wieder in Sicherheit. Eigentlich wunderte es mich, dass man mir so viel Zeit gegeben hatte. „Dann lasst uns gehen.“ Ich wollte an Jaron vorbei, doch er stellte sich mir wieder in den Weg.

„Erst beantwortest du meine Frage. Ich will es wissen.“

„Aber ich will es dir nicht sagen!“ Auch wenn ich ihn in meiner Gegenwart nicht länger ertragen könnte, ohne ständig vor Augen zu haben, wie er seinen Pfeil auf Sian abschoss, so wollte ich ihn auch nicht verletzten.

„Das ist mir egal! Zur Sachmet, Lilith, sag es mir!“

Ich schüttelte den Kopf.

„Lilith!“

„Nein. Glaub mir, du willst es nicht wissen.“

„Doch, ich will es wissen!“

Anima musterte mich und irgendwie schien sie zu spüren, dass Schweigen in dieser Situation besser war. „Jaron, vielleicht solltest du die Sache einfach auf sich beruhen lassen. Lilith wird schon wissen, warum …“

„Nein, ich werde nichts auf sich beruhen lassen! Ich will es wissen.“ Er funkelte mich an. „Bevor ich es nicht weiß, werde ich dich nicht durchlassen.“

Das konnte nicht funktionieren. Er wusste das genauso gut wie ich. Spätestens wenn die Krieger oder die Priester hier auftauchten, würde er mich gehen lassen müssen. Doch dann trat er einen Schritt auf mich zu, was mich zurückweichen ließ. Ich drehte mich sogar so, dass Sian weiter von ihm entfernt war.

Er kniff die Augen leicht zusammen, musterte meinen kleinen Sermo, der nur verwirrt zu mir aufsehen konnte. „Warum soll ich ihm nicht zu nahe kommen?“

Ich wusste nicht warum sich mein Mund öffnete. Vielleicht einfach nur, weil ich dieser Situation entfliehen wollte. „Weil du es warst, der ihn getötet hat.“

 

°°°°°

Kapitel Zwei

Sobald ich einen Fuß in die Kammer der Synode setzte, sah ich ihn.

Aman.

Unnahbar, verschlossen. Im Herzen der Fremden.

Ich habe sie noch nie in meinem Leben gesehen.

Meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen und er eiserne Ring um mein Herz wurde wieder ein wenig fester. Er hatte mich wirklich vergessen. Was wir geteilt hatten, was uns wiederfahren war. Alles war weg. Noch vor Wochen wäre sein Blick sofort auf mich gefallen, kaum dass ich den Raum betreten hatte, doch nun schaute er auf die Tischplatte, während er den Worten von Priesterin Tia lauschte. Er bemerkte meine Anwesenheit nicht einmal. Ich war für ihn eine … Fremde.

Es schmerzte.

„Komm Lilith.“ Priester Ausar legte mir eine Hand auf den Rücken und schob mich in den Raum, dessen Wände mit verschachtelten Regalen zugestellte waren. Nur in der Mitte war für den großen runden Tisch Platz gelassen worden, um den sich außer Aman noch zwei weitere Krieger der Lykanthropen tummelten. Wahrscheinlich obere Krieger. Vinea befand sich nicht unter ihnen. Dann war noch eine Hand voll Priester anwesend, Magister Damonda und fünf weitere Krieger der Ailuranthropen.

Die Atmosphäre war … angespannt.

„Na los, geh schon.“

Der Druck in meinem Rücken ließ mich vorwärts schreiten. Anima und Gillette traten hinter dem Priester in den Raum, aber da Gillette nur der Schützer von Occino war, blieb er neben der Tür stehen, während Anima sich mit mir zusammen an den Tisch setzte.

Ich versuchte nicht zu Aman zu schauen, sondern mich auf die Priester und oberen Krieger zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht. Und als er seinen Blick dann auch noch hob und auf mich richtete, schlug mein Herz gleich ein kleinen bisschen schneller. Aber es war nicht der Blick mit der er mich sonst immer ansah.

Langsam begann der eiserne Ring mein Herz zu zerquetschen. Wie lange es wohl dauerte, bis es einfach in tausend Stücke zersprang? Oh Göttin.  

Ich zwang mich meinen Blick abzuwenden, drückte Sian fester an mich und schaute stattdessen auf die Tischmitte. Das silberne Halsband von meinem Sermo lag dort, genau wie der Beutel den Gillette mir gestern gegeben hatte. Doch Bastets Macht war nicht dabei.

„Ich habe das Tigerauge zurück in den Tigersaal bringen lassen“, erklärte Priesterin Tia, als wüsste sie genau, welche Geistreden durch meinen Kopf zogen. „Es ist unbeschädigt.“

„Daran habe ich nie gezweifelt.“ So wie die anderen im Raum schauten, stand ich mit meiner Meinung alleine da.

Meine Augen suchten Acco, der neben Aman auf dem Boden saß und gerade so auf die Tischplatte schauen konnte. „Außer mir ist er der einzige der weiß was geschehen ist. Ich wusste dass er nicht riskieren würde, dass sich die Geschichte wiederholt.“

„Und genau deswegen sitzen wir nun hier.“ Magister Damonda verschränkte die Hände auf dem Tisch und lehnte sich vor. „Wir haben einige Fragen die geklärt werden müssen.“

„Sie wollen wissen was geschehen ist.“ Natürlich wollten sie das.

Priesterin Tia schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Das du die Wahrheit sprichst, hat sich in den letzten Stunden mehr als einmal bewahrheitet, aber deine Erzählungen sind so wirr und lückenhaft, dass wir damit nichts anfangen können. Wir möchten verstehen was geschehen ist und wie es dazu kommen konnte. Wir möchten wissen, wie es sein kann, dass plötzlich eine Auserwählte zwischen uns auftauchen konnte. Deswegen möchte ich dich bitten dein Wissen mit uns zu teilen.“

„Ich verstehe.“ Ich atmete noch einmal tief durch und ließ meinen Blick dann von einem zum anderen wandern. Bei Aman verharrte ich einen Moment länger, doch als ich dann anfing zu sprechen, war mein Blick auf das silberne Halsband in der Tischmitte gerichtet. „Was geschehen ist, ist nicht so einfach zu erklären.“ Vom Verstehen ganz zu schweigen. „Es begann am Schöpfertag. Die Lehrlinge der Künste haben ihr Schauspiel aufgeführt. Das Mahl neigte sich dem Ende zu. Ich bin mit meinen Amicus nach draußen gegangen um dem Rennen beizuwohnen. Magister Damonda erklärte gerade die Regeln für den Lauf, als Sachmets Volk überraschend angriff. Sie warfen Zauber nach uns, zerstörten Häuser, sie …“

Ein toter Armentum. Ein Tiger. Er war nicht nur tot, er war auch … er war … er war nicht mehr vollständig. Und das Schlimmste war, dass ich wusste, wer es war. Nicht an ihm erkannte ich das, sondern an dem Ailuranthrop, der schützend über ihm kauerte, das Fell voller Blut, bereit, den toten Leib zu verteidigen.

Ich atmete tief ein. „Sie töteten. Da waren Schreie und Blut und … ich habe mich verwandelt und bin dann mit den anderen Lehrlingen in den Tigersaal geflohen, während die Krieger sich Sachmets Brut entgegenstellten. Priesterin Tia, sie haben eine Nachricht zu den Lykanthropen geschickt und um Hilfe gebeten. Und dann … ich weiß nicht mehr genau. Das Portal war geöffnet. Ein paar Lehrlinge sind bereits hindurchgestiegen, da begann der Tempel plötzlich zu beben.

Sachmets Natis haben die Wand weggesprengt. Steinbrocken flogen umher, einer traf mich an der Schulter und dann … und dann kamen sie.“ Ich erinnerte mich noch genau an den Augenblick, als die Magier und Hexen auf ihren fliegenden Pferden den Tigersaal gestürmt hatten. „In dem Moment erschienen die Lykanthropen. Ein Magier warf einen Zauber auf das Portal. Es ging alles so schnell. Ich weiß bis heute nicht was genau geschehen ist. Der Zauber hat das Portal irgendwie kaputt gemacht. Anstatt uns in Sicherheit zu bringen war der Saal plötzlich mit heftigen Winden erfüllt, die nach uns griffen. Sie packten jeden dem sie habhaft werden konnten und rissen ihn in das Portal.

Ich habe nicht genau gesehen was geschehen ist. Und dann entdeckte ich Aman. Acco war in die Winde geraten und sie drohten auch auf ihn über zu gehen. Ich hab einfach nur seine Hand genommen und versucht ihn rauszuziehen, aber der Zauber war zu stark.“ Langsam hob ich den Blick und richtete ihn auf Aman. „Ich hab wirklich versucht dich rauszuziehen, aber ich bin abgerutscht und wurde mit dir zusammen in das Portal gezerrt.“ Ich schaute ihm so intensiv in die Augen, dass alleine dadurch seine Erinnerung wiederkommen müsste, doch da war einfach keine Regung. Er hatte vergessen wie wir uns in die Augen gesehen hatten, bevor die Winde uns fortgerissen hatte. Er hatte vergessen was genau in diesem Moment zwischen uns geschehen war. Und dieses Wissen … es tat weh.

„Wo brachten die verzauberten Winde euch hin?“, wollte der Lykanthrop rechts neben Aman wissen. Ein Wolf mit einem sehr markanten Kinn.

„Zur Erde.“ Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf ihn.

Er runzelte die Stirn. „Erde?“

„Eine Parallelwelt, die nur über den Steg der Welten zu erreichen ist.“

Nach diesen Worten herrschte einen Augenblick ruhe. Dann schnaubte Magister Damonda. „Eine Parallelwelt? Das ist …“

„Die Wahrheit“, unterbrach ich sie, bevor sie mich der Lüge bezichtigen konnte. „Wäre es mir nicht wiederfahren, würde auch ich mich schwer damit tun die Wahrheit in diesen Worten zu entdecken, aber es ist so. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie die Priester nach den Schriften der Firenzia.“

Magister Damonda war Priesterin Tia einen zweifelnden Blick zu, doch diese nickte nur und lächelte mich an. „Fahr bitte fort. Was ist geschehen, nachdem das Portal euch mitgenommen hat.“

„Es tat weh.“ Oh ja, an diesen Schmerz erinnerte ich mich noch ganz genau. Ich war vorher noch nie mit dem Portal gereist, aber ich wusste, dass es nicht wehtun sollte. „Die Reiste durch das Portal. Es gibt keinen Steg dorthin. Jedenfalls gab es bei unserer ersten Reise zur Erde nicht und so wurden wir ohne Linie einfach durch die Winde gezerrt.“

„Erste Reise?“ Anima beugte sich leicht zu mir. „Du bist mehr als einmal dorthin gegangen?“

Ich nickte. „Ich musste. Das Tigerauge war dort.“

„Auf der Erde?“ Magister Damonda hatte die Augenbrauen überrascht hochgezogen. „Wie ist es dort hingekommen?“

„Der Kriegergeneral hat es gestohlen.“

„Wer ist …“ begann Priester Ausar, wurde aber durch Priesterin Tias erhobene Hand unterbrochen.

„Ich glaube wir sollten Lilith erstmal erzählen lassen, bevor wir Fragen stellen.“ Sie schaute von einem zum Anderen und richtete ihren Blick zum Schluss auf mich. „Fahr bitte fort Lilith, wir werden nun still sein.“

„In Ordnung.“ Noch einmal ließ ich meinen Blick zu Aman gleiten, konzentrierte mich dann aber auf die Oberhäupter meines Tempels, als ich ihnen erklärte, wie Aman, Acco und ich auf die Erde gestürzt waren. Ich berichtete ihnen von unserer Ankunft, vom Regen und dem kranken Geruch in der Luft. Und auch davon wie wir auf Luan und Janina gestoßen waren. Wir hatten Luan beinahe getötet, weil wir glaubten, dass er Janina entführt hatte, doch es war alles ganz anders gewesen. Es gab Wesen von Silthrim, die auf der Erde lebten. Eine kleine Familiengruppe von verschiedenen Stämmen. Vampir, Magier und Lykanthropen. Füchse um genau zu sein.

Bei diesem Teil der Geschichte hörten die Lykanthropen am Tisch genauer zu, denn Füchse waren seit Jahrtausenden ausgestorben – zumindest hier auf Silthrim.

Ich erklärte ihnen, dass Aman dagegen gewesen war sich mit den Erdlingen zu verbünden, wir aber keine andere Wahl hatten als ihnen zu folgen.

Die Zeit verstrich. Tage und Wochen des Erlebten wurden zu Minuten der Erzählung. Der Anruf, der uns auf Naarus Spur geführt hatte. Gläserne Pfeile. Nebka die Waise. John, der mir einen Schuss aus dem Arm geholt hatte. Der Kasten mit den Schwänzen. Gillettes Gefangennahme. Unser Aufbruch zum Tempel der Grünen Krieger. General Silvano Winston. Der gläserne Pfeil der mich fast tötete.

Immer wieder spürte ich die Fragen der anderen, aber sie blieben still. Keiner unterbrach mich, als ich erzählte, dass ich gestorben war. Niemand sagte etwas dazu, dass mich ein Heiler der Menschen zurück ins Leben geholt hatte. Und sie blieben auch stumm, als ich ihnen von dem schwarzen Netz auf meinem Bein berichtete.

An dieser Stelle warf ich Aman wieder einen Blick zu. Es war das erste Mal gewesen, dass er an mich herangetreten war und mir erklärt hatte, dass ich ihm gehörte.

An diesem Tag hatte ich mich noch dagegen gewehrt. Ich hatte nicht wahrhaben wollen, dass mir seine Berührungen gefielen. Und dank Acco hatte ich es auch nicht zugeben müssen – weder ihm gegenüber, noch mir selber.

Nichts davon sagte ich laut. Diese Geistreden blieben in meinem Kopf verborgen, auch wenn ich hoffte, dass Aman irgendeine Regung zeigen würde. Aber da war nichts. Überhaupt nichts. Auch nicht als ich erzählte, wie wir später zusammengesessen hatten um Gillette durch einen Zauber zu finden. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wie vehement er versucht hatte mich zum Bleiben zu bewegen, oder wie wütend er mich angestarrt hatte, als ich später mit John nach oben ins Haus gegangen war.

Ich wandte den Blick wieder ab und konzentrierte mich auf die Geschichte, berichtete ihnen von unserem Aufbruch in den Wald und wie wir Anima gefunden hatten. Asokan und Vinea. Der kritische Zustand von Amans Sicuti. Der Plan mit dem Heilerhaus. Ich verschwieg nicht einmal den Teil, wo Aman herausfand, dass Anima Occino war, was alle am Tisch sehr unruhig werden ließ. „Acco weiß es doch auch“, war meine schlichte Erklärung. Von ihm hätten die Lykanthropen es früher oder später eh erfahren. Außerdem war Animas wahre Natur einer der Bestandteile, für unsere Rückreise gewesen.

Was ich aber wieder verschwieg, war der Teil in dem Aman mir wieder an mich herangetreten war und ich ihm dieses Mal fast erlagen war.

Ich erzählte weiter von dem Tigerauge, dass Anima bei sich hatte und von unserem Aufbruch mit John um Vinea zu helfen. Vom Heilerhaus. Unsere List. Und den Geruch von Kaio.

Wir waren zurück in den Wald gegangen, hatten Pläne geschmiedet wie wir Gillette befreien konnten und waren auf die Geistrede gekommen, mit Pascals Hilfe selber ein Portal zu erschaffen.

Ich erzählte ihnen alles. Von dem Morgen, als Anima Bastets Zeichen an meinem Bein erblickte – eine Auserwählte, Ich. Von dem Vordingen in das Labor und Gillettes Tod. Von der Flucht und dem Übergang nach Silthrim. Von dem Verlust des Tigerauges. Acht Jahre. So viel Zeit war vergangen, so lange waren wir weg gewesen. Die Zeit dort verlief anders, als hier.

Acht Jahre ohne das Tigerauge. Die Ailuranthropen hatten kurz vor dem Aussterben gestanden. Der Tempel war zerstört und verlassen. Kek und Ravic hatten es uns erklärt. Jaron und Licco hatten uns gefunden.

Als ich begann von Parvum zu berichten, drückte ich Sian fester an mich. Eigentlich wollte ich nicht dass er es hörte, aber … ich konnte nicht noch mehr verschweigen.

Wir hatten uns auf den Weg zu den Höhlen der Elfen gemacht. Ich hatte für Sian eine Fährte gelegt und er war mir wirklich gefolgt. Jaron hatte das Zeichen an meinem Bein entdeckt und mich zu einer Coa machen wollen.

Das ließ mehr als einen verständnislos die Stirn runzeln.

Ich berichtete wie ich mich fortgeschlichen hatte um Sian zu suchen, wie Ravic krank geworden war – die gleiche Krankheit, die schon so viele Ailuranthropen dahingerafft hatte. Unfruchtbarkeit und Zerfall. Und wieder verschwieg ich, wie nahe Aman und ich uns gekommen waren. Aber nicht wie Jaron Sian getötet hatte.

Die Ankunft in den Höhlen. Animas gebrochener Geist. Pascal. Die Freude über die Auserwählte. Meine Aufgabe. Der Aufbruch zu den Elfen. Wie ich durch das Portal stieg, um das Tigerauge zurück zu holen.

„Dieses Mal ging es ganz leicht“, sagte ich leise und ließ meine Hand über Sians Fell wandern. Diese monotone Bewegung beruhigte mich. „Wir hatten schließlich ein Portal auf der Erde zurück gelassen und damit ein neues Ziel erschaffen, aber … es lief nicht so wie wir es uns erhofft hatten. Zwar hatten wir damit gerechnet, dass der Kriegergeneral auf der anderen Seite lauern würde, doch was uns dort erwartet hat …“ Ich biss mir auf die Lippen. So oft hatte ich diese Bilder der Vergangenheit bereits in meinem Kopf gesehen, doch der Schmerz den sie mit sich gebracht hatten, war niemals verblasst. So oft hatte ich diese Geschichte bereits erzählt, doch es wurde nicht einfacher.

Die Sekunden verstrichen, aber ich schaffte es nicht, dass erlebte in Worte zu fassen. Ich konnte nicht, wollte diese Erinnerungen einfach nur vergessen.

Langsam wurden die Anwesenden unruhig.

„Lilith“, sagte Priesterin Tia leise und wartete bis ich sie ansah. „Was hat euch auf der anderen Seite erwartet?“

Mein Mund ging auf, aber kein Ton kam heraus. Mein Blick glitt zu Aman und wieder sah ich die blutrote Blüte, die auf seiner Brust erblühen. Wieder sah ich, wie er einfach zusammensackte und sich nicht mehr bewegte.

„Der Tod“, sagte Acco dann leise uns zog damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah zu seinem Leiter auf. „Ich ging als erstes, dann kam Aman. Ich glaube wir haben sie erschreckt. Sie benutzten den Schuss – sie alle. Dann kam Lilith durch das Portal. Aman stieß sie zur Seite, um sie zu schützen. Ein anderer Schuss zerstörte das Portal. Und dann …“

„Starb Aman“, sagte ich leise und konnte nicht verhindern dass meine Stimme leicht zitterte. „Er starb in meinen Armen.“

Kleine … Kriegerin.

Mein Blick verfing sich mit dem von meinem Herz, doch noch immer zeigte er keine Regung. „Ich konnte nichts tun“, flüsterte ich. „Ich habe deine Mörder getötet, aber … ich konnte dir nicht mehr helfen und dann … der Kriegergeneral kam. Er hatte das Tigerauge in seiner Hand. Ich verlange von ihm es mir zu geben, aber er lachte nur und nahm mich gefangen.“ Ich schüttelte den Kopf. Wie ich diese Erinnerung hasste – fast genauso sehr wie den Mann selber.

„Ich weiß nicht genau was danach geschehen ist. Viele Tage und Wochen wandelte ich im Land der Götter. Bastet hat mich dort besucht. Ich habe oft mit ihr gesprochen.“ Das glaubte ich zumindest. „Als ich erwachte … dort war alles so anders. Der General wollte dass ich ihn nach Silthrim führte, aber ich habe mich geweigert. Zumindest am Anfang. Aber dann trafen wir eine Vereinbarung. Bastet wollte dass ich das Tigerauge unter allen Umständen zurückbringe, also musste ich es tun. Ich versprach ihm den Weg nach Silthrim zu zeigen und ihm Sachmets Macht auszuhändigen, wenn er mir dafür als Gegenleistung das Tigerauge übergab.“ Ich schüttelte den Kopf. „Es war ein Schwindel, aber irgendwie musste ich schließlich an Bastets Macht kommen. Und auch das Portal. Er hat es nach Belua bringen lassen, den Ort an dem er herrscht. Dort gibt es so viele von uns. Sie alle stammen aus der Zeit des großen Krieges, oder sind Nachfahren dieser Krieger.

General Silvano Winston wollte unbedingt eine Macht haben, denn auch die Wesen dort wurden mit den Jahren krank. Es dauerte viel länger, da sie sich mit dem Blut der Menschen gemischt haben und die Magie dort praktisch gar nicht vorhanden ist, aber … sie brauchten sie. Das war meine Chance.

Ich fand heraus was Bastets Worte bedeuteten. Die Schriften der Firenzia, sie sind der Schlüssel. Der General hat mich und Acco holen lassen. Jacky ist …“ Ich stockte. „Jemand ist gestorben. Ich bekam das Tigerauge in die Hand und ging durch das Portal.“ Ich hob den Blick. „Bring mich in die Zeit, an jenen Ort, an dem ich alles Abwenden kann, bring mich zum Schöpfungstag in Bastets Tempel. Das war mein Wunsch und dann bin ich Theatrum wieder zu mir gekommen. Gestern.“ Langsam ging mein Kopf von einer Seite zur anderen. „Aber keiner hat sich erinnert. Nur ich. Und dann … dann habe ich Bastets Warnung ausgesprochen.“

Wieder kehrte Stille ein. Dieses Mal jedoch hielt sie länger an. Jeder am Tisch ließ sich das gesagt durch den Kopf gehen. Manche waren skeptisch, andere schienen nicht richtig erfassen zu können, was sie gerade gehört hatten. Anima jedoch schien einfach nur geschockt zu sein.

Immer wieder ging ihr Blick zu Gillette.

Ich hatte es nicht sagen wollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich mehr verschwiegen hätte, doch allein schon, dass ich die Beziehung zwischen Aman und mir verheimlichte, bereitete mir Unwohlsein. Aber ein Lykanthrop und ein Ailuranthrop? Unvorstellbar.

Der Lykanthrop mit dem markanten Kinn hob seinen Kopf. „Darum also bist du Aman gestern also so um den Hals gefallen. Weil er in deinen Armen gestorben ist.“ Er beobachtete mich ganz genau, doch ich gab keine Antwort.

„Von den Toten zurückgekehrt.“ Der andere Lykanthrop warf Aman ein Blick zu. „Und du kannst dich an nichts davon erinnern?“

Ich horchte auf, aber Aman schüttelte bereits den Kopf. „Nein. Diese Geschichte … nichts davon kommt mir bekannt vor.“

„Und du?“ Priesterin Tia wandte sich an Anima. „Weißt du noch etwas von dem was Lilith berichtet hat?“

Auch sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich …“ Sie warf Gillette einen Blick zu. „Was Lilith da gesagt hat … ich kann es nicht glauben. Es ist einfach …“

„Unfug.“ Magister Damonda richtete sich etwas auf. „Was Lilith da erzählt hat … das kann nur Unfug sein.“

Bei Bastet! „Nein, ich sage die Wahrheit, alles ist genauso passiert.“

Sie schnaubte. „Ich bin mir sicher dass etwas geschehen ist. Das Zeichen an deinem Bein ist unübersehbar und auch der Angriff von Sachmets Natis hat stattgefunden, aber alles andere? Eine Welt die parallel zu unserer Existiert? Eine Welt ohne Magie? Nein, das kann ich einfach nicht glauben.“

Diese Worte machten mich wirklich sauer. „Glauben Sie etwa ich habe mir das alles nur ausgedacht? Warum sollte ich das tun?“

„Du willst Aufmerksamkeit. Anders kann ich es mir nicht erklären.“

Ich schnaubte. „Aufmerksamkeit ist das einzige was ich im Moment nicht will.“

Bevor Magister Damonda erneut den Mund öffnen konnte, hob Priesterin Tia ihre Hand. „Was Damonda sagt ist wahr. Deine Geschichte ist wirklich schwer zu erfassen. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass du sie erfunden hast. Ich glaubte dir.“

„Ich auch“, sagte Acco und zog sofort den Kopf etwas ein, als ihn plötzlich alle anstarrten. „Was denn? Ist nun mal so.“

„Das ist ja alles schön und gut“, sagte Priester Ausar und meldete sich damit zum ersten Mal zu Wort. „Doch was fangen wir mit diesen Inforationen nun an?“

Magister Damonda richtete ihren Blick auf ihn. „Was meinst du?“

Er schaute zu ihr und dann zu mir. „Ich habe dieser Geschichte ruhig gelauscht und dabei Reden im Geist gehalten. Dabei stellt sich mir eine Frage, auf die ich einfach keine Antwort finde. Ist Lilith Aufgabe als Auserwählte nun erfüllt?“

Priesterin Tia runzelte die Stirn. „Ob sie erfüllt ist?“

Auch ich zog die Stirn kraus. „Ich sollte das Tigerauge zurückbringen und die Ailuranthropen warnen, damit das Unglück sich nicht wiederholen kann. Das habe ich getan.“

„Du hast aber eben noch etwas anderes gesagt.“ Er fixierte mich mit sanftem Blick. „Was genau hat Bastet von dir verlangt, als sie dich in den Höhlen der Elfen aufsuchte?“

„Nicht wirklich viel. Sie hat mich selber herausfinden lassen was ich tun muss.“ Die Falten auf meiner Stirn vertieften sich. Nein, da war noch mehr gewesen. Kurz bevor sie Animas Körper wieder verlassen hatte. „Finde deinen Weg, Lilith, gib dem Volk ihr Leben zurück und bring die nach Hause, die noch immer an fremden Ufern ausharren.“

„Moment.“ Magister Damonda richtete sich auf. „Willst du damit etwa sagen, dass wir sie erneut zur Erde schicken sollen um auch die Krieger vergangener Zeiten zurückzuholen?“

Mein Mund ging auf, aber kein Wort kam heraus. Nein, das konnte nicht sein. Ich hatte meine Aufgabe erfüllt. Sie konnten nicht verlangen, dass ich ein weiteres Mal zur Erde musste.

„So könnte man diese Worte jedenfalls auslegen“, sagte Priester Ausar.

Priesterin Tia wiegte den Kopf leicht hin und her. „Das stimmt. Aber genauso gut kann es sein, dass wir da zu viel hinein interpretieren. Bastet könnte damit auch einfach gemeint haben, dass sie die Zeit zurück drehen soll, damit die Ailuranthropen alle wieder dort sind, wohin sie gehören.“

Magister Damonda schüttelte den Kopf. „Wie wir es auch drehen und wenden, in der Geschichte der Ailuranthropen gab es keinen solchen Vorfall, wie Lilith ihn uns geschildert hat. Selbst wenn ihre Worte wirklich wahr sind, können wir davon ausgehen, dass auf der Erde niemand aus unserem Volk aushaaren muss.“

„Aber Lykanthropen.“

Wie eine Einheit richteten sich alle Blicke auf mich.

„Lykanthropen, Vampire, Elfen und noch viele andere. Ich habe sie kennengelernt.“ Sie alle waren in Belua. Und sie alle starben langsam einen grausamen Tod. Aber noch einmal dorthin zurückkehren um sie zu holen? Diese Geistrede behagte mir nicht.

Der Mann mit dem markanten Kinn neigte den Kopf leicht zur Seite. „Hast du wirklich einen Fuchs kennengelernt?“

„Janina.“ Ich schaute ihn an. „Sie trug ein Natis unter ihrem Herzen, das Natis eines Vampirs.“

Der Lykanthrop links neben Aman schnappte nach Luft. „Was?!“

„Die Mentalität dort ist anders als hier auf Silthrim. Um überleben zu können haben die Wesen sich zusammengeschlossen.“

„Ja zusammengeschlossen, aber ein Natis?!“ Er schnaubte. „Kein Lykanthrop würde sich dazu herablassen.“

Diese Worte veranlassten mich dazu meinen Blick einen kurzen Moment auf Aman zu richten. Doch, es gab jene die das tun würden. „Um zu überleben brauchen sie sich dort gegenseitig.“

„Wie mir schein“, sagte Priester Ausar, „ist das kein guter Ort für die Natis der Götter.“

„Nein, ist es nicht. Sie müssen sich verstecken. Es gibt nur einen Ort an dem sie das nicht tun müssen und das ist Belua. Aber dort herrscht der Kriegergeneral und er ist Böse.“ Ein anderes Wort existierte für diesen Mann einfach nicht. „Abgrundtief böse.“

Priesterin Tia seufzte und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Damit stellt sich nun die Frage, ob wir es verantworten können die Wesen dort zu lassen, oder ob wir einen Weg finden müssen, sie zurück in die Heimat zu hohlen.“

„Wir könnten eine Rettungsmission starten“, überlegte Magister Damonda.

War sie es nicht gewesen, die meine Worte bezweifelte? „Das geht nicht.“

Der Wolfskrieger fixierte mich. „Warum nicht? Sind die Wesen dort es nicht wert gerettet zu werden, weil keine Ailuranthropen unter ihnen sind?“

„Nein, so hab ich das nicht gemeint.“ Ich verkrallte meine Finger in Sians Fell, woraufhin er zu mir aufsah. „Diese Welt ist anders als unsere, die ganze Struktur dort. Wer sie nicht kennt findet sich nur schwer darin zurecht.“

„Du würdest die Krieger ja begleiten. Du kannst ihnen zeigen worauf sie achten müssen.“

Magister Damonda schnaubte. „Sie ist nur ein Lehrling.“

„Ein Lehrling der unser ganzes Volk gerettet hat“, sagte Priester Ausar leise und schaute dann zu Anima. „Hat Bastet dir eine Nachricht übergeben?“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ihre Stimme schweigt.“

Ja, denn wir waren es die über unsere Zukunft entschieden, nicht die Götter.

„Es gibt auf jeden Fall einige die nach Silthrim wollen“, sagte Acco da und stellte sich mit den Vorderpfoten am Tisch auf. Er hatte mehr Kontakt zu den Wesen in Belua gehabt als ich. „Ich habe mit ihnen geredet. Sie haben eine Zuflucht, ja, aber eigentlich sind sie Gefangene. Und viele von ihnen fürchten sich von der Krankheit.“

„Es muss eine Rettungsmission zur Erde gesandt werden“, sagte der Wolfskrieger. „Unter den Wesen sind auch Lykanthropen. Wir können sie nicht einfach dort lassen.“ Er schaute zu Acco. „Du weißt wie wir dort hinkommen, oder?“

„Ähm … schon, aber …“

„Dann brauchen wir die Hilfe der Ailuranthropen nicht. Wir werden mit den Priestern des Seth sprechen und unsere Leute nach Hause holen.“

„Ähm …“, machte Acco wieder.

„Ich glaube du stellst dir das ein wenig zu einfach vor“, sagte ich. Nicht dass ich mir wünschte noch einmal zur Erde zu müssen, aber ich konnte auch nicht still dabei zusehen, wie sie in ihren Untergang entgegenschritten – nicht mehr. Nicht wenn Aman dabei in Gefahr geraten könnte. „Trefft ihr auf Luans Familie, so habt ihr Verbündete die euch dort leiten und helfen werden, doch trefft ihr zuerst auf Silvano Winston und seine Grünen Krieger, so werden sie euch fangen. Ihr habt ihnen nichts entgegen zu setzten.“

Er schnaubte. „Ich glaube du unterschätz uns, kleines Kätzchen, wir …“

Ich schlug mit der Hand auf den Tisch. „Rede nicht von Sachen die du nicht verstehst! Du magst meinen Worten gelauscht haben, doch du erkennst die Wahrheit in ihnen nicht. Die Grünen Krieger kämpfen aus der Ferne. Sie haben euch alle getötet, bevor ihr ihnen auch nur nahe kommen könnt. Menschen sind grausam. Selbst wenn ihr es zur Erde schafft, ihr werdet nie wieder zurückkehren.“

Er zog eine Augenbraue nach oben. „Laut deinen Erzählungen bist du doch auch zurückgekehrt Zwei Mal sogar.“

„Ja, und beide Male habe ich es nur ganz knapp geschafft.“

„Du bist nur ein Lehrling. Wir werden Krieger schicken und …“

„Und was? Verstehst du es nicht? Aman war dort. Er ist einer der besten Krieger in Seth Tempel, aber er ist gestorben. Vinea wurde schwer verletzt. Gillette ist gestorben, Naaru ist gestorben. Ich weiß nicht mal ob ich alle gefunden habe, die von den greifenden Winden auf die Erde geschleudert wurden. Es könnten noch viel mehr tot sein.“

„Ja, weil ihr nicht wusstet was euch bevorstand. Wir können uns vorbereiten.“

Wir starrten uns an, bis Priesterin Tia das Wort ergriff. „So kommen wir nicht weiter. Die Lykanthropen sind stolze Krieger, doch wenn Lilith recht hat, dann wäre es zu riskant einfach so auf die Erde zu gehen.“

„Nein ist es nicht“, wiedersprach der Wolfskrieger. „Wir haben jemanden der sich dort auskennt.“

„Äh …“, machte Acco.

„Ich werde mein Geleit nicht in unbekannte Gefilde schicken, Rigo.“

„Du wirst ihn begleiten, Aman.“

Ich wusste es. Ich wusste dass es so kommen würde. „Ich werde euch helfen.“

Und wieder richteten sich alle Blicke auf mich.

„Ich werde noch einmal zur Erde gehen und die Wesen dieser Welt nach Hause holen.“ Ich würde aufpassen, dass Aman kein zweites Mal starb.

Priester Ausar lächelte leicht. „Damit schein die Aufgabe unserer Auserwählten doch noch nicht beendet zu sein.“

Es lag mit Sicherheit nicht daran dass ich die Auserwählte war. Ich konnte nur einfach nicht riskieren, dass meinem Herz noch einmal ein Unglück wiederfuhr. „Allerdings brauchen wir die Hilfe von Sachmets Kindern um diese Reise erneut antreten zu können.“

Mit einem Schlag war es sehr still am Tisch.

Bei Bastet, geistredeten sie denn gar nicht? „Dadurch dass die Zeit zurückgedreht wurde, existiert das Portal auf der Erde nicht mehr. Das bedeutet, dass wir ein bestehendes Portal manipulieren müssen, um zur Erde zu gelangen. Dafür brauchen wir die Hilfe von Sachmets Volk.“ Ich ließ mein Blick über die Anwesenden schweifen. „Aber auf diese Art können nur wenige gleichzeitig reisen. Beim letzten Mal wurden wir weit verstreut, daher werden nur Acco, Aman und ich gehen.“

Aman zog die Stirn in Falten. „Wir kommst du darauf, dass ich mit dir gehen werde?“

Das zu hören … es tat weh. Doch ich durfte mir meinen Schmerz im Moment nicht anmerken lassen, denn in den letzten Minuten war mir eines klar geworden. Diese Mission konnte Aman wieder zu mir führen. Vielleicht würde er sich nicht daran erinnern was geschehen war, doch er war noch immer ein Krieger und er würde es wie beim letzten Mal für seine Pflicht erachten, auf meine Sicherheit aufzupassen. Wir wären wieder zusammen auf Reisen.

Ja, vielleicht war das Eigennützig, aber das war mir egal. Ich wollte Aman wiederhaben. „Weil ich Acco an meiner Seite brauche“, antwortete ich. „Und wie du bereits gesagt hast, du schickst dein Geleit nicht allein in unbekannte Gefilde. Acco und ich sind die einzigen die wissen was uns erwartet.“

Der Wolfskrieger Rigo beugte sich leicht vor. „Hast du uns nicht eben noch erklärt, dass es gefährlich ist? Und jetzt sollen ein Krieger, ein Lehrling und ein Sermo ausreichen?“

„Nein, werden wir nicht. Aus diesem Grund werden wir ein neues Portal bauen durch dass die Verstärkung kommen kann. Und … wenn es wie beim letzten Mal ist, dann wird Luan uns finden. Pascal ist bei ihm. Pascal kann Portale erschaffen.“

Amans Blick lag ruhig auf mir. „Und wenn es nicht wie beim letzten Mal ist? Wie kommen wir dann wieder zurück?“

Das war eine ausgezeichnete Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Die Geistrede dass Pascal nicht aufzufinden war um uns zu helfen wäre mir ohne seine Worte nicht gekommen.

„Ich glaube ich habe da einen Vorschlag“, sagte zu meiner Überraschung Magister Damonda. Sie stützte sich auf die Unterarme. „Wir werden das Portal hier anfertigen und es euch mitgeben. Dann müsst ihr es nur noch aufstellen.“

„Wir sollen ein ganzes Portal mitnehmen?!“

Priesterin Tia lächelte. „Ich glaube du verstehst nicht was ein Portal genau ist, Lilith. Es ist nicht der Stein oder er Umfang der es zu dem macht was es ist, sondern die Zeichen der Götter. Diese Zeichen in der richtigen Reihenfolge angeordnet können alles zu einem Portal werden lassen.“

Das heißt ich würde nur die Zeichen der Götter mitnehmen. Was genau ich mir darunter vorzustellen hatte wusste ich nicht, doch ich schwieg. Sie würden schon wissen was sie taten. Bei Bastet, dass zumindest hoffte ich.

„Schön und gut“, sagte Acco dann, „aber trotzdem haben wir immer noch ein Problem. Wie wollen wir Sachmets Volk dazu bringen uns zur Seite zu stehen?“

Eine gute Frage, auf die aber niemand der Anwesenden eine Antwort wusste. Das zumindest glaubte ich, bis ich aus dem Augenwinkel das Leuchten bemerkte.

Bastet. Sie war nur ein Schatten, der sich um Animas Körper gelegt hatte. Katzenhafte Züge, die bei jeder Bewegung flackerten. Meine Göttin, sie war unter uns.

Ich wollte aufspringen, genau wie jeder andere am Tisch, doch Bastet hob die Hand. „Nein, bleibt sitzen.“ Ihre Stimme war ein einziger Wiederhall. „Ihr hab vier Tage, dann werden die Abgesandten der anderen Völker im Tempel eintreffen.“

Das Licht verblasste, die Schatten schwanden. Anima blinzelte und dann war unsere Göttin auch schon wieder fort.

Ich starrte sie an. „Was meint sie mit Abgesandten?“

„Krieger der anderen Völker.“ Sie schaute zu Priesterin Tia. „Jeder Occino hat diese Nachricht gerade überbracht. In vier Tagen werden sie hier sein.“

„Was!?“ Magister Damonda sprang auf. „Wir sollen Krieger der anderen Völker bei uns willkommen heißen?!“

Anima nickte. „Sie alle werden kommen, die Götter haben es befohlen.“

Die Götter hatten was?! Aber die Götter mischten sich doch sonst nie ein, das war gegen ihre Grundsätze und … nein, Moment, sie mischten sich gar nicht ein. Sie sorgen nur dafür dass wir zusammen kamen, aber sie hatten nicht gesagt, was wir aus diesem Treffen machen sollten.

„Sie werden in Frieden kommen“, sagte Anima.

„Frieden.“ Magister Damonda schnaubte höhnisch und erhob sich ruckartig von ihrem Platz. „Ich werde die Krieger zurück zum Tempel befehligen.“

Priesterin Tia nickte.

Ich schaute Damonda hinterher, als sie mit eiligen Schritten die Synode verließ. Wahrscheinlich würde sie nun jeden verfügbaren Krieger zum Tempel zurückbeordern.

Ja, wir hatten Frieden, doch erst der gestrige Tag hatte uns allein gezeigt, wie wacklig er war.

Der Wolfskrieger runzelte die Stirn. „Was bezwecken die Götter damit?“

„Sie geben uns einen Weg vor. Wir selber müssen entscheiden, was wir daraus machen.“ Ich drückte Sian ein wenig fester an mich. „Sollten wir uns einig werden, können wir die nach Hause holen, die schon vor langer Zeit verloren gegangen sind.“

 

°°°°°

 

Kapitel Drei

 

Die Sonne des Abends ließ die Schatten lang werden. Ein leichter Wind zog durch den Tempel und trug den Geruch des Ailuraflusses zu mir nach oben. Jetzt roch er wieder wie er sollte. Der kranke Geruch war weg. Nein, er war noch gar nicht da gewesen. Zu dieser Zeit war alles was mir wiederfahren war niemals geschehen. Warum nur musste ich mir das immer wieder in Erinnerung rufen? Das war einfach so kompliziert.

Seufzend lehnte ich mich an den Baum. Seit Stunden verharrte ich nun schon hier und wachte über die kleine Rundhütte am Rand der Tempelanlage. Nicht dass es meine Aufgabe gewesen wäre, nein. Doch darin waren die Lykanthropen untergebracht worden. Zumindest jene, die sich noch auf dem Tempelgelände befanden. Die anderen Krieger waren im Laufe des Tages bereits abgereist.

Aber nicht Aman. Er war dort drinnen und deswegen stand ich hier und wartete. Nicht das wir ein Treffen ausgemacht hätten, aber ich musste mit ihm sprechen – alleine. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass es da wirklich nichts mehr zwischen uns gab. Wenn er mich nur oft genug sah, dann würde er es doch auch wieder spüren, oder?

Eine Finis war etwas, das von den Göttern vorherbestimmt war – von Geburt an. Nur weil der Lauf der Geschichte sich geändert hatte, hieß das noch lange nicht, dass Schicksale die aneinandergeknüpft waren plötzlich getrennte Wege gingen. Zumindest betete ich zu Bastet, dass es so war.

Neben mir gähnte Sian und legte seinen Kopf auf seine Pfoten. „Wie lange müssen wir noch bleiben?“

„Bestimmt nicht mehr lange.“ Den Kriegern war es zwar nicht gestattet sich auf dem Gelände frei zu bewegen und auch die Speisen wurden ihnen in die Hütte gebracht, aber selbst Aman würde früher oder später einmal den Abort aufsuchen müssen. Und dann würde …

Der Vorhang am Eingang wurde zur Seite geschoben und Acco kam herausspaziert. Er stoppte kurz als er mich unter dem Baum sah, begann mit der Rute zu wedeln und stolzierte auf mich zu. „Lilith.“

Sian kniff die Augen leicht zusammen, kam auf die Pfoten und schmiegte sich an mein Bein.

Acco blieb vor ihm stehen, stupste ihn gegen die Nase – was Sian pikiert den Kopf zurückziehen ließ – und strahlte dann zu mir nach oben. „So viel Selbstbeherrschung wie du heute gezeigt hast, hab ich noch nie an dir gesehen.“

Ich verengte die Augen leicht. „Was möchtest du mir damit sagen?“ 

„Ach … gar nichts.“

„Wenn du glaubst …“ Ich verstummte als der Vorhang ein weiteres Mal zur Seite geschoben wurde und Aman hinaus trat. Er schaute zu Acco, sah mich einen langen Moment an und wandte sich dann ab um in die andere Richtung zu gehen.

„Warte!“, rief ich und stolperte einen schnellen Schritt nach vorne. Selbst meinen Arm hatte ich nach ihm ausgestreckt, ließ ihn aber schnell wieder an meine Seite fallen, als er den Blick auf mich richtete.

„Ja?“

„Kann ich … hast du einen Moment Zeit? Ich würde gerne mit dir sprechen.“

„Stehst du deswegen seit Stunden vor dieser Hütte?“

Er hatte mich bemerkt? Natürlich hatte er das. Und das er dennoch nicht rausgekommen was ließ den eisernen Ring um meinem Herzen wieder ein kleinen wenig enger werden. „Ja“, sagte ich leise und kam nicht dagegen an seinem Blick auszuweichen. Leider bemerkte ich so das Acco mich anschaute. Und dieses Mitleid … ich zeigte ihm die Zähne.

Er seufzte nur und legte sich auf den Boden.

Aman zögerte einen Moment, kam dann aber zu mir. Und der Ausdruck in seinem Gesicht … war schon jemals so verschlossen gewesen? Ich konnte mich nicht daran erinnern – nicht mir gegenüber.

Eine Windböe kam auf und strich um uns herum. Meine Nasenflügel blähten sich geradezu, als mir Amans Geruch entgegenschlug. Er lebte. Er stand hier, genau vor mir. Meine Hand zuckte. Ich bekam kaum mit wie ich sie anhob.

Aman kniff die Augen bis auf einen Spalt zusammen. „Was machst du da?“

Meine Hand erstarrte kurz bevor sie seine Haut berühren konnte. „Ich … es …“

„Du warst tot, Aman“, sagte Acco leise. „Für Lilith ist es genauso ein Wunder dich vor sich zu sehen wie für mich.“

Ich schlucke, sah hinauf in seine dunklen Augen. „Ich wollte nur … dein Herz.“ Vor meinem geistigen Auge sah ich wieder die blutrote Blüte. Meine Finger zuckten erneut, aber da Aman keine Anstalten machte mich aufzuhalten, wagte ich es einfach. Ich legte meine Hand auf seine nackte Brust, genau über sein Herz. Und es schlug.

Ruhig und gleichmäßig pochte es in seiner Brust. Er war am Leben. Er stand hier vor mir und war wirklich am Leben. Ich spürte seine Haut, die Wärme die er abstrahlte. Er war hier und es ging ihm gut. „Vergelts“, sagte ich leis. Meine Finger krümmten sich leicht. „Vergelt. Für alles was du getan hast.“

Aman trat einen Schritt vor mir zurück. Mein Arm fiel kraftlos an meine Seite. Diese kleine Geste zeigte mir die riesige Kluft zwischen und viel besser auf, als all die Worte die er hätte sprechen können. Er wollte mich nicht in seiner Nähe.

„Ich weiß nicht was ich vergelten soll, denn auch wenn du sagst dass ich bei dieser Reise an deiner Seite gewesen bin, ich erinnere mich nicht.“

Ja, das wusste ich. „Du hast mir das Leben gerettet. Du hast immer auf mich aufgepasst. Du hast versucht Sian zu beschützen. Du hast du viel getan und ich habe es dir nie vergolten.“

Aman runzelte in vertrauter Manie die Stirn. „Waren wir …“

Ich schaute zu ihm auf. Plötzlich schlug meiner Herz schneller.

„Waren wir Amicus?“

Amicus? Fast hätte ich aufgelacht nur um anschließend in Tränen auszubrechen. Amicus? Nein, wir waren so viel mehr gewesen. „Wir waren keine Amicus. Ganz im Gegenteil. Du hast mich mit deiner Bevormundung in den Wahnsinn getrieben. Mir war vorher noch nie ein so steinköpfiger Hund begegnet. Die ganze Zeit hast du mir gesagt was ich tun und lassen soll. Und wenn ich nicht auf dich gehört habe, hast du mich die ganze Zeit angeknurrt.“

Mit jedem weiteren Wort verfinsterte sich der Ausdruck in seinem Gesicht.

Ich jedoch musste lächeln. „Aber egal ob wir uns gerade verstanden haben oder nicht, du hast immer auf mich aufgepasst. Das ich heute hier stehe … das wir heute hier stehen, das haben wir nur dir zu vergelten.“

„Du warst es die das Tigerauge zurückgebracht hat.“

„Ohne dich wäre ich dazu nicht in der Lage gewesen.“ Ohne ihn wäre ich tot gewesen, bevor ich überhaupt die Möglichkeit dazu bekommen hätte das Tigerauge an mich zu bringen. Ohne ihn wäre ich heute nicht da wo ich war. Vielleicht war das der Grund für unsere Finis. Vielleicht brauchte ich ihn, damit er auf mich aufpasste. Vielleicht war er es der meinen Weg leitete, damit ich nicht versagen konnte.

Ich schaute ihn an, versuchte ihm dabei nicht zu zeigen was in meinem Innen vor sich ging und ihm gleichzeitig doch alles zu offenbaren. „Erinnerst du dich denn wirklich an gar nichts mehr?“ Ich kannte die Antwort auf diese geflüsterte Frage, doch ich konnte gar nicht anderes als sie auszusprechen.

„Nein.“ Kurz und bündig.

Ich biss mir auf die Lippe. „Und wenn ich dir etwas erzählen würde? Glaubst du dass du dich dann wieder erinnern würdest? Wie zum Beispiel … meine Schulter. Du hast sie behandelt und … und … wir haben auch gekämpft. Das hat Spaß gemacht und …“ Zur Sachmet, was gab ich da eigentlich für einen Unfug von mir? „Ich meine … das könnten wir doch wieder tun. Also trainieren. Das hat … Spaß gemacht.“ Meine letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, denn ich sah seinen Blick. Und als er dann auch noch einen Schritt von mir zurück wich, brach mir fast das Herz.

„Ich weiß nicht was auf dieser Erde geschehen ist, doch ich weiß sehr genau dass es sich nicht wiederholen wird. Du scheinst in mir einen Verbündeten, ja vielleicht sogar einen Amicus zu sehen. Aber das bin ich nicht. Ich bin ein Krieger des Seth und du nicht.“

Das war wie ein Schlag ins Gesicht.

Es ist unsere Erziehung. Es sind die Grenzen, die uns schon von klein auf anerzogen werden, der Krieg, der die Völker immer wieder auseinander treibt.

Oh Göttin.

Du solltest dem was du fühlst vertrauen und dich nicht von Regeln einsperren lassen.

„Wir werden gemeinsam zur Erde gehen um die verlorenen Lykanthropen heimzubringen“, erklärte er. „Danach werden unsere Wege sich trennen.“ Er wich noch einen Schritt vor mir zurück.

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich wusste es wäre das Beste es einfach dabei zu belassen und ihm den Rücken zu kehren, doch das konnte ich nicht. „Das werden sie nicht.“

Das Stirnrunzeln auf seiner Stirn vertiefte sich.

„Du hast die ganze Zeit etwas gewusst, was mir erst nach deinem Tod klar geworden ist und bevor ich dir nicht gesagt habe, werde ich nicht …“

„Ich sage es dir jetzt nur einmal“, unterbrach er mich. „Belästige mich nicht mehr.“ Damit drehte er sich herum und marschierte den Pfad hinunter, den er ursprünglich hatte nehmen wollen.

Und ich stand da uns starrte ihm nach, während ein Schmerz in mir tobte, der mich zu zerreißen drohte. Er hatte mich zurückgewiesen. Er hatte die Grenze gezogen und mich ermahnt sie nicht zu übertreten. Die gleiche Grenze die er so oft für mich niedergerissen hatte, bis ich es gewagt hatte sie endlich einen Schritt hinüber zu wagen. Doch nun stand ich vor einer Mauer und wusste nicht wie ich sie überwinden konnte.

Accos Nase berührte mich an der Hand. „Es tut mir leid.“

Ich kniff die Lippen zusammen und versuchte das Sieden meiner Augen zu verdrängen. Niemals würde ich deswegen in Tränen ausbrechen. Ich war eine Kriegerin, ich durfte nicht weinen. „Er wird sich wieder erinnern“, sagte ich leise. „Wenn wir nur genug Zeit zusammen verbringen, wird ihm alles wieder einfallen.“ Und deswegen brauchte ich auch gar nicht weinen.

Natürlich, seine Worte und seine abwehrende Haltung taten weh, aber sobald er sich erinnerte, würde alles besser werden. Ich würde ihn wieder in die Arme schließen können. Ich würde ihm das sagen können, was bisher unausgesprochen geblieben war. Ich musste nur Geduld haben.

 

°°°

 

„Lilith.“

Ich machte mir nicht die Mühe aufzublicken, als Anima in das Zimmer unserer Rundhütte stürmte, dass ich mir mit ihr und Mikain teilte. Selbst als sie sich zu mir aufs Bett setzte, ließ ich mein Kopf auf dem Kissen liegen und hielt Sian fest an meiner Brust.

Belästige mich nicht mehr.

Zur Sachmet!

„Lilith, ich habe dich überall gesucht. Wo warst du nur?“

Der Sonnenkristall auf meinem Nachttisch war die einzige Lichtquelle an diesem dunkeln Abend, an dem die Schatten alles zu verschlingen drohten. Vielleicht kam mir das auch nur so vor, weil mein Herz so schrecklich schmerzte. Warum nur musste es so wehtun die Wahrheit zu akzeptieren? Warum?

Ich senkte die Auegenlider ein wenig. Anima sah ein wenig zerzaust um das blonde Haar aus. Aber selbst das minderte ihre Schönheit kein Stück.

„Ich habe beim Essen auf dich gewartet.“

„Ich hatte kein Hunger.“

„Aber du hast auch schon das Mittagsmal ausgelassen.“

Ja, weil ich bereits zu dieser Zeit vor Amans Hütte gestanden hatte. „Ich war beschäftigt gewesen.“

Sian hob den Blick ohne seinen Kopf von seinen Pfoten zu nehmen, blieb aber still.

Anima biss sich einen Moment auf die Lippen, schaute dann zu ihrer Sermo Eno, die alle viere von sich gestreckt auf ihrem Bett lag und griff dann nach meiner Hand. „Ich würde gerne mit dir sprechen, wegen … dem Magier.“

Magier? „Welchen Magier?“

„Den auf der Erde. Dieser … ich hab den Namen vergessen.“

„Pascal?“

„Ja, genau der.“ Sie schaute wieder zu Eno, so als befürchtete sie, dass sich dort jemand im Schatten verbarg und uns belauschte. „Du wirst ihn hier her holen, oder?“

Nun schaute ich sie doch richtig an. „Pascal ist ein guter Mann.“

„Darum geht es nicht. Ich …“ Wieder biss sie sich auf die Lippen. Dann drehte sie sich zu mir herum, als hätte sie einen Entschluss gefasst. „Lilith, du musst mir ganz genau erzählen, was zwischen mir und diesen Pascal vorgefallen ist. Ich meine – Oh Göttin – er gehört zu Sachmets Brut! Was ist geschehen, dass ich mich ihm zugewandt habe? Das kann einfach nicht sein, das …“

„Anima, nun beruhig dich.“ Ich stützte mich auf den Unterarm. Das Bett knarzte unter dieser Bewegung. „Zwischen euch ist nichts Schlimmes passiert. Er war einfach nur … ich weiß nicht wie ich das beschreiben soll. Nachdem Gillette gestorben ist, hast du nichts um dich herum mehr wahrgenommen, doch er hat es irgendwie geschafft zu dir durchzudringen. Es war als würdest du in Finsternis wandeln und er wäre dein Wegweiser zurück ins Licht. Nur durch ihn hast du dich nicht verloren. Er war dein … Amicus beschreibt es nicht richtig, aber es kommt nahe heran.“

„Aber … er gehört zu Sachmets Volk!“

„Genaugenommen nein.“

„Was?“ Sie runzelte die Stirn.

„Oder besser gesagt nicht nur.“ Ich seufzte. „Pascal und Janina, sie haben beide Vorfahren in Sachmets Volk und auch in dem von Seth.“

„Mischlinge?“

„Ich habe doch bereits erklärt, dass das Leben auf der Erde anders als hier in Silthrim ist.“ Hier gab es Grenzen die nicht überschritten werden durften.“ Ich drückte meine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

„Ja aber … Lilith, wenn du diesem Pascal begegnest, dann musst du ihm klar machen, dass er sich von mir fernhalten muss.“

„Das sollte nichts schwer sein.“ Ich ließ meinen Kopf zurück ins Kissen sinken. „Genau wie du wird auch er seine Erinnerungen verloren haben. Für ihn bist du eine Fremde, er hat keinen Bezug zu dir. Die Zeit hat sich zurückgedreht, erinnerst du dich? Er kennt dich noch nicht.“ Was wirklich Glück war. So konnte es nicht so wehtun.

Nach diesen Worten schien Anima richtig aufzuatmen. „Das ist … gut.“ Sie beugte sich ein Stück zu mir vor. „Und ich möchte dich auch bitten, diesem Pascal nichts davon zu sagen.“

„Ich werde schweigen.“

„Vegelts.“ In dem Moment in dem diese Worte gesprochen wurden, hielt ich keine großen Geistreden darüber. Erst viel später, tief in der Nacht, als die Gesichter meiner Familie meinen Geist bewohnten, begann ich mich zu fragen, warum es für Anima so wichtig war diese Amicitia geheim zu halten.

 

°°°°°

Kapitel Vier

 

„Die Erdlinge haben es mir erklärt. Ein Tag hier sind ungefähr vier Minuten dort. Und ein Tag dort ist ein ganzes Jahr hier.“

Kopfschütteln und zweifelnde Blicke schlugen mir entgegen.

Missmutig schaute ich zwischen den Abgesandten der Völker hin und her. Nymphen, Elfen, Vampire und Harpyien. Engel, Banshees, Inccuben und Zentauren. Sie alle waren dem Ruf der Götter gefolgt. Ein Priester jedes Tempels. Und sie alle hatten jeweils zwei Krieger und ihren Occino mitgebracht. Woher ich das wusste? Anima hatte es öffentlich kundgetan. Jeder Occino von Silthrim befand sich im Moment im Theatrum der Ailuranthropen und das hatte für einen großen Aufruhe gesorgt.

Nein, das stimmte nicht. Isis Natis, die Meermenschen, sie waren nicht gekommen. Sie hatten sich seit je her aus den Belangen der Welt rausgehalten, waren niemals Teil des Krieges gewesen und auch jetzt blieben sie nur ein verborgener Teil von Silthrim. So wie auch die Occinos es sein sollten. Doch nun waren sie es nicht mehr und das machte die Krieger und Priester nervös.

Vierundsechzig Wesen anderer Völker befanden sich in diesem Raum. Unter ihnen waren auch Aman und der Wolfskrieger Rigo, die zusammen mit einem sehr alten Mann und einer jungen Priesterin auf den Tribünen des Theatrums Platz genommen hatten – gleich neben Priester Ausar, Anima, Magister Damonda und Magister Jelana.

Ich stand neben Priesterin Tia auf der Bühne und erzählte ein weiteres Mal meine Geschichte.

Vier Tage, solange war es her, dass ich in der Kammer der Synode gesessen hatte und diese Worte das letzte Mal über meine Lippen gekommen waren. Seit diesem Tag waren hunderte von Kriegern zum Tempel zurückgekehrt, denn hier befand sich noch immer unser größter Schatz und niemand wollte, dass er dem Feind in die Hände fiel.

„Und was bedeutet das für uns?“, wollte ein junger Priester wissen. Seine Haut war grün, seine Haare ein Gewirr aus Lianen. Er sprach für das Volk der Nymphen.

„Für die die in Silthrim zurückbleiben, wird sich nichts ändern. Diese Zeitverschiebung betrifft nur jene, die mit auf die Erde gehen um unsere verlorenen Krieger zurückzuholen.“

„Vielleicht“, sagte Priesterin Tia, „solltest du einmal erklären, was genau wir uns überlegt haben.“

Überlegt war gut. In den letzten Tagen hatte ich so viele Stunden mit den Magister Damonda und den Priestern zusammengesessen, dass ich sie gar nicht mehr zählen konnte. Doch nun war alles bis ins kleinste Detail geplant. Und dort war auch besprochen worden, dass ich die Wortführerin dieses Gespräches sein sollte. Eine Entscheidung, die mir noch immer Bauchschmerzen verursachte. Doch ich schlug mich tapfer. Ich war eine angehende Kriegerin der Bastet und dies war nur eine weitere Prüfung auf meinem Weg. Ich würde nicht versagen.

Deswegen ließ ich meinen entschlossenen Blick erneut über die Versammlung gleiten. „In diesem Saal befinden sich zwei Geister, die durch persönliche Erfahrungen wissen was sie auf der Erde zu erwarten hat. Zum einen bin ich selber es und zum anderen der Sermo Acco. Der Plan sieht vor, dass der Krieger Aman von den Lykanthropen gemeinsam mit mir und seinem Geleit Acco zur Erde aufbricht. Dazu müssen Sachmets Natis unser Portal manipulieren, damit wir dorthin gelangen können. Wir werden Tafeln mit den Zeichen der Götter mitnehmen und aus ihnen auf der Erde ein neues Portal erschaffen.

Eine Woche nach unserer Abreise werden ausgewählte Priester auf Silthrim versuchen das Portal zur Erde zu öffnen. Das ist umgerechnet ungefähr eine halbe Stunde auf der Erde. Kann es nicht geöffnet werden, werden sie es eine weitere Woche später erneut versuchen, solange bis es sich öffnen lässt.

Das Wissen um das Zeichen zu diesem neuen Portal habe ich bereits an meine Priester weitergegeben. Sobald das Portal auf der Erde steht, sollte es also kein Problem geben es auch zu öffnen.“ Ich machte eine kurze Pause um meine Worte wirken zu lassen.

„Sobald das Portal geöffnet ist, werden zwei bis fünf Krieger jedes Volkes hindurchtreten. Ich werde sie auf der andern Seite erwarten. Mit ein bisschen Glück werden Luan und seine Familie bis dahin aufgetaucht sein um uns zu unterstützen. Mit ihrer Hilfe werden wir unser weiteres Vorgehen planen, um die verlorenen Krieger aus Belua zu befreien und sie anschließend zurück nach Silthrim geleiten zu können.“

„Des weiteren“, sagte Priesterin Tia, „werden wir versuchen das Portal während dem Aufenthalt der Krieger auf der Erde offen zu halten. Unserer Theorie nach, werden die beiden Zeitlinien sich dadurch angleichen, sodass ein Tag auf der Erde dann auch ein Tag hier auf Silthrim sein wird.“

„Ein Portal über längere Zeit offen zu halten ist sehr Kräftezehrend“, sagte Priester Tenuis das Oberhaupt vom Tempel der Elfen. Ich hatte ihn bereits einmal kennengelernt, in einer Zukunft, die niemals wieder so kommen würde, wie sie bereits geschehen war. „Wie lange können die Priester der Bastet das durchalten?“

Neben ihm saß Nuri, die Brester von Miranja. Sie war Occino. Eigentlich hätte mich das nicht überraschen dürfen, so wie sie damals mit den andern Priestern gesprochen hatte. „Wir werden ihnen helfen.“

Priester Tenuis schaute sie überrascht an.

„Was hast du denn geglaubt, warum wir hier sind?“, fragte sie lächelnd und pflückte sich eine Weintraube aus der Obstschale auf ihrem Tisch. „Die Priester werden einander helfen so gut es geht. Die Krieger werden in die ferne Welt ziehen und Occino wird den Frieden wahren.“ Das Obststück verschwand in ihrem Mund, während um sie herum leises Gemurmel ausbrach.

Auch mir war diese Tatsache neu, doch so ruhig wie die Occinos im Saal blieben, wussten sie alle es. Aber wie … die Götter mischten sich doch sonst nicht in die Belange ihrer Völker ein.

„Wir können immer noch entscheiden“, sagte Anima dann laut um das Murmeln der anderen Anwesenden zu übertönen. „Unsere Götter haben uns auf diesen Pfad geführt. Was wir daraus machen ist allein uns überlassen.“

„Doch geistredet bei eurer Entscheidung immer an folgendes“, sagte der alte Mann neben Aman mit kratziger Stimme. Er war Blind und faltig. Das Haar auf seinem Kopf war vom Alter weiß geworden. „Die Wesen auf der Erde gehören zu uns. Sie warten auf Rettung, da sie nicht in der Lage sind sich alleine zu helfen. Sie warten schon so lang, dass viele von ihnen nicht nur ihre Hoffnung verloren haben, sondern auch vergessen haben, woher sie einst kamen. Und dennoch wissen wie, dass etwas Besseres auf sie wartet.“

„Aber wir haben sie nicht vergessen“, sagte Nuri. „Und nun bekommen wir endlich die Möglichkeit die Unseren zurück in die vertraute Heimat zu holen.“

„Die Unseren?“ Der Priester der Engel schnaubte laut. „Die Auserwählte hat gesagt dass sie sich vereinigt haben. Die Wesen die wir retten sollen sind Mischlinge. Was soll mit ihnen geschehen, wenn sie erst einmal hier sind? Ein Wesen aus zwei Völkern, wie können wir so jemanden vertrauen?“

Das ließ wieder einige kleine Diskussionen aufkommen.

Ein glockenhelles Lachen war von der jungen Priesterin der Lykanthropen zu hören. „Das fragst ausgerechnet du Ajax? Ist es nicht deine Tochter gewesen, die erst vor kurzem mit einem Inccubus ungeniert durch die Lüfte tanzte?“

Das Gesicht von Priester Ajax wurde so rot, dass sich mir nicht erschloss ob nun aus Wut oder aus Scham. Vielleicht eine Mischung aus beidem. „Diese Sache hat sich erledigt. Und außerdem tut sie nichts zur Sache.“

Nuri pflückte sich eine weitere Weintraube ab. „Was mit den Mischlingen geschieht können wir noch immer entscheiden, wenn wir sie zu uns geholt haben. Vorrangig sollte unser Anliegen darin liegen sie zu retten.“

„Sollten wir uns dafür entscheiden diesem Plan zu folgen“, berichtigte Priester Ajax sie.

Die Priesterin der Lykanthropen nickte zustimmend. „Vielleicht sollten wir abstimmen. Bevor wir keine Entscheidung getroffen haben, bringt diese Diskussion über das weitere Vorgehen sowieso nichts.“

„Und wenn wir ablehnen, weil wir nicht daran teilhaben wollen?“, fragte Priester Ajax.

„Wir werden niemanden zwingen zu helfen“, sagte Priesterin Tia.

Der Knabe neben Ajax, der vielleicht grade mal zehn Sommer erlebt hatte, raschelte mit den Flügeln. „Es würde Horus enttäuschen, wenn wir unsere Hilfe verweigern“, sagte er leise und schaute zu seinem Priester auf. „Ich habe es gespürt, als er mit mir gesprochen hat. Es ist ihm wichtig das wir helfen.“

Ajax kniff die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

„Vielleicht sollten die Occinos entscheiden“, überlegte Nuri. „Jeder Occino genießt das Vertrauen seines Volkes. Kein Occino würde etwas tun was den Seinen Schaden zufügen könnte. Und heute sind wir alle hier um den Frieden zu wahren.“ Um ihre Lippen spielte wieder dieses leise Lächeln, dass sie immer zu tragen schien. „Wir bekriegen uns nicht wie die Krieger es tun. Wir spielen nicht mit unserer Macht, so wie die Priester es gerne handhaben. Und wir wissen Dinge die euch allen verborgen bleiben, da wir das Sprachrohr der Götter sind.“

Nach diesen Worten kehrte stille ein.

Sie sprach wahr. Jedes ihrer Worte beinhaltete so viel Wahrheit, wie sie selten ausgesprochen wurde. Nur war die Frage ob auch die Priester sich darauf einließen. Und da ich es war die diese Versammlung leitete, war es jetzt wohl an mir mal wieder das Wort zu ergreifen. „Dann stimmen wir doch einfach ab. Aus jedem Volk muss mindestens einer aufstehen um Nuris Worten zuzustimmen. Egal ob Priester, Krieger oder Occino. Ist nur einer aus dem Volk dafür, so wird angenommen, dass das ganze Volk dafür ist.“ Ich schaute von einem Tisch zum andren. „Wie entscheidet ihr euch?“

Ein kurzes Zögern zog durch den Saal, doch dann erhob sich ein Occino. Nuri selber. Die Krieger neben ihr rutschten nervös auf ihren Kissen herum, doch sie hinderten sie nicht daran und Priester Tenuis drehte einfach den Kopf weg, so als müsste er es so nicht sehen.

Dann stand Anima auf, zeitgleich mit dem Occino Feen. Auch Krieger und Priester erhoben sich. Bei den Lykanthropen standen sogar alle vier auf. Nun ja, der alte Occino versuchte es zumindest, wurde dann aber von der Priesterin dazu angehalten sitzen zu bleiben.

Der kleine Junge neben Ajax sprang sogar auf die Beine und schlug aufgeregt mit den Flügeln.

Selbst Sachmets Occino erhob sich von seinem Kissen, was ihm einige missmutige Blicke seiner Leute einbrachte.

Es dauerte nicht lange, da stand an jedem Tisch mindestens ein Wesen und schaute zu mir hinauf.

Priesterin Tia lächelte. „Damit ist es entschieden. Wir legen die Entscheidung in die Hände unserer Occinos.“ Sie richtete ihren Blick auf Anima. „Sag mir, werden die Ailuranthropen zur Erde reisen und die verlorenen Krieger in die Heimat holen, auch wenn keiner der Unsrigen dort verharren muss?“

Anima schaute zu mir. In ihrem Gesicht war keine Regung zu erahnen und einen Moment fürchtete ich um ihre Antwort. Warum auch immer, sie wollte Pascal nicht begegnen. Wenn sie ablehnte, würde es keine Rettung geben, denn auch ich war ein Ailuranthrop. „Bastet ist eine gütige Göttin. Sie sagt uns nicht was wir tun sollen, doch ich bin Occino und kann in ihr Herz sehen. Und dieses Herz trägt einen Wunsch.“ Sie drehte sich herum um die Abgesandten ansehen zu können. „Wir werden unsere Auserwählte zur Erde schicken. Unsere Krieger werden ihr folgen.“

„Unsere auch!“, rief der kleine Engel und hüpfte auf der Stelle. „Horus ist traurig, wenn wir jemanden bei dem bösen Mann lassen, deswegen müssen wir helfen.“

Ajax begann mit den Zähnen zu knirschen, wiedersprach seinem Occino aber nicht.

„Auch die Elfen werden sich an diesem Kampf beteiligen“, sagte Nuri. „Wir sind ein mutiges und stolzes Volk und fürchten uns nicht vor dem Kampf.“

Auch der Occino der Lykanthropen stimmte zu. Und der der Nymphen. Sie alle standen auf und sicherten uns ihre Hilfe zu. Keiner wollte zurück bleiben. Keiner wollte die anderen glauben lassen, dass sie die Gefahr des Unbekannten scheuten. Doch viele wollten einfach nur helfen, weil es ihr eigenes Volk war, das in den Fängen von General Silvano Winston durchhalten musste.

Einstimmig. Das Ergebnis dieser Entscheidung war einstimmig. Nicht mal das Friedenabkommen konnte damals alle zufrieden stellen. Es hatte Gegner gegeben, manche hatten den Krieg gewollt, denn nur durch ihn bekamen sie die Chance an die Mächte der anderen Götter zu gelangen. Doch nun, zum ersten Mal in der Geschichte Silthrims, waren sich alle Völker einig.

Dieses Gefühl … zum ersten Mal seit meiner Rückkehr fühlte ich so etwas wie Glück.

Natürlich, die Geistrede wieder zurück zur Erde zu müssen behagte mir nicht, doch Aman würde bei mir sein – die ganze Zeit.

Es war diese Aussicht, die mich den Rest der Versammlung durchhalten ließ. Nicht mal für das Mittagsmal wurde sie unterbrochen.

Gemeinsam fällten wir die Entscheidung, dass wir in zwei Tagen aufbrechen würden. So blieb uns noch genug Zeit für die Vorbereitungen und die Völker konnten die Krieger auswählen, die mir zur Erde folgen würden. Es wurde entschieden, dass alle Priester das Portalzeichen der Erde erhalten sollten. So würde man von jedem Tempel und mit jeder Göttermacht darauf zugreifen können.

Die Priester und Occinos würden zurück in ihre Heimat gehen, die Krieger allerdings würden in Bastets Tempel verweilen, bis wir auch den letzten Krieger zurück in die Heimat gebracht hatten.

Die Zeit nährte sich bereits dem Abend, als die Versammlung sich langsam auflöste. Ich wollte sofort los um nach Sian zu sehen, denn ihn hatte ich in meiner Hütte zurücklassen müssen, als mein Blick auf Aman fiel.

In den letzten vier Tagen hatte ich nicht ein Wort mit ihm wechseln können und auch jetzt erhob er sich einfach und verließ den Saal ohne auch nur einmal in meine Richtung zu schauen.

Bald, sagte ich mir und verdrängte den Schmerz, bald würde sich alles ändern. Ich würde nicht zulassen, dass er sich von mir abwandte. Aman gehörte zu mir und ich würde dafür sorgen, dass auch er es verstand.

 

°°°

 

Das Rot der Abenddämmerung färbte die Landschaft und malte lange Schatten über die Landschaft des Tempelgeländes.

Schnurrend drehte Sian sich auf den Rücken und streckte mir den Bauch entgegen. Er liebte es dort gekrault zu werden und ich ließ mich nicht zweimal bitten.

Ich saß vor meiner Hütte im Gras und schaute der Sonne beim Untergehen zu. Meine Finger fuhren dabei durch das weiche Fell meines Sermos. In meinem Kopf waren so viele  Geistreden, dass ich einfach nicht zur Ruhe kam. Und sie alle drehten sich immer um das gleiche Thema. Aman. Egal wie sehr ich versuchte mich abzulenken und wie oft ich mir auch sagte, dass bald alles anders werden würde, von diesen Reden im Geist kam ich einfach nicht los. Auch nicht als Anima hinter mir aus der Hütte kam und sich neben mich ins Gras setzte.

Gillette war gleich hinter ihr, doch er blieb stehen und behielt die Umgebung im Auge. Das so viele Krieger der anderen Völker im Tempel waren, behagte ihm gar nicht. Er ließ Anima keinen Moment mehr aus den Augen und das lag nicht nur daran dass sie sein Herz war. Er war Occinos Beschützer. Es war seine Aufgabe auf ihr Leben zu achten.

„Du bist so abwesend“, sagte Anima und pflückte einen Grashalm. „Schon seit Tagen.“

„Es ist einfach viel passiert.“

Sie drehte den Grashalm zwischen ihren Fingern, bis der Saft austrat. „Hast du Angst? Vor der Reise zur Erde?“

Mein Blick richtete sich in die Ferne. Hatte ich Angst? Ich meine, die Zeit auf der Erde war niemals einfach gewesen, aber es hatte auch schöne Zeiten gegeben. Sie waren selten und meist von Zweifeln durchzogen, und auch wenn ich glücklich war sie hinter mir zu haben, so wollte ich sie nicht missen. „Nein“, sagte ich und ließ meine Hand unter Sians Kinn wandern. „Ich kann nicht behaupten dass ich mich freue noch einmal dorthin zu müssen, aber ich fürchte mich nicht davor.“

„Warum bist du dann so traurig?“

Überrascht sah ich sie an.

„Du solltest stolz auf dich sein. Du hast nicht nur ein großes Unheil abgewendet, es ist auch dein Verdienst dass die Völker dieser Welt zum ersten Mal in der Geschichte zusammenarbeiten. Deine Aufgabe als Auserwählte ist sehr wichtig und bis jetzt hast du jede Prüfung die dir auferlegt wurde gemeistert. Und doch.“ Sie ließ die Reste ihres Grashalms fallen und bedachte mich mit einem sorgenvollen Blick. „In den letzten Tagen erkenne ich dich kaum wieder. Du scheinst erwachsener geworden zu sein, gleichzeitig aber auch … fremd.“

Fremd. Ich drückte die Lippen aufeinander.

„Du sprichst nicht mehr mit mir, du weichst mir aus und die ganze Zeit siehst du so traurig aus.“

Meine Hand verharrte in Sians Fell.

„Etwas bedrückt dich. Doch wenn es nicht die Angst vor der Rückkehr zur Erde ist, was ist es dann?“

Was mich bedrückte? Fast hätte ich laut aufgelacht, doch stattdessen wandte ich den Blick. Das war etwas dass ich ihr nicht erzählen konnte.

„Warum schweigst du Lilith?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Lilith …“

„Du würdest es nicht verstehen.“

„Was würde ich nicht verstehen?“ Sie wartete auf eine Antwort, doch als diese nicht kam, griff sie nach meinem Arm und zog so lange daran, bis ich sie ansah. „Hast du mit mir nicht immer über alles reden können?“

„Du verstehst nicht, das ist nicht so einfach.“

Sie musterte mich, von meinen Zehnspitzen über meinen Lendenschurz bis hinauf zu meinem Gesicht. „Du hast Recht, ich verstehe es wirklich nicht. Ich kann es aber auch nicht verstehen, weil du nicht mit mir sprichst. Bitte Lilith.“ Sie beugte sich leicht vor. „Haben wir denn nicht immer über alles reden können?“

Meine Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Wie gerne ich mit ihr sprechen würde. Vielleicht wüsste sie sogar etwas das mir helfen könnte. Aber … eine Verbindung zu einem Lykanthropen würde auch sie nicht gutheißen. Sie war nicht wie Vinea. Amans Sicuti wollte nur das ihr Brester glücklich war. Anima war meine beste Amicus, aber sie geistredete viel engstirniger.

Doch … was wenn ich ihr nicht alles erzählte? Sie musste doch gar nicht erfahren, dass meine Reden im Kopf sich um einen Lykanthropen drehten und doch könnte sie mir ein wenig helfen. „Es ist …“ Ich schaute zu Gillette auf. Mit Anima zu sprechen war eine Sache, aber er?

Meine Amicus verstand sofort. „Würdest du uns ein wenig allein lassen?“

Gillette schien es nicht besonders zu gefallen sich von Animas Seite zu trennen. Dennoch nickte er und lief langsam den Weg hinunter. Nicht weit weg, aber weit genug, damit er unseren Worten nicht mehr lauschen konnte.

Anima rutschte ein wenig näher. „So, er ist weg. Nun sprich mit mir.“

Sprechen. Plötzlich fühlte meine Zunge sich viel zu schwer an. Trotzdem öffnete ich den Mund. „Am Schöpfertag, da … ich habe euch nicht alles erzählt.“

„Was meinst du?“

„Während meiner Reise durch die Welten, da ist …“ Göttertod noch eins, nun spuck es schon aus! „Nim, ich habe mein Finis gefunden.“

Animas Mund klappte auf, aber kein Ton kam heraus. Sie starrte mich nur an und schien nicht mehr fähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen.

„Nun sag doch etwas.“

„Das ist … wundervoll.“ In ihrem Blick lag Unglaube. Nicht viele Wesen fanden ihren Finis. Eine Verbindung, die von den Göttern bereits bei der Geburt arrangiert wurde. Es war selten, so unglaublich selten.

„Nein ist es nicht“, wiedersprach ich ihr und schlang die Arme um meine Knie. „Er weiß es nicht mehr. Genau wie alle anderen hat er vergessen was geschehen ist und nun weist er mich zurück.“

„Was?!“

„Anima, es tut so weh und ich weiß nicht was ich tun soll. Er erkennt mich nicht mehr. Er weiß nicht was zwischen uns gewesen ist.“

„Aber … wenn es wirklich eine Finis ist, dann muss er sich doch zu dir hingezogen fühlen. Niemand kann sich dagegen wehren.“

Ja, das wusste ich. Ich hatte es am eigenen Leib zu spüren bekommen.

„Geh einfach zu ihm. Auch wenn er sich nicht erinnert, er wird es spüren.“

„Ich kann nicht einfach zu ihm gehen. Er will das ich mich von ihm fernhalte.“

„Warum?“

Weil ich zu den Ailuranthropen gehörte und er nicht. „Es ist kompliziert.“ Aber … war das wirklich alles? Auch ich hatte damals so reagiert, hatte ihn immerzu von mir gestoßen, weil er ein Lykanthrop war. Dabei war es völlig egal gewesen, was ich gespürt habe. Es war gegen meine Erziehung, gegen alles was mir beigebracht wurde.

Meine Geistreden begangen sich zu drehen. Hieß das, dass er den Spieß jetzt einfach umdrehte? Spürte er vielleicht doch etwas und wollte es einfach nicht wahrhaben? Hielt er mich deswegen dazu an ihm fern zu bleiben? Oh Göttin, konnte das sein?

„Kompliziert?! Zur Sachmet noch mal, Lilith! Wenn er dein Finis ist, wird er sich gar nicht von dir fernhalten können!“

„Pssst“, machte ich und sah mich hektisch um, aber außer Sian war niemand in der Nähe – und Sermos konnten schweigen wie ein Grab, wenn ihre Leiter ihnen nichts andere befahlen.

„Wer ist es? Sag es, dann werde ich mit ihm sprechen und …“

„Nein!“ Ich packte ihren Arm. „Versprich mir dass du nicht zu ihm gehen wirst.“

Sie runzelte die Stirn.

„Bitte Nim, das darfst du nicht.“

„Davon abgesehen dass ich es gar nicht kann, weil ich nicht weiß wer es ist, warum?“

Oh Göttin, warum hatte ich mich nur auf dieses Gespräch eingelassen? Ich hätte schweigen sollen.

„Lilith, wer ist dein Finis?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Warum?“

Weil du genauso erzogen wurdest wie ich. „Es ist kompliziert.“

Diese Antwort stellte Anima ganz und gar nicht zufrieden. Sie kniff die Augen leicht zusammen und funkelte mich an. „Ich versteh nicht was daran so kompliziert ist. Wenn du …“

„Lilith!“

Der klang dieser Stimme ließ mich überrascht herumwirbeln und plötzlich war jede Geistrede an Aman und Anima völlig aus meinem Kopf verschwunden.

Drei Krieger Schritten den steinernen Pfad zu unserer Hütte hinunter – direkt auf mich zu.

Der linke hatte weißes kurzgeschnittenes Haar, das sein Kinn noch charakteristischer wirken ließ. Er war schlank und von einer natürlichen Schönheit, die er bei unserer letzten Begegnung verloren hatte. Als er mich sah, strahlte er geradezu. Jedes Zeichen des Zerfalls war von ihm gewichen. Er sah genauso aus wie es sein sollte: Gesund.

Der Rechte Mann war mir fremd. Sein Kopf war blank, kein einziges Haar verdeckte die Hautbemalungen, die sich über sein halbes Gesicht bis hinunter zur Brust zogen. Blaue Zeichen die immer wieder das Symbol unserer Göttin aufwiesen.

Er hatte ein breites kreuz und wachsame Augen. Vom Aussehen kam er nicht an den anderen Krieger ran. Sein ganzes Antlitz sprach von Gefahr. Doch auf seinen Lippen lag ein Lächeln, dass die harten Züge viel sanfter wirken ließ.

Meine Aufmerksamkeit jedoch lag auf dem Mann in der Mitte. Wie der erste Krieger besaß auch er weißes Haar, nur war seines lang und im Nacken zusammengebunden. In seinem Gesicht trug er eine lange markante Nase, wie ich sie noch kein zweites Mal gesehen hatte. Breite Arme, durchtrainierter Körper. Sein wahres Alter hatte man ihm noch nie angesehen.

Und jeder dieser drei Krieger führte einen gesattelten Amentrum hinter sich her.

„Fafa“, flüsterte ich und spürte wie die Tränen in meine Augen stiegen. Er war gesund. Kein Zeichen der Krankheit verunzierte seine Gestalt. Keine eingefallenen Wangen, kein knochendürres Gerippe, keine dunklen Ringe unter den Augen. Nur ein paar Fältchen hatten sich mit den Jahren um seine Augen gebildet.  

Er war genauso wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Mich hielt nichts mehr auf meinem Fleckchen Gras. Ich sprang auf die Beine, rannte ihm entgegen und warf mich um seinen Hals. „Fafa“, flüsterte ich dabei. Immer wieder Fafa. Er lebte, er war gesund. Ich drückte ihn noch fester an mich.

„Aber aber, Nasan.“ Er ließ Lacotas Zügel los um mich seinerseits zu umarmen. „Hast du mich so sehr vermisst?“

Nein, es war viel mehr als das. Er war krank gewesen und gestorben. Auch wenn ich nicht dabei gewesen war, so wusste ich es. Er hatte mich verlassen, doch nun war er wieder hier. Gesund und munter. Ich spürte seinen Herzschlag. „Es tut so gut dich zu sehen.“

„Ich freue mich auch.“

„Wird heute nur Fafa begrüßt?“, fragte Licco mein Brester leicht beleidigt.

Ich drehte den Kopf nach links und lächelte ihn an. „Dir geht es gut.“

„Natürlich.“

„Und dir?“, fragte Fafa. „Geht es dir auch gut?“

Mein Griff lockerte sich etwas. Ich wippte zurück auf die Fußballen und schaute zu ihm auf. „Warum sollte es mir nicht gut gehen?“ Besonders jetzt nachdem ich mich versichern konnte, dass er in Ordnung war.

Meinem Fafa ging es gut und auch Licco war unversehrt. Dann mussten auch meine Mina und meine anderen Brestern in Ordnung sein. Allen ging es gut.

„Wie ich gehört habe hast du für einen ganz schönen Aufruhe gesorgt, Auserwählte.“

Aus seinen Worten klang so viel Stolz, dass ich rot anlief. „Du hast schon davon gehört?“

„In den letzten Tagen habe ich sehr viel gehört. Gerüchte von Abenteuern und einer Heldin, die so verrückt klingen, dass ich ihnen einfach folgen musste.“

Heldin? Meine Gesichtsfarbe wurde deutlich dunkler. „Ich habe nur getan was ich tun musste.“ Ich ließ ihn ganz los und trat einen Schritt zurück. Und auch wenn mir sein Lob etwas unangenehm war, so konnte ich nicht aufhören zu lächeln.

„Wie eine wahre Kriegerin der Bastet.“

„Es stimmt also?“, fragte der unbekannte Krieger. „Du hast die Ailuranthropen mit einer Vision der Zukunft gerettet?“

„Bitte?“ Ich war doch kein Orakel. Wie kam er nur darauf … oh, natürlich. „Nein. Ich habe die Zukunft nicht gesehen, ich habe sie erlebt.“

Der Krieger neigte den Kopf zur Seite. „Diese Geschichte musst du mir dringend erzählen.“

Ich runzelte die Stirn und musterte ihn kritisch. „Warum sollte ich? Wer bist du eigentlich?“

Das ließ ihn herzlich lachen.

Mein Fafa lächelte. „Lilith, darf ich dir Tarpan vorstellen? Er zieht mit Licco und mir durchs Land.“

Tarpan? Ach ja. „Von dir habe ich bereits gehört.“

„Ich hoffe nur Gutes.“

Ich machte eine vage Bewegung mit der Hand.

Licco gab ein schnaufendes Lachen von sich. „Werde ich jetzt eigentlich auch mal begrüßt?“

Das wurde er. Lange und sehr ausgiebig. Und dann begrüßte ich auch sein Amentrum Fritte. Und natürlich auch Lacota. Doch wirklich beeindruckt war ich von Tarpans Geleit Audax. „Ich habe noch nie ein so großen Amentrum gesehen.“ Zumindest keinen außer Sian. Doch der war Parvum gewesen und das war etwas was kein zweites Mal geschehen würde.

Audax schwoll die Brust.

„Komm“, sagte Fafa und legte einen Arm um meine Schulter. „Begleite uns zu den Priestern. Und erzähle uns was geschehen ist.“

Ich zögerte einen Moment und schaute zu Anima, die noch immer geduldig vor der Hütte wartete. Aber … vielleicht war es gar nicht so schlecht einfach zu gehen. Wirksamer würde ich dieses Gespräch nicht beenden können. „Wir sehen uns später“, sagte ich zu ihr und winkte Sian zu mir.

Unter den Augen der fremden Amentrums wurde er deutlich kleiner und versuchte so unbemerkt wie möglich zu mir zu schleichen.

 

°°°°°

Kapitel Fünf

 

Wie jeden Morgen war der Saal der Speisen von den Klängen des ersten Mahls erfüllt. Nur eines unterschied diesen Tag von jedem anderen, den ich im Tempel der Bastet verbracht hatte: mein Fafa. Ich konnte gar nicht anderes, als bei seinem Anblick erneut zu lächeln.

Er hatte mir gefehlt. Nicht nur durch das was geschehen war, nein. Ich lebte bereits so viele Jahre im Tempel, in denen ich meine Familie vermisst hatte. Und sein letzter Besuch lag bereits fast zwei Jahre zurück.

„Und dieser Kriegergeneral?“, fragte Tarpan und griff sich von der Frühstücksplatte ein Honigtörtchen. „Was ist aus ihm geworden?“

Ja, auch Licco und Tarpan saßen mit am Tisch.

In der letzten Stunden hatten die drei meinen Worten gelauscht. Der Saal der Speisen war bereits bis auf wenige Nachzügler leer und so waren wir mehr oder weniger für uns alleine.

„Ich weiß nicht.“ Ich geistredete an dem Moment vor dem Portal, als ich mich auf ihn gestürzt hatte, um ihn für als das Leid büßen zu lassen. „Als ich durch das Portal trat, badete er in seinem eigenen Blut, aber er lebte noch.“

„Er hat sicher bekommen was er verdiente“, beschied Licco. „Kein Gott würde ein so grausames Verhalten durchgehen lassen.“

„Auf der Erde gibt es keine Götter.“

Das Honigtörtchen blieb auf halben Weg zu Tarpans Mund in der Luft hängen. „Keine Götter?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Aber woher kommen die Menschen dann?“

„Sie nennen es Evolution. Ich weiß nicht was genau das ist, aber von dort kommen sie.“

„Ein seltsames Land“, überlegte mein Fafa.

„Du machst dir keine Vorstellung. Sie bekleben ihre Wände mit Papier und den Boden mit Fell. Ihre Baderäume sind so klein, dass nur ein Wesen dort drinnen Platz hat und ihre Kleidung erst. Etwas solches habt ihr noch nie gesehen.“

Auch mein Fafa nahm sich ein Honigtörtchen von der Servierplatte. „Das wird sich bald ändern.“

Ich nickte. „Ja, wenn sie herkommen werdet ihr es mir eigenen Augen sehen können.“

Licco lachte leise. „Das hat Fafa nicht gemeint.“

Nicht? Ich neigte den Kopf fragend zur Seite.

