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Unsere Geschichte handelt von Beule und genau bei dem beginnen wir. Beule, werden Sie fragen? Nun, Beule ist ein mittlerweile in die Jahre gekommener Herr. Er lebt sehr zurückgezogen, und Sie müssen wissen, das hat seine Gründe. Beule verbrachte lange Jahre hinter schwedischen Gardinen, und Sie können mir glauben, wenn ich sage, dass erhöht nicht gerade die Anzahl an Freunden außerhalb des Gefängnisses. Und wie Sie sich sicherlich vorstellen können, ist es auch wenig zuträglich zu viele Freunde zu haben, die man im Knast kennen gelernt hat. Zumindest ist Beule nicht der Typ, seine Bekanntschaften von dort, hierhin mitzunehmen.

Jetzt wissen wir, dass wir bei Beule starten, aber, und da haben Sie natürlich Recht, wir müssen auch wissen wo Beule ist? Das ist auch einfach beantwortet. Er sitzt im Stadtpark, gleich neben Johann Strauß (dem Sohn natürlich). Auf seiner Schoß sitzt Schnurri. Erraten, das ist eine Katze. Schnurri ist eigentlich ein schrecklicher Name, vor allem bedenkt man, dass ihr Besitzer ein ganz ein krummer Hund war, ein ausgebuffter Verbrecher. Aber an diesem Beispiel kann man auch gut erkennen, dass Beule eben nicht mehr dieser fiese Unhold sein wollte, daher heißt seine Katze eben Schnurri.

Warum sitzt Beule also im Park mit seiner Katze? Noch dazu am 22. Dezember. Der Wind ist typisch für diese Jahreszeit kalt. Wobei kalt da doch eine Untertreibung darstellt. Frostig, oder gefrierend wären bessere Worte. Aber auf solche Spitzfindigkeiten sollten wir uns hier erst gar nicht einlassen. Beule sitzt hier auf der Bank, weil er vor drei Stunden mit seinem Vermieter gesprochen hat, und vor eineinhalb Stunden hat er dann mit einem Exekutor gesprochen, und der hat ihm auch klar erklärt, dass Beule in seiner Wohnung nicht mehr wohnen darf. Das war aber dann schon egal, schlimmer war ja das Gespräch mit seinem Vermieter, Herrn Kratochwill.

Herr Kratochwill, hier kommt eine kurze Beschreibung des Mannes – Sie können das gerne auslassen, denn es hat wenig mit der Geschichte zu tun – ist ein älterer untersetzter Mann. Wenn Sie noch hier sind, habe ich eine Frage, was genau heißt untersetzt? Hört man ständig, aber wirklich vorstellen kann man sich das nicht genau. Also Herr Kratochwill war eher klein, vielleicht nicht so wie Tom Cruise, aber nehmen wir den als Messlatte. Und sein Körperbau war ein wenig wie der von Bud Spencer (aber natürlich nicht dessen Größe, denn der Italiener ist wirklich riesig). Außerdem war er schon etwas älter als Dustin Hofman in seiner Rolle als Rain Man aber nicht so alt wie, sagen wir, Jopi Heesters. Die Familie von Herrn Kratochwill stammt ursprünglich aus Böhmen, aber tschechisch kann er nicht mehr, nur die Umlaute spricht er aus wie die alten Tschechen noch in der Monarchie. Sie wissen schon schene Fieße statt schöne Füße.

Zurück zum Gespräch. Beule versucht ja dem Herrn Kratochwill immer auszuweichen, wenn er nach Hause kommt. Das ist ziemlich schwierig, denn der Herr Kratochwill wohnt im Erdgeschoß gleich neben den Stiegen, und die Tür zu seiner Wohnung ist immer einen Spalt offen. Und, sie werden das kaum glauben, obwohl der alte Herr Kratochwill wirklich schlecht hört, hat er immer mitbekommen, dass Beule gerade nach Hause kommt. So war es auch heute vor drei Stunden.

„Herr Mitterlehner,“ stürzte der alte Kratochwill aus seiner Wohnung. Jetzt Fragen Sie sicher, wer ist der Herr Mitterlehner? Natürlich heißt Beule nicht wirklich Beule, sondern eigentlich Mitterlehner. Und warum nennen wir ihn dann Beule? Na erstens, Beule schaut ein bisschen zerdrückt aus im Gesicht, und in der Schule haben sie schon immer Beule gesagt, weder Mitterlehner noch Rudi (das ist sein Vorname) und zweitens schreibt sich Beule schneller und einfacher als Mitterlehner.