„Wir werden dich begleiten“, sagte Fafa. „Das ist der Grund warum wir in den Tempel gekommen sind.“

„Was sagst du da?“

„Erinnerst du dich nicht?“ Fafa schmunzelte. „Dabei warst du es doch gewesen, die es verkündet hat. So jedenfalls wurde es mir zugetragen.“ Als ich immer noch nicht verstand sagte er: „Aus jedem Volk werden dir zwei Krieger zu fremden Ufern folgen.“

Mir klappte sprichwörtlich die Kinnlade herunter. „Aber … das geht doch nicht. Dann wärst du mir doch unterstellt und … das …“

„Er wäre mir eine Ehre dem Wort meiner Auserwählten zu folgen. Das sie auch noch meine über alles geliebte Tochter ist, macht mich nur umso stolzer.“

Nein, ich konnte es nicht verhindern, ich wurde wieder rot. In dem Versuch es zu überspielen, griff ich nach Sian und zog ihn auf meinen Schoß. „Das ist … mir sollte es eine Ehre sein, dass du mich begleitest.“

„Oh je, gleich schwillt ihm die Brust.“

Tarpan holte aus und ditschte Audax auf den Kopf.

„Au-a!“

„Beherrsch dich.“

Der Sermo grummelte etwas, erhob sich dann und legte sich unweit von Fritte wieder nieder. So würde sein Leiter nicht so einfach an ihn heran kommen.

Lacota kommentierte das Ganze nur mit einem Gähnen.

„Lilith.“ Mein Fafa legte seine Hand auf meine. „Du hast etwas geschafft das nur wenigen Kriegern gelingt. Unter all den Ailuranthropen die es gibt hat Bastet dich ausgewählt um unser Volk zu retten und in eine sichere Zukunft zu führen. Wie also könnte ich mich nicht geehrt fühlen, an deiner Seite zu kämpfen?“

Weil ich eine Notlösung war. Bastet hatte mich nur erwählt, weil ich die Einzige war die sie noch schicken konnte. Aber diese Worte … ich brachte sie nicht über meine Lippen. Mein Fafa war so stolz auf mich, ich wollte ihn nicht enttäuschen. „Ich werde versuchen das richtige zu tun“, sagte ich leise. „Ich weiß wie wichtig meine Aufgabe ist.“

„Und bisher hast du sie ja auch mit Glanz und Gloria erfüllt.“ Tarpan lächelte.

Das kommentierte ich nicht. Dieser Ehrerbietung … ich hatte sie nicht verdient. Ja, im Endeffekt hatte ich mein Volk gerettet, doch auf halber Strecke hatte ich aufgegeben. Die ganze Zeit hatte ich so oft versagt, dass es im Grunde gar nicht zählte was ich erreicht hatte. Das heute alles so war wie es war hatte ich allein der Tatsache zu verdanken, dass die Schriften der Firenzia der Wahrheit entsprachen.

„Warum dieses Gesicht?“, fragte Fafa.

Ich schaute auf und versuchte mich an einem Lächeln. „Nicht so wichtig.“

Ob er es mir glaubte oder nicht ließ er nicht erkennen. Jedenfalls nahm er seine Hand von meiner und erhob sich. „Ich glaube es ist an der Zeit das wir uns die Beine vertreten. Lilith, würdest du uns ein wenig herumführen? Ich war schon so lange nicht mehr hier.“

„Natürlich.“ Ich sprang so schnell auf die Beine, dass Sian beinahe von meinem Schoß kullerte.

Licco lachte.

 

°°°

 

Es war ein Tanz. Meine Bewegungen. Geschmeidig flossen sie ineinander. Die Sonne ließ die Klinge meines Schwertes glänzen. Doch dann kam ein Gegenschlag von Tarpan. Ich wich zur Seite. Hunderte von malen hatte ich diese Technik geübt, doch der Sand unter  meinen Füßen spielte gegen mich. Ich stolperte, rutschte weg und landete mit einem dumpfen Geräusch im Sand – direkt vor den Augen meines Fafas.

Zur Sachmet!

Licco lachte, während mein Gesicht schon wieder rot anlief.

Warum nur hatte ich mich auf diesen Trainingskampf eingelassen? Mir hätte klar sein müssen, dass ich gegen Tarpan keine Chance hatte. Dieser Krieger war schließlich mit meinem Fafa und Licco unterwegs, zwei der besten Krieger unseres Volkes.

Die hingehaltene Hand meines Gegners hätte ich am liebsten ausgeschlagen. Doch die Augen meines Fafas ruhten auf mir. Mir blieb gar nichts anderes übrig als mich auf die Beine ziehen zu lassen und es ihm auch noch zu vergelten.

„Du stehst falsch“, sagte Tarpan und bückte sich nach meinem Schwert, um es mir anschließend zu reichen. Ein leichter Schweißfilm glänzte auf seiner Haut. Er hatte sich anstrengen müssen. Also hatte ich doch nicht auf ganzer Linie versagt.

Welch schwacher Trost.

„Ich steh so wie ich es gelernt habe.“ Ich griff mein Schwert und befreite die Klinge vom Sand.

„Das war keine Beleidigung gewesen. Für dein Alter kämpfst du sehr gut.“

Wollte er mich ärgern? Ich funkelte ihn an. „Ich weiß sehr wohl wie ich kämpfe.“ Und das Wort gut gehörte nicht zur Beschreibung.

Tarpan schienen meine rüden Worte nicht zu stören. „Dein Problem ist dein Stand. Im weichen Sand musst du die Beine weiter auseinander stellen, damit ich dich nicht einfach umschubsen kann.“

Ich kniff die Augen zusammen, behielt aber jeden weiteren Kommentar für mich.

„Wenn du einmal eine fertige Kriegerin bist, dann werde ich es sicher nicht mehr so einfach mit dir haben.“

Dein größtes Problem ist deine Selbstbeherrschung. Wenn du an deiner Selbstbeherrschung arbeitest und deinen Starrsinn zu bezwingen lernst, kann aus dir eine Kriegerin werden, auf die ihr Volk stolz sein kann.

Tarpans Worte bedeuteten nichts. Doch die aus meiner Erinnerung … ihr Gewicht wog viel schwerer. Aman hatte sie gesagt. Aman hatte an mich geglaubt – wenn auch nur ein kleinen wenig.

„Sei mir nicht böse.“ Er lächelte mich an und diese Geste ließ dieses harte Gesicht wieder so viel weicher wirken.

„Du hattest Glück, mehr war es nicht.“

„Dann hoffe ich, dass das Glück auch in Zukunft auf meiner Seite verweilt.“

Wie er das sagte … mein Mundwinkel zuckte. Ich konnte es gar nicht verhindern. „Wie dem auch sei.“ Ich strich mir das Haar aus dem Nacken und sah zu meinem Fafa, der mich mit einem rätselhaften Lächeln bedachte. „Ich will noch ins Badehaus, bevor ich zu dem Treffen mit den Priestern muss.“

„Eine letzte Besprechung, bevor es morgen in die fremde Welt geht?“

„Es ist wichtig.“ Ich nahm mein Schwert in die andere Hand. „Dort ist es ganz anders als hier und wir müssen uns so gut es geht vorbereiten.“ Dieses Mal bekam ich die Gelegenheit dazu und ich würde sie nicht verstreichen lassen.

„Dann begleite ich dich.“

„Zu den Priestern?“

Mein überraschter Tonfall ließ ihn schmunzeln. „Nein, ins Badehaus. Nach dem Training würde ich mich gerne waschen.“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Außer … vielleicht stört es dich ja.“

„Nein, das stört mich nicht.“ Ich schaute zu Fafa uns Licco. „Begleitet ihr uns?“

„So gerne ich das tun würde, Licco und ich haben noch etwas zu erledigen.“ Er trat zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Geh nur mit Tarpan.“

Meine Enttäuschung konnte ich nicht verhehlen. Ich wollte nicht Tarpan mitnehmen, ich wollte meinen Brester und meinen Fafa bei mir haben. „Habt ihr nicht noch ein wenig Zeit?“

„Nein Lilith, heute nicht.“ Er nahm mir mein Schwert aus der Hand und trat einen Schritt zurück. „Beim nächsten Mal.“

Natürlich, beim nächsten Mal. Es waren Worte die er immer sprach, wenn er im Tempel war. Beim nächsten Mal. Immer wieder beim nächsten Mal.

Ich verstand ja dass mein Fafa ein großer Krieger war und immer viel zu tun hatte. Und trotzdem wünschte ich mir, dass er manchmal mehr Zeit für mich hätte.

Aber er kam nicht mit. Er wandte sich ab und ging. Und nur weil er an Licco vorbei lief, achtete ich auf den Ausdruck im Gesicht meines Brester. Er wirkte unzufrieden, ja fast störrisch. Wollte er nicht mit Fafa gehen? Aber warum lag sein Blick dann auf Tarpan?

Merkwürdig.

 

°°°

 

Als ich in den Spülraum des Badehauses trat, beflügelten die Angenehmen Düfte in der Luft bereits meine Nase. Lavendel, Orangenblüten und Salbei. Die Gerüche vermengten sich zu etwas exotischem, das die Sinne umschmeichelte und Wohlbefinden auslöste.  

Ich liebte es ins Badehaus zu gehen.

Der Spülraum der Frauen war nicht sehr groß und um diese Zeit kaum besucht. In Regalreihen an der Seite konnte man seine Habseligkeiten unterbringen. Neben der Tür war ein Berg von sauberen Handtüchern und an der Front war ein längliches Becken, aus dem wir kaltes Wasser schöpfen konnten.

Ich zog meinen Lendenschurz aus und legte ihn ins Regal. Ein paar andere Lehrlinge nickten mir zu, als ich mir eine Holzschüssel vom Boden klaubte und damit zum Becken lief. Dies war der einzige Teil, bei dem ich mich immer in kleinen wenig zusammenreißen musste. Das Wasser hier war nämlich wirklich eiskalt. Aber ich würde einmal eine Kriegerin werden und so ein bisschen Wasser konnte mich sicher nicht in die Flucht schlagen.

Entschlossen tauchte ich die Holzschüssel in das steinerne Becken, atmete einmal tief durch und kippte es dann über mich.

Oh Göttin … heillos, war das kalt! Meine Haut zog sich sofort zusammen und ein Schauder rann mir über den Rücken. Bei Bastet, warum legten sie nicht auch hier Sonnensteine ins Wasser?

Ich schüttelte mich, wischte mir das Wasser aus den Augen und wiederholte die Prozedur dann noch zwei Mal. Zum Glück war nur der erste Schwall Wasser ein wirklicher Schock für den Körper.

Erst als mir das weiße Haar triefendnass am Kopf klebte, stellte ich die Schüssel zurück an die Seite und nahm mir eines der Handtücher vom Stapel, das ich mir mit geschickten Fingern um die Hüfte band.

Ein paar Krieger betraten lachend den Spülraum.

Ich nickte ihnen zu und wandte mich dann zu dem Vorhang um, der den Spülraum vom Saal der Bäder trennte. Er war aus einem silbrigen Stoff, der mit dem Zeichen unserer Göttin bestickt war. Die Silhouette einer majestätischen Katze die ihre ihren Schanz um ihre Beine gewickelt hatte.

Dieses Zeichen war im Tempel so oft vertreten, dass ich ihm nur noch selten meine Aufmerksamkeit widmete, doch dieses Mal blieb ich stehen und schaute es mir an. Das gleiche Zeichen prangte nun auf meinem Oberschenkel. Es zeichnete mich als Auserwählte aus.

Ich wusste noch immer nicht, ob ich dieser Aufgabe wirklich gewachsen war. Und auch nicht, ob ich sie bereits erfüllt hatte. Aber es waren die Götter gewesen, die die Völker zusammengeführt hatten. Dass ich wieder zur Erde aufbrach, entsprach ihrem Wunsch. Doch trotz meiner gespielten Zuversicht war ich verunsichert, ob ich es schaffen würde meiner Bestimmung ein weiteres Mal nachzukommen.

Oh Göttin. Diese Geistreden waren müßig und brachten mich nicht weiter. Wenigstens würde Aman wieder an meiner Seite sein und wie Anima bereits gesagt hatte: Wenn er wirklich mein Finis war, würde er sich mir nicht entziehen können – jedenfalls nicht auf Dauer. Ich selber hatte es spüren müssen.

Aman.

Ich würde ihm nicht erlauben sich von mir zu entfernen.

An diese Geistrede klammerte ich mich, als ich den Vorhang zur Seite schob und in den Saal der Bäder trat.

Die Gerüche schlugen mir mit einer Wolke aus sauberem Dampf entgegen. Ich musste einmal blinzeln.

Nur wenige Krieger befanden sich um diese Zeit hier. Ich hörte ihre Stimmen und das Lachen eines Mannes, das zwischen den Marmorsäulen schallte.

Mehrere Dutzend Holzbottiche waren über den ganzen Raum verteilt. Sie standen auf steinernen Podesten und waren groß genug um gleichzeitig sechs Wesen zu fassen.

Von ihren Wasseroberflächen stieg Dampf auf, der sich im ganzen Raum verteilte. Und die Gerüche hier waren so intensiv, dass sie mir in der Nase kitzelten. 

Ich ließ meinen Blick durch den nebligen Saal wandern, konnte Tarpan aber nicht entdecken. Wahrscheinlich befand er sich noch im Spülraum der Männer. Dafür aber sah ich Anima mit Gillette und Jaron in einem der Becken. Und etwas weiter hinten … Vinea.

Ihr Anblick überraschte mich. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie sich noch auf dem Gelände des Tempels befand. Und als ich sie sah … mein Herz wollte schon schneller schlagen, doch Aman war nicht bei ihr. Nur der alte Occino und dieser Rigo saßen bei ihr im Wasser und unterhielten sich leise.

Ich zögerte zu ihr zu gehen, sagte mir dann aber dass es dazu kein Grund gäbe und nährte mich ihnen mit entschlossenen Schritten. Dies hier war schließlich der Tempel meiner Göttin. Ich war die Auserwählte. Und wenn es mich danach verlangte mit den Kriegern eines anderes Volks zu sprechen, dann war mir das erlaubt.

Rigo war der erste der mich entdeckte. Er schloss den Mund, stieß Vinea dann mit der Schulter an und zeigte in meiner Richtung. Oh Göttin, langsam sollte ich mich wirklich an diese Blicke gewöhnen.

Als ich auf das Podest trat, ignorierte ich Rigo und Occino. Mein Blick galt allein Amans Sicuti. „Sei gegrüßt, Vinea.“

„Sei gegrüßt.“ Das Wasser plätscherte, als sie sich drehte und die Arme auf den Beckenrand legte. „Lilith, oder?“

Ich wollte nicken, verharrte jedoch in der Bewegung. Sie kannte meinen Namen. „Erinnerst du dich?“, fragte ich leise.

„Natürlich. Die erste Auserwählte seit dem großen Krieg. Wer würde sich nicht an deinen Namen erinnern?“ Sie strich sich eine nasse strähne ihres bunten Haares aus dem Gesicht. Im Grunde sah sie genauso aus wie Aman, nur war ihr Haar länger und ihr Körper viel weicher und weiblicher. „Und dann erst die Geschichte die Aman mir erzählt hat. Sag, stimmt es, dass auch ich in dieser anderen Welt war?“

Oh, Auserwählte. Natürlich. Das hatte sie mir erinnern gemeint. „Ja, es ist wahr“, sagte ich leise und versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Es war albern, aber noch immer hoffte ich, dass es da jemanden gab, er wusste was geschehen war. Warum eigentlich? Dadurch würde sich doch nichts ändern.

Lächelnd legte Vinea ihren Kopf auf ihre Arme. „Ich kann das gar nicht glauben. Diese ganze Geschichte … sie klingt so schöpferisch.“

„Aber sie stimmt. Du warst auch dort.“ Und währst beinahe gestorben.

„Das heißt du kennst mich ganz gut, oder?“ Ihre Augen blitzten auf und … irgendwie klang in dieser Frage eine Herausforderung mit. Oder bildete ich mir das ein?

„Du hast mir manches erzählt.“

„So? Was denn?“ Nun klang dort eindeutig eine Herausforderung mit. Es schien als wollte sie den Wahrheitsgehalt meiner Geschichte überprüfen.

Glaubte sie mir etwa nicht? „Rot“, sagte ich ohne ihrem Blick auszuweichen.

Sie runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht.“

„Die Farbe am Fenster. Rot. Du hast dich gewundert, warum eure Eltern sie angemalt haben, da sie doch mit euch geschimpft haben, als ihr das mit den Wänden getan habt. Du hast sie danach nie wieder gesehen.“

Bei meinen Worten wurde Vinea leicht blass um die Nase und das provozierende Lächeln verschwand von ihren Lippen.

„Das Unglück hat Aman von eurem Fafa geerbt. Zumindest glaubt er das bis heute.“ Ich schwieg einen Moment. „Wenn du es wünschst, dann kann ich noch mehr erzählen. Vom Tod eurer Romina und eurer Zeit im Tempel. Ich kann dir sagen wie Aman zu Acco gekommen ist, obwohl ihm noch gar kein Sermo zustand, doch das weißt du ja alles selber. Nicht wahr?“

„Ja, ich …“ Sie klappte den Mund zu und schüttelte den Kopf. „Es ist also wirklich wahr.“

Ich nickte. „Ja. Ich weiß es ist schwer zu glauben, aber ich lüge nicht.“

„Das habe ich auch nie behauptet.“

Nein, hatte sie nicht. jedenfalls nicht direkt. „Ich wollte dich nicht verwirren. Eigentlich … ich glaube ich wollte dich einfach nur fragen wie es dir geht.“ Und Aman.

„Sehr gut.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. Da Wasser plätscherte wieder. „Die Ailuranthropen sind sehr zuvorkommend. So ganz anders als ich erwartet habe.“

„In den letzten Wochen habe ich gelernt, dass selten etwas so ist wie wir es erwarten.“ Und dass das Schicksal ein grausamer Geselle sein konnte.

„Wüssten wir immer was auf uns zukommt, so wäre das Leben belanglos. Es sind unerwartete Dinge und die Entscheidungen die daraus entwachsen, die uns zu dem machen was wir sind.“

In ihren Worten steckte so viel Wahrheit, dass sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen schlich. Eine Finis zu einem Lykanthropen war etwas sehr unerwartetes. Und was daraus erwachsen konnte … „Du hast Recht.“ Ich würde dafür sorgen, dass auch dieses Mal etwas daraus erwachsen würde. Aman würde mir nicht entkommen. „Behalt deinen Lebensgeist, Vinea. Du bist eine Bereicherung für jeden der dich kennenlernen darf.“ Ich nickte ihr noch einmal zu und verließ dann das Podest, ohne auf ihren fragenden Blick einzugehen. Dabei entdeckte ich Tarpan, der sich bereits in einem Bottich in der Mitte des Saals niedergelassen hatte.

Für einen kurzen Moment schaute ich zu Anima und den anderen beiden, doch im Moment wollte ich mich Jaron nicht annähern. Sicher hatte Gillette ihm bereits berichtet, was ich erzählt hatte. Nein, in Jarons Gegenwart wollte ich mich zurzeit nicht begeben. Daher hielt ich direkt auf Tarpan zu, der mit geschlossenen Augen im Wasser lag und vor Wonne ein Seufzen von sich gab.

Das ließ mich lächeln.

Mit den Armen auf den Beckenrand sah er so entspannt aus, dass er ganz anders wirkte. Viel weicher. Selbst die Hautbemalungen, die sich von Kopf und Gesicht über Schulter und Schlüsselbein bis hinunter zu seiner Brust zogen, wirkten nicht mehr ganz so hart.

„Warum hast du dir die Hautbemalung machen lassen?“, fragte ich, als ich auf der Podest trat. Mit der Hand überprüfte ich die Temperatur des Wassers, bevor ich mich auf den Rand setzte und meine Beine ins Becken schwang. Herrlich. Langsam ließ ich mich hineinleiten und genoss die Wärme die mich umgab.

Tarpan beobachtete mich dabei sehr aufmerksam.

„Und?“, fragte ich. „Willst du es mir nicht erzählen?“

„Es hat eigentlich keinen bestimmten Grund.“ Sein Blick wanderte von meinem Gesicht zu meiner Brust, die sanft vom Wasser umspielt wurde. „Mein Fafa hatte auch solche Bemalungen und ich habe ihm schon immer nachgeeifert. Ich glaube das ist der Grund warum ich sie mir habe machen lassen.“

Ich kniff die Augen leicht zusammen. „Schaust du mir auf die Brust?“

„Du hast dort eine Narbe.“ Er streckte die Hand aus und tippte mir gegen meinen Brustansatz.

„Die habe ich bekommen, als ich als kleines Natis aus einem Baum gefallen bin.“

„Ich habe auch eine Narbe.“ Er lehnte sich wieder zurück und grinste mich frech an. „Willst du sie sehen?“

„Ob ich nun will oder nicht, du scheinst sie mir unbedingt zeigen zu wollen.“

„Nein, wenn du sie nicht sehen möchtest, dann nicht.“ Gespielt beleidigt wandte er den Blick ab.

Ich schmunzelte. „Ich würde mich geehrt fühlen, wenn ein solch großer Krieger mir seine Narben zeigt.“

„So so, geehrt also.“ Er rutschte über den Sitz im Wasser in meine Richtung. Leider achtete er dabei nicht auf den heißen Sonnenstein, der das Wasser erwärmte. Ich wollte ihn noch warnen, da sprang er bereits laut fluchend auf. Wasser spritzte in alle Richtungen und schwabte über den Rand.

Tarpan riss sich das Handtuch von der Hüfte und zeigte eine deutliche Rötung an seinem Hintern und auch …

Mit einem Quietschen schlug ich die Hände vor die Augen. „Tarpan, ich kann alles sehen!“

„Zur Sachmet!“

Wasser plätscherte und spritzte mir ins Gesicht.

Plötzlich kam es einfach über mich. Ich konnte es gar nicht verhindern. Dass kichern begann leise. Ich versuchte mir noch auf die Lippen zu beißen, doch es ließ sich einfach nicht unterdrücken.

Und dann begann auch er zu lachen. Wieder spritzte Wasser. Ein Schwall traf mich.

„Bei Bastet, was …“ Ich ließ die Hände sinken, da wurde ich im Gesicht getroffen.

„Das war dafür dass du gelacht hast.“

„Du hast doch auch gelacht!“

Er grinste frech. „Es tut aber trotzdem weh.“

„Nur eine neue Narbe des großen Tarpan.“ Ich grinste zurück.

„Bei Gelegenheit werde ich sie dir zeigen.“ Vorsichtig ließ er sich zurück ins Wasser sinken und verzog dabei das Gesicht.

„Vielleicht solltest du zu einem Heiler gehen.“

„Äh … nein, ich mag keine Heiler.“

Er mochte keine Heiler. Mein Mundwinkel zuckte wieder. „Willst du mir etwa sagen, dass Heiler dich ängstigen?“

„So würde ich das nun auch wieder nicht ausdrücken, aber …“ Er zog seine Nase auf lustige Weise kraus. „Findest du nicht auch, dass manche von ihnen wirklich unheimlich sind?“

„Nein, eigentlich nicht.“ Ich beugte mich ein wenig vor. „Aber wenn du möchtest, kann ich dich ja begleiten und dein Händchen halten.“

„Auf dieses Angebot werde ich bei Gelegenheit sicher zurückkommen.“

Diese Worte kamen so ernst über seine Lippen, dass ich ein weiteres Mal kichern musste. Nein, Tarpan war auf keinen Fall der harte Krieger, für den man ihm im ersten Moment hielt und es war auch noch das letzte Mal, dass ich an diesem Abend über sine Albernheiten gelacht hatte.

 

°°°°°

Kapitel Sechs

 

Mein Herz trommelte mit der Wildheit der Wälder in meiner Brust. Mit jedem Schritt den ich durch den Marmorgang zum Tigersaal zurücklegte, wurde es schneller. Ich war so aufgeregt und dass lag nicht nur daran, dass ich gleich mit Aman zusammen auf eine Mission gehen würde.

Es wurde auch nicht besser, als ich Fafa mit Licco und Tarpan vor dem Tigersaal entdeckte. An der Seite saßen ihre drei Sermos.

Ich lächelte und stolperte dabei fast über meinen Sermo, als der plötzlich hervorschoss. „Sian“, beschwerte ich mich.

Mein Kleiner zog den Kopf ein.

Fafa hockte sich hin und strich ihm beruhigend über den Kopf. „Du hast es wohl eilig.“

Vorsichtig schaute er zu ihm auf.

„Am besten du gehst mit Licco und Fritte hinaus. Dann kannst du etwas spielen.“

Ich runzelte die Stirn. „Das geht nicht. Ich nehme Sian mit zur Erde und …“

„Nein“, wiedersprach er sofort und richtete sich wieder auf. „Ich möchte dass du Sian hier lässt.“

„Aber …“

„Wir werden auf ihn achtgeben.“ Fafa legte seine Hand an meine Wange. „Vertrau mir Nasan, das hat seinen Grund.“

Daran zweifelte ich nicht, aber ich hatte geschworen Sian nicht mehr zurück zu lassen. „Fafa, ich möchte Sian aber nicht hier lassen. Ich …“

„Licco, gehst du bitte mit Sian hinaus? Ich muss mit Lilith sprechen.“

Sprechen? Jetzt noch? Ich schaute durch die offenen Flügeltüren in den Tigersaal hinein. Priesterin Tia und die Magier waren bereits da. Und auch Aman und Acco konnte ich bei meiner Priesterin entdecken.

Was ich nicht bemerkte war Liccos nervöser Blick auf mich. „Fafa, ich würde gerne …“

„Du gehst habe ich gesagt. Dies geht dich nichts an.“

„Aber …“

„Licco!“

Licco kniff unwillig die Lippen zusammen, wandte sich dann aber ohne ein weiteres Wort ab und marschierte mir wütenden Schritten den Gang hinunter.

„Komm“, sagte Fritte zu Sian und stieß ihn leicht an. „Ich zeige dir wie du auf Bäume klettern kannst.“

„Das kann ich schon“, kam es entrüstet von meinem kleinen Sermo.

Fritte grinste. „Dann solltest du vielleicht mir zeigen wie das geht.“ Er stieß Sian erneut an, doch der setzte sich erst in Bewegung, als ich wiederwillig nickte.

Was war hier nur los? Warum wollte mein Fafa jetzt noch mit mir sprechen und warum schickte er dazu Licco weg? „Ist etwas geschehen?“, fragte ich vorsichtig.

Mein Fafa lächelte. „Sei unbesorgt, ich möchte nur kurz etwas mit dir besprechen. Aber nicht hier.“ Er sah zum Tigersaal und winkte mich dann zu einem seitlichen Raum. „Hier hinein. Es dauert nicht lange.“

Ich zögerte, setzte mich dann aber in Bewegung.

Fafa ließ mich passieren, bevor er und Lacota mir in den Raum folgten. Zu meiner Überraschung kamen auch Tarpan und Audax mit. Bei den Göttern, was hatte das nun wieder zu bedeuten? Licco schickte er weg, doch Tarpan durfte uns folgen? Das verstand ich nicht.

Mein Fafa ließ den schweren Vorhang vor den Türrahmen fallen, lächelte mich an und ließ sich dann neben Lacota auf dem alten Teppich in den Schneidersitz sinken.

Dieser Raum war früher einmal eine kleine Synode gewesen. Doch heute stand er leer. Es gab nur noch die bunten Teppiche auf dem Boden. Aber er war sauber. Wahrscheinlich kamen die Priester für Gebete hier her.

Ich ließ mich unweit neben meinem Fafa zu Boden sinken.

„Schau nicht so Nasan, ich möchte nur kurz mit dir sprechen.“

Doch warum? Vielleicht wollte er mir ja noch ein paar Worte für meine Reise mitgeben. Aber warum war dann Tarpan hier? Ich wusste nicht recht wie ich das einordnen sollte.

Auch der Krieger mit den Hautbemalungen ließ sich bei uns nieder. Audax legte sich neben ihn und schmiegte seinen Kopf an die Hand seines Leiters.

Fafa hatte noch immer dieses seltsame Lächeln im Gesicht. „Sei unbesorgt Nasan.“

„Ich bin nicht besorgt.“ Nur ein wenig verunsichert. Und dieses Gefühl mochte ich nicht.

Mein Fafa, der große Zaho lehne sich ein wenig zurück und ließ seine Finger über Lacotas Kopf streichen. Sie zeigte keine Reaktion, ließ die Augen einfach geschlossen. Aber ihr Körper entspannte sich. Sie genoss es.

„Wusstest du, dass Audax der Fafa von Sian ist?“, fragte mein Fafa.

„Audax?“ Dieser Audax hier? Meinte er das ernst? Das konnte ich nicht glauben. Audax war so … und Lacota war … aber das ging doch gar nicht.

„Ich weiß was du für Reden im Geist hältst“, sagte Lacota leise, ohne auch nur ein Auge zu riskieren. „Aber es war nötig um Sian zu bekommen. Und trotz Audax‘ … Charakter, hätte ich es weitaus schlimmer treffen können.“

Gegen Audax‘ Charakter hatte ich nichts einzuwenden. Ich meine, ich kannte ihn noch nicht wirklich, aber er war nett – und anders als Lacota. Die beiden passten so gar nicht zusammen. Nein, nicht im Geringsten, und das meinte ich nicht nur, weil sie praktisch seine Romina sein konnte.

Audax hob hochmütig den Kopf. „Wessen Charakter hier zu wünschen übrig lässt, liegt wohl im Auge des Betrachters.“

Ich war von dieser Eröffnung noch so überrascht, dass ich nicht wusste, wen von den beiden Sermos ich meine Aufmerksamkeit zuerst schenken sollte. „Aber ihr versteht euch doch gar nicht“, rutschte es mir dann heraus.

Mein Fafa lächelte nur hintergründig und kraulte seine Sermo weiter hinterm Ohr.

„Ich meine, wie konntet ihr nur …“

„Es war nötig“, antwortete Lacota, ohne dass ich meinen Satz beenden musste.

„Und außerdem“, fügte Audax noch hinzu, „hast du sie dir mal angesehen? Also so richtig? Da konnte ich doch gar nicht wiederstehen. Das war …“

Ich sollte nicht mehr erfahren, was das war, denn Tarpan hielt seinem Sermo mit einem gezischten „Bist du wohl still“ hastig die Schnauze zu.

Fafa lachte nur leise vor sich hin. „Du musst verstehen Lilith, die Sermos haben eine andere Gesinnung, als die humanoiden Wesen. Für sie hat Familie nicht die gleiche Bedeutung wie für uns. Natürlich spüren auch sie die Bande zueinander, empfinden Zuneigung, aber vorrangig tun sie das was nötig ist, um die Art zu erhalten, und ihrer Bestimmung nachzukommen. In Gewisser Hinsicht sind sie wie wir Krieger, leben und dienen einzig dem Volk. Und damit unserer Göttin.“

Diese Worte waren mir nicht neu. Es war eins der ersten Dinge, die ein Kriegerlehrling im Tempe lernte. Wir wurden ausgebildet für das Wohl des Volkes, und wenn wir uns für diesen Weg entschieden hatten, würden wir fortan nur noch für dieses Streben leben. Natürlich konnten wir so auch zu Ruhm gelangen, aber vordergründig waren wir Diener an unserer Göttin. Alles für die Göttin und die Rasse. Es war eine Ehre.

„Ich war immer stolz auf dich gewesen, meine einzige Tochter, doch als du verkündet hast, dass du die Kriegerlehre im Tempel antreten willst, um eines Tages an meiner Seite durch die Lande zu ziehen, war ich mehr als nur stolz, ich war beinahe überwältigt.“

Leicht verlegen über diese Worte senkte ich den Kopf. Ich hatte gewusst, dass mein Fafa meine Entscheidung befürwortete, doch noch nie hatte er mir so deutlich gesagt, wie stolz er auf mich war. Das reine Glücksgefühl brandete in mir und plötzlich waren all die Rückschläge, die ich in meinem Leben erleiden musste, völlig bedeutungslos. Dies war wohl einer der schönsten Momente in meinem Leben, fast genauso schön wie der Moment, in dem ich verstand, dass Aman nicht verloren war und wieder lebte.

„Ich habe immer gewusst, dass du eine gute Kriegerin werden würdest, schließlich bist du mein Natis.“ Er lächelte leicht schief. „Doch bei all dem Glauben an dich, hatte ich es kaum für möglich gehalten, was aus dir geworden ist. Nicht nur eine junge, hübsche Frau, welche die Blicke der Männer anzieht …“

Bei diesen Worten wurde ich bis an die Haarwurzeln knallrot. Nicht das es mir nicht schmeichelte, was er sagte, aber dieser Mann war immer noch mein Fafa.

„… auch hast du eine Charakterstärke entwickelt, derer sich nur wenige von uns rühmen können. Und bist nicht zuletzt die Kriegern geworden, die du schon als kleines Kätzchen werden wolltest.“

Er sagte das so voller Stolz, dass sich der Rotton in meinem Gesicht noch um drei Nuancen verdunkelte.

„Doch bei all dem was du bisher geleistet hast, hatte ich nicht daran geglaubt, dass dein Name einmal in einem Zug mit den großen Kriegern Sandrin und Rolex genannt würde. Schon gar nicht, bevor du deinen Lehrlingsstatus verloren hast. Niemals hätte ich geglaubt, dass die Göttin persönlich zu dir sprechen würde. Du bist nicht nur etwas Besonderes, Nasan, du bist etwas einmaliges, und ich bin stolz mich deinen Fafa nennen zu dürfen.“

Langsam bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Mir fehlten die Worte. Niemals hätte ich geglaubt, dass er so über mich geistreden würde, dass ich in seinen Augen wirklich etwas wert war, dass über den Status seiner Tochter hinausging.

„Und genau das ist auch der Grund, warum ich mit dir reden wollte. Aus der würdigen Rolle, die du angenommen hast, entspringt auch sehr viel Verantwortung. Ich habe bereits mit den Priestern im Tempel gesprochen, und du wirst nach deiner Rückkehr nach Silthrim nicht mehr hier ausgebildet werden.“

„Was?“

„Ruhig, Nasan, ruhig, hör mir erst einmal zu. Nach deiner Rückkehr werden wahrscheinlich mehr als zwei Jahre vergangen sein, da du auf der Erde mit Sicherheit einige Tage verbringen wirst. Egal wie viel Kraft die Priester aufwenden, sie werden das Portal nicht die ganze Zeit geöffnet lassen können. Nach deiner Rückkehr hättest du also sowieso den Status eines Lehrlings verloren. Im Tempel würde es für dich schwer werden zu einer vollwertigen Kriegerin zu werden. Natürlich liegt bei dir der Fall etwas anders, als bei den übrigen Lehrlingen, da du in diesem Zeitraum in einer anderen Welt bist und dort ganz anders alterst. Und deswegen habe ich mich dazu entschlossen, dich mit auf meine Reisen zu nehmen und in Zukunft selber auszubilden.“

Er wollte mich mitnehmen? Meinte er das ernst? „Wirklich?“

„Natürlich.“

Ich konnte mein Glück kaum fassen. Er würde mich wirklich mitnehmen. Ich würde meine Ausbildung an der Seite meines Fafas beenden und zusammen mit Licco und Tarpan durch die Länder reisen, um den Volk zu dienen. Das war unglaublich!

„Das war auch der Grund, warum ich verlangt habe, dass Sian hier in Ailuran bleibt. Nicht nur das er noch zu jung ist, um an einen solch seltsamen Ort zu reisen, wenn du zurückkommst, wird er nicht nur erwachsen geworden und stärker sein, er wird sich auch in ein Amentrum verwandeln können. Er wird dir dienen können, wie es vorbestimmt ist.“

Natürlich, daran hatte ich noch gar nicht gegeistredet.

„Aber vorher musst du noch eine Sache tun, etwas das jede Kriegerin tun muss.“

Ich wusste nicht, was er damit meine, aber das „Alles“ rutschte mir bereits über die Lippen, bevor ich darüber im Geist reden konnte. Mein Fafa würde mich mitnehmen, und ich würde eine Kriegerin sein, so wie ich es immer wollte. Auf Sians Rücken würde ich fremde Orte sehen, ich würde Abenteuer erleben, ich würde bei meinem Fafa sein.

Mein Fafa lächelte milde. „Verstehst du dich gut mit Tarpan?“

Über den plötzlichen Themenwechsel ein wenig verwirrt, brauchte ich einen Moment, um meinen Kopf zu einem nicken zu bewegen. Tarpan war auf seine Art sehr witzig, und seine Gesellschaft machte Spaß, aber worauf wollte mein Fafa nur raus? Auch ein kurzer Blick auf meinen zukünftigen Reisegefährten brachte mir keine Antwort, er zwinkerte mir nur auf seine verspielte Art zu.

„Ich habe gehofft, dass es so ist. Das macht es einfacher.“

Jetzt musste ich doch fragen. „Einfacher?“

Er nickte. „Ja, Lilith, einfacher.“ Ein Lächeln glitt über seine Lippen. „Eine Kriegerin von deiner Größe muss für das allgemeine Wohl handeln, das ist dir doch sicher klar?“

„Natürlich.“ Dieses Gespräch wurde immer seltsamer, und das schöne Glücksgefühl bekam langsam einen kleinen Dämpfer. Ich wusste nicht woran es lag, aber ich hatte plötzlich ein ganz komisches Gefühl – und zwar kein gutes.

„Und du weißt doch sicher auch, dass viele Kriegerinnen sich einen Collusor suchen, bevor sie ihre eigentliche Aufgabe antreten.“

Und mit einem Schlag wurde mir klar, was dieses ganze Gespräch sollte. Und auch warum Tarpan, aber nicht Licco anwesend war. Erst wurden meine Augen groß, und dann wanderten sie langsam zu dem Mann, der mich gestern so oft hatte lachen lassen. „Co-co-collusor?“

„Ja“, nickte mein Fafa. „Tarpan ist nicht nur ein ausgezeichneter Krieger, er ist auch noch des Natis meines besten Amicus. Schon bei deiner Geburt habe ich mit seinem Fafa vereinbart, dass er einmal dein Collusor werden wird, genau wie Licco der Collusor seiner Tochter geworden ist. Natürlich hatte ich damals keine Ahnung was einmal aus dir werden wird. Nicht nur das du entgegen meiner damaligen Erwartungen den Weg der Krieger eingeschlagen hast, schon jetzt trägt das Volk deinen Namen von einem Ort zum anderen, und du bist noch nicht einmal eine vollwertige Kriegerin.“

Kleine Kriegerin.

Oh nein, warum nur mussten seine Worte nun so klar durch meinen Kopf hallen?

Kleine Kriegerin.

„Deswegen möchte ich, dass du nach deiner Rückkehr Tarpan als deinen Collusor wählst. Ihr beide passt hervorragend zusammen. Und es gibt auch nicht mehr viele Schneeleoparden, das ist ein weiterer Punkt, der euch zugutekommt. Wir werden gemeinsam den Tempel verlassen und auf den Hof deiner Mina reisen. Dort werden du und Tarpan einige Zeit zusammen haben, bevor er mit mir weiterziehen wird. Sobald du dann dein Natis zur Welt gebracht hast, werde ich kommen, um dich zu holen, damit du deiner Bestimmung folgen kannst.“

Ich sollte Tarpan zu meinem Collusor nehmen? Schon nach meiner Rückkehr?  „Aber …“

„Ich weiß dass das alles sehr plötzlich für dich kommt, du auch dass du noch sehr jung bist, jünger als andere Kriegerinnen, die sich für einen Collusor entscheiden, aber dies ist der beste Weg. Du machst ein Jahr Pause, in dem du dein Natis bekommst. Es wird die ersten Jahre bei deiner Mina aufwachsen können, bevor du es in den Tempel gibst, damit es dort zu einem Krieger ausgebildet werden kann. Wenn dein Natis geboren ist, werde ich deine Ausbildung beenden.“

Das konnte er nicht tun! Ich konnte Tarpan nicht als Collusor nehmen, ich hatte doch Aman und ich wollte keinen anderen. Natürlich, viele Kriegerinnen taten es genauso, wie mein Fafa gerade gesagt hatte, aber ich konnte das nicht, nicht mit Tarpan, und auch mit keinem anderen Mann, ich wollte doch nur Aman. Er war mein Herz, mein Gefährte, auch wenn ich ihn noch davon überzeugen musste. Aber Tarpan als Collusor? Nein, das ging nicht! „Fafa, ich …“

„Ich weiß dass das viel auf einmal ist, Nasan, aber ich weiß auch, dass du dich für den richtigen Weg entscheiden wirst, auch wenn dir die Geistreden daran noch ein wenig Unwohlsein vermacht. Ich weiß du wirst mich nicht enttäuschen.“

„Aber Fafa, was ist, wenn ich das gar nicht möchte?“

„Magst du Tarpan etwa doch nicht?“

„Schon, aber …“

„Kein Aber, Nasan.“ Er bekam diesen strengen Blick, mit dem er mich als kleines Kätzchen immer bedacht hatte, wenn Mina ihm von meinen Torheiten in seiner Abwesenheit erzählt hatte. Vieles davon hatte ich meinen Brestern zu verdanken gehabt, aber ich hatte es immer still über mich ergehen lassen. Mein Fafa war so selten bei mir gewesen, dass ich jede Form seiner Aufmerksamkeit genossen hatte. „Tarpan ist ein guter Mann, er wir gut zu dir sein und das ist mir wichtig.“

„Aber Fafa …“

„Lilith, erkennst du den nicht, wie wichtig diese Verbindung ist? Das Volk braucht Krieger, gute Krieger und ihr beide habt diese Voraussetzung. Eine Verbindung zwischen euch kann vielen Therianthropen helfen. Ich verlange doch nicht, dass du ihn zu deinem Gefährten nimmst, er soll nur dein Collusor werden.“

„Und wenn ich mir meinen Collusor selber aussuchen möchte?“, traute ich mich zu fragen, wagte es dabei aber nicht, ihn anzusehen. „Wenn mir das jetzt einfach noch zu früh ist?“

„Früher war es Gang und Gebe, dass die Fafas den Collusor ihrer Töchter auswählten. Du weißt, dass ich sehr an der alten Tradition hänge und sie auch dich gelehrt habe. Und was deine zweite Frage betrifft, in alter Zeit waren die Kriegerinnen auch nicht älter als du jetzt gewesen, als sie sich zu diesem Schritt entschlossen hatten. Ich weiß es wird ein großes Opfer für dich sein, wenn du deine Kriegerbahn unterbrechen musst, aber du bist nun mal eine Frau, Lilith. Wir Männer können das nicht tun, sonst würde diese Pflicht auf uns fallen. Glaubst du nicht, dass ich genauso gehandelt hätte, wie ich es nun von dir verlange, wenn es mir möglich gewesen wäre?“

„Schon“, gab ich zu. „Aber …“

„Dann möchte ich nun nichts mehr davon hören.“ Er erhob sich vom Boden und mit ihm auch Lacota. Auf dem Weg hinaus zur Tür, blieb er noch einen Augenblick bei mir stehen und strich mir über mein Haar. Ich sah ihn dabei nicht an, das konnte ich einfach nicht. „Ich lasse euch einen Moment alleine, damit ihr reden könnt, aber nicht so lange, denn du musst gleich aufbrechen.“ Er machte eine bedeutungsschwere Pause, die mich wie ein Fels zu erdrücken drohte, doch ich blieb still. „Ich bin so stolz auf dich, Nasan und ich weiß, du wirst mich nicht enttäuschen.“ Mit diesen Worten verließen er und Lacota den Raum und ließen mich mit Audax und Tarpan, meinem zukünftigen Collusor allein.

Ihn nicht enttäuschen. Ich würde, durfte meinen Fafa nicht enttäuschen, nicht wo er doch gerade so stolz auf mich war. Aber wie sollte ich seinen Wunsch erfüllen? Wie konnte ich mich von Tarpan berühren lassen, wo mein Herz sich nur nach einem sehnte? Allein bei der Vorstellung daran wurde mir schlecht. Nicht das Tarpan nicht gut aussah, aber … aber er war halt nicht Aman.

„Das kommt ziemlich überraschend für dich, oder?“

Ich wagte es kaum aufzublicken. Die Geistrede sich mit mir zu verbinden zu müssen, schien ihn nicht unangenehm zu sein. „Wusstest du es?“, fragte ich leise. „Wusstest du von dieser Planung unserer Eltern?“

„Zaho hat es mir erst vor drei Tagen gesagt, als wir bereits auf dem Weg zum Tempel waren. Er glaubte wohl, dass es der richtige Zeitpunkt wäre.“ Er verlagerte sein Gewicht leicht. „Aber dass es so kommt habe ich bereits vermutet, als Licco vor drei Jahren zu meiner Brester Natia geschickt wurde.“

„Licco hat ein Natis?!“

„Licco hat sogar zwei Natis. Natia bekam Sicutis.“

Sicutis. Oh Göttin, warum nur hatte er mir das nie gesagt? Als wir auf dem Weg zu den Höhlen der Elfen waren … er hatte sie mit keinem Wort erwähnt. Waren sie zu dem Zeitpunkt etwas auch schon der Krankheit erlegen? Bei Bastet!

„Zwei Mädchen. Meine Brester liebt sie über alles.“

Würde ich das auch können? Wenn Tarpan bei mir lag und ich sein Kind empfang … oh Göttin, ich konnte diese Geistrede nicht einmal zu Ende führen. Ich konnte nicht bei Tarpan liegen um mein Natis dann bei meiner Mina zurück zu lassen. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich eigene Natis wollte. Das war etwas worüber ich noch nie gegeistredet hatte. Ich … ich … „Ich muss gehen.“

Ich stand so abrupt auf, dass ich fast noch über meine eigenen Beine fiel.

Tarpan sprang auf und wollte mir helfen, doch ich wich vor seiner Berührung zurück.

„Lilith, ich weiß dass dir diese Geistrede …“

„Nein, ich muss mich beeilen. Die anderen warten bereits auf mich.“ Ja, es war eine Flucht, doch in diesem Moment wusste ich mir einfach keinen anderen Ausweg.

 

°°°°°

Kapitel Sieben

 

„Genau wie besprochen, eine Woche, dann werden wir den ersten Versuch starten“, erklärte Priesterin Tia. „Sollte es uns nicht gelingen, werden wir es nach einer weiteren Woche noch einmal probieren.“

Ich nickte. „Das müsste reichen. Dann haben wir eine knappe Stunde um einen geeigneten Ort für das Portal zu finden. Das sollte uns gelingen.“

„Und wenn nicht?“, wollte Aman wissen.

„Dann probieren wir es eine Woche später wieder.“ Priesterin Tia nickte entschlossen. „Solange bis es klappt.“

„Ich glaube nicht, dass es so lange dauern wird.“ Mein Fafa lächelte mich an. „Nicht bei Lilith‘ Wissen.“

Wie stolz er das sagte. Eigentlich sollte es mich erfreuen. Stattdessen wurden meine Lippen zu einem dünnen Strich.

Was ich bis gestern noch hatte verdrängen können, stand mir nun direkt bevor. Die Hoffnungen lagen auf meinen Fähigkeiten, doch … was für Fähigkeiten? Erst jetzt hier vor dem Portal im Tigersaal wurde mir deutlich bewusst, was auf mich zukam. Bisher hatte ich nur gesehen, dass Aman wieder bei mir sein würde, aber an dieser Mission hing so viel mehr.

Ich wusste um die Gefahr die uns erwartete. In der anderen Zeitlinie hätte ich vielleicht auf ein bisschen Glück hoffen können. Der Kriegergeneral war schwer verletzt gewesen, wenn nicht sogar tot. Doch dadurch dass die Zeit sich zurückgedreht hatte, war er wieder bei bester Gesundheit und damit eine neue Gefahr, die ich nicht unterschätzen durfte.

Wie sollte ich nach Belua kommen und all die Seelen retten? Eigentlich konnte ich nur darauf hoffen, dass Luan mich schnell fand und dann auf sein Wissen bauen. Im Grunde war das die einzige Möglichkeit auf die ich hoffen konnte, wenn dieser Auftrag von Erfolg gekrönt sein sollte.

Außer uns waren noch drei Magier anwesend, niemand sonst. Nicht Anima, nicht Gillette und auch nicht Sian.

Mein Blick ging wieder zu den offenen Türen in der Hoffnung dass mein kleiner Sermo sich noch von mir verabschieden würde. Gähnende Leere war alles was mir entgegen schlug.

So war das nicht geplant gewesen.

Priesterin Tia nickte bei der Aussage meines Fafas. „Lilith weiß was zu tun ist. Aber dafür braucht sie noch etwas. Dort.“ Sie zeigte auf zwei verschnürte Pakete die neben dem Portal bereit lagen. Sie waren mit Papier und Faden verschnürt und mit Schulterriemen ausgestattet. „Das sind die Platten für das Portal. Sie wurden heute Morgen fertig gestellt. Sie müssen in einem Kreis gelegt werden – in der richtigen Reihenfolge.“

Ich nickte. Diese Tatsache war mir wohl bekannt.

„Sie wurden möglichst leicht gefertigt.“

„Und die Kleidung um die ich gebeten hatte?“

Priesterin Tia nickte. „In dem Beutel daneben. Sie wurden so angefertigt, wie du es vorgegeben hast. Auch die Krieger werden vor ihrem Übertritt darin gekleidet werden.“

Noch während sie sprach, hockte ich mich neben den Beutel und schnürte ihn auf. Er beinhaltete Kleidung aus leichten Leinen. Ich wusste von meinen Besuchen auf der Erde, dass die Menschen sehr an ihrem Schamgefühl hingen und es nicht guthießen, wenn man nur mit einem Lendenschurz bekleidet durch die Straßen lief. Und unsere oberste Priorität war es unentdeckt zu bleiben. Deswegen zog ich die Kleidung nun heraus.

Zwei langärmliche Hemden und zwei lange Beinkleider. Ich warf Aman die beiden größeren Teile zu. „Zieh das über.“ Auch ich folgte meiner eigenen Anweisung.

Die Kleidung fühlte sich nicht mehr so ungewohnt an, wie das erste Mal, als ich solche Sachen am Leib getragen hatte und diese Geistrede beunruhigte mich.

Während ich die Schnürung an der Hose zuband, beobachtete ich Aman aus dem Augenwinkel. Er musterte die Kleidung kritisch, zog sie dann aber ohne ein Wort über – erst das Hemd, dann die Hose.

„Die Kleidung der Menschen sieht anders aus“, gab Acco zu bedenken. Außer Lacota war er der einzige andere Sermo im Saal.

„Die Menschen sind unaufmerksam.“ Ich zupfte das Hemd an der Schulter zurecht und griff dann nach einem der verschnürten Pakete, das ich mir auf den Rücken schwang. „Es wird reichen. Wir werden uns sowieso hauptsächlich bei Nacht bewegen.“ Denn nachts würden wir geschützter sein.

Accos Blick fiel auf meine Füße. „Keine Schuhe.“

„Mit Schuhen kann ich nicht klettern. Die Menschen werden schon nicht darauf achten.“ Dafür betete ich jedenfalls zu meiner Göttin.

„Das stimmt. Mich halten sie auch immer für einen Hund.“

„Weil sie blind für das wahre Wesen sind.“ Das Paket war wirklich überraschend leicht. Wahrscheinlich hatten die Meister es aus Leichtholz gefertigt.

„Unvollständige Kreaturen.“ Acco erhob sich und schnappte sich Amans Bogen vom Boden, um ihn an seinen Leiter zu reichen.

Mein Blick glitt zu den Magiern, die etwas abseits standen. Es behagte ihnen nicht hier zu sein. Zwar befanden sich im Tigersaal keine Krieger der Ailuranthropen, doch ihnen war wohl bewusst, dass der ganze Tempel von ihnen umstellt war. Schließlich befanden sie sich im Herz unserer Rasse und auch wenn unseren Kriegern der Zutritt zum Tigersaal heute untersagt war, so würden sie alles daran setzten um das Leben der Ailuranthropen zu schützen. „Ihr habt in Erfahrung gebracht, welchen Zauber wir brauchen?“

Ein sehr langer, dünner Mann nickte. „Die Schriften der Vergangenheit haben es uns gesagt.“

„Es ist der verbotene Zauber“, fügte der harkennäsige Mann neben ihm hinzu und schaute sich bei seinen Worten vorsichtig um, als würde ihn allein dafür dass er sie aussprach die Strafe der Götter ereillen.

„Dann bindet euch an die Säulen, damit ihr nicht in die Fänge der greifenden Winde geratet.“

„Ich werde dann jetzt gehen, Nasan.“

Ich blickte über die Schulter zu meinem Fafa, der neben dem Sockel mit dem Tigerauge stand und seine Finger über die glatte Oberfläche des Steines strich.

Ihn dort so zu sehen, in dem Wissen ihn zurück zu lassen ohne einen Hauch von Ahnung zu haben, wie dieser Auftrag ausging, ließ einen Kloß in meinem Hals entstehen. Plötzlich wollte ich nicht mehr gehen. Ich wollte niemanden zurücklassen aus Angst vor dem was sein könnte, wenn ich zurückkehrte.

„Nasan“, lächelte mein Fafa.

Aus einem Impuls heraus lief ich zu ihm und schlang die Arme um seinen Hals. Bastet, halte deine schützende Hand über ihn. Lass nicht zu dass ihm etwas geschieht.

„Ich bin so stolz auf dich, Nasan. Du bist alles was ich mir erhofft habe und noch viel mehr.“

Oh Göttin. „Pass auf Sian auf.“

„Ich werde ihn nicht aus den Augen lassen.“

„Versprich es.“ Solch eine Forderung stand mir nicht zu, doch ich musste es einfach hören. Ihn hier zu lassen war wohl das schwerste in diesem Moment. Wenn ich nur daran geistredete was beim letzten Mal geschehen war … ich hatte Angst. Es war pure unverfälschte Angst die ich bei dieser Geistrede spürte.

Er drückte mich noch einmal an sich und hielt mich dann eine Armlänge von sich. „Ich verspreche es dir nicht, ich schwöre es bei Bastets Namen. So lange ich lebe wird Sian kein Leid wiederfahren.“

Dass er es so ausdrücken musste ließ mich schlucken. Solange ich lebe …

Göttertod, nun sieh doch nicht überall nur Unheil!

„Vergelts.“ Ich ließ von ihm ab und trat einen Schritt zurück. Mein Arm schlug versehentlich gegen den Sockel. Das Tigerauge geriet ins Schwanken.

Fafa und ich griffen gleichzeitig zu, doch ich war es die ihre Hände darum schloss. Oh Göttin, das hätte schiefgehen können. „Glück … au!“ Das Tigerauge versetzte mir einen energiegeladenen Schlag der mich zurückspringen ließ und es erneut ins Wanken brachte. Dieses Mal war es mein Fafa, der Zugriff und den Stein dort hielt wohin er gehörte.

„Zur Sachmet!“, schimpfte ich und schüttelte meine Hand. Was war das gewesen?

Einer der Magier gab einen empörten Laut von sich.

Ich ignorierte ihn und schaute mir meine Hand an. Sie sah aus wie immer, doch unter der Haut spürte ich ein leichtes Kribbeln. Das war seltsam.

Mein Blick glitt zum Tigerauge und einen Moment glaubte ich das lächelnde Antlitz meiner Göttin darin zu erblicken. Doch es war so schnell wieder verschwunden, dass es auch der Schatten meines Fafas hätte sein können.

„Genug der Schrecken“, sagte Priesterin Tia dann. „Zaho, hinaus mit dir, es wird Zeit.“

Mein Fafa nickte ihr zu und gab Lacota das Zeichen ihm zu folgen. Er nickte mir noch einmal aufmunternd entgegen, bevor er den Saal verließ. Und wie ich ihm dort so hinterher sah, musste ich wieder an das Gespräch vorhin geistreden.

Collusor …

Nein, nicht jetzt, ich brauchte einen klaren Kopf. Mit dem Wunsch meines Fafas konnte ich mich nach meiner Rückkehr befassen.

Die nächsten Minuten schienen in einem Nebel aus Erinnerungen an mir vorbeizuziehen. Ich sah wie die Magier und auch Priesterin Tia sich mit Seilen an die Säulen im Saal banden, um nicht mit ins Portal gesogen zu werden. Vor meinem inneren Auge aber kam der Moment wieder auf, als Sachmets Brut den Tempel gestürmt hatten. Die Schreie und das Blut.

Meine Priesterin nahm Bastets Macht in die Hand, legte sie in einen Lederbeutel und befestigte ihn mit Lederriemen an ihrem Körper. So wollten wir verhindern, dass das Tigerauge ausversehen auch mit eingesogen wurde.

Aman stand bereits mit seinem Paket auf dem Rücken vor dem Portal und hob Acco auf seinen Arm. Sein Blick dabei war undurchdringlich – und auf mich gerichtet.

Wir werden gemeinsam zur Erde gehen um die verlorenen Lykanthropen heimzubringen. Danach werden unsere Wege sich trennen.

Nein, würden sie nicht. Das werde ich nicht zulassen.

Ich stellte mich zu ihm und reichte ihm meine Hand.

Er schaute sie nur an.

„Nimm sie“, forderte ich ihn auf. „Und lass auf keinen Fall los.“

Ob es ihm nun passte von einem Lehrling Befehle entgegennehmen zu müssen, oder nicht, er ergriff sie und – oh Göttin – dieses Gefühl …

Allein diese Berührung ließ meine Haut kribbeln und Erinnerungen erwachen, die mich an Orte führten die mich in ein Gefühlchaos gestürzt hatten. Ich wollte ihn nie wieder loslassen. Niemals.

„Halt mich ganz fest“, flüsterte ich. „Lass nicht los.“ Niemals wieder. Bitte.

„Seit ihr soweit?“, wollte Priesterin Tia wissen.

Ich schaute zu Aman auf, doch seine Augen gaben noch immer nichts von seinem innersten preis.

Er mag dich. Wäre es nicht so, dann würde er nicht mal das Wort an dich richten.

Ich verdrängte die aufkeimende Erinnerung. Er mochte mich, er wusste es nur noch nicht und jetzt war es meine Aufgabe ihn daran zu erinnern.

Priesterin Tia neigte den Kopf. „Lilith?“

„Ja“, sagte ich. Solange Aman bei mir war, würde ich zu allem bereit sein. „Ja, es kann beginnen.“

Meine Priesterin nickte, umfing den Beutel mit ihren Händen und begann ein Gebet zu sprechen. Es dauerte nicht lange, dann begann der Innenraum des Portals vor uns bläulich zu schimmern. Es war luftig, durchlässig, wie ein Schleier. Die Ruhe vor dem Sturm. Es hatte begonnen.

„Es wird wehtun“, sagte ich zu Aman und begann mich anzuspannen, als die Magier leise Worte murmelten. „Eine Reise ohne Steg schmerz fürchterlich.“

„Ich weiß. Acco hat es mir erzählt.“

Natürlich. „Wehr dich nicht gegen die Winde.“

„Das hatte ich nicht vor.“ 

Oh Göttin, warum nur war ich plötzlich so nervös?

Die Worte der Magier wurden lauter. Etwas schoss durch den Raum, etwas Unsichtbares, Kraftvolles. Das Portal schien zu vibrieren. Tausender kleiner Risse aus Licht zogen sich plötzlich durch den bläulichen schimmernden Schleier.

Ich blinzele.

Es flackerte.

Amans Griff wurde fester.

Eine Energiewelle durchfegte den Raum. Ich hatte darauf gewartet und nur deswegen gelang es mir wohl auf den Beinen zu bleiben. Aman dagegen geriet ins Taumeln.  

Von Portal kamen zischende Laute, wie Wasser, das auf den heißen Steinen verdampfte. Der Schleier schwand und wurde durch ein rot glühendes Licht ersetzt. Ein wirbelnder Tunnel öffnete sich direkt vor unseren Augen und noch immer schossen die Magier ihren Zauber darauf ab.

Einer von ihnen schrie überrascht auf.

Die nächste Welle brandete durch den Raum und riss einen der Mager um. Auch Aman und ich konnten uns nicht länger auf den Beinen halten. Er stürzte und riss mich mit sich zu Boden.

Acco gab ein Jaulen von sich und Amans Griff wurde so fest, dass es schon schmerzte.

Das Portal glühte auf. Etwas kam aus seinem Inneren, etwas wie ein Sturm, in dem sich die Winde zu Armen verfestigten. Sie griffen nach uns, nach allem was sie erreichen konnten. Sie packten mich am Bein.

Aus einem Reflex heraus versuchte ich es wegzuziehen.

„Ruhig“, sagte Aman. „Lass es geschehen.“

Ich schaute zu ihm auf. Unsere Blicke trafen sich und in diesem Moment wurde mir eines deutlich bewusst. Die Zeit ließ sich nicht manipulieren. Es war genau wie beim letzten Mal und doch ganz anders. Ich konnte es spüren und so wie seine Augen sich leicht weiteten, er auch.

Noch eine Energiewelle fegte durch den Raum.

Die greifenden Winde schossen aus dem Portal und begannen uns zu umschlingen. Mit einem Ruck wurde ich darauf zu gezerrt.

„Nicht loslassen“, flüsterte ich erneut und schlang meinen freien Arm um Aman.

Die Winde griffen fester zu und zerrten und hinein ins Portal.

 

°°°°°

Kapitel Acht

 

Ich klammerte mich an Aman. Mit allem was ich aufzubieten hatte, hielt ich mich fest, damit wir nicht getrennt werden konnten. Die greifenden Winde zogen und zerrten an mir, als wollten sie mich in Stücke zerreißen, drückten mich gegen ihn und versuchten gleichzeitig eine Kluft zwischen uns zu erschaffen. Ich bekam keine Luft. Die Atmosphäre schienen mich zerquetschen zu wollen, schleuderte mich hin und her und wurde so heiß, dass sie mich zu verbrühen drohte.

War es schlimmer als beim letzten Mal? Es fühlte sich jedenfalls so an.

Ich kniff die Augen zusammen. Ein rotglühender Schleier leuchtete durch meine Augenlider. Diese Hitze, sie versuchte mir das Fleisch von den Knochen zu sengen. Es tat weh. Der Schmerz war so stark, dass ich schreien wollte, doch dazu hätte ich Atem gebraucht. Aber da war nichts. Überall war Luft die uns hin und her schmiss, doch ich konnte nicht atmen. Oh Göttin, ich würde ersticken!

Mein Herz pochte ums Überleben, wollte sich nicht am Schlagen hindern lassen, während mein ganzer Körper sich in seinen Klagen wand. Nicht mal die Berührung durch Aman war in diesen Augenblicken tröstlich.

Langsam wurde mein Blick an den Rändern dunkel. Kleine Lichtpunkte tanzen auf meiner Netzhaut. Wenn ich nicht bald Luft bekäme, würden die Mächte mich zu sich Rufen.

Panik. Alles was ich in diesem Moment fühlte war pure Panik und da half es auch nicht, dass ich diesen Weg bereits einmal beschritten hatte. Ich musste atmen, brauchte Luft. Alles in mir schrie danach. Ich konnte nicht mehr, ich …

Plötzlich verschwanden die Winde. Hastig atmete ich ein, füllte meine Lungen mit Luft und bemerkte erst im nächsten Moment, wie ich fiel …

Die Landung war schmerzhaft. Ich knallte auf den Rücken. Es krachte. Stein, nein, Keramik. Schmerz zuckte durch meinen Körper. Amans Hand rutschte aus meinem Griff.

Ich versuchte noch nach ihm zu greifen, doch ich war orientierungslos und schaffte es gerade mal so mich dem schrägen Untergrund festzuhalten.

Ein dumpfer Aufschlag. Etwas krachte. Aman stöhnte.

Ich blinzelte, während mein Herz auf seiner Flucht in meiner Brust raste und mein Atem nur stoßweise ging. Ein Gefühl von Déjà-vu überkam mich. Das war genau wie beim letzten Mal. Ich hier oben, und Aman und Acco untern, wo der Sermo leise fluchte. Der Unterschied war nur, dass ich dieses Mal nicht in einem Baum, sondern auf einem Dach gelandet war. Die rauen Schindeln drücken gegen meine Haut.

Meine Schulter schmerzte. Ich musste sie mir beim Sturz verletzt haben.

Ich blinzelte. Es war Nacht, die Umgebung nur spärlich beleuchtet doch meine Augen erlaubten es mir auch in der dunkelsten Finsternis etwas zu erkennen und das hier war auf keinen Fall der Wald in dem wir beim letzten Mal gelandet waren. Freistehende Menschenhäuser drängten sich dicht an dicht und wurden nur durch Straßen und Gärten voneinander getrennt. Die Zäune die die Grundstücke umgaben, boten nicht wirklich Schutz vor Eindringlingen.

Doch egal wie sehr sich dieser Ort auch vom letzten Mal unterschied, wir waren auf jeden Fall auf der Erde gelandet. Die Luft verriet es mir. Sie roch dreckig und krank und kitzelte mich unangenehm in der Nase.

Ich atmete einmal tief durch, zwang mein Herz zur Ruhe und meine verkrampften Finger von den Schindeln des Daches. Es war egal wo wir gelandet waren, wichtig war nur dass wir uns einen sicheren Platz suchten. Sobald wir dann das Portal errichtet hatten, würde Pascal die Magie spüren und Luan direkt zu uns führen. Aber dazu mussten wir erstmal einen Ort finden, der geschützt lag und gleichzeitig leicht zugänglich war.

Doch vorher musste ich nach meinen Reisegefährten suchen.

Vorsichtig rutschte ich an die Dachkannte und spähte in die Tiefe. Aman war bereits auf den Füßen. Das Paket auf seinem Rücken hing nur noch an einem Riemen über seine Schulter, der andere war gerissen. Und in seiner Hand … hielt er einen zerbrochenen Bogen. Ja, es war wirklich ganz genau wie beim letzten Mal.

Acco befand sich neben seinem Leiter, doch die Schnauze am Boden entfernte er sich zusehends von ihm und erkundete den gepflegten Garten.

„Geht es euch gut?“

Der Sermo hob den Kopf zu mir nach oben. „Wir sind auf einer verdammten Steintreppe gelandet!“, fluchte er. „Das hat wehgetan!“

„Schhht!“, machte Aman und ließ seinen Blick wachsam umherstreifen. Seine Nasenflügel blähten sich. Die Pflanzen, die Gerüche, für ihn war alles fremd, denn er erinnerte sich nicht daran, dass er all das schon einmal gesehen hatte.

Nein. Diese Geistrede musste ich aus meinem Kopf verbannen. Aman – dieser Aman hier – ihm war all das noch nie im Leben begegnet. Für ihn war es neu und fremd und ließ ihn äußerst wachsam sein. Er musste das alles neu kennenlernen. Er musste mich neu kennenlernen.

Ich würde ihm dabei helfen. Naja, nachdem ich von diesem Dach heruntergestiegen war. Nur leider boten die Außenwände nicht viel Halt und einfach in die Tiefe zu stürze so wie Aman es getan hatte, wollte ich nicht. Aber ich könnte ja …

Ich erhob mich und schlich an der Dachkante entlang zu einem Baum. Er war zwar kaum so hoch wie das Haus selber, aber es würde reichen müssen. Ich überprüfte ob die Riemen meines Pakets gut saßen, nahm Maß und stieß mich dann von der Dachkante ab.

Der Flug dauerte kaum eine Sekunde. Brechende Zweige und raschelnde Blätter empfingen mich. Meine Krallen bohrten sich in brüchige Rinde. Ich rutschte ein Stück, bevor ich Halt fand. Ein Ast brach und fiel zu Boden.

„Was tust du?“, herrschte Aman mich an. „Sei leise und komm hinunter.“

Mein Blick glitt zum Fuß des Baumes. Aman stand direkt unter mir und ich konnte gar nicht anders, als zu lächeln. Es war wirklich genau wie beim letzten Mal. Wieder versuchte er mich zu bevormunden. Der große Krieger und der kleine Lehrling. Diesen Zahn würde ich ihm sofort ziehen.

Ich nahm Maß und ließ mich die vier Meter in die Tiefe fallen. Aman schaffte es gerade noch so auszuweichen, bevor ich in der Hocke auf dem Boden landete – und nicht auf ihm.

Grinsend schaute ich zu ihm auf und erhob mich. Ein Schritt brachte mich genau vor ihn, doch sowohl mein Grinsen als auch die Worte die mir auf der Zunge lagen, vergingen einfach ins Nichts, als ich die Wunde an seinem Kopf entdeckte. Ein langer Schnitt an seiner Schläfe. „Du bist verletzt.“

Seine Finger hoben sich an die Verletzung. Blut benetzte die Spitzen. „Es wird heilen“, sagte er leise und schaute zu Acco, der mittlerweile mit der Nase die Veranda vor dem Haus absuchte.

„Ich kann die Heilung beschleunigen.“

Aman presste die Lippen aufeinander. Diese Geistrede schien ihm nicht zu gefallen.

Ich neigte den Kopf leicht zur Seite. „Wir sind fern der Heimat und im Moment noch völlig auf uns allein gestellt. Wir wissen nicht was die nächste Stunde bringt, oder sogar der morgige Tag. Es ist nicht gut wenn du verletzt bist.“

Sein Blick glitt auf mich.

„Es wäre besser sich von einem Ailuranthropen helfen zu lassen, als einer ungewissen Zukunft verwundet gegenüberzutreten. Das hast du zu mir gesagt, als ich mich weigerte, mir von dir helfen zu lassen.“

„Kann ich bezeugen“, ließ Acco verlauten und schob einen Korbstuhl auf der Terrasse zur Seite um unter den Tisch zu kommen.

Was tat er da nur?

„Ich stimme dir zu“, sagte Aman und runzelte beim Anblick seines Geleits die Stirn. Wahrscheinlich stellte er sich die gleiche Frage wie ich es getan hatte. „Aber nicht hier.“ Sein Blick blieb an einer kleinen Figur hängen, die halb versteckt zwischen bunten Blumen im Beet stand. Ein pausbäckiges Gesicht, eine rote Zipfelmütze und ein gedrungener Körper.

Ich hockte mich davor hin und nahm es in Augenschein. Eine Keramikfigur. Und es war auch nicht die einzige. Überall standen diese kleinen Männlein herum. In verschiedenen Posen und mit unterschiedlichen Dingen in der Hand.

„Fass sie besser nicht an“, warnte Aman.

„Sie sind nicht gefährlich.“ Ich richtete mich wieder auf. „Das sind die wenigstens Dinge der Menschen.“

„Du kannst nicht wissen, ob …“ Er wirbelte herum, als sich ein Geräusch schnell nährte. Es hörte sich an wie schnellfließendes Wasser, das sich auf uns zubewegte. „Geh in Denkung“, befahl er und sprang hinter ein Gebüsch.

Ich blieb wo ich war und schaute über die Hecke des Gartens auf die Straße.

„Lilith!“

„Es ist nur ein Auto. Und es wäre nicht sehr gescheit wenn wir uns davor verstecken, denn Luan wird mit einem solchen Gefährt kommen.“ Aber war nicht das von Janina und Luan. Dieses hier war viel kleiner und verschwand genauso schnell in der Nacht, wie es aufgetaucht war.

Aman richtete sich nur langsam in seiner Deckung auf. „Es war … schnell.“

„Die Menschen bewegen sich darin fort. Ein Auto trägt die Menschen im Bauch. Nur wenn sie in seinem Bauch sind ist es wach, ansonsten schläft es die ganze Zeit.“

„Die Menschen lassen sich von ihm verschlucken?“ Fassungslosigkeit schwang in seiner Stimme mit.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf. „Nein, es ist kein Lebewesen, jedenfalls nicht so wie wir. Es …“ Ein Geräusch direkt vor mir ließ mich verstummen. Es klang als würde etwas zuschnappen. Ein leises Klick. Es war mir völlig unbekannt und erst nach einem Augenblick entdeckte ich den Ursprung.

Ein kleines schwarzes Stäbchen schaute aus dem Boden. Nur etwas bereiter als mein Daumen und ein kurzes Stück länger.

„Was ist das?“

„Ich weiß nicht.“ Vorsichtig hockte ich mich davor.

„Fass es nicht an.“

Fast hätte ich aufgelacht. Es war nicht das erste Mal, dass er mir das sagte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass ich ihn einfach ignorierte und mit dem Finger darauf tippte. Doch im Gegensatz zum letzten Mal, geschah dieses Mal doch etwas.

Plötzlich schoss Wasser daraus hervor.

Ich gab einen überraschten Schrei von mir und fiel rückwärts auf meinen Hintern. Aman knurrte

Acco warf vor Schreck einen der Stühle um. Er polterte die Veranda herunter, direkt ins Beet hinein. Es schepperte. Eine der Keramikfiguren ging zu Bruch.

Und überall im Garten erblickte ich plötzlich gleiche schwarze Stäbchen, aus denen kegelförmig Wasser spritzte.

„Zur Sachmet, ich habe dir gesagt, dass du das nicht anfassen sollst!“

Ich blinzelte durch den leichten Wasserfilm in meinen Augen zu Aman.

In diesem Moment wurden die Fenster des Hauses plötzlich beleuchtet. Mist, die Bewohner hatten wohl den Krach im Garten mitbekommen.

Ich hörte hastige Schritte im inneren des Hauses.

„Zeit zu gehen“, sagte ich und sprang auf die Beine. „Acco!“

Aman packte mich am Elenbogen und wollte mich nach links zum nächsten Haus dirigieren.

„Nein, zur Straße, dort kommen wir schneller voran.“

„Aber dort wird man uns sehen.“

„Vertrau mir Aman“, sagte ich und mache mich von seinem Griff los. Ja, ich wusste dass er mich nicht vertraute – noch nicht – aber er folgte mir, als ich zum Tor zwischen den Hecken rannte und es aufstieß.

Acco zischte an mir vorbei. Ich packte Aman bei der Hand, fürchtete, dass er zögern konnte und zog ihn einfach hinter mir her.

Aus dem Garten hörte ich die Haustür, doch wir rannten bereits die Straße entlang, vorbei an dunkeln Häusern und Gärten, vorbei an schlafenden Autos und spärlich leuchtenden Laternen.

Amans Augen waren dabei ständig in Bewegung und schienen an jeder Ecke eine Gefahr zu befürchten.

Ich dagegen folgte einfach nur Acco. Seine Nase war besser als meine. Er würde schon wisse wohin er uns führte.

Die einzigen Geräusche in dieser Nacht waren unsere Schritte. Wir liefen weit, bogen mal hier ab und mal dort, doch das Bild veränderte sich nicht.

Ich hatte mich getäuscht. Wir waren in einem Wald gelandet, nur bestand dieser hier nicht aus Bäumen, sondern aus kleinen Häusern. Alles sah so gleich aus. Nur die Geruchsfährten verrieten, dass wir uns stetig fortbewegten.

Wieder eine Parallele. Zwei verschiedene Wälder. Es schien als würde sich alles wiederholen. Und dann auch wieder nicht. diese Geistrede gefiel mir gar nicht. Ja, ich hatte den Ursprung ändern können und dadurch dass wir er Tage nach dem Überfall auf Bastets Tempel zur Erde gereist waren, war auch der Punkt unserer Ankunft ein anderer, aber … wenn sich bereits solche Kleinigkeiten wiederholten …

Ich drückte die Lippen aufeinander. Nein, diese Geistrede würde ich nicht weiterführen. Der Ursprung war anders. Vieles was dem Ursprung folgte war anders. Und ich würde dafür sorgen, dass auch alles andere anders sein würde.

„Hier“, rief Acco und rannte quer über die Steinplatte auf die andere Seite.

Abrupt blieb ich stehen und starrte auf das kleine Wäldchen vor uns. Es sah sehr künstlich auf. Jeder Baum und jeder Busch schien für seinen Platz wie geschaffen. Sie wuchsen in Mustern, so als wären sie nicht frei gewachsen.

Ich kannte diesen Ort. „Das ist Park“, sagte ich leise. Warum nur war mir das nicht sofort aufgefallen?

Aman blieb stehen und schaute mich an.

„Hier ist Naaru gestorben.“

Wachsam ließ er seinen Blick von mir zu dem Wäldchen gleiten. „Dieser Ort ist gefährlich?“

Diese Frage konnte ich nicht sofort beantworten. Ich musste in die Nacht lauschen, die Geräusche in der Dunkelheit verinnerlichen. Die Gerüche in der Luft.

Acco stand bereits vor dem Eingang und schaute über die Schulter zu uns zurück.

„Es waren die Grünen Krieger die Naaru in ihrer Unwissenheit getötet hatten. Doch sie waren nur hier weil auch Naaru hier gewesen ist. Ohne Naaru und die Grünen Krieger ist Park sicher.“ Ich schaute ihn an. „Wir können hinein und …“ Ich stockte als ich die Wunde an seiner Stirn sah. Sie blutete noch stärker. Natürlich, die Aufregung und die Anstrengung. „Ich muss deine Wunde heilen.“

„Wenn wir in Sicherheit sind.“

„Sei nicht so stur!“, fuhr ich ihn an und packte seine Hand. Er versuchte sich zu entziehen, doch ich fauchte ihn an und zerrte ihn dann hinter mir her in den Park. „Du warst es doch der mir gesagt hat, dass wir Verbündete sind. Mir Vorhaltungen machen, weil ich nicht von dir heilen lassen will und nun bist du selber nichts weiter als ein steinköpfiges Natis!“

Er knurrte und riss sich von mir los. „Sowas habe ich nie gesagt.“

„Doch hast du!“

„Ja, hast du“, stimmte Acco mir zu, duckte sich dann aber und schlich den Kiesweg entlang, um dem Blick seines Leiters zu entgehen.

„An das was geschehen ist kann ich mich nicht erinnern.“

„Aber wir können das.“ Ich schaute zu ihm auf. „Aman, bitte. Ich will doch nur das dir kein Leid wiederfährt.“

Er ließ nicht erkennen, welche Reden er im Kopf führte, doch er setzte sich wieder in Bewegung und folgte Acco und mir tiefer nach Park hinein.

Es war ein anderer Weg als ich ihn beim letzten Mal gegangen war und er endete an einem kleinen See. Ich verzog die Nase. Das Wasser roch modrig und abgestanden. Widerlich.

Acco stand am Ufer und witterte an der Oberfläche, als überlegte er trotz des Geruchs davon zu trinken.  „Erinnert mich daran, dass ich das nie wieder mache.“ Murrend wandte er sich vom Wasser ab und ließ sich unweit vom Ufer auf den Bauch fallen. Dabei sah nicht so aus, als wollte er demnächst wieder auf die Beine kommen. „Eine Reise durch ein Portal ohne Ziel? Nie wieder.“

Diese Erkenntnis kam ein wenig spät.

Ich wandte mich zu Aman um, der Stirnrunzelnd auf Wasser hinauf sah und musste mir in Erinnerung rufen, wie verwirrt und unsicher ich mich bei meinem ersten Besuch auf der Erde gefühlt hatte. Alles war so fremd und unwirklich gewesen. Eine faszinierende Seltsamkeit war der nächsten gefolgt.

Auch jetzt war ich wahrlich noch keine Expertin was die Erde anging, doch sie war mir in der Zwischenzeit wenigsten vertraut genug, dass ich Zeiten der Ruhe finden konnte ohne Angst haben zu müssen, dass gleich etwas Schreckliches geschehen könnte.

Aman war bei weitem noch nicht an diesen Punkt angelangt.

Wieder trat ich zu ihm und schaute zu ihm auf. „Ich muss mich um deine Wunde kümmern.“

Der Befehl in meinen Worten war unüberhörbar und zu meiner Überraschung setzte er sich Wortlos vor mich in das Gras. Doch mir fiel sehr wohl auf, wie er meinem Blick auswich. Er schaute mich nicht an. Weder als ich vor ihm in die Knie ging, noch als ich vorsichtig sein Gesicht drehte, bis ich an den Schnitt heran kam. Dabei konnte ich nicht verhindern, dass mein Herz wieder schneller zu schlagen begann. Aman so nahe zu sein, ließ die Sehnsucht nach ihm weiter wachsen und den eisern Ring in meinem Brustkorb vibrieren.

„Es sieht schlimm aus“, sagte ich leise. Die Haut an seiner Schläfe war aufgeplatzt. Kruste hatte sich noch keine gebildet, dafür floss das Blut aber unaufhaltsam aus der Wunde. Seine ganze linke Gesichtshälfte war bereits verschmiert.

„Tu was du tun musst und dann lass uns weitergehen. Wir müssen das Portal aufstellen.“

Da war er wieder, der Befehlston.

Ich ließ von seinem Gesicht ab und riss mir den Ärmel ab. Ich brauchte etwas um das Blut wegzuwischen, denn so sah ich kaum etwas. Einen kurzen Moment war ich am überlegen, ob ich den Stoff in dem See befeuchten sollte, aber der Geruch war so unangenehm, dass ich diese Idee praktisch sofort wieder verwarf. Eine Infektion war das letzte was wir jetzt brauchten. Es musste eben so gehen.

„Dreh den Kopf mal ein bisschen“, bat ich ihn und wartete bis er meinen Worten folgte. Erst dann begann ich das Blut vorsichtig von seinem Gesicht zu tupfen. Leider spürte ich dabei auch seinen warmen Atem, der immer wieder gegen mein Schlüsselbein blies.

Meine Hände fanden einen Weg an seine Brust, strichen hinauf zu seinen Schultern und den Nacken, bis sie sich tief in seine Haare vergraben konnten. Und das Geräusch das er dabei von sich gab … heiße Schauer überliefen meinen Rücken.

Oh Göttin, warum musste ich jetzt ausgerechnet daran geistreden?

Sehr langsam hob Aman meine Hand an seine Lippen und hauchte einen Kuss auf meine Knöchel, bevor er sie sich flach auf die Brust legte und seine darüber.

Meine Finger verharrten mitten in der Bewegung. Manchmal erkannte man den Wert des Augenblicks erst dann, wenn er zur Erinnerung wurde, wenn das war was in der Vergangenheit lag und für die Zukunft unerreichbar wurde.

Seine Mundwinkel waren zu einem schelmischen Lächeln verzogen und seine Augen. Oh Göttin, sie strahlten ihr ganz eigenes Licht ab. Wenn er lachte – auch wenn es nur leise war – strahlte sein ganzes Gesicht.

Meine Augen fielen gegen meinen Willen zu.

Die Bilder die durch meinen Kopf zogen … ich sah sie fast jede Nacht. Ich sah sie wenn ich ziellos ins Nichts starrte und wenn ich ihn von weitem erblickte. Doch nie waren sie so klar gewesen, wie in diesem Moment. All die gestohlenen Augenblicke. All die Berührungen und heimlichen Küsse. All …

„Lilith?“

Ich riss die Augen auf. „Ähm … verzeih, ich war einen Augenblick abgelenkt.“ Ob ich genauso rot war wie meine Wangen sich anfühlten?

Ich versuchte seinen musternden Blick zu ignorieren, als ich vorsichtig das Blut abtupfte, aber es war gar nicht so einfach. Ihn so nah bei mir zu haben … „Wir waren keine Amicus.“

„Das hast du mir bereits gesagt.“

Ich biss mir auf die Lippe, warf einen schnellen Blick in sein Gesicht, bevor ich fahrig den abgerissenen Ärmel zur Seite legte. Nein, wir waren keine Amicus gewesen. Was uns beide verband, ging viel tiefer.

Etwas zu ruppig drehte ich seinen Kopf zur Seite um an die Wunder heran zu kommen – es war immer noch besser als ihm die Wahrheit entgegenzuschleudern und ihn damit zu vergraulen.

Ich beugte mich vor und berührte mit der Zunge die Wunde. Mit unserem Speichel zusammen konnten wir ein Sekret produzieren, dass die Wundheilung extrem beschleunigte. Wir mussten nur mit warmen Blut in Kontakt kommen. Es war die sauberste und schnellste Möglichkeit ihn zu heilen. Und es war etwas, dass wir nur unseren Vertrauten erlauben.

Als er zuckte, hielt ich ihn nur umso fester. Ich wollte diesen Kontakt  nicht abbrechen lassen, doch obwohl die Wunde so strak geblutet hatte, war sie nur allzu bald bis auf eine rosa Narbe verheilt. Ich musste mich von ihm lösen, schaffte es aber nicht meine Hände von seinem Gesicht zu nehmen.

Er war mir so nahe. Ich musste mich nur ein kurzes Stück vorbeugen, dann könnte ich seine Lippen berühren. Aber seine Augen … es war sein Blick der mich davon abhielt und zum Rückzug zwang.

Wie ein körperlicher Schmerz traf mich die Trennung von ihm. Und trotzdem rutschte ich ein Stück von ihm weg. „Ich brauche Acco nicht“, sagte ich leise. Meine Augenlieder senkten sich leicht. „Diese Reise … versteh mich nicht falsch, ich habe Acco gerne, aber ich brauche ihn hier nicht.“

Aman runzelte die Stirn. „Warum hast du dann darauf bestanden ihn mitzunehmen?“

Warum nur musste diese Frage nur so wehtun? „Kannst du dir das nicht geistreden?“

Die kleine Falte auf seiner Stirn ließ mich seufzen.

„Dabei warst doch du es, der es beim letzten Mal so viel schneller verstanden hatte als ich.“ Aber auch dort hatte es ein paar Tage gedauert. Vielleicht war das der Grund, warum er sich noch so distanziert verhielt. Ich musste ihm einfach mehr Zeit geben.

„Was habe ich verstanden?“

Ich schaute ihn an, schaute in seine Augen und vermisste das Lächeln. Nur ein einziges Mal war es auf seinen Lippen erschien. Nur damals in den Höhlen der Elfen in dem wir beide zu einem Wesen geworden waren. „Es ist zu früh es dir zu sagen.“

Ich erhob mich und ließ meinen Blick über die Wege wandern. Wohin sollten wir uns wenden.

„Was ist zu früh?“

„Du würdest es nicht verstehen. Noch nicht.“ Ich wandte mich nach rechts. Aus der anderen Richtung waren wir gekommen und dort gab es nichts was wir als sicheres Versteck nutzen konnten.

Egal wie sehr ich diesen Augenblick herauszögern wollte, egal wie sehr ich es mir wünschte einen Weg zu finden Aman erneut nahe zu kommen, ich hatte einen Auftrag und er war wichtig. „Wir sollten es dort versuchten“, sagte ich und nickte den Weg hinunter.

„Was ist dort?“ Auch Aman kam wieder auf die Beine und spähte in die Dunkelheit.

Ich zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht.“

„Und warum glaubst du dass das die richtige Richtung ist?“

„Ich weiß nicht ob das die richtige Richtung ist. Aber irgendwo müssen wir mit unserer Suche nach einem Unterschlupf doch beginnen.“

So wie er mich anschaute war es wohl nicht das was er hatte hören wollen. Er schnaubte, schüttelte den Kopf als könnte er das alles nicht glauben und schritt den Weg hinunter. Dabei verfing sich das Licht des Mondes an dem gläsernen Dolch in seinem Gürtel.

Ja, manche Dinge änderten sich wirklich nicht. Diese Erkenntnis ließ mich hoffen. Aman würde wieder mir gehören.

Diese Geistrede beflügelte meine Schritte. „Komm Acco!“, rief ich und eilte Aman hinterher. Den strafenden Blick des Kriegers über meine Lautstärke ignorierte ich dabei gekonnt. Für einen Augenblick war ich wirklich frohen Mutes. Egal was das Schicksal mir vor die Füße warf, ich würde mich darum kümmern und siegreich davon ziehen. Ich würde eine Kriegerin werden, auf die nicht nur meine Göttin und mein Volk stolz sein könnten, ich würde auch meinen Fafa zeigen, dass er sich nicht in mir getäuscht hatte.

Diese Geistrede ließ das Hochgefühl ein wenig schrumpfen. Eigentlich hatte Fafa meine Fähigkeiten bereits anerkannt. Er wollte sogar dass ich ihn auf seinen Reisen begleitete. Das war eine große Ehre für mich. Ich hatte mein Leben lang gehofft, dass es eines Tages so kommen würde, aber nie wirklich damit gerechnet. Aber nun … der Preis den er dafür verlangte.

Plötzlich waren meine geistreden erfüllt mir Tarpan. Ich versuchte mir auszumahlen ihn zu küssen oder zu berühren, so wie ich es mit Aman getan hatte, doch sein Bild verschwamm jedes Mal und wurde durch diesen steinköpfigen Lykanthropen neben mir ersetzt.

Ich versuchte mir vorzustellen neben Tarpan auf einem weichen Lager zu liegen und ihm zu erlauben mein Cullosor zu sein, doch es wollte mir nicht gelingen. Neben Aman verblasste Tarpan einfach. Es war völlig egal ob er die bessere Verbindung war, mein Herz gehörte bereits einem anderen. Doch … wie kam es eigentlich dass meine Gefühle für Aman noch so stark waren? Ich meine, alle hatten vergessen was geschehen war. Ich erinnerte mich zwar, aber die Zeit war doch auch für mich zurückgedreht worden. Hätten dann nicht auch meine Gefühle verschwinden müssen, auf dass ich noch einmal von vorne begann? Vielleicht …

Aman blieb abrupt stehen. „Was ist das für ein Geräusch?“

„Autos“, sagte ich leicht dahin und ging einfach an ihm vorbei. „Wir nähern uns einer Straße.“

Acco trottete einfach an seinem Leiter vorbei. „Allein schon der Geruch sollte dir das eigentlich verraten.“

Er hatte Recht. Egal von welcher Seite wir uns einer Straße nährten, sie war immer schon von weitem zu riechen.

„Jetzt müssen wir ein wenig vorsichtiger sein“, erklärte ich. Ich sah bereits das Ende des Kiesweges und auch die Steinplatte dahinter. Immer wieder rauschten Autos darauf an uns vorbei.

„Sind sie gefährlich?“

Ich blieb stehen und schaute über die Schulter. Aman hatte sich noch keinen weiteren Meter bewegt. „Nein, nicht wirklich. Du darfst dich nur nicht verwandeln, oder dich den Menschen gegenüber irgendwie aggressiv verhalten, dann sollten wir unbehelligt durch die Straßen kommen.“

Auch wenn er sich daraufhin wieder in Bewegung setzte, schien er an meinen Worten zu zweifeln.

Am Ende von Park blieben wir einen Moment im Schatten der Bäume stehen und versuchten uns ein Bild von unserer Umgebung zu machen. Alte Häuser. In ihnen schienen viele Herzen zu schlagen – ganze Familien. Die Fassaden waren heruntergekommen und nicht alle schienen bewohnt zu sein. In manch einem Fenster brannte Licht.

Ich ließ meinen Blick die Straße hinauf und hinunter wandern. So viele Autos wie bereits auf den Straßen waren, musste die Nacht bald vorbei sein. Vermutlich befanden wir uns in den frühen Morgenstunden. Die Sonne war zwar noch nicht zu sehen, aber ich konnte die nahende Dämmerung bereits an der Farbe des Himmels erahnen. „Wir sollten uns ein wenig beeilen.“

Auch Aman ließ seinen Blick wachsam hin und her wandern. „Wohin sollen wir uns wenden?“

Das war eine ausgezeichnete Frage. Ich biss mir auf die Lippe, sah nach rechts, dann nach links. „Ich weiß nicht. Ich kenne mich hier nicht aus.“

„Ich geistredete du wüsstest wohin wir müssen.“

Klang da etwas die Spur eines Vorwurfs in seinen Worten mit? Ich kniff die Augen leicht zusammen. „Diese Welt ist riesig, viel Größer als Silthrim und ich habe nur einen Bruchteil von ihr gesehen. Außerdem warst du doch selber schon hier gewesen. Sag du uns doch wohin wir müssen.“

„Ich erinnere mich aber nicht.“

„Und ich bin nicht allwissend. Und jetzt schau mich nicht so an als sei ich nur ein …“ Ich verstummte.

„Du meinst als seist du nicht nur ein kleiner Lehrling?“

Göttertot noch eins, das hatte er nun wirklich nicht sagen müssen.

Wortlos kehrte ich ihm den Rücken und trat aus dem Schutz der Bäume hinaus auf den Weg neben der Straße. Menschen waren zum Glück keine unterwegs, doch in so manchem Fenster sah ich ihre Schatten auftauchen.

Dieser dumme, dumme, steinköpfige Hund! Ich versuchte die ganze Zeit nett zu ihm zu sein – wirklich. Aber wenn er … grrr! Am liebsten würde ich ihn hauen und dann küssen und … oh Göttin! War das zu fassen? Selbst wenn die Wut auf ihn in meinem Inneren schwelte, hatte ich das Bedürfnis ihm nahe zu sein.

War das normal?

Ich wusste es nicht. Bei Bastet, im Moment gab es so viele Fragen auf die ich keine Antwort wusste und es schienen immer mehr zu werden.

Ich warf einen flüchtigen Blick über meine Schulter. Aman und Acco folgten mir, aber sie hielten Abstand.

Zum ersten Mal seit unserem Aufbruch fragte ich mich ob es nicht vielleicht ein Fehler gewesen war mit Aman hier her zu kommen. Es war so schwer ihn bei mir zu haben. Es tat weh ihn zu sehen und ihm doch fern bleiben zu müssen.

Seufzend richtete ich den Blick wieder nach vorne. Diese Geistreden waren müßig und verhinderten dass ich mich auf meine Aufgabe konzentrierte. Was ich hier tat war wichtig, ich durfte mich nicht so ablenken lassen. Auch nicht wenn mein Herz bei der Geistrede schwer wurde.

Erst an der Ecke wo die Steinplatten sich kreuzten blieb ich stehen und lauschte auf die nährkommenden Schritte von Acco und Aman. Aber Moment … zwischen meinen Augenbrauen erschien eine Furche. Da waren noch weitere Schritte.

Wachsam ließ ich meinen Blick über die leere Straße gleiten. Sie war gar nicht so leer, wie ich angenommen hatte. Von links kam ein älterer Mann auf mich zu. Sein Äußeres was ziemlich heruntergekommen und der Geruch der ihn begleitete … ich rümpfte die Nase. Das musste ein Bettler sein, ein Bettler der dem Wein zugut zugesprochen hatte, so wie er von einer Seite zur anderen schwankte.

Amans Schritte verstummten kaum einen Meter hinter mir. Auch er musste den Mann in der Zwischenzeit entdeckt haben. 

„Er ist nicht gefährlich“, sagte ich leise. Nur angetrunken.

Der Mann schien uns noch nicht bemerkt zu haben. Torkelnd hielt er weiter auf uns zu und murmelte dabei unverständliche Worte vor sich hin.

Acco schnaubte. „Er riecht wie der Weinkeller bei uns im Tempel.“

Der Mann vor uns erstarrte. Sehr langsam hob er seinen Blick und richtete ihn genau auf mich.

Ich spannte mich an. Hatte ich mich getäuscht? War er doch gefährlich?

„Du!“, rief er plötzlich. Er riss seine Hand hoch und zeigte mit dem Finger auf mich. „Du bist es!“

Verständnislos schaute runzelte ich die Stirn.

„Ich kenne dich!“ Es war beinahe ein Schrei den er mir entgegenwarf, dann wirbelte er herum und stürzte von seinem eigenen Schwung übermann zu Boden. Ein Laut des Schmerzes kam über seine Lippen. Über die Schulter warf er mir einen panischen Blick zu, wimmerte und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

Er stolperte erneut, taumelte und fiel wieder hin. Unzusammenhängende Worte fielen ihn von den Lippen. Sein Murmeln wurde von Angst begleitet. Der scharfe Geruch stach mir in die Nase.

Verwundert beobachteten wir, wie der Mann schwerfällig zurück auf die Beine fand und sich mit einem letzten panischen Blick über die Schulter davon machte. Dabei geriet er mehr als einmal stark ins Schwanken und es dauerte ein Weilchen, bevor er um eine Hausecke verschwand und damit auch aus unserem Sichtfeld.

Aman richtete seinen Blick auf mich. „Woher kennt er dich?“

Ja, das war eine ausgezeichnete Frage. „Er kann mich nicht kennen.“

„Vielleicht hat er dich verwechselt“, überlegte Acco und ließ seinen Blick über mich wandern. „Vielleicht hat ihn auch deine Aufmachung verunsichert.“

„Meine Aufmachung?“

„Du hast nur noch einen Ärmel.“

Da hatte er Recht. Den anderen hatte ich geraucht um Aman das Blut aus dem Gesicht zu wischen. Doch würde ihn ein fehlender Ärmel so verstören? Das konnte ich mir nicht so recht vorstellen, aber wenn ich an die ganzen seltsamen Ritten der Menschen geistredete, konnte an Accos Worten schon etwas Wahres dran sein. Wenn ich mir nur das Schamgefühl der Menschen in Erinnerung rief … Menschen waren schon seltsam.

Vorsichtshalber riss ich auch den zweiten Ärmel ab und ließ ihn achtlos zu Boden fallen.

Aman sah mir gedankenvoll zu. „Hoffen wir, dass das wirklich das Problem war.“

„Sein Geist war vom Wein benebelt.“ Ich schulterte die Riemen neu, damit sie mir nicht in die Haut schnitten. „Und nun lasst uns gehen. Es ist besser wenn wir ein Unterschlupf finden.“  

 

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Kapitel Neun

 

Wachsam ließ ich meinen Blick an dem alten Gebäude hinauf wandern. Es wirkte verlassen und auch die Gerüche deuteten darauf hin, dass sich schon lange kein Mensch mehr an diesen Ort verirrt hatte. Es war riesig und heruntergekommen, doch wofür es einmal gebraucht worden war, konnte ich nicht sagen.

Auch Acco ließ seinen Blick daran hinaufwandern. „Es wirkt als würde es jeden Moment einfach zusammenbrechen.“

„Was vielleicht ein weiterer Grund für die Menschen ist diesem Ort fern zu bleiben.“

„Vielleicht sollten auch wie diesem Ort fern bleiben“, überlegte Aman und ließ den Blick von einer Seite zur anderen wandern. „Es wirkt nicht gerade … sicher.“

„Umso besser für uns.“ Ich setzte mich nach links in Bewegung. Um das Gebäude herum waren weitere verlassene Bauten – das ganze Gelände schien voll von ihnen. Die Wohnsiedlung hatten wir bereits vor einer Weile hinter uns gelassen und nun drängte die Zeit. Wir waren bereits viel zu lange auf der Suche nach einem geeigneten Unterschlupf, deswegen konnten wir nicht weiter suchen.

Aman schien meine Entscheidung nicht zu gefallen. Genaugenommen hatte ihn seit unserer kleinen Diskussion in Park keiner meiner Entscheidungen mehr gefallen. Es war als würde ich ihn persönlich beleidigen, weil ich nicht über jede Kleinigkeit dieser Welt Bescheid wusste. Das ärgerte mich. Es ärgerte mich mehr als ich mir eingestehen wollte. Also warum nur ließ ich es mir gefallen?

Ein Scheppern ließ mich herumwirbeln.

„Ups“, machte Acco und trat einen Schritt von der Hauswand zurück. „Ich glaube ich habe einen Eingang gefunden.“

Ja das hatte er. Und dabei hatte er auch noch gleich ein Stück Metall aus der Wand gerissen – allein dadurch, dass er dagegen gekommen war.

Ich sah mir die ganze Sache aus der Nähe an. Die Tür war groß und hing nur noch halb in den Angeln. Ein unangenehmer Geruch schlug mir aus dem Inneren entgegen, wie von Abfällen, die großer Wärme ausgesetzt gewesen waren.

Spinnennetze hingen im Türstock. Schutt und Dreck hatten sich am Fuß gesammelt. Nein, hier war wirklich schon lange niemand mehr gewesen. „Egal wofür dieses Gebäude einst diente, es wird schon lange nicht mehr genutzt.“

„Ich werde es mir trotzdem erstmal ansehen. Ihr wartet hier.“

„Warum? Glaubst du ein kleiner Lehrling kann das nicht genauso gut?“

„Ja, genau das glaubte ich.“ Er funkelte mich an, drehte sich herum und verschwand ins Innere.

Oh dieser steinköpfige Hund! „Wie konnte ich nur vergessen, dass er so herrisch ist?“

„Hm, ich geistrede es ist so viel passiert, dass du dich nur an die guten Momente erinnern wolltest. Und diese Seite an ihm ist nicht unbedingt einer seiner besten.“

Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Das war keine Frage gewesen, auf die ich eine Antwort gewünscht habe.“

Acco schaute nur unschuldig zu mir nach oben.

Seufz.

Ungeduldig wartete ich vor dem Eingang und lauschte auf die Geräusche aus dem Inneren, doch Aman bewegte sich so leise, dass ich nur hin und wieder einen Laut von ihm auffing.

Ich schaute über die Schulter hinauf zum Himmel. Die morgendliche Dämmerung hatte eingesetzt. Wie lange waren wir bereits hier? Eine Stunde oder mehr? Das gefiel mir nicht. Die Priester machten sich sicher schon Sorgen, genau wie mein Fafa und … nein nein nein! Diese Geistrede verbot ich mir. Tarpan war im Augenblick das letzte Wesen an den ich geistreden wollte. Dieses Problem war im Moment sowieso nicht zu lösen, also sollte es mir fern bleiben.

Aber es würde sich nicht ewig aufschieben lassen. Früher oder später würde ich nach Silthrim zurückkehren und dann …

Oh Göttin! „Ich komm jetzt rein“, sagte ich laut und ließ meinen Worten Taten folgen. Alles war besser als sich jetzt damit auseinander zu setzten. Auch der Böse blick mit dem Aman mich bedachte, kaum dass ich ins Gebäude getreten war.

Es war dunkel. Hier sah es nicht besser aus als draußen – eher noch schlimmer. Die Wände waren mit seltsamen bunten Schriftzügen verziert, die ich nicht lesen konnte. Zwischen ihnen fand ich auch immer wieder Bilder. Grobe Zeichnungen von Menschen. Ein Kind das so groß war wie ich und ein blutiges Messer in der Hand hielt. Eine Frau die Breitbeinig da saß und ein Mann der sein … bei Bastet. Ich wandte schnell den Blick ab und konzentrierte mich auf die Einrichtung.

Es gab keine.

Nackte Wände, verdreckter Boden, hohe Decken. Wozu auch immer diese Halle einst genutzt worden war, Spuren von dieser Zeit waren keine mehr zu finden.

„Fällt es dir so schwer Befehle zu befolgen?“

Ich drehte mich nicht zu Aman um, sondern nahm den Boden genauer unter Augenschein. Wir brauchten einen guten Platz für das Portal. „Ich habe deine Worte nicht als Befehl verstanden, sondern eher so als gutgemeinten Rat.“

Acco gab ein ersticktes Geräusch von sich, dass sich sehr nach einem unterdrücken Lachen anhörte.

„Ich habe deutlich gesagt dass ihr draußen bleiben sollt.“

„Aber du hast nicht gesagt für wie lange.“ Hier. Ich stand ungefähr in der Mitte der Halle. Der Boden war zwar verdreckt, aber eben und ohne sichtbare Schäden. „Ich glaube das ist ein guter Platz für das Portal.“

„Ich habe nicht gesagt dass wir hierbleiben werden.“

Oh Göttin. „Wir haben keine Zeit noch nach einem anderen Platz zu suchen. Wir sind schon zu lange auf der Erde.“ Ich ließ die Riemen von meiner Schulter rutschen und setzte das Paket vorsichtig auf den Boden. „Außerdem sind hier keine Menschen. Der Platz ist abgelegen und geschützt. Etwas Besseres werden wir so schnell sicher nicht finden. Wieder zu gehen wäre töricht und …“ Als zwei Füße in mein Sichtfeld traten, verstummte ich und schaute zu Aman auf.

„Du magst vielleicht schon in dieser Welt gewesen sein, aber wie du selber gesagt hast, du weißt nicht annähernd genug über sie um dich auf ihr zurecht zu finden. Und ja, mir ist wohl bewusst dass du eine Auserwählte bist, aber genauso bewusst ist mir auch, dass du noch ein Lehrling bist, also solltest du vielleicht auf das Wort eines Kriegers hören.“

Langsam wippte ich auf meinem Fußballen zurück. Ich schaute zu ihm auf, geistredete über seine Worte und streckte ihm dann meine geöffnete Hand entgegen. „Würdest du mir deinen Dolch reichen? Ich brauche ihn um die Verschnürung zu öffnen.“

Amans Mundwinkel sanken herab.

Heillos. „Pass auf. Ich weiß wohl wer du bist und auch wer ich bin. Ich will dich nicht gegen mich aufbringen oder gar streiten. Doch trotz meines Standes musst du doch einsehen dass ich recht habe.“ Ich ließ meinen Mundwinkel ein Stück nach oben wandern. „Außerdem bin ich ein Lehrling in Bastets Tempel. Die Krieger der Ailuranthropen sind stark und das werden sie nicht von heute auf morgen.“

„Sie mögen stark sein, aber sie sind auch eigensinnig und viel zu sehr von sich überzeugt.“ Er zog den Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel und gab ich mir mit dem Griff voran. „Ein Krieger der seinem Volk gut dient brauch viel mehr als Starrsinn.“

„Ich weiß.“ Ich schloss meine Hand um den Griff. „Krieger brauchen den Willen und das Herz. Sie brauchen Mut und Umsicht. Sie brauchen Geduld und einen schlauen Geist.“ Meine Hand sank herab. Die Klinge des gläsernen Dolches schimmerte im trüben Morgenlicht das durch die fleckigen und blinden Fenster fiel. „Das sind alles Dinge die du mich gelehrt hast. Und auch Dinge die ich dich gelehrt habe.“ Die Schneide war so scharf, dass ich die Schnüre mit einem Schnitt durchtrennen konnte und in den Staub fielen.

Ich legte den Dolch zur Seite und machte mich daran das Papier von den Tafeln zu entfernen. „Ich bin vielleicht noch kein vollwertiger Krieger, aber ich bin ein Ailuranthrop, die Tochter des großen Zaho und ich habe Dinge gesehen und getan, wie kein anderer in meinem Alter.“ Das braune Papier knisterte in meiner Hand, als ich es vorsichtig abstreifte. „Ich bin ein Lehrling. Ich bin die Auserwählte. Aber vor allen Dingen bin ich Lilith.“ Und du mein Finis.

Diese Worte blieben ungesagt, auch wenn meine Zunge sich lösen wollte um sie laut auszusprechen.

„Du sprichst wahr, doch vergisst du bei alledem, dass ich im Moment der Ranghöhere von uns bin. Es ist meine Aufgabe auf dich aufzupassen. Deswegen bin ich hier und ich würde mich freuen, wenn du mir meine Arbeit nicht schwerer machst als sie bereits ist.“

„In Ordnung.“

Meine schnelle Zustimmung schien nicht nur ihn zu überraschen, auch Acco schaute mich an als sei der Geist einer Fremden in mich gefahren.

Ich lächelte nur. Nicht dass ich mir etwas von ihm sagen lassen würde, aber ich wusste wie er war. Ich konnte es uns beiden einfach machen, indem ich ihm einfach seinen Willen ließ.

„Ich begrüße es dass du deinen Fehler einsiehst“, sagte Aman und wandte mir den Rücken zu. „Ich werde noch einmal nachsehen, ob wir wirklich sicher sind.“

Fehler?! Bei Bastet, dieser Hund! Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich ihm hinterher, wie er die große Halle durch eine Seitentür verließ und damit weiter ins Innere des Gebäudes eindrang.

„Hast du deine Zunge verschluckt?“, fragte Acco mit einem amüsierten Ton in der Stimme.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu und machte mich an meine eigentliche Aufgabe.

Die Tafel der Hathor war die erste die ich in Händen hielt. Ihr Zeichen war eine flache Scheibe zwischen den Hörnern einer Kuh. Wie fein die Linien in das Holz eingearbeitet. Es war wie ein Kunstwerk, das ich mit aller Vorsicht neben mich auf den Boden legte.

Die Holzplatte war nicht viereckig, sondern halb Rund. Mit den anderen Platten zusammen würde sie einen geschlossenen Kreis ergeben.

Die zweite Tafel gehörte Re. Sein Zeichen war eine halbe Sonne deren Strahlen wellenförmig von ihr abgingen. Maat folgte. Horus, Sobek und Ptah.

Ich streifte gerade das Papier von der Tafel des Seth, als Aman zurück in die Halle kam.

„Wir sind allein.“

Ich verkniff es mir etwas darauf zu erwidern. Er war sowieso nur noch einmal losgegangen um mir zu zeigen, dass er der große Krieger war. Wahrscheinlich hatte er bereits vorher gewusst, dass sich außer uns niemand hier aufhielt.

Aman ließ sich nur ein Stück neben mir nieder und machte sich dann über sein Packet her.

Ich achtete nicht weiter darauf wie er nach dem Dolch griff, folgte mit dem Finger dem verschlungenen Z auf Seths Tafel und hörte dann das zischen. Meine Augen richteten sich auf Aman.

Er hatte die Schnüre um sein Paket gelöst und es dabei geschafft sich auch den Daumen aufzuschneiden.

„Dummkopf“, murmelte ich und griff wie selbstverständlich nach seiner Hand um mir den Schnitt genauer anzusehen. Erst als er meine Arm wegschlug und mich anfunkelte, wurde ich mir bewusst, was ich gerade getan hatte. Aber noch viel bewusster war ich mir plötzlich der Distanz zwischen uns.

„Was sollte das werden?“, fragte er beinahe vorwurfsvoll. Das Blut aus seinem Daumen tropfte auf den Boden.

Ich schaute ihn an, sah diese Kluft zwischen und spürte wie der eiserne Ring in meiner Brust wieder fester wurde. „Ich wollte die Wunde heilen.“

„Dazu bin ich sehr wohl allein in der Lage. Dafür brauche ich keine Hilfe von einem Ailuranthropen.“

Ailuranthrop. Als sei ich nur irgendein fremdes Wesen das er notgedrungen an seiner Seite dulden musste.

Bei dieser Geistrede hätte ich fast laut aufgelacht – es wäre kein schönes Lachen geworden. Aber genau diese Worte zeigten unsere momentane Situation doch auf. Für ihn war ich nur ein Niemand mit dem er zwangsläufig zusammenarbeiten musste. Mehr nicht.

Meine Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen. „Ich werde es nicht noch einmal tun.“

„Das will ich hoffen. Ich habe dir bereits gesagt dass du mich nicht belästigen sollst.“

Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Meine Hände klammerten sich um Seth Tafel, während ich meinem Mund verbot sich zu öffnen.

Acco knurrte. Doch nicht weil sich eine Gefahr nährte, nein, er knurrte Aman an, erhob sich von seinem Platz und kam auf mich zu.

„Acco, komm hier her“, befahl Aman.

Die Schritte des Sermos wurden langsamer, aber er blieb nicht stehen.

„Acco!“

Der Wildhund verharrte. Sein Blick war auf seinen Leiter gerichtet und er schien richtig sauer zu sein. „Warum?“, fragte er. „Weil sie kein Lykanthrop ist? Sollen wir sie jetzt meiden? Sollen wir sie von uns wegstoßen und isolieren?“

Auf Amans Stirn entstand eine kleine Furche. „Das habe ich nicht gesagt. Ich …“

„Doch, genau das ist es was du gesagt hast. Ja, wir verstehen beide dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst, was hier geschehen ist, aber wir tun das. Glaubst du für uns ist das einfach? Glaubst du Lilith hat sich das so gewünscht? Du weißt gar nicht was sie wegen dir durchgemacht hat. Nicht nur dass sie deinen Tod mitansehen musste, nein auch davor. Zwischen euch war es nie einfach gewesen. Und du weist auch nicht wie sehr sie sich im Moment zusammenreist. Wäre es nämlich so wie damals, hätte sie dir schon längst die Krallen durchs Gesicht gezogen! Vielleicht solltest du mal überlegen, warum sie das noch nicht getan hat, du …“

„Es reicht Acco!“

Oh Göttin, so hatte ich den Sermo noch nie so mit seinem Leiter sprechen gehört.

„Du verstehst gar nichts. Aber lass dir gesagt sein, du kannst vor deinem Schicksal nicht fliehen – nicht wenn es von den Göttern vorherbestimmt ist und …“

„Acco!“

Der Sermo gab ein unwilliges Geräusch von sich, kehrte seinem Leiter den Rücken und trottete ans andere Ende der Halle, wo er sich auf dem Boden nieder ließ. Zwischen dem Unrat um ihn herum war er dort kaum auszumachen.

Aman wirkte nicht weniger unzufrieden. Mürrisch steckte er sich den Daumen in den Mund um die Blutung zu stillen. Dabei warf er mir einen Blick zu, als wäre ich an allem schuld. In seinen Augen war ich das wahrscheinlich auch.

Ich wich seinem Blick aus und legte die Tafel zur Seite. Wir hatten schließlich nicht ewig Zeit.

Auch Aman machte sich stumm über seinen Anteil her.

Leider nutze meine Geistrede die Stille um mit mir zu sprechen. Ich fragte mich ob ich mich nicht vielleicht geirrt hatte. In der anderen Zeitlinie war Aman niemals so feindlich zu mir gewesen. Herrisch ja, aber niemals so abweisend. Ganz im Gegenteil, er war immer in meiner Nähe gewesen und hatte auf die eine oder andere Weise versucht mir nahe zu kommen.

Hatte ich mich vielleicht geirrt? Gab es in dem hier und jetzt vielleicht gar keine Finis zwischen uns? Aber ich spürte sie doch noch immer. Da war etwas. Der Zauber der von ihm ausging wirkte auch in diesem Moment noch auf mich. Wie konnte er das nicht spüren?

Meine Hände arbeiteten unaufhaltsam weiter. Die letzte Platte war die meiner eigenen Göttin. Bastet. Der Kopf einer majestätischen Katze, der mit Symbolen und Zeichen der alten Zeit verziert war.

Es waren die Grenzen unserer Gesellschaft, die uns immer weiter auseinander trieben. Beim letzten Mal hatte es ihm keine Probleme bereitet sie einfach niederzureißen um zu mir zu gelangen. Ich war es gewesen, die ihn immer wieder auf seine Seite geschubst hatte. Doch dieses Mal war es anders herum und ich war mir absolut nicht sicher, ob ich so standhaft sein konnte wie er.

Wie hatte er es nur geschafft diese ständigen Zurückweisungen einfach so zu übergehen und sich nicht von seinem Ziel abbringen zu lassen? Es schmerzte doch so sehr.

Die Geistreden rotierten in meinem Kopf, während ich damit begann eine halbwegs saubere Freifläche auf dem Boden zu schaffen und die ersten Tafeln in der richtigen Reihenfolge auslegte. Immer wieder musste ich kleine Steinchen zur Seite wischen, damit die Platten auch wirklich gerade auf dem Boden lagen. Horus. Zwei Lücken lassen für Amun und Anubis. Weiter ging es mit Hathor, Maat und Sobek. Ptah …

„Es tut mir leid“, sagte er plötzlich und wickelte seine vorletzte Tafel aus.

Überrascht schaute ich auf.

„Ich verstehe dass wir beide eine gemeinsame Vergangenheit haben und das dein Verhalten mir gegenüber wohl aus dieser Zeit geprägt ist.“ Er legte die Tafel des Chnum neben sich auf den Stapel. „Du hast selber gesagt dass wir keine Amicus waren, doch dein Gebaren …“ Er verstummte und richtete seinen Blick auf mich und plötzlich hatte ich das starke Gefühl dass er wusste was zwischen uns gewesen war – oder zumindest etwas in der Richtung ahnte.

Ich hielt den Atem an.

„Es tut mir leid, Kleine Kriegerin, aber egal was du glaubst was geschehen ist, es wird nicht mehr passieren.“

Diese Worte hätten wie ein Dolch in meinem Herzen sein müssen, stattdessen konnte ich ihn nur ungläubig anstarren. Was er da gesagt hatte … das hatte ich mir doch nicht eingebildet. „Wie hast du mich gerade genannt?“

Etwas verwundert zog er die Augenbrauen zusammen. „Kleine Kriegerin.“

Kleine Kriegerin. Er hatte mich kleine Kriegerin genannt. Sein Kosename für mich. Er hatte ihn immer nur in Momenten der Vertrautheit ausgesprochen, wenn er mir zeigen wollte, wie wichtig ich ihm war.

Nein, er erinnerte sich noch immer nicht, doch diese zwei Worte zeigten mir, dass ich meine Hoffnungen nicht aufgeben brauchte.

Aman gehörte zu mir und ich würde es ihm beweisen.

Doch im Moment schaute er mich einfach nur etwas verwundert an. „Es scheint dich zu freuen, dass ich dich so genannt habe.“

„Es war nicht das erst Mal dass du dies getan hast“, sagte ich schlicht und nahm mir seine Göttertafeln, um die Lücken im Kreis auszufüllen.

Stirnrunzelnd griff Aman nach seiner letzten Platte. „Ich glaube du hast nicht verstanden, was ich gerade zu dir gesagt habe.“

„Das habe ich sehr wohl.“ Ich lächelte ihn an, doch meine Mundwinkel sanken herab, als ich die Tafel sah die Aman aus dem Papier wickelte. Sie war zerbrochen.

„Zur Sachmet“, fluchte er und hielt die beiden Teile aneinander.

Oh Göttin nein, das durfte nicht wahr sein. „Wie konnte das passieren?“

„Ich weiß nicht.“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Es muss geschehen sein als die greifenden Winde uns entließen.“

Das konnte nicht sein. Wir konnten nicht schon wieder auf diesem Planeten gestrandet sein. Das wäre einfach unlauter. Ich hatte in der Zwischenzeit ja verstanden, dass es immer wieder Parallelen zur anderen Zeitlinie gab, aber das war zu viel! „Was sollen wir denn jetzt tun?“

Aman schaute auf die Tafel in seiner Hand, dann zu dem unvollständigen Kreis auf dem Boden. Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich, als er sich vom Boden erhob und die beiden Teile an ihren angestammten Platz zwischen die andern Tafeln legte.

Er schob sie so zusammen, dass man wirklich sehr genau hinschauen musste um die Bruchstelle zu erkennen. Aber sie war da und das wussten wir beide.

„Glaubst du dass es trotzdem funktioniert?“, fragte ich leise.

„Ich weiß es nicht.“ Er schaute zu mir auf. „Wenn es nicht funktioniert, dann können wir nur noch auf deinen Magier hoffen.“

„Aber der wird nicht kommen“, sagte ich beinahe verzweifelt. „Er kann magische Energien spüren. Das funktionierende Portal hätte ihn angelockt, aber ohne das wird er uns nicht finden. Wie denn auch, er weiß doch gar nicht dass es uns gibt!“

Das waren die kalten harten Fakten. Ich hatte die Zeit zurück gedreht. Ohne das Portal würden Pascal und Luan uns nicht finden. Die beschädigte Tafel erneut herzustellen würde nicht nur viel Zeit in Anspruch nehmen. Und selbst wenn wir eine neue erstellen würden, gab es nur eine geringe Chance, dass sie auch funktionierte.

Die Zeichen der Götter mussten authentisch sein, kein Strich durfte verkehrt gesetzt werden, sonst wäre die ganze Tafel nichts wert. Weder Aman noch ich besaßen das nötige Handwerk um ein solches Kunstwerk zu erschaffen.

„Beim letzten Mal wurden wir doch auch ohne Portal gefunden“, überlegte Aman.

„Ja, aber da waren wir an dem Ort geblieben, an dem die greifenden Winde uns entlassen haben. Es ist gut möglich dass Luan und Pascal bereits an dem Haus sind, wo wir auf die Erde geworfen haben, aber wir sind hier. Sie haben keinen Bezug zu diesem Ort.“ Zur Sachmet!

Aman drückte die Lippen zusammen und starrte auf das beschädigte Zeichen.

Der Kreis der Götter war vollendet, jedes Symbol lag an seinem angestammten Platz, doch eines von ihnen war nicht so wie es sein sollte.

„Dann können wir jetzt nur noch warten und hoffen.“

„Und wenn die Hoffnung vergebens ist? Wenn das Portal nicht geöffnet werden kann?“

„Dann müssen wir versuchen den Magier zu finden.“

Und das könnte dauern – falls es uns überhaupt gelang. Diese Welt war riesig und ich konnte nicht einmal abschätzen wo Luan und seine Familie sich befanden.  

Ich drückte die Lippen fest zusammen. So war das nicht geplant gewesen.

 

°°°

 

Den Blick stur auf das Portal gerichtet, lehnte Aman mit verschränkten Armen an der schäbigen Wand als könnte er es so dazu zwingen zu erwachen. Doch es geschah nichts. Die Zeit tröpfelte nur langsam voran. Hatten die Priester im Tempel bereits versucht das Portal zu öffnen und waren gescheitert? Oh Göttin.

Mein Blick glitt immer wieder von Aman zu Acco in der Ecke. Egal wie ernst unsere Situation mit dem Zerbrechen von Sachmets Tafel geworden war, meine Geistreden konnten sich nicht auf dieses Problem konzentrieren – nicht wirklich jedenfalls. Immer wieder hallten zwei kleine Worte in meinem Kopf wieder und lechzten um meine Aufmerksamkeit.

Kleine Kriegerin.

Es musste doch etwas zu bedeuten haben, dass er ausgerechnet sie gewählt hatte um mich anzusprechen. Oder? „Hast du es verstanden?“, fragte ich leise und schaute zu ihm hinüber. Dies war vielleicht kein Moment für ein solches Gespräch, aber die drückende Stille machten meine Geistreden immer schlimmer. Er war mir so nahe und trotzdem unerreichbar. „Hast du meine Worte wirklich verstanden?“

Aman richtete seinen Blick auf mich, blieb aber stumm.

Vielleicht wäre es an dieser Stelle besser gewesen die Angelegenheit vorerst auf sich beruhen zu lassen, doch stattdessen erhob ich mich vom Boden und stellte mich vor ihn.

Es war zu nahe, nicht angebracht bei der Tatsache, dass wir verschiedenen Völkern angehörten und auch Aman schien das aufzufallen. Doch er blieb wo er war, lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und beobachtete mich.

„Weist du was uns verbindet?“, fragte ich ihn leise.

Noch immer blieb er still.

„Es ist das Schicksal.“ Mein Herz schlug viel zu schnell für diesen Moment, doch ihn so vor mir zu sehen ließ mich einfach nicht anders handeln. „Wir sind keine Amicus, waren es nie gewesen. Was uns verbindet ist von den Göttern arrangiert worden.“

Diese Worte entlockten ihm endlich eine Reaktion. „Was willst du damit sagen?“, fragte er ungläubig.

„Du warst es der es zuerst bemerkt hat. Ich habe dich so oft von mir gestoßen. Die Gesetzte erlauben es nicht und doch … es ist nicht zum ersten Mal geschehen.“

„Das kann nicht stimmen.“

Ich wusste nicht genau was ich mir mit meinen Worten erhofft hatte, doch das war es nicht. „Ich weis dass es schwer zu glauben ist, aber …“

„Nein“, unterbrach er mich. „Was auch immer du dir gerade erhoffst, es ist nicht wahr. Eine Finis? Zwischen uns?“ Er lachte fast panisch auf. „Du bist ein Ailuranthrop!“

Das wusste ich nur zu genau. „Dieses Argument hat dich nie interessiert. Ich habe es dir so oft vorgehalten, doch du hast es immer zur Seite gewischt, als sei es nicht existent. Aman, wir …“

„Es gibt kein wir.“

Ja, dies zu hören tat weh. „Fühlst du denn gar nichts?“, wollte ich wissen. „Wenn du mich ansiehst, wenn ich so dicht bei dir stehe, kannst du es dann nicht spüren?“

Er starrte mich so durchdringen an, dass ich mich unter dem Blick am liebsten geduckt hätte, doch dazu würde ich es nicht kommen lassen. Ich hatte den Vorstoß gewagt, jetzt würde ich nicht mehr umkehren.

Ich wusste wie er reagieren würde, so wie er sich gebar konnte es gar nicht anders sein. Trotzdem hob ich die Hand um ihn zu berühren. Er fing sie am Handgelenk ab und drückte dabei bis zur Schmerzgrenze zu. „Wovor hast du Angst?“, fragte ich leise.

„Es gibt nichts was ich fürchten muss.“

„Warum darf ich dich dann nicht berühren?“

„Es ist gegen das Gesetzt.“

„Manchmal muss man die Gesetzte dehnen, wenn nicht sogar brechen, damit etwas Wundervolles daraus erwachsen kann.“ Ich lächelte vorsichtig. „Das waren deine Worte gewesen.“

Für einen kurzen Moment schloss er die Augen und atmete tief ein, als müsste er sich beruhigen. „Lilith, egal was du zu wissen glaubst, egal was dir bisher wiederfahren ist, all das ist nichts weiter als eine Illusion. Deine Nähe berührt mich nicht.“

„Was vielleicht daran liegt, dass du sie nicht zulässt.“ Ich sah ihn sehr eindringlich an. „Du fühlst nichts, oder?“

„Nein.“

„Aber ich tue es. Als du im Tigersaal gestanden hast … du kannst es wahrscheinlich nicht verstehen, aber dieser Moment hat mich überwältigt. Du bist in meinen Armen gestorben und doch standst du nun wieder vor mir.“ Zögernd hob ich meine freie Hand, doch auch sie wurde von ihm abgefangen, bevor ich ihn berühren konnte. „Vinea sagte einmal zu mir, dass du mich magst. Damals konnte ich es nicht glauben. Nein, ich wollte es nicht glauben, doch sie sagte, dass du dich mir gegenüber nur so herrisch benimmst, weil du mich magst.“

Ich biss mir auf die Lippe, wartete auf eine Reaktion, doch er blieb einfach nur stumm.

„Aman, ich … du kannst dir nicht vorstellen wie das ist. Da sind all diese Erinnerungen und diese Gefühle. Ich hab das nicht gewollt. Ich habe mich so lange gegen sie gewehrt, aber ich bin nicht gegen sie angekommen. Und dann … als ich sie endlich zuließ wurdest du mir einfach entrissen.“ Ich blinzelte, versuchte seine Geistreden abzuschätzen. „Aber jetzt stehst du wieder vor mir, zum Greifen nahe und doch darf ich dich nicht berühren.“

Ich betete – hoffte – dass er dazu etwas sagen würde, doch er schaute mich einfach nur stumm an, so als wüsste er nicht was er tun sollte.

„Spürst du denn wirklich nichts?“, fragte ich sehr leise. „Ist da rein gar nichts?“

Wieder hüllte er sich in Schweigen, doch dieses Mal ließ die Stille einen Spross der Hoffnung in mir keimen. Schwieg er vielleicht weil er nicht lügen wollte? Oder weil er sich selber nicht sicher war?

„Ich vermisse dich Aman.“

Seine Augenlieder sanken leicht herab. „Es tut mir leid. Sollte es wirklich so gewesen sein wie du sagst, dann tut es mir sehr leid für dich, doch bei Seth, ich kann deinem Flehen nicht nachgeben. Du bist ein Ailuranthrop.“

Oh Göttin, warum nur? „In erster Linie bin ich eine Frau.“

„Aber keine Frau meines Volkes.“

Warum? Warum klappte es nicht? Zur Sachmet, dass konnte doch nicht alles gewesen sein. „Du hast mir meinen ersten Kuss gestohlen.“ Diese Worte kamen ganz ohne mein Zutun, doch auch sie entlockten ihm nichts. Es schien ihm völlig gleich zu sein.

„Durch dich wurde die Zeit zurück gedreht und damit ist deine Vergangenheit nie geschehen.“

„Vielleicht, aber es ist dennoch in meiner Erinnerung.“ Ich schaute ihn an, versuchte ihm irgendein Gefühl zu entlocken, hoffte dass seine Erinnerung sich wieder einstellen würde und er mich einfach in die Arme nehmen würde, doch es geschah nicht. Natürlich nicht. Das Leben entstand nicht aus einem Wunsch heraus – jedenfalls nicht auf die Art die wir uns vorstellten.

Aber ich konnte ihn nicht so einfach aufgeben. „Würdest du mir dann einen letzten Wunsch gewähren?“ Es lag mir nicht sonderlich, aber ich versuchte es mit einem flehenden Ausdruck. „Nur eine Sache, dann werde ich dich mit diesem Thema nie wieder behelligen.“

Er antwortete nicht, wartete einfach nur ab.

Ich biss mir auf die Unterlippe und bemerkte sehr wohl, wie sein Blick einen Augenblick dorthin schnellte. Vielleicht ließ ihn meine Nähe ja doch nicht so kalt. „Küss mich“, flüsterte ich.

Der Griff um meine Handgelenke wurde fester.

„Wenn du doch nicht fühlst, dürfte ein einfacher Kuss dich doch nicht berühren.“

Bildete ich es mir ein, oder hob seine Brust sich ein kleinen wenig schneller?

„Nur ein Kuss zum Abschied“, flüsterte ich und beugte mich ihm entgegen. Er wich nicht aus, oder versuchte gar mich wegzustoßen. Er stand einfach nur da und ließ es geschehen, dass ich meine Lippen auf seine legte.

Oh Göttin!

Sein Duft schlug mir entgegen und beflügelte meine Sinne. Ich spürte wie seine Muskeln sich anspannten, wie sein Griff fester wurde und seine Körperwärme anzuschwellen schien. Doch in erster Linie spürte ich seine weichen Lippen und den Schauder den sie mir durch den Körper jagten.

Ganz von allein trat ich näher an ihn heran, schmiegte meinen Körper an seine Brust um mehr von dieser vertrauten Nähe zu bekommen. Es war genau wie damals. Wieder spinnte er seine Zauber um mich und ich konnte ihm wieder nicht standhalten.

Und dann endlich erwiderte er den Kuss.

Da war kein Zögern und keine Unsicherheit. Von einem Moment auf den andren drängte er sich mir entgegen, nahm mich in einem Kuss gefangen der mir meine Sinne rauben wollte und zog mich auf eine Art in seinen Bann, wie nur er es vermochte.

Da begriff ich, dass manche Momente ewig andauern konnten. Sogar wenn sie vorbei waren, sogar wenn man tot war und alle Hoffnung verloren. Diese Momente dauerten bis in die ewige Unendlichkeit, wenn man die Erinnerung im Herz bewahrte. Sie sind alles worauf es ankommt. Sie sind es die solche Augenblicke möglich machten. Sie waren es die mich wieder in Amans Arme getrieben hatten, einen Ort von dem ich nie wieder weichen wollte.

Als sein Griff sich lockerte, nutzte ich die Gelegenheit und befreite mich ganz aus ihm. Ich strich über sein Brust und schlang meine Arme um seinen Nacken.

Alles was er gesagt hatte … es waren nichts als leere Worte gewesen. Die Zurückweisung, die künstliche Distanz zwischen uns … sie waren Lügen. Das hier war die Wahrheit. So wie Aman seine Arme um mich schlang und mich näher an sich zog, das war unser Schicksal. Und nicht einmal die Zeit würde uns trennen können.

Dieser Augenblick, der Moment im Hier und Jetzt, am liebsten würde ich ihn anhalten und für immer darin verweilen. Ich wollte nie wieder die Hände missen, die meinen Rücken hinauswanderten und meine Haut zum Glühen brachten. Ich wollte diesen Lippen nie wieder entbehren und mich von der Erinnerung quälen lassen, weil sie mir verwehrt wurden. Ich wollte Aman nie wieder loslassen. Und so besitzergreifend wie er meinen Nacken packte, ging es ihm wohl ähnlich.

„Oh Göttin“, flüsterte ich. „Aman.“ Seine Lippen … was tat er da nur.

Er küsste mich, fixierte meinen Kopf damit ich ihm nicht entkommen konnte, ließ seinen Mund über mein Kinn wandern … über meinen Hals …

Plötzlich wurde ich von ihm gestoßen. Seine Hände, seine Wärme … alles verschwand. Ich brauchte einen Moment um zu begreifen, dass er selber es gewesen war, doch ich verstand nicht warum.

Sein Atem ging mindestens so schnell wie meiner, seine Augen waren riesig und seine Lippen leicht geschwollen. Ich sah die Rötung auf seinen Wangen, sah den Glanz in seinen Augen und wusste dass er in diesem Moment mein Spiegelbild war.

Ich sah dass er mich wollte und doch hatte er mich von sich gestoßen. „Was …“

„Das Portal.“

Ich wirbelte herum und wusste nicht ob ich mich freuen sollte oder besser in Tränen ausbrechen.

Das Portal, es leuchtete.

 

°°°°°

Kapitel Zehn

 

Blauer Dunst stieg in stetigen Wellen auf. Es wurde dichter und dichter, heller und heller. Ich hob die Hand an, um meine Augen vor dem Licht zu schützen. Das irritierte mich. Ich hatte noch nie ein Portal gesehen, dass ein so intensives Licht abgab, dass ich die Augen leicht zusammenkneifen musste. Lag das an dem gebrochenen Zeichen? Doch dieser Zustand hielt noch einen kurzen Moment an. Dann wurde das Strahlen sanfter, bis das Portal in einem sanften Blau leuchtete.

Ich blinzelte. Mein Blick fiel auf das Zeichen der Sachmet. An der Bruchkante leuchtete das Licht besonders intensiv. War das gut oder schlecht?

Und dann wurde die erste Gestallt in dem Licht sichtbar. Erst nur ein Schatten versuchte sie ins freie zu treten. Es war Rigo, der Wolfskrieger. Doch … was war das? Er trat aus dem Portal, als würde es aufrecht stehen, schaute verdutzt, schwebte einen Moment in der Luft und fiel dann einfach wieder hinein.

Das Portal schluckte ihn und er war verschwunden.

Ich blinzelte.

„Ähm …“, machte Acco.

Ein zweiter Schatten wurde sichtbar. Auch er versuchte hinauszutreten und fiel genauso schnell wieder zurück.

„Sie glauben dass es steht“, sagte Aman.

Ich schaute zu ihm auf und bemerkte erst jetzt wie verstrubelt sein Haar aussah. Und seine Kleidung, sie war verrutscht. Oh Göttin, war ich das gewesen? Und … sah ich etwas genauso aus?! „Aman, deine Haare.“ Hastig begann ich damit mein Äußeres wieder in Ordnung zu bringen, doch ob ich die Rötung meiner Wangen genauso kaschieren konnte, wagte ich zu bezweifeln.

Aman gab einen derben Fluch von sich, den ich so noch nie von ihm gehört hatte, löste seinen Zopf und band ihn in Windeseile wieder neu. Dabei entfernte er sich mit einem mahnenden Blick in meine Richtung ein paar Schritte von mir.

Bei Bastet! Was glaubte er denn was ich nun tun würde? Ihn niederringen und vor den Augen der ankommenden Krieger die Finis vollziehen? Ja, ich hatte den Kuss vielleicht begonnen, aber er war ja auch nicht gerade abgeneigt davon gewesen! Und … oh Göttin, er hatte mich geküsst. Aman hatte mich geküsst!

Ja, in Ordnung, er hatte mich von sich gestoßen, als das Portal zu leichten begann, aber vorher hatte er mich geküsst. Ich konnte seine Lippen noch immer auf meinen spüren und so wie er mich aus dem Augenwinkel immer wieder mit kleinen Blicken bedachte, hatte meine Nähe auch ihn nicht kalt gelassen.

Wieder wurde ein Schatten sichtbar. Eine Hand kam zum Vorschein, griff über den Rand des Portals und hielt sich fest. Noch eine Hand, Kopf, Schultern. Das grimmige Gesicht von Rigo schaute uns entgegen. Im Nackenfell hatte er seinen Sermo gepackt und versuchte nun ihn über die Kante zu schieben. „Zur Sachmet, wollt ihr mir wohl helfen?!“

Aman setzte sich sofort in Bewegung, um seiner Bitte nachzukommen – dabei schlug er einen kleinen Bogen um mich. Ja, das bemerkte ich sehr wohl und ich war mir nicht recht sicher, ob das meine Gemüt wieder abstürzen lassen sollte, oder mein Herz erfreut war. Zeigte er mir damit nicht, dass meine Gegenwart ihm doch nicht so gleichgültig war, wie er mich glauben machen wollte?

Vinea selber hatte es mir doch einmal gesagt. Aman achtete nur auf jene, die auch Achtung verdient hatten – zumindest in seinen Augen.

Noch bevor Rigo draußen war, erschien bereits die nächste Hand. Und noch eine. Ich versuchte Aman zu ignorieren, als ich neben ihm trat und der Kriegerin heraus half.

Die nächste Hand tauchte zu plötzlich auf. Ich schaffte es nicht rechtzeitig zuzupacken, dafür aber Rigo. Ein Satyr, der mit einem Ruck in der Halle landete.

Das Portal leuchtete immer wieder auf. Neue Schatten wurden sichtbar. Die Krieger kletterten heraus. Elf, Engel, Vampir, Banshee. Die Krieger traten ohne ersichtliches Muster in die andere Welt.

In all ihren Gesichtern spiegelten sich ähnliche Gefühle wieder. Neugierde, Unsicherheit, Wachsamkeit. Ihre Blicke schweiften durch die Halle, blieben in der Ecke mit dem Unrat hängen, an der herausgebrochenen Tür, an den blinden Fenstern. Manche stellten sich mit ans Portal und halfen die Ankömmlinge heraufzuziehen. Eine Harpyie stieß sich mit kräftigen Flügelschlägen vom Boden ab und flog unter die Decke um die vielen Rohe in Augenschein zu nehmen.

Ich trat zurück als es langsam voller wurde und behielt einen besonders neugierigen Naga im Auge, der sich immer weiter dem Ausgang nährte. „Bleibt vorerst bitte in der Halle!“, rief ich lauf, bekam aber nur von den Wenigsten Aufmerksamkeit. Viel zu überwältigend war das Gebäude in dem wir uns befanden. Auf Silthrim kannte man diese Bauweise nicht, diese Baustoffe.

Wenn sie das bereist erstaunlich fanden, so würde es sicherlich lustig werden mit ihnen hinaus zu gehen.

Am Portal  gab es einen kleinen Stau. Rigo knurrte einen Elfen an der ihm im Weg stand. Weiter hinten schimpfte ein Satyr über die Flügelspannweite eines Engels.

Oh Göttin, es waren noch nicht einmal alle Krieger auf die Erde gewechselt und schon begannen sie zu streiten.

Als Rigo dem Elfen einen Stoß versetzte, der ihn zurück in das Portal fallen ließ, gab ich einen unwilligen Laut von mir. „Was tust du da?!“

Der Krieger warf mir nur einen finsteren Blick zu.

„Verschwinde vom Portal!“, verlangte ich und drängte ihn zurück.

Er öffnete bereits den Mund, sicher um mir mitzuteilen, dass ich ihm gar nichts zu befehlen hatte, da mischte Aman sich ein: „Vergiss nicht wer sie ist, Rigo“, sagte er leise und half einer Vampirin aus dem Portal. „Sie ist die Auserwählte der Ailuranthropen.“

Rigo schien diese Tatsache nicht wirklich zu interessieren. Trotzdem wandte er mit einem Schnauben dem Portal den Rücken. „Sie ist ein kleines Kätzchen“, murrte er noch und verschwand dann durch den Türstock tiefer ins Gebäude – sein Wolfssermo direkt hinter ihm.

„Ich bin viel mehr als nur eine Auserwählte.“ Und ein kleines Kätzchen war ich schon lange nicht mehr.

Zwei Hexen, vier Selkies, drei Incuben. Es wurden immer mehr.

„Ich weiß“, sagte Aman leise und überraschte mich damit. Das hatte mich gerade doch nicht eingebildet, oder?

Oh Göttin, jetzt schuf ich mir schon Illusionen.

Aman griff nach der nächsten Hand, zog daran und beförderte damit Vinea auf die Erde. Sie lächelte mit einer Freude, die ich schon oft bei ihr erleben konnte, drückte ihren Brestern einen Augenblick an sich und ließ ihren Blick dann neugierig über die Umgebung wandern.

Mit viel zu viel Schwung sprang ein Wildhund aus dem Portal und krachte direkt in Aman hinein. Der Krieger griff zu, bevor der Sermo wieder zurück fallen konnte und zog ihn neben sich. Er sah fast genauso aus wie Acco, war nur etwas kleiner und vom Fell her etwas heller.

Auch er bewahrte sich seine Wachsamkeit, als er sich mit einem Blick zu orientieren versuchte.

„Welch seltsamer Ort“, sagte Vinea.

„Du machst dir kein Vorstellung“, murmelte ich und half einem Nymph durch das Portal.

Aman warf mir einen seltsamen Blick zu, schob seine Sicuti zur Seite und ergriff die nächste Hand die sich ihm entgegen streckte. Auch Vinea griff zu und half ihm.

Und diese Hand … sie gehörte Tarpan.

Fast hätte ich den Nymph losgelassen, als der Reisegefährte meines Fafas hochgezogen wurde und dann direkt vor Aman stand. Er vergolt die Hilfe den Lykanthropen nicht, wischte sogar noch seine Hand an seinem Beinkleid ab, nachdem die Sicutis ihn losgelassen hatten und trat ein Schritt zur Seite. Dabei fiel sein Blick auf mich.

„Lilith!“

„Tarpan.“ Ich nickte ihm zu und wollte die nächste Hand ergreifen, da zog er mich ein Stück vom Portal weg.

„Bei der Göttin, dir geht es gut.“ Er ließ seinen Blick über meinen gesamten Körper gleiten. „Wir haben uns schon gesorgt.“

„Warum?“

„Weil es so lange gedauert hat. Außerdem hatten die Priester Probleme das Portal zu öffnen. Seit zwei Tagen versuchen sie es ununterbrochen.“

„Eine der Tafeln ist beschädigt. Sie ist bei unserer Landung zerbrochen und …“

„Lilith!“

Ich drehte mich herum und erblickte meinen Fafa. Unweit des Portals stand er und öffnete die Arme.

Ja vielleicht gehört sich das für eine große Kriegerin nicht, aber er war der erste über dessen Kommen ich mich wirklich freute. Ich flog ihm förmlich in die Arme und ließ mich drücken. „Es tut so gut dich zu sehen.“

„Sei unbesorgt, nun bist du ja nicht mehr alleine.“

Allein? Waren Aman und Acco Luft? Zumindest waren sie keine Ailuranthropen. Und auch nicht Miranja. „Wo ist Licco?“, fragte ich um mich nicht weiter mit meinen Geistreden befassen zu müssen. Das war etwas wozu ich im Moment absolut keine Zeit hatte.

Mein Fafa löste die Umarmung und führte mich zurück zu Tarpan. „Er bleibt in Ailuran.“

„Was?“ Hatte er nicht gesagt, er würde uns folgen?

„Er kümmert sich um unsere Sermos.“

Erst bei diesen Worten fiel mir auf, dass weder Lacota noch Audax hier waren. Da waren nur die Sermos der Lykanthropen.

„Wir brauchen hier mal Hilfe!“, rief ein Elf am Portal. In seiner Hand hielt er das Ende eines Seiles. Was an dem anderen Ende war konnte ich nicht erkennen, denn es verschwand blauen Licht des Portals.

Sehr viele Hände mussten mit anpacken, um die Ladung am anderen Ende des Seils in diese Welt zu ziehen. Lebensmittel, Decken und Heiltränke. Wir hatten keine Ahnung wie lange wir hier sein würden, doch ein paar Tage würden es sicher werden.

Die Letzten Freiwilligen wechselten auf die Erde. Mein Fafa rief Befehle. Ein paar Krieger durchsuchten das Gebäude, andere wurden dazu abgestellt Vorräte zu verstauen und den Unrat zu beseitigen, damit wir genug Platz hatten.

Wir waren knapp fünfzig Krieger. Die Völker hatten Wort gehalten, von allen waren Kämpfer geschickte worden. Bei manchen nur zwei, bei anderen drei oder gar vier. Doch mir wurde schnell bewusst, dass es sicher noch Probleme geben würde.

Die Luft war erfüllt mir Anspannung und das lag nicht nur daran, dass wir uns in einer andern Welt befanden. Die feindlichen Blicke untereinander waren mir nicht fremd. Doch hier würden wir nicht ausweichen können. Ganz im Gegenteil, wir alle mussten zusammenarbeiten. Und ich war diejenige, die für diese Zusammenarbeit sorgen musste.

Das konnte ja heiter werden.

Ich schaute gerade zu meinem Fafa, als mir jemand auf die Schulter tippte. Der Nymph, mit der blauen Haut und dem wasserartigen Haar, dem ich vorhin aus dem Portal geholfen hatte. „Ja?“

„Ich und auch ein paar andere der Krieger fragen uns, was wir als nächstes tun werden.“

„Warten.“

„Warten?“ Er war ein Stück größer als ich und mindestens doppelt so alt. Und er schien mit dieser Antwort nicht sehr glücklich zu sein. „Auf was warten wir?“

„Auf die Erdlinge.“

„Und wann kommen sie?“

Das war eine gute Frage. Da das Portal offen war und die Priester es laut Fafas Worten solange offen hielten wie es ihnen möglich war, musste Pascal die starke Magie die daraus entströmte bereits bemerkt haben. Doch leider sagte das nichts darüber aus, wann wir auf sie treffen würden.

Ich schaute zu dem Krieger auf ließ meinen Blick dann durch die Halle gleiten und bemerkte, dass es doch sehr viele Augen waren, die in der Zwischenzeit auf mich gerichtet waren.

„Warum antwortest du nicht, Auserwählte?“

Weil ich keine Antwort hatte, die ihm gefallen würde. „Ähm … gedulde dich bitte noch einen Moment. Ich werde es gleich erklären.“ Fast schon fluchtartig ließ ich ihn stehen und eilte zu meinem Fafa. Doch auf halben Wege blieb ich stehen. Er war ein erfahrener Krieger, der auch schon oft mit den anderen Völkern zu tun hatte, doch ich war die Auserwählte. Ob es mir nun gefiel oder nicht, diese Aufgabe oblag mir.

Göttin, gib dass ich das Richtige tue. Ich schaute mich nach einer Möglichkeit um, an die allgemeine Aufmerksamkeit zu gelangen, entschied mich dann aber für den einfachsten Weg. „Würdet ihr mir alle einen Moment zuhören?“

Die Krieger in meiner Nähe wanden sich mir zu, doch andere beachteten mich nicht einmal.

„Bitte, hört mich an.“

Ein Stück neben mir ertönte im nächsten Moment ein Signalhorn. Nicht nur ich, auch alle anderen drehte sich zu Tarpan herum, der es gerade wieder vom Mund senkte. „Du hast das Wort“, sagte er gönnerisch und steckte das Horn zurück in den Beutel an seinem Gürtel.

Für einen Moment fragte ich mich warum Fafa ihn mitgenommen hatte und nicht Licco, verwarf diese Geistrede aber sofort wieder, denn nun achtete wirklich jede Seele in der Halle auf.

Ich ließ meinen Blick über die Gesichter gleiten, blieb einen Moment an meinem Fafa hängen, besann mich dann aber auf meine eigentliche Aufgabe. „Mein Name ist Lilith. Für die die mich noch nicht kennen, ich bin die Auserwählte der Bastet.“

Ein paar Krieger begannen zu flüstern.

„Als erstes möchte ich sagen wir froh ich darüber bin, dass wir trotz dem Zwist zwischen und allen hier zusammengefunden haben. Doch die Eigentliche Aufgabe beginnt erst hier. Wir müssen zusammenarbeiten und auch wenn wir einander nicht vertrauen, wenigstens daran glauben, dass wir alle für dasselbe Ziel arbeiten.“

So wie die Krieger schauten, würde das sicher kein leichtes Unterfangen werden.

„Grade ist jemand mit einer Frage an mich herangetreten und auch ihr anderen werdet diese Frage gewiss schon auf der Zunge tragen. Was werden wir als nächstes tun?“

Ein paar Männer und Frauen nickten.

„Als erstes werden wir warten müssen. Die Erdlinge müssen uns finden, denn nur mit ihrer Hilfe können wir unser weitres Vorgehen planen. Es stimmt dass ich einiges über diesen Planeten weiß, doch längst nicht alles und ohne die Erdlinge werden wir Belua nicht finden.“

„Und wann kommen die Erdlinge?“, wollte ein Engel wissen.

Ich zuckte nicht sehr elegant mit den Schultern. „Eigentlich müssten sie bereits auf dem Weg zu uns sein, doch ich kann keine genaue Zeit angeben, an der sie zu uns stoßen werden. Ihr Magier kann die magischen Schwingungen es Portals spüren. Sie werden ihn hier her locken. Bis es soweit ist, können wir jedoch nichts anderes tun als zu warten.“

Der Wassernymph öffnete den Mund. „Können wir die unsrigen nicht auch ohne die Erdlinge finden?“

„Nein.“

Dies war von Aman gekommen und ich war nicht die einzige die sich zu ihm umwandte. Vinea hatte sich bei ihm eingeharkt. Daneben stand Rigo.

„Dieser Ort ist anders als alles was wir bisher kennengelernt haben. Wenn die Auserwählte sagt wir müssen warten, dann sollten wir ihrem Wort folgen.“

„Weise Worte“, sagte meine Fafa. Neben ihm stand Tarpan.

Erst jetzt bemerkte ich, dass die Völker sich nicht gemischt hatten, sondern in kleinen Gruppen beieinander standen.

„Und was sollen wir nun tun?“, fragte Rigo.

Mein Fafa war es der mir die Worte aus dem Munde nahm. „Am besten einfach abwarten.“

Rigo schnaubte.

Davon ließ mein Fafa sich in keinster Weise beeindrucken. „Am besten wir organisieren uns erstmal ein wenig. Wir brauchen ein Kochplatz. Nehmt euch Decken und baut eure Lager auf. Ein paar Freiwillige sollten aufs Dach gehen und Wache halten, eine andere Gruppe könnte sich draußen ein wenig umschauen und …“

„Nein“, sagte ich sofort. „Dort …“

„Nur um das Gebäude herum, Nasan.“

Ich wusste es wäre besser zu wiedersprechen, denn er kannte diese Welt nur von meinen Erzählungen, doch er war der große Zaho und würde es sicher nicht gutheißen, wenn ich ihm ein weitres mal ins Wort fiele.

Ich wandte den Blick ab, als er begann die Gruppen eizuteilen und Aufgaben zu vergeben. Eigentlich wäre das meine Aufgabe gewesen und doch blieb ich still. Warum sollte ich mich auch beklagen? Es war doch gut, dass mir ein wenig meiner Last abgenommen wurde. Mein Fafa war erfahren, er wusste was zu tun war. Ich dagegen war nur ein kleiner Lehrling, ein blutiger Anfänger, eine Auserwählte, die keine Ahnung hatte was für die anderen am Besten war.

Oh Göttin, nun höre sich das einer an! Das klang ja als würde ich mich vor meinem eigenen Schatten fürchten.

Aber dem war nicht so. Dafür hatte ich bereits viel zu viel durchgemacht.

Mein Blick fiel auf Aman und noch ehe ich genau wusste was ich da tat, trat ich bereits durch die Halle auf ihn zu. Ich trat viel zu dicht an ihn heran. Doch so würde er mich wenigstens nicht ignorieren können.

„Würdest du mich einen Augenblick nach draußen begleiten?“

 

°°°

 

Die Morgen im freien war wesentlich kühler als in der Halle. Ein kräftiger Wind begrüßte mich und wehte mit einige weißblonde Strähnen ins Gesicht. Nicht mehr lange und auch die letzten Schatten dieser Nacht wären für den Rest des Tages verschwunden.

Die Schiefe Tür fiel mit einem Scheppern hinter uns zu, dann war ich mit Aman alleine.

Ich traute mich kaum ihn anzusehen, behielt meinen Blick lieber auf den Boden gerichtet. Wenn ich dort wieder diese Gleichgültigkeit gegenüber einem Fremden sehen müsste, würde ich das nicht ertragen. Diese Kuss, er war so berauschend gewesen, aber … war das nur für mich so gewesen, oder auch für ihn?

Nein, das konnte ich ihn nicht fragen. Doch er stand nur stumm neben mir und war nicht versucht, die Stille zu durchbrechen.

Oh Göttin, warum nur musste das plötzlich wieder so schwer sein?

Meine Finger zuckten in seine Richtung. Vorsichthalber verschränkte ich sie vor der Brust. „Es wird nicht einfach werden all diese Krieger zu einer friedlichen Zusammenarbeit zu bewegen.“ Bei Bastet, was redete ich denn da? Das war absolut nicht das war ich hatte sagen wollten.

„Das ist nicht der Grund warum du mich nach draußen gebeten hast.“

Zur Sachmet, war ich in der Zwischenzeit wirklich so durchschaubar geworden? Oder war das einfach offensichtlich? Eigentlich war das auch egal. Jetzt brauchte ich wenigstens nicht mehr um den heißen Brei herumreden. „Hast du es gespürt?“, traute ich mich dann leise zu fragen. „Die Verbindung die wir teilen?“

Er schaute mich nicht an, beobachtete die letzten Boten der Nacht, die nur langsam weichen wollten. „Was willst du von mir hören?“

„Die Wahrheit.“ Ich schaute zu ihm auf. Sein Mund blieb geschlossen. „Bitte Aman, sag es mir.“

Er drückte die Lippen einen Moment zusammen und kniff sich in den Nasenrücken, als würde ihm der Kopf schmerzen. „Es war angenehm, das werde ich nicht bestreiten.“

„Aber?“

„Lilith, du bist eine Frau.“ Er drehte sich zu mir herum. „Du hast mich geküsst. Es ist schwer einer solchen Verlockung nicht zu folgen. Besonders wenn …“ Er stockte.

„Wenn?“, drängte ich.

Sein Blick klebte in meinem Gesicht, huschte zu meinen Lippen und wandte sich dann gänzlich ab, als wollte er verhindern etwas Unüberlegtes zu tun. „Du bist ein Ailuranthrop. Ich kenne dich nicht. Ich will dich auch gar nicht kennenlernen. Ich will das alles nicht.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, nur um sie gleich wieder fallen zu lassen. „Ich weiß nicht was hier passiert und ich bin mir auch nicht sicher ob ich es wissen will.“

„Wir sind hier um die Krieger zu retten. Wir …“

„Das meine ich nicht, und das ist dir sehr wohl bewusst!“, fuhr er mir übers Wort.

Nein, ich hatte es nicht gewusst, aber ich hatte es gewusst. „Sag mir was du gemeint hast.“

Er runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf, als führte er einen inneren Disput. „Warum bist du in meinen Geistreden?“, fragte er leise. „Warum tauchst du seit dem Schöpfertag immer und immer wieder in ihren auf.“

Oh Göttin, vergelts. Fast erleichtert schloss ich für einen Moment die Augen. „Es könnte daran liegen, dass ich dir bei unserer ersten Begegnung einfach um den Hals gefallen bin.“ Naja, zumindest für Aman war es unsere erste Begegnung gewesen. „Oder aber daran, dass es der Wille der Götter ist.“

Aman verschränkte die Arme wieder und richtete seinen Blick auf den demolierten Drahtzaun, der das Gelände umschloss. Dahinter lag die leere Straße. „Warum sollten die Götter das wollen?“

„Weil ich dich sehr gebraucht habe. Damals habe ich es nicht gesehen, heute schon. Ich hab es dir bereits gesagt. Du warst immer da wenn ich Hilfe brauchte und warst wohl der einzige dem es wenigstens Zeitweise gelungen ist mich und mein Temperament ein wenig im Zaun zu halten.“ Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

„Du sprichst von der anderen Zeitlinie. Aber sie ist nicht mehr existent. Warum also wollten die Götter eine solche Verbindung noch immer aufrechterhalten?“

„Weil ich dich noch immer brauche.“ Diese Worten warn so ehrlich über meine Lippen gekommen, dass Aman mich nun endlich ansah. Der Zwiespalt lag in seinen Augen. Er wollte mir nicht glauben, er durfte es nicht.

Ich wusste genau wie er sich fühlte. „Aman“, begann ich, unterbrach mich aber sofort, als hinter uns die Tür zur Halle geöffnet wurde und Tarpan seinen Kopf ins Freie steckte.

Zur Sachmet!

Neugierig ließ er seinen Blick über den steinernen Boden und die vielen Häuser hinter dem Zaun wandern. „Welch seltsamer Ort.“ Sein Blick wanderte zu Aman, der sofort einen Schritt von mir weg trat.

„Gibt es ein Problem?“, fragte ich und schäumte innerlich vor Unmut. Tarpan. Ausgerechnet Tarpan. Er sollte nicht hier sein. Es wäre besser gewesen, wenn er auf Silthrim geblieben wäre.

„Nein, kein Problem. Dein Fafa hat mich nur hinaus geschickt, um dir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Er hat gesagt, wenn wir schon draußen sind, können wir auch Aussicht nach den Erdlingen halten.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Natürlich, das ist sehr weise.“ Und es war völlig unnötig.

Tarpan trat ins Freie, direkt zwischen Aman und mich und drängte den Lykaner damit noch ein wenig ab. „Er versucht gerade die Gruppe für die Erkundung zusammenzustellen. Gar nicht so einfach. Alle wollen hinaus.“

„Dabei ist es drinnen doch viel sicherer.“

Das ließ den Reisegefährten meines Fafas lachen. Dabei war das gar nicht als Witz gemeint gewesen. „Was ist das?“, fragte er dann und deutete auf einen überhängenden Mast am Straßenrand.

„Eine Art Nachtlicht. So können die Menschen auch in der Dunkelheit etwas sehen.“

„Es sieht seltsam aus.“ Er neigte den Kopf, als wollte der der Krümmung folgen.

„Im Vergleicht zu Silthrim ist hier alles seltsam. Nicht mal die Natur bietet vertrautes.“

„Natur?“ Er schaute auf ein kümmerliches Bäumchen direkt vor dem demolierten Zaun.

„Ich rede von den Wäldern in diesem Land und nicht davon.“ Geh doch bitte wieder hinein!

Tarpan schien den ungeduldigen Ton in meiner Stimme nicht zu bemerken. Genaugenommen war er genauso neugierig wie ich bei meinen ersten Besuch auf der Erde.

Würde Aman nicht hier stehen und betont so tun als würde er uns nicht bemerken, könnte ich seine Neugierde sogar teilen. Aber im Moment störte er einfach und ich durfte es ihm nicht einmal sagen.

„Vielleicht kannst du mir die Wälder ja zeigen.“

„Das glaube ich nicht. Wir haben eine Aufgabe und …“

„Da kommt jemand“, unterbrach Aman.

Ich schnellte sofort herum und reckte den Hals, doch zu sehen war nichts. Dafür hörte ich es aber. Ein Geräusch wie von fließendem Wasser. „Ein Auto“, sagte ich leise und spitzte die Ohren.

„Vielleicht der Magier?“

„Möglich.“ Doch irgendwie glaubte ich das nicht. Das Geräusch klang falsch. Weder der Wagen von Janina noch der von John hatten sich so angehört.

Aman schien die Unsicherheit in meiner Stimme zu hören. „Runter“, befahl er.

Als ich nur dastand und ihn verständnislos anschaute, knurrte er etwas Unaussprechliches.

„Runter, auf den Boden!“

Das Geräusch wurde lauter und noch ehe ich seiner Anweisung folgen konnte, entdeckte ich die beiden Lichtkegel, die der Wagen vor sich herschob.

 

°°°°°

Kapitel Elf

 

Ein Schlag zwischen die Schulterblätter katapultierte mich auf den Boden. Aman und Tarpan ließen sich gleich neben mich fallen und noch ehe ich verstand dass es der Reisegefährte meines Fafas gewesen war, der mir den Schlag versetzte hatte, quietschte hinter mir die Tür zur Halle.

Göttertod! „Bleib drinnen!“, zischte ich.

Das Licht kroch die Steinplatte hinauf, kam näher, immer näher, drosselte das Tempo jedoch nicht.

Ich runzelte die Stirn. Konnten das Luan und Janina sein? Durch das Gegenlicht war nicht viel zu erkennen. Nur Zwei Kegel, die sich unaufhaltsam in unsere Richtung schoben.

Die Tür schepperte beim Schießen. Einen Moment später lag mein Fafa neben mir und folgt unserer Blickrichtung. „Was ist das?“

„Ein Auto. Ein Transportmittel der Menschen.“ Während ich sprach ließ ich das Gefährt nicht aus den Augen, doch schon in den nächsten Sekunden wurde deutlich, dass dieser Wagen nicht zu uns wollte. Er fuhr einfach an uns vorbei. Dann war es auch schon außer Sichtweiter.

Ich konnte nicht sehen wer sich im Inneren verbarg, doch all die Aufregung verschwand mit seinem Verschwinden.

Trotzdem blieb ich noch liegen.

„War das der Magier auf den wir warten?“, fragte mein Fafa.

Ich schüttelte den Kopf und erhob mich nun doch wieder auf die Beine. „Ich weiß nicht wer das war.“

Die drei Männer folgten meinem Beispiel.

„Ein solch seltsames Wesen habe ich noch nie gesehen“, überlegte Tarpan.

„Es ist kein Wesen. Es hat kein eigenen Geist.“

Wieder drang uns das Geräusch von einem sich nährenden Fahrzeug an unsere Ohren. Dieses Mal war es ein weißes. Auch dieses gehörte nicht zu Luans Familie.

„Die Menschen erwachen langsam“, sagte Aman und trat ein wenig mehr in die Schatten des Gebäudes.

„Vielleicht sollten wir lieber wieder hinein gehen. Das schein mir angesichts unserer Lage das sicherste zu sein“, überlegte mein Fafa.

Einen Blick von der Straße auf uns zu erhaschen war recht unwahrscheinlich, dazu standen wir zu erborgen, trotzdem stimmte ich ihm mit einem Nicken zu. „Das ist wahrscheinlich das Beste. Und auch die anderen Krieger sollen im Inneren bleiben.“ Wenn ich nur an meine Begegnung am Morgen geistredete, wollte ich gar nicht so recht wissen, was die Krieger taten, wenn ihnen plötzlich ein panischer Mensch gegenüber stand.

„Nur ein paar Wachposten auf dem Dach“, fügte mein Fafa hinzu.

Ich nickte u ihm zu zeigen dass ich verstanden hatte. „Aber auch sie sollen sich im Verborgenen halten.“

„Natürlich Nasan. Wir werden uns alle nach deinen Worten richten.“ Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nickte er mir zu, drehte sich dann herum und öffnete mir die Tür.

Ich versuchte es zu erwidern, doch es wollte mir nicht recht gelingen, nicht wenn ich außer seinem Lächeln noch den Blick sah, den er Tarpan zuwarf.

Seit er mir vor ein paar Stunden eröffnet hatte, dass dieser Mann mein Collusor werden sollte, hatte ich diese Geistrede so gut wie es ging verdrängt. Doch nun, als ich mit diesen Männern durch die Tür trat, wurde mir der volle Umfang seiner Worte langsam wirklich bewusst. Mein Fafa wollte, dass ich mit Tarpan ein Kind zeugte. Ich sollte bei diesem Mann liegen, sein Natis austragen und dafür sogar meine Laufbahn als Kriegerin unterbrechen. Und wenn ich es nicht tat, würde ich ihn enttäuschen.

Ich presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Ich wollte das nicht. Es gab nur einen den ich wollte, doch der wandte sich von mir ab, sobald wir uns im Inneren befanden.

Plötzlich war mir das alles viel zu viel. Hier drinnen war es so voll und bei meinem Eintritt hatte sich mehr als nur ein Blick auf mich gerichtet. Doch diese Blicke waren argwöhnisch und ich wusste nur zu gut war in ihren Köpfen vor sich ging.

Sie fragten sich noch immer über den Wahrheitsgehalt meiner Geschichten. Sie wussten nicht recht was sie mit mir anfangen sollten. Ich war zu jung um das Sagen zu haben. Ich war nur ein kleiner Lehrling. Doch ihre Ehre und das Wohlwollen ihrer Götter befahlen ihnen mir zu folgen. Dabei wusste ich im Grunde gar nichts. Den Plan den ich hatte war im besten Falle dürftig und im schlimmsten die Voraussetzung für eine Katastrophe.

Das Portal war noch nicht lange geöffnet und doch begann ich mich bei meinem Rundgang durch die Halle zu fragen, was ich tun sollte, wenn Luan und seine Familie nichtauftauchten. Hatte es beim letzten Mal auch so lange gedauert? Mir war es nicht so vorgekommen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Durch die lange Zeit konnte meine Erinnerung verzehrt sein. Doch mit jeder Minute die wir länger warten mussten, wurde ich nervöser. Ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, wollte die Krieger nicht merken lassen, wie unruhig ich war.

Das letzte Mal waren wir in einem Wald gelandet. Der Weg vom Wald zum Haus der Erdlinge hatte einiges an Zeit in Anspruch genommen. Doch war sie auch wegen Naaru zum Park gegangen. Das war nicht einmal die Hälfte der Strecke gewesen, daran erinnerte ich mich ganz genau.

Von diesem Gebäude war der Park nicht allzu weit entfernt, warum also waren sie nicht bereits hier? Die magischen Schwingungen des Portals mussten sie bereits längst angelockt haben.

„Sorgst du dich?“

Ich schaute auf, begegnete Tarpans Blick. War er die ganz Zeit an meiner Seite gewesen, oder eben zu mir getreten. Mein Blick glitt weiter. Die Krieger hatten ihre Lager aufgeschlagen und sich zu kleinen Grüppchen zusammengesetzt. Noch immer verlief zwischen ihnen allen diese unsichtbare Grenze.

Nur hier hinten, an dem Türbogen zum Inneren dieses Gebäudes hatte sich niemand niedergelassen. Es schien als wollten sie alle in Reichweite des Portals bleiben. Wahrscheinlich gab ihnen das Sicherheit und das Gefühl die Heimat sei nur ein kurzes Stück entfernt.

„Dein Schweigen mach mich nervös.“

„Dazu gibt es keinen Grund. Luan und seine Familie werden schon bald hier sein.“ Das zumindest konnte ich nur hoffen, denn ansonsten würde diese Mission um ein vielfaches schwerer werden – und das nicht nur, weil ich keine Ahnung hatte, wo Belua sich befand.

Natürlich gab es eine ganz einfache Möglichkeit dorthin zu gelangen, doch ich hatte keinerlei Interesse daran erneut Gast bei General Silvano Winston zu sein – nicht auf seine Art. „Wir müsse uns nur noch ein wenig gedulden“, fügte ich hinzu, doch konnte ich nicht sagen ob das an dem leisen Zweifel in seinen Augen lag oder ich damit nur versuchte mir selber Mut zuzusprechen. „Solange warten wir ja noch gar nicht.“

„Da hast du Recht.“ Ein entwaffnendes Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Und vielleicht könnten wir die Wartezeit ja nutzen um uns ein wenig besser kennenzulernen.“

Besser kennenlernen? Vorsichtshalber wich ich ein Stück vor ihm zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist etwas womit ich mich im Augenblick nicht befassen möchte.“

Er schwieg einen Moment in dem er mich genau musterte. „Ist dir denn nie in den Sinn gekommen einen Mann als Collusor zu nehmen, so wie andere Kriegerinnen es auch tun?“, fragte er leise. „Oder liegt es an mir? Ich hatte bisher nicht den Eindruck dass du dich in meiner Gegenwart unwohl fühlst.“

Ich wich seinem Blick aus. Leider bemerkte ich dadurch Aman bei seiner Sicuti und dem Wolfskrieger. Seine Augen waren auf mich gerichtet. Genau wir früher. Immer waren seine Augen auf mich gerichtet gewesen. Aber im Moment war es nicht wir früher.

„Ich will dir kein Leid zufügen, Lilith. Ich bin kein schlechter Mann.“

Nein, wahrscheinlich war er das nicht. Genaugenommen mochte ich Tarpan und das war auch gut so, da wir bald gemeinsam durch Silthrim reisen würden. Aber er war eben auch nicht der Mann den ich wollte. Mein Herz gehörte jemand anderem und wie ich hoffte auch das seine mir.

Als ich weiter stumm blieb, streckte Tarpan seine Hand nach mir aus.

„Nein!“ Ich wich noch weiter vor ihm zurück. „Tu das nicht – niemals.“

Das Gefühl das mit einem Mal in Tarpans Züge eingemeißelt schien war nichts anderes als Enttäuschung. Er versuchte es mit einem aufgesetzten Lächeln zu überspielen, doch dies gelang ihm nicht sehr gut. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

Oh Göttin, warum musste ich mich nun auch noch wegen ihm schlecht fühlen. „Es tut mir Leid, aber … ich weiß nicht … ich …“ Zur Sachmet!

„Du hast dein Herz bereits verschenkt“, flüsterte er plötzlich.

Der Schreck musste mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn Tarpan wirkte plötzlich sehr bestürzt.

„Ich habe recht, oder?“, fragte er ohne mich aus den Augen zu lassen. „Dein Herz hat sich an jemanden gehangen.“

„Nein, natürlich nicht, mein Herz gehört nur mir.“ Ich zwang mich meinen Blick auf ihn liegen zu lassen, obwohl ich spüren konnte wie Aman mich beobachtete.

„Und doch ist die Geistrede bei mir zu liegen unerträglich für dich.“ Er seufzte.

„Nein das ist es nicht, es …“ Nun konnte ich doch nicht anders als einen kurzen Blick zu Aman zu werfen. Ich biss die Zähne zusammen. „Bitte entschuldige mich einen Moment, ich muss auf dem Dach nach dem Rechten sehen.“

Natürlich bekam ich noch mit wie er den Mund öffnete – vielleicht um das Gespräch fortzuführen oder mir seine Begleitung anzubieten – dich ich verschwand durch den Türrahmen bevor er auch nur ein Wort über die Lippen bringen könnte.

Bei Bastet, warum musste das nur so kompliziert sein? Warum hatte mein Fafa sich nur in den Kopf gesetzt mir Tarpan als Collusor zu geben? Ich wollte ihn nicht, ich wollte einzig und alleine Aman. Aber Fafa wusste nichts von Aman und auch wenn er mit Miranja liiert war, so wusste ich dass er einen Lykanthropen als meinen Gefährten niemals akzeptieren würde. Und bevor Aman nicht zu mir zurückgefunden hatte, konnte ich meinem Fafa sowieso nichts von ihm sagen. Er würde einen Weg finden mich von ihm fernzuhalten. Nicht weil er grausam war, sondern weil es seiner Ansicht nach das Beste für mich wäre.

Vielleicht hatte er ja sogar recht damit, vielleicht wäre es ja wirklich das Beste, wenn ich mich von Aman fern hielt und wir getrennte Wege gingen. Aber das konnte ich nicht. Ich wollte diesen Mann – unbedingt. Und er mich vielleicht auch.

Warum nur wurde diese ganze Situation nur immer verworrener? Wenn Aman nur ein Ailuranthrop wäre, hätte ich all diese Probleme nicht. Genauso wenn er niemals in meinem Leben erschien wäre.

Das leise Murmeln der Krieger wurde immer leiser, doch leider war dieses Gebäude nicht ganz so groß wie ich es mir erhofft hatte. Ich wusste das meine Flucht nur ein Versuch war dem Ganzen zu entgehen, doch im Moment wollte ich einfach Abstand zu alledem.

Der Korridor auf dem ich mich bewegte änderte an einem großen gesprungenen Fenster mit blinden Flecken. Zu beiden Seiten beherbergte der Gang Türen, doch ich blieb am Fenster stehen und sah hinaus in den kühlen Morgen.

Dabei kam ich nicht umhin darüber geistzureden was geschehen wäre, wenn ich niemals mit Aman auf die Erde geschleudert geworden wäre. Was würde sein, wenn ich ihm niemals in die Augen gesehen hätte, wenn er nur einer von vielen aus einem anderen Volk geblieben wäre? Hätte ich mich dann auf Tarpan einlassen können?

Ich wusste es nicht.

Plötzlich begann meine eigene Zukunft mich zu ängstigen. Ich hatte das alles so sehr gewollt. Schon seit ich ein kleines Kätzchen gewesen war hatte ich mich darauf vorbereitet eine Kriegerin zu werden auf die mein Vlk einmal stolz sein könnte. Doch Tarpan hatte recht: Bei all den Geistreden in meinem Leben war mir nie in den Sinn gekommen mich eines Tages mit einem Mann vereinen zu müssen um für die nächste Generation zu sorgen.

Ich war nicht wie meine Mina, ich wusste einfach nicht ob ich das konnte. Es gab Frauen die waren dafür geschaffen, doch ich zweifelte daran, dass ich zu ihnen gehörte.

Aber ich war eine angehende Kriegerin, mein Leben gehörte dem Volk, mein Leib unserer Göttin. Aber mein Herz … wem gehörte mein Herz?

Ich spürte wie mir Tränen in die Augen stiegen. Das war alles so ungerecht. Ich schrieb anderen doch auch nicht vor was sie zu tun hatten. Warum war ich dann an die Regeln gebunden.

„Lilith.“

Überrascht wirbelte ich herum und schaute zu Aman. Er stand kaum zwei Meter von mir entfernt. Warum hatte ich ihn nicht kommen hören? Und warum nur musste mein Herz bei seinem Anblick schmerzen? Warum konnte eine Verbindung mit ihm meinen Fafa nicht stolz machen? Warum hatten die Götter diese Bürde mir auferlegt?

Ich wollte nicht zweifeln. Mein Weg hatte immer nur eine Richtung gekannt, doch nun wo er vor mir stand schien all meine Kraft einfach aus mir zu entweichen. „Ich wollte das nicht“, sagte ich leise. „Ich hab mich dagegen gewehrt, ich hab mich die ganze Zeit gewehrt.“

Er trat ein Stück näher und plötzlich machte mich das unglaublich wütend. Die ganze Zeit hatte ich mich gegen ihn gewehrt.

„Du hast mich gezwungen zu diesem Gefühl zu stehen. Immer und immer wieder. Ich hab dich fortgeschickt, habe versucht dir deutlich zu machen dass es nicht geht. Und nachdem ich all das dann doch zuließ warst du auf einmal weg.“ Und nun waren wir hier.

Eine Träne lief über meine Wange. Es war mir egal dass er sie sah.

„Ich erinnere mich an all das nicht“, sagte er leise und trat noch ein Stück auf mich zu.

Meine Wut explodierte. Ich stieß ihn so grob von mir, dass er ins Taumeln geriet. „Das weiß ich!“, schrie ich ihn an. „Ich hab versucht dagegen anzukämpfen – die ganze Zeit! Doch du hast das nicht zugelassen, du hast mich nicht in Ruhe gelassen, bis ich meine Gefühle akzeptiert habe! Immer und immer wieder bist du zu mir gekommen und hast mich gezwungen mich mit mir selber auseinander zu setzen. Immer warst du da und hast genau das richtige gesagt! Und jetzt weißt du von alledem nichts mehr und ich stehe da! Warum hast du das getan? Warum nur konntest du mich nicht in Ruhe lassen? Warum nur hast du nicht einfach deine Finger von mir gelassen?“

Der Blick in seinen Augen wurde kam merklich weicher und ich sah es wohl auch nur, weil ich ihn so gut kannte. „Darauf kann ich dir keine Antwort geben, das weißt du.“

Es waren nicht seine Worte die mein Herz schmerzen ließen, es war diese Befremdung zwischen uns, diese Gruft die ich nicht bekämpfen konnte. „Spürst du denn gar nicht? Ist da nichts?“, fragte ich fast flehentlich. „Kann es wirklich so enden?“

Er zögerte einen Moment. Seine Lippen öffneten sich ein Spalt, doch es dauert einen Moment bis seine Worte sie überwanden. „Du bist in meinen Geistreden.“

„Ich will aber in deinem Herzen sein, Aman!“ Ich wusste nicht warum ich das tat, doch ich schlug nach ihm und traf nur nicht, weil er meine Hand abfing. Das machte mich so wütend, dass ich auch mi der anderen Hand nach ihm schlug und mich im nächsten Moment mit dem Rücken zur Wand wiederfand – wortwörtlich. Aman drückte mich mit seinem ganzen Körper dagegen, genau wie meine Handgelenke.

„Gefühle lassen sich nicht erzwingen“, sagte er leise.

„Du hast mich aber dazu gezwungen!“, fauchte ich ihn an. „Du warst es, niemand sonst!“

Er drückte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

„Und nun bist du hier und willst von all dem nichts mehr wissen! Ich will dich hassen Aman! Im Moment wäre es das einfachste wenn ich dich einfach hassen könnte, aber du lässt das nicht zu! Warum lässt du nicht zu dass ich dich hasse? Warum lassen die Götter das nicht zu? Warum nehmen sie diese Gefühle nicht einfach von mir?“

„Es tut mir leid, kleine Kriegerin.“

Oh Göttin, nein. „Bitte, tu das nicht“, flehte ich und war mir plötzlich seines Körpers viel zu bewusst. Genau wie seinen Lippen, die nur unweit von meinen in der Luft verharrten.

„Ich wünschte ich könnte mich erinnern“, sagte er leise.

„Dann tu es“, bat ich ihn. „Erinnere dich an mich, erinnere dich an uns.“ Erinnere dich daran was wir geteilt haben.

„Ich hab es versucht.“

Natürlich hatte er das. Er war ein so großer Teil dieser Geschichte, dass er gar nicht anders konnte als es zu versuchen. Doch es war zwecklos. Seine Erinnerungen lagen in einer anderen Zeit, weit weg von diesem Ort, wie weg von uns.

Ich schloss die Augen und konnte nichts dagegen tun, dass die Tränen sich nun einen Weg ins freie bahnten. Es tat so unendlich weh ihm so nahe zu sein und doch zu wissen dass dies nicht der Aman war, den sich mein Herz wünschte.

Sein Griff lockerte sich. Er gab meine Handgelenke frei, mich jedoch nicht. Ich spürte wie er die Arme um mich legte und mich an seine Brust zog und ich war einfach nicht stark genug um dagegen anzukämpfen. Alles war ich in diesem Moment wollte war er und auch wenn er hier bei mir war, konnte ich ihn nicht haben.

Meine Finger krallten sich in sein Hemd, währen die Tränen leise über meine Wangen rannen. Ich wollte ihn nicht loslassen – nie mehr. Er war alles was ich mir wünschte. Und obwohl ich nun endlich wieder in seinen Armen lag, schien er im Moment so entfernt wie niemals zuvor. „Ich vermisse dich so“, flüsterte ich leise.

Es er erwiderte nichts, zog mich nur fester an sich und ließ es zu meiner Trauer und meinem Verlust Ausdruck zu verleihen.

Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust, doch dieses Gefühl war nicht so tröstlich wie ich es mir erhofft hatte. Es war dieser tiefe Graben zwischen uns der einfach nicht verschwand, egal wie nahe ich ihm war.

Wie hatte ich nur glauben können, dass es so einfach werden würde diesen Mann zurück zu bekommen? Wie hatte ich nur all diese Hoffnung zulassen können. Aman erinnerte sich nicht und würde das auch niemals wieder tun.

Ich war eine Fremde für ihn.

Lange Zeit hielt ich mich einfach nur stumm an ihm fest und auch als die Tränen versiegten und ich mich aus seinen Armen löste blieb ich still. Es gab nichts mehr zu sagen. All meine Worte würde nichts bringen, all mein Tun war umsonst gewesen. Aman war nun ein Fremder.

Doch auch wenn ich mich von ihm losgemacht hatte, so ging er nicht einfach wieder. Er blieb bei mir als wartete er auf etwas. Vielleicht fühlte er sich aber auch einfach nur verpflichtet an meiner Seite zu verweilen, weil er der Grund für mein Leid war. So war er nun einmal – und das machte es nicht wirklich einfacher.

Er sollte gehen. Das wäre das Beste, doch ich schaffte es einfach nicht diese Worte über meine Lippen zu bringen. Egal wie oft ich sie in meinen Geistreden wälzte, sie hörten sich einfach falsch an.

Vielleicht war mein Grübeln der Grund dafür, dass ich nicht sofort bemerkte wie sich die Atmosphäre in diese Gebäude veränderte. Das Murmeln aus der großen Halle war die ganze Zeit ein ständiger Begleiter im Hintergrund gewesen. Erst als Aman den Kopf drehte und lauschte wurde ich mir bewusst, dass die Stimmen lauter geworden waren.

Was war da los? Ein Streit?

Oh Göttin, bitte, dass konnte sie mir nicht auch noch antun. Ich wusste ja das es für die Völker schwer war sich friedlich zu verhalten, aber wenigstens ein paar Stunden hätten sie doch aushalten …

Ein lauter Knall ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Einen Moment stand ich einfach nur wie erstarrt da und konnte an nichts anderes geisternden, als daran, dass ich dieses Geräusch bereits viel zu oft gehört hatte.

Ein Schuss. Dieser Knall war von einem Schuss gekommen – ich war mir ganz sicher.

Von Panik erfasst ließ ich Aman einfach stehen und rannte den Korridor hinunter. Bitte nicht, nein, das durfte nicht sein.

So schnell meine Beine mich trugen stürmte ich in die Halle zu den anderen Kriegern – Aman direkt hinter mir – und blieb dann abrupt stehen.

Direkt vor dem Eingang stand eine mir unbekannte Frau, die ihren Blick ruhig über uns gleiten ließ.

Und sie war keine von uns.

 

°°°°°

Kapitel Zwölf

 

Ich erinnerte mich an den Moment, als ich mit Aman und Luan das erste Mal General Silvano Winston begegnet war. An diesem Tag hatte ich es auch das erste Mal gesehen, das vierte Element: Feuer. Beim Anblick dieser zierlichen Frau, musste ich genau daran denken. Ihr Haar, es hatte die Farbe von Feuer. Und auch in ihren grünen Auge schienen Flammen zu loderten.

Selbstbewusst machte sie ein paar Schritte in den Raum und ließ ihren Blick über die Krieger gleiten, die sie ihrerseits keine Sekunde aus den Augen ließen – manche von ihnen waren sogar bereits im Begriff nach ihren Waffen zu greifen. Ihr Beinkleid war aus einem dicken blauen Stoff, das Oberteil aus einem dünnen weißen. Doch meine Aufmerksamkeit galt allein dem Schuss in ihrer Hand, dessen Lauf im Moment zum Boden zeigte, als sei er völlig unbedeutend.

„Wer ist euer Anführer?“, fragte sie laut in den Raum hinein und schaute von einem zum Anderen. „Wer befehligt euch, Krieger?“

Alle Blicke richteten sich auf mich. Auch der der jungen Frau.

Bei meinem Anblick zeichnete sich auf ihren Lippen ein kokettes Lächeln ab. „Er hat also wieder einmal Recht behalten“, flüsterte sie sanft und drehte sich zu mir herum.

Er? „Wer bist du?“, fragte ich und kniff die Augen leicht zusammen. Die Anwesenheit dieser Frau gefiel mir nicht. Nicht nur weil sie eine Fremde war, sondern auch weil sie viel zu selbstsicher wirkte. Wie sie sich bewegte und sprach … ihre ganze Haltung sprach von Hochmut und Stolz und das auf eine Art die mich verunsicherte. Ich hasste es verunsichert zu sein. Diese Frau … mit ihr stimmte etwas nicht. „Und wie hast du uns gefunden?“, verlangte ich zu erfahren.

„Wie schon? Ich bin der Energie des Portals gefolgt.“ Fast gleichgültig zuckte sie bei diesen Worten mit den Schultern, würdigte das Portal aber mit keinem Blick. Doch in ihren Augen lag fast eine euphorische Erregung. Sie genoss das was sie hier tat. Es schien für sie ein Spiel zu sein, ein Spiel dessen Regeln ihr allein bewusst waren. „Das Portal ist für mich wie ein Kompass. Diese Menge an Magie …“ Ein wohliger Schauder kroch ihr über den Rücken. „Ich konnte euch gar nicht verfehlen.“

Das Portal hatte sie zu uns geführt? Aber dann … „Du bist ein Natis der Göttin Sachmet.“

Die Hexer in der Ecke richteten sich ein wenig weiter auf um sie besser sehen zu können, doch das Glühen ihrer Hände ließ keinen Deut nach. Sie blieben wachsam und ließen den Eindringlich keinen Moment aus den Augen.

„Nicht ganz. Meine Vorfahren gehörten zu euren Göttern. Ich bin einfach nur Liliana.“ Sie legte einen Finger an ihr Kinn und lächelte mich mit einer Weichheit an die mich an Samt erinnerte. Doch unter diesem Samt schien eine Schlange zu lauern und nur auf ihre Gelegenheit zu hoffen. „Offizier Liliana Winston. Und ich bin gekommen um euch zu holen, Lilith.“

Noch ehe ich begriff was sie da sagte, quietschte die Tür in die Angeln und ein grüner Krieger schlüpfte in die Halle. Sofort Folgte ihm ein weiter. Und noch einer. Immer mehr und mehr.  

„Bliebt hinter mir“, befahl Liliana ihnen, achtete aber nicht weiter aus sie, als sie sich an der hinteren Wand aufbauten und damit jeglichen Fluchtweg zur Tür versperrten.

Fluchtweg. Warum meine Geistreden gerade dieses Wort wählten, vermochte ich nicht zu erklären. Wahrscheinlich weil sie den Kriegergeneral erwähnt hatte.

Unwillkürlich mache ich einen Schritt vor ihr zurück. Winston. Sie sagte sie sei eine Winston. Und sie wusste meinen Namen. Aber … wie war das möglich?

Die Atmosphäre hier schien einen mit jeder Sekunde mehr zu erdrücken. Unter den Krieger machte sich eine angespannte Unruhe breit. Niemand saß mehr auf seinem Lager, alle waren auf den Beinen und hielten die Eindringlinge wachsam im Auge.

„Nehmt sie fest“, befahl Offizierin Liliana Winston und die Grünen Krieger setzten sich wie eine Einheit in Bewegung.

„Lauft“, sagte ich leise als die Panik langsam in mir aufstieg. Ich hielt eine Geistreden darüber wie das möglich war. Sie kannte meinen Namen und diese Augen … das alles hier dürfe nicht möglich sein. „Ins Portal, sofort!“, schrie ich und setzte mich in Bewegung um meinem eigenen Befehl zu folgen.

In dem Moment drang das Geräusch von splitterndem Glas aus dem Korridor hinter mir und auf dem Dach blies ein Krieger das Horn.

Der durchdringende Ton ließ uns alle aufschauen. Deses Geräusch kannten viele von uns. Es war eine Warnung, das Zeichen dass wir angegriffen wurden.

Und dann geschahen viele Dinge zugleich. Ein Teil der Krieger rannte auf das Portal zu. Ein Engel sprang hinein, ein Elf.

Ein Schuss knallte.

Ich sah Dreck vom Boden hochfliegen – Dreck und Holzsplitter einer Göttertafel. Das Licht des Portals flackerte einmal, dann erlosch es und ließ nichts als kalten Boden zurück.

Die Natis der Götter wichen verunsichert zurück.

Aus dem Korridor hinter uns strömten weitere Grüne Krieger.

Der Wassernymph ging zum Angriff über. Vom Dach drangen Kampfgeräusche.

„Oh Göttin, nein.“ Es waren nur gehauchte Worte, doch in ihnen schien all die Angst zu sitzen, die ich in den letzten Tagen so gut von mir geschoben hatte. All das was mir wiederfahren war und ich eigentlich nur vergessen wollte.

Die Hand die mich am Elenbogen berührte, ließ mich vor Schreck zusammenzucken, doch es war nur Aman.

Es gab einen weiteren Knall und eine Harpyie stürzte mit einem Kreischen zu Boden. Aus ihrer Schulter floss Blut.

Ich erstarrte und mit mir auch die anderen Krieger.

Das Ganze hatte nur Sekunden gedauert und endete nun in einer beängstigenden Stille. Aller Augen waren auf den ausgestreckten Arm von Liliana gerichtet. Der Lauf ihres Schusses rauchte und zeigte noch immer auf die wimmernde Harpyie.

„Ich hasse es wenn man mich zu solch drastischen Maßnahmen zwingt“, sagte sie fast beleidigt und ließ den Arm wieder sinken. „Und wenn die Herren und Damen sich nun bitte beruhigen würden, dann können wir das hier friedlich lösen. Oder was meinst du, Lilith?“ Ihre Augen blitzten mich an.

Da, mein Name … sie sagte ihn schon wieder. Wie war das möglich? Woher kannte sie ihn?

Liliana verlagerte ihr Gewicht und ließ den Blick wieder über uns gleiten. „Da ich nun eure allgemeine Aufmerksamkeit habe, habe ich euch folgendes mitzuteilen: Auf den Befehl von General Silvano Winston sind sie alle verhaftet!“

In die Grünen Krieger kam Bewegung. In der Zwischenzeit waren es mehr als wir und noch immer betraten weitere das Gebäude. Woher kamen sie nur alle?

„Ich fordere sie alle hiermit auf sich zu ergeben!“

„Bringt euch in Sicherheit!“, schrie ich, denn plötzlich war ich mir mehr als nur bewusst, in welcher Gefahr wir uns befanden. Ich verstand nicht wie es möglich war, doch hier waren die Grünen Krieger und Liliana hatte den Kriegergeneral erwähnt. Wir waren in Gefahr und nur ich allein wusste wie groß sie war.

Dann brach das komplette Chaos aus. Die Natis der Götter und die Grünen Krieger stürzten sich aufeinander. Ich wurde von Aman zur Seite gestoßen, als einer von Lilianas Männern nach mir greifen wollte und krachte in die Wand.

Wieder knallte ein Schuss durch die Halle.

Die Krieger begannen durcheinander zu laufen. Einige strömten zu den Fenstern, zerschlugen das Glas und versuchten auf diesem Wege zu entkommen.

Irgendwo schrie ein Mann.

Kampfgebrüll erscholl. Magische Blitze zuckten durch den Raum, Dolche, Schwerter und Pfeilspitzen von Bögen blitzten auf. Die Sermos knurrten.

Ich geistredete gar nicht weiter darüber nach, drehte mich herum, beugte mich nur zur Seite und zog den gläsernen Dolch aus Amans Gürtel. Ich wusste dass er da war, denn er trug ihn immer an seiner Hüfte, wenn ich ihn nicht gerade in Verwahrung hatte.

Die Klinge blitzte im fahlen Sonnenlicht, als ich seinen Arm packte und ihn hinter mich her zog, während ich auf der Suche nach meinem Fafa durch die Halle rannte.

Da, dort hinten. Er hatte sich verwandelt und wehrte sich gegen drei Grüne Krieger, die versuchten ihn zu Boden zu ringen. Einem fuhr er die Krallen über den Arm, fauchte du wirbelte herum um sich dem nächsten zu widmen. Doch der dritte grüne Krieger warf sich mi seinem ganzen Gewicht auf ihn und schleuderte ihn damit zu Boden.

„Fafa!“, schrie ich, ließ Amans Hand los und begann mich während des Rennens zu verwandeln. In diesem Moment spürte ich die Energie. Es war wie ein Impuls, der in meinen Leib hineindrang und mit dem gleichen Affekt wieder hinaus. Einen kurzen Moment schien ich in einer Blase aus Energie gefangen, die sich schon in der nächsten Sekunde um mich zusammenzog.

Alle Kraft wich aus meinem Körper. Der Dolch fiel klappernd aus meiner Hand und ich sackte einfach in mich zusammen.

Der Aufprall meines Körpers war nicht der einzige den ich wahrnahm. Alle Natis der Götter erstarrten mitten in der Bewegung, um dann einfach zusammenzubrechen. Ich hörte es, doch das Geräusch drang nur durch Watte an meine Ohren. Ich sah es, doch mit meinen Augen schien etwas nicht zu stimmen. An den Rändern meines Sichtfelds schien alles irgendwie verschwommen.

Mein Atem und mein Herzschlag waren viel zu laut. Sie dröhnten in meinen Geistreden wieder.

Ich versuchte mich zu bewegen, doch mein Körper arbeitete nicht so wie er sollte. Alles was so langsam, als wäre mein Leib plötzlich viel zu schwer für mich.

Etwas seitlich stand Liliana, ließ die ausgestreckten Arme sinken und warf sich die Haare über die Schulter. „Hatte ich nicht bereits erwähnt, dass ich es hasse zu solch drastischen Maßnahmen zu greifen?“ Sie ließ ihren abschätzigen Blick über uns gleiten, während die Grünen Krieger wieder auf die Beine kamen. „Aber nun gut, wenn ihr es so wollt, dann wird eine kollektive Bewusstlosigkeit euch vielleicht in eure Schranken weisen.“

Ich verstand nicht genau was dort geschah – vielleicht weil ich solche Magie noch nie gesehen hatte, oder auch einfach weil ich in meiner Angst gefangen war. Angst um meinen Fafa und Aman. Angst um mich selber. Und Angst vor dem was nun geschehen würde.

Liliana klatschte einmal ein die Hand. Eine Energiewelle explodierte aus ihr heraus und fegte wie ein heißer Windstoß über uns hinweg.

Meine letzten Geistreden waren erfüllt von eiskalter Furcht.

Dann wurde alles schwarz.

 

°°° 

 

Eine einfache Berührung an meiner Schulter ließ mich aus der Bewusstlosigkeit schrecken. Noch bevor ich die Augen geöffnet hatte, fuhr ich auf … und knallte mit dem Kopf gegen den von Tarpan.

„Oh Göttin“, fluchte er und rieb sich mit zusammengekniffenen Augen die Stirn.

Ich achtete nicht auf ihn, genau wie ich die schmerzende Stelle an meiner Schläfe ignorierte, denn meine Geistreden suggerierten mir noch immer Gefahr. Mein Kopf flog panisch von einer Seite zur anderen. Die Grünen Krieger waren weg. Auch Liliana war nicht hier, dafür aber Aman an der Wand lehnte und mich beobachtete.

Doch das war im Augenblick etwas worüber ich mir nicht den Kopf zerbrechen konnte, denn ich befand mich nicht mehr in der großen Halle. Dieser Raum hier war viel kleiner. Drei Seiten glatter grauer Stein, genau wie Boden und Decke. Nur die Front unterschied sich von den anderen Seiten. Gitterstäbe mit einer eingelassenen Tür. Licht spendete eine längliche Leuchte an der Decke. Der Raum war so klein, das hier niemals mehr als drei Personen hineingepasst hätte.

Eine Zelle!

Um das alles wahrzunehmen brauchte ich eine Sekunde. In der nächsten sah ich die andere Zelle gegenüber, durch einen breiten Gang von uns getrennt.

Ich blinzelte. Drei Krieger befanden sich darin. Der Wassernymph, Vinea und Rigo. Der Wolfskrieger lag bewusstlos am Boden – ich hoffte dass er nur bewusstlos war.

Meine Lippen bewegten sich lautlos, während meine Geistreden rasten. Wo waren wir? Wie waren wir hier her gekommen? Was würde nun mit uns geschehen?

Auf den Befehl von General Silvano Winston sind sie alle verhaftet!

Es war Angst die mich packte und bis ins Innerste frieren ließ. Pure, unverfälschte Angst.

Die Berührung an der Schulter ließ nicht nur meinen Herzschlag schneller schlagen. Sie erschreckte mich so sehr dass ich mich zurückwarf und rückwärts bis an der Wand rutschte. Doch es war nur Tarpan, der mich nun erschrocken anschaute.

„He, ganz ruhig, ich …“

„Wo sind wir? Was ist passiert?“

Tarpan schien meine Frage leicht zu bestürzen. „Ich hatte gehofft, du könntest uns das sagen.“

Ich? Wieso ich? „An einem solchen Ort bin ich noch nie gewesen.“

Irgendwo weiter hinten stieß jemand einen Wutschrei aus.

Mein Kopf wirbelte herum und erst dann wurde ich mir meiner Umgebung wirklich bewusst. Ich war in einer Zelle eingesperrt. Genaugenommen war ich mit Tarpan und Aman in einer sehr kleinen Zelle eingesperrt und hatte keine Ahnung wie ich hier her gekommen war. Nein, Moment, so stimmte das nicht. Ich erinnerte mich noch sehr genau an Liliana und den Zauber den sie gesprochen hatte. Ich und auch alle anderen Krieger waren einfach wie gefällte Bäume zu Boden gegangen. Aber was war dann passiert? Waren es Liliana und die Grünen Krieger gewesen, die uns hier her geschafft hatten? Waren alle Krieger hier oder nur ein paar von uns? „Was ist geschehen?“

„Das kann ich dir auch nicht so genau sagen.“ Tarpan presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und ließ seinen Blick auf die Gefangenen in der gegenüberliegenden Zelle gleiten. Der Wassernymph drückte sich nervös in die Ecke, während Vinea neben Rigo saß und ihm immer wieder übers Gesicht strich. Dabei redete sie leise auf ihn ein. Und immer wieder huschten ihre Augen zu ihrem Sicuti Aman.

Ihre Stimme war auch nicht die einzige in dieser Anlange. Von überallher hörte ich die anderen Krieger. Verwirrt, wütend und verängstigt. Es wurde an Gittern gerüttelt. Ein Scheppern, als versuchte jemand die Tür einzutreten, furchtsames Geflüstert, machtloses Murmeln. Dieser Ort war erfüllt von den Geräuschen der Unruhe.

„Ich bin auch gerade erst aufgewacht“, sagte Tarpan und richtete seinen Blick wieder auf mich. „Alle wachen gerade erst auf.“

Wenn ihr es so wollt, dann wird eine kollektive Bewusstlosigkeit euch vielleicht in eure Schranken weisen.

Das war das Werk der Hexe Liliana.

Aber noch mehr als ihre Tat ängstigte mich die Erwähnung des Kriegergenerals. Das würde bestimmt nichts Gutes für uns bedeuten.

Nur ich verstand einfach nicht wie das alles möglich war. Woher hatte sie meinen Namen gewusst? Das ergab keinen Sinn. Die Zeit hatte sich zurück gedreht, wir befanden uns in einer anderen Zeitlinie. Selbst wenn der Kriegergeneral auf uns aufmerksam geworden war und seine Krieger geschickt hatte um uns zu holen, wie er es damals schon bei Gillette getan hatte, war es einfach nicht möglich, dass auf der Erde jemand meinen Namen kannte. Nicht General Silvano Winston und seine Grünen Krieger, und auch nicht Erdlinge. Bis ich mich ihnen zu erkennen gab, müsste ich für sie eine Fremde sein, praktisch nicht existent und …

„Lilith!“

Der Ruf meines Namens riss mich aus meinen Geistreden. Fafa. Oh Göttin, er war auch hier!

Ich sprang auf die Beine und rannte zum Gitter. Die Streben standen so dicht beieinander, dass mein Gesicht dagegen drücken musste, um etwas zu sehen. „Fafa?“

„Oh Göttin, Lilith. Geht es dir gut?“

Die Stimme kam von rechts. Ich drehte meinen Kopf dorthin, konnte ich aber nicht sehen. Er musste in der Zelle neben mir sein. Vielleicht auch zwei oder drei weiter. „Ja, mit mir ist alles in Ordnung.“

„Bastet sei es vergolten.“ Die Erleichterung schwang in seiner Stimme mit.

Tarpan trat neben mich und legte die Hände um die Gitterstäbe. „Ich bin bei ihr, Zaho. Sei unbesorgt.“

„Das ist gut.“

Von links kam ein lautes Scheppern, so nachdrücklich, als versuchte dort jemand mit Gewalt die Gittertür aus den Angeln zu reißen.

Ich schaute zu Aman, der mittlerweile nicht mehr mich sondern seine Sicuti im Auge behielt, die noch immer leise auf den schlafenden Rigo einredete. Und erst jetzt fiel mir etwas anderes auf. „Wo sind die Sermos?“

Sein Blick richtete sich auf mich. „Ich weiß es nicht. Sie waren nicht hier als ich erwachte.“

„Oh Göttin, das …“

„Lilith?“

Dieses Mal war es nicht mein Fafa der mich ansprach. Es war nicht mal ein Krieger der Götter – nicht mehr zumindest. Umso mehr verwirrte die Stimme mich. „Luan?“ Ich drehte den Kopf, konnte ich aber nicht entdeckten. Dafür sah ich jemand anderen. Schräg gegenüber in der Zelle saßen mir drei bekannte Gesichter. John der mit großen Augen zurück schaute. Pascal, der scheinbar schlafend mit dem Kopf in Johns Schoß ruhte. Und Noah, der an der hinteren Wand lehnte und mit leerem Blick den Boden vor sich anstarrte – seine Hände und seine Kleidung waren voller Blut.

„Du bist es wirklich.“

Dieses Mal konnte ich Luans Stimme besser ausmachen. Er musste sich in der Zelle links neben mir befinden. Aber … „Was machst du hier?“

Er schnaubte über die Sinnlosigkeit meiner Frage. „Wahrscheinlich das gleiche wie du.“ Er verstummte kurz. „Hast du Janina gesehen?“

„Janina?“

„Ja, Janina und Amelia. Weißt du wo sie sind?“

Diese Fragen verstand ich nicht. „Sind sie nicht bei dir?“

„Nein, bei mir ist nur Destina – glaube ich.“ In seiner Stimme klang seine ganz persönliche Verzweiflung mit.

Das verstand ich nicht. Genaugenommen verstand ich immer weniger. „Aber dein Baby …“

„Mein Baby? Ach du meinst … Amelia ist kein Baby mehr. Ich meine … sie war keines mehr … und … und dann doch wieder. Und dann war sie weg. Und Janina ist wieder schwanger. Ich weiß nicht, ich … ich …“ Seine Stimme brach. „Das war dieser Wind und dann war da General Winston. Die Soldaten kamen und brachten Janina weg und … scheiße!“

Das war wohl das erste Mal dass ich Luan fluchen hörte.

Mit jedem verstreichenden Moment verstand ich diese Situation weniger. Nicht nur das Luan sich scheinbar an mich erinnerte, er befand sich auch in Gefangenschaft. Und seine Worte ergaben überhaupt keinen Sinn. Egal in welche Richtung meine Geisternden sich wendeten, alles war verkehrt und wurde immer undurchschaubarer. Doch eine Sache konnte ich nun vielleicht herausfinden. „Luan, weißt du wo wir sind?“

Er schwieg einen Moment, bevor er antwortete. „Nicht mit Sicherheit, aber ich glaube …“

Das Öffnen einer schweren Tür und herannahende Schritte ließen ihn verstummen.

„Luan?“

Auch in den anderen Zellen wurde es plötzlich still – zu still für meinen Geschmack, meine Nerven lagen so schon blank. Gleichzeitig schien sich aber eine angespannte Stimmung breit zu machen, die mich mit Unruhe erfüllte, die sich nicht so einfach abschütteln ließ.

Aman löste sich von der Wand und trat an meine Seite, während ich mir das Gesicht am Gitter platt drückte um zu erkennen, was da auf uns zu kam. Dabei versuchte ich mich von dem ängstlichen Gefühl zu befreien, das mich dazu anhielt in die hinterste Ecke zu kriechen. Egal wie schnell mein Herz klopfte, ich musste einfach herausfinden, was hier los war.

Die Schritte kamen den Gang hinauf – viele Schritte. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Neun, zehn, elf Leute, vielleicht mehr. Und dann kamen die roten Haare und dieses selbstgefällige Lächeln in mein Blickfeld.

„Liliana“, knurrte ich.

Die Hexe hielt einen Moment inne und trat dann direkt vor meine Zelle – hinter ihr waren ein dutzend grüner Krieger, die sie stoisch begleiteten. An ihren Hüften hingen Schüsse.

Bei ihrem Anblick machte ich unwillkürlich einen Schritt vom Gitter weg. Mit diesen Menschen verband ich einfach zu viel schlechtes, um dieser instinktiven Reaktion entgegenwirken zu können.

„Für dich Offizier Liliana Winston“, sagte die Rothaarige und ließ ihren Blick kritisch über mich wandern.

Ich zeigte ihr die Zähne, auch wenn mein Herz mir bis zum Hals zu schlagen schien. Diese kühle, unnahbare Fassade dieser Frau ließ einfach nichts anderes zu.

„Wie primitiv.“ Sie ließ ihren Blick von mir zu Aman und Tarpan gleiten, drehte sich dann einmal um sich selbst und auch die Insassen der anderen Zellen zu begutachten. Und begann dann so kalt zu lächeln, dass es mich bis ins Mark gefror. „Eine von euch kennt diesen Ort bereits“ sagte sie mit lauter Stimme um auch jeden von uns zu erreichen. „Und für alle anderen: Willkommen in Belua!“

 

°°°°°

Kapitel Dreizehn

 

Belua.

Mein Herz rutschte mir sprichwörtlich in die Hose. Oh Göttin, nein! Ich war wieder hier! Wie konnte das sein? Das war nicht möglich! Die Zeit hatte sich zurück gedreht! Das Schicksal konnte sie nicht wieder an diesen Ort bringen! Nicht auf diese Art, nicht wieder als Gefangene.

Und doch behauptete diese Frau, dass es so war.

Meine Finger klammerten sich krampfhaft um das Gitter, als all die Erinnerungen in mir aufkamen. Amans Tod, die Trauer um ihn. Acco in diesem Geschirr. Hereditas Relicta. Jacky. Oh Göttin, Jaqueline. Wochen war ich hier gefangen gewesen. Wochen der Kälte und Isoliertheit. Wochen in denen ich dem General auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen war und sein Wohlwollen nur durch eine hinterlistige Lüge erlangt hatte.

Ich wollte nicht hier sein – nicht auf diese Art, eigentlich überhaupt nicht. „Lass uns gehen“, forderte ich Liliana auf. „Im Namen unserer Götter, öffne die Zellen und lass uns frei!“

Nur mäßig interessiert betrachtete die Hexe mich. „Warum sollte ich das tun? Es hat schließlich ein Haufen Arbeit gemacht, euch überhaupt hier her zu bekommen.“

„Weil wir nicht an diesen Ort gehören.“ Meine Finger schlossen sich so fest um das Gitter, dass die Knöchel weiß hervorstachen. Ich spürte jeden meiner Herzschläge. Kräftig, ängstlich. „Weil auch du nicht hier her gehörst.“

Das entlockte ihr ein abschätzendes Schmunzeln. „Ihr seid Eindringlinge dieser Welt, eine Gefahr für die Menschheit. Ihr seid genau da wo ihr hingehört.“

„Wir gehören nach Silthrim!“

„Wenn du das so siehst, warum bist du dann überhaupt zurückgekehrt?“

Ich runzelte die Stirn über ihre Wortwahl. „Zurückgekehrt?“

Sie neigte den Kopf zur Seite, als würde diese Frage sie verwirren. „Du bist ein irritierendes Wesen, Lilith.“

„Ich bin ein Ailuranthrop und ich verlange, dass du uns sofort die Freiheit gibst.“

„Das kannst du gerne tun, aber es wird nicht geschehen. Dafür hast du zu viel Schaden angerichtet.“

„Was?“ Was meinte sie damit?

Sie ging auf meine Frage nicht weiter ein, sondern richtete ihren Blick auf Aman. „Von den Toten zurückgekehrt.“, flüsterte sie leise.

Bei diesen Worten wurde mir eiskalt. Woher wusste sie, dass Aman gestorben war? So wie die Dinge lagen, konnten nur Acco und ich es wissen. Aber sie schien es trotzdem zu wissen.

Was das bedeutete, wollte ich mir nicht eingestehen, denn es konnte einfach nicht sein. „Bleib weg von ihm“, knurrte ich.

Sie beachtete mich nicht, sondern trat näher an unsere Zelle heran. Welche Geistreden ihr dabei durch den Kopf streiften war nicht zu erahnen. Doch ihr Blick gefiel mir nicht.

Aman schaute nur mit einer solchen Ausdrucklosigkeit zurück, dass man fast glauben konnte in seinem Herz wohnte nur eisige Kälte. Doch ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er sich nur hinter einer Mauer verschloss, um seinen Gegnern keinen Schwachpunkt zu geben.

„Sag mir Aman, wie ist es zu sterben und wiederzukehren?“

„Sprich ihn nicht an!“

Fast gemächlich wandte Liliana mir ihr Gesicht zu. „Ich werde ihn nicht nur ansprechen, ich werde ihn sogar mitnehmen, denn da gibt es jemand, der sich gerne einmal mit ihm unterhalten möchte.“ Sie gab einem etwas gedrungenen Grünen Krieger ein Zeichen, woraufhin dieser ein Schlüsselbund aus seiner Hose zog.

Das würde ich zu verhindern wissen.

Als er sich der Zelle nährte, sprang ich vor. Ich würde nicht zulassen, dass einer von ihnen Aman zu nahe kam. Ich würde ihn kein zweites Mal verlieren. Nicht an diese Welt, nicht an diesen Ort. Niemals mehr.

Meine Krallen fuhren aus, als ich durch das Gitter nach ihm schlug. In diesem Moment traf mich ein Magiestoß, der mich durch die ganze Zelle gegen die hintere Wand katapultierte. Der Schmerz explodierte in meinem Rücken. Mein Kopf krachte gegen die graue Wand und sorgte dafür, dass mir einen Moment schwarz vor Augen wurde. Ich stürzte zu Boden und sackte in mich zusammen.

„Lilith!“, rief Tarpan und eilte sofort an meine Seite.

Aman warf mir einen besorgten Blick zu und begann zu knurren, als die Zellentür mit einem Quietschen geöffnet wurde.

Ich schüttelte den Kopf, versuchte auf die Beine zu kommen, doch meine Muskeln wollten nicht so wie ich. „Bleib weg von ihm“, zischte ich.

„Sei jetzt ruhig, Lilith. Ich werde mich später mit dir beschäftigen, doch im Augenblick ist Aman fiel interessanter.“ Sie nickte in Richtung Zelle.

Ein paar Grüne Krieger kamen herein und griffen resolut nach ihm. Den ersten wehrte er ab und auch den zweiten. Doch die Zelle war zu eng um ausweichen zu können.

Es entstand ein Gerangel. Fünf, sechs Grüne Krieger packten Aman und verdrehten ihm die Arme auf den Rücken, drückten ihm mit dem Gesicht voran gegen die Wand und banden ihm metallene Klammern um die Handgelenke.

Er knurrte und wandte sich unter ihren griffen. Einem schaffte er es die Beine wegzutreten, woraufhin ihn ein gezielter Schlag in den Nacken traf, der seine Stirn gegen die Wand knallte. Er ächzte. Blut tropfte ihm von der Lippe. Sein Körper schien zu beben, als versuchte er sich zu verwandeln, aber es geschah nichts.

Aus der gegenüberliegenden Zelle knurrte Vinea die Grünen Krieger an und forderte sie auf ihre dreckigen Pfoten von ihrem Sicuti zu nehmen.

Liliana beobachtete alles mit einem zufriedenen Lächeln.

Aman gab einen wütenden Laut von sich, der von den Wänden wiederhallte, als man ihn aus der Zelle zog. Sein Gesicht war eine einzige Grimasse des Zorns. Er versuchte sich zu wehren, doch gegen diese Übermacht kam er einfach nicht an.

„Nein!“, schrie ich, als die Zellentür geschlossen wurde. Ich schob Tarpan zur Seite und stürzte bei dem Versuch auf die Beine zu kommen.

„Lilith!“

„Aman!“ Das letzte Stück zum Gitter kroch ich, doch Aman war bereits aus meinem Sichtfeld verschwunden. Ich konnte ihn noch hören, genau wie die Grünen Krieger, die unter seinen Wehrversuchen ächzten. Meine Finger schlossen sich um die Metastreben. „Bringt ihn zurück!“

Liliana besah mich mit einem abschätzigen Blick. „Du solltest wirklich versuchen dein Temperament ein wenig zu zügeln.“

Meine Augen funkelten vor Hass. „Wenn ihm etwas zustößt, werde ich dich töten! Ich werde dir das Gesicht zerfetzten und dir die Haut von den Knochen schälen! Und wenn du schreist werde ich dir die Kehle herausreißen!“

Die Hexe hatte für mich nur ein müdes Schmunzeln übrig. „Würdest du nicht wie eine kleine unbedeutende Made in einer Zelle sitzen, würden deine Worte mich vielleicht sogar beeindrucken. Aber so wie die Dinge nun einmal stehen, gibst du einfach nur ein erbärmlichen Anblick ab.“ Damit kehrte sie mir den Rücken und folgte den Grünen Kriegern hinaus aus dem Zellenblock unter Belua.

Erbärmlich? Ich war vieles, aber nicht so erbärmlich wie eine Frau die Unschuldige wie Tiere in Käfige steckte um sie zu unterdrücken.

Ich kniff die Augen zusammen und versuchte das Geräusch der sich schließenden Tür nicht als ein Zeichen der Trennung anzusehen. Doch es schien mit einer Endgültigkeit durch den Zellenblock zu hallen, dass der eiserne Ring in meiner Brust mein Herz fast zerquetschte, während Vinea noch immer nach ihrem Brestern rief.

Ich würde sie töten. Jede Zelle meines Körpers forderte es.

 „Lilith.“ Tarpan hockte sich neben mich. „Was ist hier los?“

Ich schaute ihn an, konnte mich aber nicht auf seine Frage konzentrieren. Meine Geistreden gehörten allein Aman. Was würde sie mit ihm machen? Ich wollte ihn kein zweites Mal verlieren – nicht auf diese Art. Und doch war ich machtlos etwas dagegen zu tun. Genau wie beim letzten Mal.

Ich war gefangen.

Und ohne ihn war ich verloren.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte Luan leise aus der Nebenzelle. „Ich glaube nicht dass ihm etwas passiert.“

„Woher willst du das wissen?!“, fauchte ich ihn an. Ich wusste es war nicht richtig meine Wut gegen ihn zu wenden, doch diese ohnmächtige Machtlosigkeit brauchte ein Ventil. „Du bist nichts als ein Steinköpfiger Vampir!“

Er seufzte. „Sowohl der General als auch seine Tochter scheinen ein Interesse an ihm zu haben. Es wäre konterproduktiv ihm etwas anzutun.“

„Seine Tochter?“

„Offizier Liliana Winston. Sie ist General Winstons Tochter.“

Einen Moment glaubte ich mich verhört zu haben. „Der Kriegergeneral hat eine Tochter? Eine Tochter die eine Hexe ist?“

„Wie es scheint.“ Er atmete schwer ein. Dann erklang ein dumpfes Geräusch, als wäre er an der Wand herunter gerutscht, bis er auf dem Boden saß. „Der General ist so schlimm zugerichtet, dass sie zurzeit seine Aufgaben übernimmt.“

Zugerichtet? „Ich verstehe nicht.“

Einen Moment herrschte eine Stille in der mir erst auffiel, wie ruhig es in den Zellen geworden war. Aller Ohren lauschten unserem Gespräch. Selbst Vinea war verstummt und beobachtete mich. „Uns wurde gesagt, dass du es gewesen bist.“

„Ich? Aber …“ Nein, das konnte nicht sein. „Die Zeit hat sich zurück gedreht.“

„Bitte?“

„Die Zeit. Ich habe sie zurück gedreht. Ich habe Bastets Macht gefunden und die Vergangenheit ungeschehen gemacht, damit wir noch einmal von vorne anfangen können.“

Luan atmete zischend ein. „Du hast … Lilith, erzähl mir was geschehen ist, nachdem ihr euch auf dem Weg zum Tempel gemacht habt.“

„Du … du erinnerst dich daran?“ Oh Göttin, wie war das möglich?

„Lilith, bitte.“

Meine Geistreden wurden immer wirrer. Auf Silthrim hatte sich außer Acco und mir niemand an das Geschehende erinnert. Doch hier auf der Erde schien es anders zu sein. Wenn es stimmte was Luan sagte … und dann noch Liliana … sie kannten meinen Namen und wussten das Aman gestorben war und … oh Göttin. Ich schluckte. „Wir sind durch das Portal. Der Kriegergeneral befand sich noch auf der anderen Seite. Aman wurde getötet, das Portal beschädigt und Acco und ich gefangen genommen.“

„Vom General Winston.“

Ich nickte, schob dann aber noch en „Ja“ hinterher, weil er es ja nicht sehen konnte. „Man brachte uns nach Belua und hielt uns gefangen. Der General weigerte sich mir das Tigerauge zu geben, er wollte es selber behalten um damit nach Silthrim zu gelangen. Mit einer List brachte ich ihn dazu das Portal zu reparieren. Er hatte es nach Belua schaffen lassen. Der General gab mir das Tigerauge um für ihn den Weg nach Silthrim zu öffnen. Dabei tötete er Jacky.“ Mein Blick huschte zu Noah, der sich seit meinem Erwachen noch einen Millimeter bewegt hatte. Auch jetzt zeigte er keine Reaktion. Warum nur war er hier unten bei uns eingesperrt? „Ich habe es geschafft ihn zu überwältigen und bin mit Acco durch das Portal gestiegen. Aber nicht auf dem normalen Weg. Ich habe die Kraft des Tigerauges dazu benutzt die Zeit zurück zu drehen, damit alles wieder so ist wie es sein sollte.“ Ich stockte kurz und erinnerte mich an dem Moment in dem die Göttermacht mir all meine Sinne geraubt hatte. „Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, befand ich mich im Theatrum auf dem Fest des Schöpfertags. Ich konnte die bevorstehende Katastrophe abwenden und …“

„Du hast die Zeit zurück gedreht.“ Luans Stimme klang heiser, fast ehrfürchtig und doch erschrocken über diese Wendung.

„Ja, ich musste.“ Meine Augen glitten zu John, doch er beachtete mich gar nicht. Sein Blick war auf den noch immer schlafenden Pascal gerichtet und sein Mund verkniffen zusammengedrückt.

„Du hast die Zeit zurück gedreht“, wiederholte Luan und lachte dann abgehackt auf. Doch in diesem Ton wohnte nichts Freudiges. „Das erklärt alles.“

„Was meinst du?“

„Warum wir hier sind und warum das passiert ist.“

„Ich verstehe nicht.“ Wovon sprach er nur?

„Lilith, nachdem du zur Erde aufgebrochen bist, haben ich und meine Familie fast vierzig Jahre auf Silthrim gelebt. Wir sind nach Vipan gegangen und … und haben dort gelebt.“ Seine Stimme klang leicht belegt. „Mit den Jahren ist Amelia erwachsen geworden und hat selber Kinder bekommen. Destina ist … sie war alt und ist friedlich in die Mächte eingegangen. Und John und Pascal … wir haben unser Leben gelebt.“ Er verstummte einen Augenblick. „Aber dann kam dieser einer Abend. Ich weiß nicht genau was geschehen ist. Es war wie ein heißer Wind der bis in meine Seele vordrang. Plötzlich sah ich mein ganzes Leben in all seinen Einzelheiten noch einmal vor meinem inneren Auge – rückwärts. Es war als hätte jemand die Rückspultaste gedrückt. Alle wurden wieder jünger und Destina … sie war tot, Lilith und doch lebt sie jetzt wieder. Amelia … sie wurde wieder zu einem Baby. Dann war sie weg und Janina wieder schwanger. Ich erlebte alles noch mal, bis zu dem Moment, als wir auf Silthrim im zerstörten Tempel der Ailuranthropen angekommen waren.“

Er seufzte. „Das nächste an das ich mich erinnere ist das Portal, das uns praktisch eingesogen hat und uns direkt neben dem sterbenden General Winston und Noah wieder ausspuckte. Und dann … ich weiß nicht. Bevor ich erfassen konnte, was da geschah, kamen die Soldaten. Sie brachten Janina weg und sperrten uns hier ein. Das war gestern gewesen.“

Seine Stimme wurde immer leiser. „Ich weiß nicht was sie mit Janina gemacht haben. Sie sagen es mir nicht. Und Destina …“ Er verstummte kurz und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie er seinen Blick auf die resolute Frau richtete. „Sie hat noch kein Wort gesagt. Sie sitzt hier neben mir und scheint doch nicht hier zu sein. Wie eine leere Hülle. Das ist noch schlimmer als Pascal.“

„Pascal?“

„Es ist deine schuld!“ Das waren die ersten Worte die John sagte. Und sie klangen so voller Hass, dass ich mich unter ihnen beinahe geduckt hätte.

„John, sie konnte nicht wissen was geschehen wird“, sagte Luan leise.

Der Dunkelhäutige Mann drückte die Lippen zusammen.

„Was bedeutet das alles?“, wollte ich wissen. „Ich verstehe das nicht.“

„Ich kann auch nur Vermutungen anstellen, aber so wie es scheint, hat deine Tat nicht nur gutes vollbracht.“

Mir wurde bang ums Herz. „Erklär es mir.“

„Die Magie die du genutzt hast, kann ihre Macht nur auf Silthrim ausüben. Das heißt du hast die Zeit dort zurückgedrehte und weil meine Familie und ich damals noch nicht dort gelebt haben, hat die Magie uns einfach herausgeschmissen. Auch für uns hat sich die Zeit auf Silthrim zurück gedreht, aber halt nur bis zu dem Zeitpunkt an dem wir es betreten hatten. Und da das einzige Portal auf der Erde in Belua steht, wurden wird dorthin gebracht.“

„Das heißt, die Zeit auf der Erde hat sich nicht zurück gedreht?“

„Wie es scheint, nein.“

Oh Göttin, was hatte ich nur getan?!

„Und wir haben diese Manipulation der Zeit auch nicht so gut verkraftet.“

John schnaubte, als sei das ein Witz ohne Pointe.

Ich schaute zu ihm hinüber und traute mich kaum zu fragen. „Was ist mit Pascal?“

Luan schwieg so lange, dass es mich fast wunderte, als er dann doch noch antwortete. „Die Rückkehr durch die Zeit scheint er im Gegensatz zu uns nicht verkraftet zu haben.“

„Was meinst du damit?“

„Sein Geist … ich glaube er ist gebrochen. Er hat das geschehende nicht verkraftet.“

Oh Göttin, nein, das durfte nicht sein. Pascal war immer so ein fröhlicher Junge gewesen. Er war … ich konnte seine Gutherzigkeit nicht einmal beschreiben. „Aber … man muss ihm doch helfen können.“

„Ich weiß nicht ob das möglich ist“, sagte Luan schwach.

Ich konnte kaum glauben was hier gerade passierte. Wenn Luans Theorie stimmte dann hatte ich nur die Zeit au Silthrim zurück gedreht und auf der Erde war alles noch genauso wie in dem Moment als ich sie verlassen hatte. Das heißt das hier gerade Mal ein oder zwei Tage vergangen waren, seit es mir gelungen war dem General zu entkommen und das Leben zurück nach Silthrim zu bringen.

Es hieß aber auch dass ich das Leben von Luan und seiner Familie zerstört hatte, dass ich Destina und Pascal zerstört hatte, dass Jacqueline noch immer tot war und dass der Kriegergeneral nun eine mörderische Wut auf mich empfinden musste – genau wie seine Tochter.

Die Krallen der Frucht schlugen so kräftig zu, dass ich zu zittern begann. Wenn diese Theorie wirklich und wahrhaftig wahr war, änderte das alles. Die Angst um Aman wurde stärker. Was wenn sie ihm wehtaten, einfach um mich zu verletzte? Sie wussten was dieser Lykanthrop mir bedeutete, es konnte einfach nicht anders sein. „Wir müssen hier raus“, flüsterte ich und wandte den Blick nach den Natis der Sachmet, doch von hier aus konnte ich sie nicht entdecken. „Krieger der Sachmet, ihr müsst die Zellen aufsprengen, jetzt!“

„Geht nicht“, antwortete mir eine dunkle Stimme.

Luan schnaubte. „Natürlich geht das nicht. Die Fußfesseln an euren Beinen hindern euch daran. Liliana selber hat sie hergestellt.“ Die letzten Worte trieften nur so vor Spott.

„Was soll das heißen?“

„Das heißt, dass Liliana jedem magische Fußfesseln anlegt, um die Gefahr so gering wie möglich zu halten und damit die Magie unterdrückt.“

Ich schaute auf meine eigenen Beine und zur Sicherheit auch noch auf meine Handgelenke, aber da war nichts. Dann war ich in ihren Augen wohl keine Gefahr. Doch bei Tarpan entdeckte ich ein solches Band. Trug auch Aman eines? Das würde erklären, warum er sich nicht verwandelt hatte, als sie Grünen Krieger ihn aus der Zelle gezerrt hatten.

Ein Blick über den Gang zeigte mit, dass auch Vinea, der Wassernymph und der sich nun langsam regende Rigo mit einem solchen Reif versehen waren. Alle Krieger in meinem Blick trugen eines – nur ich nicht.

Diese Erkenntnis half mir nicht gerade meine Nerven zu beruhigen. Es musste etwas bedeuten, dass ich von dieser Fessel verschont geblieben war. Nur was?

„Liliana ist eine von uns!“, rief auf den Tiefen der Zelle ein Mann. „Warum hilft sie Abschaum?“

„Keine Ahnung.“ Luans Stimme war schwach. „Sie ist erst gestern Abend aufgetaucht, da saßen wir bereits in diesen Zellen.“

Mein Blick glitt zu Noah. Wenn das alles wirklich so war, dann verstand ich nun auch warum er sich unter uns befand. Schließlich hatte er den General angegriffen und mir die Flucht damit erst ermöglicht.

Es erklärte auch das Blut an seiner Kleidung: Es gehörte Jacqueline.

„Was wird jetzt passieren?“, wollte Tarpan wissen.

„Auch das weiß ich nicht.“ Luans Kleidung raschelte, als er sich bewegte. „Aber egal was nun auf uns zukommt, es wird sicher kein Zuckerschlecken.“

Nein, das war es nie. Besonders nicht wenn der General seine Finger mit im Spiel hatte. Und wie es den Anschein hatte, lebte dieser Mann trotz meiner Bemühungen noch immer.

Oh grausames Schicksal, in was nur hast du uns geführt?

 

°°°

 

Unruhig wanderte ich am Gitter auf und ab. Mein Blick glitt immer wieder auf den Gang in der Hoffnung einen Blick auf die metallene Tür zu erhaschen, durch die sie Aman fortgebracht hatten. Natürlich gelang es mir nicht, denn sie lag nicht in meinem Sichtfeld, doch ich konnte nicht anders. Die Sorge um mein Herz fraß mich fast auf.

Es musste stunden her sein, dass sie Aman geholt hatten, doch er war noch immer nicht zurück. Warum nicht? Was wiederfuhr ihm gerade?

Ich war nicht die einzige, die von dieser inneren Unruhe gepackt worden war. Direkt gegenüber lief auch Rigo am Gitter hin und her. Ein gefangenes Tier, dem es nach Freiheit dürstete.

Nach seinem Erwachen hatte er einen Tobsuchtsanfall hingelegt, der mich hoffen ließ, er würde die Gitter mi bloßen Händen auf der Verankerung reißen. Aber es war ihm nicht gelungen. Keine Kraft der Welt konnte diese Metallstreben aus dem Stein reißen – zumindest nichts, das in unserer Reichweite lag.

Wieder blieb ich am Gitter stehen und versuchte einen Blick auf die Tür zu erhaschen. Ich wusste dass es sinnlos war. Ehe ich etwas sehen würde, könnte ich sie hören. Aber ich konnte auch nicht tatenlos herumsitzen und gar nichts tun.

„Was tun sie mit ihm?“, wollte Vinea wissen.

Ich richtete meinen Blick auf sie und sah in ihren Augen die gleiche Sorge, die auch mich bewohnte. „Ich kann es dir nicht sagen, denn ich weiß es nicht.“

„Aber du warst doch bereits einmal ihre Gefangene. Was haben sie da mit dir getan?“

Ich senkte den Blick, als die Erinnerung an diese Zeit erneut über mich hinein brach. „Ich war nicht hier unten gewesen, sondern in einem Zimmer für Kranke. Sie haben versucht mein Vertrauen zu gewinnen, damit ich tat was sie von mir wollten. Sie haben mir hier ein Leben angeboten … aber …“ Ich drückte die Lippen zusammen.

„Aber?“

Ein Leben ohne Aman ist kein Leben für mich – nicht mehr. „Belua ist kein Zuhause, es ist ein Gefängnis, das von einem kranken Geist geleitet wird.“

Rigo schnaubte. „Das ist alles was du dazu beizutragen hast?“

Ich kniff die Augen leicht zusammen.

„Das hier ist deine schuld!“, warf er mir vor und traf damit genau den Kernpunkt. Ich war es gewesen, der uns in die Fremde geführt hatte. Mehr als einen wackligen Plan hatte ich dabei nicht gehabt. Und wofür das alles? Ich hatte Aman wieder nahe kommen wollen. Und jetzt verlor ich ihn vielleicht erneut.

Die Last dieser Geistreden drohte mich unter sich zu begraben.

Meine Schuld.

„Krieger?“, sagte da mein Fafa. „Wenn ich mich recht erinnere – und bisher hat mein Gedächtnis mich nur selten im Stich gelassen – dann warst du es, der als erstes darauf gedrängt hatte, noch einmal in diese Welt zu kommen.“

„Das bestreite ich nicht, doch hätte ich die Führung übernommen, wäre das Ganze nicht zu einem Desaster geworden!“

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Luan leise.

„Weil ich ein ausgebildeter Krieger bin und kein naiver Lehrling!“

Das ließ Luan schnauben. „Ich war auch einst ein Krieger, doch hat mir das in dieser Welt nur sehr wenig gebracht. Die Erde ist anders als alles was ihr kennt. Deswegen glaub mir einfach wenn ich dir sage, dass du versagt hättest, egal wie gut du vorbereitet gewesen wärst.“

Mit einem unwilligen Knurren und einem wütenden Blick zu dem Vampir, wandte Rigo sich vom Gitter ab und ließ sich in der hintersten Ecke seiner Zelle nieder.

Vinea dagegen hatten ihren Blick noch immer auf mich gerichtet. „Weist du denn gar nicht was wir tun können?“

„Nein“, sagte ich beschämt meine Schwäche eingestehen zu müssen. „Wenn ich es wüsste, würde ich es dir sagen.“

„Im Moment können wir gar nichts anderes tun als zu warten“, sagte Luan leise.

Wie sehr ich mir wünschte Luan hätte Unrecht. Doch so wie die Situation im Moment lag, konnte ich ihm nicht wiedersprechen. Wir waren Gefangen, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und hatten noch nicht mal eine Ahnung, was der General von uns wollte. Obwohl ich mir vorstellen konnte, was seine Beweggründe waren.

Zum einen wollte er sicher immer noch nach Silthrim. Er wollte die Macht die ihm das geben wollte, die Anerkennung der Menschen. Ruhm und Geld. Erhabenheit.

Und zum anderen wollte er sicher Rache.

Rache an mir.

„Lilith?“, sagte Tarpan leise.

Ich ließ meine Hände vom Gitter rutschten und drehte mich zu ihm herum.

Er schaute mich unverwandt an, doch lag in seinen Augen keine Angst, nur eine gewisse Wachsamkeit. Es schien als würde er die Dinge einfach auf sich zukommen lassen wollen. Wozu sich aufregen, wenn er doch nichts ausrichten konnte. Besser abwarten und im Richtigen Moment reagieren.

Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein und er schaffte es einfach nur besser als ich seine Ängste zu verbergen.

„Tu mir den Gefallen und setzt zu mir“, bat er mich und klopfte einladend neben sich auf den Boden.

Ich zögerte einen Moment, warf noch einen Blick hinaus auf den Gang und begegnete dabei nur wieder Rigos wütenden Blick.

Wie viele von den anderen Kriegern mir wohl auch die Schuld an dieser Situation gaben? Ich meine, irgendwo stimmte es ja, hätte ich sie nicht hier her geführt, wäre das alles niemals passiert, aber wie hätte ich wissen können, was geschehen würde?

Diese Geistreden waren müßig, schließlich gab ich mir selber die Schuld daran.

„Lilith“, forderte Tarpan mich erneut auf.

Niedergeschlagen und in meiner eigenen Schuld gefangen, durchschritt ich die kleine Zelle und ließ mich neben ihm an der Wand zu Boden rutschen. Vielleicht war es seltsam, aber selbst jetzt noch achtete ich dabei auf einen gewissen Abstand zwischen uns. Es war einfach mir einfach ein Inneres Bedürfnis eine klare Grenze zwischen und zu ziehen, besonders wenn ich daran dachte, wer Tarpan für mich sein würde.

Natürlich konnte es auch sein, dass sich die ganze Collusor-Geschichte nun einfach in Luft auslöste. Wären wir nicht dort wo wir waren, wäre das wohl ein Grund zur Freude gewesen.

„Weist du was das Leben ausmacht?“ Seine Worte waren leise, so als seien sie nur für meine Ohren bestimmt.

Ich schaute ihn an und wartete.

„Das Unerwartete, die Wendungen die es uns beschert, Hürden die uns gestellt werden.“

Gerade noch so konnte ich ein Schnauben unterdrücken. „Du meinst, hier gefangen zu sein ist etwas Gutes?“

„Nein, so habe ich das nicht gemeint.“ Er drehte sich leicht zu mir herum. „Was ich damit sagen wollte, sobald wir frei sind, sind wir um eine Erfahrung reicher aus der wir unsere Lehren ziehen können und …“

„Du glaubst wirklich, dass wir frei kommen?“

„Natürlich. Du nicht?“

Darauf antwortete ich nicht. Wenn ich nur daran geistredete, wie schwer es beim letzten Mal gewesen war zu entkommen, wusste ich nicht so recht ob ich daran glauben konnte, dass mir dieses Meisterstück ein weiteres Mal gelingen würde.

„Du musst daran glauben Lilith, sonst wird es nicht gelingen.“

„Und wie?“, fragte ich leise und richtete meinen Blick auf den Boden um ihn nicht ansehen zu müssen. „Du kennst diesen Ort nicht, du weist nicht welche Dinge hier auf uns warten. Du bist noch nicht einmal dem Kriegergeneral begegnet.“ Und obwohl Aman noch lebte, war die Gefangenschaft dieses Mal schlimmer. Ich wusste nicht woher diese Geistreden kamen, doch ich wusste dass es wahr war.

Tarpan schaute mich schweigend an. Ich konnte seinen Blick spüren, während er versuchte herauszufinden, was in meinem Kopf vor sich ging. „Ich glaube an die Sonne, auch wenn der Mond am Himmel steht.“

Seine geflüsterten Worte ließen mich wieder zu ihm aufschauen.

„Ich glaube an die Liebe, auch wenn sie mir nie begegnet ist. Und ich glaube an Bastet, auch wenn ihre Stimme schweigt.“ Er schaute mich so intensiv an, als wollte er mir diese Worte in den Kopf hämmern.

„Ein Gebet bringt uns hier nicht weiter“, sagte ich sehr leise. Dieses Gebet sagte mir nicht was mit Aman war und auch nicht was die Zukunft für uns bereithielt.

„Es geh nicht darum, dass uns dieses Gebet weiter bringt, sondern darum, dass wir glauben.“

„Bastet ist nicht hier, sie hat keinen Einfluss auf die Erde. Wir sind ganz auf uns allein gestellt.“

„Sie ist immer bei uns, Lilith. Wir sein ein Teil von ihr.“

„Aber das hilft uns nicht.“ Nicht in dieser Situation.

Vertieft in seine Geistreden betrachtete er mich. Dann streckte er plötzlich die Hand nach mir aus.

Ich wusste nicht was er vorhatte, aber schon allein durch einen Reflex, schlug ich seine Hand weg. Er durfte mich nicht anfassen, das war allein Aman vorbehalten.

Verwirrt runzelte er die Stirn und musterte mich und egal was er dabei entdeckte, es ließ die Runzeln auf seiner Stirn noch tiefer werden.

„Ich …“ Ich schluckte. „Bitte tu das nicht.“

Er ließ die Hand zurück in seinen Schoß sinken, ließ mich dabei aber keinen Moment aus den Augen. „Du möchtest keinen Collusor.“ Keine Frage, eine Feststellung. „Es liegt nicht an mir, du willst überhaupt keinen Collusor.“

Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, hörte ich endlich das ersehnte Geräusch der sich öffnenden Tür. Ohne zu zögern sprang ich auf die Beine und rannte zum Gitter und lauschte bang und voller Hoffnung auf die sich nährenden Schritte.

 

°°°°°

Kapitel Vierzehn

 

Grüne Krieger. Ein halbes Dutzend von ihnen strömten in den Zellenblock. In ihrer Mitte führten sie Aman.

Oh Göttin!

Meine Hände krampften sich um das Gitter. Amans Gesichtsausdruck. Noch nie hatte ich ihn so durcheinander gesehen. Was seine Augen spiegelten, es hatte fast etwas Verzweifeltes an sich. Seine Stirn war verschwitzt, die Haut blass und sein buntes Haar fiel ihm offen und strähnig über die Schultern.

„Was habt ihr mit ihm gemacht?!“, verlangte ich zu erfahren.

„Aman!“, rief Vinea. Auch sie stand wieder am Gitter. „Bei Seth, Aman!“

Nicht mal die Stimme seiner Sicuti konnte ihn dazu bringen den Kopf zu heben.

Ich ließ den Blick über die Grünen Krieger gleiten, die zielgenau unsere Zelle ansteuerten. Liliana war nicht unter ihnen.

„Tritt zurück“, verlangte ein stämmiger Mann mit breiten Schultern, als er vor unsere Zellentür trat.

„Was habt ihr ihm angetan?!“

„Ich werde es nicht noch einmal sagen.“

Mein Blick glitt zu Aman, der dort so verloren zwischen den Kriegen hing und bitterer Hass brodelte in mir hoch. Dafür würden sie büßen. Ich würde ihnen allen wehtun.

„Tritt vom Gitter weg“, forderte der Grüne Krieger mich erneut auf.

Fast hätte ich ihn darauf angesprochen, dass er sich doch nicht wiederholen wollte, aber dann besann ich mich darauf, was Aman mir beigebracht hatte. Ich musste auf die passende Gelegenheit warten und so wie die Dinge lagen, war sie nicht all zu fern.

Mehr als wiederwillig löste ich meine Finger vom Gitter und trat einen Schritt zurück. Nur so würden sie die Tür öffnen und Aman zu uns in die Zelle in die scheinbare Sicherheit stecken.

„Weiter zurück. Stell dich hinten an die Wand.“

Ich knirschte mit den Zähnen, tat aber wie mir geheißen. Dabei ließ ich diesen Mann keinen Moment aus den Augen.

Er merkte wohl wie ich auf ihn lauerte, denn als er den Schlüssel ins Schloss stecke und ihn herumdrehte, fasste er gleichzeitig an seine Hüfte zu seinem Schuss. „Keine Dummheiten“, warnte er mich.

Hinter ihn bezogen weitere Grüne Krieger Stellung, um im Notfall in Reichweite zu sein.

Das hinderte mich aber nicht daran nach vorne zu springen, kaum dass die Tür aufgezogen wurde. Ich war so schnell, dass der Mann nur noch überrascht die Augen aufreißen konnte, als ich ihn fauchend mit mir zu Boden riss und seinen Kopf dabei auf den Boden knallte.

Ein Laut des Schmerzes kam über seine Lippen.

Ich rief meine Innere Magie, spürte das vertraute Kribbeln, doch als ich ihm meine Krallen durch das Gesicht ziehen wollte … geschah gar nichts. Ich verwandelte mich nicht.

Völlig überrascht davon, achtete ich nicht mehr auf die anderen Grünen Krieger. Im nächsten Moment würde ich von dem Mann heruntergezerrt und mit dem Gesicht voran gegen das Gitter gedrückt. Jemand verdrehte mir die Arme schmerzhaft auf den Rücken.

Ich hörte Tarpan fauchen und den Ruf meines Fafas.

Meine Arme wurden so hoch gedrückt, dass ich die Augen zusammenkniff und gegen den Schmerz atmen musste.

Schritte, Bewegung, eine knallende Tür. Kaltes Metall an meinen Handgelenken.

Endlich ließ der Druck ein wenig nach.

„So, und nun Abmarsch.“

Als ich vom Gitter weggerissen wurde, riss ich die Augen auf.

Der Grüne Krieger den ich umgerissen hatte, saß mit verkniffener Mine auf dem Boden und hielt sich den Kopf. Ein anderer hockte neben ihm und redete leise auf ihn ein. Mein Interesse aber galt Aman, der einfach in unsere Zelle gestoßen worden war und scheinbar Probleme hatte auf die Beine zu kommen.

„Aman!“, rief ich, als sie begannen mich durch den Gang zu zerren. „Aman!“

Er drehte den Kopf leicht in meine Richtung, schien aber mehr durch mich hindurch zu sehen, als mich zu bemerken. „Bei Bastet, was hab ihr ihm angetan?!“

„Das geht dich nichts an und jetzt vorwärts!“

Ich stemmte mich gegen den Druck, wehrte mich gegen den Griff und schaffte es sogar mich kurzzeitig mit dem Fuß an dem Gitter von Johns Zelle abzustützen, sodass sie mich nicht weiter bekamen.

 

„Verdammt noch mal. Sarah, hilf mir mal!“

Eine Frau trat in mein Sichtfeld.

Eine Nymphe mit grüner Haut. Eine Waldnymphe.

Sie zog mein Bein vom Gitter weg, sodass ich nach vorne stolperte und wohl hingefallen wäre, wenn der Mann hinter mir mich nicht an den Handfesseln festgehalten hätte. Doch der plötzliche Schwung riss mir die Arme wieder schmerzhaft auf den Rücken. Ein Zischen kam über meine Lippen.

„Hör auf dich zu wehren“, sagte die Nymphe leise. „Es wird dir nichts passieren.“

Ich versuchte erneut mich zu verwandeln, aber es funktionierte nicht. Warum nicht? Vorhin war es mir doch gelungen meine Krallen auszufahren. Doch nun schien da eine Barriere zu sein, die mich von meiner Magie abschnitt. „Wie kannst du das tun?!“, schrie ich ihr entgegen. „Du bist eine von uns! Wie kannst du deinen Geist für diesen Mann hergeben?! Sie haben Jacky getötet!“

In den Augen der Nymphe zeigte sich eine Gefühlsregung.

„Jetzt reicht es aber“, knurrte der Mann hinter mir und schob mich energisch vor sich her.

„Der General hat Jacqueline getötet, ich hab es gesehen!“, rief ich erneut und hoffte plötzlich damit etwas bei der Nymphe auszurichten. Sie hatte doch eben reagiert, das hatte ich mir doch nicht eingebildet. „Und er hat Noah hier eingesperrt!“, setzte ich noch dazu. „Der General ist grausam!“

Ein Schlag traf mich am Kopf. „Ruhe jetzt.“

Aber ich gab keine Ruhe, besonders nicht als ich sah, wie die Nymphe einen Blick zu Noah in die Zelle warf. Doch er reagierte nicht.

Ich schrie, fluchte und wehrte mich nach Leibeskräften, als sie mich durch den Gang zerrten. Links und rechts war alles voll mit Zellen und in jeder saßen zwei bis drei Krieger der Götter. Sie alle beobachteten das Schauspiel auf dem Gang. Manch einer brüllte und verfluchte die Grünen Krieger, stellten Forderungen und verlangen freigelassen zu werden.

Die Grünen Krieger führten mich unbeirrt auf die Metalltür am Ende des Ganges zu. Sie ignorierten die Rufe der Gefangenen, blendeten sie einfach aus, als seien sie nicht existent.

Doch der Anblick der Tür löste in mir plötzlich ein ganz anderes Gefühl der Angst aus. Vor meinem inneren Auge sah ich auf einmal eine ganz andere Metalltür, oder eher eine Klappe. Und hinter dieser Klappe hatte der tote Körper von Gillette gelegen.

Ich wusste das diese Geistreden irrational waren, dich ich konnte mich ihnen nicht erwehren.

Die Waldnymphe klopfte gegen die Tür. Eine Klappe auf Augenhöhe wurde kurz geöffnet, dann ging die Tür von außen auf und ich wurde aus dem Zellentrakt geschoben.

Sobald die Tür wieder geschlossen war, waren die Rufe der Götternatis nur noch ein fernes Murmeln.

„Los, weiter“, drängte der Mann mich.

Wir befanden uns wieder in einem Gang, der dem anderen ganz ähnlich sah. Nur waren die Wände hier weiß und die Lichter unter der Decke viel heller.

Sie schoben mich vorwärts, führten mich über Flure und Winkel in die Gedärme von Belua. Hin und wieder glaubte ich die Gänge zu erkennen, aber dann waren sie doch ganz anders. Meine Wehrversuche begannen zu versiegen. Je weiter wir gingen, desto mehr spürte ich die Angst vor dem Unerwarteten. „Wohin bringt ihr mich?“

„Das wirst du gleich sehen.“

Nach ein paar Minuten bogen wir in einen Flur ab, dessen linke Wand komplett aus Glas war und einen ungehinderten Einblick in das Innerste gewährte.

Ein riesiger Raum mit Geräten wie ich sie schon einmal gesehen hatte – damals, als wir Gillette fanden. Wie hatten die Menschen ihn genannt? Ein Labor. Ja, hinter dieser Glaswand lag ein großes Labor.

Die Grünen Krieger führten mich ohne großes Interesse daran vorbei. Doch mein Blick wurde plötzlich von etwas angezogen.

Acco.

Es lag in einem großen Käfig, den Körper wieder in dieses beengende Geschirr geschnallt. Grimmig beobachtete er die vielen Menschen, die geschäftig in dem Labor umher liefen. Und er war auch nicht alleine. Die beiden anderen Sermos der Lykanthropen befanden sich auch dort. Vineas Sermo drängte sich ängstlich in die Ecke seines Käfigs, während der Wolf ruhelos am Gitter auf und ab lief.

„Acco!“, rief ich und stemmte meine Beine in den Boden. „Acco!“

„Verdammt, was …“ Der Grüne Krieger hinter mir gab mir einen Stoß, der mich nach vorne katapultierte. „Hör auf damit und lauf endlich!“

„Nein, ich …“

„Sie können dich nicht hören“, erklärte die Waldnymphe. Ihr Blick war hart und doch schien dort ein Körnchen Mitgefühl vorhanden zu sein.

Sehr wiederwillig ließ ich mich weiterschieben, schaffte es aber nicht die Augen von den Sermos zu nehmen, bevor wir in einen weiteren Gang einbogen. „Was macht ihr mit ihnen?“

Keine Antwortete mir. Ich wurde von den Kriegern nicht einmal angeschaut.

„Was macht ihr mit ihnen?!“, fragte ich noch nachdrücklicher.

Es brachte nichts, sie ignorierten mich einfach.

Bevor ich ein drittes Mal nachfragen konnte, stick mir plötzlich ein vertrauter Geruch in die Nase. Krankenhaus. Desinfektionsmittel. Hygienische Sauberkeit. Ich kannte diese Gerüche und Begriffe von mehr als einer Gelegenheit. Von dem Tag als wir in das Heilerhaus der Menschen eingedrungen waren, um Vinea retten zu können. Von dem Moment als wir Gillette hinter der Klappe in dem Schrank fanden. Von meiner Arbeit mit Jacky. Und auch von den Behandlungen der HR-Kranken.

Keiner dieser Momente rief gute Erinnerungen in mir wach und so war es wohl nicht weiter verwunderlich, dass ich plötzlich Angst verspürte.

„Ich will nicht“, sagte ich und begann wieder mich zu wehren. „Lasst mich gehen, ich will da nicht hin!“

Es wurde ein Krampf für die Grünen Krieger mich weiterzuschieben, drei Männer waren nötig um mich zu der Tür am Ende des Flures zu bringen.

Und erst als die Waldnymphe die Tür öffnete, wurde ich wieder ruhig. Genaugenommen wurde ich plötzlich starr vor Angst. Ein Gefühl dem ich mich nicht erwehren konnte und das ich hasste. Doch in dem inneren – einem Krankenzimmer, nein, ein Labor – befand sich Liliana. Mit baumelnden Beinen saß sie links auf einer Anrichte. Neben ihr stand ein seltsamer Stuhl mit großen Rädern. Und in diesem Stuhl saß kein anderer als General Silvano Winston persönlich.

 

°°°°°

Kapitel Fünfzehn

 

Ein Auge. Das war alles was dem General geblieben war. Und es war so kalt und hasserfüllt, dass ich schluckte, als die Grünen Krieger mich sehr nachdrücklich in den Raum schoben.

Ich erinnerte mich gut daran, wie ich dem General das andere Auge aus dem Kopf gekratzt hatte, wie er sich schreiend unter mir gewunden hatte, zu schwach sich gegen meinen Angriff zu wehren.

Er hatte es nicht besser verdient.

Sein sonst so akkurates, angegrautes Haar wurde halb durch einen Verband verdeckt. Sein halber Kopf war damit eingewickelt. Die grade Haltung war gebeugt und die breiten Schultern leicht in sich zusammengesunken. Hals, Arme und Oberkörper waren mit Kratzern, Blutergüssen und anderen Blessuren überseht, die die Verbände nicht verbergen konnten. Trotz seiner Größe wirkte er im Augenblick nur noch klein und zerbrechlich. Die graue Decke die man über seine Beine gelegt hatte, unterstrich diesen Effekt noch. Von seiner furchteinflößenden Ausstrahlung war nichts mehr übrig geblieben.

Es war ein Gefühl von Genugtuung, das in mir aufstieg. Dieser Mann würde niemals wieder ganz gesund werden, davon war ich überzeugt.

„Lilith.“ Seine Stimme war ein raues Kratzen, völlig anders, als in meiner Erinnerung. Es war, als gehörte sie jemand ganz anderem. Das einzige was sich an ihm nicht verändert hatte, war der kalte Glanz in seinen Augen.

„Setzt sie in den Stuhl“, befahl Liliana und schaute überlegen zu, als plötzlich drei paar Arme nach mir griffen und mich durch den Raum zu einem Stuhl in der Mitte zerrten.

Ich versuchte mich gegen ihre Griffe zu wehren, versuchte meine Magie heraufzubeschwören, doch es war zwecklos. Meine Magie war blockiert, als gäbe es da eine Sperre, die sie nicht überwinden konnte und diese Erkenntnis ängstigte mich so sehr, dass ich mich noch stärker gegen meine Peiniger wehrte. Ich schlug biss und trat nach ihnen so sehr es mir möglich war, wand mich in ihren Griffen, wollte nur fort und all das hier hinter mir lassen.

Ich war stärker als einer von ihnen, aber zu dritt schafften sie es mich auf einen unbequemen Stuhl zu bugsieren. Im nächsten Moment wurde ich mit eisernen Fesseln an die Armlehnen gebunden.

Mein Herz schlug mit jeder Sekunde schneller. Als die drei Grünen Krieger zurück traten, zerrte ich an meinen Ketten, doch mir war sofort klar, dass ich sie niemals würde alleine lösen können. Das kurze Gefühl der Genugtuung war bereits verraucht wie Wassertropfen an einem heißen Tag. Nichts als das Gefühl von Angst blieb zurück und verstärkte sich noch, als Liliana die Grünen Krieger aus dem Raum befahl und ich allein mit der Hexe und ihrem Fafa zurück blieb.

Die Befriedigung in den Augen Lilianas ließ mein Herz gleich noch schneller schlagen. Ich versuche ihnen mein Unbehagen und meine Furcht nicht zu zeigen, doch war ich mir nicht sicher, ob mir das gelang.

„Was soll das?“, verlangte ich zu erfahren. Angriff war manchmal die Beste Verteidigung. Und vielleicht half es meine Angst ein wenig zu überspielen. Ich würde immerhin einmal eine Kriegerin der Bastet sein und mit meinem Fafa durch die Lande ziehen. Egal was sie von mir wollten, ich würde ihnen nicht nachgeben. „Lass mich gehen. Ihr habt nicht das Recht mich festzuhalten. Nur meine Göttin …“

„Deine Göttin ist hier machtlos“, sagte der General mit kalter, kratziger Stimme und ließ mich damit verstummen.

Liliana lächelte. „Willst du Papa, oder soll ich?“

„Nur zu mein Schatz.“

Mit fast freudiger Erregung sprang Liliana von der Anrichte und schlenderte lächelnd auf mich zu.

Ich versuchte ruhig zu bleiben und eine unbewegte Mine zu halten, als sie sich vor mir aufbaute und damit ihre Überlegenheit demonstrierte. „So, wir werden nun ein kleines Spiel spielen. Ich werde dir ein paar Fragen stellen und du wirst sie beantworten. Tust du das nicht, wird das Folgen haben. Hast du dir Regeln verstanden?“

Ich kniff die Augen leicht zusammen und schaute von einem zum anderen.

„Lilith, hast du verstanden was ich gesagt habe?“

Als ich ihr selbstgefälliges Lächeln sah und die Erwartungen die in ihren Augen lagen, wendeten meine Geistreden sich plötzlich in eine ganz andere Richtung.

Hatte Aman auch auf diesem Stuhl gesessen? Hatte sie mit ihm auch dieses Spiel gespielt? Allein die Erinnerung an den verstörten Ausdruck in Amans Augen ließ mein Herz in eine besorgniserregende Geschwindigkeit beschleunigen. „Was habt ihr mit Aman gemacht?“

„Oh nein.“ Liliana hob den Finger, als hätte sie in besonders unartiges Kind vor sich. „Die Regeln besagen, dass ich die Fragen stelle und du mir antworten musst, nicht anders herum.“

„Ich werde euch gar nichts sagen!“

Diese Erwiderung ließ ein Lächeln auf ihren Lippen erscheinen. „Ich habe gehofft dass du das sagen würdest.“

Mit wachsendem Unbehagen beobachte ich wie Liliana vom anderen Ende des Labors einen Stuhl holte und ihn direkt mir gegenüberhinstellte. Dann ließ sie sich selber darin nieder und musterte mich von oben bis unten. Meine blinden Haare, beine weiße Haut, meine Schmutzigen Füße. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du bei deinem letzten Besuch aber andere Kleidung getragen, oder?“

Ich schwieg, fragte mich aber woher sie das wusste. Bis gestern hatte ich diese Frau schließlich noch nie gesehen.

„Du hast das Spiel wohl immer noch nicht verstanden, oder? In Ordnung, weil du es bist, werde ich die Regeln noch ein letztes Mal wiederholen. Also: Ich stelle dir eine Frage, du antwortest auf diese Frage. Tust du es nicht, wirst du die Konsequenzen tragen müssen. Klar soweit?“

Natürlich verstand ich was sie von mir wollte. Aber davon abgesehen dass dies hier kein Spiel war, würde ich sicher nicht tun was sie von mir verlangte.

„Ich nehme das jetzt einfach mal als ja. Und damit es auch keine Verständigungsprobleme gibt, formuliere ich meine Frage noch einmal anders – nur für dich.“ Sie lächelte, als müsste ich ihr diese Aufopferung auch noch vergelten. „Warum haben du und deine ganzen kleinen Freunde sich verkleidet?“

Die Antwort darauf lag verborgen in meinen Geistreden, doch ich hütete mich davor, sie laut auszusprechen.

„Du verweigerst dich? Nun gut, dann trag die Konsequenzen.“ Als sie die Arme nach meinem Gesicht ausstreckte, zuckte ich reflexartig vor ihr zurück, doch die Fesseln hielten mich auf diesem Stuhl.

Liliana lächelte nur mitleidig über meine schwachen ausweichversuch, dann drückte sie ihre flachen Handflächen auf meine Schläfen und fixierte meinen Kopf damit.

Ihre Kraft überraschte mich und dadurch, dass sie mich mit dem Hinterkopf gegen die hohe Stuhllehne drückte, schaffte ich es auch nicht mehr ihr auszuweichen.

„Für das was jetzt folgt, bist du allein verantwortlich.“

Plötzlich sah mein geistiges Auge Destina vor sich, wie sie auf dem Parkplatz des Heilerhauses in die Geistreden des Generals eingedrungen war. Doch bevor sich mein Verstand mit der plötzlichen Erkenntnis näher befassen konnte, baute sich in meinem Kopf ein fürchterlicher Druck auf, der schon in der nächsten Sekunde barst.

Ich schrie.

Ich konnte mich nicht selber hören, denn von einem Moment auf den anderen hatte ich das Gefühl in meinem Kopf gefangen zu sein, doch ich spürte wie meine Kehle unter dem Schrei litt. Doch viel schlimmer waren die Bilder die durch meine Geistreden spuckten. Es war als würden sie aus jedem Winkel meines Verstandes mit brachialer Gewalt gezerrt werden, um völlig durcheinander durch meinen Geist zu schwirren. Wortfetzen vergangener Gespräche spuckten durch meinen Kopf. Es gab keine Zusammenhänge, keinen Sinn. Ich konnte nichts fassen. Alles rauschte wie Rauch durch meinen Geist, kam und ging.

Doch dieser Schmerz war allgegenwärtig.

Ich sah mich selber als kleines Kätzchen bei meiner Mina auf dem Schoß. Dann rannte ich mit Gillette und Anima durch den Wald. Mein Fafa strich mir eine Strähne hinters Ohr. Meine Erste Begegnung mit dem General, der Augenblick in dem ich Sian bekam, wildgewordenes Geflügel, das mich auf dem Hof meiner Mina verfolgte, weil ich das Ei klauen wollte. Amans Augen, ein Gespräch mit den Priestern in der Kammer der Synode, Licco der mir in die Seite pikst und Migin an seinem letzten Abend bevor er verschwunden war. Der Besuch bei den Elfen, Unisum beim Stallausmisten. Das Gespräch mit Priesterin Tia, in dem wir die Kleidung besprachen, die wir auf der Erde tragen würden, Aman, der …

Das letzte Bild entglitt mir, als der Schmerz mit einem Schlag nachließ.

Mein Atem ging hektisch, mein Herz schlug viel zu schnell und Spuren von Tränen zogen sich über meine Wangen. Doch viel schlimmer war der zurückbleibende Schmerz in meinem Kopf. Es fühlte sich an, als hätte jemand versucht meine Geistreden mit Krallen herauszureißen und dabei alles Unnütze zerstört.

Liliana jedoch lächelte nur mal wieder. Ihre Hände sanken entspannt in ihren Schoß. „Ihr wolltet so aussehen wie die Menschen, deswegen habt ihr euch alle angezogen, als gehört ihr einer Sekte an.“ Sie schnaubte belustigt. „Nur so als kleiner Hinweis. Ihr könnt euch verkleiden wie ihr wollt, ihr werdet niemals als Menschen durchgehen, dafür seid ihr einfach zu anders.“

Oh Göttin, sie war in meinem Kopf gewesen, in meinen Geistreden, so wie Destina es damals bei dem General getan hatte und doch ganz anders.

Ich erinnerte mich noch genau an die Kälte und die pure Magie, die in der Luft vibriert hatte. Und auch daran, dass Destina dazu ihren Körper verlassen hatte und in sich zusammengesackt war.

Liliana hatte nichts dergleichen getan. Sie schien sich nicht einmal besonders angestrengt zu haben, von Erschöpfung keine Spur.

Hatte ich vorher geglaubt Angst zu haben, so hatte ich mich getäuscht, denn was ich nun verspürte, kam nicht im Mindesten an das vorherige Gefühl heran.

Dieser Zauber schien ihr so leicht gefallen zu sein, wie ein Händeschütteln. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, welche Macht sie besitzen musste. Aber mir wurde klar, dass sie die Kraft hatte jedes meiner Geheimnisse zu ergründen. Und nicht nur von mir, auch von jedem anderen Natis der Götter. Ich war ihr haltlos ausgeliefert.

„So, jetzt hast du die Konsequenzen erlebt und ich hoffe es war dir eine Lehre. Beantworte mir einfach meine Fragen, dann muss ich das nämlich nicht noch mal tun, außer natürlich ich habe das Gefühl, dass du mich anlügst.“

Oh Göttin. „Warum?“, fragte ich leise. Meine Stimme war vom Schreien rau geworden und noch immer liefen mir vereinzelte Tränen über die Wangen. „Warum tun Sie das?“

„Na warum wohl? Weil ich die Wahrheit wissen will. Aber es ist wirklich lästig in die Gedanken anderer Leute einzudringen. Da kommt immer so viel Müll mit raus. Das ist wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber wenn es nicht anders geht, werde ich es wieder tun.“

Es war eine Drohung auf weiteren Schmerz und ein Versprechen an ihr handeln. Auf die eine oder andere Art würde sie alles erfahren was sie wissen wollte und ich konnte nichts dagegen tun.

„In Ordnung.“ Sie lehnte sich auf ihre Ellenbogen und beugte sich mir damit ein wenig entgegen. „Da wir die Kleiderfrage nun geklärt haben, wenden wir uns wichtigeren Themen zu. Zuerst einmal: Warum bist du wieder hier und das gleich mit einer kleinen Armee?“

Mein Atem wurde hektischer und mein Herzschlag beschleunigte sich wieder. Wenn ich nicht antwortete, würde sie ein weiteres Mal in meine Geistreden eindringen. Das wollte ich nicht. Nicht nur weil es scherzte wie nichts anderes auf der Welt, ich wollte sie auch nicht meine Vergangenheit sehen lassen. Das war etwas privates, etwas das nur mir gehörte und auf das niemand ein Anrecht hatte – nicht wenn ich es nicht freiwillig preisgab.

Mein Bick schnellte zum Kriegergeneral, dem die Genugtuung ins Gesicht geschrieben stand. Er billigte dies hier. Vermutlich freute es ihn sogar mich leiden zu sehen.

„Ich gebe dir noch genau zehn Sekunden um zu antworten. Wenn du deinen Mund bis dahin nicht geöffnet hast, hole ich mir die Antwort selber. Die Entscheidung liegt bei dir.“

Ohnmächtige Wut brauste in mir auf. Wie konnten diese Leute sich das Recht herausnehmen, so etwas mit einem anderen Wesen zu tun? Hatte auch Aman das durchleide müssen?

„Die Zeit läuft.“

Ich hoffte sie sah den Hass in meinen Augen. „Wir sind gekommen um die Natis der Götter in die Heimat zu bringen. Dies hier ist kein Ort für sie.“

„Die Natis der Götter?“

„Wesen wie du!“ Diese Worte spuckte ich ihr entgegen, denn jemanden wie sie zu retten, widerte mich an. „Die Gefangenen von Belua. Sie gehören nicht hier her.“

Halbwegs interessiert neigte Liliana den Kopf leicht zu Seite. „Und du glaubst sie wären einfach so mit dir gegangen? Oder hattet ihr vor sie gegen ihren Willen mitzunehmen?“

„Wir sind nicht wir ihr!“

Diese Aussage schien sie zu belustigen. „Doch Lilith, genau das seid ihr. Ihr fallt in ein fremdes Land ein und versucht ihm eure Regeln aufzuzwingen.“

„Wir haben niemals versucht jemanden etwas aufzuzwingen. Wir haben immer nur wieder nach Hause gewollt.“

„Und doch seid ihr nun wieder hier um Leute zu holen, die gar nicht mit euch mitgehen wollen.“ Sie beugte sich mir noch ein wenig entgegen. Ich konnte ihren Atem riechen. Minze. „Diese Leute sind hier aufgewachsen. Diese Einrichtung bietet ihnen Schutz, den Komfort eines normalen Lebens und alles was sie für sich und ihre Familien brauchen.“

„Nur keine Gesundheit.“

Diese drei Worte wischten ihr das Lächeln aus dem Gesicht.

Leider konnte ich daraus keine Genugtuung ziehen, denn HR war hier ein ernstzunehmendes Problem. „Auf Silthrim können sie genesen. Dort werden ihre Familien nicht sterben.“

„Hättest du nicht das Tigerauge gestohlen, könnten sie auch hier leben.“

„Ich habe es nicht gestohlen! Es gehörte euch nicht!“

„Das ist Ansichtssache.“ Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Da wir aber schon einmal beim Thema sind: Was ist mit dem Tigerauge geschehen? Wir haben es nicht finden können.“

Sollte das heißen, sie hatten mich und die andren Krieger während unserer Bewusstlosigkeit durchsucht? Natürlich hatten sie das. Auch die Krieger von Silthrim würden das mit dem Feind machen. Nicht um sich an ihm zu bereichern, sondern einfach um eine mögliche Gefahr auszuschließen.

„Muss ich wieder in deine Gedanken eindringen?“, fragte sie ungeduldig, als ich nicht sofort antwortete.

„Es ist genau dort wo es sein sollte: Auf Silthrim im Tempel der Bastet.“ Dieses Mal war ich es, die sich ihr ein wenig entgegen lehnte. „Unerreichbar für euch.“

Ein Knall ließ meinen Kopf herumwirbeln.

Der Kriegergeneral hatte ein Glas von der Anrichte gefegt. Es war runter geknallt und zersprungen. Auf dem Boden breitete sich eine kleine Pfütze aus. „Du lügst“, krächzte er mit rauer Stimme.

„Ich spreche wahr.“

„Du brauchst das Tigerauge um zurück nach Silthrim zu kommen! Du musst es bei dir haben!“

Nein, wäre alles nach Plan verlaufen, hätte ich das Tigerauge nicht gebraucht. Doch nun sah es anders aus. Unser Portal war kaputt. Niemand würde auf diesem Weg zurück nach Hause kommen. Aber hieß das auch, dass auch, dass das Portal hier in Belua nicht mehr funktionierte? Was würde geschehen, wenn die Priester versuchten uns zu erreichen? Würden sie hier landen? Oh Göttin!

„Antworte mir! Wo hast du es versteckt?!“, schrie der General mich an.

„Papa, beruhig dich.“, bat sie ihren Fafa und funkelte mich dann an. „Und du hast jetzt noch mal die Möglichkeit eine Antwort zu überdenken. Sag uns wo das Tigerauge ist, oder ich finde es alleine heraus.“

„Ich habe es bereits gesagt!“

„Falsche Antwort.“ Liliana rutschte an die Kante ihres Stuhls und griff nach meinem Kopf.

Ich schaffte es ihr auszuweichen. „Ich spreche wahr, das Tigerauge ist im Tempel meiner Göttin!“ Meine Stimme zitterte. Sie mussten mir glauben.

Aber das taten sie nicht.

Als ich Liliana ein zweites Mal auswich, stand sie auf und packte meinen Kopf.

Ich hatte Angst. Ich wusste was geschehen würde und fürchtete mich davor. „Bitte, glaubt mir.“

Sie glaubten mir nicht.

Liliana begann wieder an meinem Geist zu reißen.

Ich schrie solange, bis mir die Kraft dazu fehlte.

 

°°°°°

Kapitel Sechzehn

 

Fast geistesverloren strich ich über die roten Male an meinen Handgelenken. Spuren der Folter, festgehalten auf meiner Haut. Ich hatte mich gegen die Fesseln gewehrt, hatte versucht vor dem Eindringen in meinen Geist zu fliehen. Es hatte nichts gebracht.

Es wird heilen, sagte ich mir im Stillen. Zumindest die Oberflächlichen Spuren, doch nicht das Grauen, das Liliana in meinem Kopf angerichtet hatte.

Mit jedem Eingriff in meine Vergangenheit waren die Qualen größer geworden. Ich wusste nicht wie viele meiner Erinnerung sie sich zu eigen gemacht hatte, doch schon eine war viel zu viel. Es gab Dinge die tat man einfach nicht.

Und es hatte weder dem General noch Liliana etwas gebracht, denn sie hatte feststellen müssen, dass ich die Wahrheit gesagt hatte. Dennoch war sie immer und immer wieder in meinem Kopf eingedrungen. Entweder hatte sie sich wirklich noch eine wertvolle Information erhofft, oder sie hatte es aus reiner Boshaftigkeit getan. An der Folter schien sie Freude gehabt zu haben. Sie hatte sich viel Zeit genommen und war sehr ausdauernd und gründlich vorgegangen. Und ich hatte mich dieser Schmach einfach nicht entziehen können – nicht bis sie der Meinung war, sie sei nun mit mir fertig.

Schwer einatmend ließ ich mein Hände in meinen Schoß sinken und schaute zu Tarpan. Er lag neben mir auf dem Boden, einen Arm unter den Kopf geschoben. Seine Augen waren geschlossen, doch ich war mir nicht sicher, ob er wirklich schlief. Ich jedenfalls konnte nicht schlafen – so wie viele der anderen Krieger in diesen Zellen.

Ich wusste nicht genau wie lange wir bereits hier waren, doch es mussten Stunden vergangen sein. Ohne Fenster die mir einen Blick nach draußen ermöglichten, war das unmöglich einzuschätzen. Doch sie hatten das Abendessen bereits gebracht und die meist unangerührten Reste auch wieder abgeholt. Das war bereits einige Zeit her. Wenn ich mich also nicht allzu sehr täuschte, musste es mitten in der Nacht sein. Leider half mir diese Erkenntnis auch nicht weiter.

Im Moment konnte mir gar nichts helfen.

Mein Blick schweifte durch die Gitter zu Vinea. Stunden vor dem Abendmahl hatten sie Rigo geholt. Noch während er rausgezerrt worden war, hatte Vinea sich ans Gitter gesetzt und ihm hinterhergeblickt. Und er war auch nicht der einzige den sie geholt hatten. Nur war er der einzige, der bis jetzt noch nicht zurückgekommen war und so saß Vinea noch immer an derselben Stelle und wartete darauf, dass sie ihn wieder in seine Zelle brachten.

Ich zweifelte daran ihn wieder zu sehen.

Ich wusste nicht was sie mit ihm getan hatten. Ich wusste auch nicht was sie mit den anderen gemacht hatten. Wurden sie nur befragt? War Liliana auch in ihren Geist eingedrungen? Manche waren mit einem verstörten Gesichtsausdruck zurückgekehrt. Andere waren wütend, oder in sich gekehrt. Verschlossen. Ich wusste nicht mal was sie Aman angetan hatten und bisher hatte ich mich auch noch nicht getraut ihn zu fragen. Er hatte so verloren und verstört gewirkt. Ich war mir nicht sicher ob ich wirklich wissen wollte, was ihm wiederfahren war.

Ich warf ihm einen vorsichtigen Blick zu. Wie Vinea hockte er am Gitter. Vermutlich um näher bei seiner Sicuti zu sein. Oder weiter weg von mir.

Nein, es war falsch, dass ich nicht wissen wollte, was mit ihm geschehen war. Ich wollte es wissen – unbedingt. Ich war mir nur nicht sicher, ob er es mir sagen würde. Und diese Ungewissheit war der Grund dafür, warum ich zögerte zu fragen. Ich glaubte nicht, dass ich eine weitere Zurückweisung im Augenblick verkraften würde.

Aber er wirkte so einsam, verloren.

Ich wusste es wäre besser es zu lassen. Er hatte mich in den letzten Tagen oft genug zurück gewiesen. An den Regeln unserer Kultur ließ sich einfach nicht rütteln und er hielt an ihnen fest, wie jedes Wesen auf Silthrim es tun sollte. Und doch schob ich meine Hand über den Boden, um sie auf seine zu legen.

Nur der Hauch einer Berührung reichte aus und er riss sie fort, als würde ihn dieser Kontakt vergiften.

Ich versucht mir den Stich des Schmerzes nicht ansehen zu lassen, als sein Blick zu mir herumwirbelte, aber es tat weh. Genau wie die Distanz in seinen Augen.

„Tut mir leid“, flüsterte ich. „Ich geistredete nur … ich …“

„Schon gut.“ Er richtete seinen Blick wieder auf seine Sicuti, die noch immer in den leeren Gang starrte.

„Nein, ist es nicht, nur …“

„Wir müssen einen Weg hier raus finden“, unterbrach er mich so hastig, als wollte er verhindern, dass ich meine Worte über die Lippen brachte. Vielleicht fürchtete er sich vor dem was ich sagen könnte. Vielleicht war er es aber auch einfach nur leid sich meine Reden und mein Drängen immer und immer wieder anhören zu müssen. Dabei wollte ich doch eigentlich nur … ich wusste eigentlich gar nicht so genau was ich gerade wollte.  

Die Distanz zwischen und schien mit jedem verstreichenden Moment größer zu werden.

Ich biss mir auf die Lippe und versuchte den Schmerz zu verdrängen.

„Es muss ein Weg geben uns zu befreien“, sagte er wie zu sich selber, doch dann richtete sich sein Blick wieder auf mich. „Lilith, geistrede nach“, drängte er mich. „Du bist die einzige die schon einmal hier war und du bist bereits einmal entkommen. Wie kann uns das auch gelingen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“

„Du musst es aber wissen.“ Er löste sich von seinem Platz am Gitter und rückte etwas näher zu mir. „Du hast hier gelebt, du bist durch diese Gänge gelaufen. Niemand von uns kennt sich hier so gut aus wie du.“

Wieder schüttelte ich den Kopf. „In diesem Teil der Anlage war ich nie gewesen. Ich wusste nicht das es ihn gibt, bis wir hier aufgewacht sind.“

„Aber du weißt jetzt, wo wir uns befinden, oder?“, drängte er weiter auf mich ein. „Du weist …“

„Ich weiß gar nichts!“, fauchte ich ihn.

Das war das Zeichen für Aman zu verstummen.

Göttin, warum verstand er es denn nicht? „Ich weiß nicht wo genau wir sind, ich weiß nicht was ich tun kann, um uns zu retten. Ich weiß gar nichts.“ Ich wusste nur, dass ich so unnütz war wie immer.

Langsam begann die Verzweiflung ihre Krallen in meinen Geist zu schlagen. Aman hatte Recht, ich müsste all das wissen. Ich war es die sie auf die Erde geführt hatte. Ich führte diese Krieger. Und ich war völlig nutzlos. „Ich weiß es wirklich nicht.“

Ich konnte geradezu hören, wie die anderen Krieger unseren Reden lauschten.

Mein Blick ging an Aman vorbei zu Vinea, weiter zu John und Pascal. Noah saß noch immer in der Ecke. Er schien wie erstarrt – innerlich und äußerlich. Das getrocknete Blut an seiner Kleidung erinnerte mich nur zu deutlich an den Moment, in dem er die tote Jacqueline an seine Brust gedrückt hatte.

Ihr größter Wunsch war es gewesen frei zu sein und unbeschwert durch die Lüfte gleiten zu können. Sie hatte sie auf die Reise nach Silthrim so gefreut. Und jetzt? Jetzt war sie einfach nicht mehr da.

Jacqueline hätte vielleicht gewusst, was wir tun könnten. Aber ich wusste es nicht.

„Es muss aber eine Möglichkeit geben“, sagte Aman leise und eindringlich.

Ich schaffte es nicht seinem Blick standzuhalten. Er schien noch immer leicht verwirrt, vielleicht sogar ängstlich? Wieder fragte ich mich, was Liliana ihm wohl angetan hatte.

Ich ließ den Kopf sinken. „Glaubst du nicht ich würde es sagen, wenn ich eine Möglichkeit sehe? Aber ich weiß einfach nicht was ich tun soll.“ Meine Stimme war so leise, dass selbst ich sie kaum verstand. „Alles ist so schief gelaufen und ich kann gar nichts dagegen unternehmen.“

„Du darfst nicht aufgeben“, flüsterte Aman.

Ich schaute ihn nicht an, daher war ich ein wenig überrascht, als seine Finger mich an der Hand berührten.

„Du willst einmal eine Kriegerin sein und Krieger geben nicht so einfach auf.“

Ich wagte es nicht ihm in die Augen zu blicken, beobachtete stattdessen meine Finger, die sich mit seinen verschränkten.

Vielleiht wollte er mich nur trösten, so wie er es getan hatte, bevor Liliana in dem alten Gebäude aufgetaucht war. Vielleicht hoffte er aber auch einfach nur, dass mich diese Berührung anspornte. Ich war mir absolut nicht sicher, was er damit bezweckte, doch im Moment schien er mein Anker zu sein, der mich davor bewahrte, in einen Strudel aus Dunkelheit und Verzweiflung zu versinken.

„Krieger geben nicht auf“, wiederholte er leise, drückte meine Hand noch einmal und zog sich dann wieder ans Gitter zurück.

Ich konnte nichts anderes tun als ihn gehen zu lassen. Die Kluft zwischen uns war nach wie vor da. Sie schien sogar noch größer geworden zu sein. Und doch schmerzte der Verlust seiner Nähe, genau wie die Nähe an sich. Aber er hatte auch Recht. Ich durfte nicht aufgeben. Egal wie aussichtslos diese Situation erschien, denn wer aufgab hatte bereits verloren. „Ich weiß nicht wie …“ Ich biss mir auf die Lippe und plötzlich kamen ganz andere Worte aus meinem Mund, als in meinem Geist herumwirbelten. „Was hat Liliana dir angetan?“

Seine Schultern versteiften sich kaum merklich und sein Gesicht wurde ganz starr. „Sie haben mir deine Vergangenheit gezeigt.“

Bitte?

„Meine? Ich versteh nicht.“

„Ich auch nicht“, sagte er sehr leise, verschränkte die Arme vor der Brust und richtete seinen Blick starr auf seine Brester.

Am liebsten würde ich nachbohren, doch ich war mir bewusste, dass er mir keine weiteren Antworten mehr liefern würde. Seine ganze Haltung sprach von Ablehnung. Vielleicht lag es nur daran, dass wir hier nicht alleine waren und hier jeder unseren Worten lauschen konnte. Doch ich glaubte eher, dass es an mir lag.

Aman wollte nicht hier bei mir sein. Seit der Zurücksetzung der Zeit wollte er gar nichts mehr von mir. Und ich wusste nicht mehr, wie ich ihn umstimmen sollte.

So sehr diese Geistrede auch schmerzte, in einer Sache aber behielt er recht: wir mussten hier unbedingt raus.

 

°°°

 

„… sie hat mich angelächelt und ich hab nicht mehr auf meinen Weg geachtet.“

Ich hörte Tarpan kaum zu. Viel zu sehr waren meine Geistreden mit unserem Problem beschäftigt. Ich verstand dass er mich ablenken wollte, doch das half uns nicht weiter. Wir mussten hier raus. Aber wir waren eingesperrt. Von hier drinnen konnte ich nichts tun, dafür kannte ich mich in Belua einfach zu wenig aus. Wenn wir nur jemanden hätten … die Erleuchtung kam mit der Geschwindigkeit eines Zentauren auf mich zu.

„Und dann war da dieser Baum und ich habe nicht auf meinen Weg geachtet. Ich spürte nur noch …“

„Das ist es“, flüsterte ich.

Tarpan stockte und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Du musst lauter sprechen, sonst verstehe ich dich nicht.“

„Noah“, sagte ich und spürte wie die Lebensgeister in mich zurückkehrten. „Noah weiß es, wir brauchen ihn!“

Als ich auf die Beine sprang und ans Zellengitter rannte, schaute er mir nur verständnislos hinterher. Doch dadurch dass ich plötzlich in Bewegung geriet, wurde auch Aman auf mich aufmerksam. Zum ersten Mal seit er sich in der Nacht von mir abgewandt hatte, beachtete er mich nun wieder. Leider konnte ich dieses Gefühl im Moment nicht auskosten, die Lösung unserer Probleme war einfach viel zu nahe.

„Noah.“ Ich drückte mein Gesicht beinahe am Gitter platt, während ich versuchte ihn besser sehen zu können. „Noah“, rief ich ihn ein weiteres Mal.

Die ganze Nacht hatte ich darüber gegrübelt, wie wir uns aus dieser Lage befreien konnten und mir war sehr schnell klar geworden, dass ich das niemals alleine schaffen würde. Ich brauchte Hilfe. Doch dieses Mal war es niemand aus meinem Volk, der dafür infrage kam. Nein, nicht mal aus Silthrim. Ich brauchte jemanden von der Erde, jemanden, der sich mit den Gegebenheiten in Belua auskannte. Die Lösung war die ganze Zeit so nahe gewesen. Warum nur war ich nicht früher darauf gekommen?

„Lilith?“ Tarpan erhob sich von seinem Platz und trat an meine Seite. „Was ist los?“

Ich beachtete ihn nicht. Meine Konzentration galt alleine dem Elfen. Er sah blass aus, noch blasser als gestern. Es ging ihm nicht gut. Hatte er seit er hier eingesperrt war überhaupt etwas gegessen? Getrunken? Bewegt jedenfalls hatte er sich nicht. „Noah, so hör doch, wir brauchen deine Hilfe.“  

John schaute mich einen Moment an, wandte sein Gesicht dann jedoch Noah zu, der mit keiner Regung zu erkennen gab, ob er meine Stimme überhaupt wahrnahm. 

„Noah, bitte. Du kennst dich hier aus. Du weißt wie wir hier rauskommen. Ich weiß dass du es weißt. Du musst uns helfen.“

Meine Worte erregten die Aufmerksamkeit der anderen Krieger. Ich hörte wie sie sich in ihren Zellen erhoben, ich sah die Hoffnung in Vineas Blick aufleuchten und selbst Aman kam auf die Beine und stellte sich neben mich um den ehemals Grünen Krieger zu betrachten. Nur Noah reagierte nicht. Er schien mich nicht mal zu hören.

„Noah, bitte.“ Er musste mich einfach hören. Ich war sicher dass er das tat, ich musste ihm nur eine Reaktion entlocken. Nur wie? „Du warst immer ein rechtschaffender Mann. Dir ist Gewalt und alles was damit zusammenhängt zuwider, das weiß ich. Du hast mich so oft gebeten dich nicht zur Gewalt zu zwingen und jetzt willst du das hier alles einfach zulassen?“ Ich wartete einen Moment, hoffte endlich auf eine Reaktion, doch da kam nichts. „Sie foltern uns, Noah, sie halten uns gefangen und ich weiß dass du das nicht gut findest.“ Ich zögerte einen Moment, sprach die letzten Worte dann aber doch aus. „Ich weiß das Jacky das nicht gut finden würde.“

Seine Lippen wurden zu einem dünnen strich.

Ja, endlich ein Lebenszeichen. Jetzt durfte ich nur nicht nachlassen. „Jacky würde das hier nicht zulassen, sie würde alles tun um uns zu helfen, weil sie einfach so war. Und sie würde auch dein Verhalten nicht gutheißen.“ Ich schob Tarpan ein wenig zur Seite, um ihn besser sehen zu können. „Sie würde wollen dass du uns hilfst. Und wir würden auch dir helfen. Du kannst mit uns nach Silthrim kommen und …“

„Sei still.“

Seine Worte waren so leise, dass ich sie fast überhört hätte. Und seine Stimme. Sie war so kratzig und schwer, ganz anders als in meiner Erinnerung. Aber ich konnte auf seinen Wunsch nicht eingehen, dafür waren wir einfach viel zu sehr auf ihn angewiesen. „Noah, wenn du uns hilfst helfen wir auch dir. Jacky würde wollen, dass ich dir …“

„Sei still hab ich gesagt!“, schrie er plötzlich und sprang auf die Beine. „Nimm ihren Namen nicht in den Mund!“

Nun verstummte ich doch.

„Es ist deine schuld!“, warf er mir vor. „Wärst du nur niemals hier aufgetaucht, dann würde sie noch leben!“

So schwer mich dieser Vorwurf traf, konnte ich ihm jedoch nicht wiedersprechen. Nur eines gab es hier noch zu sagen. „Du warst es der mich hergebracht hat.“

Noah entglitt jeglicher Gesichtsmuskel. Er starrte mich nur an mit einem Entsetzten in den Augen, als wäre ihm diese Geistrede vorher nie gekommen.

Und mir tat es Leid ihn mit der Nase darauf gestoßen zu haben. „Noah, ich …“

„Zeit ist ohne Bedeutung“, flüsterte er und ließ mich damit ein weiteres Mal verstummen. „Du hast mir versprochen dass ich sie zurückbekommen und bist dann durch dieses Tor gestiegen. Warum hast du das getan?“

Diese wenigen Worte klangen so verzweifelt, dass selbst mein Herz schmerzte.

Erst als er sich über die Augen wischte, bemerkte ich den feuchten Schimmer darin. „Ich habe dir geglaubt, Lilith. Ich habe mich an deine Worte geklammert, weil ich gesehen habe, zu was du fähig bist.“

„Ich weiß nicht …“

„Er ist auch wieder da!“ Anklagend deutete er auf Aman. Sein Finger zitterte dabei. „Ich habe diesen Mann mit eigenen Augen sterben sehen und nun steht er wieder da.“

„Das ist …“

„Gib sie mir zurück, Lilith.“

Ich wollte es tun. Wenn es in meiner Macht gestanden hätte, würde ich dafür sorgen, dass er Jacqueline zurückbekam. Aber … „Ich kann nicht.“

„Doch, du kannst!“ Mit zwei schnellen Schritten war er am Zellengitter. Er achtete nicht mal darauf, dass er dabei fast Pascal trat. Sein Blick galt alleine mir. „Du willst meine Hilfe?“ Seine Finger klammerten sich fast verzweifelt um die Stäbe. „Ich werde dir helfen. Ich werde euch allen helfen. Aber zuerst gibst du mir Jacky wieder.“

Oh Göttin. „Noah …“ Ich verstummte als Tarpan an mich heran rückte und sich leise zu meinem Ohr vorbeugte.

„Stimme ihm zu“, flüsterte er kaum hörbar.

Verwundert schaute ich zu ihm auf.

„Sag ihm, er bekommt sie wieder, wenn er uns hilft.“

Bitte was? „Aber …“

Ein durchdringendes Summen, das durch den Gang hallte, ließ mich ein weiteres Mal verstummen. Die Tür zu diesem Sektor wurde geöffnet und ein Dutzend Grüner Krieger traten in den Zellengang.

Wie in einem Kollektiv traten die Krieger von dem Gitter zurück. Nur Noah blieb wo er war und flehte mich mit seinen Blicken an.

Ich öffnete den Mund, wollte ihm sagen, dass ich ihm Jacqueline zurückgeben würde, wollte ihm sagen, dass ich es nicht konnte, weil der Zauber auf Silthrim hier nicht funktionierte. Im Endeffekt sagte ich gar nichts und sah nur zu, wie die Grünen Krieger mehrere Servierwagen in den Gang fuhren und damit begannen wortlos das Frühstück auszuteilen. Unter ihnen befand sich auch wieder die grüne Waldnymphe war wieder unter ihnen.

„Sarah“, sagte ich mich auf ihren Namen besinnend.

Sie hielt einen Moment inne, als sie eines der Tabletts aus dem Servierwagen zog uns schaute mich an, senkte den Blick aber genauso schnell wieder.

„Wie kannst du das tun?“, fragte ich sie. „Wie könnt ihr alle das tun?!“

Keiner beachtete mich und das machte mich wütend.

Ich rüttelte am Gitter, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, doch sie arbeiteten unberührt weiter und verteilten die Tabletts. „Der General ist grausam. Er tötet euresgleichen ohne mit der Wimper zu zucken!“

Ich schaute von links nach rechts, verstand nicht, warum ihnen das so gleichgültig war und rüttelte wieder am Gitter. „Er foltert uns! Er will nur Macht, das Leben ist ihm völlig egal!“

„Sei ruhig“, forderte einer der Grünen Krieger und schob gegenüber ein Tablett zu Vinea in die Zelle.

„Nicht mal meine Göttin könnte mich zum Schweigen bringen, nicht solange ihr die Wahrheit nicht …“

Sie Waldnymphe Sarah erschien so plötzlich auf der anderen Seite des Gitters, dass ich vor Schreck einen Schritt zurück wich. „Es bringt dir nichts hier so rumzuschreien.“

„Es bringt mir eure Aufmerksamkeit“, erwiderte ich ruhig und sah ihr fest in die Augen. „Es bringt euch vielleicht dazu geistzureden.“

Der Ausdruck in ihren Augen war fast mitleidig. „Wir haben unsere Befehle“, sagte sie nur leise und bückte sich, um das Tablett durch den Spalt zwischen Boden und Gitter zu schieben. „Und niemand von uns wird gegen sie verstoßen.“

Das würden wir noch sehen. „Blinder Gehorsam ist etwas für die Schwachen.“

Jegliches Mitleid verschwand aus ihrem Blick.

Göttertod. „Ist es dir gleich, was er mit Jacky getan hat? Berührt es dich nicht, dass er Noah hier eingesperrt hat?“

„Noah wusste was sein Handeln für Folgen haben würde“, sagte sie fast kalt und wäre da nicht dieses Zucken in ihrem Augenwinkel gewesen, ich hätte es ihr vielleicht sogar geglaubt.

„Aber es ist nicht gerecht“, drang ich weiter in sie ein.

„Jeder muss sich an Regeln halten.“ Mit diesen Worten drehte sie sich herum und nahm das nächste Tablett aus dem Servierwagen.

Ich suchte nach Worten. Wenn sie mi nur weiter zuhörte, würde sie sich vielleicht umstimmen lassen. Aber mir wollte nichts einfallen. So musste ich hilflos dabei zusehen, wie sie das Essen verteilten und ihre Wagen dann langsam wieder hinaus fuhren.

Ich schaute der Nymphe hinterher, rang nach Worten, doch erst als sie bereits zur Tür hinaus trat, kam mir etwas in den Sinn. „Ich weiß wie man HR heilen kann!“, rief ich so laut ich konnte.

Die Reaktion kam prompt. Sarah wirbelte zu mir herum und starrte  mich einen Augenblick so intensiv an, dass ich ihre Geistreden fast hören konnte. Spricht sie wahr? Kennt sie wirklich ein Heilmittel?

Ich hoffte darauf, dass sie noch einmal zu mir kommen würde, doch dann schlichen sich Zweifel in ihren Blick und als einer der Grünen Krieger sie dazu aufforderte endlich ihren Hinter hinaus zu bewegen, folgte sie dem Befehl ohne zu zögern.

Die Tür schloss sich mit einem durchdringenden Signalton.

„Sie hat reagiert“, sagte Aman leise und umfasste das Gitter.

„Vielleich ist in ihrer Familie jemand erkrankt“, überlegte ich.

„Es ist egal warum sie reagiert hat“, sagte Tarpan und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick richtete sich eindringlich auf mich. „Sie könnte die Möglichkeit sein, auf die wir die ganze Zeit gehofft haben.“

Mein Blick glitt zu Noah. Er war am Gitter in sich zusammen gesunken und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Nein, von ihm würden wir wohl keine Hilfe erhalten.

„Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit, die wir bekommen“, stimmte Aman meinem zukünftigen Collusor zu.

Ich drückte die Lippen zusammen. Falls in ihrer Familie wirklich jemand erkrankt war, so war das grausam. Doch es hinderte mich nicht daran, genau das zu tun, was nun nötig war. „Wenn sie unsere einzige Möglichkeit ist, dann werden wir sie ausnutzen.“

Tarpans Mund wurde zu einem breiten Grinsen. „Das nenne ich doch mal einen Plan.“

 

°°°°°

Kapitel Siebzehn

„In Ordnung, versuchen wir es noch einmal.“ General Silvano Winston ließ seine Finger fast zärtlich über die Fernbedienung seines Folterinstruments gleiten. „Und dieses Mal hoffe ich, dass deine Antwort mich zufrieden stellt, den meine Geduld mit dir ist ziemlich am Ende angelangt.“

Meine Brust hob ich unter meinem hastigen Atem viel zu schnell, doch die Angst vor dem Schmerz ließ mein Herz in dem Versuch aus meiner Brust zu einkommen viel zu schnell schlagen. Ich wusste nicht genau wie ich aussah, doch meine Augen mussten weit aufgerissen sein und ich konnte geradezu vor mir sehen, wie die Furch darin stand.

So lange war es gar nicht her, dass die Grünen Krieger mich aus der Zelle geholt hatten, um mich auf diese medizinische Liege zu schnallen. Ich wusste das es nichts Gutes zu bedeuten hatte, doch ich war viel zu sehr auf Sarah fixiert gewesen, um sie zur Hilfe zu bewegen, als darauf zu achten. Seit sie uns gestern Morgen das Frühstück gebracht hatte, war sie mir nicht mehr unter die Augen getreten, und deswegen hatte ich meine Chance beim Schopfe greifen wollen.

Ich war mir wohl auf bewusst, dass die Grünen Krieger mich nicht geholt hatten, um ein wenig Geistreden auszutauschen. Ich hatte mich innerlich bereits darauf vorbereitet gehabt, wieder Lilianas Marter ausgesetzt zu sein. Doch mit dem was mich in diesem Raum erwartete, hatte ich nicht gerechnet.

Heute war es nicht Liliana, die Antworten von mir verlangte, es war der General selber. Seine Tochter war anwesend, saß in der Ecke auf einem Stuhl, doch schienen sie meine Qualen eher zu langweilen.

Ich wusste nicht was genau es war, was der Kriegergeneral mit mir tat. Da waren mehre runde Plättchen auf meinen Körper geklebt, von denen lange Schnüre zu einer großen Maschine führten. Es war keine Magie. Kontrollierte Stromschläge, so hatte Silvano Winston es genannt.

Doch egal was genau es war, es tat fürchterlich weh und ja ich hatte Angst vor dem Schmerz. Mein ganzer Körper schmerzte bereits und ich wusste nicht, wie lange ich das noch aushielt.

„Also?“, fragte General Winston. „Was ist nun?“ Er sah nicht viel besser aus als noch vor zwei Tagen, doch seine raue Stimme hatte an Stärke gewonnen und die Bosheit stand ihm mehr denn je seinem verbliebenden Auge.

„Ich weiß es nicht.“

„Falsche Antwort.“ Er hob die Hand mit dem Auslöser.

„Nein, bitte, ich schwöre, ich weiß es wirklich nicht. Es war geplant, dass die Priester das Tor offen halten und wir dadurch zurück nach Silthrim gehen.“

„Aber das Tor wurde zerstört.“

Ich nickte hastig. „Und das andere Tor können sie nicht öffnen, denn sie kennen den Zugang nicht, den kenne nur ich und von dieser Seite aus kann ich das Tor nicht öffnen.“

Fast schon nachdenklich bedachte der Kriegergeneral mich mit seinem Blick. Er neigte den Kopf leicht zur Seite, musterte mich und drückte dann den Auslöser.

Ich schrie auf, als der Schmerz durch meinen Körper raste. All meine Nervenenden siedeten. Meine Natur verlangte von mir mich zu verwandeln, aber es ging nicht. Ich wusste nicht warum, aber eine Magie war mir versperrt und das machte mir noch viel mehr Angst.

Die Marter dauerte nicht lange, nur ein paar Sekunden, doch es fühlte sich an, als würde ich ewig in diesem Schmerz baden.

Selbst als der General den Auslöser wieder sinken ließ, zuckte mein Körper noch unkontrolliert. Ich konnte nichts dagegen tun.

Meine Sicht war verschwommen, was nicht nur an den Tränen in meinen Augenwinkeln lag.

„Ich glaube dir nicht“, sagte der General und machte es sich in seinem Rollstuhl ein wenig bequemer. „Auch beim letzten Mal hast du gesagt, dass du es nicht weist und bist dann doch durch das Portal gestiegen.“

„Ich schwöre bei meiner Göttin, dieses Mal ist es wahr.“ Mein Körper beruhigte sich langsam wieder, doch ich konnte nicht mehr. Es tat so furchtbar weh.

Liliana hob ihre Hand und gähnte gespielt übertrieben. „Das ist langweilig.“

„Offizier Winston, Sie vergessen sich“, ermahnte der General seine Tochter.

„Nein, das tue ich nicht. Was du da tust, bringt nur nichts. Sie wird uns nichts sagen, nicht auf diese Art.“

„Und was schlägst du stattdessen vor?“

Ein leises Lächeln schlich sich auf die Lippen der Hexe. Fast schon gemächlich stand sie von ihrem Stuhl auf und schlenderte zu meiner Liege hinüber. Und der Blick dabei … er gefiel mir absolut nicht. „Eigentlich ist es ganz einfach“, sagte sie leise, hob die Hand und strich mir eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht.

Ich weigerte mich vor dieser Berührung zurück zu schrecken. Niemals würde ich ihr meine Schwäche zeigen, dafür zeigte ich ihr aber meine Zähne, was sie noch breiter lächeln ließ.

„Lass deine Spielchen, Liliana und sag es mir einfach.“

„Immer so ungeduldig.“ Spielerich stupste sie mir gegen die Nase und wandte sich dann ihrem Fafa zu. „Wir kennen doch ihren Schwachpunkt.“

Ein sehr ungutes Gefühl stieg in mir auf. Ich wusste nicht was sie damit meinte, doch mir war bewusst, dass es nichts Gutes sein konnte.

Der General dagegen, schien genau zu wissen, worauf seine Tochter hinaus wollte. „Der junge Mann.“

„Von den Toten zurückgekehrt. Ihr einziger wirklicher Schwachpunkt.“

Oh Göttin, nein.

„Schnall ihn auf diesen Tisch und lass sie zugucken. Wenn sie deine Fragen nicht beantwortet, dann …“

„Nein!“, schrie ich und begann trotz meiner Schmerzen an den Fesseln zu zerren. Sie wollten Aman auf diesen Tisch legen? Bei Bastet, das durfte nie geschehen! „Bitte, ich sage die Wahrheit! Ich habe keine Ahnung, wie ich die Krieger zurück nach Silthrim führen soll!“

Liliana neigte ihren Kopf leicht zur Seite. „Wie schade dass wir dir deine Lügen nicht abkaufen.“

„Ich schwöre bei allem was mir wichtig ist, das ist die Wahrheit.“

„Das werden wir ja sehen.“ Sie beugte sich mir ein kleinen wenig entgegen. „Wenn dein kleiner Freund erst auf diese Liege geschnallt ist, dann …“

Als ein warmer Tropfen auf meine Wange fiel, unterbrach Liliana sich. Sie starrte ihn an, hob dann die Hand zu ihrer Nase und …

Blut.

Liliana blutete aus der Nase.

„Mist“, sagte sie und beeilte sich ein Tuch aus ihrem Beinkleid zu ziehen, um es sich ins Gesicht zu drücken.

„Liliana …“, begann der Kriegergeneral mit einer seltsamen weichen Stimme, wurde aber durch ihr rüdes: „Mir geht es gut“, sofort wieder unterbrochen.

Ich schaute zu ihr auf. Trotz allem war mir sofort klar, was hier gerade geschah. Ich hatte lange genug mit Jacky auf der Krankenstation gearbeitet, um dieses Symptom zu erkennen. „Du hast HR.“

Ihr giftiger Blick hätte glatt eine kreischende Harpyie vom Himmel geholt.

Es war wohl das falscheste was ich hatte tun können, doch ich begann zu lächeln. „Auf Silthrim haben wir ein Sprichwort“, sagte ich leise, doch ihre Aufmerksamkeit gehörte sofort mir. „Tust du mir ein ungerechtes Leid, so triff es dich.“

In ihren Augen flammte der Hass auf. „Sei still.“

Mein Verstand sagte mir ihren Worten Folge zu leisten, doch mein Mund machte sich selbständig. Endlich hatte ich etwas gefunden, womit ich ihr meinen Schmerz heimzahlen konnte. „Stößt du mich in eine Schlucht, so achte auf die Kante, sie könnte porös sein und auch dich mit hinunter ziehen. Wie vielen Wesen hast du wehgetan, um das zu verdienen?“

„Du sollst still sein, habe ich dir gesagt!“

Ja, das hatte sie.

Da kam mir eine Geistrede. „Deswegen wollt ihr die Göttermacht.“ Plötzlich stürmten tausend Erinnerungen auf mich ein. Als der General mich das erste Mal nach Belua gebracht hatte, war er auf meinen Handel eingegangen. Ich hatte ihm den Amethyst von Sachmets Volk im Tausch gegen das Tigerauge angeboten. Er war sehr schnell darauf eingegangen.

Ich hatte geglaubt, dass es ihm einfach egal war, welche Macht er in die Hände bekam. Und dadurch, dass ich ihm mit diesem Handel auch noch Zugang nach Silthrim verschaffen würde, hätte er sogar noch einen Bonifikation.

Aber nein, darum war es ihm gar nicht gegangen. Natürlich hatte ihm die Geistrede gefallen, Silthrim und seine Schätze zu finden, doch in erster Linie war es ihm um Sachmets Macht gegangen, denn nur die Macht dieser Göttin konnte sein Natis vor dem sicheren Tod retten.

Vielleicht wäre es schlauer, sie nicht weiter zu provozieren, doch nach allem was sie in den wenigen Tagen getan hatte, konnte ich einfach nicht anders. „Wo ist deine Mina?“, frage ich sie. „Bist du die erste die es hat, oder hat sie es dir gegeben?“

„Wenn du noch ein Wort sagst, dann werde …“

„Egal was du mir antust, nichts ist so schlimm, wie das was dich erwartet!“, fauchte ich sie an. „Du wirst sterben! Für dich gibt es keine Hoffnung! Du …“

Blitzschnell griff Liliana über die Liege und riss ihrem Fafa den Auslöser aus der Hand. Im nächsten Moment raste der Schmerz mit einer solchen Macht durch meinen Leib, dass ich nur noch schreien konnte um meiner Pein Ausdruck zu verleihen.

Ich schrie und schrie solange, bis meine Kehle wund wurde. Ich hörte erst auf, als die Bewusstlosigkeit mich aus meinem Leid befreite.

 

°°°

 

Es war dieser Blick, der mich langsam aus der Tiefe meiner Bewusstlosigkeit zog. Dieser Blick, den ich unter hunderten erkannt hätte. Nur Aman war in der Lage mich so intensiv zu beobachten.

Langsam zwang ich meine schweren Augenlider sich zu öffnen, doch meine Sicht war leicht verschwommen und so erkannte ich nur einen Schemen vor mir, der mit dem Rücken am Gitter lehnte. Aber mehr brauchte ich auch nicht, um ihn zu erkennen. Aman war so einzigartig, dass selbst seine Konturen sich mit niemand anderem vergleichen ließen.

Ich blinzelte, versuchte meine Sicht scharf zu stellen und bemerkte erst dann, den weichen Untergrund unter meinem Haupt. Das waren … Beine?

Jemand bewegte sich unter mir. „Lilith?“

Tarpan. Ich blinzelte erneut, drehte meinen Kopf leicht und gab ein unwillkürliches laut von mir. Diese kleine Bewegung tat weh.

„Beweg dich nicht.“ Eine Hand strich mir übers Haar. Unvertraut.

„Nein“, sagte ich leise. „Nicht.“

Tarpan stoppte, seufzte dann leise, folgte dann aber meinem Wunsch. „Wie geht es dir?“

„Ich weiß nicht.“ Langsam klarte mein Blick auf und ich konnte Aman in all seinen Einzelheiten erkennen. Das bunte, offene Haar, den verkniffenen Zug um seinen Mund, den argwöhnischen Blick mit dem er Tarpan bedachte. „Es tut weh“, sagte ich leise und versuchte mich aufzurichten.

Tarpan erkannte was ich vorhatte und half mir. Als er jedoch meine Schulter umfasste, konnte ich vor Schmerz ein Zischen nicht unterdrücken. „Bei Bastet, Lilith, was haben sie nur mit dir getan?“

„Silvano wollte Antworten.“ Fast gleichgültig zuckte ich mit den Schultern, nahm mir aber sogleich vor, es kein weiteres Mal zu tun, da es schmerzte. „Was ich ihm sagte, stellte ihn nicht zufrieden.“

Tarpans Lippen drückten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Er sah aus, als wollte er jemanden sehr wehtun.

Da ging es mir wie ihm. Was der General getan hatte … nein, Moment, das war ja gar nicht der General gewesen, sondern Liliana. Sie hatte …

Mein Blick schoss zu Aman. „Haben sie dich geholt?“

Er runzelte leicht die Stirn, schaffte es aber für einen Moment mir seinen Blick zuzuwenden und nicht weiter Tarpan zu erdolchen. „Nicht heute.“

Nicht … heute. „Das ist … gut.“ Glaubte ich zumindest.

Wenn dein kleiner Freund erst auf diese Liege geschnallt ist …

„Wir müssen hier so schnell wie möglich raus.“

„Erstmal müssen wir zusehen, dass du wieder auf die Beine kommst“, widersprach Tarpan mir.

„Es ist nicht schlimm, es …“

„Lilith“, unterbrach er mich. „Du hast im Schlaf gewimmert. Dein Fafa ist fast durchgedreht.“

Mein Fafa? Oh Göttin. „Es … geht schon.“

Seinem Blick nach glaubte er mir nicht. Und so wie Aman aussah, war er mit Tarpan einer Meinung. „Was haben sie mit dir gemacht?“, fragte er mich erneut.

Ich biss mir auf die Unterlippe, während die Bilder der Marter wieder auf mich einströmten. „Er nannte es Stromschläge.“

In der Zelle nebenan sog Luan scharf die Luft an. „Folter“, flüsterte er.

Ja, so hatte es sich angefühlt.

Tarpan gab ein leises Knurren von sich. „Zeig es mir.“

Am liebsten hätte ich abgelehnt, aber er hatte Recht. Wenn wir entkommen wollten, musste ich all meine Sinne beieinander haben. Der Schmerz lenkte mich zu sehr ab. So warf ich Aman einen kurzen Blick zu und ließ mir dann von Tarpan aus dem Oberteil meiner Kleidung helfen.

Das war ich dort zu sehen bekam, erschreckte mich selber. An drei Stellen war die Haut rußig, verschorft und unrein. Wunden, die leicht nässten und die Haut drumherum in einem tiefen Rot leuchten ließ.

„Oh Göttin“, hauchte Tarpan.

„Wie schlimm ist es?“, hörte ich meinen Fafa leise aus den Tiefen des Ganges fragen.

Ich biss mir auf die Zunge und flehte Tarpan mit Blicken an, ihm nichts zu sagen. Ich wollte nicht, dass er sich unnötig Sorgen machte.

„Ich kann es heilen“, war alles was der junge Reisegefährte meines Fafas dazu sagte und schob mich dann zurück, bis ich mit dem Rücken an der Wand lehnte. Er schaute mich kurz an, versicherte sich mit einem Blick, dass ich wusste was auf mich zukam.

Ich grub meine Zähne in die Unterlippe. Nicht dass ich nicht wollte dass er mir half. Aus unerfindlichem Grund, wollte ich nicht das Aman sah, wie er es tat. Ich wollte nicht, dass ein anderer Mann mir so nahe war.

„Ignoriere ihn einfach“, riet Tarpan mir, der meinen Blick zu dem Lykanthropen falsch interpretierte. „Das wird jetzt einen Moment wehtun.“

Und das tat es dann auch.

Als Tarpan sich zu meiner Schulter vorbeugte und über die Wunde leckte, um mich mit dem heilenden Sekret das wir produzieren zu versorgen, war es an mir die Luft zischen einzusaugen. Dabei erinnerte ich mich an das letzte Mal, als mir jemand auf dieser Art geholfen hatte. Damals hatte Sian mich in den Wäldern von Silthrim verletzt und John war losgelaufen um Aman zu holen. Wäre der Lykanthropenkrieger nicht so schnell bei mir gewesen, hätte ich diesen Tag vermutlich nicht überlebt.

Aber genau wie bei all dem anderen, wusste er auch davon nichts mehr.

Als Tarpan sich der Wunde direkt über meiner linken Brust zuwandte, warf ich einen vorsichtigen Blick zu Aman. Er beobachtete Fafas Reisegefährten so intensiv, als wollte er ihm einen Dolch zwischen die Schultern rammen.

Konnte es sein … war es vielleicht wirklich möglich, dass Aman Tarpans Nähe nicht guthieß?

Warum bist du in meinen Geistreden? Warum tauchst du seit dem Schöpfertag immer und immer wieder in ihren auf?

Nein. Nein, ich durfte mich der Hoffnung kein weiteres Mal hingeben. Seine Worte waren deutlich gewesen. Doch trotz aller Umstände konnte ich nicht verhindern, dass mein Herzschlag sich bei dieser Geistrede beschleunigte.

Als Tarpan ich der letzten Wunde unter meiner rechten Brust zuwandte, schien er zu bemerken, dass meine Aufmerksamkeit nicht mehr bei ihm lag. Er warf Aman einen undeutbaren Blick zu und schob sich dann so vor mich, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. „Beachte ihn einfach nicht“, sagte er leise, beugte sich vor und strich mit der Zunge über die letzte Wunde.

Es war angenehm wieder der Schmerz langsam nachließ. Doch ich wusste nur zu genau, dass es noch viel angenehmer wäre, wenn jemand anderes das tun würde.

Amans Schnauben ließ mich aus meinen Geistreden auftauchen. Tarpan jedoch beachtete ihn erst, als er mit der Heilung fertig war. Er wischte sich über den Mund und wandte sich dem Lykanthropen zu. „Hast du etwas zu sagen?“

„Vertrau mir, es ist nicht meine Anwesenheit, die ihr Unwohlsein bereitet.“

Oh nein.

Tarpan zog eine Augenbraue hoch und verzerrte damit seine Hautbemalung leicht. „Welchen Grund sollte ich haben, einem unnützen Lykanthropen zu vertrauen?“

„Unnütz?“ Wie Aman da am Gitter lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte, wirkte er mit einem Mal sehr bedrohlich. „Ich wüsste nicht, dass du dich in den letzten Tagen sehr nützlich gemacht hast.“ Betont auffällig sah er sich alle Seiten unseres Gefängnisses an. „Nein, wir sitzen immer noch in dieser Zelle fest.“

Tarpan kniff die Augen leicht zusammen. „Willst du mir damit sagen, dass das meine Schuld ist?“

„Jedenfalls kam bisher nichts Nützliches von dir. Du gibst nur Geschichten zum Besten, die niemanden interessieren und springst auf, wenn deine Auserwählte endlich eine Möglichkeit findet, die uns helfen könnte.“

Tarpan schoss so schnell in die Höhe, dass er einen Moment nichts mehr als ein verschwommener Schemen war.

Bedrohlich baute er sich vor Aman auf, doch der ließ sich davon nicht beeindrucken. „Was nun?“, fragte er nur sehr leise.

Oh Göttin, warum provozierte Aman ihn?

„Du solltest wissen, wann es besser ist den Mund zu halten.“

Noch immer ließ Aman sich von ihm nicht beeindrucken. „Nicht wenn ich es besser weiß.“

„Du glaubst du weist es besser?“

„Aman!“, mahnte ich, als er dazu ansetzte den Mund zu öffnen. Ich sah ihn sehr eindringlich an, doch er hatte nur einen kurzen Blick für mich übrig.

„Ich weiß viele Dinge, von denen ein lausiger Ailuranthrop wie du nicht die geringste Ahnung hat.“

Bei Bastet! „Glaubt ihr beide, dies ist der richtige Moment, sich über Nichtigkeiten zu streiten?“ Sehr vorsichtig schob ich mich an der Wand hinauf. Die Bewegung tat nicht mehr wirklich weh, doch der Schatten dessen was geschehen war, schwebte noch über mir. „Wir sollten uns besser vertragen, als aufeinander …“

„Halt dich da raus“, knurrte Tarpan.

Einen Moment war ich sprachlos. Hatte er mir wirklich gerade den Mund verboten?

„So macht ihr das also“, sagte Aman leise. „Wenn eure Frauen etwas sagen das ihr nicht hören wollt, verbietet ihr ihnen zu sprechen.“

Tarpan trat eine Schritt vor und drang damit in Amans persönlichen Bereich ein. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch seine Haltung wirkte mehr als nur bedrohlich. „Du solltest aufpassen was du sagst, wenn du nicht …“

„Tarpan!“ Ich trat auf die beiden zu, um mich im Notfall zwischen sie zu stellen.

„Halt dich daraus, Lilith.“

„Nein, das werde ich …“

„Nein Lilith“, sagte Aman leise. „Lass ihn nur. Ich bin gespannt, was er noch zu sagen hat. Denn mehr als Reden schwingen, scheint er nicht zu können.“

Oh nein, das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt.

„Du solltest langsam den Mund halten, sonst wirst du herausfinden, wo meine Fähigkeiten liegen.“

Ich hörte Amans Erwiderung nicht mehr, denn genau in diesem Moment erscholl das Signal, das immer dem Öffnen der Zellenblocktür voraneilte.

Ein hastiger Blick zum Gang versicherte mir, dass da gerade jemand in den Gang getreten war. War es nicht noch zu früh für das Abendessen? „Seid still“, zischte ich den beiden zu.

Zu meiner Überraschung verstummten die beiden wirklich. Das hieß aber noch lange nicht, dass sie voneinander abrückten, oder gar mit den unheilschwangeren Blicken aufhörten.

Zur Sachmet!

Ich drängte mich zwischen sie und schob Tarpan ein Stück zurück. Dabei lauschte ich auf die Schritte, die sich uns nährten. Im nächsten Moment kamen zwei Personen in Sicht. Zum einen war es die Nymphe Sarah in der Tracht der Grünen Krieger. In ihrer Begleitung befand sich eine junge Harpyie, die mir bekannt vorkam, doch im Augenblick konnte ich sie nicht zuordnen. Sie trug legere Kleidung. Hieß das, sie war kein Grüner Krieger? Sie schien sich in dieser Umgebung jedenfalls nicht wohlzufühlen.

Ihr Blick huschte die ganze Zeit nervös von einer Seite zur anderen, verunsichert, was sie von all dem halten sollte. Hier und dort blieb er einen Moment länger hängen, doch sie wich Sarah niemals von der Seite.

Die Nymphe dagegen schritt mit unbewegter Miene durch den Gang. Sie interessierte sich nicht für die Gefangenen. Mit einer Ausnahme: Ich. Ihre Schritte verstummten direkt vor meiner Zelle.

Sarah ließ ihren Blick zwischen Aman, Tarpan und mir hin und her wandern und zog dann ihre rechte Augenbraue nach oben. „Komme ich ungelegen?“

Keiner Antwortete ihr. Die einzige Reaktion die folgte war Aman, der sich vom Gitter löste und sich umdrehte, damit er dem Feind nicht im Rücken hatte.

Nur einen kurzen Augenblick standen wir alle regungslos da, dann bekam Sarah von der Harpyie einen leichten Stoß in die Rippen.

Die Nymphe bedachte mich eindringlich, schien zu überlegen. Letztendlich strafte sie die Schultern, als hätte sie eine Entscheidung getroffen und sagte: „Wenn du wirklich weist wie man HR heilen kann, habe ich einen Vorschlag für dich.“

 

°°°°°

Kapitel Achtzehn

 

Misstrauisch sah ich zwischen den beiden Frauen hin und her. Zumindest die Nymphe gehörte zu den Grünen Kriegern und unterstand somit direkt General Silvano Winston. Andererseits hatte ich genau auf eine solche Gelegenheit gehofft. Und das wusste sie. Deswegen kam ich nicht umhin mich einen Augenblick zu fragen, ob das eine Falle des Kriegergenerals war. „Was für ein Vorschlag?“, fragte ich deswegen vorsichtig. Ich wusste einfach nicht, ob ich ihr trauen kann.

Sarah schien ähnlich misstrauisch zu sein. „Einen Deal. Du tust etwas für uns und wir tun etwas für dich.“ Ihr Blick ging direkt in mich hinein. „Aber vorher müssen wir noch etwas von dir wissen.“

Das gefiel mir immer weniger. „Ihr müsst?“

„Möchten“, warf die junge Harpyie ein. „Ich meine …“ Sie rang mit den Händen, warf Sarah einen kurzen Blick zu und leckte sich dann nervös über den Schnabel. „Vor ein paar Tagen ist meine Schwester verschwunden. Keiner sagt uns etwas Genaueres, aber es kursieren Gerüchte. Ich glaube …“ Sie stockte, schien nach Worten zu ringen, aber da kam nichts mehr.

„Wir glauben das Jacky tot ist“, half Sarah der Harpyie.

Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr diese Worte mich überraschten. Jetzt wurde mir auch klar, warum die Harpyie mir so bekannt vorkam: Sie war Jackys kleine Brestern Angelique. Ich hatte sie nur einmal ganz kurz gesehen und das war Wochen her.

Angelique schaute nervös über ihre Schulter, als Vinea nieste und rückte ein wenig dichter an Sarah heran. „Wir wissen dass General Winston ein paar Freiwillige für eine geheime Operation ausgewählt hat. Jacky hat mir das erzählt und auch das sie dazu gehört, aber nicht um was es dabei ging, nur dass es mit dir zu tun hat. Sie hat sich darauf gefreut und … und … ich weiß nicht. Sie ist bis heute nicht zurückgekommen und jetzt gibt es diese Gerüchte, aber niemand sagt mir was los ist. Und jetzt bleibt der General im Verborgenen und seine Tochter hat das Kommando übernommen und keine weiß warum. Warum?“ Sie sah mich beinahe flehentlich an.

Der General hatte seine Tat also verschleiert und jetzt versteckte er sich. Wahrscheinlich wollte er niemanden auf seine Schwäche aufmerksam machen.

„Wir wollen wissen was passiert ist“, erklärte Sarah. „Ich weiß dass du dabei warst, aber viel mehr konnte ich nicht herausfinden. Ich habe die Grünen Krieger selten so verschwiegen erlebt, wie in den letzten Tagen.“

Ich schaute zu Aman, doch der war so auf die beiden Frauen konzentriert, dass er es gar nicht bemerkte. Doch auch er schien misstrauisch zu sein. Darum ließ ich auch weiter Vorsicht walten. „Was für Gerüchte kursieren denn?“

Die beiden Frauen tauschten einen kurzen Blick, dann war es Sarah die antwortete. „Die Gerüchte sind ziemlich ungenau. Im Grunde sagen sie nur, dass etwas beim Aufbruch zur Operation Sachmet schiefgegangen ist.“

Sachmet?

Hinter Sarah und Angelique war ein Schnauben zu hören.

Die beiden Frauen drehten sich um. Sarahs Mine blieb unbewegt, als sie ihren Kameraden auf am Gitter sitzen sah. Angelique jedoch schien dieser Anblick völlig zu überraschen. „Noah? Aber was …“

„Ein Opfer“, sagte er sehr leise. „Du hast Winston gesagt, dass ein Opfer nötig ist, um das Portal zu öffnen und er hat ohne zu zögern Jacky erschossen.“

Bei diesen Worten wurde Angelique kreidebleich.

Noah schoss in die Höhe und schlug gegen das Gitter. „Er hat Jacky geopfert!“, schrie er mich an. Speicheltropfen flogen dabei aus seine Mund. „Das ist deine schuld!“

„Jacky ist … tot?“ Angeliques Stimme klang erstickt. „Er hat … aber nein, der General beschützt uns.“

„Er nutzt euch aus, Angie!“ Noah trat gegen das Gitter, griff sich ins Haar und zerrte daran, als wollte er die unschönen Geistreden aus seinem Kopf ziehen. Er begann so unruhig durch seine Zelle zu laufen, dass John Pascal dichter an sich zog. „Er hat nie etwas anderes getan. Das Bild bewahren, immer nett lächeln. Doch er ist eine Schlange, die nur auf ihre eigenen Ziele bedacht ist. Alle und jeden ausnutzt, solange es ihm nur zugutekommt.“

Ja, und zwar nur ein einziges Ziel. „Er will seine Tochter retten.“

Noah blieb stehen und starrte mich an. „Liliana?“

„Sie hat HR.“

Das Lachen das daraufhin auf Noahs Kehle drang, jagte mir eine Gänsehaut über die Arme. Unwillkürlich rückte ich näher an Aman heran. Unsere Amre streiften sich. Er warf mir zwar einen kurzen Blick zu, blieb aber wo er war.

„Gerechtigkeit“, flüsterte Noah. Und dann schrie er nochmal: „Gerechtigkeit!“, und begann wieder zu lachen.

Angelique schaute ihn nur verstört an. Diese Situation schien sie völlig zu überwältigen.

„Was genau ist passiert“, wollte Sarah von mir wissen. Auch sie schien sich nicht mehr ganz so wohl zu fühlen, blieb aber weiterhin ruhig. „Sag es mir.“

Was konnte es schon schaden. „Der General wollte mich zwingen ihn und eine Gruppe der Grüner Krieger in meine Welt zu bringen, um dort …“

„Moment, deine Welt?“, unterbrach Sarah mich. „Soll das heißen du kommst wirklich von einem anderen Planeten?“

Ich nickte. „Irgendwie schon. Ich und alle anderen hier unten stammen aus Silthrim. Auch deine Vorfahren kommen von dort.“

„Ich hab das immer für ein Märchen gehalten“, sagte sie wie zu sich selbst. „Gerüchte, genährt durch Hoffnung auf ein besseres Leben, auf Freiheit.“

„Es ist kein Märchen, es ist real. Ich komme von dort und wir sind nur hier um die Natis der Götter nach Hause zu holen, sofern sie uns folgen wollen.“

„Wir sollen mit euch auf einen anderen Planeten kommen?“, fragte Angelique beinahe entsetzt.

„Nur wenn ihr wollt. Das ist unsere Mission, deswegen sind wir hier. Doch bevor es dazu kommen konnte, hat Liliana uns gefangen genommen und hier unten eingesperrt in der Hoffnung einen von uns dazu zu bewegen ihr und ihrem Vater den Weg in meine Welt zu zeigen.“

„Aber wie … wie betritt man eine andere Welt?“ Nun bröckelte auch Sarahs ruhige Maske langsam.

„Durch ein Portal, das in dem Besitz des Kriegergenerals ist. Er hat es uns weggenommen.“

„Wegen diesem Portal ist Jacky tot!“, schrie Noah wieder.

Ich drückte die Lippen aufeinander. Seine Vorwürfe … ich konnte mich ihrer nicht erwehren, denn er sprach die Wahrheit.

„Ihr wolltest durch ein Portal in eine andere Welt gehen“, fasste Sarah zusammen. „Und um das zu tun brauchtet ihr Jacky als Opfer.“

Fast wiederwillig schüttelte ich den Kopf. Etwas zwang mich bei der Wahrheit zu bleiben. Vielleicht nur Eingebung, vielleicht auch eine höhere Macht. „Nein, wir brauchten kein Opfer, nicht dieses Mal. Der Steg zwischen den Welten war bereits errichtet. Jacky ist tot, weil … ich bin in Panik geraten. Dieser Mann wollte alles zerstören, was mir etwas bedeutete. Ich habe ihm nur gesagt, dass wir das Portal beim letzten Mal nur durch ein Opfer öffnen konnten und deswegen …“

„Nein“, sagte Noah. In der Zwischenzeit stand er wieder am Gitter. Seine Finger umschlossen die Stäbe so fest, als wolle er sie mit bloßer Hand auseinander reißen. „Jackys Tod war … umonst? Du hast sie geopfert, obwohl das gar nicht nötig war?!“

„Ich wusste doch nicht was der General tun würde!“, verteidigte ich mich. „Glaubst du wirklich dass ich mir das gewünscht habe?!“

Noah rutschte am Gitter hinab, bis er auf den Knien war. „Ihr Tod war völlig nutzlos.“

„Es tut mir leid.“ Mehr konnte ich wirklich nicht sagen. Ich wusste dass es keine Entschuldigung dafür gab und dass meine Worte ihm nichts bedeuteten, aber er sollte es wissen. Ich kannte den Schmerz um diesen Verlust selber und wünschte das niemand anderem. Auch nicht Noah, selbst wenn er zu den Grünen Kriegern gehörte.

Der einst so stolze und unnahbare Krieger begann zu schluchzen. Rinnsale von Tränen liefen ihm über die Wangen, während seine Stirn gegen das Gitter sank.

„Wenn ich könnte … ich würde es ungeschehen machen und …“

„Sei einfach still“, bat er mich so leise doch flehentlich, dass ich wirklich verstummte.

Vielleicht würde er es mir nicht glauben, aber ich trauerte mit ihm.

„Also hat der General sie getötet“, sagte Sarah leise.

Ich nickte. „Und dafür hab ich ihn fast getötet.“

Sie schaute überrascht auf.

„Das ist er Grund warum er sich im Verborgenen hält und Liliana herbeordert hat. Ich habe ihn so schwer verletzt, dass er ohne seinen rollenden Stuhl nicht mal in der Lage ist sich alleine zu bewegen.“

Sarah starrte mich an. Fast zwei Minuten sagte sie gar nichts mehr. Nur Noahs weinen und das leise schluchzen von Angelique erfüllte die Luft. Ihre Geistreden schienen unentwegt in Bewegung, während sie versuchte die Informationen zu verarbeiten. „Okay“, sagte sie dann. „Wenn es wirklich so ist wie du sagst, dann … hier ist der Deal. Du gibst uns die Medizin für HR und wir helfen dir und deinen Leuten zu entkommen.“

Nach diesen Worten wollte ich himmelhoch jauchzen und gleichzeitig abgrundtief fallen. Meine Lippen wurden zu einem dünnen Strich. „Das geht nicht“, sagte ich leise.

Sarah zog die Augenbrauen zusammen. „Aber du hast doch gesagt, dass du weißt wie man Hereditas Relicta heil.“

„Das weiß ich auch.“ Ich verlagerte mein Gewicht von einem Bein aufs andere und neigte den Kopf leicht zur Seite. Jetzt musste ich alles richtig machen, denn diese Nymphe konnte für uns die Freiheit bedeuten. „HR ist nicht direkt eine Krankheit. Die Symptome, die die betroffenen aufweisen, sind Entzugserscheinungen.“

Nun runzelte sie die Stirn. „Entzugserscheinungen? Entzug wovon?“

„Magie“, sagte Aman sehr leise.

Sie schaute meinen Finis völlig verständnislos an. Finis? Oh Göttin, was geistredete ich denn da?

„Ihr müsst verstehen“, sagte ich, „eure Vorfahren kamen aus einer Welt, in der sogar die Luft von Magie gesättigt ist. Wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen. Hier auf der Erde haben die Wesen aus Silthrim ihr Blut mit dem der Menschen vermischt und es so dünner gemacht. Aber das heißt nicht, dass ihr sie nicht trotzdem braucht. Nur …“

„Aber wir haben hier Vampire, die schon über dreihundert Jahre unter uns wandeln“, unterbrach Sarah mich. „Und sie sind alle völlig gesund. Und im Gegensatz zu der allgemeinen Meinung sind Vampire nicht tot, sie haben nur ein wesentlich langsameren Herzschlag.“

Tot? Ich runzelte die Stirn. „Wer behauptet denn, dass Vampire tot sind?“

„Aberglaube“, kam es da von Luan aus der Nachbarzelle. „Böse Wesen die Blut zu sich nehmen können nur tot sein.“

Nein, das verstand ich noch immer nicht.

„Und die Frage, warum Vampire nicht anfällig für HR sind, lässt sich einfach beantworten.“ Es raschelte, als würde Luan sich anders hinsetzten. „Unser Stoffwechsel ist völlig anders als der jedes anderen Wesens. Er ist viel … langsamer wäre hier wohl das passende Wort, obwohl es das nicht ganz beschreibt. Wir verarbeiten Magie anders, doch wenn wir nur lange genug auf der Erde bleiben, dann werden auch wir eines Tages daran erkranken.“

„Heißt das, dass Vampire unsere Heilung sind?“, fragte die grüne Nymphe, doch ich schüttelte schon den Kopf, bevor sie geendet hatte. „Aber was denn dann?“

Wie sollte ich das am besten erklären? „Was weißt du über die  Geschichte meiner Welt?“

„Nur wenig. Gerüchte und Märchen, ausgeschmückt für Kinder“, gab Sarah zu.

Das machte es schwieriger. „Um es kurz zu sagen: Wir alle entstanden einst aus der Magie und wir alle kehren nach unserem Tod zu ihr zurück. Es ist die Macht der Götter, die uns gesund hält, das Artefakt, aus dem wir einst entstanden sind. Und auch sie ist es, die dafür sorgt, dass uns jenes, was ihr HR nennt, niemals wiederfahren kann.“ Ich machte eine kurze Pause, damit sie meine Worte auch wirklich verstand und sprach dann langsamer weiter. „Aber diese Medizin kann nicht hier her gebracht werden. Sie ist das Lebenselixier meiner Welt und sollte ich es fortbringen um euch hier auf der Erde zu heilen, so werden tausende auf Silthrim sterben.“

„Das heißt, wenn wir geheilt werden wollen, dann müssen wir euch in eure Welt folgen“, fasste Sarah zusammen.

Ich nickte. „Deswegen sind wir hier. Wir wollen die Kinder der Götter in die Heimat bringen, damit sie frei und unbesorgt leben können.“

„Das ist … viel auf einmal.“

„Ja, ich weiß. Aber durch uns habt ihr die Möglichkeit ein gesundes und langes Leben zu führen.“ Ich schaute ihr fest in die Augen. „Oder ihr entscheidet euch dagegen und fristet ein krankes Dasein eingesperrt in Belua, den Lauen des Kriegergenerals auf Leid und Verderb ausgesetzt.“

Sarah zog eine Augenbraue nach oben. „Das klingt ein wenig Düster. Und du hast Unrecht. Belua ist eine Zuflucht für uns und …“

„Lügenmärchen, genährt von der Hoffnung auf ein unbeschwertes Leben und den falschen Worten einer Schlange.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Ihr seid nicht anders als wir: Gefangene an diesem Ort. Nur dass ihr nicht durch Gitter in einen kleinen Verschlag gesperrt seid, sondern durch Mauern und Lügen an diesen Ort gefesselt wurdet. Und nun habt ihr die Wahl.“

Nach diesen Worten kehrte erstmal stille ein. Selbst Angelique versuchte sich zusammenzureißen, obwohl ich den Schmerz um ihren Verlust in ihren Augen erkennen konnte.

„Es ist nie einfach Entscheidungen zu treffen“, mischte sich Aman da in das Gespräch ein. „Doch es ist wichtig zu wählen. Darum entscheide dich, Nymphe. Nimmst du den richtigen, oder den einfachen Weg?“

„Das ist … das kann ich nicht einfach so  aus dem Stehgreif heraus entscheiden.“ Sie schüttelte den Kopf, wie um sich selber von etwas zu überzeugen. „Ich meine, die Wesen in Belua sehnen sich nach Heilung, aber eine Reise in eine andere Welt?“ Zweifelnd schweifte ihr Blick von mir zu Aman.

„Gibt es denn überhaupt jemanden, der uns folgen würde?“, frage Tarpan und ergriff damit zum ersten Mal das Wort.

Sarah machte zuckte wage mit den Schultern. „Ich kann nicht Ja sagen, aber auch nicht nein.“ Ein schweres Seufzen. „Seit die Gerüchte aufgekommen sind, ist es in Belua unruhig geworden. Ein paar wissen einfach nicht mehr was sie tun und denken sollen. Und dann ist Liliana mit einem Haufen Gefangener hier aufgetaucht. Sowas gab es in Belua noch nie.“ Sie drückte die Lippen zusammen.

„Der zerbrechliche Frieden an diesem Ort bröckelt“, sagte Aman leise.

„Es ist mehr als nur bröckeln“, erwiderte Sarah und strich sich in einer nervösen Geste über die Schläfe. „Ich weiß nicht. Die Leute hier sehnen sich so sehr nach einem Heilmittel um ihre Familien zu retten, dass es sicher welche gibt, die euch folgen würden, aber …“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Ich muss mit den Leuten reden, erst dann kann ich euch eine Antwort geben.“

„Und du?“, fragte ich. „Würdest du uns folgen?“ Ihre Zweifel am Tun des Generals zumindest hatten sich schon in unsere Richtung gedrängt.

Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht. Ich muss darüber nachdenken.“

Das konnte ich verstehen. Aber da gab es noch eine sehr wichtige Frage, die dringend geklärt werden musste. „Was ist mit uns? Wirst du uns helfen, auch wenn du uns nicht folgen wirst?“

Der Blick mit dem sie mich daraufhin bedachte, konnte nur mit Entschlossenheit bezeichnet werden. „Wie auch immer ich mich entscheiden werde, ich werde euch helfen zu entkommen, denn was der General und seine Tochter hier tun ist unrechte.“

Die Erleichterung die mich nach diesen Worten überflutete, war ein Orkan an Gefühlen. Sie würde uns helfen, sie war unser Weg aus der Gefangenschaft. „Vergelts.“

„Aber das bedeutet, dass ihr euch bereithalten müsst. Wenn es so weit ist, müssen wir uns wahrscheinlich beeilen, also sorg dafür, dass deine Leute bereitsind, wenn ihr durch das Portal treten müsst.“

„Natürlich.“

 

°°°°°

Kapitel Neunzehn

 

Ruhig hielt John seinem Bruder den Löffel mit dem Brei vor dem Mund und verlor auch nicht die Geduld mit ihm, als Pascal sich beim Füttern die Hälfte auf sein Hemd kleckerte. Die Hände des jungen Magiers zuckten immer wieder unkontrolliert, genau wie die Muskeln in seinem Gesicht. Und er schien einen Tick mit dem Nacken zu haben, der ihn immer wieder dazu zwang, mit dem Gesicht wegzuzucken.

Von dem einst so lebensfrohen jungen Mann war nichts mehr übrig geblieben.

Seufzend wandte ich den Blick von den Beiden ab und richtete ihn vor mich auf den kalten Boden. Mich abzulenken, half mir auch nicht meine Geistreden zu ordnen. Oder meine Problemen gar entgegen zu treten.

Sechs Tage, solange befanden wir uns nun schon auf der Erde. Sechs Tage auf der Erde, Sechs Jahre auf Silthrim. Und mit jedem verstreichenden Moment wuchs meine Angst, dass die Geschichte sich wiederholen könnte.

Aber das war nicht alles. Zwei Tage. Solange lag das Gespräch mit Angelique und Sarah nun zurück. Und seitdem hatte ich keinen der beiden wiedergesehen. Hatten sie uns vergessen? Oder war das Ganze von vorne herein nur eine Täuschung des Generals gewesen, um mir Informationen zu entlocken?

„Zur Sachmet!“ Nein, es half nicht wirklich zu fluchen, doch irgendwie musste ich meinen Unmut ja Ausdruck verleihen.

Es war ja nicht nur die Tatsache, dass mich das Warten wahnsinnig machte. Kurz nachdem Angelique und Sarah gegangen waren, sah ich mich plötzlich einem ganz anderen Problem gegenüber: Ich hatte keine Ahnung, wie ich bei einer möglichen Flucht das Portal öffnen sollte. Das hieß um es deutlich zu sagen: Mit etwas Hilfe konnten wir vielleicht aus den Zellen entkommen, aber was dann? Ohne Göttermacht ist das aussichtslos.

„Setzt dich hin, Lilith“, verlangte Aman von mir und holte mich damit aus meinen Geistreden. Er saß rechts an der Wand und hatte die Arme auf die Knie gelegt.

Tarpan, der ihm gegenüber an der anderen Wand saß, fixierte den Lykanthropen mit zusammengekniffenen Augen. „Wie kommst du dazu ihr Befehle zu erteilen? Du bist kein …“

„Lass gut sein, Tarpan“, unterbrach ich den Reisegefährten meines Fafas und ließ mich am Gitter auf den Boden rutschen. In den letzten beiden Tagen schienen sowohl Tarpan als auch Aman jede Gelegenheit beim Schopfe zu erreichen, um sich anfauchen zu können.

„Warum hörst du auf sein Wort?“, wollte Tarpan wissen. „Er hat dir nichts zu sagen.“

„Du aber auch nicht und jetzt lass es gut sein. Er hat es doch nicht böse gemeint.“

Tarpan drückte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

„Es ist nur … was tun wir, wenn wir hier raus sind?“, fragte ich leise. „Ich kenne den Weg, den kenne wir alle, doch wie sollen wir das Portal öffnen?“

„Du bist doch die Auserwählte!“, rief aus den Tiefen der Zellen eine Kriegerin. „Es ist deine Aufgabe, dies herauszufinden!“

„Das ist nicht hilfreich!“, fauchte Tarpan.

„Aber sie hat recht“, sagte Aman so leise, dass nur ich es hören konnte und fixierte mich mit einem Blick, der mir unter die Haut ging und mich gleich noch kleiner werden ließ, als ich mich eh schon fühlte.

„Wir finden schon einen Weg“, versicherte Tarpan mir.

„Schöne Reden helfen uns nicht weiter“, wiedersprach Aman ihm.

„Dummes Geschwätz aber auch nicht!“, fauchte Tarpan.

„Hört auf!“, fuhr ich dazwischen. „Bitte.“ Denn Aman hatte Recht. Es war meine Aufgabe, sie hier wieder hinaus zu bringen und Tarpans tröstende Worte halfen nicht, so schön sie auch klangen.

„Gib nicht auf, kleine Kriegerin, du hast auch die letzten Male immer einen Weg in die Heimat gefunden.“

Bei seinem Kosenamen, begann mein Herz ein kleinen wenig schneller zu schlagen. Aber … nein … bitte, das konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Ich hatte genug Probleme. Die Sache zwischen mir und Aman musste warten. Auch wenn ich in den letzten Tagen das Gefühl hatte, dass …

„Es gibt da eine alte Geschichte“, hörte ich die Stimme meines Fafas. Gestern hatte ich ihn kurz gesehen – Zwei Mal. Der General hatte ihn holen lassen. Und den Göttern sei Dank auch wieder zurück gebracht.

Eine Geschichte? „Was für eine Geschichte?“

„Es ist schon eine Weile her, damals war noch nicht einmal Licco an meiner Seite, da bin ich durch das Land der Zentauren gereist. Als erstes Volk des Gestirn Siltrims, kennen sie viele Geschichten und Geheimnisse, die für andere Völker schon lange verloren sind. Sie sind Hüter des Vergangenen und machen ihre Geschichten noch heute zu Legenden und Mythen, die alle einen wahren Kern besitzen.“ Er seufzte. „Damals begegnete ich einem jungen Krieger der Zentauren, der voller Tatendrang in die Welt hinausziehen wollte. Wir sind ein Stück zusammengereist und abends gab er gerne Geschichten zum Besten. So erzählte er mir von der Legende der Achtzehn.“

Ich drehte mich ein wenig. Auch wenn ich ihn nicht sehe konnte, so konnte ich mir einbilden, ihm dadurch ein wenig näher zu sein. „Die Legende der Achtzehn?“

„Es ist viele Millennien her, da hat der Occino der Gorgonen eine Eingebung seiner Göttin erhalten. Achtzehn müssen es sein, vereint in Herz und Geist, damit der Weg zwischen den Welten erscheint. Ein Engel, so prächtig und stolz, ein Lykanthrop, so loyal und mutig, ein Meermensch, schattenhaft und geschwind, ein Elf, so klug und kühn, ein Ailuranthrop, listig und tapfer.“ Er verstummte einen Moment. „Alle achtzehn Völker werden in der Überlieferung aufgezählt.“

Ein kalter Schauder strich über meinen Rücken. Was bedeutet das?“

Mein Fafa atmete tief durch „Wenn die Herzen der achtzehn Völker im Gleichklang schlagen, wenn sie alle von demselben Wunsch beseelt sind, dann sind sie dazu fähig, den Steg zwischen den Welten auch ohne die Macht eines Gottes zu öffnen – denn die Macht der Götter schlummert in uns allen.“

Nein, das war nicht ganz richtig. Die Macht schlummerte nicht in uns, wir selber waren die Macht und doch nur ein Schatten davon, denn wir brauchten sie, um zu überleben. Wie ein Baum. Ein Samenkorn – klein und unscheinbar – war alles was er brauchte, um einmal groß und stark zu werden, doch ohne seine Wurzeln war er nichts weiter als ein Stück Holz, das langsam starb. Die Völker waren der Baum, doch ohne die Mächte unsere Götter, die sowohl Samenkorn, als auch Wurzeln waren, konnte keiner von uns lange überleben.

„Ich weiß worauf du hinaus willst“, sagte Vinea. „Aber selbst wenn in deinen Worten die Wahrheit wohnt, so wird es uns nicht helfen, den die Natis der Göttin Isis sind nicht hier! Sie haben sich nie am Krieg beteiligt, oder an der Welt außerhalb ihres Meeres. Wir werden niemals achtzehn sein.“

„Zur Sachmet!“ Weiter hinten wurde gegen ein Gitter getreten. „Das ist alles deine Schuld Auserwählte! Du hast uns ins Verderben geführt!“

Diese Worte ließen mich zusammen zucken.

Tarpan sprang auf die Beine. „Du bist ihr freiwillig gefolgt, du faulige Makrele!“

„Da glaubte ich auch noch, dass sie uns zum Ziel führen könnte!“

„Wir haben uns in ihr getäuscht“, kam es aus einer anderen Richtung.

„Ja, sie ist nichts weiter als ein kleines Mädchen. Ihre Göttin hätte gut daran getan, jemand anderes zu erwählen!“

Die Stimmen um mich herum wurden immer lauter. Ich musste dem Drang wiederstehen mir die Hände auf die Ohren zu drücken, oder sie alle anzuschreien. Ich wusste selber dass es meine Schuld war. „Wenigstens versuchte ich einen Weg zu finden uns zu befreien. Was habt ihr in den letzten Tagen getan?“

Ein paar verstummten. Dann lachte ausgerechnet Vinea auf. „Was wir getan haben? Wir haben unsere Hoffnung auf jemand gesetzt, der es nicht wert ist den Weg eines Kriegers zu gehen, und schon gar nicht den eines Auserwählten!“

Aman knurrte. „Vinea.“

„Was? Es ist doch wahr! Sie alle haben Recht! Die Auserwählte hat uns ins Unglück geführt! Onyx und Acco sind weg! Und Sie ist schuld das Rigo nicht zurückkehren wird!“ Bei den letzten Worten begann ihre Stimme zu brechen.

„Es tut mir leid“, flüsterte ich, doch die Stimmen um mich herum wurden mit einem Mal so laut, dass niemand von ihnen es hören konnte – außer Aman.

Meine Schuld.

Wir würden alle sterben.

Es gab keinen Weg nach Hause.

Gefangene für Ewig.

Der Gnade Fremder ausgeliefert.

Verräter.

All diese Worte, sie trafen mich. Ich versuchte unbeteiligt zu bleiben und mir nicht anmerken zu lassen, das meine eigenen Geistreden ihnen sehr ähnlich waren, doch so wie Aman mich anschaute, schien ich damit nicht viel Erfolg zu haben. Es war kein Mitleid, was ich in seinen Augen sah. Er wusste dass sie alle irgendwo Recht hatten, doch es lag auch kein Urteil in diesem Blick.

Es gab auch Stimmen, die mich verteidigten – Mein Fafa und Tarpan – doch sie gingen in dem Getöse unter.

„Schweig nicht, Auserwählte!“

„Verteidige dich!“

„Wahrscheinlich steckt sie mit den Menschen …“

„Nein!“

Der Schrei ließ mich herumwirbeln und auch die dröhnenden Stimmen um mich herum langsam verstummen.

„Nein, bitte nicht! Ich schwöre ich werde es nicht wieder tun!“

Einen Moment glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu können. Die Tür zum Zellentrakt war in dem Trubel unbemerkt aufgesperrt worden. Ein Dutzend Grüner Krieger strömte in den Gang hinein und der vorderste von ihnen zerrte eine junge Harpyie an Handfesseln hinter sich her.

Angelique.

„Bitte“, flehte sie mi Tränen in den Augen. „Bitte.“

Der Grüne Krieger beachtete sie gar nicht. Keiner von ihnen tat das. Und sie war auch nicht die einzige, die hineingebracht wurde. Weitere sieben Zivilisten wurden hereingeführt und sie alle versuchten mit den ähnlichen Worten ihre Freiheit wiederzuerlangen.

Die Stimmen der Krieger waren verstummt. Genau wie ich waren sie ans Gitter getreten und versuchten herauszufinden, was dies zu bedeuten hatte.

Ich starrte Angelique an, sah wie sie an meiner Zelle verbeigeführt wurde und man sie weiter hinten zu zwei Engeln sperrte. Niemand beachtete ihr flehen.

„Das!“, sagte eine mir wohlbekannte Stimme. „Wir der Anfang sein!“

Ich wandte das Gesicht und sah Liliana, wie sie erhobenen Hauptes zur den Gang schritt und zufrieden beobachtete, wie die Zivilisten in die Zellen gesperrt wurden.

„Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass ihr fliehen könntet, oder?“ Sie lachte und richtete ihren Blick dann auf mich. „Es war dumm von euch, auch nur einen Funken Hoffnung in diese Harpyie zu setzten. Ich weiß genau was ihr geplant hattet. Ich weiß von euren Fluchtplänen und ich werde jeden der euch helfen will, oder sich euch anschließt sofort zu euch in die Zellen verfrachten.“ Sie trat ganz nah an mein Gitter. „Ihr werdet nicht entkommen, nicht wenn ich es nicht will.“

Ich kniff die Augen leicht zusammen. „Das werden wir noch sehen.“

Liliana warf den Kopf in den Nacken und begann lauthals zu lachen.

Ich verstand auch warum. Meine Worte waren mutiger, als ich selber es war. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie in die Tat umsetzten sollte.

„Dann wünsche ich dir viel Erfolg.“ Sie lächelte noch immer, als sie mir den Rücken zuwandte und die Grünen Krieger anwies, ihr nach draußen zu folgen.

Schweigen. Das war es was ihr nach draußen folgte. Die Augen aller Krieger waren auf sie gerichtet. Nur die Bewohner von Belua bettelten noch um Vergebung – selbst dann noch, als die Tür wieder verschlossen wurde und wir alleine zurück blieben.

Ich jedoch wandte meinen Blick sofort in die andere Richtung. „Angelique?“

Ein leises Aufschluchzen antwortete mir.

„Angelique, was ist geschehen?“ Dass sie nun hier unten war … das konnte alles zunichtemachen.

„Ich … ich …“

„Sag es mir!“

„Es waren so viele.“ Sie schniefte. „So viele wollten mit. Ich habs nicht glauben können. So viele wollen nach Silthrim.“

Was? Das verstand ich nicht.

„Aber … wir waren unvorsichtig. Ich war unvorsichtig.“ Ihre erstickte Stimmte wurde brüchig.

Bei Bastet nein, das durfte nicht sein. „Was bedeutet das? Sag es mir!“

„Es ist vorbei“, sagte sie leise. „Es gibt keine Rettung. Weder für euch, noch für uns, oder die Kranken.“

„Was?“ Nein, bitte nein.

„Der General will niemanden von uns gehen lassen.“

„Ja aber …“

„Wir sind Gefangene.“ Sie gab ein Geräusch von sich das an ein hysterisches Schnauben sein konnte, oder ein verweintes Lachen. „Belua ist nun offiziell ein Gefängnis für Aliens.“

 

°°°°°

Kapitel Zwanzig

 

Es war aussichtslos.

Seit sieben tagen befanden wir uns nun in der Gewalt des Kriegergenerals und seiner Tochter und mit jedem weiteren Tag, sank die Hoffnung. Hatte Angelique Recht? Gab es wirklich keine Rettung mehr?

Nein, nein, nein! So durfte ich gar nicht erst geistreden. Aber … was sollte ich tun? Ich saß immer noch in dieser Zelle und konnte einfach nichts ausrichten.

Angeliques Worte drehten sich in meinem Geist. Es waren viele gewesen – sehr viele – die uns nach Silthrim folgen wollten. Um Familien zu schützen, um ihre Kranken zu heilen, oder einfach um endlich frei zu sein. Aber der General hatte Wind davon bekommen und ein paar Aufständige öffentlich verhaften lassen. Liliana hatte groß verkündet, dass es allen anderen auch so gehen würde, sollte sie es für nötig erachten.

Die Revolte war zerschlagen, noch bevor sie richtig beginnen konnte.

Ich schlang die Arme fest um mich.

Es war noch früh, so früh, das die meisten der Krieger noch schliefen – vielleicht. Vielleicht lagen sie aber auch nur das und warteten auf Rettung, auf eine mögliche Zukunft, oder auf eine Absolution, die ihnen hier niemand erteilen würde.

Nach Angeliques Ankunft war es unter den Kriegern unnatürlich still geworden. Kaum ein Ton war gefallen. Worte reichten einfach nicht mehr. Vorwürfe brachten nichts mehr. Und die Hoffnung hatte sich einfach in Schleiern aufgelöst.

Ich selber wusste einfach nicht mehr weiter. Alles war so furchtbar schief gelaufen. Von Anfang an hatte nichts so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber war ich nicht bereits mehr als einmal an diesem Punkt gewesen? Hatte ich am Ende nicht doch immer alles zum Guten wenden können? Mein Blick fiel auf Pascal. Nein, hatte ich nicht. Egal was ich angefasst hatte, am Ende hatte es immer leidtragende gegeben, Verletzte, Tote.

Acht Tage war ich auf der Erde gewesen. Ich hatte es zurück nach Silthrim geschafft, doch Gillette hatte ich nicht retten können und daran war Animas Geist zerbrochen.

Ich hatte die Ailuranthropen wiedergefunden, doch sie waren nur ein Schatten ihrer Selbst gewesen. Ich hatte es zurück auf die Erde geschafft, doch Aman hatte dabei sein Leben lassen müssen. Ich hatte das Tigerauge an mich nehmen können und mein Volk gerettet, doch sowohl Pascal als auch Destina waren daran zerbrochen und was mit Janina war, wusste bis heute keiner. Ich hatte es geschafft die Völker zu vereinen, nur um sie in die Gefangenschaft eines grausamen Mannes zu führen.

Rückblickend konnte ich nicht sagen, dass auch nur eine Sache die in meinen Händen gelegen hatte, wirklich gelungen war. Egal wie ich es angepackt hatte, es hatte jedes Mal Opfer gegeben. Und nun würde ich wahrscheinlich selber eines meiner eigenen Taten werden.

„Schläfst du nie?“

Von Amans Stimme überrascht, zuckte ich zusammen. Ich hatte geglaubt, dass er schlief, genau wie Tarpan, doch obwohl er an der hinteren Wand auf dem Boden lag, waren seine Augen nun offen.

„Ich kann nicht schlafen“, sagte ich leise.

„Du hast seit Tagen nicht geschlafen.“

„Doch hab ich.“

„Ja, aber immer nur für ein paar Minuten.“

War es wahr? Ich konnte mich nicht entsinnen. Er hatte recht, in den letzten Tagen schief ich schlecht, aber waren es wirklich immer nur ein paar Minuten gewesen? „Ich habe keine Zeit zum Schlafen. Ich muss …“

„Du kannst die Lösung unserer Probleme nicht erzwingen.“ Aman richtete sich auf und rieb sich über die Augen, bevor er sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. „Für klare Geistreden brauchst du einen wachen Geist. Es hilft niemanden, wenn du irgendwann einfach umkippst.“

„Ich helfe sowieso niemanden.“ Meine Stimme wurde zu einem Flüstern. „So sehr ich es auch will, ich kann niemanden helfen.“

Aman betrachtete mich auf eine Art, wie er es früher immer getan hatte. Als wolle er in meinen Kopf schauen, um meine Geistreden zu entschlüsseln. Als er dann aufstand und sich neben mich setzte, wandte ich den Blick ab. Er war so nahe, dass ich seine Körperwäre spüren konnte.

Ich schlang die Arme fester um meine Beine, um der Versuchung ihn zu berühren zu entgehen.

„Ich stimme dir zu, so wirst du wirklich niemanden helfen können.“

Ich drückte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

„Soweit ich weiß, willst du einmal eine große Kriegerin werden, was bedeutet, dass du ihn jeder Lage deinen Geist beisammenhatten musst.“

Diese Worte ließen mich aufhorchen. Es war nicht das erste Mal das er sie zu mir gesagt hatte. Damals waren sie nur nicht so ruhig über seine Lippen gekommen, er hatte sie mir praktisch entgegen geknurrt, weil ich Pascal angefallen hatte.

Das schien alles so lange her zu sein.  

Aman kreuzte die Beine an den Fußknöcheln. „Den Weg den du anstrebst bringt nicht nur Ruhm und Ehre mit sich. Du wirst immer wieder vor Hindernissen stehen, die du nicht immer sofort zu lösen vermagst. Oft brauchst du Ruhe und Geduld. Nicht jeder Sieg fällt einem auf Wunsch sofort in den Schoß.“

Das nicht, aber … „Doch hin und wieder sollten einem das Glück doch ein wenig hold sein“, flüsterte ich. „Wenigstens einmal.“

„Wie kommst du darauf, dass es dir noch nie hold war?“

Fast hätte ich geschnaubt. „Egal was ich anfasse, nie endet es so, wie ich es mir erhofft hatte.“

„Und doch hast du selbst bei seinem Ende nicht aufgegeben und weiter gemacht.“

Die Worte kamen so leise über seine Lippen, dass ich einen kurzen Moment glaubte mich verhört zu haben. Deswegen fragte ich: „Was meinst du damit?“

Er drehte seinen Kopf, antwortet aber nicht. Sein Blick war so intensiv, das ich mich darin verlieren konnte. Plötzlich war es mir unnatürlich wichtig, dass er weitersprach. Ich wusste auch nicht genau warum, aber diese wenigen Worte ließen mein Herz auf eine Art schneller schlagen, wie ich es mir in diesem Moment eigentlich nicht erlauben durfte. Und dann war da dieses seltsame Gefühl, dass mich mit einem Mal überfiel. Das hier war wichtig.

„Sprich.“ Ich ließ die Arme sinken und kniete mich direkt vor ihn. „Bitte.“

Aman senkte den Blick. „An dem Tag als der General mich holen ließ …“ Er verstummte.

Ich erinnerte mich. Er war so verstört gewesen, als sie ihn zurückgebracht hatten. „Was war da?“

„Ich …“ Er schüttelte den Kopf, als verwirrte ihn das erlebte noch immer, als könne er es einfach nicht richtig einordnen.

„Aman?“

Langsam hob er seinen Blick wieder und sah mir direkt in die Augen. „Ich hab ihn gesehen.“

Gesehen? „Wen?“

„Deinen Aman.“

Mein Mund ging auf, doch kein Ton kam heraus. Nach diesen Worten waren meine Geistreden wie weggeblasen. Deinen Aman. Er konnte doch nicht … er meinte doch nicht etwa … „Ich versteh nicht … ich …“

Aman ließ den Kopf gegen die Wand fallen. „Der General zeigte mir Bilder.“

„Bilder?“

„Vom Tod.“

Oh Göttin.

„Er war mein Spiegelbild“, sagte Aman leise. „Nein, er war mehr als das, er war ich. Ich habe Bilder von mir gesehen, Bilder auf denen ich tot bin.“

Es gab Bilder? Der General hatte diese Abscheulichkeit verewigt?

„Ich konnte die Wunde über seinem Herzen sehen, das viele Blut.“

Meine Geistreden stellten ihre Arbeit ein. Ich wollte das nicht hören. Am liebsten hätte ich mir einfach die Hände auf die Ohren gedrückt um seine Worte auszublenden, doch ich war wie erstarrt. Die Erinnerungen wallten einfach in mir auf. Die blutrote Blüte auf seiner Brust, der ungläubige Blick in seinen Augen. Seine letzten Worte an mich und der alles umfassende Schmerz, der mich zu zerreißen drohte.

„Im ersten Moment hatte ich geglaubt er zeigte mir ein Trugbild. Es war einfach zu fantastisch um wahr zu sein.“

Ich schloss die Augen und versuchte ihn damit auszublenden. Zum ersten Mal seit ich ihn wiedergefunden hatte, wünschte ich, er wäre nicht bei mir. Ich wollte diesen schmerz kein weiteres Mal fühlen, wollte mich kein weiteres Mal in ihm verlieren.

„Aber die Worte des Kriegergenerals … sie ähnelten deinen so sehr. Die Geschichte die er mir erzählte, das alles hatte ich schon aus deinem Mund gehört, also muss es wahr sein.“ Er schüttelte den Kopf, als könnte er es noch immer nicht glauben. „Und dann diese Bilder … dieser gebrochene Blick … es war …“

„Bitte“, flehte ich. „Schweig.“ Schon lange hatte ich diesen Schmerz nicht mehr so gefühlt, wie in diesem Augenblick. Ich hatte geglaubt, damit das Aman wieder bei mir war, alles andere ungeschehen wäre, aber diese Erinnerung tat noch immer so weh, dass ich glaubte zerbrechen zu müssen.  

„Wein nicht, kleine Kriegerin“, flüsterte Aman und strich mir sanft über die Wange, wischte die Träne fort.

„Er ist für mich gestorben“, sagte ich leise und öffnete die Augen. „Wäre er nicht gewesen, wäre ich heute nicht mehr hier.“

„Und ich auch nicht.“

Ja, ohne meinen Aman würde auch dieser hier nicht existieren.

Zum ersten Mal seit ich ihn wieder bei mir hatte, wurde ich mir bewusst, so gleich die beiden sich auch waren, es war einfach nicht das Gleiche. Mein Herz gehörte noch immer ihm. Seine Berührungen, wie er mir der Hand über mein Wange strich, dass alles wollte ich. Und immer wieder hatte ich das Gefühl, dass es ihm nicht anders ging. Ich wollte das hier, ich wollte ihn.

Und doch … es war nicht mehr so wie es sein sollte.

„Was fühlst du, Aman?“, fragte ich leise. „Was bin ich für dich?“ Ich musste es einfach wissen.

Fast ehrfürchtig strich Aman mir mit dem Daumen über die Lippe. Sein Blick war so forschend, als wüsste er selber nicht was er darauf antworten sollte.

„Manchmal muss man die Regeln brechen“, sagte er so leise, als wolle er seine eigenen Worte nicht hören.

„Dann brich sie“, flüsterte ich und beugte mich ihm entgegen …

Ein markerschütternder Schrei aus der Nachbarzelle ließ mich so heftig zurück wichen, dass ich mir den Elenbogen an der Wand stieß, bevor ich in Windeseile herumfuhr.

„Destina!“, rief Luan.

Der Schrei wiederholte sich. Sie schrie und schrie so hoch, dass es mich in den Ohren schmerzte.

„Gran!“, rief John. Er sprang auf die Beine, rannte zum Gitter und sah mit panischem Blick zu Luan hinüber. Pascal saß in der Ecke, drückte sich die Hände auf die Ohren und schaukelte immer wieder vor und zurück.

Aber die beiden waren nicht die einzigen, die plötzlich wach waren. Der Schrei hatte die Krieger geweckt. Rascheln, Bewegungen und leise Stimmen bildeten plötzlich die Hintergrundkulisse.

Ich sprang auf die Beine und eilte zum Gitter, aber aus der Perspektive konnte ich nichts sehen. „Luan, was ist geschehen?“

Er antwortete mir nicht. Ich hörte ihn murmeln, leise Worte die beruhigend auf Destina niedergingen.

Mein Blick glitt zu John, die Panik in seinen Augen. Er schüttelte den Kopf, als wolle er es nicht wahrhaben.

Und dann, ganz plötzlich brachen die Schreie ab.

Die Stille war unheimlicher, als das Kreischen, dass mir noch immer in den Ohren klingelte.

„Luan?“, fragte ich noch einmal.

Wieder kam keine Antwort. Doch ich sah John, wie er den Kopf immer wieder hin und her schüttelte. „Nein“, flüsterte er. „Nein.“  Und dann richtete sich sein Blick auf mich. So voller Hass. „Das ist deine schuld!“, schrie er mich an. „Du hast Destina auf dem Gewissen!“

 

°°°

 

Schuld. Ein Wort das in letzter Zeit viel zu oft im Zusammenhang mit mir gefallen war. Meine Schuld. Alles meine Schuld.

Ich wusste nicht wie die Grünen Krieger auf das Geschehen hier unten im Zellentrakt aufmerksam geworden waren, doch noch während John mich beschimpft hatte, waren sie gekommen und hatten Destina fort gebracht. Nur einen kurzen Blick hatte ich auf sie erhaschen können und dieses Bild würde mich für den Rest meines Lebens begleiten.

Destina war tot. Ihr Gesicht hatte ausgesehen, als wenn sie dem Grauen gegenübergestanden hätte, als wenn sie vor Angst gestorben wäre.

Sie war tot, weil ich die Zeit zurück gedreht hatte, gestorben vor einem Entsetzten, dass niemand außer ihr verstanden hatte.

Meine Schuld. Genau wie alles andere.

„Du solltest etwas essen um bei Kräften zu bleiben“, sagte Tarpan und schob mir das Tablett mit unserem Frühstück zu, das die Grünen Wächter vor einer halben Stunde gebracht hatten.

Doch ich wollte nichts essen. Mir war so flau im Magen, dass ich befürchtete, alles wieder auszubrechen, wenn ich es auch nur wagen sollte, ein Stück davon in die Hand zu nehmen. Stattdessen glitt mein Blick zu Aman in der Ecke, wie er bedächtig jeden Bissen den er zu sich nahm gründlich durchkaute, bevor er ihn schluckte.

Er hatte kein Wort mehr mit mir gesprochen, nicht seit Destina angefangen hatte zu schreien.

Hatte ich mir das nur eingebildet, oder hätte er mich geküsst? Warum nur musste das alles so verwirrend sein?

Ja, es war anders, aber dennoch spürte ich noch immer diese Verbindung zwischen uns.

Ich hatte ihn geküsst, ich hatte seine Nähe gesucht und auch noch jetzt zog es mich zu ihm. Aber nicht nur mir schien es so zu gehen, auch er schien sich in gewisser Hinsicht zu mir hingezogen zu fühlen. Doch er war ein Aman aus einer anderen Zeitlinie, er war nicht der Aman, der mich in den Höhlen von Ellan geliebt hatte.

Und doch war er Aman, er war alles was ich wollte.

Diese Geistreden waren so wirr und undurchsichtig, dass ich sie einfach nicht verstand. Wie war das nur möglich?

„Lilith, bitte, iss etwas.“

Es fiel mir schwer den Blick von Aman abzuwenden und ihn auf Tarpan zu richten. „Ich habe keinen Hunger.“

„Du hast bereits bei den letzten beiden Mahlzeiten kaum etwas zu dir genommen.“

„Ich will nichts essen.“

Ein leicht missmutiger Zug erhielt Einzug um seinen Mund. „Wen glaubst du hilft es, wenn du in den Hungerstreik trittst?“

Nun war ich es, die den Mund gereizt verzog. „Das ist kein Hungerstreik, ich habe nur einfach keinen Appetit. Das alles hier … es schlägt mir einfach auf den Magen.“

Tarpan fixierte mich mit einem Blick, der wohl furchteinflößend sein sollte, doch dann seufzte er einfach nur. „Du musst aber bei Kräften bleiben. Wenn …“

Das Geräusch der sich öffnenden Zellentrakttür ließ ihn verstummen. Jeder in diesem Trakt unterbrach das Essen, wenn sie nicht bereits fertig waren. Es war nicht ungewöhnlich die Grünen Krieger in den Gang kommen zu sehen. Sie kamen jeden Tag um diese Zeit, um die leeren Tabletts wieder abzuholen. Und wie jeden Tag, wurden sie dabei von den Kriegern in den Zellen mit Argussaugen verfolgt. Sie … Moment. Ich runzelte die Stirn, als der erste Grüne Krieger in Sichtweite kam. Wo waren die Wangen, mit denen sie alles immer wieder einsammelten?

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis mir klar wurde, dass sie nicht wegen Essensresten hier waren. Und als die schweren Schritte dann auch noch direkt vor meiner Zelle hielten, spannten sich alle meine Muskeln an.

Diese beiden Männer vor der Tür hatte ich noch nie gesehen. Es schienen Menschen zu sein. Der Vampir dahinter dagegen war mir bekannt. Ich hatte ihn schon bei meinem ersten Besuch auf der Erde gesehen.

Der eine Mensch zog ein Schlüsselbund von seinem Gürtel, doch ich hatte nur Augen für die beiden Nachzügler der Grünen Krieger. Der eine war ein mir unbekannter Elf, doch die Nymphe neben ihm, sah ich nicht zum ersten Mal.

Sarah.

Ich werde euch helfen zu entkommen.

Mein Herz schlug mit einem Schlag schneller und als sie dann auch noch den Blick auf mich richtete, befürchtete ich einen Moment, dass jeder es hören konnte.

Ich werde euch helfen zu entkommen.

Wollte sie immer noch helfen, oder hatte sie es mit der Angst zu tun bekommen, als Liliana ihre Macht spielen ließ. Ich wollte sie so gerne fragen, doch vor all den Grünen Kriegern, konnte ich das nicht tun.

Es klickte, als das Schloss geöffnet wurde.

„Du“, sagte der Mann mit dem Schlüssel und zeigte auf mich. „Aufstehen und herkommen. Und keine Mätzchen.“

Ich wollte auf meine Macht zugreifen und ihm die Krallen zeigen, doch noch immer blockierte etwas meine Magie.

„Wird es bald?“

Tarpan spannte die Muskeln an und auch Aman ließ General Winstons Gefolge nicht aus den Augen.

„Wenn ich dich holen muss, wird es dir leid tun“, drohte der Mann mir.

Ich konnte ihm vielleicht nicht die Krallen zeigen, doch anfauchen konnte ich ihn noch immer. „Wenn ihr mich wollt, dann kommt mich doch holen.“

Die Mundwinkel des Mannes sanken verärgert herunter. Als er einen Schritt in die Zelle machte, sprang ich genau wie Tarpan auf die Beine. In der nächsten Sekunde hörte ich das Klicken, dass dem Schuss immer voraus eilte.

Vier Waffen waren auf mich gerichtet – auch die von Sarah. Sie hatte sich also entschieden ihr Versprechen zu brechen. Der General hatte sie wieder unter Kontrolle. Ich sah es in ihrem Gesicht. Sie würde ihren Schuss benutzen, wenn es die Situation erforderte. Sie würde mich niederstrecken.

Das war der Moment, in dem das letzte bisschen Hoffnung in mir einfach zerbrach. Das war wohl auch der Grund, warum ich mich nicht wehrte, als der Mann mir die Arme grob auf den Rücken zerrte und mich dann mit eisernen Schellen fesselte.

„Und jetzt ab mit dir.“ Ich bekam einen Stoß in den Rücken.

Tarpan grollte tief aus der Kehle, wagte es aber nicht sich zu bewegen – nicht solange die Grünen Krieger noch ihre Waffen in der Hand hielten. Und die steckten sie erst weg, als die Tür zur Zelle wieder sicher verschlossen war.

Als der Mann mich am Arm packte, um mich vorwärts zu schieben, sagte Sarah: „Ich mach das. Schließ du auf.“

Ich zeigte ihr die Zähne.

Der Mann grummelte nur etwas, lief dann aber vorne weg. Ich wurde in der Mitte zwischen den anderen Kriegern drapiert.

„Komm“, sagte Sarah und schob mich nach vorne.

Ich wirbelte herum und biss nach ihr. Nur Zentimeter vor ihrem Gesicht krachten meine Zähne aufeinander, doch sie wich keinen Schritt zurück. „Nicht anfassen“, grollte ich.

„Dann lauf.“

Wir lieferten uns ein Blickduell in dem ich ihr ihr schändliches Verhalten vorwarf. Natürlich, ich wusste dass es gefährlich war, aber sie hatte es versprochen und nun ließ sie uns einfach im Stich. Sie ließ Angelique im Stich.

„Was ist denn da los?“, wollte der Mann mit den Schüsseln wissen und auch die anderen Grünen Krieger beobachteten uns genau. Sie ließen ihre Hände langsam zu ihren Hüften wandern.

„Nichts“, sagte Sarah. Und dann fügte sie noch ein Wort hinzu, dass so leise gesprochen war, dass nur jemand mit einem solch guten Gehört wie ich es hören konnte. Morgen, lautete dieses Wort.

Im ersten Moment verstand ich nicht, was sie mir damit sagen wollte, aber ihr Blick war so eindringlich …

Konnte es sein … meinte sie damit etwa, dass sie uns Morgen befreien wollte? Hatte sie sich gar nicht einschüchtern lassen? Kämpfte sie noch immer für uns? Konnte Liliana den Aufstand doch nicht ganz zerschlagen?

„Wird das da jetzt mal bald etwas?“, fragte der Schlüsselmann ungeduldig.

„Ja.“ Sarah gab mir einen Schubs.

Mit einem Fauchen wich ich vor ihr zurück, wandte mich dann um und folgte den Kriegern aus dem Zellentrakt.

Meine Geistereden rasten. Hatte ich sie wirklich richtig verstanden? Oder hatte ich mir das nur eingebildet? Aber ihre Lippen hatten sich doch bewegt.

Unsere Schritte klangen in den leeren Korridoren hohl.

Immer wieder schweifte mein Blick zu ihr. Ich wollte sie fragen, ob ich sie richtig verstanden hatte, doch das konnte ich nicht. „Wohin bringt ihr mich eigentlich?“, fragte ich, um mich abzulenken. Vielleicht wenn ich ein Gespräch anzettelte, würde ich weitere Einzelheiten aus ihr heraus bekommen – wenn es da überhaupt etwas gab, was ich aus ihr herausbekommen konnte.

„General Winston möchte dich sehen“, sagte der Vampir.

Mit diesen Worten rückten all meine Geistreden an Ausbruch vorerst in den Hintergrund.

Der Kriegergeneral.

„Wie könnt ihr nur guten Gewissens für einen solchen Mann arbeiten?“

Der Schlüsselmann schnaubte. „Wer sagt denn, dass wir ein Gewissen haben? Außerdem sind du und deine Freunde Eindringlinge in dieser Welt.“

„Und das gibt Ihnen das Recht so mit uns umzugehen?“

„Was hast du erwartet? Eine Begrüßungsparty und ein Händeschütteln von der Kanzlerin?“ Er schnaubte wieder.  

Ich kniff die Augen leicht zusammen. „Das werdet ihr irgendwann noch bereuen. Früher oder später kommen wir frei.“ Aus dem Augenwinkel warf ich Sarah einen Blick zu, doch ihre Mine blieb völlig unbewegt.

„Aber sicher doch“, sagte der Mann abfällig, ohne etwas von dem Blick zu bemerkten.

Wir bogen in einen vertrauten Korridor ab. Ich sah die Glasscheibe noch bevor ich die Sermos dahinter erblickte.

Acco …

Er lag in einem Käfig.

Mit einem Mal rasten meine Geistreden. Wenn wir morgen fliehen sollten, dann konnten wir sie nicht zurück lassen. Das musste ich Sarah sagen. Aber wie? Sie musste es in ihren Plan mit einbeziehen.

Wir hatten den Korridor halb durchquert, als ich mich plötzlich gegen Sarahs Griff sträubte. „Lasst sie frei!“, schrie ich, stieß sie urplötzlich von mir, sodass sie ins Straucheln geriet und lief zum Glas.

Hinter mir wurde geflucht. Eilige Schritte.

„Sie gehören nicht hier her! Ihr Heimat ist Silthrim!“

In dem Moment, als ich einen Schlag in den Rücken bekam, hob Acco seinen Kopf und blickte mir in die Augen.

Ich stolperte nach vorne, fing mich gerade noch am Glas ab, hörte aber nicht auf mit dem Geschrei. Sarah musste verstehen, was ich ihr zu sagen versuchte. „Sie gehören euch nicht!“

„Verdammt, wirst du wohl mit dem Theater aufhören!“, schimpfte der Schlüsselmann und weil er Sarah wohl für Inkompetent hielt, zerrte er mich nun von der Scheibe weg.

„Nein!“, schrie ich und stemmte mich gegen ihn. „Sie gehören nach Silthrim!“ Bei diesen Worten sah ich Nymphe genau in die Augen und hoffte dass sie verstand, was ich ihr damit vermitteln wollte. Wir konnten die Sermos bei einer Flucht nicht zurück lassen. Genau wie Janina. Niemand von ihnen gehörte an diesen Ort.  

Weitere Hände griffen nach mir. Ich wurde weggezerrt und konnte nichts dagegen unternehmen. Ich kämpfte, auch wenn es nur Schauspiel war. Erst als wir in den Gang zu Generals Silvano Winstons Zimmer einbogen, erstarben meine Wehrversuche langsam.

Doch mein Herz raste noch. Hatte Sarah die Mitteilung verstanden? Wenn ja, dann tat sich ein ganz anderes Problem vor mir auf: Ich wusste noch immer nicht, wie ich das Portal öffnen konnte. Doch das wichtigste war erst einmal aus den Fängen des Generals zu kommen, über alles andere konnten wir danach geistreden.

Leider führte mein Weg mich im Augenblick direkt zu Silvano. Niemals hätte ich geglaubt einmal eine solche Furcht zu empfinden, wie in dem Moment, als sie an die Tür klopften und sie nach einem gemurmelten „Herein“ öffneten.

Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, als drei der vier Männer mich in den Raum brachten und auf einen Stuhl drückten.

Der General saß wie bei meinem letzten Besuch in dem Stuhl mit den Rädern, doch sein Augenmerk galt nicht mir, sondern seiner Tochter, die sich hustend ein Tuch vor den Mund hielt.

Als sie es herunter nahm, konnte ich deutlich den Blutgeruch wahrnehmen und die roten Flecken auf dem Tuch sehen. Liliana hustete Blut.

Einen kurzen Moment erschien in den Augen des Generals etwas wie Sorge, wurde jedoch gleich wieder durch kalte Berechnung abgelöst, als sein Blick auf mich fiel. „Macht sie fest und lasst uns dann allein“, ordnete er an.

Die Grünen Krieger kamen seinem Befehl ohne zu zögern nach. Mit Ledermanschetten wurde ich an den Stuhl gebunden, dann zogen seine Gefolgsleute sich zurück und wir waren allein.

Die ganze Zeit ließ der General mich nicht aus dem Auge. Sein stechender Blick schien sich in meinen Geist zu bohren. „Ein Tag“, sagte er leise. „Nur noch einen Tag.“

Mein Herzschlag setzte einen Moment aus, um dann mit der dreifachen Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Das konnte doch nicht sein, er konnte doch nichts von dem Fluchtplan wissen. Nicht mal ich kannte ihn.

Bleib ruhig. „Ich verstehe nicht.“

Der General griff nach den großen Rädern und rollte direkt vor mich. „Ich gebe dir noch genau einen Tag. Wenn du mir bis morgen nicht gesagt hast wie ich das Portal öffnen kann, wirst du sterben.“

 

°°°°°

Kapitel Einundzwanzig

 

Nervös schweifte mein Blick zur Tür des Zellenblocks. Ich wusste nicht mehr wie oft ich das in den letzten Stunden getan hatte, doch so sehr ich auch hoffte, die Tür wollte sich einfach nicht öffnen. Hatte ich Sarah etwa falsch verstanden?

„Nein“, flüsterte ich und begann damit unruhig am Gitter hin und her zu streifen. Sie hatte morgen gesagt, da war ich mir ganz sicher und heute war morgen. Sie würde kommen und uns befreien. Dann würden wir die Sermos und Janina holen und diesem Ort auf ewig den Rücken kehren. Und wenn wir erst einmal fort waren, würden sowohl Liliana als auch der General niemanden von uns mehr ein Leid zufügen können.

Die Geistrede ließ mich innehalten. Mein Blick schweifte zu Aman in der Ecke. Er lehnte an der Wand. Seine Augen waren geschlossen. Es schien als würde er schlafen, doch um diesem Irrtum auf dem Leim zu gehen, kannte ich ihn einfach zu gut.

„Lilith, es wird nicht schneller geschehen, nur weil du dich selber und uns alle nervös machst.“ Tarpan streckte die Beine von sich. „Komm, setzt dich zu mir und lass uns reden.“

Ich warf ihm nur einen kurzen Blick zu, ging dann aber nicht zu ihm, sondern zu Aman und kniete mich neben ihn. Was mich in diesem Moment dazu bewog, konnte ich nicht sagen. Seit diesem kurzen Moment gestern, hatte er kaum ein Wort mit mir gesprochen. „Aman?“

Sehr langsam und nur einen Spalt öffneten sich seine Augen. Er wartete, sagte aber nichts.

„Ich …“ Was sollte ich nur sagen? Hier waren viel zu viele Ohren. Und auch wenn ich die Finis mit diesem Krieger akzeptiert hatte, so war ich doch noch nicht bereit, sie auch vor den anderen öffentlich zu machen. Nicht jetzt, wo wir swieso schon viel zu viele Probleme hatten. Und nicht solange mein Fafa in der Nähe war. Er würde dies niemals gutheißen und da war es egal, ob er seine eigene Finis bei den Elfen gefunden hatte.

„Sei unbesorgt“, sagte Aman leise. „Alles wird sich finden.“

Meinte er damit die Flucht, oder uns?

Wie gerne ich ihn gefragt hätte, doch ich fürchtete mich auch vor der Antwort. In der Vergangenheit hatte Aman das was uns verband nicht nur viel früher als ich erkannt, sondern auch akzeptiert. Doch jetzt? Ich wusste einfach nicht woran ich war.

Dieses Mal war einfach alles so anders.

„Falls wir zurück kommen …“ Ich stockte. Nein, so durfte ich gar nicht erst reden. „Sobald wir wieder zurück sind, müssen wir reden.“

„Ich verstehe“, sagte er schlicht. „Doch vergiss nicht, ich habe …“

Als die Tür zum Zellentrakt geöffnet wurde, verstummte Aman und eine unheimliche Stille breitete sich mit einem Schlag hier unten aus. Alle Blicke richteten sich auf den Gang. Es war, als würde jeder hier unten die Luft anhalten. Um dies zu wissen musste ich es nicht sehen, ich spürte es einfach.

Sie alle wussten, was heute geschehen sollte. Ich hatte es ihnen gesagt, sobald ich wieder in meine Zelle gebracht worden war. Und genau wie ich hofften sie nun, dass es endlich so weit war. Doch den schweren Schritten der Stiefel folgte wohl das einzige Gesicht, dass ich nicht sehen wollte: Liliana.

Ich gebe dir noch genau einen Tag. Wenn du mir bis morgen nicht gesagt hast wie ich das Portal öffnen kann, wirst du sterben.

Mein ganzer Körper spannte sich an.

„Zeig ihnen nicht dass du dich fürchtest“, flüsterte Aman mir zu, als Lilian sich mit fünf Grünen Kriegern vor der Zelle aufbaute – es waren die gleichen wie gestern, auch Sarah war unter ihnen. „Vergiss niemals, die Götter wachen über uns.“

Aus Tarpans Kehle kam ein tiefes Grollen. Genau wie Aman wusste er womit der General mir bei unserer gestrigen Begegnung gedroht hatte.

Wenn du mir bis morgen nicht gesagt hast wie ich das Portal öffnen kann, wirst du sterben.

Liliana hatte nur einen abschätzigen Blick für ihn offen, bevor sie dem Mann von gestern das Zeichen gab, meine Zelle aufzuschließen.

Ich konnte nichts dagegen tun, dass mein Herz mit jedem verstreichenden Moment schneller schlug. Ja, ich gab es zu, ich hatte Angst. Ich hatte so gehofft, dass Sarah kommen würde, bevor der General seine Drohung wahr machen konnte, doch nun stand Liliana hier.

In dem Moment kam mir eine unglaubliche Geistrede. Hatte ich mir Sarahs gemurmeltes Wort vielleicht doch nur eingebildet? Nein. Nein, so durfte ich nicht geistreden. Das würde alles nur schlimmer machen.

Als Schüsse gezogen wurden, die Tarpan davon abhalten sollten näher zu treten, strömten drei der Grünen Krieger in die Zelle. Als sie nach mir griffen, wollte ich ihnen ausweihen, doch plötzlich konnte ich mich nicht mehr bewegen. Es war wie mit meiner Verwandlung, mein Körper gehorchte mir einfach nicht mehr. Panik wallte in mir auf.

Zwei paar Hände packten mich. Mit dem Gesicht voran wurde ich gegen die Wand gedrückt, doch mein Blick lag allein auf Liliana. Dieses wissende Lächeln. Sie war es. Ich wusste nicht wie sie es machte, doch sie war es die meinen Körper kontrollierte.

„Was tust du?“, fragte ich und versuchte meine Stimme kräftig und nicht angstvoll klingen zu lassen. Ich war mir nicht sicher ob mir das gelang.

„Das was nötig ist.“

Aman knurrte, als sie mir die Hände auf den Rücken banden und mich aus der Zelle führten. Plötzlich knallte ein Schuss und Tarpan fauchte.

Erschrocken wirbelte ich in dem Griff der Grünen Krieger herum. Die Zellentür fiel krachend ins Schloss.

Von Tarpans Handrücken tropfte Blut. Sarah hielt noch immer den erhobenen Schuss in der Hand.

„Das war unnötig, Soldat Schäfer.“

Sarah reagierte nicht. Sie sicherte nur ihre Waffe und ließ sie zurück in das Futter an ihrer Hüfte gleiten.

Oh Göttin, nein! Sarah hatte einen Schuss bei Tarpan benutzt. Hatte ich mich doch geirrt? Nein, nein. Bitte nein.

„Und du.“ Lilian trat genau vor mich. „Ich hoffe du hast dir die Worte meines Vaters zu Herzen genommen, ansonsten hat nun dein letztes Stündchen geschlagen. Und es wird nicht mal eine Henkersmahlzeit für dich geben.“

Weiter hinten im Gang krachte etwas in die Gitter.

„Lilith, nein!“

Fafa.

Tarpan trat gegen die Stäbe. „Wagt es nicht sie anzurühren!“

Mein Blick glitt zu Sarah. So kalt.

Ich musste mich geirrt haben.

Ich hatte mich geirrt.

Das war der Moment, in dem die Panik Besitzt von mir ergriff.

„Bringt sie weg“, lautete Lilianas Befehl.

Mein Fafa rastete in seiner Zelle völlig aus. Er tobte, wütete und brüllte. Auch Tarpan brüllte Drohungen und Verwünschungen. Luan stand am Gitter und beobachtete mich hilflos. John wich meinem Blick aus, doch Noah beobachtete uns ganz genau.

Blicke von allen Seiten. Mitfühlend, traurig, ängstlich.

„Nein, nein, nein.“ Ich schüttelte den Kopf und als sie begannen mich den Gang entlang zu führen, wollte ich mich wehren, doch genau wie eben, konnte ich nichts weiter tun als einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Mein Blick schnellte zu Liliana. Sie machte das. Irgendwie kontrollierte sie meine Bewegungen. Doch es schien sie anzustrengen.

„Abmarsch“, befahl sie und führte ihre Gruppe nach draußen. „Und sorgt hier drinnen für Ruhe.“

Ich konnte meinen Fafa und Tarpan brüllen hören. Und Aman wie er meinen Namen rief. Dann fiel die Tür zwischen uns zu und ich hörte gar nichts mehr.

Die Angst kroch wie ein Schauder über meine Haut. Immer wieder versuchte ich Blickkontakt mit Sarah aufzunehmen, doch sie schaute so stur geradeaus, als wäre ich gar nicht existent.

Ununterbrochen versuchte ich mich gegen Lilianas Zauber aufzubäumen – denn nichts anderes konnte es sein was mich fesselte – doch mein Körper gehorchte nur noch ihrem Willen. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Das wissen das ich auf dem Weg zum Sterben war, war schlimmer als alles, was mir bisher wiederfahren war. Nein, das war nicht wahr. Als ich das erste Mal zur Erde zurückgekehrt war, war es schlimmer gewesen. Amans Verlust und die plötzliche Gewissheit völlig allein zu sein, hatte mich in einen Abgrund gestürzt, aus dem ich nur schwer entkommen konnte. Und doch war diese Situation nicht viel anders. Wieder war ich allein. Es gab niemanden mehr, der mir helfen konnte. Ich konnte mir nicht mal selber helfen.

Dabei ging es nicht nur allein um mich. Was würde aus den anderen Natis der Götter werden? Was würde der General ihnen antun? Was würden sie mit meinem Fafa machen und mit Tarpan? Was würde mit Aman geschehen?

Ich versuchte mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, doch die Furcht rann durch meine Adern, als wolle sie mein Blut ersetzen. Immer wieder glitt mein Blick panisch hin und her, während mein Herz versuchte noch so viele Schläge wie es konnte zu machen. „Ich habe keine Antwort für dich“, rief ich Liliana zu. „Es gibt keinen Weg nach Silthrim, so glaub mir doch.“

Sie ignorierte mich.

Das machte es noch schlimmer.

Während ich fieberhaft über einen Ausweg nachsinnte und versuchte mich nicht von meiner Angst übermannen zu lassen, führten sie mich immer tiefer in die Eingeweide von Belua.

Mein Herz schlug viel zu schnell. Auch meine Atmung wollte sich nicht beruhigen lassen. Ich wollte nicht sterben.

Und dann kam die Tür des Generals in Sicht.

„Nein“, flüsterte ich und versuchte noch heftiger gegen ihren Zauber zu bestehen. „Nein, bitte nicht. Nein!“

Auch Liliana atmete mittlerweile nicht mehr so ruhig wie noch im Zellenblock. Die Anstrengung war ihr anzusehen. Es kostete sie unglaubliche Magiereserven mich ruhig zu halten.

Wenn ich mich nur weiter wehrte, vielleicht konnte ich dann den Zauber sprengen. 

Doch die Tür zum Zimmer des Generals wurde geöffnet und ich hineingebracht. Nein, nein, nein.

Der General saß wieder in seinem Stuhl. In dem Moment in dem ich in das Zimmer geführt wurde, richtete sein kalter Blick sich auf mich mit all den Versprechen die er mir gestern gegeben hatte.  

Bastet, hilf!

Ich wusste nicht ob es der Ruf an meine Göttin war, oder einfach nur eine glückliche Fügung des Schicksals, weil ich einfach nicht aufhörte mich gegen ihren Zauber zu stemmen, doch plötzlich schien in mir drinnen etwas zu brechen.

Liliana gab einen leidlichen Laut von sich und in diesem Moment brach meine Magie aus mir hervor. In Bruchteilen von Sekunden verwandelte ich mich in ein Wesen, das so wild war wie die Natur in der es lebte. Weißes Fell, schwarze Tupfen. Haar brach aus meiner Haut hervor, mein Körper veränderte ich leicht, verschmolz mit dem Tier das ich eigentlich war.

„Verdammt, was …“

Ich holte aus und schlug nach dem Schlüsselmann.

„Packt sie!“

Etwas traf mich heftig am Kopf und ließ mich nach vorne taumeln. Mein Blick verkläre sich und meine Glieder fühlten sich plötzlich schwer an. Alles schien einen Augenblick wie in Watte zu sein.

Hände griffen nach mir. Ich spürte wie ich gepackt wurde und man mich auf den Stuhl mit den Schellen setzte, auf dem ich bereits viel zu viel Zeit verbracht hatte.

Durch meine enormen Heilkräfte, dauerte dieser Zustand nur wenige Minuten an. Doch leider reichten diese wenigen Minuten, um mich an den Stuhl festzubinden und ihnen ein weiteres Mal hilflos ausgeliefert zu sein.

Ich blinzelte. Der Schlüsselmann hielt sich den blutenden Arm und funkelte mich wütend an. Ich hatte ihm den Ärmel aufgerissen. Der Vampir und der Elf traten mit grimmiger Miene vor mir zurück. Sarah schien sich rausgehalten zu haben.

Liliana stützte sich seitlich am Tresen ab und atmete schwer, was der General mit einer grimmigen Miene zur Kenntnis nahm.

„Ich wusste du bist gefährlich“, sagte er leise. „Schon das erste Mal als ich dich gesehen habe, wusste ich es. Dein naives Getue konnte mich nicht täuschen.“

Getue? Was hieß hie naiv?! Ich fauchte ihn an.

Mit einem kurzen Blick versicherte er sich, dass seine Tochter im Moment keine Hilfe brauchte und rollte dann auf den kleinen silbernen Tisch neben meinem Stuhl zu. Was ich dort sah, ließ meine Angst wieder steigen.

Gläserne Pfeile.

„Die Todesstrafe ist heute nicht mehr weit verbreitet, doch immer wieder gang und gebe. Die Menschen haben sie in Jahrhunderten verfeinert. Der Galgen, Erschießung Gaskammer und der elektrische Stuhl. Alles wirksame Methoden um zu töten. Manche von ihnen haben es sogar in die Geschichtsbücher geschafft, wie Marie Antoinette und die Guillotine. Ich jedoch bevorzuge etwas anderes.“ Er griff nach einem der silbernen Pfeile und drehte ihn in seinen Fingern.

„Die Giftspritze ist wohl einer der humansten Methoden jemanden das Leben zu nehmen. Immer vorausgesetzt sie wird richtig angewandt. Soll ich dir erklären wie das funktioniert?“

Zur Antwort zeigte ich ihm die Zähne und zerrte an meinen ledernen Fesseln. Ich wusste dass es zwecklos war, aber ich konnte nicht einfach so aufgeben. Ich musste noch so viel erledigen. Für mich war es einfach noch nicht an der Zeit in die Mächte zurück zu kehren.  

Das ließ ihn lächeln. „Zuerst wird der der Hinzurichtende auf eine Liege geschnallt und in beiden Armen mit einer Kanüle versehen. Dann wird dem Verurteilten ein Betäubungsmittel verabreicht, dessen Dosis allein schon so hoch angesetzt wird, dass der Verurteilte daran sterben könnte. Dann verabreicht man ihm ein Gift, das alle Muskeln mit Ausnahme des Herzens langsam lähmt und das Atmen immer schwerer werden lässt. Man erstickt langsam.“ Wieder drehte er den gläsernen Pfeil in seiner Hand. „Dann kommt eine weitere Spritze, ein Herzlähmendes Mittel. Das Gift breitet sich so lange aus, bis es jeden Muskel gelähmt hat. Irgendwann bleibt das Herz stehen und der Hinzurichtende ist einfach tot, von der Erde getilgt, ohne das noch jemand einen Gedanken an ihn verschwendet.“

Ich schluckte. Das hörte sich grauenhaft an. Ich wollte nicht dass das mit mir geschah. Ich wollte leben, atmen, spüren wie mein Herz schlug.

„Doch für jemanden wie dich ist dieser Aufwand völlig überflüssig, denn schon eine kleine Menge Thiopental reicht um deinen Organismus zum Erliegen zu bringen.“

„Thiopental?“ Dieses Wort sagte mir nichts.

„Ein Medikament, das in erster Linie in der Anästhesie zur Einleitung einer Narkose genutzt wird.“

Das sagte mir auch nicht viel.

Der Kriegergeneral ließ den gläsernen Pfeil in seinen Schoß sinken. „Ich hoffe du verstehst was ich dir gerade erklärt habe.“

Natürlich verstand ich. Er versuchte mir Angst zu machen, damit ich ihm alles verriet was er wissen wollte. Nur hatte ich bereits Angst, aber noch immer keine Antworten für ihn.

Ich schaute kurz zu Sarah, die einem Augenkontakt mit mir noch immer auswich.

„Und nun zur alles entscheidenden Frage.“ General Winston neigte den Kopf leicht zur Seite. „Und überlege gut, bevor du darauf antwortest.“

Auch Liliana richtete nun ihren Blick auf mich, als wollte sie mich damit zwingen genau das zu sagen was sie hören wollte.

„Sag mir wie ich in deine Welt komme. Wie öffne ich das Portal?“

Ich schloss die Augen um die Blicke der Grünen Krieger nicht sehen zu müssen.

„Antworte mir!“

„Es gibt keinen Weg“, sagte ich leise. Ich war es so Leid es ihm immer und immer wieder die gleiche Antwort geben zu müssen. Warum nur konnte er mir nicht einfach glauben?

Was folgte war Stille, die so lange anhielt, bis ich wieder die Augen öffnete und mich dem kalten Blick des Generals ausgesetzt sah.

„Nun gut. Es ist deine Entscheidung.“ Silvano Winston nahm die Spritze aus seinem Schoß und griff nach meinem Arm.

Kalte Angst machte sich in mir breit. Ich versuchte mich dem Griff zu entziehen, doch ich war nicht nur am Handgelenk, sondern auch am Oberarm festgebunden.

„Du hast es nicht anders gewollt“, sagte er uns setzte die Spritze an meinen Arm an.

Bilder der Wachträume die mich beim letzten Mal überfallen hatten, rasten durch meinen Geist. Der Schmerz, die Angst. Mein kurzzeitiger Tod. „Nein!“, schrie ich. „Nein, bitte, ich …“

Aus dem Augenwinkel sah ich eine hektische Bewegung. Im nächsten Moment gab es einen dumpfen Knall, ein Stöhnen und dann sank Liliana besinnungslos in sich zusammen.

Von den Geräuschen alarmiert drehte Silvano sich um und sah Sarah, die Liliana mit dem Knauf ihres Schussen bewusstlos geschlagen hatte.

„Was …“

Mehr brachte der Kriegergeneral nicht raus. Plötzlich verdrehte er die Augen. Der gläserne Pfeil rutschte ihm aus der Hand und fiel klirrend zu Boden. Im nächsten Moment erschlaffe sein ganzer Körper. Aber nicht nur ihm ging es so, auch die beiden menschlichen Grünen Krieger, sanken einfach in sich zusammen und bewegten sich dann nicht mehr.

In der nächsten Sekunde schrille ein Alarm los, der durch das ganze Gebäude halte und mich in den Ohren schmerzte. Kleine rote Lämpchen blinkten unter der Decke auf.

„Na endlich“, knurrte der Vampir und eilte zu mir.

„Was …“

„Keine Zeit“, unterbrach er mich und begann damit meine Fesseln zu lösen.

Auch der Elf eilte zu mir und half ihm.

Sarah unterdes rannte zur Tür, öffnete sie einen Spalt und schaute hinaus.

Ich verstand das nicht. „Was hat das zu bedeuten? Was ist hier los?“

„Wir machen uns jetzt aus dem Staub“, sagte er Vampir und grinste mich breit an. „Aber wir haben nicht viel Zeit.“

Ich schaute zum General und den anderen beiden Menschen. „Was ist mit ihnen?“

„Liliana ist nicht die einzige magisch Begabte in dieser Anlage“, sagte der Elf ruhig und löste meine letzte Fessel. „Und der Zauber der Bewusstlosigkeit ist zwar schwer, aber nicht …“

„Hört auf zu quatschen und beeilt euch!“, forderte Sarah uns auf.

„Bewusstlosigkeit?“, fragte ich und eilte mit den beiden Grünen Kriegern zur Tür.

„Wir haben ungefähr eine Stunde, dann wachen sie wieder auf.“ Sarah stieß die Tür ganz auf und winkte uns hinaus in den Korridor.

Die Atmosphäre hier draußen war unheimlich. Die Sirenen schalten noch immer durch die Gänge, zusammen mit dem flackernden roten Licht. Doch dies war das einzige Geräusch, was hier draußen zu hören war. Zumindest für einen kurzen Moment noch. Dann erlosch sowohl das rotflackernde Licht, als auch die durchdringende Sirene. Die folgende Stille lag wie ein drohendes Omen über uns.

Ich schaute zu Sarah. „Was hat das zu bedeuten?“

„Die Sirene war nur ein Zeichen für alle die uns folgen wollen.“ Sie hielt nicht inne, eilte mit langen Schritten den Gang hinunter. „Alle werden sich nun am Portal versammeln, deswegen müssen wir uns beeilen und …“

„Ich weiß nicht wie man das Portal öffnet.“ Die Worte waren über meine Lippen, bevor ich darüber nachsinnen konnte und hatte Sarahs abruptes Halten zur Folge. Sie wirbelte zu mir herum und starrte mich an, als sei ich eine seltsame Erscheinung.

„Wenn das ein Scherz sein sollte, dann ist er dir nicht sehr gut gelungen.“

„Ich mache keinen Scherz“, sagte ich und dränge mich an ihnen vorbei. Das Forschungslabor mit den Sermos war hinter der nächsten Ecke. Und auch wenn ich noch nicht wusste wie wir zurückkehren konnten, so würde ich das Geleit eines Kriegers nicht länger in den Käfigen lassen. Wie sie schon sagten, wir hatten nicht viel Zeit und es war noch viel zu tun.

Zwar steckte mir der Schrecken durch den gläsernen Pfeil noch immer in den Knochen, doch ich durfte mich davon im Moment nicht aufhalten lassen.

„Aber“, sagte der Vampir. „Ich dachte … uns wurde gesagt, dass du uns zurückbringen kannst.“

Einen kurzen Moment drückte ich die Lippen zusammen. „Es war geplant, dass die Priester in unserem Tempel das Portal in regelmäßigen Abständen öffnen – von Silthrim aus. Aber Liliana hat unser Portal zerstört und deswegen können die Priester uns nun nicht mehr erreichen.“

„Und wie sollen wir dann nach Silthrim kommen?!“, fauchte der Vampir. In seiner Stimme klang ein panischer Unterton mit.

„Ich weiß nicht.“ Ich bog um die Ecke ohne auf die andren zu achten. An ihren Schritten hörte ich dass sie mir folgten Doch in der Zwischenzeit kamen die Geräusche in diesen Gängen nicht mehr nur von uns. In der Ferne hörte viele Füße und das aufgeregte Gemurmel von Stimmen. Ich hielt inne und schaute zu Sarah, doch die schien nicht beunruhigt, nur wachsam. Wahrscheinlich waren das die anderen Natis der Götter, all jene, die uns folgen wollten – die mir folgen wollten.

Und ich konnte das Portal nicht öffnen.

Nein, so durfte ich nicht geistreden. Ich musste daran glauben, dass ich einen Weg finden würde. „Es gibt da eine Geschichte, die Legende der Achtzehn. Wenn sie wahr ist, haben wir vielleicht eine Chance den Weg durch die Welten zu öffnen.“ Nur dass wir nur siebzehn waren. Diese Geistreden verdrängte ich ganz schnell.

„Und wenn die nicht wahr ist?“, wollte der Vampir wissen.

Ich schwieg, bog ab und hielt direkt auf die Tür zu dem Forschungslabor zu.

Der Elf gab ein unwilliges Geräusch von sich. „Phantastisch.“

Mein Blick wanderte zur Glasscheibe. Eine Frau in einem weißen Kittel machte sich gerade an dem Käfig von Acco zu schaffen. Überall um sie herum lagen bewusstlose Menschen auf dem Boden. Auch vorne im Gang konnte ich einen entdecken. Meine Schritte wurden schneller, doch als ich die Tür aufreißen wollte, ließ sie sich nicht öffnen, sie war versiegelt. „Göttertod noch eins.“

„Warte.“ Sara drängte mich ein wenig zur Seite, zog dabei eine Karte aus ihrer Jacke und zog diese Karte durch ein kleines Kästchen an der Wand.

Mittlerweile hatte ich aufgehört mich über kleine Kästchen zu wundern.

Sie drückte die Tür auf, doch Stimmen und Schritte im Gang lenkten meine Aufmerksamkeit auf das Ende des Korridors.

Eine bunte Gruppe von Götternatis eilte mit Koffern und Taschen den Gang entlang. Ein Mann mit einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht trug ein Natis in den Armen – es sah krank aus. Eine Frau zog zwei kleine Kinder hinter sich her.

Es wurden immer mehr.

Die gehetzten Gesichter zeigen verschiedene Ausdrücke. Freude, Angst, Unsicherheit.

Sie alle wollten nach Silthrim. Sie alle vertrauten darauf, dass ich ihnen den Weg ebnete. Oh Göttin, keiner von ihnen ahnte, dass ich nicht in der Lage war das Portal zu öffnen.

Ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Ich wollte diese Verantwortung nicht. Ich schaffte es doch kaum mir selber zu helfen, wie sollte ich dann ihnen allen helfen?

„Lilith, wir haben nicht so viel Zeit“, drängte Sarah mich.

Sie hatte Recht. Jetzt musste ich erstmal die Sermos befreien, danach konnte ich mich noch immer um dieses Problem kümmern.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit von den vielen Stimmen ab und trat durch die Tür, die Sarah für mich aufhielt.

Als ich Acco neben einem Käfig stehen sah, ohne Geschirr oder andren Einschränkungen die ihn an einer Wandlung hindern konnten, hielt mich nichts mehr auf. „Acco!“, rief ich und rannte durch die Halle. Ein Tisch der mir im Weg stand, wurde von mir einfach übersprungen.

Meine Stimme hatte die Frau im weißen Kittel aufgeschreckt, doch der Anblick von Sarah schien sie zu beruhigen, weswegen sie einfach damit fortfuhr den Käfig des Wolfsermo zu öffnen.

Ich hatte keine Augen dafür. Ich landete gehockt auf dem Boden und im nächsten Moment rammte Acco mich auch schon überschwänglich und leckte mir einmal quer durchs Gesicht. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und landete auf meinem Hintern. Aber das war mir egal. „Acco“, flüsterte ich, vergrub meine Hände in seinem dünnen Fell und drückte ihn an mich.

„Ich habe zu Seth gebettet, ich habe so gehofft, dass diese Marter ein Ende haben wird, ich …“ Seine Stimme brach.

Oh Göttin, was hatten sie nur mit ihm getan? „Alles wird gut, du wirst schon sehen. Jetzt wird alles …“

„Wir haben ein Problem.“

Diese Stimme war mir völlig unbekannt. Daher war mir sofort klar, dass sie von der Frau in dem weißen Kittel kommen musste.

Sie hockte vor dem Wolf und löste gerade sein Geschirr samt Maulkorb.

„Was für ein Problem?“, fragte Sarah angespannt.

„Sie haben das Experiment Mutation vorgezogen.“

„Was?!“

Bei Sarahs Ausruf runzelte ich die Stirn. Ich schob Acco ein wenig von mir und erhob mich wieder auf die Beine.

„Aber das sollte doch erste nächste Woche starten.“

„General Winston wollte dass wir schneller arbeiten. Es wurde bereits gestern damit begonnen.“ Ein letzter Handgriff und das Geschirr löste sich.

Sofort trat der Wolf einen Schritt zurück und schüttelte sein Fell aus. „Bei Seth, das wurde aber auch Zeit.“

„Mutation?“, fragte ich. „Was bedeutet das?“

Die Frau in dem weisen Kittel drehte mir das Gesicht zu. Das war das erste Mal, dass ich sie richtig sehen konnte und sie war so wunderschön, dass es mir für einen kurzen Moment den Atem raubte. Eine Sirene. Zur Sachmet, vor mir stand eine Sirene! „Wir wollten den Prozess der Verwandlung kontrolliert herbeiführen um die Belastbarkeit eines Amentrums zu testen.“ Sie richtete sich auf, drehte sich herum und eilte auf eine Tür weiter hinten in der Halle zu. „Das Mittel dafür haben wir aus den Genen der Probanden entnommen, doch wir haben es wahrscheinlich zu hoch dosiert.“

Ich verstand nicht. „Was bedeutet das?“

Sie sagte nichts mehr, öffnete nur die Tür neben den Käfigen und deutete uns allen vorzugehen. „Seht selbst.“

„Onyx“, flüsterte Acco und rannte los.

Ich warf Sarah einen verwirrten Blick zu und eilte dem Sermo dann hinterher. Doch das was ich in dem Raum dahinter sah, war nicht so schrecklich wie ich befürchtet hatte. Es war Vineas Amentrum, der sich in Ketten gelegt in die hinterste Ecke des Raumes drängte und die Zähne fletschte. „Du brauchst dich nicht zu fürchten“, sagte ich leise du trat einen Schritt auf ihn zu. „Dir wird nichts mehr geschehen.“

Seine Lefzen zogen sich noch hör. 

Hier stimmte etwas nicht. Diesen Amentrum zu sehen, löste ein ganz seltsames Gefühl in mir aus. „Hab keine Angst, wir sind gekommen …“

Als Onyx plötzlich nach vorne sprang, rammte Acco mich so heftig in die Seite, dass ich der Länge nach hinschlug.

Die Sirene gab einen spitzen Schrei von sich und dann hörte ich das vertraute Klicken eines Schusses.

Ich wirbelte herum. „Nein!“

Der Vampir sah zu mir, ließ seinen Schuss aber nur zögernd sinken. „Er ist …“

„Wage es nicht ihm etwas zu tun“, grollte ich warnend.

Onyx zog sich wieder in seine Ecke zurück.

Sehr langsam arbeitete ich mich zurück auf die Beine und ließ den Amentrum dabei keinen Moment aus den Augen. „Was habt ihr mit ihm gemacht?“

„Wir haben die Verwandlung erzwungen. In den Stunden darauf verlernte er das Sprechen und sein logisches Denken. Diese Ketten sind das einzige was ihn davon abhält uns anzufallen.“

Sie hatten was? „Ihr habt ihn gezwungen?“ Ich sah in die verwirrten Augen des Tieres und nun wusste ich woher dieses seltsame Gefühl kam. Ein solches Wesen sah ich nicht zum ersten Mal. Er war viel zu groß für ein Amentrum. „Er ist so wie Sian war.“

Pravum“, flüsterte Acco.

Oh Göttin, bitte nicht.

„Was sollen wir mit ihm machen?“, fragte Sarah. Genau wie der Vampir und der Elf waren sie an die offene Tür herangetreten.

Da gab es nur eines was wir tun konnten. „Wir müssen Vinea holen. Sie ist die einzige die zu ihm durchdringen kann.“ Und da Onyx noch nicht lange in dieser Gestallt war, hatte ich die Hoffnung, dass sie zu ihrem Geleit schneller heilen konnte, als ich damals Sian.

„Acco, pass auf ihn auf.“ Ich trat an der Sirene vorbei aus dem Raum.

„Vielleicht wäre es das humanste, wenn wir ihn eliminieren würden“, überlegte die wunderschöne Frau.

Ich war vielleicht drei Meter von dem Raum entfernt, da wirbelte ich fauchend zu der Frau herum.

Sie wich einen erschrockenen Schritt zurück.

„Ihr habt ihm das angetan und nun wollt ihr ihm auch noch sein Leben nehmen, nur weil ich euch nicht den Konsequenzen stellen wollt? Wagt es nicht ihm auch nur ein Haar zu krümmen.“

Acco knurrte warnend, sollte auch nur jemand auf die Idee kommen, sich dem Raum zu nähren.

„Lilith“, sagte Sarah langsam. „Wir haben nicht viel Zeit und wir können kein Ungeheuer mitnehmen, das uns fressen wird, wenn es die Gelegenheit dazu bekommt.“

Mein Gesicht wurde völlig ausdruckslos. „Dann sollten wir uns wohl beeilen und Vinea holen, denn sie ist die einzige die ihm helfen kann.“

„Lilith, es …“

„Ich werde nicht zulassen dass einer von euch ihm weiteres Leid zufügt. Wir können nun weiter diskutieren und die wenige Zeit die wir haben verschwenden, oder ihr helft mir und …“

Ein lauter Knall schallte durch die Halle.

Noch im selben Moment bemerkte ich einen beißenden Schmerz in meiner Schulter und eine Wucht, die mich einen Schritt nach vorne schob.

Wie von selbst legte meine Hand sich auf die schmerzende Stelle. Als ich sie wieder wegnahm, sah ich das Blut an meinen Fingern, dass mir auch Das Fell verklebte. Und ich war nicht die einzige.

Die Sirene hielt sich erschrocken die Hand vor dem Mund. Die Grünen Krieger dagegen wirbelten herum – genau wie ich.

Im Türrahmen am Ende der Halle stand Liliana. Die Waffe in ihrer Hand war noch immer auf mich gerichtet. Blut klebte an ihrer Schläfe. Ihr Blick schien nicht ganz klar zu sein, doch die Wut und der Hass darin waren deutlich.

 

°°°°°

Kapitel Zweiundzwanzig

 

Mein Blick ging direkt in den Lauf ihres Schusses. Ich sah wie ihr Finger zuckte, doch bevor ich regieren konnte, hallte ein weiterer Knall durch die Halle. Der Schmerz explodierte in meinem Bein und ließ mich mit einem Schrei zu Boden gehen.

Acco knurrte, die Sirene holte erschrocken Luft.

Ich krümmte mich zusammen und versuchte gegen den Schmerz zu atmen. Dieses Mal hatte die Kugel mich nur gestreift, doch es siedete trotzdem als würden Steine der Sonne auf meiner bloßen Haut liegen.

Warum war Liliana hier? Sarah hatte sie doch bewusstlos geschlagen. Wie konnte sie sich davon so schnell erholen?

„Keine Bewegung“, sagte sie mit kalter Stimme, als sowohl Sarah, als auch der Vampir ihre Schüsse ziehen wollten. Die Tür an der sie stand lag weiter hintern, halb versteckt neben einem hohen Schrank. Bisher war sie mir nicht aufgefallen. „Nur ein falsches Muskelzucken und die nächste Kugel wird ihren Kopf treffen.“

Ich verengte die Augen und biss die Zähne zusammen. „Warum tust du das?“

„Warum?“ Sie gab einen hysterischen Lacher von sich, trat ein Stück weiter in den Raum hinein und bewegte sich mit dem Rücken an der Wand entlang, ohne ihr Ziel auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. „Als die Krankheit bei mir festgestellt wurde, hatte ich mich damit abgefunden, dass ich sterben würde. Doch dann bist du aufgetaucht und hast von Heilung gesprochen. Mein Vater hat mir gesagt, dass ich nicht sterben muss, aber du gibst deine Geheimnisse ja nicht preis!“ Den letzten Satz schrie sie mir entgegen. Ein Speicheltropfen flog dabei von ihrer Lippe. Sie gab ein Bild des Schauders ab.

Sehr vorsichtig erhob ich mich vom Boden, belastete dabei aber nur das unverletzte Bein und versuchte den pochenden Schmerz in meiner Schulter zu ignorieren, genau wie den Geruch, der von der Verletzung ausging. „Ich habe daraus kein Geheimnis gemacht. Du weißt wie du dich heilen …“

„Sei still!“, kreischte sie und trat wachsam einen weiteren Schritt in die Halle. „Ich will nicht sterben, weißt du? Es gibt noch so viel wofür es sich zu leben lohnt, aber du willst mir nicht helfen.“

„Das ist nicht …“

„Ich hab gesagt dass du still sein sollst!“

Verrückt. Sie ist verrückt. Ich wagte aus kam mich zu bewegen, als der Lauf ihres Schusses sich auf meine Stirn richtete.

Draußen vor dem Fenster zum Korridor kam Bewegung auf. Die erste Person die ich sah war Angelina. Ihr folgten ein paar Grüne Krieger und die anderen Bewohner von Belua, die Liliana in die Zellen gesperrt hatte. Doch meine Augen erfassten den Krieger der Bastet, der ihnen Folgte: Fafa. Und er war nicht alleine. Tarpan, Vinea, Luan, Aman. Sie alle eilten draußen am Fenster vorbei, zusammen mit den Kriegern der Götter.
Sie sind frei!

Befände ich mich nicht in einer solch prekären Situation, könnte ich dieses kleine Hochgefühl voll auskosten. Doch wie die Lange nun mal war, musste ich mich auf Liliana konzentrieren. Auch als Vinea entdecke, was hier drinnen vor sich ging und mein Fafa und Aman damit begannen von außen gegen die Scheibe zu schlagen, ließ ich sie keinen Moment aus den Augen.

Liliana hatte für sie nur einen kurzen gehetzten Blick übrig. „Das ist Panzerglas, da können sie nicht zerschlagen.“

Ich wusste nicht was Panzerglas sein sollte, aber ich schaffte es mich zu beherrschen und meine Neugierde zu verdrängen. Ich glaubte sowieso nicht, dass sie im Moment dazu in der Lage war mir etwas ruhig zu erklären, so dass ich es auch verstand.

„Sie werden dir nicht helfen können.“ Lilianas Mundwinkel hob sich zu einem schaurigen Lächeln.

Leider fürchtete ich, dass sie wahr sprach. In der Zwischenzeit hämmerten noch mehr Krieger gegen das Fenster, versuchten es kaputt zu schlagen, oder einzutreten, aber das Glas zeigte nicht einmal einen Riss. Was war das nun wieder für eine Magie?

„Weist du, ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt.“ Sie kam einen weiteren Schritt auf mich zu.

Der Elf neben mir spannte sich an.

„Wärst du nur nicht so stur gewesen, wäre alles anders gekommen. Du hättest dich uns anschließen können und viel bewirken. Du wärst berühmt geworden. Eine Kriegerin aus einer anderen Welt, die uns Zutritt zu ihr und all ihren Ressourcen verschafft.“

Im Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung. Acco duckte sich und kroch über den Boden in ihre Richtung. Durch die vielen Tische in der Halle, entging er ihrer Aufmerksamkeit.

Ich versuchte nicht darauf zu achten.

„Aber du wolltest ja nicht. Du willst das ich sterbe!“

„Das ist nicht wahr.“ Es stimmte schon, besondere Sympathien hegte ich für sie nicht, aber deswegen wollte ich sie noch lange nicht tot sehen. Wenn das ihr Schicksal war, würde ich nichts dagegen unternehmen, doch im Moment lag es nicht in meiner Verantwortung sie zurück in die Mächte zu schicken.

„Lüg nicht!“, schrie sie mich an.

Hinter mir aus dem Raum hörte ich Onyx knurren. Seine Ketten klirrten, als er sich bewegte.

Ich wagte es nicht meine Aufmerksamkeit von Liliana abzuwenden.

„Hör auf mich ständig anzulügen.“

Am Glas kam Bewegung auf. Luan sprach heftig auf jemanden ein. Mein Fafa wandte sich ihnen zu, sagte etwas und dann drängte er sich mit Luan und Aman durch die Menge, bis er meinem Blick entglitt.

Was hatten sie vor?

„Ich werde sterben“, sagte Liliana und ihre Stimme begann zu brechen. Eine Träne rann ihr über die Wange.

Nein, sie war nicht verrückt, sie war verzweifelt, wurde mir klar.

„Du musst nicht sterben“, sagte ich leise. „Du kannst mit uns kommen, dann kannst du geheilt werden.“ Und dann würden die Priester der Sachmet über ihre Taten und ihre Zukunft entscheiden. Doch diese Kleinigkeit verschwieg ich ihr vorsichtshalber.

„Ich will aber nicht in eine andere Welt gehen!“, fauchte sie mich an. Und dann mit viel ruhiger Stimme: „Ich mag mein Leben hier. Ich will nur die Heilung.“ Sie schluchzte auf. „Warum hatte es mich treffen müssen? Warum muss ich sterben?“

Eine alte Weisheit besagte, dass schlechte Taten den Geist schwarz färbten, aber der Geist musste im Licht baden, um gesund bleiben zu können. Nachdem wie ich sie kennengelernt hatte, wunderte es mich nicht, dass sie krank wurde. Böse Taten zogen Unheil nach sich.

Ein entschlossener Ausdruck trat in Lilianas Gesicht. „Wenn ich sterben muss, dann nehme ich euch alle mit.“ In dem Moment in dem ihr Finger sich krümmte, schoss Acco unter einem der Tische vor. Doch schon in dem Moment in dem er sprang, wurde mir klar, dass er zu langsam sein würde.

Die Zeit wurde zu zähem Honig.

Sarah und der Vampir rissen ihre Schüsse nach oben. Gleichzeitig wollte ich mich fallen lassen. Doch bevor ich überhaupt dazu kam, schalte ein ohrenbetäubender Knall durch die Halle.

Lilianas Körper ruckte auf eine seltsame Art nach vorne. Ihre Augen weiteten sich. Dann ließ sie langsam den Blick auf ihre eigene Brust gleiten, dorthin, wo aus den Tiefen ihres Körpers Blut floss und die Grüne Uniform langsam dunkel färbte.

Ein ungläubiger Ausdruck lag in ihren Augen. Sie öffnete den Mund, doch es kam nur Blut heraus. Dann brauch sie einfach zusammen und blieb regungslos liegen. Ihre Hand umklammerte noch immer ihre Waffe.

Ich wirbelte zu Sarah herum, doch die starte zu der Seitentür, durch die Liliana hereingekommen war. Dort stand Noah und ließ gerade den erhobenen Schuss sinken.

Noah hatte Liliana erschossen.

Bei den Göttern, Noah hatte mich gerettet.

Ich konnte es kaum glauben.

Mein Fafa drängte sich an ihm vorbei in die Halle, seine Augen fanden mich sofort. „Lilith!“

Und er war nicht der Einzige. Direkt hinter ihm kam Tarpan herein. Auch Amans buntes Haar entdeckte ich noch, bevor mein Fafa mich an seine Brust riss und mich ganz fest an sich drückte. „Bei Bastet, ich hatte solche Angst um dich.“

Ich versuchte nicht zusammen zu zucken, als er gegen die pochende Wunde an meiner Schulter kam und damit einen Strahl des Schmerzes durch meinen Körper jagte. „Mir geht es gut.“

„Vergelts unserer Göttin.“

Das tat ich in der Tat. „Es ist gut, Fafa, mir ist nichts geschehen.“

Er gab ein Schnauben von sich. „Ich kann dein Blut riechen, Lilith“, sagte er und hielt mich eine Armlänge von sich, um meinen Körper zu inspizieren. Die Wunde an meiner Schulter entdeckte er als erstes. Die Wunde an meinem Bein folgte schon in der nächsten Sekunde. „Setzt dich auf den Tisch, dann heile ich dich.“

„In Ordnung. Ich …“

Ein unheilvolles Knurren ließ mich den Blick wenden. Doch es war nicht von den Kriegern gekommen, die sich zum Teil in die Halle gedränt hatten, sondern aus dem kleinen Raum, in dem Onyx noch immer angekettet war.

„Moment, Vinea, wo bist du?“ Ich ließ den Blick über die Leute schweifen. Da, ganz an der Seite neben Aman, der Acco gerade über den Kopf strich. „Du musst zu Onyx. Er ist …“ Wie erklärte ich das am besten?“

Sie runzelte die Stirn und ließ ihren Blick durch den Raum wandern. „Wo ist er?“

„In dem Raum dort hinten.“ Ich zeigte in die Richtung. „Du musst mit ihm reden, damit er …“ Ich verstummte einen Moment. „Lass dir von Acco helfen, er weiß war zu tun ist.“ Denn er war damals dabei gewesen.

Vinea kniff die Augen leicht zusammen. „Was zu tun ist? Was ist denn zu tun?“

„Acco zeigt es dir.“ Für einen Moment war ich in Versuchung ihr noch mehr zu sagen, doch die Zeit drängte also sagte ich nur noch: „Sei sanft mit ihm, er hat Angst.“

Diese Worte schienen sie nicht zu beruhigen. Eilig machte sie sich auf den Weg zu dem Raum, Aman und Acco gleich hinter ihr.

Ich sah genau den Moment in dem sie entdeckte was mit ihrem Sermo geschehen war. Und ich wusste genau was in diesem Moment in ihr vorging. Ich hatte es am eigenen Lebe erfahren müssen.

„Können wir uns jetzt mal langsam beeilen?“, fragte Sarah von der Seite. „So viel Zeit haben wir nicht mehr, die Leute wachen irgendwann wieder auf.“

„Erst heile ich sie“, erwiderte mein Fafa und führte mich zu einem Tisch, auf den ich mich mit seiner Hilfe setzte.

„Am besten bringt ihr alle schon einmal zum Portal“, überlegte mein Fafa, während er die Wunde an meinem Bein genauer inspizierte.

Ich verkniff es mir zu sagen, dass ich noch immer keine Ahnung hatte, wie ich das Portal öffnen sollte. Doch langsam sollte ich einmal zur Lösung dieses Problems kommen, denn die Zeit zerrann mir zunehmend zwischen den Händen.

Warum nur Bastet? Warum muss ich die Auserwählte sein?

„Tarpan, du gehst mit ihnen“ wies mein Fafa ihn an. „Führ die Krieger.“

Sein Reisegefährte nickte und machte auf dem Absatz kehrt.

„Wir müssen aber erst noch Janina holen.“

Ich drehte mich zu Luan um, der sich in der Zwischenzeit mit in den Raum gedrängt hatte und seinen Blick fast gehetzt hin und her schweifen ließ. Unruhig verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Wo waren John und Pascal?

Sarah runzelte die Stirn. „Wer ist Janina?“

„Die Frau die mit mir durchs Portal gefallen ist“, sagte Luan. „Eine Lykanthropin, eine Füchsin. Mein Herz.“ Seine Worte waren so sehnsuchtsvoll, dass ich fast mit ihm mitfühlen konnte.

Mein Blick glitt zu Aman. Nein, nicht fast, ich wusste genau wie es in ihm aussah. „Sie ist schwanger“, fügte ich noch hinzu.

Mit vorsichtigen Fingern arbeitete mein Fafa an meinem Bein. Ich spürte wie die Wunde sich langsam schloss und das unangenehme Sieden zu einem leichten Pochen wurde, bis der Schmerz vollkommen verklang.

„Es tut mir leid“, sagte Sarah und zuckte hilflos mit den Schultern, „aber ich weiß nicht wovon ihr beide sprecht.“

„Aber ich weiß es“, sagte zu meiner Überraschung niemand anderes als Noah.

Ich schaute so schnell zu ihm herüber, dass nicht nur mein Nacken knackte, sondern auch meine Schulter schmerzte.

„Halt still“, wies mein Fafa mich an und schob mein Haar von der Schulter. Die Wunde dort war schlimmer, aber wenigstens war die Kugel nicht mehr unter der Haut. Sie war glatt durch meine Schulter hindurchgeschossen.

„Wenn niemand von ihr weiß, gibt es hier nur einen Ort, wohin der General sie gebracht haben könnte“, sagte Noah.

„Wohin?“, fragte Luan verzweifelt.

„Ich kann euch hinführen“, erwiderte Noah schlicht.

„Ich werde euch begleiten“, entschloss ich aus einem Impuls heraus.

Sarah klatschte ungeduldig in die Hand. „Schön dass wir das endlich geklärt haben. Also los jetzt, kommt in die Gänge.“

Ich bekam kaum mit wie sich die Anwohner und Krieger in Bewegung setzten. Der Wolf und Acco blieben mit Aman bei Vinea. Auch die Sirene wich nicht von der kleinen Kammer, aus der immer wieder Knurren und das Klirren von Ketten zu hören waren.

Ansonsten blieben nur Noah und Luan zurück. Selbst meinen Fafa schaffte ich wegzuschicken, nachdem er meine Schulter notdürftig geheilt hatte. Die Krieger brauchten jemanden, der sie in diesem Moment führen konnte und zur Ruhe zwang. Zumindest bis wir Janina geholt hatten.

Und ich endlich wusste, wie ich uns durch das Portal bringen sollte.

 

°°°

 

Die Vertrauten Wege durch Belua führten mich dorthin, wo ich die meiste Zeit meines Lebens an diesem Ort verbracht hatte: Zum Heilerhaus.

Es war ein seltsames Gefühl von Noah wieder hier her gebracht zu werden. Ich erwartete fast, das Jaqueline mit einem Lächeln um die nächste Ecke biegen würde und uns fragte, was wir getrieben hätten.

Aber es war nicht mehr so, wie noch vor wenigen Wochen. Belua löste sich gerade in seine Grundfesten auf. Jacky existierte nur noch in unserer Erinnerung und überall lagen bewusstlose Menschen herum.

Alles schien so verlassen.

„Ich mag es hier nicht“, sagte ich und schlich wachsam den Korridor entlang. „Dieser Ort ist jetzt noch unheimlicher als früher und früher herrschte hier Krankheit.“ Ich schaute zu den verglasten Zimmern, die nun leer neben uns lagen. Ein Teil der Betten fehlte und was noch da war, war umgerissen worden. Die Wesen hier waren in aller Eile aufgebrochen und warteten jetzt vermutlich am Tor auf mich. Nein, geistrede jetzt nicht darüber nach, das kannst du später noch. „Jetzt ist es eine Geisterstadt.“ Dieses Wort hatte John damals benutzt, als wir durch die Ruinen von Bastets Tempel gestreift waren. Es war passend fand ich.

„Eine Geisterstadt ist ein toter Ort“, sagte Luan. „Aber hier leben noch Menschen.“ Vorsichtig stieg er über einen bewusstlosen Mann, der vor ihm auf dem Boden lag.

„Und trotzdem Stirbt dieser Ort mit jedem Moment, den wir hier länger verharren“, sagte Aman. „Ich kann es spüren.“

Ich war mir nicht sicher warum, aber er hatte es sich nicht nehmen lassen uns zu begleiten. Er hatte sogar Vinea und Acco bei Onyx zurückgelassen, als Noah mit uns aufgebrochen war, um uns den Weg zu weisen. Und nun folgten wir ihm durch die vertrauten Korridore des Heilerhauses. „Ein Ort ohne Bewohner ist ein toter Ort.“ Und damit doch eine Geisterstadt.

Schweigen antwortete mir.

Die Krankenzimmer glitten leer an uns vorbei und je weiter er uns führte, desto verwirrter wurde ich. Irgendwann musste ich einfach fragen. „Wo bringst du uns hin?“

Noah warf nur einen kurzen Blick über die Schulter, als er murmelte: „Du wirst schon sehen.“ Dabei verringerte er sein Tempo nicht.

Plötzlich kam mir diese Situation sehr seltsam vor. In den letzten Tagen hatte Noah mich gehasst. Er hatte mir die Schuld an Jaquelines Tod gegeben und mich das mit jedem Wort spüren lassen. Dann hatte er mich vor Liliana gerettet, nur um mich jetzt in einen Korridor zu führen, der in einer Sackgasse endete. Hier hinten gab es nichts als ein paar Lagerräume und die Abstellkammer für den Hausmeister.

Mei Blick glitt zu dem Schuss, den er noch immer in der Hand trug.

Hier stimmte doch etwas nicht, dass passte nicht zusammen.

Unwillkürlich verlangsamten sich meine Schritte, bis ich ganz stehen blieb. Mein Mistrauen war geweckt. „Noah, wohin gehen wir?“

Aman schaute mich irritiert an, blieb aber auch stehen, als keinen Fuß mehr vor den anderen setzte. Nur Luan brauchte einen Moment länger, um zu bemerkten, dass es nicht mehr weiter ging.

„Was ist los?“, fragte er.

„Dieser Weg führt in eine Sackgasse“, erklärte ich.

Doch Noah schüttelte den Kopf. „Nein, tut er nicht.“

„Ich habe hier gearbeitet. Ich kenne mich hier aus. Dahinten …“

„Da ist eine versteckte Tür“, sagte Noah ungeduldig. „Lilith, du hast nur ein paar Wochen hier gelebt. Die Hälfte der Zeit hast du im Koma gelegen. Du weißt nicht mal annähernd genug über diesen Ort um dich zurecht zu finden.“

Meine Mundwinkel sanken herab. Das war nicht nett gewesen. „Gib mir deinen Schuss.“

Fast irritiert schaute Noah auf seine Hand, nur um mich dann mit verengten Augen zu mustern. „Warum?“

„Ich traue dir nicht. Du gehörst zu den inneren Vertrauten des Generals, bist seinem Befehl immer anstandslos gefolgt. Ich will deine Waffe haben.“

Einen kurzen Moment lieferten wir uns ein kleines Blickduell, an dessen Ende Noah die Lippen fest aufeinander drückte und mir dann die Waffe mit dem Griff voran reichte.

„Sei vorsichtig damit“, mahnte er mich noch, bevor er sich umwandte und uns bis zum Ende des Korridors führte. „Und ich gehöre nicht mehr zu ihm“, fügte er noch leise hinzu.

Die Waffe fühlte sich in meiner Hand seltsam an. Das Gewicht war ungewohnt und auch die Form. Ich geistredete noch einen Moment darüber nach, wie sie wohl funktionierte, doch dann zog Noah meine Aufmerksamkeit mit seinem Tun auf sich.

Er öffnete die mittlere Abstellkammer und verschwand darin.

Ich trat näher und sah, wie er hinter eines der Regale griff. Im ersten Moment entging mir der Sinn seines Handelns, doch dann hörte ich das leise Klick und das Regal schwang ein Stück in den Raum hinein.

„Eine versteckte Tür“, sagte Luan.

„General Winston ließ sie einbauen, um besondere Gäste vor den andern verborgen zu halten.“ Noah zog an dem Regal, bis es den Blick in einen dunklen Raum freigab.

„Warum sollte man Gäste vor den andren verborgen halten?“, wollte ich wissen.

Noah warf mir einen undefinierbaren Blick zu, schüttelte dann den Kopf und trat durch die Tür hinter dem Regal. „Frag lieber nicht“, sagte er leise und tastete an der Wand entlang, bis er den Schalter fand.

Das Licht flackerte einen Moment und ergoss sich dann gleißend hell über einen sehr großen sterilen Raum. Genau in der Mitte befand sich ein metallener Tisch und da dort mehrere Lederriemen angeracht waren, konnte ich mir sehr gut vorstellen, wofür er gedacht war.

Kalte Schränke säumten die Wände und auf Tischen und Anrichten lagen viele Instrumente, deren Sinn sich mir nicht entschloss. Spitz, scharf, verstörend. Allein der Anblick reichte, damit sich mir die Nackenhaare aufstellten.

Doch was ich nicht sah, war Janina.

Mein Misstrauen wuchs.

„Oh mein Gott“, hauchte Luan. Seine Augen waren weit aufgerissen. „Was hat der General hier getan?“

„Experimentiert“, sagte Noah schlicht und trat zu einem kleinen Kästchen an der Wand. Er drücke dort drauf uns im nächsten Moment war die Luft mit einem leisen Summen erfüllt.

Im ersten Moment konnte ich seine Herkunft nicht ausmachen, doch dann sah ich wie die hintere Wand sich in der Mitte teilte und langsam nach links und rechts in die anderen Wände hinein glitt.

Acco legte die Ohren an und zog die Lefzen nach oben. 

Aman legte ihm beruhigend eine Hand auf den Kopf, doch sein Blick war nicht weniger wachsam.

Hinter der Wand kam eine schwarze Scheibe zum Vorschein, hinter der sich kleine Räume zu befinden schienen. Dieses Glas war genau wie das, was ich damals auf dem Polizeirevier gesehen hatte, nur das ich dieses Mal auf der anderen Seite stand.

Noch bevor ich richtig hinschauen konnte, rief Luan: „Janina!“ und rannte zur linken Seite der Glaswand.

„Mir gefällt das nicht“, sagte Aman leise. „Dieser Ort ist voll mit Schrecken. Es liegt in der Luft.“

Ich schauderte bei diesen Worten. Was mag hier drinnen nur alles geschehen sein? Warum hatte der General Janina ausgerechnet hier untergebracht?

Ich wollte es gar nicht so genau wissen.

Luan drängte Noah ungeduldig die gläserne Tür zu öffnen und drängte ihn zur Seite, sobald das Summen ertönte. „Janina.“

Janina, die auf dem Bett lag hob den Kopf und blinzelte, als würde sie befürchten, dass ihre Ohren ihr einen Streich spielten. Doch dann sah sie Luan der auf sie zustürzte. Ein Schluchzen entrang sich ihr, als sie aufsprang und sich in seine Arme warf.

Ich trat näher an das Glas heran.

Janina weinte und schluchzte, während sie von ihrem Vampir fest an sich gezogen wurde. Ihr Bauch war noch dick und gerundet und doch hing das menschliche Nachtgewand lose um ihren Körper. Seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie stark abgenommen.

„Bei Seth“, hauchte Aman da plötzlich.

Ich schaute zu ihm auf. Seine Augen waren geweitet und von Unglauben erfüllt. Was zur …

Ich folgte seinem Blick um herauszufinden, was er entdeckt hatte.

Im ganz rechten Raum konnte ich hinter dem Glas eine weitere Person ausmachen. Ein Mann der mir einem Buch auf dem Sessel neben seinem Bett saß und las.

In dem Moment in dem mein Blick auf sein Gesicht fiel, erging es mir wie Aman und alles andere war vergessen. „Nein“, hauchte ich. „Das kann nicht sein.“

 

°°°°°

Kapitel Dreiundzwanzig

 

Oh Göttin, das konnte nicht der Wahrheit entsprechen. Es konnte einfach nicht.

Fast unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück und schlug die Hand vor den Mund, während mein Kopf von einer Seite zur anderen ging.

„Er sieht aus wie ich“, sagte Aman leise.

Nicht ganz. Der Mann hinter dem Glas hatte eine kleine runde Narbe auf der Brust, direkt über seinem Herzen. „Ich habe ihn sterben sehen“, flüsterte ich und konnte immer noch nicht glauben, was meine Augen mir da zu vermitteln versuchten. „Er ist in meinen Armen gestorben.“  

„Aber er blieb nicht tot.“ Leisen Schritts stelle Noah zu uns. Auch sein Blick richtete sich auf den Aman hinter dem Glas – meinen Aman.

„Du wusstest darüber Bescheid?“, fragte ich ihn ungläubig. Das konnte doch nicht sein.

Er öffnete die Hände und sah mich an, als wollte er fragen: Was willst du hören? „Es war ein Wunder“, sagte er leise, wich meinem Blick aber nicht aus. „Als wir den Wald geräumt haben und seinen Leichnam wegbringen wollten, stellten wir fest dass er noch lebte.“

„Aber nein, ich …“ Ich wusste noch ganz genau, wie das Leben aus seinen Augen gewichen war, wie ich ihn geschüttelt hatte, damit er wieder zu sich kam, aber jede Regung war ausgeblieben. Wie sollte das möglich sein? Ich hatte das warme Blut auf gespürt und seinen letzten Atemzug. Er konnte nicht mehr leben.

„Er lebt, Lilith“, erwiderte Noah schlich. „Die Ärzte schreiben es den übermenschlichen Selbstheilungskräften eines Lykanthropen zu. Es war als würde sein Herz sich weigern den Dienst endgültig aufzugeben, als wäre da etwas, dass ihn nicht sterben lassen wollte.“

Dazu war nur einer fähig: Seth, der Gott der Lykanthropen.

Er war in meinen Armen gestorben, dass wusste ich genau. Hatte Seth ihn wieder ins Leben zurück geschickt, während ich damit beschäftigt gewesen war, die Grünen Krieger um uns herum zu dezimieren?

„Aber … nein. Nein, das darf nicht sein. Das ist falsch.“ Ich schaute zu Aman, dem der neben mir stand. „Wie ist das möglich?“

„Du solltest dich freuen, und es nicht hinterfragen“, sagte Noah.

Wie konnte ich mich darüber freuen? Wenn das hier alles wirklich real war, wenn ich mir diesen Moment nicht nur einbildete … dann hatte ich ihn im Stich gelassen. Ich war mit Acco einfach durch das Portal gestiegen, ohne noch einmal zurückzuschauen. Ich hatte dieser Welt den Rücken gekehrt und wollte sie niemals wieder betreten. Ich hatte ihn in den Händen des Kriegergenerals gelassen, hatte ihn hilflos ausgeliefert.

Wenn das hier keine makabre Täuschung war, dann hatte er die ganze Zeit gelebt, die ganzen Wochen die ich in Belua gefangen gehalten wurde. Die ganze Zeit war er ganz in meiner Nähe gewesen.

Diese Geistrede überwältigte mich fast.

Ich konnte es nicht glauben.

„Wein nicht, kleine Kriegerin“, flüsterte Aman und strich behutsam über meinen Arm.

Ich schaute ihn mit großen Augen zu ihm auf. Was war mit ihm? Wenn das hinter dem Glas wirklich mein Aman war, was war dann mit ihm? Wie konnte es sie beide zur gleichen Zeit geben? „Du hast es gewusst?“, fragte ich Noah leise. „Die ganze Zeit?“

„Ich hatte den Befehl Stillschweigen über diese Sache zu bewahren.“

Das hieß er hatte es gewusst. Die ganzen Entschuldigungen und Beileidsbekundungen von ihm waren nichts weiter als eine Lüge gewesen. Er hatte mich mit Absicht in dem Glauben gelassen, dass ich alles verloren hatte. Er hatte nichts dagegen unternommen, als ich immer weiter in den Abgrund abgerutscht war. Er hatte meinen geistigen verfall in Kauf genommen. Noch in der Zelle hatte er mich beschimpft, weil ich Aman zurückgeholt hatte, Jaqueline aber nicht. Selbst dort hatte er mir die Wahrheit verschwiegen. „Warum?“, fragte ich nur. „Warum hast du es mir nie gesagt?“ Er hatte so oft die Gelegenheit dazu gehabt.

„Der General wollte dass du dich allein fühlst.“

Und das hatte ich getan, für eine halbe Ewigkeit, wie ich damals das Gefühl hatte. Selbst Accos Anwesenheit hatte mich nicht über Amans Verlust hinwegtrösten können.

Und jetzt befand er sich direkt vor mir: Mein Aman. „Öffne die Tür.“ Ich versuchte meine Stimme fest klingen zu lassen, doch ich versagte kläglich. In diesem Augenblick übermannten mich meine Gefühle einfach. Ich wusste nicht was ich geistreden sollte, wusste nicht was all das zu bedeuten hatte.

Nur einer Sache war ich mir in diesem Moment absolut sicher: Ich wollte durch diese Tür. „Sofort!“, befahl ich, als er nicht gleich reagierte.

Bei meinem Ausruf schaute Luan überrascht auf, aber von innen konnte er durch die getönte Scheibe nicht sehen, was hier draußen vor sich ging. Allein die Geräusche die durch die offene Tür ins Innere des Raumes drangen, sagten ihm, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch er war im Augenblick viel zu sehr damit beschäftigt Janina zu trösten, als sich damit befassen zu können.

Ich jedoch nicht. Als Noah sich der letzten Tür in der Reihe zuwandte, wich ich ihm nicht von der Seite, doch meine Augen lagen allein auf dem Mann hinter dem Glas. Er schien nichts von dem was hier draußen vor sich ging mitzubekomme. Erst als das Summen ertönte, das dem Öffnen der Tür immer vorauseilte, schaute er von seinem Buch auf.

Oh Göttin … der Ausdruck in seinem Gesicht … so leer … „Was habt ihr mit ihm gemacht?“

„Soweit ich Bescheid weiß, nichts.“ Noah zog an der Tür und hielt sie mir auf.

Ich wollte in den Raum stürzen und Aman um den Hals fallen, doch plötzlich schienen meine Beine einfach am Boden festgewachsen zu sein. Es kostete mich unglaubliche Anstrengungen einen Fuß vor den anderen zu setzten und in den Türrahmen zu treten. Ich konnte mir nicht erklären, warum das so war.

Da war nur mein Herzschlag, der immer schneller wurde und das Sieden in meinen Augen. „Aman“, flüsterte ich und in meiner Stimme klang meine ganze Sehnsucht nach ihm mit.

Doch der Aman im Sessel reagierte so ganz anders, als ich es für möglich gehalten hatte. Er sah mich in die Tür treten, hörte wie ich seinen Namen hauchte und riss die Augen auf, als würde er eine grässliche Erscheinung vor sich haben.

Beinahe erschüttert sprang er aus dem Sessel, sodass sein Buch krachend auf den Boden fiel und wich kopfschüttelnd immer weiter vor mir zurück. „Nein, nein, nein“, flüsterte er dabei. Erst die Wand in seinem Rücken hielt ihn auf. Er kniff die Augen zusammen und presste die Fäuste gegen seine Schläfen. „Das ist nicht wahr. Keine Trugbilder mehr. Bitte, weiche von mir.“

Oh Göttin, was war nur mit ihm geschehen? Ich hatte ihn noch nie so verzweifelt gesehen. Bei seinem Anblick begann mein Herz zu schmerzen, so sehr bestürzte mich seine Verstörtheit. Ich schaffte es kaum die Tränen zurück zu halten. „Aman“, flüsterte ich wieder und trat weiter in den Raum, aber er öffnete die Augen nicht, murmelte nur weiter leise vor sich hin.

In diesem Moment bekam ich das Bedürfnis, irgendjemanden meine Krallen durch das Gesicht zu ziehen. Ich wusste nicht was ihm wiederfahren war, doch ich würde mich dafür rächen. Aber nicht jetzt. Jetzt brauchte er mich, so dringend wie ich ihn sonst brauchte.

Sehr vorsichtig trat ich weiter in den Raum hinein. Den Schuss den ich noch immer in meiner Hand hielt, legte ich auf dem Bett ab, bevor ich mich ihm näherte. „Aman, bitte, sieh mich an“, flüsterte ich und konnte nicht verhindern, dass die aufsteigenden Tränen in meiner Stimme mitklangen.

„Du bist nicht wahr“, murmelte er. „Du bist tot. Ich hab es gesehen. Immer wieder. Du kannst nicht hier sein.“

Tot? Ich? „Nein Aman, ich bin hier, genau vor dir.“

„Nein, das ist nicht wahr.“

Oh Göttin, was hatte man ihm bloß angetan? „Nein Aman, ich bin nicht tot.“ Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, streckte ich die Hand nach ihm aus, um seinen Arm zu berühren. Ich geisterte, wenn er mich erst einmal spüren würde, könnte er auch meinen Worten glauben.

Doch meine Berührung schreckte ihn so sehr auf, dass er zur Seite sprang und mich anbrüllte: „Hör auf mit ihrer Stimme zu sprechen!“

Oh Göttin. „Aman …“

„Sie ist tot!“, schrie er mich an.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich stehe genau vor dir.“

„Nein, tust du nicht! Ich weiß dass sie tot ist, ich habe die Bilder!“

Bilder? Verwirrt schaute ich zu Noah, der abwartend neben dem andere Aman in der Tür stand. Mein Aman jedoch schien die beiden gar nicht zu bemerken. Er eilte einfach zu dem kleinen Nachttisch neben seinem Bett und riss dort ein paar Bilder aus einer kleinen Schatulle, die er mir entgegenwarf. Wie Konfetti flogen sie um mich herum zu Boden. Dabei sah er so verzweifelt und gequält aus, dass ich an meinen eigenen Schmerz erinnert wurde.

„Die Bilder beweisen es!“, schrie er mich an. „Sie ist tot!“

Verwirrt schaute ich auf das verstreute, glänzende Papier, das um mich herum lag und traute meinen eigenen Augen nicht. Das war ich und … da war so viel Blut. Wie ferngelenkt bückte ich mich nach einem der Bilder und hob es auf.

Das war eindeutig ich. Ich wurde von einem Mann aus einem großen Wagen gehoben, von Noah um genau zu sein. Mein erschlaffter Körper hing leblos in seinen Armen, meine Augen waren geschlossen und alles an mir war mit Blut besudelt.

„Sie entstanden, als wir dich das erste Mal nach Belua brachten“, sagte Noah leise.

Ich wandte mich ihm zu. „Was sagst du da?“

„Die Bilder. Sie wurden gemacht, nachdem wir dich beim Portal verhaftet hatten. Das Blut ist von den Männern die du getötet hast und auch von Aman selber.“

Bei Bastet. Sie hatten diese Gräueltat auf glänzendem Papier verewigt? Und dann zeigten sie es auch noch Aman um ihn davon zu überzeugen, dass ich tot war. „Bastarde“, fauchte ich.

„Du warst nicht die einzige, die sich verlassen fühlen sollte“, erwiderte Noah schlicht.

Sie spielten mit den Gefühlen von anderen Wesen, sie zerstörten den Geist, nur um ihren eigenen Vorteil daraus zu schlagen. Und es war ihnen ganz egal, was sie ihnen damit antaten.

In den letzten Tagen hatte ich mich wegen Jacky so oft schlecht gefühlt. Es hatte mich im Geist geschmerzt, dass ich sie nicht hatte für Noah retten können. Doch er war nicht viel Besser als der Kriegergeneral. Vielleicht war nicht er die treibende Kraft dahinter gewesen, doch er war den Befehlen seines Oberhaupts ohne sie zu hinterfragen gefolgt. Der Beweis dafür war sein Wissen um diese Situation.

In diesem Moment hasste ich Noah.

Ich wollte ihm wehtun. Ich wollte dass er den Schmerz spürte, den er uns in seinem blinden Gehorsam zugefügt hatte, doch Aman war im Augenblick alles was zählte. „Dieses Bild zeigt nicht die Wahrheit“, sagte ich leise und ließ es achtlos zu Boden fallen. „Ich war nur ohnmächtig und das Blut gehörte den Kriegern des Generals.“

Aman schüttelte den Kopf. „Das kann nicht stimmen.“

Langsam trat ich auf ihn zu. „Du musst mir glauben. Bitte.“

Wieder kniff er die Augen zusammen und wich bis zur Wand zurück. Sein ganzer Körper war zum Zerreißen gespannt, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt.

Was sollte ich nur tun? „Aman, kannst du es denn nicht riechen? Riechst du mich nicht?“

Er drückte die Lippen zu einem festen Strich zusammen, als wollte er seine Worte am Rauskommen hindern.

Zur Sachmet, so würde ich ihn nie erreichen. Die Idee dass ich tot sei, hatte sich so in seinem Geist verankert, dass ich mir Worten nicht dagegen ankam. „Gib mir deine Hand“, bat ich ihn.

„Was?“ Er schaute mich an.

„Bitte Aman, gib mir deine Hand, dann wirst du sehen, dass ich nicht lüge.“ Ich streckte ihm meine eigene Hand entgegen und hoffte dass er sie ergreifen würde. Ich betete zu Bastet, dass er sie nahm und ich ihn überzeigen konnte.

Doch er zögerte. Seine Zunge zuckte nervös über seine Lippen, sein Blick glitt immer wieder von meiner Hand zu meinem Gesicht. Und es war wohl nur dem Wunsch entsprungen, dass meine Worte wahr sein mögen, als er seine Hand letztendlich doch zögernd in meine legte.

Ich hielt seinen Blick fest, als ich seine Hand an meine Lippen hob und einen Kuss auf sie hauchte, genau wie er es einmal bei mir getan hatte. Und genauso legte ich seine Hand dann auf meine Brust, genau über mein Herz und hielt sie dort fest.

„Spürst du es?“, fragte ich leise und achtete darauf genau die gleichen Worte zu verwenden wie er es damals bei mir getan hatte. „Es schlägt nur für dich.“

Seine Augen weiteten sich ein ganz keines bissen.

„Ich bin es wirklich Aman, ich bin nicht tot.“

„Lilith.“ Der Name purzelte wie ein Hauch über seine Lippen. Im nächsten Moment hatte er die Arme um mich geschlungen und sein Gesicht an meinem Hals vergraben. „Oh Gott, bei Seth, du bist es wirklich.“

Auch ich schlang meine Arme um ihn und zog ihn an mich. „Ja, ich bin es.“

Ich spürte das Zittern in seinem Körper, die Anspannung, die einfach nicht nachlassen wollte „Ich geistredete … ich hab dich verloren. Du warst da, im Land der Götter … du wolltest nicht das ich gehe, aber Seth hat befohlen dass ich dich allein lassen soll.“ Er löste sein Gesicht von einem Hals und suchte meinen Blick. Seine Hände legten sich auf meine Wangen und hielten mich fest, damit ich nicht einfach wieder verschwinden konnte. Er war ganz aufgeregt. „Ich wollte nicht gehen, aber er sagte es müsste sein, damit auch du gehst.“

„Schhhh, ganz ruhig.“

Meine Worte schienen ihn nicht zu erreichen. „Und dann bin ich hier aufgewacht und man sagte mir du seist tot. Und dann kam diese Hexe und gab sich für dich aus, aber sie war nicht richtig. Sie versuchte es immer und immer wieder, wenn sie mir nicht gerade sagte, du seist tot.“

Sprach er von Liliana? Aber ich geistredete, sie sei erst mit meiner Flucht nach Belua gekommen.

„Und nun stehst du vor mir.“ Sein Gesicht kam meinem näher.

„Ich werde immer bei dir sein“, flüsterte ich und überbrückte das letzte Stück, das unsere Lippen noch trennten.

Schon bei der ersten Berührung platzte in meiner Brust ein Knoten aus Gefühlen, den ich die ganze Zeit so fest verschlossen gehalten hatte. All meine Sehnsucht nach diesem Mann brach aus mir hervor, der ganze Schmerz der Vergangenheit und die Liebe, die sich einfach nicht mehr verleugnen ließ.

Unser Kuss hatte etwas Verzweifeltes, denn auch ihm ging es nicht anders. Wir hatten einander verloren. Wir waren durch den Tod voneinander getrennt gewesen. Und so unglaublich es war, nun stand er doch wieder vor mir.

Ich spürte seine Wärme, seine Nähe. Ich konnte sein Geruch einatmen und ließ mich davon einen Moment berauschen.

Nie wieder wollte ich ihn loslassen, nie wieder von seiner Seite weichen, nie wieder …

Ein knurren im Raum veranlasste Aman dazu herumzuwirbeln und mich schützend hinter sich zu drängen. Doch dann erstarrte er mitten in der Bewegung. Das war der Moment, in dem er zum ersten Mal den anderen Aman entdeckte.

Und der andere Aman war es auch gewesen, der geknurrt hatte. Er hatte Aman angeknurrt. Oh Göttin, war das verwirrend. Und warum hatte er überhaupt geknurrt? Soweit ich es beurteilen konnte, befanden wir uns im Augenblick nicht in Gefahr.

„Was zur Sachmet …“, begann mein Aman, verstummte dann aber wieder. Seine Geistreden schienen durch seinen Kopf zu rasen. „Trugbild“, sagte er dann und begann nun den anderen Aman anzuknurren. Sein Körper, der sich gerade erst etwas entspannt hatte, spannte sich wieder an.

„Nein“, sagte ich und hielt meinen Aman am Arm fest, als er nach vorne preschen wollte. „Er ist kein Trugbild, er ist du.“

„Was?“ Er runzelte die Stirn. „Er kann nicht ich sein. Ich bin ich.“

„Ja, aber er ist auch du. Er ist mit mir aus Silthrim hergekommen um dich und die anderen zu retten.“

Verwirrung legte sich über seine Augen. „Du sprichst wirr. Du bist mit mir hergekommen.“

„Ja, zweimal sogar. Doch in der Zwischenzeit bin ich bereits ein Drittes Mal hier. Beim zweiten Mal habe ich geglaubt du seist gestorben und bin allein mit Acco nach Silthrim zurückgereist. Dabei habe ich die Zeit zurückgedreht, um das Unheil meines Volkes zu verhindern – und es hat funktioniert. Die Ailuranthropen sind gerettet und dadurch dass ich die Zeit zu einem Zeitpunkt zurückgedreht habe, an dem du noch gelebt hast, warst du auch nicht tot. Du bist mit Acco in den Tempel der Bastet gekommen um uns im Kampf gegen Sachmets Volk zur Seite zu stehen. Also nicht du, er.“ Ich zeigte auf den anderen Aman. „Aber meine Aufgabe war noch nicht erfüllt. Auf der Erde gab es noch immer Natis der Götter und diese sollte ich zurück in die Heimat bringen. Er und noch ein paar andere Krieger haben mich begleitet. Aber dann wurden wir gefangen genommen und konnten erst jetzt entkommen. Deswegen haben wir Janina gesucht und dich gefunden.“ Meine Stimme wurde ganz dünn. „Bis eben wusste ich nicht dass du noch lebst.“

Er runzelte leicht die Stirn, wie er es schon bei unserer ersten Begegnung getan hatte.

„Verstehst du was ich dir sage?“

„Ja, ich geistrede schon.“ Er wandte dem anderen Aman den Blick zu und kniff die Augen leicht zusammen. „Hast du sie angefasst?!“

„Aman!“, empörte ich mich.

Der andere Aman konnte das mit den leicht verengten Augen auch. „Es ist gegen das Gesetz.“

„Wenn du wirklich ich bist, dann hat das nichts zu bedeuten.“

Oh Göttin, fand dieses Gespräch wirklich gerade statt? Das war so surreal, dass ich es gar nicht glauben konnte.

„Nicht wenn es um sie geht“, fügte mein Aman noch leise hinzu.

Ich verstand nicht dass er bei allem was geschehen war, ausgerechnet das jetzt zur Sprache bringen müsste. „Ich weiß du möchtest das klären“, sagte ich zu meinem Aman, „aber wir haben nicht viel Zeit. Wir müssten uns eigentlich schon längst auf dem Rückweg zum Portal befinden.“

„Portal?“

Ja, das Portal, von dem ich immer noch keine Ahnung hatte, wie ich es öffnen sollte. „Ja, es bleib nicht viel Zeit.“

„Dann solltet ihr wohl aufbrechen“, sagte Noah leise und schlenderte langsam zu Amans Bett.

„Wir?“ Ich runzelte die Stirn.

Noah griff nach etwas das auf dem Bett lag. Erst als er es hochhob und seine Hände beinahe ehrfürchtig darüber wandern ließ, wurde mir klar, dass es sich um den Schuss handelte, den ich dort hingelegt hatte.

Mein Mistrauen schlug sofort zu. „Noah, was tust du?“

„Das was ich gleich hätte tun sollen.“ Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, als er mich ansah. „Geht jetzt. Wir werden uns nicht wiedersehen.“

Wie er das sagte. Ein ganz ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Als er den Schuss dann auch noch entsicherte, spannte sich mein ganzer Körper an. Doch er flüsterte nur „Jacky“ und hielt ihn sich dann an den eigenen Kopf.

Mein Geist konnte diese Situation gar nicht so schnell erfassen, wie der Knall plötzlich durch den kleinen Raum halte.

Ich sah das Blut, sah wie der Elf einfach in sich zusammensackte und dann regungslos auf dem Boden liegen blieb. Doch das wirklich Makaber war das friedliche Lächeln auf seinem Gesicht.

„Eine letzte gute Tat, bevor er zu seinem Herz zurück ging“, sagte der Aman an der Tür.

„Was?“

„Er hat uns zu Janina und deinem Aman gebracht. Und dann ist er zu der Frau gegangen, die ihm mehr bedeutet hat als sein Leben.“

Jacky.

Von draußen kamen eilige Schritte auf. Im nächsten Moment stürzte Luan in den Raum – Janina zog er an der Hand hinter sich her. „Was ist passiert? Wir haben einen Schuss gehört.“

Wortlos deutete ich auf Noah.

„Bei Anubis“, sagte Luan, während Janina ein seltsames Kicksen von sich gab und verständnislos von einem Aman zum anderen Schaute.

„Was zur Hölle …“, begann sie, aber dann schienen ihr einfach die Worte auszugehen.

Auch Luan bemerkte die beiden Amans, doch so unverständlich ihm das auch sein musste, er kommentierte es nur mit schweigen.

War wahrscheinlich auch besser so, denn ich war mir nicht sicher, wie ich das erklären sollte. Zwei Amans, jeder aus einer anderen Zeitlinie und beide waren hier.

Es war als hätte die Magie sie aufgespalten. Hier auf der Erde konnte sie nichts ausrichten, aber der eine Aman befand sich noch hier. Gleichzeitig wurde er aber auch für den Korrekten Ablauf der Geschichte auf Silthrim gebraucht.

Bei Bastet, das war so verwirrend.

„Warst du das?“, fragte Janina mich beinahe vorwurfsvoll. Nach ihrer Auffassung hatten wir uns bereits seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen, und trotzdem schien es, als hätte sie mir den Vorfall mit John noch immer nicht verziehen.

„Nein“, sagte ich schlicht und schaute zu dem Leblosen Körper auf den Boden.

Ich wusste nicht ob ich Mitleid mit ihm haben sollte, oder ihn einfach nur hassen konnte. Er hatte so viel falsch gemacht. Und doch war er nicht böse gewesen. Gewalt war ihm zuwider, das hatte ich schon bei unserer ersten Begegnung verstanden. Aber waren es nicht die Taten, an der jemand gerechnet wurde? Vielleicht war er einfach nur zu schwach gewesen, um sich dem Druck des Kriegergenerals zu wiedersetzen.

Doch jetzt war das alles völlig egal, denn nun war er tot. Und wenn er viel Glück hatte, durfte er sogar mit Jaqueline im Land der Götter wandeln.

„Lasst uns gehen“, sagte ich leise. Die Zeit drängte und hier konnten wie eh nichts mehr ausrichten.

 

°°°

 

„Hier lang.“ Ich bog um die Ecke und blieb so abrupt stehen, dass beide Amans in mich hinein liefen und ich deswegen noch ein Stück nach vorne stolperte. Mit vielem hatte ich gerechnet, doch das überstieg alles was ich mir vorgestellt hatte. „Bei Bastet“, flüsterte ich.

Eigentlich hatte mich das Stimmengewirr auf das hier vorbereiten müssen, doch Amans Hand zu halten, ihn an meiner Seite zu wissen und seine Gegenwart zu spüren, hatte mich völlig abgelenkt.  

„Gibt es hier was gratis?“, fragte Janina und ließ ihren Blick über die ganzen Leute schweifen.

Es mussten ein paar Hundert sein. Sie alle standen mit Sack und Pack im Korridor vor dem Büro des Generals. Aufregung und Spannung lagen in der Luft, genauso wie ein Hauch von Angst vor der ungewissen Zukunft.

Sie alle wollten nach Silthrim.

Sie alle hofften auf eine bessere Zukunft.

Sie alle warteten darauf dass ich ihnen das Portal öffnete.

Doch keiner von ihnen wusste, dass ich dazu nicht in der Lage war.

Unwillkürlich machte ich einen Schritt zurück und …

„Da bist du ja endlich.“ Sarah drängte sich zwischen den Leuten hindurch. Hinter ihr wieder der Vampir, aber sie waren nicht die einzigen. Auch Fafa und Tarpan hatten mich entdeckt.

Hastig riss ich meine Hand aus der von Aman. Ich schaute entschuldigend zu ihm auf, aber das hier war nicht der richtige Moment, um meinem Fafa zu eröffnen, dass ich mich in einer Finis befand – zusammen mit einem Lykanthropen.

„Wir haben noch …“ Sarah schaute auf das Band an ihrem Handgelenk. „Dreizehn Minuten, dann wachen die Menschen wieder auf und hier bricht die Hölle los.“ Sie ließ ihren Arm wieder sinken. „Und es wir noch einiges an Zeit kosten die ganzen Leute durch das Portal zu bringen.“

„Was sie dir damit sagen möchte“, sagte der Vampir. „Es wird höchste Zeit das Portal zu öffnen.“

„Aber …“

„Nasan.“ Nun trat auch mein Fafa an mich heran. „Du bist die Auserwählte. Ich weiß nicht wie, aber du bist die einzige, die das Portal öffnen kann.“ Er nahm mein Gesicht zwischen seine schwieligen Hände. „Glaub an dich, glaub an Bastet. Du kannst es schaffen, ich weiß es.“

Aber ich war mir da nicht sicher. Was wenn ich versagte? Wenn ich nichts ausrichten konnte und wir hier gefangen wären? Was würde geschehen, wenn die Grünen Krieger und der General wieder erwachten? „Fafa, ich …“

„Nein Nasan.“ Er ging ein wenig in die Hocke, so wie er es immer getan hatte, als ich noch ein kleines Kätzchen gewesen war. Er wollte mit mir auf Augenhöhe sprechen. „Was habe ich dir immer gesagt?“

„Ich …“ Ich schaute zu Aman auf. „Ich weis nicht was du meinst.“

„Was braucht ein Krieger?“, fragte er mich.

„Das Herz und den Willen“, sagte mein Aman leise und handelte sich damit einen überraschten Blick meines Fafas ein.

„Ja, aber …“

„Nasan, zweifle nicht an dir. Tu das wozu du bestimmt bist, du kannst es.“

„Noch zwölf Minuten“, warf Sara da ungeduldig von der Seite ein.

Mein Fafa blickte mir fest in die Augen. „Kein Krieger würde so kurz vor dem Ziel aufgeben. Und du bist ein Krieger, Lilith.“

Du hast das, was eine Kriegerin braucht, das Herz und den Willen.

Er hatte Recht. Ich durfte nicht aufgeben, nicht jetzt. „In Ordnung, ich …“ Ein knall in dem offenen Raum neben mir lief mich herumfahren. Etwas knurrte … etwas Großes.

Sarah drückte die Lippen unwillig aufeinander. „Die Leute haben sich vor ihm geängstigt, deswegen mussten wir ihn in den Raum schaffen. Die Frau will ihn absolut nicht hier lassen.“

Die Augen meines Amans wurden groß. „Vinea“, flüsterte er und machte einen Schritt auf sie zu. Nur Onyx Erscheinung verhinderte, dass er in den Raum hinein trat.

Sie hörte ihn gar nicht. Zusammen mit sechs anderen Kriegern versuchte sie den Amentrum zur Ruhe zu bewegen. Sie sprach mit ihm, während die anderen seine Ketten hielten, damit er sich nicht plötzlich losreißen konnte.

Doch Acco bemerkte ihn. Er warf nur noch einen kurzen Blick auf und stürmte dann zu Aman, nur um wenige Schritte später wieder stehen zu bleiben. „Ich glaube ich sehe doppelt.“ Erstaunt blinzelte er. „Doch wirklich. Da sind zwei von …“

Ein plötzlicher Knall ließ alle zusammen zucken und herumwirbeln. Die Gespräche erstarben. Ein paar Leute schrien erschrocken auf und schauten sich unruhig um.

Ich war die einzige die spürte das Aman sich hinter mir versteifte und auf seltsame Art nach Luft schnappte – der Aman aus der zweiten Zeitlinie.

Nein, hallte es nur in meinem Kopf, als ich mich langsam zu ihm umdrehte und die verblüffte Überraschung in seinem Gesicht erblickte. Er schaute mich an, dann schaute er auf seine Brust, während das weiße Hemd das er trug sich langsam mit seinem Blut vollsog.

„Nein!“, schrie ich und musste hilflos mitansehen, wie er kraftlos seine Hand nach mir hob und dann einfach in sich zusammen sackte.

Luan packte blitzschnell zu, damit er nicht auf den Boden knallte und legte ihn behutsam ab.

Die Erinnerung brach über mich zusammen. Es ist genau wie damals. Ich stürzte neben ihn auf den Boden. Ich habe doch alles anders gemacht. Panisch griff ich nach seinem Gesicht. Die Geschichte durfte sich nicht wiederholen!

Langsam hob ich den Blick und sah genau in das hasserfüllte Gesicht von General Silvano Winston.

 

°°°°°

Kapitel Vierundzwanzig

 

Ich fauchte. Mein Nackenfell sträubte sich und ich fauchte wie noch nie in meinem Leben. Nur eine Geistrede raste durch meinen Kopf: Nicht noch einmal. Aman durfte mich kein zweites Mal verlassen. Egal ob es nun dieser war oder der andere. Sie beide gehörten mir und dieser Mann würde nun bereuen, dass er mir jemals begegnet war.

Doch bevor ich überhaupt einen Muskel bewegen konnte, stürzte Acco sich knurrend mit gefletschten Zähnen auf diesen grausamen Bastard. Er krachte in den General, so plötzlich, dass dieser es nicht mehr rechtzeitig schaffte seinen Schuss herumzureißen.

Mit der Wucht die Acco aufbrachte, riss er den Kriegergeneral mit sich zu Boden. Der Stuhl mit den Rädern kippte auf die Seite und der Schrei den Silvano ausstieß, hallte mir in den Ohren wieder.

Acco hatte ihn an der Schulter erwischt und riss und zerrte mir einer Entschlossenheit an ihm, die keinen Platz für Spekulationen über den Sinn seines Handelns ließ. Er wollte ihn töten, doch nicht ohne ihn vorher für seine Taten Schmerzen leisen zu lassen.

Der General riss seinen freien Arm herum und richtete den Schuss auf Acco. Er hatte es geschafft, ihn während des Fallens festzuhalten. Seine Lippen waren fest zusammengebissen, auf seiner Stirn stand der Schweiß. Doch Acco bemerkte was der Mann vorhatte, ließ von der Schulter ab und biss ihm knurrend in den anderen Arm.

Es knackte unheilverkündend. Silvano stieß einen weiteren Schrei aus.

Es ist genau wie damals, geistredete ich. Genau wie in dem Moment, als Aman, Acco und ich durch das Portal gestiegen sind. Der Schuss, Accos knurren, Aman …

„Nein!“, schrie ich, sprang über Aman herüber und schlug dem General den Schuss aus der Hand. Dabei rissen meine Krallen ihm die Haut auf.

Er brüllte auf, schnaubte heftig und versuchte gegen den Schmerz zu atmen, während sich der Blick seines verbliebenden Auges auf mich richtete.

Was für einen erbärmlichen Anblick er in diesem Moment abgab. „Sie hätten aufhören können, Sie hätten einlenken können“, sagte ich leise zu ihm. „Die ganze Zeit stand es in ihrer Macht, doch ihre Gier hat immer wieder nach weiteren Opfern verlangt.“

„Ihr seid Eindringlinge in dieser Welt!“, fauchte er mich an. „Ich hatte jedes Recht dazu und du hast alles kaputt gemacht!“

„Ich habe versucht Gutes zu tun.“ Mein Blick fiel auf den Schuss, der unweit von ihm auf den Boden lag und einem Impuls folgend nahm ich ihn an mich und hob ihn auf. „Ich bin in friedlicher Absicht zu Ihnen gekommen, doch schon bei unserer ersten Begegnung haben sie Ihre Gier deutlich gemacht – eine Gier die keinen Platz für andere Dinge lässt.“

Langsam ließ ich mich neben den General in die Hocke sinken und spielte dabei sehr auffällig mit dem Schuss herum. Natürlich erfasste sein gesundes Auge das sofort. Er schien nach mir schlagen zu wollen, doch Acco ließ seinen Arm nicht los und der andere war durch die Schulterverletzung unbrauchbar geworden.

Sein Atem wurde hektischer.

Ich konnte die vielen Blicke spüren, die auf uns lagen, hörte die anderen, wie sie sich um Aman kümmerten und versuchten sein Leiden zu mildern.

Aman …

Ich hatte es geschworen.

„Ich werde es jetzt beenden“, flüsterte ich und hoffte das dieser Mann als den Hass den ich für ihn empfand in meinen Augen sehen konnte. Der Lauf des Schusses richtete sich auf seinen Kopf.

Der Kriegergeneral röchelte. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich etwas anderes als Arroganz und Selbstverherrlichung in seinem Blick sehen: Angst. Ob nun vor Accos Zähnen, oder dem Schuss in meiner Hand wusste ich nicht zu sagen und in diesem Moment war das auch völlig gleicht. Ich wollte dass er diese Angst spürte. Ich wollte dass ihm klar wurde, was es bedeutete anderen ausgeliefert zu sein und auf deren Erbarmen zu hoffen. Und ich wollte dass er wusste, dass es für ihn keine Rettung mehr gab. „Sie haben so viel Leid über uns gebracht.“ Meine Stimme war leise, aber fest. „Sie sind zu weit gegangen. Dafür werden Sie büßen.“ Mein Finger spannte sich um den Auslöser des Schusses.

Bevor wir aufgebrochen waren, hatte ich es mir geschworen.

„Nicht noch einmal. Sie werden ihn mir kein zweites Mal nehmen.“

Ich drückte den Abzug.

Der Knall war unheimlich laut. Der Schuss gab einen Rückstoß von sich, denn ich im ganzen Arm spürte. Und die Kugel … sie schlug nutzlos neben dem Kopf des Generals im Boden ein. Er hatte sein Gesicht weggedreht. Zur Sachmet!

Er gab ein röchelndes Wimmern von sich und in diesem Moment sah ich, wie sein Beinkleid im Schritt feucht wurde. Ein durchdringender Geruch nach Urin ging auf einmal von ihm aus.

Ich biss die Zähne fest zusammen, warf den Schuss weg und stürzte mich mit einem Fauchen auf diesen Mann.

Acco sprang zur Seite.

„Sie werden den Natis der Götter niemals wieder ein Leid zufügen können!“ Ich fuhr die Krallen aus und fuhr sie ihm quer über die Kehle. Augenblicklich riss die Haut auf und dunkles Blut strömte heraus.

Er griff sich an den Hals. Seine Muskeln krampften, die Augen verdrehten sich. Seine Lunge füllte sich vor Blut und ließ ihn langsam ersticken.

Ich beobachtete jeden Augenblick seines Todeskampfes. Mein Blick war eiskalt. Und es war das letzte was er sah, bevor sein Kopf leblos zur Seite rollte.

Der General war tot.

Ich hatte ihn getötet.

Doch das schwere Röcheln hörte nicht auf. „Aman“, flüsterte ich und sah hastig über die Schulter. Vinea, Sarah, der Vampir und Aman hockten um ihn herum und versuchten die Blutung zu stillen.

Bevor wir aufgebrochen waren, hatte ich es im Stillen geschworen.

Sarah schnitt hektisch Amans Oberteil auf. „Er verliert zu viel Blut. Er muss operiert werden.“

„Eine Operation überlebt er nicht“, sagte der Vampir, riss ein Stück von seiner Jacke heraus und drückte es auf die offene Wunde.

Aman stöhnte.

„Ruhig Meen-Frater“, flüsterte Vinea uns strich ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn. „Bleib ganz ruhig.“

Acco winselte kläglich.

„Aber was sollen wir dann tun?“, wollte Sarah wissen.

Ich erhob mich auf die Beine, konnte jedoch nicht an ihn heran treten.

Es passiert wieder, flüsterten die Reden in meinem Geist. Es ist genau wie beim letzten Mal. Eine Kugel streckt ihn nieder, an seinem achten Tag auf Erden. Und ich konnte nichts dagegen tun.

Mein Kopf ging von einer Seite zur anderen. Er durfte nicht noch einmal sterben. Ich würde es kein weiteres Mal verkraften. Dieser Schmerz … er würde mich zerreißen und ein nichts übrig lassen.

„Vielleicht können unsere Heiler noch etwas ausrichten“, sagte eine Hexe von Silthrim. „Ich habe bereits weitaus schlimmere Wunden gesehen, die unsere Heiler behandeln konnten. Aber es bliebt nicht viel Zeit.“

Im Hintergrund begannen die Wesen aus Belua leise zu murmeln. Ihre Blicke waren vorsichtig, manche ängstlich. Kinder wurden schützend nach hinten geschoben.

Viele von ihnen hatten in ihrem ganzen Leben noch nie einen Toten gesehen.

Vielleicht war Belua ja doch zu etwas gut gewesen.

„Das heißt, das Portal muss sofort geöffnet werden“, sagte Sarah und schaute mich an. Und nicht nur sie allein. Alle schauten mich plötzlich an, doch ihre Worte drangen nicht richtig zu mir hindurch. Ich konnte nur auf Aman blicken und wie das Blut sein weißes Hemd immer röter färbte.

An dem Tag in der Kammer der Synode hatte ich es geschworen.

„Lilith!“, rief da Vinea. „Geh und öffne das Portal, sofort!“

Das Portal öffnen. Ich musste das Portal öffnen, damit wir Aman retten konnten. Aber ich wusste nicht wie.

„Lilith!“

Ich konnte nicht. Ich konnte es einfach nicht.

Der alte Aman erhob sich vom Boden, stellte sich vor mich und nahm mein Gesicht zwischen die Hände. „Du kannst das“, flüsterte er. „Du hast schon ganz andere Sachen vollbracht.“

„Bitte“, flehte Vinea.

Der Aman auf dem Boden begann zu husten und spuckte dabei Blut aus.

Bevor wir aufgebrochen waren, hatte ich mir geschworen, dass Aman kein zweites Mal sterben würde.

Ich musste ihn beschützen.

Das war wie ein Weckruf für mich. „Ich muss das Portal öffnen“, flüsterte ich. Denn nur so konnte er gerettet werden.

Die Erstarrung fiel ganz plötzlich von mir ab. Ich riss mich von Aman los, rannte an meinem Fafa und der Hexe vorbei und drängte mich zwischen den Wesen hindurch.

„Macht Platz, tretet zur Seite“, rief Sarah hinter mir.  

Ein Blick über die Schulter zeigte mir, dass sie Aman vorsichtig hochhoben, um ihn hinter mir her zu tragen.  

„Nun macht schon!“

Ich wartete nicht auf sie. In diesem Augenblick drängte die Zeit mehr als jemals zuvor. Jede Sekunde zählte.

Die Tür zum Büro des Generals stand weit offen, doch hier waren so viele Leute, dass ich sehr viel drängeln und schupsen musste, um sie an ihnen vorbei zu kommen.

Genau wie der Flur war auch hier alles voll mit den Wesen aus Belua, nur waren hier die meisten Grüne Krieger, die versuchten die Menge draußen zu beruhigen und sie zur Geduld antrieben.

Ich hatte keinen Blick für sie. Mein Ziel war die hintere Tür in dem Büro, denn sie war es die mich in den Raum mit dem Portal führte. Und auch sie war offen.

Der Raum Dahinter sah fast genauso aus wie bei meinem letzten Besuch. Er war kahl und steril. In der Mitte war der hintere Teil vom vorderen durch eine dicke Glasscheibe abgetrennt. Ungefähr in der Mitte des vorderen Raums stand eine hüfthohe Metallsäule mitten im Raum. Oben drauf waren beleuchtete Tasten.

Dieses Mal jedoch waren beide Räume gut gefüllt. Krieger der Götter und Grüne Krieger standen nervös herum und blickten auf, als ich hinein stürmte. Doch ich hatte keine Augen für sie. Hastig kämpfte ich mich in den Raum hinter der Glasscheibe durch. Und dann stand ich vor ihm: Das Portal.

Meine rechte Hand begann zu kribbeln, doch ich schenkte dem nicht viel Aufmerksamkeit. Hastig glitt mein Blick über die Zeichen der Götter. Es hatte sich kein bisschen verändert. Es schien völlig intakt zu sein. Mit einer Göttermacht würde es sicher kein Problem sein ein Steg zwischen den Welten zu errichten, doch so wie die Dinge nun einmal lagen, trug ich keine Göttermacht bei mir. Und doch musste ich es irgendwie öffnen.

Hinter mir wurden Ausrufe laut. Sarah drängte die Leute Platz zu machen.

Sie brachten Aman.

Geistrede nach Lilith, na los! Es musste einfach einen Weg geben. „Die Macht der achtzehn“, flüsterte ich und ließ meine Hand über die Zeichen wandern. Sie verharrten bei Isis, die Göttin der Meerwesen. „Wir sind nur siebzehn.“

Ein Mann trat neben mich. „Brauchst du Hilfe?“

Mein Blick schnellte einen Augenblick zu ihm. Seine Ganze Haut war mit Runen bedeckt. Ein Magier aus Silthrim. „Nein.“ Dieses Problem war nicht mit Magie zu lösen – jedenfalls nicht mit der Magie eines Magiers.

Meine Hand wanderte weiter. Ich konnte hören wie sie Aman herein brachten, wie schwer er atmete und den kleinen Laut des Schmerzes den er von sich gab.

Bitte Bastet, ich flehe dich an, ich werde alles tun was du verlangst, nur hilf mir!

Ich erwartete keine Antwort, doch ich hoffte darauf wenigstens ihre Anwesenheit zu spüren. Leider war dem nicht so. Dafür erregte aber etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Meine Hand. Je näher ich dem Zeichen meiner Göttin kam, desto stärker kribbelte es. Und dieses Gefühl, es war nicht das erste Mal dass ich es spürte.

Direkt bevor wir zum dritten Mal zur Erde aufgebrochen waren, hatte ich meinen Fafa umarmt und fast das Tigerauge von seinem Sockel gestoßen, als ich mich wieder von ihm gelöst hatte. Ich hatte es auffangen müssen, damit es nicht zu Boden fiel und dabei einen energiegeladen Schlag abbekommen.

Ich wusste noch genau, wie ich einen Moment lang geglaubt hatte das Abbild meiner Göttin im Tigerauge gesehen zu haben. In diesem Augenblick hatte meine Hand sich ganz genau so angefühlt wie in diesem Moment. „Bei Bastet“, flüsterte ich.

Der Magier blicke mich fragend an. „Was hast du?“

Konnte es vielleicht sein, dass ich die ganze Zeit die Macht besessen hatte das Portal zu öffnen, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt zu haben? Befand sich die Macht meiner Göttin in mir?

„Lilith, du musst dich beeilen!“, rief Sarah mir zu.

Ich schaute über die Schulter. Aman hing zwischen Luan und dem Vampir. Er sah viel zu blas aus und sein Atem sollte nicht so schwer gehen. Hinter ihnen drängten sich John und Pascal.

Um die Idee die sich in meinem Kopf gebildet hatte zu überprüfen, gab es nur einen Weg. „Öffne dich“, verlangt ich und drückte meine Hand auf das Zeichen meiner Göttin.

Ein greller Blitz schoss aus Bastets Mal heraus und verschwand direkt in der Mitte des Portals.

Vor Schreck machte nicht nur ich einen Satz Rückwärts, sondern auch der Magier neben mir.

„Was war das?“, fragte mein Fafa und nährte sich vorsichtig.

„Bastets Macht“, flüsterte ich.

Alle im Raum hielten die Luft an und starrten auf das Portal. Genau wie ich. Doch dann geschah gar nichts mehr. Das Portal blieb nichts weiter als ein leeres Gebilde aus Stein.

„Nein“, flüsterte ich und wollte gerade wieder einen Schritt nach vorne machen, um es noch einmal zu versuchen, als es plötzlich in der Mitte anfing schwach zu leuchten. Zuerst war es kaum zu erkennen, doch dann breitete sich der blaue Schimmer langsam zu den Seiten aus.

„Es wird von der anderen Seite geöffnet“, sagte der Magier. In seiner Stimme schwang die Aufregung mit. „Wir können nach Hause!“

Um mich herum wurden Jubelrufe laut.

Der bläuliche Schein wurde immer größer, griff auf den Stein über, bis das ganze Portal leuchte und schwächte sich dann leicht ab, bis es nur noch von einem hauchdünnen Schleier erfüllt war.

„Es ist offen“, flüsterte ich in den Lärm hinein und wirbelte dann herum. „Schnell, es ist offen, bringt ihn hindurch!“

Das ließen sich Luan und der Vampir kein zweites Mal sagen. Sie waren so schnell an mir vorbei, dass ich kaum noch einen Blick auf Aman werfen konnte. Janina, John und Pascal sprangen ihnen direkt hinterher. Acco folgte ihnen. Dann kam der Magier, ein Engel und ein grüner Krieger, der sich einen Moment zögernd umsah, bevor er ihnen hindurch folgte.

Vinea zögerte, sah dann zu dem verbliebenden Aman auf und sagte. „Ich muss erst Onyx holen.“

„Ich begleite dich.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Ich bin gleich zurück.“

Diese Worte waren kaum gesprochen, da verschwanden die beiden bereits in die falsche Richtung.

Nein, wollte ich schreien, doch ich wusste dass Vinea niemals ihr Geleit zurücklassen konnte. Wie denn auch, er gehörte doch zu ihnen. Aber sie mussten sich doch in Sicherheit bringen. Aman durfte sich nicht weiter in Gefahr bringen.

Der plötzliche Zwiespalt fesselte mich an Ort und Stelle. Immer mehr Leute strömten herein und verschwanden eilig durch das Portal. Fieberhaft schickte mein Fafa sie nacheinander hindurch. Auch die Bewohner von Belua waren bereits unter ihnen.

Sollte ich auch hindurch gehen und nach dem verletzten Aman schauen, oder lieber Vinea folgen? Ich wollte ihnen hinterher, wollte bei Aman sein, doch in diesem Moment wurden weiter hinten panische Stimmen laut.

Sarah wirbelte herum. „Verdammt, sie sind aufgewacht! Luke, Rosalie, sorgt dafür dass die Leute durch das Portal gehen!“ Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da drängte sie sich auch schon durch die Menge zurück zur Tür. Ein paar der Grünen Krieger folgten ihr auf dem Fuße.

Oh Göttin, sie meinte die Menschen. Die Zeit war vorbei, der Zauber gebrochen. Sie waren wieder erwacht.

„Das muss schneller gehen!“, rief Tarpan.

„Ich werde sie aufhalten“, teilte ich ihm mit und eilte dann Sarah hinterher.

„Warte Lilith!“, schrie Tarpan mir noch hinterher, doch ich ignorierte ihn.

Weiter hinten wurden die Unruhen noch lauter.

Ich schloss zu Sarah auf. „Wie lautet dein Plan?“

„Plan?“ Sie lachte höhnisch auf. „Hier rauskommen wäre schon mal ein guter … ufff.“

Sie wurde zur Seite gedrängt. Immer mehr Leute versuchten in das Büro des Generals zu kommen um den Unruhen auf dem Korridor zu entgehen. Weder Sarah und ihre Leute noch ich kamen an ihnen vorbei.

Mein Blick schweifte über die Menge, auf der Suche nach vertrauten Gesichtern, doch ich konnte weder Aman noch Vinea entdeckten. Hatten sie es noch raus auf den Korridor geschafft? Langsam kroch die Panik in mir hoch. Da draußen waren die Menschen, sie waren erwacht. Wenn Aman bei ihnen war …

Plötzlich waren vor der Bürotür Schreie zu hören. Ein lautes Knurren übertönte sie.

Nein. Nein, bitte nicht.

Ich versuchte vorwärts zu drängen, doch die Leute hatten Angst und versuchten zum Portal zu kommen.

„Scheiße!“, fluchte Sarah. „Ich komm nicht durch!“

Ich auch nicht. Ganz im Gegenteil, ich wurde immer weiter Richtung Portal gedrängt. „Aman!“, rief ich, doch meine Stimme ging in dem lauten Getöse einfach unter.

Immer wieder versuchte ich vorwärts zu kommen, doch es war zwecklos. Hilflos musste ich mich treiben lassen.

Noch einmal schallte das Knurren vom Korridor hinein, dann gab es einen Schrei und einen lauten Knall.

Angst machte sich in mir breit. Aman war dort draußen.

Oh Göttin.

Ich konnte nichts tun. Ich war hilflos im Angesicht der Masse und konnte nichts dagegen tun, dass sie mich immer weiter nach hinten drängten. Solange, bis der blaue Schein mich erfasste und das Portal mich gegen meinen Willen einfach verschluckte.

 

°°°

 

Das Portal entließ mich so plötzlich in den Tigersaal, dass ich das Gleichgewicht verlor und der Länge nach auf die Seite landete. Ich schaffte es nicht einmal mehr mich mit den Armen abzufangen, konnte sie jedoch schützend über meine Kopf reißen, als schon die nächsten Wesen aus dem Portal strebten und über mich rüber stolperten.

Ich zischte als mir jemand aufs Bein trat. Hände packten mich und zogen mich zur Seite um nicht unter den nachfolgenden Massen zu laden. Sie halfen mir auf die Beine, verschwanden jedoch genauso schnell wieder, wie sie gekommen waren, um sich um die andren Ankömmlinge zu kümmern.

Einen kurze Moment gestattete ich es mir Luft zu holen, mich zu orientieren und zu verstehen was hier vor sich ging

Ich befand mich im Tigersaal. Genau in der Mitte strahlte das Portal in einem sanften blauen Schein und entließ ohne Unterbrechung die Flüchtlinge aus Belua. Einfache Anwohner, Grüne Krieger, Natis der Götter. Sie sammelten sich zu Grüppchen, wurden von den Kriegern der Bastet hinaus eskortiert, um Platz für die nachfolgenden Aussiedler zu haben.

Am Portal, selber auch in das heilige Licht des Portal getaucht, die Macht unserer Göttin erhoben in ihren Händen, stand eine junge Priesterin. Ich blinzelte. Nein, das war keine Priesterin, das war Anima. Ihr zur Seite standen ein paar von Bastets Priestern, auch Tia, das Oberhaupt unseres Tempels.

Umringt waren sie von den Kriegern der Bastet. Sie schützten das was unserem Volk am heiligsten war.

Mein Blick schweifte umher, denn im Augenblick interessierte mich nur eines: Aman. Er lag unweit vom Portal auf dem Boden, umringt von einem halben Dutzend Heilern, die sich unentwegt Befehle zuriefen. In ihren Blicken und Gesichtern zeigte sich eine ernste Ruhe, die mein Herz vor Angst schneller schlagen ließ. Ihre Hände waren mit Blut besudelt; seinem Blut.

Acco stand unweit von ihnen entfernt und ließ ihn keinen Moment aus den Augen.

Als ich Amans schmerzverzerrtes Gesicht erfasste, rückte alles in den Hintergrund. Die laute Geräuschkulisse die mich umgab, die verschiedenen Gefühlen in all den Gesichtern, das verängstigte Wimmern eines Natis und die Krieger der Bastet, die sich unaufhörlich Befehle zuriefen, genauso wie der Strom an Flüchtlingen, der einfach nicht abreißen wollte.

Langsam, als gehörte mein Körper nicht länger mir, schob ich mich an der Wand entlang auf ihn zu. Dabei war mein Geist von einer einzigen Geistrede erfüllt: Acht Tage, acht Jahre und wieder liegt Aman im Sterben. Wie ein ewiger Strudel kreisten diese Worte in meinem Kopf umher und machten mir mit jedem verstreichenden Moment das Atmen schwerer.

Jeder Schritt den ich ihnen näher kam, schien schwieriger als der vorherige. Mein Gehör schien nicht mehr zu funktionieren. Alles war wie in Watte gepackt. Die Stimmen der Heiler, das Wimmern von Acco. Nur die schweren Atemzüge von Aman schienen deutlicher als mein eigener Herzschlag.

Seine Augen waren geschlossen, die Lippen voller Blut und seine Brust hob und senkte sich viel zu unregelmäßig. In jeden seiner Züger war der Schmerz eingegraben, den er verspürte.

„Aman“, flüsterte ich und schaffte es noch einen Schritt näher an ihn heran.

Eine Hand griff nach meinem Arm. Die Plötzliche Berührung ließ nicht nur die Geräuschkulisse um mich herum zurückkehren, sondern mich auch herumwirbeln und in die ernsten Augen meines Fafas blicken.

Was mir in der letzten Stunde nicht aufgefallen war, er war dünner geworden und zum ersten Mal seit ich ihn kannte, sah man ihm sein Alter an. Diese Gefangenschaft war auch an ihm nicht spurlos vorbei gegangen. Und dennoch stand er hier nun hoch aufgerichtet ohne die kleinste Schwäche in seinem Blick.

„Ich wusste das du es kannst“, sagte er leise und sehr langsam bildete sich der Ansatz eines Lächelns auf seinen Lippen. „Du hast es geschafft, Lilith, du hast uns alle gerettet.“

Alle? Mein Blick glitt zu Aman.

„Er verliert zu viel Blut“, hörte ich einen der Heiler sagen.

„Wenn wir es nicht unter Kontrolle bekommen, wird nicht einmal mehr Seth ihn retten können“, fügte ein anderer verbissen hinzu.

„Drück das da raus“, wies der Erste einen Helfer an und kramte in seiner Tasche nach einen grünen Trank, den ich als Schmerzmittel erkannte.

Einen Moment schwieg mein Fafa. „Wir können nicht alle retten.“

Nein, nicht alle, aber warum musste es wieder ihn treffen?

„Wir müssen ihn in den Tempel von Seth schaffen“, sagte der zweite Heiler. „Das ist die einige Möglichkeit die ihm noch bleibt.“

Nein …

„Nein Lilith“, sagte mein Fafa und hielt mich fest, als ich einen weiteren Schritt auf ihn zu machen wollte.

Ich schaute zu ihm auf.

„Er ist keiner von uns, es liegt nicht länger in unserer Hand.“

„Aber …“

„Er gehört zu Seth‘ Natis.“

Als ich ihn nach diesen Worten nur ungläubig ansehen konnte, baute er sich vor mir auf und verstellte mir so die Sicht auf Aman.

„Ich weiß dass dieser Krieger dir in schwierigen Zeiten zur Seite gestanden hat und auch das eine solch gemeinsame Zeit eine Verbindung zwischen euch geschaffen hat, wie nur die wenigsten Krieger aus verschiedenen Völkern jemals zuteil wird. Vielleicht siehst du ihn in der Zwischenzeit sogar als deinen Amicus an, aber Lilith, er ist ein Lykanthrop.“

Mein Mund ging auf und wollte ihm all das mitteilen, was mich mit Aman verband, wollte ihm all das sagen, was er mir bedeutete, doch es gelang mir nicht auch nur einen Ton über meine Lippen zu bringen. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich konnte einfach nicht. Nicht meinem Fafa.

„Versteh doch Lilith, er gehört nicht zu uns, er wird niemals einer von uns sein.“ Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und zwang mich damit ihm in die Augen zu schauen. „Er gehört nicht zu Bastet Natis.“

Und damit würde er auch niemals zu mir gehören, egal was die Götter zwischen uns geschaffen hatten. Kein Ailuranthrop würde es verstehen, kein Lykanthrop würde uns jemals seinen Segen geben. Für jedes Volk dieses Plantetens wäre eine solche Verbindung unausführbar. Etwas das es nicht geben dürfte.

„Es werden weniger“, rief eine Kriegerin der Bastet und brachte eine Elfe vom Portal fort.

Fafa ließ von mir ab und drehte sich zu ihm um.

Auch mein Blick ging dorthin, dann weiter zu Aman.

„Was mit ihm und den anderen geschieht liegt nun nicht länger in deiner Hand, Lilith. Du hast deine Aufgabe als Auserwählte erfüllt.Du kannst nichts mehr für ihn tun“, sagte meine Fafa leise. „Jetzt liegt es an Seth.“

Aman begann Blut zu husten. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen.

„Wir können nicht länger warten!“, rief ein Heiler. „Er muss sofort in Seth Tempel!“

In diesem Moment sprang Vinea durch das Portal. Ihr Blick war gehetzt, ihr Haar völlig zerzaust, doch in ihrer Haltung war etwas hartes das deutlich sagte, dass sie sich niemals brechen lassen würde. In ihrer Hand hielt sie eine Kette, an der sie Onyx hinter sich her zerrte.

Der verwirrte Amentrum sprang in den Tigersaal, knurrte und biss sofort um sich.

Eilig sprangen Leute aus dem Weg.

Eine zweite Kette hing noch halb ins Portal hinein. Nur einen kurzen Moment, dann folgte Aman. Er hielt sie fest in den Händen und versuchte so Onyx zusammen mit Vinea unter Kontrolle zu halten.

Ein Heiler rannte zu Anima, machte dabei einen großen Bogen um Onyx, der sich trotz der gemeinsamen Kraft von Vinea und Aman nicht bändigen lassen wollte, sodass weitere Krieger angerannt kamen, um ihnen zu helfen.

Der Heiler sprach hektisch auf Anima ein.

Zur gleichen Zeit nahmen die anderen Heiler Aman hoch.

Ich musste nicht hinschauen um zu wissen, was als nächstes geschah. Sie würden das einzig richtige tun, sie würden ihn nach Hause schicken. Und ich würde hier zurück bleiben, denn zum Tempel durfte ich ihm nicht folgen. Nicht in einer solchen Situation, nicht wenn ich hier vielleicht noch gebraucht wurde. Und ich würde sowieso nichts ausrichten können. Ich war nur ein Kriegerlehrling, jemand der das Handwerk des Kampfes erlernte und zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich Zweifel an dem Weg den ich bereits als kleines Kätzchen gewählt hatte. Wenn ich nur eine Lehre im Heilertun gemacht hätte, würde ich mich in diesem Augenblick vielleicht nicht so unnütz und unfähig führen.

„Aman“, flüsterte ich.

Plötzlich bäumte Onyx sich auf, warf den Kopf zurück und fletschte die riesigen Zähne. Nur deswegen sah ich genau in diesem Augenblick zu dem anderen Aman, sah wir er krampfhaft versuchte Vineas Geleit unter Kontrolle zu bekommen und sah auch, wie seine Umrisse vor meinen Augen plötzlich verschwammen. Er gab einen gutturalen Laut von sich. Onyx Kette fiel ihm klirrend aus der Hand, während er sich leicht zusammen krümmte und seine Hände gegen seinen Kopf drückte.

Bei Bastet, was …

Amans Umrisse wurden immer undeutlicher. Zuerst glaubte ich einer optischen Täuschung zu erliegen, aber auch andere Wesen begannen auf ihn zu zeigen und Vinea rief seinen Namen.

Ich verstand nicht was da geschah. Es war als hätte ich ein Bild mit frischen Farben vor mir, über das eine grobe Hand strich. Ein Sog, der ihn wegzog … genau auf den anderen Aman zu.

Oh Göttin!

Und dann … ich konnte es nicht genau erkennen. Der alte Aman wurde von dem neuen Aman einfach eingesogen. Sie verschmolzen miteinander, bis sie nur noch ein Wesen waren.

Vinea rief nach ihrem Bruder und auch mir entrang sich einen entsetzter Schrei.

Aman bäumte sich in den Armen der Heiler auf, einen kurzen Moment, bevor sie ihn in das Portal trugen und mit ihm zusammen darin verschwanden.

Aman …

„Was in Bastets Namen …“, begann mein Vater, verstummte aber sogleich wieder.

Ich jedoch verstand es. Die alte Zeitlinie existierte nicht mehr. Der alte Aman jedoch befand sich in einer anderen Welt als sie gelöscht wurde, einer Welt, auf die die Magie keinen Zugriff hatte. Doch das bedeutete nicht, dass es in der zweiten Zeitlinie zwei Amans geben durfte.

Mein Aman, der erste, er hatte Silthrim wieder betreten. Die Magie hatte sofort zugeschlagen und das getan was getan werden musste: Sie hat ihn gelöscht, denn es durfte nur einer existieren.

Und das war nicht mein Aman.

Ich riss mich von meinem Fafa los, achtete nicht auf ihn, achtete nicht auf die Wesen um mich herum und rannte einfach los. Ich musste weg von hier, ich wollte nicht länger wissen, was hier vor sich ging und zu was er führen würde.

Flüchtlinge, Krieger und Helfer flogen nur so an mir vorbei. Ich rannte aus dem Tempel, rannte weg von den Dingen die mir alles auf der Welt bedeuteten und mir doch niemals gehören würden – nicht in dieser Welt.

Die Tränen in meinen Augen spürte ich kaum.

Gebäude und Grünanlagen verwischten zu einem verschwommenen Meer.

Ich wollte nur weg, weg von dem was ich nun wieder verloren hatte.

Warum nur waren die Götter so grausam?

Meine Beine trugen mich raus aus der Tempelanlage, hinein in den riesigen Wald, solange bis ich mit dem Fuß an einer Wurzel hängen blieb und fast hinfiel. Doch ich spürte den Schmerz nicht. Er war so viel schwächer als das was mir gerade entrissen wurde.

Aman …

Es konnte niemals ein uns geben. Wir waren zu verschieden. Es würde zu viele Probleme geben. Unser zusammen sein konnte Aman seinen Satus als Krieger kosten. Meine Familie würde das niemals akzeptieren. Mein Fafa würde es nicht akzeptieren.

Ich war eine Auserwählte, ich durfte so etwas nicht tun. Ich durfte nicht zu meinen Gefühlen stehen, nicht wenn sie einem Mann aus einem anderen Volk galten.

Doch das Schlimmste an all dem war, dass ich mir nicht mehr sicher sein konnte, ob Aman mich überhaupt noch wollte. Der Alte Aman, mein Aman, der Mann der mich gezwungen hatte zu meinen Gefühlen zu stehen … er war nicht mehr.

Die Zeit und die Magie … sie hatten ihn mir ein zweites Mal entrissen.

Ein Schluchzen drang aus meiner Kehle. Der Schmerz übermannte mich, zerriss mein Herz und ließ nichts weiter als ein tiefes Loch zurück.

Es war so viel schlimmer als das letzte Mal und ich wusste auch warum. Selbst wenn Aman überlebte, er würde niemals mir gehören, denn dieser Aman war nicht der Meine. Selbst wenn er etwas für mich empfand, so würde er es niemals zugeben.

Das Zerbrechen eines Astes ließ mich den Kopf drehen, doch ich musste mir erste die Tränen aus den Augen wischen, bevor ich erkennen konnte, was dort zwischen den Bäumen hervor trat.

Ein Schneeleopard. Ein Sermo mit so strahlend blauen Augen, wie es ihn kein zweites Mal gab.

Ich wusste nicht woher er kam, oder wie er mich gefunden hatte, doch ich wusste ganz genau wen ich dort vor mir hatte. „Sian“, flüsterte ich.

In den Jahren meiner Abwesenheit war er nicht nur erwachsen geworden, sondern auch wunderschön. In dem spärlichen Licht dass seinen Weg zwischen den Blättern der Baumkronen hindurch fand, glänzte sein Fell wie die Eiskronen in den Bergen der Engel.

Er blinzelte einmal. Dann schien er auf einmal zu wachsen. Er wurde größer und größer. Die Muskeln unter seinem Fell wuchsen und ließen ihn zu einem kraftvollen Wesen heranreifen, bis er als ausgewachsener Amentrum genau vor mir stand.

„Lass uns laufen“, sagte er leise mit einer Stimme die mir so fremd war, wie sein Äußeres. „So wie wir es uns immer vorgestellt haben.“

Es waren die blauen Augen die mich dazu verleiteten seinen Worten zu folgen. Ich kletterte einfach auf seinen Rücken und klammerte mich an ihm fest, als er sich in Bewegung setzte.

Zwischen uns gab es keine Worte, denn sie waren überflüssig. Sian verstand meinen Schmerz, auch wenn ihm die Ursache dafür verborgen blieb. Er rannte einfach los, wurde immer schneller und trug uns soweit in den Wald hinein, dass uns kein Wesen jemals finden würde, wenn wir das nicht wollten.

Meine Tränen tränkten sein Fell, während ich mich an ihn klammerte und versuchte den Schmerz dahin zu verbannen, wo er die letzten Wochen und Monate gewesen war – tief in mein innerstes.

Acht Jahre waren vergangen und auch wenn ich die Welt der Ailuranthropen wieder in Ordnung gebracht hatte und das Leben vieler Wesen nun besser werden konnte, so lang mein ganzes Sein noch immer in Scherben.

 

°°°°°

Kapitel Fünfundzwanzig

 

Sehr langsam schritt ich die vertrauten Wege dieser Anlage entlang, die mich zurück zu Bastets Tempel bringen würde.

Es war bereits dunkel, doch noch immer herrschte überall hoher Betrieb. Dies war eine Nacht, in der die Ailuranthropen nicht so schnell zur Ruhe kommen würden.

Immer wieder begegne ich vertrauten und auch fremden Gesichtern. Sie alle nickten mir zu, deuteten eine Verbeugung an, oder sprachen mir ihr wohlwollen zu, ehe sie wieder zu ihrer eigentlich Aufgabe verschwanden.

Ich sah sie kaum. Ihre Gesichter waren nichts weiter als verschwommene Flecken, die sich schon einen Moment später einfach in Nichts auflösten.

Meine Tränen waren getrocknet, die Geistreden zum erliegen gekommen. Da war nichts mehr außer diesem hohlen Gefühl, das meinen ganzen Leib langsam in die Dunkelheit riss.

Der einzige der dafür sorgte, dass ich langsam einen Fuß vor den anderen setzte, war Sian, der nicht von meiner Seite wich und alle die sich uns nährten genau im Auge behielt.

Ich hatte ihn nicht gefragt, woher er so plötzlich gekommen war, dafür war ich viel zu zugetan gewesen. Er war auch der Grund, warum ich auf das Tempelgelände zurückgekehrt war und nicht noch immer verloren und einsam im Wald herum streifte.

Vor uns konnte ich bereits die Pyramide sehen, den Tempel der Bastet, der den wertvollsten Schatz meines Volkes in seinem Inneren barg. Seit meinem letzten Aufenthalt hier, hatte er sich kein bisschen verändert.

Draußen vor dem Tempel herrschte dichtes Treiben. Es waren Notunterkünfte aus Planen und Stoffen errichtet worden. Helfer eilten zwischen ihnen umher und verteilten Kleidung, Essen und Decken. Krieger der Bastet patronierten zwischen ihnen umher um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.

Die Flüchtlinge hatten sich zu kleinen Gruppen zusammgerottet, genau wie die Krieger der Götter.

Es war viel ruhiger als zum Zeitpunkt unserer Ankunft. Und auch … viel leerer. Es müssten doch eigentlich viel mehr Flüchtlinge sein, oder?

Sian schob seinen Kopf unter meine Hand. „Komm, hier entlang.“ Seine Stimme war so viel tiefer als in meiner Erinnerung. Er war erwachsen geworden. Und ich hatte es nicht erleben dürfen.

Genau wie damals.

Manche Dinge waren wohl so tief in Stein gemeißelt, dass sie sich einfach nicht ändern ließen. Niemand vermochte es das Schicksal zu ändern.

„Na komm“, sagte er noch einmal, als ich nichts weiter tat als ihn anzusehen und lief dann los. Er führte uns am Rand der Notunterkünfte und hielt auf einen Punkt seitlich vom Tempel zu.

Die Nacht wurde zu dieser späten Stunde nur spärlich von ein paar Lagerkristallen erhellt. Daher erkannte ich meinen Fafa auch erst, als ich nur noch ein paar Meter von ihm entfernt war.

Er saß zusammen mit Licco und Tarpan auf dem Boden. Lacota hatte sich an ihn gekuschelt und genoss die streichelnden Hände, die immer wieder durch das Fell auf ihrem Kopf strichen.

Neben den beiden saß Tarpan. Audax lag halb auf seinem Leiter drauf, als wollte er so verhindern, dass er jemals wieder von ihm getrennt wird.

Ja, wir waren nur acht Tage fort gewesen, doch für die die wir zurück gelassen hatten, waren acht Jahre ins Land gezogen – eine lange Zeit für ein Geleit, besonders wenn niemand wusste, ob wir jemals wieder zurückkehren würden.

Licco, der sich an seinen Sermo Fritte gelehnt hatte, war der erste, der mein nährkommen bemerkte. „Lilith!“, rief er und sprang auf die Beine, noch bevor die anderen beiden Männer ihren Blick auf mich gerichtet hatten. Im nächsten Moment riss er mich in seine Arme und drückte mich ganz fest an sich. „Wo warst du nur?“, schimpfte er leicht vorwurfsvoll und hielt mich sogleich eine Armlänge von sich entfernt. „Ich hab schon geglaubt du versteckst dich vor mir.“

„Nein, ich …“ Ich schaute zu Sian hinab. „Wir waren im Wald. Laufen.“ Warum wir das getan hatten, würde ich ihm nicht sagen. Ich wusste noch sehr gut, wie er auf die Verbindung zwischen mir und Aman reagiert hatte.

„Ach dahin bist du also so plötzlich verschwunden.“ Licco strich Sian über den Kopf. „Und ich hab mich schon gewundert.“

„Ich habe sie gewittert“, sagte mein Sermo schlicht und schon seinen Kopf wieder unter meine Hand. Wie die beiden anderen Sermos schien es, dass er immerzu meine Nähe spüren musste, um sich zu versichern, dass ich auch wirklich da war.

„Und du hast es nicht für nötig gehalten, es mir zu sagen?“

„Nein.“ Völlig schlicht kam dieses Wort aus seinem Maul

Mein Mundwinkel zuckte, während Licco beleidigt schnaubte.

„Natürlich nicht. Wäre ja auch mal etwas ganz Neues, wenn du mit mir sprechen würdest.“ Beleidigt wandte Licco sich von ihm ab und setzte sich wieder neben Tarpan auf den Boden. „Wirklich, ich habe noch nie einen solch sturen Sermo wie Sian erlebt.“

Stur? Sian? Ich schaute zu ihm hinunter. „Hast du Licco während meiner Abwesenheit geärgert?“

„Ich habe ihn nicht als meinen Leiter akzeptiert“, erwiderte er schlicht und setzte sich neben mich.

Nein, ich wollte nicht lächeln, doch so ernst wie er es sagte, blieb mir gar keine andere Wahl.

Licco gab ein hartes Lachen von sich. „Nicht akzeptiert ist gut. Er ist ständig weggelaufen, immer zurück in den Tempel. Ich musste fast jede Woche herkommen, um ihn wieder abzuholen.“

Zum Tempel. Er hatte hier auf mich warten wollen. Genau wie der andere Sian.

„Ich wusste dass du zurückkommen würdest“, sagte er leise.

Mein Fafa verlagerte sein Gewicht ein wenig. „Wie es scheint, war er da einer der wenigen. Die meisten haben uns bereits aufgegeben gehabt.“

„Es sind eben viele Jahre ins Land gezogen.“ Nein, das sollte keine Entschuldigung dafür sein, dass man bereits damit begonnen hatte uns zu vergessen. So war das Wesen der Sterblichen halt. Sie begannen zu vergessen und lebten ihr Leben einfach weiter. Daraus konnte man niemanden von ihnen ein Vorwurf machen. „Doch nun sind wir zurück.“

„Und das ist allein dein Verdienst.“ Mein Fafa lächelte mit so viel Stolz in der Stimme, dass ich den Blick senkte.

„Es war Glück und das Zutun unserer Göttin. Ohne sie wären wir verloren gewesen.“

„Nein Lilith.“ Mein Fafa schüttelte den Kopf. „Es waren dein Herz und dein Wille die uns gerettet haben.“

Ich konnte ihm nicht zustimmen. „Viel zu oft war ich viel zu kurz davor gewesen aufzugeben.“

„Kurz davor“, stimmte mein Fafa mir zu. „Doch du hast dich immer wieder aufgerafft und weiter gemacht.“

„Egal wie schlecht es um uns stand“, fügte Tarpan noch hinzu.

Wie sie es sagten, mit so viel Stolz in der Stimme. Wäre ich nicht dabei gewesen, könnte ich glauben eine Heldin zu sein. Oder eben eine richtige Auserwählte. Doch ich war dabei gewesen und ich wusste genau was ich getan hatte und was ich nicht getan hatte.

Ich war verängstigt gewesen und von Zweifeln geplagt. Hätte Aman nicht auf dem Sterbebett gelegen, ich glaubte nicht dass ich es geschafft hätte das Portal rechtzeitig zu öffnen. Doch der Preis um all die Wesen zu retten … er war viel zu hoch gewesen.

„Unsere Göttin hat gut daran getan, dich zu ihrer Auserwählten zu machen“, sagte mein Fafa leise. „Ohne dich wären wir verloren gewesen, Lilith.“

Ohne mich wären sie erst gar nicht zu fremden Ufern aufgebrochen und Aman würde nun nicht um sein Leben fürchten müssen.

Aman. Wie es ihm wohl ging? Konnten die Heiler seines Volkes ihn retten? Hielt Seth seine schützende Hand über ihn?

Ich wollte auf die Knie gehen und für ihn beten. Ich wollte einen anderen Gott dazu anhalten ihm sein Leben zu schenken, auf das er noch glücklich viele Jahre vor sich habe. Doch Seth war nicht mein Gott. Ich wusste nicht mal ob er den Worten eines Ailuranthropen lauschen würde.

„Wo bist du nur mit deinen Geistreden?“, fragte Licco.

„Ich …“ Ich verstummte. Das war ein Geheimnis, dass ich keinen von ihnen offenbaren konnte. Aber ich konnte etwas anderes versuchen. „Habt ihr Nachricht von Seth Tempel erhalten? Wisst ihr was mit dem Krieger geschehen ist?“

Mein Fafa war nicht der einzige, der mich einen Moment etwas zu eindringlich musterte. „Nein Lilith. Keiner dort würde uns ohne guten Grund uskunft über ihre Krieger geben.“

Nein, natürlich nicht. Wie dumm von mir.

„Aber er ist scher in besten Händen“, fügte meine Fafa noch hinzu. Und der Blick dabei. Einen Moment hatte ich das Gefühl, dass er mehr verstand, als ich ihn glauben ließ. „Und im Moment ist das sowieso eine Kleinigkeit, mit der wir uns nicht weiter befassen brauchen. Es gibt viel Wichtigeres.“

Da war ich anderer Meinung. „Wichtigeres?“, fragte ich.

„Die Aussiedelung der Flüchtlinge“, erklärte Licco, als sei dies sonnenklar. „Die Elfen sind bereits abgereist und haben die ihren mitgenommen, genau wie die Nymphen und Engel.“

„Und die Lykanthropen“, fügte Tarpan noch hinzu. „Sie sind in ihre Tempel zurückgekehrt und haben ihre Flüchtlinge mitgenommen.“

„Bis morgen werden so gut wie alle nach Hause gegangen sein, dann müssen die Priester nur noch entscheiden, was mit den Mischlingen geschieht.“

Ich ließ meinen Blick über den Vorplatz wandern. Also hatte ich es mir nicht eingebildet, dass es weniger als bei unserer Ankunft waren. „So schnell“, flüsterte ich.

„Viele von ihnen brauchen die Macht ihres Gottes“, sagte Fafa. „Es gab für sie keinen Grund mehr zu zögern und das unausweichliche aufzuschieben.“

„Und die restlichen werden ihnen in den nächsten Tagen folgen.“

Alle würden nach Hause gehen und ihrem neuen Glück entgegen streben. „Der Altag wird in den Tempel zurück kehren.“

„Ja.“ Mein Fafa nickte. „Aber wir werden nicht mehr hier sein um es zu erleben. Wir brechen schon morgen früh auf.“

Diese Worte ließen mich aufhorchen. „Aufbrechen?“

„Hast du des vergessen?“ Gedankenvoll musterte Fafa mich. „Du wirst nicht mehr im Tempel unterrichtet. Ich persönlich übernehme nun deine Ausbildung.“

Natürlich. Mein Blick richtete sich auf Tarpan, der seinen sogleich ein wenig senkte. „Was genau ist dein Plan?“

„Wir werden morgen früh zu deiner Mina aufbrechen. Ich habe bereits einen Boten an ihrem Hof geschickt, um ihr die freudige Mitteilung unserer Rückkehr zu überbringen. Sie wird uns also erwarten.“

„Mina?“ Zum ersten Mal an diesem Tag schien die Geistrede an die Zukunft mich nicht völlig zu erdrücken. Ich würde meine Mina wiedersehen.

Fafa nickte. „Ja, wir werden sie besuchen.“

Das hieß, heute war mein letzter Tag am Tempel. Danach würde sich alles ändern.

Tarpan ist nicht nur ein ausgezeichneter Krieger, er ist auch noch des Natis meines besten Amicus. Schon bei deiner Geburt habe ich mit seinem Fafa vereinbart, dass er einmal dein Collusor werden wird.

Wieder fiel mein Blick auf den Krieger. Ja, ich würde eines Tages mit meinem Fafa durch die Lande reisen, aber vorher musste ich noch etwas tun. Nur wusste ich nicht, ob ich dazu in der Lage wäre, wo mein Herz sich bereits allein bei der Geistrede daran schmerzhaft zusammen zog.

„Am Besten du packst deine Sachen noch heute Abend zusammen“, unterbrach mein Fafa meine Geistreden. „Wir werden gleich morgen bei Sonnenaufgang losreiten.“

„Aber …“ Das ging zu schnell. Ich war noch nicht bereit. „Ich habe gar keinen Sattel.“

„Es wird sich sicher einer für dich finden lassen, Nasan.“

Sicher, er hatte recht, aber …

„Lilith!“, rief mich da eine vertraute Stimme.

Ich drehte mich herum und entdeckte Anima am Eingang zum Tempel. Lächelnd winkte sie mich zu sich. Halb hinter ihr in den Schatten stand Gillette und hatte ihr einen Arm um die Tilie gelegt.

Auch die beiden würde ich zurück lassen.

„Geh nur Nasan“, sagte mein Fafa. „Aber mach nicht mehr zu lange, wir haben morgen einen weiten Weg vor uns.“

Ich nickte zum Zeichen dass ich verstanden hatte und setzte mich in Bewegung. Sian blieb an meiner Seite.

Schon beim nährkommen entdeckte ich trotz des spärlichen Lichtest, dass Anima sich verändert hatte. Die Züge in ihrem Gesicht waren schärfer geworden, die Weichheit der Jungend hatte sich ein wenig aus ihrem Antlitz zurückgezogen. Sie wirkte reifer und durch die Priesterrobe sogar ein wenig Ehrfurchterregend.

Und nicht nur ihr ging es so, auch Gillette hatte sich verändert. Sie beide waren erwachsen geworden.

Acht Jahre konnten eine lange Zeit sein.

„Lilith“, freute Anima sich, sobald ich bei ihr angekommen war und legte die Arme um mich. „Ich freu mich so dich zu sehen.“

Ich wusste nicht woran es lag, doch ich konnte ihre Umarmung nicht ganz so enthusiastisch Erwidern. Und dann spürte ich es.

Überrascht ließ ich von ihr ab und senkte den Blick auf ihren Bauch. „Bei Bastet, bist du schwanger?“

Gillette gab ein leises Lachen von sich. „Das will ich doch hoffen, sonst müsste ich mich fragen, wieviel sie wohl isst um einen solchen Bauch zu bekommen.“

„Oh, du!“ Spielerich schlug sie nach ihrem Herz, doch der fing ihre Hand einfach aus der Luft und hauchte ihm dann einen federleichten Kuss auf die Knöchel.

Ich musste meinen Blick abwenden um den Stachel der Eifersucht im Zaun zu halten.

Anima kicherte, schien sich dann aber wieder ihrer Umwelt bewusst zu werden und atmete einmal tief durch. „Ja“, sagte sie. „Wir erwarten das Baby bereits in wenigen Wochen.“

„Das freut mich für euch.“ Nur noch wenige Wochen. Wenn alles so verlief, wie mein Fafa es sich vorstellte, würde auch ich bald ein eigenes Baby in den Armen halten. Doch nur kurz, dann würde ich es bei meiner Mina zurück lassen um das Handwerk eines Kriegers bei meinem Fafa zu lernen. „Wirklich.“

„Vergts.“ Anima strahlte. „Aber die größte Überraschung dieser Tage warst wohl du.“

Ja, verschollen und doch zurück gekehrt. Da fiel mir eine andere Frage ein. „Woher wusstest du, dass wir vor dem Portal stehen und du es öffnen musst?“

Nun schaute Anima mich erstaunt an. „Weist du es nicht?“

„Was weis ich?“

„Du warst es doch, die mir die Nachricht geschickt hat.“

„Nachricht?“ Verwirrt schaute ich von einem zum anderen. „Ich habe keine Nachricht geschickt.“

„Doch, hast du.“ Sie musterte mich. „Du weist es wirklich nicht, oder?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weis nicht wovon du sprichst.“

„Von Bastets Macht.“ Sie forschte in meinem Gesicht. „Nachdem der Kontakt zu euch abgebrochen ist, haben wir einmal noch versucht das Portal zu öffnen – mit Erfolg. Doch war es keiner von euch den wir auf der anderen Seite fanden, sondern ein seltsamer Raum mit einer Wand aus Glas.“

Glas? Hieß das, dass ein Krieger nach Belua gegangen war? Unglaublich.

„Doch auf der anderen Seite lauerten Krieger einer anderen Welt. Der Mann der hindurchgegangen war, erzählte uns von grünen Uniformen.“

„Die Grünen Krieger.“

Anima nickte. „Unser Krieger kam nur sehr knapp davon. Danach wurde entschieden, dass wir es kein weiteres Mal versuchten, nicht ohne Handfesten Anhaltspunkt. Vor ein paar Tagen dann sprach Bastet zu mir und sagte dass ich aufmerksam sein sollte. Ich wusste nicht was sie damit meinte und wurde jeden Tag unruhiger.“

„Sie hat kaum noch geschlafen“, fügte Gillette noch hinzu und Anima nickte.

„Ich konnte nicht. Die Unruhe trieb mich umher. Und dann, heute kurz vor dem Mittagsmahl kamen dir Priester in mein Gemach gerannt. Sie erzählten, dass das Tigerauge glühte und nicht wussten was das zu bedeuten hatte. Ich bin in den Tigersaal geeilt und in dem Moment als ich ihn betrat, fuhr ein Blitz aus dem Portal und ich konnte deine Stimme hören.“

„Meine Stimme?“

„Du hast gesagt: öffne dich. Da wusste ich, dass du auf der anderen Seite bist und habe es geöffnet.“

Bei Bastet. „Du hast gehört was ich gesagt habe?“

Sie nickte. „Ja. Ich habe nicht gezögert und …“ Plötzlich verstummte sie. Ihr Gesicht wurde ein wenig blas und sie machte unwillkürlich einen Schritt zurück. 

Gillette spannte sich ein wenig an und legte die Hand auf das Schwert an seiner Hüfte.

In Annahme einer drohenden Gefahr, wirbelte ich herum, doch dort war nur ein leicht schwankender Mann, der langsam die Treppe zu uns hinauf torkelte. „Nim“, flüsterte er und streckte die Hände nach ihr aus. „Nim.“

Das war Pascal.

Ich runzelte die Stirn und hielt ausschau nach John oder Luan, aber keiner von beiden war zu sehen. Doch, da ganz hinten kam Luan angelaufen.

„Entfern ihn“, wies Anima Gillette an. „Mach ihn weg.“

Verwundert schaute ich zu meinen Amicus.

Gillette setzte sich sofort in Bewegung und hielt auf den jungen Magier zu. Er glaubte in ihm eine Gefahr für sein Her und das Natis das sie trug. So ängstlich wie Anima schaute, konnte ich das verstehen. Aber ich hatte Worte von ihr im Ohr, Worte die sie vor nicht allzu langer Zeit an mich gerichtet hatte.

Lilith, wenn du diesem Pascal begegnest, dann musst du ihm klar machen, dass er sich von mir fernhalten muss.

Als sie diese Worte gesprochen hatte, waren wir noch davon ausgegangen, dass für die Wesen auf der Erde die Zeit genauso zurückgedreht wurde, wie für uns. Dem war nicht so. Doch das war egal, denn ich verstand heute genauso wenig wie damals warum sie vor einer Begegnung mit ihm eine solche Panik hatte. Noch dazu ging von Pascal in seinem Zustand keinerlei Gefahr aus. Es wunderte mich schon, dass er sich überhaupt an Anima erinnerte.

Doch Gillette schien in ihm ein drohendes Unheil zu sehen, den kaum das Pascal die Oberste Stufe erreicht hatte, zog er sein Schwert und richtete es auf ihn.

„Nein!“, rief ich und sprang zwischen die beiden.

Doch mein Ruf war nicht der einzigste. Luan war in der zwischenzweit weit genug herangeeilt, um mit entsetzten zu sehen, was hier vor sich ging.

Gillette jedoch runzelte die Stirn. „Warum stellst du dich vor ihn?“

„Er ist nicht gefährlich.“ Ich schaute über die Schulter.

Luan erklomm die letzten Stufen und griff nach Pascals Arm. „Tu ihm nichts“, sagte er zu Gillette.

Occinos Krieger kniff die Augen leicht zusammen. „Wir geben euch Schutz auf unserem Gebiet, doch der Tempel ist tabu für euch.“

„Ich entschuldige mich.“ Luan verbeugte sich leicht. „Pascal ist verwirrt, er weiß nicht was er tut.“

„Schaff ihn fort“, wies Anima. „Er darf sich mir nicht mehr nähern.“

„Natürlich nicht.“ Luan zog vorsichtig an Pascals Arm. „Komm.“

„Nim“, flüsterte der Magier wieder und streckte die Hand nach ihr aus, doch sie wandte das Gesicht ab und vermied es ihn anzuschauen.

„Komm“, widerholte Luan und führte Pascal die Treppe wieder hinunter. Doch der Blick des jungen Magiers wollte sie einfach nicht loslassen. Es lag etwas Hilfloses in ihm, etwas Trauriges und auch Sehnsüchtiges.

Lilith, wenn du diesem Pascal begegnest, dann musst du ihm klar machen, dass er sich von mir fernhalten muss.

Schon damals waren mir diese Worte seltsam vorgekommen. Doch sie nun so zu erleben … „Gillette, könnte ich einen Augenblick alleine mit Nim sprechen.“

Er antwortete nicht, sondern wandte sich Anima zu. Erst als sie zögernd nickte, wich er soweit zurück, dass er unsere Worte nicht mehr belauschen konnte.

Ich trat dicht an sie heran. „Warum hast du Angst vor ihm?“, fragte ich ganz direkt.

Für einen kurzen Moment drückte sie die Lippen zusammen. „Ich habe keine Angst vor ihm“, sagte sie dann.

„Ich glaube dir nicht.“ Als sie dieses Mal nichts darauf erwiderte, konnte ich nur den Kopf schütteln. „Er ist nicht gefährlich, Nim, er ist verwirrt. Genau wie du es warst.“

Sie drückte die Lippen zu einem festen Strich zusammen.

„Er hat dir geholfen, Nim. Warum also behandelst du ihn nun wie einen Aussätzigen, der …“

„Aber genau da liegt doch das Problem.“

„Was?“ verwirrt runzelte ich die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“

„Na die andere Zeitlinie. Ich weiß was ich da getan habe. Das ich … Lilith, es war nicht richtig, er gehört zu Sachmets Volk.“

Die andere Zeitlinie. „Du kannst dich erinnern?“, fragte ich leise. Das konnte doch nicht sein. Niemand konnte sich erinnern – zumindest niemand außer Acco und mir.

„Nein. Nein, ich erinnere mich nicht an diese Zeit, aber ich kann Bastets Geistreden sehen und sie weiß nicht was geschehen ist. Sie hat gesehen wie ich mich im zugewandt habe und …“ Sie verstummte und schlang die Arme um sich. „Es war nicht richtig gewesen.“

Jetzt verstand ich. Sie schämte sich für das was sie getan hatte und hatte Angst davor, dass es sich wiederholen könnte. Sie hatte Angst vor ihren eigenen Taten. „Pascal hat dir in einer Zeit geholfen, in der niemand anderes dir helfen konnte. Es war keine List, sondern einfaches Wohlwollen.“

Sie wich meinem Blick aus.

„Und nun ist ihm das gleiche Wiederfahren wie dir einst und du lässt ihn einfach im Stich.“

Diese Worte ließen sie zu mir herum wirbeln. Ihr fassungsloser Blick traf mich.

„Geistrede einmal über diese Worte nach. Komm Sian.“ Ich wandte mich von ihr ab und lief langsam die Treppe hinab. Hier gab es nichts mehr was mich noch halten konnte. Und trotzdem drehte ich mich am Fuße der Treppe noch einmal zu ihr herum und konnte beobachten, wie sie mit Gillette an der Seite langsam hinunter zu den Notunterkünften ging – immer hinter Luan und Pascal her.

Vielleicht brauchte sie ihn heute nicht mehr und vielleicht wäre es ihr lieber gewesen, ihn niemals wieder zu sehen. Doch ich hatte bereits erkannt, dass manche Schicksale auf die eine oder andere Art miteinander verbunden waren. Und egal was man tat, das was in Stein gemeißelt war, ließ sich einfach nicht ändern. Ich hatte es versucht und ich war daran kläglich gescheitert.

 

°°°

 

Seufzend schoss ich den Deckel meiner Truhe und schob den Beutel mit meinen Habseligkeiten zur Seite. Alles was ich brauchte und mir wichtig erschien, hatte ich zusammengepackt. Es war nicht viel und irgendwie fand ich das traurig.

Sieben Jahre meines Lebens hatte ich in dieser kleinen Rundhütte mir Anima und Mikain zusammen gewohnt. Doch das tat ich nicht länger. Nicht weil ich ab morgen nicht mehr auf dem Gut des Tempels leben würde, sondern weil sowohl Anima als auch Mikain ihre Ausbildung bereits seit langem abgeschlossen hatten. Schon seit Jahren wohnten sie hier nicht mehr. Dafür aber drei andere Mädchen, von denen ich keines kannte.

Als ich die Rundhütte betreten hatte, hatten die drei mich argwöhnisch gemustert, bis sie das Mal an meinem Bein entdeckt hatten. Sie alle wussten, dass ich einst hier gewohnt hatte, doch da viele davon ausgegangen waren, dass ich zusammen mit den anderen Natis der Götter auf ewig verschollen gewesen wäre, hatten sie bereits vor Jahren meine Sachen zusammengepackt und in die kleine Abstellkammer gestellt, wo sich niemand weiter darum gekümmert hatte.

Nicht mal Anima hatte es für nötig gehalten sie an sich zu nehmen und für mich zu hüten.

War ich wirklich so austauschbar, dass man mich einfach vergessen konnte?

„Da ist noch eine Schachtel“, sagte Sian. „Oben, auf dem Regalbrett. Sie riecht nach dir.“

Mein Blick glitt auf die oberste Ablage des kleinen Abstellraumes. Ich streckte mich nach ihr und ließ mich mit der Schachtel im Schoß auf den Deckel der Truhe sinken.

Der Abstellraum war nicht groß. Zwei Mal zwei Meter und so vollgestellt, dass ich und Sian hier kaum reinpassten. Aber wenigsten schützte mich diese enge vor den neugierigen Blicken der neuen Bewohner.

Ich strich mit den Fingern über die vergilbte Oberfläche und blies den Staub der letzten Jahre hinunter, bevor ich sie vorsichtig öffnete und den Deckel neben mich auf die Truhe legte.

Das erste was mir in die Hände fiel war ein altes Bild, das ich kurz nach meiner Ankunft im Tempel gemalt hatte. Damals war ich noch so jung und unbedacht gewesen, hatte die Welt in bunten Farben gesehen und genau das spiegelte das Bild wieder.

Die Zeichnung eines naiven Natis, das nicht mal im Entferntesten geahnt hatte, was die Zukunft für es beriet hielt.

Ich legte das Bild zur Seite und griff nach einem dünnen silbernen Band, das mich lächeln ließ. Es war Sians Halsband. Ich hatte es ihm zu seinem ersten Geburtstag geschenkt. Wie stolz er es damals herumgetragen hatte. Heute würde es wohl nicht mal mehr über seine Schnauze passen.

Vorsichtig legte ich es zu dem Bild neben mich und griff erneut in die Schachtel. Doch dieses Mal erblühte kein Lächeln in meinem Gesicht. Ganz im Gegenteil, mir wurde das Herz schwer.

Meine Finger wanderten über die glatte Oberfläche eines Knochendolches. Die Klinge war glatt und der Griff reichlich mit Schnitzereien verziert. Dieser Dolch war nur zur Zierde und nicht für den Kampf. Knochen brach zu schnell, war zu porös, um ein wirklich gute Waffe abzugeben.

Ich hatte ihn vor ein paar Jahren zusammen mit Anima, Gillette und Jaron auf einem Basa im nächsten Ort entdeckt und nicht wiederstehen können ihn zu kaufen. Es war ein schöner Tag gewesen. Doch das war es nicht was das Lächeln auf meinen Lippen sterben ließ, sondern die Erinnerung an einen anderen Dolch. Amans gläserner Dolch.

Die Geistrede an ihn ließ mein Herz schmerzen. Ich wusste noch immer noch ob er überlebt hatte, oder nun doch im Land der Götter wandelte. Und ich wusste auch nicht, wie ich es herausfinden sollte. Dabei war ich mir nicht einmal sicher, ob ich es wirklich wissen wollte.

Vielleicht war es ja besser einfach zu glauben, dass es ihm gut ging und ihn sein Leben friedvoll leben zu lassen. Vielleicht entsprach es ja sogar der Wahrheit. Und doch tat die Geistrede an ihn unendlich weh.

Ob er nun lebte oder nicht, für mich war er in unerreichbarer Ferne und ein kleiner egoistischer Teil von mir wollte, dass er tot war, weil er dann niemals eine Andere sein Herz nennen konnte.

Als sie ihn durch das Portal getragen hatten, war er so blass und schwach gewesen. Ich hatte all dieses Blut gesehen und seinen unsteten Blick. Ich wusste einfach nicht, ob jemand eine solche Verletzung überleben konnte.

Andererseits hatte Aman das bereits getan. Doch konnte einem Das Glück zwei Mal hold sein? Ich wünschte es mir und doch gleichzeitig nicht.

Wenn er tot wäre, dann könnte ich ihm einfach folgen.

Ich drehte den Dolch in meinen Händen. Eine Träne rollte über meine Wange und tropfte auf die Klinge. Wenn er tot war, was hielt mich dann eigentlich noch hier? Meine Rolle als Auserwählte war erfüllt und das Schicksal hielt nichts für mich bereit, was mein Herz in Freude versetzt hätte.

Es wäre so einfach.

Wieder drehte ich den Dolch in meinen Fingern.

Nicht zum ersten Mal geistredete ich darüber nach Aman in das Land der Götter zu folgen. Dort würde und nichts und niemand mehr trennen können.

Die Klinge des Dolches war nicht scharf, doch mit genügend Druck konnte auch sie schwerwiegende Verletzungen zufügen. Vielleicht würde sie dabei kaputt gehen, doch das war dann egal. Danach würde ich sie nicht mehr brauchen.

Eine pelzige Pfote legte sich auf meine Hand und verdeckte damit auch den Dolch.

Ich sah auf, direkt in die blauen Augen von Sian, die die gleiche Trauer spiegelten, die ich spürte.

„Tu es nicht“, flüsterte er leise. „Verlass mich nicht noch einmal.“

Langsam schlossen meine Finger sich um die Klinge. Doch sie war zu stumpf um wirklich schaden anrichten zu können. „Es tut so weh“, flüsterte ich und spürte die nächste Träne auf meiner Wange. „Ich werde ihn wohl nie wiedersehen.“

Sian beugte sich vor und stupste meine Hand mit der Nase an. „Was erfüllt dein Herz mit Trauer?“, fragte er leise. „Was schmerzt dich so sehr, dass du diese Klinge ansiehst, als sei sie dein einziger Ausweg.“

Es war die Ruhe in seinem Blick, die mich den Mund öffnen ließ, das Band das nur zwischen einem Sermo und seinem Leiter existierte. Ich schaute ihn an, sah wie erwachsen er geworden war und zum ersten Mal brach ich mein Schweigen über Aman und erzählte ihm alles, was ich so tief in mein Herz einschließen wollte.

 

°°°°°

Kapitel Sechsundzwanzig

 

Mit jedem Schritt den Sian machte, schlug mein Herz ein kleinen wenig schneller, denn direkt vor uns war er: Der alte Hof meiner Mina.

Schon aus der Ferne erinnerte mich das alte Familiengehöft an viele glückliche Tage als kleines Kätzchen. Der alte Außenzaun aus biegsamen Ästen, wie die bei den Rattanmöbel auf der kleinen Veranda kunstvoll um die Pfähle in der Erde gewickelt worden waren. 

Meine Brestern und der erste Collusor meiner Mina hatten das gemacht. Ich nicht. Für solche Sachen hatte ich noch nie ein Händchen gehabt. Aber ich war immer mit dabei gewesen und hatte alle ihre Handgriffe genauestens unter die Lupe genommen. Zumindest wenn ich nicht gerade Streiche gespielt hatte und ihre Arbeitsmaterialien verschwinden ließ.

Die drei Gebäude auf dem Hof waren zu einem U aufgebaut. Links stand die alte Scheune, in der ich so oft gespielt hatte. Ich wusste noch genau, wie ich mit Cuver immer in den Dachbalken herumgeklettert war, bis unsere Mina uns drohte, uns mit Ketten an den Boden festzubinden, wenn wir nicht augenblicklich herunterkommen würden. Wir hatten immer nur gelacht, bis die dann selber zu uns hinauf kletterte, um uns zu erwischen. Da sind wir dann kreischend vor Freude aus der Scheune getürmt und haben uns bis zur nächsten Mahlzeit im Wald versteckt.

Ein Stück dahinter befand sich das Kornsilo, das nur über die ausgetretenen Fußwege, die über den ganzen Hof verliefen, zu erreichen war. Einmal hatte ich Migin herausgefordert, das er es nicht bis ganz nach oben schaffen würde. Er hatte es geschafft, doch der Weg nach unten hatte mit einem gebrochenen Arm geendet.

Die Erinnerung, wie er lächelnd wieder auf die Beine gekommen war, den Arm völlig verdreht an der Seite, mit Triumpf und Erfolg in den Augen, ließ mich lächeln. Migin war noch schlimmer als Cuver gewesen. Er hatte wirklich alles mitgemacht und dabei wenige Geistreden an die Folgen verschwendet.

Halb versteckt hinter dem offenen Scheunentor stand der alte Heuwagen, der dort schon so lange ich mich zurückerinnern konnte langsam vor sich hin rottete. Keine Ahnung woher er kam, meine Mina hatte ihn nie bewegt.

Rechts auf dem Gehöft stand der Stall der Milch-Vaccas. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Hirschen in den Wäldern von Silthrim, nur hatten diese hier gewundene Hörner wie ein Steinbock und einen langen dünnen Schwanz, der sehr schmerhaft sein konnte wenn man ihn abbekam. Ich musste es wissen. Ich hatte die Vaccas früher so oft geärgert, dass ich ihn mehr als einmal zu spüren bekommen hatte.

Dort, in diesem Stall hatte mir Unsium das Handwerk eines Milchfarmers beigebracht. Das war nicht einfach gewesen, denn die Vaccas besaßen ein gutes Erinnerungsvermögen und waren immer mehr als misstrauisch gewesen, wenn ich mich ihnen genährt hatte, um sie zu melken. Mehr als nur ein Eimer Milch was deswegen verschüttet worden.

Hinten am Stall befand sich eine weitläufige Viehweide, auf der die Waccas im Moment friedlich grasten und sich von unserer kleinen Gruppe nicht beeindrucken ließen. Ich wusste noch genau wie Licco mich einmal dazu aufgefordert hatte, einen von ihnen zu reiten und ich es in meinem jugendlichen Übermut auch getan hatte. Die Vacca-Kuh war von meinem Vorhaben nicht besonders begeistert gewesen. Sie hatte mich über die ganze Viehwiese gejagt, während Licco auf dem Zaun gesessen hatte und sich den Bauch vor Lachen hielt. Zumindest solange, bis ich an ihm vorbei rannte und ihn runterschubste, nur um dann die Beine in die Hand zu nehmen, als die Vacca-Kuh wieder aufgebracht hinter mir auftauchte. Unisum hatte kommen müssen um mich zu retten, nur um mir und Licco anschließend eine Standpauke zu halten, an deren Ende wir den Stall ausmisten mussten.

Damals war ich nicht besonders glücklich darüber gewesen. Heute allerdings zauberte mir diese Erinnerung ein Lächeln auf die Lippen.

In der Mitte der Viehweide gab es einen kleinen Teich, an dem die Vaccas nicht nur ihren Durst löschten, sondern auch badeten, um bei den warmen Temperaturen ein wenig Abkühlung zu finden.

Fafa ritt auf Lacota direkt neben mir, als wir die Grundstücksgrenze des Gehöfts überschritten. Licco ritt ein kleinen wenig hinter uns und Tarpan bildete das Schlusslicht.

Keiner von ihnen konnte hören, wie laut mein Herz schlug, als wir den Zaun passierten und auf das große Gebäude in der Mitte zuhielten: Das Wohnhaus.  In all den Jahren hatte es sich kein bisschen verändert. Noch immer standen auf der Veranda die alten Stühle um den Tisch, aus dem ich früher oft eine Höhle mit Decken und Kissen gebaut hatte. Das Vordach war an der rechten Seite leicht eingesunken, nachdem Unsium sich beim Fällen eines Baumes errechnet hatte und er nicht wie geplant in die Lücke zwischen Haus und Stall gefallen war.

Die ockerfarbenen Lehmwände führten zwei Etagen hoch. Oben hatten wir Natis unsere Zimmer gehabt, was uns mehr als einmal auf die Idee gebracht hatte, durch die Fenster zu klettern um uns auf dem Vordach nieder zu lassen.

In den Fenstern standen Blumen in allen Farben die mir bekannt waren und der Rahmen der Haustür war mit kunstvollen Schnitzereien verziert.

Wie sehr ich dass alles vermisst hatte, wurde mir erst jetzt schmerzlich bewusst.

Sieben Jahre. So lange war ich fort gewesen. Zumindest für mich waren es sieben Jahre. Für die Wesen dieser Welt waren seit damals fünfzehn vergangen. Doch auch die Zeitverschiebung konnte diesen Moment nicht mindern. Damals, als mein Vater mich in den Tempel gebracht hatte, zählte ich gerade mal zwölf Sommer.

Nach allem was geschehen war, kam es mir so viel länger vor.  

Sian lenkte seine Schritte vor die kleine Veranda und blieb dort stehen. Mein Blick fiel auf die Stufen, wo ich so oft mit Anadon gesessen hatte, während er mir Geschichten erzählte oder mir voller Begeisterung die Welt durch seine Augen erklärte.

Wie sehr ich diese Zeit doch vermisst hatte.

Mein Fafa hielt neben mir und lächelte mich aufmunternd an, als wüsste er ganz genau, was in mir vorging. „Deine Mina wird sich freuen dich zu sehen.“

„Aber sie wird nicht sehr erfreut sein dich zu sehen, Zaho“, rief da eine Stimme hinter uns.

Ich drehte mich in meinem Sattel herum und entdecke meinen ältesten Brester der gerade breit Lächelnd aus der Scheune trat und auf uns zuhielt. Er war siebzehn Jahre älter als ich, mit den acht Jahren Zeitverschiebung jetzt sogar fünfundzwanzig und doch hatte er sich kaum verändert. Hochgewachsen, mit breiten Schultern und einem kantigem Gesicht war er ein sanfter Riese, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte seine kleinen Brestern in Abwesenheit unserer Fafas mit aufzuziehen.

„Unisum!“, rief mir, sprang von Sians Rücken und rannte ihm entgegen.

Auf halber Strecke breitete er die Arme aus und fing mich auf, als ich mich um seinen Hals warf. Er lachte und wirbelte mich einmal im Kreis, bevor er mich wieder auf den Boden abstellte und mich breit grinsend musterte. „Wie groß du geworden bist, Zwerg.“

Ich grinste zu ihm nach oben. „Ja, ich habe dich fast eingeholt.“

Das ließ ihn wieder lachen. Er drehte sich zum Haus herum, ohne mich loszulassen. „Mina!“, rief er. „Sie ist da!“

Mina. Augenblicklich starrte ich auf die Tür. Ich wusste nicht warum, aber mit einem Mal schlug mein Herz wie wild. Ich hatte sie so lange nicht gesehen und manchmal sogar geglaubt, dass ich ihr nie wieder in die Augen schauen konnte.

Doch nun hörte man drinnen etwas klappern. Es folgten eilige Schritte und im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen.

Und dann stand sie da.

Meine Mina war ungefähr genauso groß wie ich, aber viel graziler und von einer umwerfenden Schönheit, die nichts mit ihrer Strahlenden Aura zu tun hatte. Selbst ihr Alter hatte ihr nichts an ihrer Ausstrahlung nehmen können.

Das lange weiße Haar hatte sie zu einem Flechtzopf geflochten, der ihr über die Schulter hing. Um die Hüfte trug sie einen langen Lendenschurz, der fast bis zum Boden reichte und durch einen silbernen Gürtel gehalten wurde.

In den Jahren meiner Anwesenheit hatten sich ein paar Fältchen um ihre Augen gebildet, die ihr eine Weisheit gaben, die sonst nur den Ältesten unter den Ailuranthropen zustand.

„Lilith“, flüsterte sie, schlug sich die Hand vor den Mund und kam dann auf mich zugeeilt. „Lilith!“, rief sie nun schon lauter und riss mich in eine Umarmung, kaum dass ich Unisum losgelassen hatte. Sie drückte mich so fest an sich, dass ich ihre Krallen spüren konnte. Ihre Tränen benetzten meine Wange, während ich sie nicht weniger fest an mich drückte. „Du bist wieder da“, flüsterte sie. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“

„Mir geht es gut“, versicherte ich ihr und spürte nun selber, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.

„Dafür habe ich zu Bastet gebetet“, sagte sie leise. „Jeden Tag. Ich habe immer gewusst, dass du eines Tages zurückkehren würdest.“

Natürlich hatte sie das. Das Vertrauen in ihre Natis war so unerschütterlich, dass nichts, nicht einmal das Schicksal etwas daran ändern konnte. Doch sie hatte keine Ahnung gehabt, wie knapp es gewesen war.

„Bastet hat immer über mich gewacht.“ Ich löste mich ein Stück von ihr und wischte mir dabei die Tränen aus den Augen. Dabei konnte ich nicht aufhören zu lächeln. „Sie hat über uns alle gewacht.“

Meine Mina lächelte mich an. „Nichts anderes habe ich von ihr erwartet.“

Hinter uns räusperte sich Licco lautstark. Genau wie mein Fafa und Tarpan waren sie von ihren Amentrums abgestiegen. „Irgendwie komme ich mir vernachlässigt vor“, merkte er ein wenig vorwurfsvoll an.

Unisum grinste. „Das können wir natürlich nicht zulassen.“ Mit zwei Schritten war er bei seinem kleinen Brestern, packte ihn und nahm ihn in den Schwitzkasten.

Licco protestierte und versuchte Unsium abzuwehren, was zu einer ordentlichen Rangelei führte.

Meine Mina bedachte die beiden mit einem strengen aber auch liebevollen Blick. „Warum nur könnt ihr beide nie friedlich miteinander sein?“

Ich grinste, während Licco ächzte. Er war vielleicht der ausgebildete und erfahrene Krieger von beiden, doch Unisum war schon immer ein Berg von einem Mann gewesen. Und die harte Arbeit auf der Farm hatte sein restliches getan.

Mina spitzte die Lippen, als die beiden sie fast in ihre Rangelei mit einzogen. „Wollt ihr beide nun endlich aufhören. Geht lieber ins Haus und macht euch dort nützlich.“

„Das ist eine gute Idee“, sagte Fafa uns zog damit Minas Aufmerksamkeit auf sich. „Unsium? Würdest du bitte die Amentrums absatteln? Unsere Reise war weit und …“

„Du!“, unterbrach meine Mina ihn fauchend und trat einen Schritt auf ihn zu, ohne mich loszulassen. „Unheil meines Lebens!“

Überrascht schaute er sie an.

Licco und Unisum ließen voneinander ab. Was auch immer nun käme, das wollten sie sich nicht entgehen lassen.

„Wie kannst du es nur wagen nach allem was geschehen ist so anmaßend bei mir aufzutauchen?!“

Mein Fafa runzelte die Stirn. „Ich weis nicht wovon du sprichst.“

Licco lächelte in sich hinein und stellte sich neben mich. „Sie ist sauer auf ihn“, flüsterte er mir zu. „Wirklich sauer.“

„Du nimmst meinen Sohn, bringst ihn in den Tempel und führst ihn dann auf gefährliche Reisen. Und als wenn das nicht genug wäre, kommst du wieder und tust das gleiche mit meiner Tochter!“

Ach darum ging es hier. Mina wie von der Geistrede dass ihre Natis Krieger wurden, nie sehr angetan gewesen.

„Velscha, das haben wir doch nun wirklich …“

Mit einer Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab. „Eine Ewigkeit lässt du sie in diesem Tempel und dann verschwindest du mit ihr auch noch für Jahre, ohne ein Zeichen des Lebens!“

„Velscha, ich ….“

„Ich bin noch nicht fertig!“, unterbrach sie ihn. „Ich hätte dich abweisen sollen, dass du das erste Mal um mich geworben hast. Ich hätte dich mit einer Mistgabel vom Hof jagen sollen!“

Resigniert senkte mein Fafa seinen Blick und ließ die Worte über sich ergehen.

„Einmal sei mir verziehen. Doch als du das zweite Mal kamst, hätte ich dir die Krallen über den Hintern ziehen sollen!“

„Autsch“, flüsterte Licco gespielt mitfühlend.

„Aber spätestens als du das dritte Mal kamst, hätte mir klar sein müssen, was ich zu tun hatte!“

„Velscha“, versuchte mein Fafa es ein weiteres Mal. „Ich …“

„Und nun tauchst du hier auf und glaubst alles sei vergeben und vergessen?! Sattle Lacota gefälligst alleine ab!“

Jetzt konnte auch ich mir das Lächeln nicht länger verkneifen.

Sie zeigte mit dem ausgestreckten Finger anklagend auf ihn. „Vorher wirst du mein Heim nicht betreten!“

Da mein Fafa meine Mina nur zu gut kannte und wusste, dass er gegen sie nicht gewinnen konnte, wenn sie so sauer war, seufzte er nur ergeben. „Und wenn du schon einmal dabei bist, kannst du auch Sian, Fritte und Audax absatteln.“

Unsium hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte.

Mein Fafa dagegen zog im wahrsten Sinne des Wortes einen Flunsch.

„Falls du was dagegen zu sagen hast, dann steht es dir frei mein Gehöft sofort zu verlassen!“, fauchte sie ihn noch an, griff nach Liccos Hand und zog ihn zusammen mit mir hinter sich her. „Und ihr kommt ins Haus. Das Essen ist gleich fertig. Tarpan du auch.“

Da es niemand wagte meiner Mina zu wiedersprechen, wenn sie solch schlechte Laune hatte, fügte sich der Krieger nur schweigend seinem Schicksal und folgte uns. Doch auch um seine Lippen lag ein kleines Lächeln. Selbst Unisum, der mehr zwei Köpfe größer war als sie, würde es nicht wagen, sich ihr in einem solchen Moment zu wiedersetzten.

Mi jedoch zog sich das Herz ein wenig zusammen. Ich wusste warum Tarpan hier war. Ich wusste auch warum ich hier war. Aber was ich nicht wusste, war, ob ich das auch wirklich konnte.

 

°°°

 

Wie ein hungriges Rudel stürzten wir uns auf das Essen, kaum dass Mina es in unserer alten rustikalen Küche auf den Tisch gestellt hatte. Nicht nur dass ich schon seit Jahren keine solche Mahlzeit mehr zu mir genommen hatte, wir waren auch fast vier Tage durch Ailuran gereist, in denen es nur Trockenfleisch und Nüsse zu essen gegeben hatte.

„Wo sind Anadon, Migin und Cuver?“, fragte ich zwischen zwei bissen.

Mina machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte sich dann mir gegenüber an den alten Holztisch, der hier schon stand, solange ich mich zurück erinnern konnte. „Du kennst doch Gemma. Immer unterwegs, immer auf der Suche nach Entdeckungen und neuen Abenteuern.“

Ja, Migin war schon immer ein Freigeist gewesen, denn niemand lange an einem Ort halten konnte. „Wann war er denn das letzte Mal hier?“

„Oh, das ist noch gar nicht so lange her, erst vor ein paar Wochen.“

Unisum nickte. „Ja, für genau zwei Tage, dann war er wieder auf und davon.“

„Und Cuver und Anadon?“, wollte ich wissen.

„Anadon ist unten im Dorf“, sagte Mina. „Er wohnt nun da, unterrichtet die jüngsten. Ich werde Unisum nachher losschicken ihn zu holen.“

Unisum zog eine Augenbraue leicht nach oben. „Gut zu wissen.“

Sie winkte ab. „Er wird Lilith sehen wollen. Du kennst ihn doch und weist wie schnell er beleidigt ist.“

Da hatte sie leider Recht. Anadon war schon immer sehr nachtragend gewesen. „Und Cuver?“, fragte ich noch einmal, als meine Mina nicht weiter sprach.

Ihre Lippen wurden ein wenig schmaler. „Er lebt mit seine Xantippe noch immer in Feles.“

Bei der Beleidigung verzogen wir drei unsere Gesichter. Nur Tarpan verschluckte sich an seinem Essen.

Meine Mina hatte es ihrem jüngsten Sohn niemals verziehen, dass er wegen seinem Herz so weit von uns weggezogen war. Aber sie gab nicht ihm die Schuld, sondern der Frau.

Cuver war eine schwierige Schwangerschaft gewesen und mehr als einmal hatte sie ihn fast verloren. Als er dann doch noch das Licht der Welt erblickte, viel zu früh, war es wie ein Wunder gewesen. Seit dem war er ihr kleiner Schatz, den sie noch mehr als ihre anderen Natis vor der Welt zu schützen versuchte.

„Aber nachdem der Bote deines Fafas vor zwei Tagen hier war, habe ich ihm eine Nachricht zukommen lassen, damit er von deiner Rückkehr erfährt.“ Sie lächelte mich an und plötzlich schien sie mir doch um Jahre gealtert. „Aber genug von seinen Brestern. Erzähl mir lieber wie es dir ergangen ist. Wir haben so viele Gerüchte gehört – eines unglaubwürdiger als das andere.“

Plötzlich verging mir der Appetit. Ohne ihr in die Augen zu schauen, legte ich meine Stäbchen auf den Tisch und fragte leise: „Was willst du denn wissen?“

Ihr Stirn runzelte sich leicht. „Geht es dir gut?“

„Ja, ich …“ Mein Mund schloss sich. Ich verstand natürlich, dass sie wissen wollte was mit mir geschehen war, doch die Erinnerung trieb Aman zurück in meine Geistreden. Noch immer hatte ich keine Ahnung war aus ihm geworden war und das trieb mich langsam aber sicher in den Wahnsinn. Lebte er noch, oder war er vielleicht wirklich in die Mächte zurückgekehrt?

Plötzlich musste ich wieder an den Knochendolch denken. Sian hatte mich davon abgebracht ihn zu benutzen. Aber ich hatte ihn nicht zurück gelassen. Er befand sich nun in meiner Satteltasche.

„Lilith?“, fragte Mina vorsichtig nach.

„Es war einfach sehr anstrengend“, sagte Tarpan da, als wollte er mich vor weiteren Fragen in Schutz nehmen. „Wir sind ja nun noch nicht lange wieder zurück und Lilith Reise war noch beschwerlicher gewesen, als die unsere.“ Er warf mich ein Lächeln zu. „Ich glaube sie möchte dass alles einfach ein wenig hinter sich lassen.“

Ja, das wollte ich, aber nicht aus den Gründen die er genannt hatte.

Meine Mina nahm mich scharf ins Visier, so als wüsste sie, dann noch mehr dahinter steckte und für einen Moment schien sie den Mund öffnen zu wollen. Doch da kamen von der Haustür Geräusche und einen Moment später erschien Audax in der Küchentür.

„Keinen Schritt weiter!“, befahl meine Mina ihm. „Du weist genau dass Sermos nichts in meiner Küche verloren haben, oder glaubst du, ich will das überall deine Haare herumfliegen?“

Das schien der Sermo fast als persönliche Beleidigung aufzunehmen. Er verengte die Augen zu schlitzen, blieb aber an der Küchentür stehen, während von Hinten noch Sian und Lacota herankamen. Doch im Gegensatz zu ihm, legten die beiden sich still an die Seite, damit mein Fafa an ihnen vorbei in den Raum treten konnte.

„Hm“, machte er und setzte sich auf einen freien Stuhl. „Das riecht aber gut.“

„Deine Schmeicheleinen kannst du für dich behalten“, sagte meine Mina, stand auf und holt einen weiteren Teller aus dem Schrank, den sie ihm vor die Nase knallte. „Dieses Mal lasse ich mich von dir nicht so einfach besänftigen.“

Mein Fafa schenkte ihr nur ein umwerfendes Lächeln und füllte sich dann einen Teller. „Dein Temperament lässt dich wieder einmal bezaubernd aussehen, Velscha.“

„Pah“, machte sie nur und widmete sich wieder seinem Essen.

Unisum lächelte leise in sich hinein. „Ich geistrede, ich werde dann mal nach unten ins Dorf gehen.“

„Tu das. Und wenn du schon dort bist, dann sieh zu dass du noch auf den Markt gehst und mir Königsknollen und Russgewürz mitbringst.“

„Mach ich.“

Von der Tür kam ein Fauchen, als Lacota Audax mit der Pfote auf ein Kopf schlug, weil sein ewiges rumgelaufe sie nervte. Er warf ihr einen bösen Blick zu, ließ sich dann aber endlich auch auf dem Boden nieder.

Unsium strich ihm auf dem Weg nach draußen mitfühlend über den Kopf. Einen Moment später hörten wir die sich schließende Haustür.

Ein paar Minuten blieb es ruhig am Tisch. Nichts außer dem Geklapper des Bestecks war zu hören. Doch gerade als ich mich dazu entschloss weiter zu essen, richtete mein Fafa seine Aufmerksamkeit auf mich. „Hast du es deiner Mina schon erzählt?“

Ich stoppte auf halbem Wege und sah ihn fragend an.

„Das mit dir und Tarpan?“

Und schon war mir der wenige Appetit den ich noch hatte wieder vergangen. „Nein“, sagte ich leise.

Meine Mina fasste mich genau ins Auge und richtete ihren misstrauischen Blick dann auf die beiden Männer. „Was ist denn mit ihr und Tarpan?“

„Ich habe ihr gesagt, dass er ihr erster Collusor sein wird.“

„Ah.“ Meine Mina nickte verstehend.

Mein Magen krampfte sich zusammen. Sie wusste davon?

„Und zwar schon in den nächsten Tagen“, fügte meine Fafa hinzu.

Das veranlasste meine Mina ein zweites Mal ihre Augen argwöhnisch zu verengen. „Glaubst du nicht, dass das noch ein wenig früh ist?“

„Nein, das geistrede ich nicht.“ Er richtete sich ein wenig auf. „Ich werde noch heute Abend mit Licco aufbrechen, weil ich etwas zu erledigen habe.“

„So?“ Meine Mina neigte den Kopf ein weinig zur Seite. „Was denn wenn ich fragen darf.“

„Ich war acht Jahre fort, da hat sich so einiges angesammelt.“ Er lächelte nichtssagend. „Keine Sorge, in ein paar Tagen werde ich wieder zurück sein. Tarpan wird hier bei Lilith bleiben, damit die beiden ein wenig Zeit miteinander haben.“

Fafas Reisegefährte warf mir ein Lächeln zu, doch ich wandte einfach nur den Blick ab.

„Wir lange wirst du fort sein?“

„Es werden schon ein paar Tage sein, denn ich muss nach Ellan.“

Miranja, er wollte zu seiner Finis. Meine Lippen wurden zu einem dünnen Strich. Natürlich, er konnte sie aufsuchen, er hatte keine solche Verpflichtung zu erfüllen wie ich.

Das war der Moment, in dem ich mir zum zweiten Mal in meinem Leben wünschte, niemals den Pfad eine Kriegers betreten zu haben. „Wenn ihr mich einen Moment entschuldigt.“ Ich erhob mich von Tisch und drehte mich dabei so, dass niemand meine Augen sehen konnte.

Nur ein Gesicht beherrschte in dem Moment meine Geistreden. Aman …

 

°°°

 

Farblos glühte der Stein der Sonne in unserem Kamin und malte Schatten an die Wände unseres Wohnraumes. Ich lag auf dem goldenen Vlies davor, kuschelte mit Sian und lauschte Tarpans gleichmäßiger Stimme.

Kurz bevor die Sonne am Himmel verschwunden war, tauchte Unisum mit meinem Brestern Anadon an seiner Seite auf. Er hatte Tränen in den Augen gehabt, als er mich in die Arme geschlossen hatte und meine Mina und Unsium böse Blicke zugeworfen, weil sie ihm nicht gleich bei der Ankunft des Boten Bescheid gesagt hatten, dass ich kommen würde, sondern gewartet hatten, bis ich auch wirklich da war.

Kurz nach der Ankunft der beiden waren Fafa und Licco zusammen mit ihren Sermos aufgebrochen. Vorher hatte mein Fafa mir noch einmal gesagt, wie stolz er war jemand wie mich sein Natis zu nennen. Auch hatte er noch einmal mit Tarpan gesprochen, aber so leise, dass ich die Worte nicht verstehen konnte.

Ich musste kein Orakel sein um zu wissen, dass dabei um mich gegangen war.

Seit dem hatte ich es vermieden Tarpan auch nur ein weiteres Mal anzuschauen. Es war viel einfacher mein Gesicht in Sians weiches Gesicht zu drücken, um die Welt um mich herum auszusperren.

„… sie ist einfach aufgestanden und hat diese Gefahr endgültig beseitigt.“ Tarpan senkte den Kopf leicht. „Der Kriegergeneral wird nie wieder zu einer Gefahr für uns werden.“

Meine Hände krampften sich ein wenig zusammen.

Kurz nachdem wir uns in den Wohnraum zurückgezogen hatten, wollte Anadon, ein schmaler Mann mit hoher Stirn in allen Einzelheiten wissen, was mir wiederfahren war und im Gegensatz zu Mina hatte er sich nicht davon abbringen lassen.

Aber ich wollte einfach nicht darüber sprechen, also hatte Tarpan die Geschichte erzählt, so wie er sie aus meinem Mund kannte. Es hatte nicht viel geholfen. Zu jedem Wort dass er die Geschichte weiter erzählte, fand mein Gedächtnis ein Bild, das mir gestochen scharf in allen Einzelheiten zeigte, was geschehen war. Und nicht nur die Dinge die ich erzählt hatte. Auch all die Geheimnis und Geschehnisse die ich zurückgehalten hatte. All die gestohlenen Momente mit Aman, all die Gefühle die im Verborgenen bleiben mussten, um meine Familie nicht zu enttäuschen.

„Das alles klingt so … phantastisch“, sagte Anadon langsam. „Andere Zeitlinien und Schicksale.“

Tarpan lächelte. „Wäre ich nicht in dieser anderen Welt gewesen, würde auch mir es schwerfallen dass alles zu glauben. Doch ich war da und ich kann nur sagen, dass all diese Gerüchte um Lilith Person wahr sind.“

„Sie wird wohl einmal die berühmteste Auserwählte sein, die unsere Welt jemals zu Gesicht bekommen hat.“ In Unisums Stimme schwang so viel stolz mit.

Ich drückte mein Gesicht nur fester in Sians Fell.

Gedankenvoll tippte Anadon sich mit dem Finger ans Kinn. „Ich würde zu gerne … glaubt ihr, ich dürfte mir einmal die Schriften der Firenzia ansehen? Eine Solche Schrift … ich würde …“

„Ich glaube kaum dass die Priester jeden dahergelaufenen Lehrer in ihre Bibliothek lassen“, unterbrach Unisum unseren Phantast.

Anadon warf ihm einen finsteren Blick zu.

Beschwichtigend hob Unisum die Hände. „Anderseits bist du der Brester unserer Auserwählten. Versuch dein Glück.“

Mein Herz krampfte sich leicht zusammen. Alle sahen in mir nur noch die Auserwählte unseres Volkes. Nur einer nicht.

Sie ist viel mehr als eine Auserwählte.

Tarpan grinste. „Ich glaube nicht, dass das reichen würde. Zuvor müsste er …“

Als meine Mina urplötzlich in die Hände klatschte, zuckten wir alle zusammen. Sie war seit Beginn der Geschichte so ruhig gewesen, dass wir ihre Anwesenheit völlig vergessen hatten. Doch nun musterte sie uns alle mit strengem Blick. „Unisum, ich glaube es ist an der Zeit dass du die Vaccas fütterst. Und nimm Anadon und Tarpan mit. Ich glaube die beiden brauchen etwas Sinnvolles zu tun.“

Als Anadon ihr wiedersprechen wollte, kniff sie die Augen leicht zusammen.

„Ich möchte mich mit Lilith einen Moment unterhalten, ohne dass ihres neugierigen Burschen uns belauscht.“

Meine Schultern versteiften sich leicht.

„Sofort“, fügte sich noch streng hinzu, als sich die Männer nicht sofort erhoben.

Ich hörte die Schritte, als sie sich erhoben und leise den Raum verließen. Selbst Audax konnte ich auf leisen Pfoten hinausschleichen hören. Dann war ich mit Mina alleine.

Ich konnte ihren Blick auf mir spüren, doch ich wagte es nicht den mein Gesicht zu heben. Dass sie mit mir allein sprechen wollte … irgendwas daran ängstigte mich. Meine Mina war schon immer viel zu aufmerksam gewesen, wenn es um ihre Natis ging.

„Lilith“, sagte sie leise, als ich keine Anstalten machte mich irgendwie zu bewegen. „Bitte schau mich an.“

Ich atmete einmal tief durch, zwang mich all mein Geistreden aus meinem Gesicht zu verbannen und setzte mich dann auf. Dabei vermied ich es ihr direkt ins Gesicht zu schauen und fixierte stattdessen einen Punkt hinter ihr an der Wand.

„Was bedrückt dich, Lilith“, fragte sie leise.

Ein kleiner Teil von mir wollte es ihr sofort sagen, ja er brüllte geradezu darum ihr alles zu erzählen. Doch dann hörte ich wieder die Worte meines Fafas und sah den Stolz in seinen Augen. „Es geht mir gut“, sagte ich daher einfach.

Meine Mina spitzte ihre Lippen. „Wie lange kenne ich dich nun schon, Nasan?“

Der leicht drohende Ton in ihrer Stimme ließ meine Mundwinkel zucken. Er war mir nur all zu bekannt. „Seit meiner Geburt.“

„Und trotzdem bis du dem Glauben verfallen, dass ich die Lüge in deinen Worten übersehe.“ Ihr Kopf neigte sich leicht zur Seite. „Scheinbar kennst du mich nicht mehr gut genug.“

Doch ich kannte sie. Und deswegen wusste ich auch, dass sie nicht locker lassen würde, bis ich ihr irgendetwas sagte. Aber das was mir auf der Seele lag, konnte ich ihr einfach nicht sagen. Außer … ich musste ihr ja nicht alles sagen. Vielleicht würde sie sich ja mit der halben Wahrheit zufrieden geben.

„Nun?“, fragte sie, als ich mich in Schweigen hüllte.

Ich drückte die Lippen einen Moment zusammen. „Es ist nur … es …“ Was sollte ich ihr nur sagen? Über alles was mit Aman zusammenhing musste ich einfach Schweigen bewahren. Ich wollte nicht die Enttäuschung in ihren Augen sehen. „Tarpan“, sagte ich dann leise.

„Ah.“ Meine Mina nickte verstehend. „Weist du Lilith, dein Fafa hatte schon immer ein Talent dafür, seine Ziele mit Charme in schöne Worte zu verpacken, um seinen Willen durchzusetzten. Ich habe lange gebraucht, bis ich das bemerkt habe und deswegen habe ich einen Rat für dich. Tu nichts, was du nicht tun willst, höre nur auf das hier.“ Ihre Hand legte sich direkt über ihr Herz. „Denn nur dort findest du die Antworten auf deine Fragen. Zwing dich nicht zu etwas, dass du nicht willst, nur um ihm zu gefallen, finde deinen eigenen Weg. Du bist deinem Fafa nichts schuldig, und er wird dich immer lieb haben, egal ob du das tust, was er möchte, oder nicht.“ Sie schmunzelte leicht. „Obwohl er bei der zweiten Option nicht unbedingt erfreut sein wird.“

„Aber ich will ihn nicht enttäuschen.“

„Lilith, Nasan, wie könntest du jemanden enttäuschen?“ Sie ließ sich zu mir auf den Boden rutschen und legte ihre Hände um mein Gesicht, um mich zu zwingen, sie anzusehen. „Du bist alles, was wir uns wünschen konnten. Du bist klug, stark, und manchmal auch ganz schön gewitzt, wenn auch sehr stur und eigensinnig. Du hast schon viel erlebt, Dinge, von denen wir manches gar nicht erfassen können. Natürlich wird es ihm nicht gefallen, wenn du nicht seinem Willen folgst, aber das ist sein Problem, nicht deines. Du bist ihm nichts schuldig, nur dir selber. Sei glücklich, Lilith. Ich stehe hinter dir, egal was du tun wirst, nur lächle endlich wieder.“

Wenn das nur so einfach wäre, wie es sich anhörte.

 

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Kapitel Siebenundzwanzig

 

Die Sternenklare Nacht war wie ein Bild, dass allein die Götter gezeichnet haben mussten. Nichts verdeckte meine Sicht auf das Firmament und selbst der Mond schien heute Nach mit seiner ganzen Kraft zu strahlen. Eingerahmt von meinem Zimmerfenster, wirkte es wie ein Meisterwerk der hohen Künstler.

Doch ich konnte mich an diesem Bild einfach nicht erfreuen.

Fröstelnd stand ich am offenen Fenster und rieb mir über die Arme. Die Worte meiner Mina klangen noch immer in meinen Ohren nach.

Du bist ihm nichts schuldig, nur dir selber. Sei glücklich, Lilith.

Nur was sie nicht wusste, wenn ich glücklich war, würde ich nicht nur sie, sondern gleich die ganze Familie enttäuschen. Doch würde ich meiner Pflicht nachkommen, würde ich mich selber verraten.

Ich senkte meinem Blick auf den Waldrand, der das Gehöft meiner Mina umschloss. Irgendwo dort draußen war Sian. Er hatte jagen gehen wollen. Vielleicht sollte ich es auch so machen, einfach in den Wald gehen und sehen wohin mein Weg mich führte. Nur mit meinem Geleit an der Seite.

Seufzend ließ ich den Kopf hängen. Das würde meine Probleme nicht lösen, sondern nur verschlimmern. Ich wusste nicht was die Ailuranthropen tun würden, wenn ihre Auserwählte plötzlich verschwunden wäre. Ich wusste nur, dass es sicher nicht gut ausgehen würde.

Nein, das war keine Option.

Siehst du Aman, geistredete ich. Ich geistrede nun, bevor ich handle. Deine Zeit mit mir war nicht verschwendet.

Natürlich antwortete er mir nicht. Vielleicht konnte er mir nicht einmal antworten.

Mein Herz wurde schwer und ich musste die Krallen in den Fensterrahmen schlagen um an dem aufsteigenden Schmerz nicht zu vergehen. Warum war es in der Nacht immer am schlimmsten an ihn zu geistreden? Warum tat es dann immer am meisten weh?

Warum nur war es mir nicht vergönnt glücklich zu sein?

Ein leises Klopfen an meiner Tür riss mich aus meinen Geistreden.

Ich war ein wenig verblüfft. Es war schon sehr spät und eigentlich schliefen alle – zumindest alle außer mir, denn ich fand wie die letzten Tage schon einfach keine Ruhe. „Herein.“

Die Tür öffnete sich leise, doch als ich sah wer dort stand, versteifte ich mich ein wenig.

„Tarpan“, sagte ich leise.

Er lächelte. „Darf ich herein kommen?“

Das nein lag mir schon auf der Zunge. Ich wollte ihn nicht in meinem Zimmer haben, weil ich wusste was das bedeuten würde. Aber die Worte meines Fafas kreisten unaufhörlich in meinem Kopf. Wenn ich eine Kriegerin werden wollte, dann musste ich das tun – es führte kein Weg daran vorbei. „Wenn du möchtest.“

„Vergelts.“ Er schlüpfte in den Raum und schloss die Tür genauso leise, wie er sie zuvor geöffnet hatte. Dabei hielt sein Blick mich fest, als würde er befürchten, dass ich mich einfach in Luft auslöste, wenn er auch nur einmal blinzelte. „Geht es dir gut?“

„So gut wie es eben geht“, erkläre ich und richte meinen Blick wieder in die Nacht hinaus.

Tarpan schwieg einen Moment, dann hörte ich wie er sich leise durchs Zimmer bewegte und direkt hinter mir zum Stehen kam. Seine Wärme kroch über meine Haut und sein Duft drängte sich in meine Nase.

Unwillkürlich fuhr ich die Krallen aus und versenkte sie im Fensterbrett.

„Du bist wunderschön, weist du das?“ Ein Finger legte sich an mein Rückgrat und für langsam meinen Rücken hinauf.

Auch wenn die Berührung nicht unangenehm war, so spannte ich meine Muskeln an. Das war nicht Aman und es fühlte sich einfach seltsam an, sich von einem anderen Mann so zu berühren zu lassen. „Warum tust du das“?“, fragte ich ihn leise. „Warum willst du mein Collusor sein?“

„Von dem Offensichtlichen abgesehen?“ In seiner Stimme schwang ein Lächeln mit, während seine Hand zu meinem Nacken wanderte und dann langsam meinen Arm hinunter strich.

„Das Offensichtliche?“

Das ließ ich leise Lachen. „Du hast keine Ahnung, welche Wirkung du auf einen Mann hast, oder?“

Nein, das hatte ich nicht. Da gab es nur eine Ausnahme … nein! Ich verbot mir die Geistrede an ihn. Das würde es nur noch schwerer machen. „Die Vorstellungswelt eines Mannes entzieht sich meinem Horizont.“

Als seine Lippen meine Schulter streiften, konnte ich das Lächeln auf ihnen spüren. „Schhh“, machte er, als ich mich verspannte. „Hab keine Angst, ich werde vorsichtig sein.“

„Ich habe keine Angst“, sagte ich ganz ehrlich und schloss die Augen. Doch leider machte es das nicht viel besser. So war seine Nähe für mich nur noch spürbarer. „Du bist nicht der erste“, fügte ich noch leise hinzu.

Einen Moment hielt er inne. „Du hast schon bei einem Mann gelegen?“ In seiner Stimme schwang leichte Überraschung mit.

Ich drehte mich zu ihm herum und schaute ihm in die Augen. „Ja, das habe ich.“

Tarpan musterte mich, als versuchte er eine Lüge in meinen Worten zu finden. Doch dann lächelte er. „Das ist gut“, sagte er leise. „Das macht es einfacher.“

Seine Worte ließen das Unwohlsein in mir noch steigen und ich wusste nicht einmal warum. Vielleicht weil er nicht fragte, wer der andere Mann gewesen war – es schien ihn nicht zu interessieren. Vielleicht auch weil er nun glaubte, dass es mit mir doch nicht so anstrengen werden würde, weil ich ja Erfahrung hatte. Aber meine Erfahrung beschränkte sich auf ein einziges Mal. 

Ich sollte es ihm sagen. Nein, eigentlich sollte ich ihm sagen, dass ich das hier nicht will, denn mein Herz gehörte bereits jemanden. „Tarpan, ich …“ Ich verstummte und biss mir auf die Lippe. Wenn ich das tat, würde es kein Zurück mehr geben. Egal was ich tat, es würde alles ändern.

„Die Geistrede bei einem eigentlich Fremden zu liegen ist dir unangenehm.“

„Es fühlt sich nicht richtig an“, stimmte ich ihm leise zu. Vielleicht verstand er ja.

Sein forschender Blick huschte über mein Gesicht. „Wenn du es nicht willst Lilith, dann werde ich dich nicht berängen. Wir haben Zeit, es muss nicht heute sein. Ich kann noch ein wenig warten.“

Nein, er verstand nicht. „Glaubst du denn, ein anderes Mal würde es sich anders anfühlen?“

Das ließ ihn lächeln. „Wer weiß?“

Ich wollte lächeln. Ich wollte meine Aufgabe erfüllen können, damit mein Fafa weiter stolz auf mich sein konnte und mich mit auf seine Reisen nahm. Und doch sehnte sich mein Herz in genau diesem Moment nach etwas ganz anderes.

„Gib mir deine Hand Lilith“, bat er mich.

Ich schaute zu ihm auf. Genau das gleiche hatte Aman auch einst zu mir gesagt.

Spürst du es? Es schlägt nur für dich.

Aus einmal schlug mein Herz viel zu schnell.

„Bitte“, fügte er noch hinzu, als ich zögerte und lächelte mich vertrauensvoll an.

Tu es!, forderte ich von mir. Ich muss das tun, es wird von mir erwartet! Doch meine Finger verkrampften sich leicht, als ich ihm die Hand hinhielt.

„Hab keine Angst“, sagte er wieder und lief rückwärts zu meinem Bett. Langsam, schritt für schritt. Und mich zog er mit sich.

Mein Herz zog sich zusammen und schlug viel zu schnell, doch ich ließ es mir nicht anmerken.

Tarpan hielt mein Blick fest, während er sich langsam auf das schmale Bett sinken ließ und mich neben sich auf die Kannte zog. Auch meine Hand behielt er fest in seinem Griff. Die andere jedoch hob er an mein Gesicht und strich mir die Strähnen meines Haares hinters Ohr. Dabei streifte er meine Haut. Wieder kribbelte es, doch es fühlte sich falsch an, völlig falsch.

„Schließ die Augen“, raunte er mir zu.

Ich zögerte, weil ich wusste was geschehen würde, wenn ich seinen Worten folgen würde, ließ meine Lider dann aber doch flatternd zufallen.

Als er sich mir entgegen lehnte, bemerkte ich wie das Bett unter mir sich bewegte. Ich spürte die Wärme seines Körpers, die immer näher kam, der Hauch seines Atems, während seine Hand sich um meinen Hinterkopf legte. Und dann waren seine Lippen auf meinen.

Er zögerte nicht, bewegte sie jedoch langsam, als versuchte er mich zu verführen, rückte sogar noch ein wenig näher und obwohl es nicht wirklich unangenehm war, spürte ich, wie ich begann mich langsam von ihm zurück zu ziehen. Ich schaffte es kaum seinen Kuss zu erwidern.

Stell dir vor es sei Aman!, befahl ich mir. Stell dir vor es sind seine Lippen, seine Hände, seine Nähe …

Es ging nicht. Die Geistrede an Aman machte diese Situation sogar noch schlimmer. Es fühlte sich falsch an, völlig falsch.

Als würde Tarpan spüren, dass ich mich immer weiter von ihm zurückzog, versuchte er mich näher an sich zu ziehen. Seine Hand wanderte meinen Hals hinunter, über mein Schlüsselbein, zu meiner …

Abrupt riss ich mich von ihm los und sprang auf die Beine. Ich hastete mehrere Schritte vor ihm zurück und hob abwehrend die Hand, als auch er aufstand. „Nein!“, sagte ich und warnte ihn mit deutlichen Blicken, dass er nicht näher kommen sollte.

„Lilith …“

„Es geht nicht.“ Ich schlang die Arme um mich selber und wich seinem Blick aus. „Ich hab es versucht, aber ich kann nicht.“

„Dann versuchen wir es eben ein anderes Mal. Es muss ja nicht …“

„Verstehst du es nicht? Es wird kein anderes Mal geben.“

Tarpan musterte mich einen stillen Moment lang. „Findest du mich so abscheulich?“, fragte er leise.

„Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Damit hat das nichts zu tun. Im Augenblick … ich kann einfach nicht.“ Denn er war nicht Aman.

„Dann … es muss ja nicht heute sein. Wir …“

„Nein Tarpan.“ Ich sah ihm fest in die Augen. „Ich lehne dich als meinen Collusor ab. Ich werde weder heute noch ein anderes Mal bei dir liegen.“

Die offizielle Zurückweisung ließ sein Gesicht fast völlig ausdruckslos werden. Er stand einfach nur still da und schaute mich an, was mich immer nervöser machte. Als Collusor abgelehnt zu werden war für jeden Mann ein herber Schlag.

„Geh jetzt“, befahl ich ihm. „Verlass mein Zimmer.“

Seine Augen verengten sich leicht. „Natürlich“, sagte er leise und beugte sein Haupt leicht vor mir. „Wie du wünschst.“ Seine Schritte zur Tür waren nicht wütend, er riss nicht die Tür auf und schmiss sie verärgert hinter sich zu. Er war leise, gedankenvoll, so als fragte er sich, welchen Grund es geben könnte, dass ich alles wofür ich sei Jahren gearbeitet hatte, einfach über den Haufen schmiss. Denn er wusste genauso gut wie ich, dass mein Fafa mich nicht weiter ausbilden würde, wenn ich meiner Verpflichtung nicht nachkam.

„Wir haben noch Zeit“, sagte er leise, als seine Hand die Türklinge umfasste. „Und ich kann warten.“

Darauf gab es nichts mehr zu sagen. Ich wich einfach nur seinem Blick aus und lauschte auf die sich schließende Tür. Und dann sank ich einfach in mich zusammen, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte.

Gerade hatte ich mir mein ganzes Leben verbaut. Ich hatte meine Familie enttäuscht, doch ich konnte es einfach nicht tun. Für mich würde es niemals einen Collusor geben, denn mein Herz schlug nur für einen Mann.

 

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Kapitel Achtundzwanzig

 

Als mein Fafa mit weit ausholenden Schritten in die Küche trat, sah ich bang von meinem Frühstück auf, doch sobald ich Tarpan bemerkte, der direkt hinter ihm den Raum betrat, schaute ich sogleich wieder hinunter auf meinen Teller.

Es war nun fast drei Wochen her, dass ich Tarpan meines Zimmers verwiesen hatte und seitdem war kein Tag vergangen, an dem ich diesen Moment – die Rückkehr meines Fafas – nicht seltsam befangen entgegengesehen hätte. Die letzte halbe Stunde war besonders schlimm gewesen, denn ich hatte seine Ankunft auf das Gehöft natürlich mitbekommen, kaum dass er in den Innenhof geritten war.

Als Tarpan auch sogleich aufgestanden war und verkündete, er würde sich kurz mit meinem Fafa unterhalten, ich aber sitzen geblieben war, ohne auch nur Anstalten zu machen nach draußen zu gehen, hatte meine Mina nur grüblerisch zwischen uns beiden hin und her geschaut. In den letzten Wochen hatte sie mehr als einmal bemerkt dass zwischen uns die Dinge nicht ganz im Reinen waren, hatte mich aber nie darauf angesprochen.

Als mein Fafa sich aber nun mit den Armen direkt vor mir auf die Tischplatte stemmte, kniff sie die Augen leicht zusammen.

„Würdest du mich einen Moment nach draußen begleiten?“, fragte er mich leise, doch in seiner Stimme schwang eindeutig ein Befehl mit.

Am Türrahmen tauchte Licco auf, der die Szene genauso stirnrunzelnd beobachtete, wie Unisum neben mir.

Jetzt war es so weit. „Fafa, ich …“

„Sofort.“

Alles an mir versteifte sich. Fast widerwillig legte ich mein Besteck auf den Tisch, machte aber keine Anstalten mich zu erheben. „Ich weiß was du sagen wirst.“ Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. „Aber es geht nicht.“

Er runzelte die Stirn.  „Es geht … wovon sprichst du?“

„Na von …“ Meine Augen huschten einen kurzen Moment zu Tarpan.

Natürlich bemerkte er das und die harten Züge um seinen Mund wurden ein wenig weicher. „Er hat gesagt du brauchst noch Zeit.“

Er hatte … was?! Ich kniff die Augen leicht zusammen, doch der Krieger wich meinem Blick nicht aus, sondern erwiderte ihn nur ruhig. Warum hatte er das getan? Ich hatte doch deutlich gemacht, dass niemals etwas zwischen uns sein würde. Hoffte er vielleicht noch? Oder versuchte er einfach mich in Schutz zu nehmen, damit Fafa nicht sauer wurde? Eigentlich war es völlig egal, denn eines was sicher: „Er hat gelogen.“ Ich schaute meinem Fafa fest in die Augen. „Ich habe Tarpan als meinen Collusor abgelehnt. Er wird nicht bei mir liegen.“

Neben mir begann Unisum zu fauchen und sah aus, als wollte er jeden Moment über den Tisch springen, um sich auf Tarpan zu werfen und auch meine Mina erhob sich misstrauisch von ihrem Stuhl, ohne den jungen Krieger aus den Augen zu lassen.

Der Blick meines Fafas flog zu meinem ausgewählten Collusor und egal was er in diesem Moment für ein Gesicht machte, es veranlasste Tarpan zu schlucken und einen Schritt vor meinem Fafa zurück zu weichen. „Was hat er getan?“, fragte er mit tödlicher Ruhe in der Stimme.

Oh Göttin! „Er hat nichts getan, Fafa, nur …“ Ich unterbrach mich und wich seinem Blick aus. „Tarpan hat alles richtig gemacht. Er war … er … ich kann das einfach nicht.“

Unsiums leises Grollen erstarb. Seine Hand berührte meinen Arm. „Zwerg?“

Fafa runzelte die Stirn.

Nein, so ging das nicht. Ich musste … ich sollte …

Ohne zu wissen was ich eigentlich tun wollte, erhob ich mich von meinem Platz und begann unruhig in der Küche auf und ab zu laufen. „Ich weiß was du dir wünschst“, sagte ich ganz ernst. „Und ich möchte so gerne dass du stolz auf mich bist, ich möchte mit dir durchs Land ziehen und dem Volk helfen. Ich möchte lernen was es bedeutet eine wahre Kriegerin der Bastet zu sein, aber dieser Bitte kann ich nicht nachgeben.“ Ich blieb stehen und sah ihm direkt in die Augen. „Ich werde weder Tarpan noch einen anderen Mann als meinen Cullusor nehmen.“ Bitte, versteh doch.

Mein Fafa rieb sich seufzend über den Mund, griff nach meiner Hand und drückte sie leicht. „Lilith, ich verstehe dass du dich vor diesem Schritt fürchtest, aber …“

Fürchten? Irgendwas in mir riss. „Bei Bastet, nein! Nein, du verstehst nicht! Du kannst es gar nicht verstehen, denn du weißt es nicht, keiner von euch weiß es!“ Ich riss meine Hand aus seiner und trat einen Schritt vor ihm zurück. Er würde es nicht verstehen. Niemand in diesem Raum würde es verstehen. Nicht wenn ich es nicht erklärte. Er würde nur immer weiter auf mich einreden, bis ich endlich nachgab, obwohl alles in mir sich dagegen sträubte.

Du bist ihm nichts schuldig, nur dir selber.

Ich musste es ihm sagen. Ich musste ihm erklären, warum ich keinen Collusor nehmen konnte, denn nur so würde er es einsehen. „Fafa, ich habe mein Herz bereits vergeben“, plapperte ich drauf los, ohne näher Geistreden darüber zu halten. „Und nicht nur das, dieser Mann von dem ich spreche …“ Sag es! Sag es ihm! „Ich … du musst verstehen, ich wollte es nicht, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren, so sehr ich es auch versucht habe. Deswegen …“ Na los, sprich die Worte! Ja, es musste enden, so oder so. „Zwischen ihm und mir … wir sind Finis.“

Schlagartig war es in der Küche so still, als hätte die Welt aufgehört zu atmen. Sie alle starten mich an, völlig überrascht von meinen Worten.

„Was?“, fragte mein Fafa dann.

Oh Göttin, warum nur musste das so schwer sein? „Auf meiner Reise als Auserwählte habe ich meinen Finis gefunden und deswegen kann ich weder bei Tarpan noch bei einem anderen Mann liegen.“

Mein Fafa schien plötzlich nach Worten zu suchen, doch es war meine Mina, die den Mund aufbekam: „Aber du bist doch noch so jung“, sagte sie verwirrt. „Seinem Finis begegnet mach erst später und …“

„Moment“, unterbrach Fafa meine Mina. Misstrauisch kniff er seine Augen zusammen. „Während deiner Reisen hat dich nur ein einziger Ailuranthrop begleitet, der für eine Finis in Frage kommt. Nur ein Mann und das ist Tarpan.“

In diesem Moment hatte er wohl meinen Aufenthalt in den Höhlen von Ellan vergessen, in denen es noch weit mehr als einen Mann gegeben hatte, doch das hatte eigentlich keinerlei Bedeutung. „Es ist aber nicht Tarpan.“

Der Blick meines Fafas wurde argwöhnisch, so als wüsste er, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zu ging. „Wer ist es dann?“

Fast ängstlich sah ich zwischen ihm und meiner Familie hin und her. Wenn ich es ihnen sagte, könnte es passieren dass sie mich verstießen. Ein Mann aus einem anderen Volk? Ungeistredbar. Aber wenn ich weiter schwieg …

Eine Berührung an meiner Hand ließ mich zusammen zucken, doch es war nur Sian, den seinen Kopf an mich schmiegte, als wolle er mich trösten und ermutigen.

Nein, nicht jeder würde mich verstoßen. Sian kannte die Wahrheit und er war noch immer an meiner Seite. Er verstand dass ich dagegen nichts hatte tun können. Und auch das diese ganze Angelegenheit, diese Ungewissheit mich völlig fertig machte.

„Aman“, sagte ich leise und blickte in die Augen meines Fafas. „Der Krieger der Lykanthropen. Er ist mein Finis.“

Unsium riss die Augen auf, während meine Mina ein Geräusch des Entsetzens von sich gab und Licco mich anschaute, als würden mir Hörner aus dem Kopf wachsen.

Fafa dagegen schwieg. Er schaute mich an als hätte ich den Verstand verloren, bevor ungläubige Wut in seinen Augen aufleuchtete. „Was?!“

Unter der Wucht dieses Wortes zucke ich nicht zusammen, doch es fehlte nicht mehr viel.

„Bist du noch bei Sinnen?! Du nennst einen Lykanthropen dein Finis?! Hast du völlig den Verstand verloren?!“

Ich biss mir auf die Lippe. „Fafa ich …“

„Nicht nur dass es gegen das Gesetz ist, du bist eine Auserwählte! Das ganze Volk sieht zu dir auf! Eine solche Verbindung ist nicht zulässig! Unakzeptabel! Du kannst doch nicht wirklich glauben …“

„Aber die Götter …“

„Kein Gott würde so etwas unwürdiges von dir verlangen!“, fauchte er mich an.

Ich musste schlucken. In meinem ganzen Leben hatte ich ihn noch niemals so wütend erlebt. Diese Seite an ihm war mir völlig neu und sie ängstigte mich.

„Du bist viel zu jung für eine Finis. Das ist … das … er hat dir das eingeredet!“ Fast anklagend zeigte er auf mich und begann aufgebracht vor mir hin und her zu laufen. „Dieser Lykanthrop, er hat …“ Plötzlich hielt er inne, als sei ihm überraschend etwas klar geworden. „Natürlich“, flüsterte er und drehte sich zu mir herum. „Du bist so jung, leicht zu manipulieren und dazu noch eine Auserwählte. Das macht dich für viele Männer anderer Völker interessant.“ Mit jedem weiteren Wort wurde er ruhiger. Gedankenvoll nahm er seinen Lauf wieder auf. „Wenn die Lykanthropen Macht über unsere Auserwählte bekommen würden, hätten sie etwas gegen uns in der Hand. Besonders noch eine solch einzigartige Auserwählte. So etwas wie dich gab es noch nie und …“

„Das ist nicht wahr“, unterbrach ich ihn und erinnerte mich voller Gram daran, dass Licco und Jaron in den Höhlen von Ellan fast das gleiche zu mir gesagt hatten. Ich musste meine Wut beherrschen um ihn nicht anzufauchen. „Alles was du sagst ist falsch. Aman spielt keine Falschheit. Er selber hatte sich in die Gefangenschaft der Ailuranthropen begeben, nur um in meiner Nähe bleiben zu können. Er hat mir das Leben gerettet und …“

„Du machst dir nur selber etwas vor.“

„Nein, ich …“

„Doch, das tust du.“ Direkt vor mir blieb er stehen und sah mir fest in die Augen. „Du bist so jung und leicht zu hintergehen, so unerfahren. Es ist nicht schwer dich zu etwas zu bewegen, was du im Grunde gar nicht willst.“

So wie du es versucht hast?!, wollte ich ihn anfahren, hielt aber den Mund.

„Zum Glück haben wir das noch rechtzeitig erkannt“, sprach mein Fafa weiter, ohne etwas von meinen Geistreden zu ahnen. „Noch ist nichts Schlimmes passiert und wir können dem entgegen wirken. Du musst dich nur …“

„So hör mir doch endlich zu!“, verlangte ich und brachte ihn damit zum Verstummen. „Du täuschst dich“, begann ich vorsichtig. „Du weißt nicht wie sehr ich mich am Anfang dagegen gewehrt habe. Aber dann … es wurde anders. Und dann in den Höhlen von Ellan … zur Sachmet, ich weiß nicht wie ich es erklären soll, aber ich weiß dass es die Wahrheit ist. Aman ist mein Finis. Er liebt mich“, fügte ich schwach hinzu und erinnerte mich nur zu gut an den Moment, in dem ich ihn in der Gefangenschaft des Kriegergeneral entdeckt hatte.

Wie verzweifelt er bei meinem Anblick gewesen war.

So verloren.  

Fafa bedachte mich mit einem solch strengen Blick, dass ich mich darunter ducken wollte. Und auch meine Mina schien nicht wirklich zu wissen, was sie von dieser Situation halten sollte. „Nicht ich bin ich der sich täuscht, Nasan“, sagte er dann. „Du bist noch so jung. Dieser Krieger hat einfach deine Schwäche ausgenutzt und …“

„Nein!“, wiedersprach ich. „So hör mir doch endlich zu! Wenn du ihn nur kenne würdest, wenn du …“

„Genug!“, befahl er und fixierte mich mit seinem stechenden Blick. Seine Miene wurde hart, so ganz anders als ich es von ihm kannte. „Ich will davon nichts mehr hören. Dieser Mann hat dir Geistreden in den Kopf gesetzt, die sich nicht gehören und egal was du über ihn glaubst zu wissen, es hat hier und jetzt ein Ende. Oder willst du wirklich deine ganze Zukunft aufs Spiel setzten?“

„Nein, natürlich nicht.“, sagte ich hastig. „Ich will immer noch mit dir durch die Lande ziehen. Ich will eine Kriegerin der Bastet werden. Aber …“ Aber nicht um diesen Preis. Nicht indem ich den verriet, an dem mein Herz hing, nur um bei einem andren Mann zu liegen. Ich presste meine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

„Wenn du eine echte Kriegerin sein willst, musst du auch wie eine handeln.“

„Das will ich ja auch. Aber diese eine Sache kann ich nicht tun.“

„Doch, du kannst es. Du musst dir nur eingestehen, dass er dich getäuscht hat.“ Er trat einen Schritt auf mich zu. „Wende dich von ihm ab und tu das, was du tun musst, damit du eine Zukunft hast.“

Aber was würde diese Zukunft für mich bereithalten? Ein Leben ohne Aman … „Nein“, sagte ich fest. „Ich werde es nicht tun – niemals.“

Das war der Moment in dem mein Fafa explodierte. „Wegen einem Lykanthropen?!“, fauchte er mich an. „Du wirfst alles wegen einer Lüge fort?!“

„Nein, ich …“

„Kein Krieger würde sich so verhalten! Niemals würde ich die Pflicht über das Vergnügen stellen! Niemals würde er …“

„Und wo warst du gerade?“, fragte ich leise und unterbrach seinen Redeschwall damit. Meine Stimme war nicht weniger wütend als die seine. „Wo hast du dich die letzten Tage aufgehalten?“

„Davon abgesehen dass dich das nichts angeht, brauchst du nicht versuchen von dir abzulenken.“

Nach diesen Worten rauschte die Wut in meinen Ohren. „Du bist ein Heuchler“, flüsterte ich und das letzte bisschen Freundlichkeit verschwand aus seinem Gesicht.

„Lilith!“, rief meine Mina fassungslos.

„Du solltest auf deine Worte achten, Lilith.“

Ich fixierte ihn mit einem Blick, wie ich es früher niemals gewagt hätte. „Miranja“, sagte ich nur. „Dort bist du gewesen.“

Ein Ausdruck der Überraschung schlich über die Züge seines Gesichtes, bevor er misstrauisch die Augen verengte. „Was hast du gesagt?“

„Ich hab Miranja gesagt. Den Namen deiner Finis. Der Elfe aus dem Tempel.“ Diese Worte ließ ich erst einmal auf ihn wirken. „Deine Finis aus einem anderen Volk.“

Fafa warf Licco einen kurzen Blick zu, bevor er ihn wieder auf mich richtete. „Woher weißt du von ihr?“

„Von dir!“, fauchte ich. „Du selber hast ihn mir gesagt. Du lagst im Sterben und hast mich zu ihr geschickt und genau deswegen bist du auch ein Heuchler! Deine eigene Finis kommt aus einem anderen Volk und mir sagst du, dass ich das nicht haben kann?! Dass ich mich gegen meine Überzeugung stellen muss, nur damit du deinen Willen bekommst?!“

„Du solltest jetzt wirklich aufhören“, warnte mein Fafa.

„Warum? Weil du die Wahrheit nicht ertragen kannst?! Weißt du was? Das ist mir egal! Was du von mir verlangst kann ich nicht tun! Ich werde es nicht tun, verstehst du?! Niemals!“

„Dann wirst du niemals eine Kriegerin sein.“ Diese Worte kamen völlig ruhig über seine Lippen, doch in ihnen lag eine Endgültigkeit inne, die mich bis auf die Knochen erstarren ließ.

Ich konnte die Blicke der anderen auf mir spüren, ihre Verwirrung und der Unglaube. Doch es war nichts gegen den Sturm, der plötzlich in mir tobte.

Ich versuchte mir meinen Schmerz nicht anmerken zu lassen, während ich einen Schritt vor ihm zurück trat. „Dann sei es so“, sagte ich mit einer Härte in der Stimme, die ich von mir selber nicht kannte.

Einen langen Moment starrte ich meinem Fafa in die Augen, dann wandte mich ab und stürmte aus der Küche, während die Wünsche meines Lebens sich einfach in Luft auflösten.

„Lilith!“, rief meine Mina, doch ich blieb nicht stehen.

Sian war der einzige, der mit mir mithalten konnte, als ich aus der Haustür stürmte und über den Hof in die Scheune rannte. Zielsicher rannte ich in den hinteren Teil und griff nach Sians Sattel. Keinen Moment länger würde ich hier verharren, nicht mit diesem Mann.

Mein ganzes Leben hatte ich auf diesen Moment hingearbeitet. Ich hatte jeden Rückschlag, jedes feindliche Wort und jede Erniedrigung über mich ergehen lassen, nur damit ich eines Tages mit meinem Fafa durch die Lande ziehen konnte.

Doch nun war alles vorbei.

Jahre der Anstrengung für nichts und wieder nichts.

Das Scheunentor klapperte. „Lilith!“, rief meine Mina und eilte zu mir, gerade als Sian sich verwandelte und ich ihm den Sattel auf den Rücken legte.

„Es tut mir leid“, sagte ich ohne mein Tun zu unterbrechen. „Aber ich kann nicht … ich muss gehen.“

Leider sah meine Mina das anders. Gerade als ich die Gurte festsurrte, hielt sie meine Hände fest und zwang mich sie anzuschauen. „Ist es wahr?“, fragte sie dann leise. „Dieser Lykanthrop? Ist er wirklich …“ Sie verstummte, als könnte sie die Worte nicht über die Lippen bringen.

„Er ist mein Finis“, sagte ich leise und wich dabei ihrem Blick aus. Nicht das ich mich für die Wahrheit schämte, aber ich würde es nicht ertragen in ihren Augen die gleiche Ablehnung zu sehen, wie in denen meines Fafas. „Es ist keine Täuschung, das weiß ich einfach.“

Die Stimme meiner Mina war sehr ernst. „Du musst verstehen, das zu glauben … es ist nicht ganz einfach.“

Ich lachte verbittert auf. „Glaubst du denn mir ist es einfach gefallen das zu glauben? Ich hab mich am Anfang so sehr dagegen gewehrt, aber wenn die Götter etwas bestimmen … ich komm einfach nicht dagegen an.“

„Nein, einer Finis kannst du nicht entkommen.“ In Ihren Worten schwang fast so etwas mit Mitleid mit.

Hastig machte ich mich von ihr frei und wandte ich mich von ihr ab. „Ich muss gehen.“

„Zu deinem Lykanthropen?“

Das ließ mich wieder inne halten. Daran hatte ich noch gar keine Geistrede gehalten. Sollte ich zu Aman gehen? Aber wer wusste schon, was mich an meinem Ziel erwartete? Ich wusste ja nicht einmal, ob er noch lebte. Doch solange ich mich von der Furcht gefangen halten ließ, würde ich es niemals erfahren. „Ja“, sagte ich deswegen, obwohl ich überhaupt nicht sicher war. „Ja, ich werde ihn aufsuchen.“ Und hoffen.

„Dann wünsche ich dir viel Glück und … stell ihn mir einmal vor.“

Das überraschte mich. Sie wollte ihn kennenlernen?

Sie lächelte mich vorsichtig an.

Ich konnte einfach nicht anders, als sie in den Arm zu nehmen. „Vergelts“, flüsterte ich und drückte sie an mich. „Für alles.“

„Komm nur wieder zu mir zurück.“

„Versprochen.“ Ich löste mich von ihr und lächelte sie an. Auch wenn das hier kein Abschied für immer war, so siedeten die Tränen in meinen Augen.

Unter ihren Augen machte ich Sian fertig und stieg in seinen Sattel.

„Warte“, sagte sie noch einmal, als ich mich schon dem Tor zuwandte. „Was dein Fafa gesagt hat … er wird sich schon wieder beruhigen.“

Ich drückte die Lippen zusammen. In diesem Augenblick wollte ich nicht an ihn geistreden. Nach allem was er zu mir gesagt hatte … nach dieser Zurückweisung … er hatte mich auf eine Art enttäuscht, die ich niemals für möglich gehalten hatte. „Bis bald, Mina“, flüsterte ich und ließ mich dann von Sian aus der Scheune tragen.

 

°°°°°

Kapitel Neunundzwanzig

 

„Ihre Hütte ist dort hinten. Folge einfach dem Pfad, dann kannst du sie gar nicht verfehlen.“

„Vergelts.“

Der junge Krieger der Lykanthropen warf mir noch einen verwunderten Blick zu, bevor ich mich von ihm abwandte und seiner Wegbeschreibung über das Gelände von Seth Tempel folgte.

Fast drei Wochen war ich nun unterwegs. Meine Reise hatte mich am Ufer des Ailurafluss entlanggeführt. Vorbei an den zerklüfteten Ausläufern des Dispertiogebirge und den Höhlen in denen die Ailuranthropen seinerzeit Zuflucht gefunden hatten. Auf Sians Rücken war ich durch ganz Ellan geritten und hatte Lakaien erst vor wenigen Tagen betreten. Doch seit dem Moment, in dem ich die Grenze zum Land der Lykanthropen übertreten hatte war mein Innerstes nur noch ein Wechselbad der Gefühle. In dem einen Moment schwellte in mir die Hoffnung, nur um gleich darauf von einer nervenaufreibenden Nervosität gepackt zu werden, die sich zu einer fast hysterischer Angst zuspitzte.

Erst gestern war ich einfach umgekehrt, in dem glauben, dass an meinem Ziel niemand auf mich warten würde. Es war die Angst vor der Wahrheit, die mich dazu bewegt hatte. Was wenn Aman wirklich tot war? Wie sollte ich das verkraften? Aber auch mir dieser Ungewissheit konnte ich nicht leben. Innerhalb eines Augenblicks hatte ich alles verloren, was ich jemals hatte haben wollen und ich fürchtete mich einfach davor, dass mein Verlust noch größer sein konnte, als ich bisher annahm.

Sian war es gewesen, der mich dazu gebracht hatte, wieder meinem eigentlichen Ziel entgegen zu reiten, denn er hatte recht: Es war besser Gewissheit zu haben, als ewig mit der Unsicherheit zu leben und sich immer zu fragen, was wirklich geschehen war.

Doch nun, mit jedem von Sians Schritten, die uns weiter über das weitläufige Gelände brachten, trommelte das Herz in meiner Brust, als wollte es davon eilen. Aufregung, Nervosität, Angst. Die Erkenntnis, die mich auf meiner Reise ereilt hatte, machte mir diesen Weg auch nicht einfacher, denn selbst wenn Aman noch lebte, war es fraglich, ob ich bei ihm das finden würde, wonach ich suchte. Schließlich war der erste Aman nicht mehr. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er in den Körper des zweiten Amans hinengesogen wurde, weil es nur einen geben durfte.

Falls mich am Ende meiner Reise wirklich ein Aman erwarten sollte, welcher von beiden würde es sein? Jener der mich gezwungen hatte meine Augen für das Offensichtliche zu öffnen, auch wenn ich damit gegen die Regeln meines Volkes verstieß, oder der Aman, der mir mehr als deutlich gesagt hatte, dass wir niemals mehr als Verbündete in diesem wackligen Frieden sein würden?

Diese Geistreden sorgten nicht wirklich für meine Zuversicht. Doch es ging nicht anders, ich musste es einfach wissen.

Hinter den großen Wirtschaftsgebäuden der Tempelanlage lagen die Quartiere der Krieger. Kleine viereckige Blöcke mit einer schlichten Fassade. Sie standen Kreuz und Quer auf einer glatten Ebene, ohne Sinn und Verstand. Es machte auf mich den Eindruck, als hätte ein kleines Kind seine Bauklötze einfach auf den Boden gekippt und das Ergebnis wurde als Vorlage für diesen Aufbau genutzt.

Vineas Hütte lag laut Auskunft am äußeren Rand, ganz hinten. Ich hatte mich nicht getraut den jungen Krieger nach Aman zu fragen, die Angst vor der Antwort war viel zu tief verwurzelt. Was hätte ich schließlich tun sollen, wenn er mir sagte, dass Aman schon vor Wochen gestorben war? Nein, dies hier war die bessere Lösung.

„Hör auf zu Grübeln“, sagte Sian leise. „Es bringt nichts sich jetzt noch verrückt zu machen.“

„Du meinst es hat vorher etwas gebracht?“

Das ließ ihn leise lachen.

Sian wählte den Weg außen an den Gebäuden vorbei und hatte ich geglaubt mein Herz hätte vorhin schon wild in meiner Brust getrommelt, so schien es nun kurz vor dem Ende zu stehen. Der Moment in dem ich die Wahrheit erfuhr … ich fürchtete ihn einfach.

Rechts des Weges waren so viele Bauten, dass ich sie kaum zählen konnte, links dagegen nur noch ein paar vereinzelte, die sich in den unendlichen Weiten des Ödlandes verlieren zu schienen.

Ein paar neugierige Blicke begegneten uns auf unserem Weg. Ein paar Krieger nickten mir zu. Sie erkannten mich. Das Zeichen an meinem Bein war einfach unübersehbar und meine Geschichte so unglaublich, dass sie in der Zwischenzeit wohl jedem Bewohner von Silthrim zu Ohren gekommen war.

Wir hatten fast das Ende der Gebäude erreicht, als ich der Überlegung verfiel, vielleicht doch wieder umzukehren. Ich wollte gerade den Mund Öffnen, um es Sian zu sagen, als mir ein vertrauter Geruch um die Nase wehte. „Vinea“, flüsterte ich und wandte meinen Blick nach links.

Sian hielt an und folgte ihm.

Ich schaute zwischen die Lücken der wenigen Häuser, aber Sian war es der „Da“ sagte. „An der letzten Hütte.“

Und tatsächlich. Halb im Schatten des Hauses stand Vinea vor einem riesigen Amentrum. Ihre Hände lagen an seinem Kopf. Sie schien leise auf ihn einzureden.

Ich erkannte Onyx, ohne dass es mir jemand sagen musste. Und wenn ich nach der Kette ging, die um seinen Hals hing, hatte er sich von den Experimenten des Kriegergenerals noch immer nicht erholt.

Während ich sie beobachtete, begannen meine Hände zu schwitzen und als sie dann auch noch in meiner Richtung schaute, als würde sie meinen Blick spüren, wäre ich am liebsten in die andere Richtung gelaufen. Aber das wäre feige und ich war nicht feige. Doch ich konnte den Moment noch ein wenig herauszögern.

Mit wild schlagendem Herz glitt ich aus Sians Sattel, legte meine Hand auf seine Schulter und zögerte.

„Vertrau auf die Götter“, flüsterte Sian und stupste mich an.

Ich war mir nicht sicher ob Vertrauen mir in diesem Moment half. Trotzdem setzte ich mich langsam in Bewegung und vermied es Vineas Blick auszuweichen. So wie sie mich ansah … sie schien nicht besonders glücklich zu sein mich her zu sehen. Aber davon ließ ich mich nicht aufhalten.

„Gegrüßt sei der Morgen und die Götter“, sagte ich, sobald ich vor ihr stand.

Sie kniff die Augen zusammen und musterte mich beinahe feindselig. Als Onyx jedoch plötzlich begann zu knurren und sich dem Armentrum das Nackenfell sträubte, wirbelte sie blitzschnell zu ihm herum und legte ihm eine Hand auf die Stirn. „Nicht“, sagte sie sehr ruhig. „Konzentrier dich Onyx.“

Der Amentrum kniff die Augen zusammen und ließ seine Ohren unruhig spielen. „Ich … Onyx“, sagte er stockend. „Ich … Geleit … ich folge … Vineas … Wort.“

„So ist gut.“

Immer wieder sagte er das, als müsste er sich selber daran erinnern, was er war und was das für ihn bedeutete. Erst als seine Worte zu einem leisen Murmeln wurden, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Warum bist du hier?“

„Weil ich … ich …“ Plötzlich schnürte es mir die Kehle zu.

„Weil du was?“

Ich schaffte es nicht. Ich konnte seinen Namen nicht über die Lippen bringen, nicht wenn ich die Antwort so sehr fürchtete.

„Sie möchte zu Aman“, sagte Sian dann.

Ich erstarrte. Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Vinea schaute von meinem Amentrum zu mir, ließ den Mund aber geschlossen. Doch ihre Augen nahmen eine Härte an, die mich frösteln ließ. Dann wandte sie sich einfach von mir ab und lief mit Onyx an der Kette an mir vorbei.

Nein. Bitte nein. Die Angst schlug ihre Krallen in meinen Leib. Er konnte nicht tot sein. Das durfte nicht sein. Er … „Bitte“, flehte ich. Bitte sag mir dass es nicht so ist.

Vinea blieb seufzend stehen, schaute aber nicht zu mir zurück. „Er ist in seiner Hütte“, sagte sie ruhig. „Die letzte auf der anderen Seite des Weges.“ Damit setzte sie sich wieder in Bewegung.

Ich wirbelte herum. Ein kleines, braunes Gebäude keine hundert Schritte von mir entfernt. Er lebt. Der Knoten um mein Herz lockerte sich ein wenig. Aman lebt. Aber ich schaffte es nicht mich von der Stelle zu bewegen. Es brauchte wieder einen sanften Stoß von Sian, damit meine Beine mir gehorchten. Nur ein kurzes Stück des Weges hinunter …

Dann sah ich ihn.

Er saß vor seinem Haus, den Blick auf die Weiten seines Landes gerichtet und tief in seine Geistreden versunken. Direkt neben ihm lag Acco auf dem Rücken und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen.

Aman sah genauso aus wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er schien sich kein bisschen verändert zu haben. Außer seinem Haar. Es war kürzer als zuvor. Und sein Gesicht hatte ich nicht so verhärmt in Erinnerung. Wohl aber den immerzu nachdenklichen Ausdruck.

„Aman“, flüsterte ich.

Es war nur ein Hauch der über meine Lippen fiel, doch Amans Blick wirbelte sofort zu mir herum. Acco war es jedoch, der auf die Beine sprang und dabei so viel Sand aufwirbelte, dass Aman schützend die Arme vor das Gesicht reißen musste.

„Lilith!“, rief er aufgeregt. Er stürmte auf mich zu, sprang an mir herauf und leckte mir einmal quer über das Gesicht, während er leise freudig winselte. Und obwohl er mich dabei so sehr bedrängte, bemerkte ich es kaum, denn mein Blick galt allein dem Mann der sich auf die Beine erhob und mit völlig ausdrucksloser Mine auf mich zutrat. Schritt für Schritt, ohne mich auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Erst als er direkt vor mir stand, blieb er stehen. Sein Blick war so intensiv, dass ich mich darunter fast gewunden hätte und doch sagte er nichts darüber aus, was gerade in seinem Kopf vor sich ging.

War es mein Aman, der sich einfach nur danach sehnte mich wieder in die Arme zu schließen, oder doch der andere, der gleich erklären würde, dass ich gehen müsste.

Ich wollte ihn fragen. Alles in mir schrie danach, doch die Furcht vor der Antwort ließ mich schweigen.

Stumm schauten wir uns an, forschten in den Augen des anderen danach, was wir voneinander zu erwarten hatten, ohne eine Antwort zu bekommen. In diesem Moment fiel mir auch noch etwas anderes auf, was sich an ihm geändert hatte. Über seinem Herz waren zwei kleine Narben – die eine etwas höher als die Andere. Zeugnisse der Vergangenheit.

Einem Impuls folgend hob ich meine Hand um sie zu berühren, doch auf halben Wege wurde ich so unsicher darüber ob ich das überhaupt durfte, dass ich sie zu einer Faust ballte. Schließlich wusste ich noch immer nicht, welchen Aman ich hier vor mir hatte. Gewiss war nur, dass er noch lebte.

Sehr langsam senkte ich den Blick und ließ meinen Arm wieder sinken. Doch bevor ich auch noch einen Schritt vor ihm zurückweichen konnte, griff er meine Hand, machte auf dem Absatz kehrt und zog mich zu seiner Hütte. Das kam so plötzlich, dass ich beinahe über meine Füße stolperte und das Gleichgewicht erst wiederfand, als er an der Tür zu seinem Haus stehen blieb, um sie aufzureißen.

Es war nur ein kurzer Halt. Sobald es ihm möglich war, trat er hinein und riss mich hinter sich her. Mir blieb kaum die Zeit für einen schnellen Blick durch das kleine Zimmer, da war die Tür auch schon wieder zu und ich wurde mit dem Rücken dagegen gepresst.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als sein Geruch meine Sinne überflutete. Mit einem mal war er mir so nahe, dass seine Köperwärme die meine noch steigerte und bevor ich überhaupt realisieren konnte, wie er seinen ganzen Körper gegen meinen drängte und mein Gesicht zwischen seinen Händen gefangen nahm, lagen seine Lippen bereits auf meinen.

Oh Göttin, ja!

Meine Arme schlangen sich um seinen Leib, wanderten auf seinem Rücken hinauf, über die straffe Haut zu seinen Schultern. Ich fühlte sie seine Muskeln bebten, während er mich mit dem Mund beinahe verschlang.

Dieser Kuss hatte nichts Vorsichtiges oder Zärtliches an sich. Aman nahm sich einfach was er brauchte, ließ seiner Sehnsucht freien Lauf und ich war nur allzu bereit es ihm zu geben.

So sehr hatte ich mich nach diesem Augenblick des Wiedersehens gesehnt. Mehr als einmal hatte ich mir vorgestellt, wie die nächste Begegnung mit ihm aussehen würde. Doch nichts hatte mich auf diese Intensität vorbereiten können. Es schien als wolle er mit mir verschmelzen, damit wir einander nie wieder verlieren konnten.

Sein Atem ging nicht weniger hektisch als der meine. Seine Hände wanderten über meinen Körper und ließen mich unter seinen Berührungen erbeben. Dies war der Augenblick in dem ich wusste, dass alles woran ich glaubte der Wahrheit entsprach. Aman war mein Finis, und dass ich zu ihm zurückgekehrt war, war das einzig Richtige.

„Du hast mir gefehlt“, flüsterte ich.

Sein Mund wanderte über mein Kinn, seine Hände streiften über meine Haut hinunter, bis sie den Verschluss meines Lendenschurzes fanden.

„Warte“, flüsterte ich und wollte ihn aufhalten, doch auf halbem Wege packte er meine Hände und hielt mich auf.

Sein Blick war verschleiert, glasig, sein Mund jedoch grimmig. „Ich habe lange genug gewartet“, flüsterte er und fuhr mit seinem Vorhaben fort ohne meinen Herzschlag zu beachten, der immer schneller wurde. „Du hast dir viel Zeit gelassen.“

„Ich …“ Ich kam nicht mehr dazu meine Worte auszusprechen, schon lagen seine Lippen wieder auf meinen und drohten mich mit Haut und Haaren zu verschlingen.

Der wenige Stoff glitt an meinem Körper herab und lieferte mich ihm nackt und schutzlos aus.

Ich wartete darauf, dass die Nervosität erschien, die Unsicherheit, die mich das letzte Mal gepackt hatte, doch es kam nicht. Alles war genauso wie es sein sollte. Nur er und ich und das Gefühl, dass uns auf ewig vereinte.

 

°°°

 

Träge schmiegte ich mich an Aman und ließ meine Finger über seine stramme Brust wandern. Ich berührte die Narbe. Es war eine kleine Vertiefung die sich ungewöhnlich glatt anfühlte.

„Ich hatte Angst hier her zu kommen“, flüsterte ich.

Er drehte den Kopf leicht, damit er mich anschauen konnte.

„Ich habe geglaubt nur einem Schatten hinterher zu jagen.“

Was das bedeutete, musste ich ihm nicht erklären, er wusste es genau. Seine Arme schlangen sich fester um mich.

Wir lagen in seinem Bett. Es war nicht für zwei Personen gemacht, doch das störte mich nicht. Die Enge sorgte nur dafür, dass wir noch dichter beieinander liegen konnten.

„Es war knapp gewesen“, sagte Aman. „Die Heiler mussten sehr stark kämpfen um mein Leben zu retten. Aber ich wusste, dass ich es schaffen würde.“

Welch seltsame Aussage. „Warum?“

„Weil ich dich nicht allein zurücklassen konnte.“

Oh Göttin. Er war am Leben geblieben? Wegen mir?

„Aber du hättest dich ruhig beeilen können.“ Sein Ton war beinahe vorwurfsvoll.

Ich lächelte ihn an. „Warum? Hast du es ohne mich nicht ausgehalten.“

„Ich wusste nicht wo du warst“, erwiderte er leise. „Nach meiner Genesung habe ich eine Anfrage an den Tempel der Bastet gestellt, doch dort sagte man mir, dass du bereits einen Tag nach unserer Ankunft mit unbekanntem Ziel aufgebrochen seist. Ich habe überlegt nach dir zu suchen, doch ich wusste nicht wo. Tage und Wochen habe ich darüber nachgesinnt, wo du sein könntest und dabei ist mir eigentlich nur eines bewusst geworden.“

„So? Was denn?“

Er ließ seine Finger über meinen Arm wandern und schloss seine Hand dann um die meine. „Das ich eigentlich gar nichts von dir weis.“

Dieser bekümmerte Ton in seiner Stimme … mein Herz zog sich ein wenig zusammen. „Das stimmt nicht“, sagte ich leise und richtete mich halb auf, sodass ich auf ihn hinunter sehen konnte. „Du weist wie eigensinnig und stur ich sein kann. Du weißt dass ich meine Schwänchen gerne im Verborgenen halte und die Krallen ausfahre, wenn du mich zur Weißglut treibst.“

Er lächelte.

Dieser Anblick war so wunderschön, dass mir einen Moment der Atem stockte. „Und du weist wie es um mein Herz bestellt ist.“ Mein Mundwinkel zuckte. „Genaugenommen wusstest du das lange vor mir selber.“

„Da sprichst du ein wahres Wort.“ Er beugte sich vor und stahl mir einen beinahe unschuldigen Kuss von den Lippen, bevor ich mich wieder neben ihn legte.

Wieder fanden meine Finger die zwei kleinen Narben. „Aber da gibt es etwas, dass ich nicht weis und dass mich … es beschäftigt mich.“

„So? Was denn?“

Wie sollte ich das am Besten fragen. Ich wollte ihn nicht in die Abgründe zurück stoßen, aus denen er gerade erst entkommen war. Aber um den heißen Brei herumzureden, würde ihn nur ärgern. „Deine Zeit beim Kriegergeneral … was ist geschehen?“

Ich spürte wie er sich leicht anspannte und der Griff um meine Hand etwas stärker wurde. „Das habe ich dir doch bereits erzählt. Er hat versucht meinen Geist zu brechen und mich zu manipulieren.“

„Ja, aber … wie kam es dass du überlebt hast?“

Auf diese Frage antwortete er nicht sofort. Er schien er darüber geistreden zu müssen. „Es war seltsam“, sagte er langsam. „Ich war bereits auf dem Weg in die Mächte, doch dann … ich glaube Seth ist mir erschienen. Er sagte mir, dass für mich noch nicht an der Zeit war, dass ich noch gebraucht wurde. Es war … ich kann mich nicht mehr genau erinnern, alles ist so verschwommen.“

„Ich weiß was du meinst.“ Mir selber war es nicht anders ergangen, wenn Bastet mir erschienen war.

„Ich kann mich nur noch an Bruchstücke erinnern. Ich habe lange Zeit geschlafen. Du warst auch dort und hast mich angefleht bei dir zu bleiben. Aber dann musste ich gehen. Ich wurde gezwungen das Land der Götter zu verlassen und aufzuwachen.“

„Von wem?“

„Ich weiß nicht.“ Angestrengt runzelte er die Stirn. „Ich glaube es war ein Gefühl. Ich hatte wochenlang geschlafen und bin dann in der gläsernen Zelle zu mir gekommen.“ Er schwieg einen Moment. „Sie haben mich nicht einmal hinaus gelassen. Ich habe nicht gewusst dass du noch lebst. Sie haben mir gesagt …“ Seine Brust hob sich hektisch, als würde er allein die Erinnerung quälen. „Sie wollten das ich glaubte du seist gestorben und …“

„Pssst.“ Ich legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Sie haben gelogen. Genaugenommen sind nur deine Mörder gestorben. Dafür habe ich gesorgt.“ Und das gab mir heute ein wirklich befriedigendes Gefühlt.

Er zog mich soweit auf sich herauf, dass ich seinen Herzschlag unter meinem Ohr fühlen konnte.

„Beantwortest du mir noch eine Frage?“

„Natürlich.“

„Das zwischen uns beiden … warum hast du erkannt was die Götter mit uns vorhatten, der andere Aman jedoch nicht? Warum hat er sich von mir abgewandt?“

„Ich habe dich sterben sehen, Lilith“, sagte er sehr leise. „Wir beide – er und ich – fühlten uns sehr stark zu dir hingezogen, doch die Gesetze sind uns allen nur allzu vertraut. Wärst du damals nicht von dem gläsernen Pfeil getroffen worden … ich weiß nicht ob ich meinem Verlangen nachgegeben hätte.“

Ich erinnerte mich. Aman war die ganze Zeit äußerst herrisch gewesen und hatte mich kaum aus den Augen gelassen. Doch erst nach meinem Erwachen, hatte er sich mir genährt.

„Dich da so zu sehen … es hat mich fast zerrissen. Da wurde mir klar dass das Gefühl das mich immer wieder in deine Nähe zog mehr als ein oberflächliches Begehren war.“

„Du hast es also die ganze Zeit gespürt?“

„Vom ersten Augenblick an. Das hat mich so wütend gemacht. Ich wollte es nicht. Aber als du von dem gläsernen Pfeil getroffen wurdest …“ Er atmete tief ein. „Aber nicht nur mir ging es so. Auch er hat das Gefühlt, doch er konnte seine Erziehung einfach nicht überwinden.“

Wie er das sagte … „Woher weist du das?“

„Er ist ich.“ Sein Blick traf tief in meine Augen. „Ich komme aus der ersten Zeitlinie, er aus der Zweiten. Doch sobald wir Silthrim gemeinsam betraten, wurden wir Eins.“

„Du meinst …“ Ich richtete mich halb auf. „Du weist alles was vorgefallen ist?“

Er lächelte kläglich. „Ja“, sagte er. „Ich weis von deinen Versuchen mich für dich zu gewinnen und auch von dem Schmerz, der meine Sturheit bei dir ausgelöst hat. Ich weis das ich mich selber nicht mehr verstanden habe und von der Hoffnung all dem zu entgehen, sobald wir unsere Aufgabe hinter uns gebracht hatten.“

„Du wolltest mich also wirklich verlassen.“

Er wurde sehr ernst. „Ja. Obwohl ich bezweifle, dass ich dir hätte lange fern bleiben können.“

Das hieß ich hatte mich die ganze Zeit nicht getäuscht. Aman hatte sich zu mir hingezogen geführt. Doch erst als er mit Aman verschmolzen war … oh Göttin, war das kompliziert!

Aber jetzt war es egal. Nun hatte ich sie beide ganz für mich alleine.

„Ich wäre immer zu dir zurückgekehrt“, sagte er leise, unter meinem forschenden Blick.

„Weil die Götter es so wollten.“

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Weil ich es so wollte.“ Er griff nach meinem Gesicht und zog es zu sich herunter, bis unsere Lippen aufeinander trafen.

Dies war der Moment in dem ich erkannte, dass ich keine traurige Geschichte war, nur weil nicht immer alles so gelaufen war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich spürte wie ich lebte. Ich konnte aufstehen, die Lichter der Sterne sehen und so vieles andere was mich staunen lassen konnten. Die Welt spielte ein Lied, dass nur ich hörte. Ich konnte gehen wohin ich wollte, die Wesen um mich scharren die ich mehr als alles andere auf dieser Welt liebte. In diesem Augenblick, so glaubte ich, waren wir alle unendlich.

 

°°°°°

Epilog

 

„Bring mir bitte noch eine Schindel.“

Da ich auf diese Anweisung bereits gewartet hatte, war ich schon dabei mich an der Hütte hinauf zu ziehen und späte genau in dem Moment über den Rand, als auch Aman das tat. Unsere Köpfe knallten gegeneinander und hätte er nicht sofort nach mir gegriffen, hätte das Gewicht der Schindeln auf meinem Rücken mich wohl einfach zu Boden gerissen.

„Zur Sachmet“, fluchte ich und ließ mich von Aman auf das halbfertige Dach ziehen, doch der Schmerz ließ nicht so schnell nach.

Von Unten hörte ich ein Kichern. Ich spähte über die Kante und sah Acco oben auf dem Bauschutt thronen. 

Weiter unten lag Sian. Er lachte nicht, aber in seinen Augen entdeckte ich den Funke der Belustigung.

„Das ist nicht lusitg!“, fauchte ich Acco an.

Er grinste zu mir hoch.

Bevor ich noch auf die Idee kommen konnte den Hammer zu nehmen, um ihn nach Acco zu werfen, zog Aman mir die Schindeln vom Rücken und rückte näher um sich die schmerzende Stelle an meinem Kopf anzuschauen.

Ein Kribbeln kroch über die Haut die er berührte. Sein Duft überflutete meine Sinne und ließ meinen Ärger verrauchen.

„Es ist nicht so schlimm“, sagte er dann und ließ sich auf dem Fußballen zurücksinken. „Es wird nicht mal eine Beule geben.“

„Es hat trotzdem weh getan“, sagte ich und schaute mich auf dem Dach um. Bis auf eine kleine Ecke waren wir fast fertig – zumindest bei diesem Haus.

Eines der südlichen Dörfer in der Nähe von Seth Tempel hatte den Sturm vor drei Wochen nicht sehr gut überstanden. Im ganzen Land hatte es Schäden gegeben, doch diese Leute hier hatte es besonders schlimm erwischt.

In der Zwischenzeit sah es schon wieder ganz gut aus, aber fertig waren wir noch lange nicht. Es fehlte vorne und hinten einfach an Helfern. Darum war ich hier.

Die Krieger des Seht waren ausgesandt worden um zu helfen wo sie konnten. Natürlich war ich kein Krieger des Seth. Genaugenommen war ich überhaupt kein Krieger mehr, sondern nur noch eine Auerwählte, die ihre Aufgabe bereits hinter sich gebracht hatte, aber das hinderte mich noch lange nicht daran zu helfen wo ich konnte.

Das war es auch was ich die letzten sieben Monate getan hatte. Ich war an Amans Seite durch die Lande gezogen und hatte geholfen wo ich konnte.

Die Lykanthropen waren mir gegenüber zwar immer noch misstrauisch, aber wenigstens Vinea schien sich langsam an meine Anwesenheit zu gewöhnen.

Die Welt war im Moment sowieso ein wenig unruhig, besonders nachdem die Flüchtlinge nun endlich alle in die Länder eingezogen waren, in die sie nun gehören.

Viele von ihnen hatten sich mittlerweile an das neue Leben gewöhnt und versuchten sich damit zu arrangieren. Nur wenige fühlten noch immer unruhig oder rebellierten gegen die Gesetzte und es würde wohl auch noch ein Weilchen dauern, bis sich daran etwas änderte.

Und es waren nicht nur die Flüchtlinge. Auch die Natis der Götter, die nie etwas anderes als Silthrim gesehen hatten, wussten noch nicht so recht, was sie mit den Erdlingen anfangen sollten. Die Einzigen die Wohl überhaupt keine Probleme hatten, waren Luan und seine Familie.

Das letzte dass ich von ihnen gehört hatte, war, dass sie in Viran angekommen waren. Das wusste ich von Anima, die sich trotz ihrem widerstreben hin und wieder noch mit Pascal traf.

Wunder geschahen halt doch immer wieder.

Das Leben hier hatte sich wieder beruhigt. Der einzige Markel der noch blieb war mein Fafa. Seit unserem Streit vor über einem halben Jahr hatte ich ihn nicht wieder gesehen. Es war nichts seltsames, ich hatte ich nie oft zu Gesicht bekommen. Aber es belastete mich, dass wir in solch einer Wut auseinander gegangen waren, auch wenn ich wusste, dass ich Recht hatte.

Als ich mit Aman vor ein paar Wochen bei meiner Mina gewesen war, hatte sie mir gesagt, dass es ihm in der Zwischenzeit Leid tat, er aber zu stur war, seinen Fehler zuzugeben. Das hatte mich zum Lächeln gebracht.

„Deine Geistreden müssen hoch interessant sein“, raunte Aman an meinem Ohr und trieb mir damit eine Gänsehaut über den Körper.

„Wie kommst du darauf?“

Als er sich neben mich kniete und mich zwischen seine Beine zog, wehrte ich mich nicht dagegen. „Dein Minenspiel“, sagte er leise und hauchte einen Kuss auf meine Schulter. Dann noch einen auf meinen Kiefer. Auf meine Wange.

Flattern schlossen sich meine Augen, während mein Herz einen Tackt zulegte.

Von unten war ein würgendes Geräusch zu hören. „Bei Seth, nicht schon wieder, das ist ja nicht zum Aushalten!“

Ich wollte nicht. Trotzdem öffnete ich die Augen und schaute zu Acco in die Tiefe.

Er schüttelte sich, als würden in seinem Fell Ameisen herumlaufen. „Das werde ich mir nicht länger antun. Ich werde ausziehen um euch beiden zu entgehen. Bei Vinea ist sicher noch ein Plätzchen für mich frei und bei ihr werde ich vor euch und euer ständigen Liebelei verschont bleiben.“ Seinen Worten folgten Taten. Er kehrte und den Rücken zu und trabte den Schutthauen hinunter.

Sian warf ihm einen Blick zu, ließ ihn dann zu uns auf dem Dach schweifen und dann erhob er sich, um Acco zu folgen. „Ich werde ihn begleiten.“

Mit dieser Geste zeigte mir Sian mehr als mit Worten, wie sehr er Acco zustimmte und ich musste zusehen, wie unsere beiden Sermos sich aus dem Dorf stahlen.

„Sie übertreiben, oder?“, fragte ich und schaute Aman an.

Der Ausdruck in seinem Gesicht war völlig ernst, doch in seinen Augen stand Erheiterung. „Wenn interessiert es? Jetzt haben wir das Haus für uns alleine.“

Ich wollte den Mund aufmachen um zu wiedersprechen, aber dann erkannte ich die Möglichkeiten in seinen Worten und auf meinen Lippen breitete sich langsam ein Lächeln aus. „Was hältst du davon, wenn wir die Arbeit für heute niederlegen?“

„Eine ausgesprochen gute Idee“, flüsterte er.

„Ich werde den anderen nur kurz Bescheid geben. Warte hier auf mich.“

„Lass mich nicht zu lange warten.“

„Eine Geistrede, dir mir in hundert Millennien nicht kommen würde.“

Er knurrte zur Antwort, was mich Lachen ließ und mir gleichzeitig einen Schauder über den Rücken trieb. „Beeil dich, sonst komme ich dich holen.“

„Ich verlasse mich drauf“, sagte ich und erhob mich.

Das Leben war nicht immer leicht, doch mit ihm an meiner Seite würde ich alles meistern können.

 

°°°°°

 

Ende

Nachwort

So, hier endet nun die Geschichte um Lilith und Aman.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich die ganze Zeit begleitet haben und manchmal auch ein wenig Druck auf mich ausübten, damit ich weiter schrieb, auch wenn mir gar nicht danach war.

Eure vielen Kommentare während des Schribprozesses waren mir wie immer eine große Hilfe gewesen, die mich nicht nur auf meine Fehler hingewiesen haben, sondern mich auch oft dazu insperiert haben an dem Fortlauf der Geschichte zu arbeiten.

 

Ein ganz großes Dankeschön noch einmal.

Ihr seid die Besten

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.07.2015

Alle Rechte vorbehalten

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