„Ja, Herr Kratochwill,“ dabei sah man Beule das schlechte Gewissen richtig an. Mit der Miete war er schon wieder im Verzug, und Kratochwill konnte den Ex-Knacki sowieso nicht leiden.

„Jetzt ist es aus mit dem Mietvertrag,“ schnatterte der Alte los. „Jetzt bin ich sie los, der Mann von den Stadtwerken hat heute früh den Strom abgedreht, weil sie auch die Stromrechnung nicht bezahlt haben.“ Wissen Sie, das ist so eine Sache mit Beule. Gearbeitet hat er nie viel im Leben, und jetzt war er auch schon etwas älter, einen ehemaligen Knastbruder stellt auch niemand ein, also lebt er von der Sozialhilfe. Viel bleibt da nicht übrig, vor allem wenn man bedenkt, dass er das meiste seines Einkommens an seine Tochter schickt, die gerade studiert. Barbara kennt ihn noch nicht einmal. Als sie klein war, war Beule ständig im Gefängnis oder sonst wo. Vater war er also kein besonders guter. Auch daran können Sie erkennen, wie stark er sich geändert hat, denn als er zum letzten Mal entlassen wurde, wollte er das nachholen. Er hatte wohl so eine Art Erleuchtung. Aber irgendwie war es ihm peinlich zu seiner damals achtzehnjährigen Tochter zu gehen und zu sagen, „Hallo ich bins dein Vater.“ Deshalb hat er sich dann so beholfen, dass er ihr monatlich so viel Geld überweist, wie es eben geht. Er macht das immer über Bareinzahlung, und wenn geht wechselt er die Filiale so oft als möglich. So etwas wusste Beule natürlich aus dem Gefängnis. Panzerknacker Ferry hat ihm erzählt, wie man eine Beute möglichst unauffällig verschwinden lässt, und Beule ist dadurch auch nicht so einfach aufzuspüren.

Aber ich schweife ab. Beule zahlt deshalb Miete, Strom und Gas nur mit Einnahmen, die er noch zusätzlich hat. Gelernt hat Beule nämlich Tischler, und da darf er dann immer mal alte Möbel reparieren, oder einen Parkettboden verlegen. Und diese Einkünfte investiert er dann in seinen Lebensunterhalt. Das ist sogar poetisch: Pfuschen fürs verpfuschte Leben. Jetzt hatten wir aber in den letzten Jahren eine Wirtschaftskrise. Ich bin sicher, Sie haben das auch bemerkt. Diese Krise wirkte sich nachteilig auf Beules Auftragslage aus, weil wenn Menschen wenig Geld haben sparen sie zuerst bei den Möbeln und dem Boden, und dann erst beim Essen und Rauchen. Demzufolge hatte Beule wenig Geld über und die Mahnungen von den Stadtwerken ignoriert, daher ist ihm eben auch der Strom abgedreht worden.

„Bei solchen Exekutionen steht es dem Vermieter zu, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen, das wissen sie doch?“ der Herr Kratochwill hatte ganz offensichtlich seine Freude mit der Notsituation von Beule. „Vor allem, weil sie ja auch mit der Miete im Verzug sind!“ setzte der Mann auch noch nach.

Natürlich wusste Beule das. Herr Kratochwill wollte ihn schon die ganze Zeit loswerden. Der Vermieter hat nämlich, und dann verstehen sie den Herrn Kratochwill vielleicht auch etwas besser, vor zwei Jahren erfahren, dass Beule lange eingesessen ist. Das wäre vielleicht nicht so schlimm, aber der Herr Kratochwill war selbst einmal Opfer eines recht brutalen Raubüberfalls, und damals ist der noch junge Kratochwill zwei Wochen auf der Intensivstation gelegen. Seitdem war er auf Verbrecher recht schlecht zu sprechen, das können Sie sich sicher denken. Beule hat davon sehr viel abbekommen. „Ganove, Bankräuber, Gesindel, Parasit,“ all das hat ihm der Herr Kratochwill an den Kopf geworfen. Dabei hat Beule nie auch nur einem Opfer ein Haar gekrümmt. Na vielleicht im Gefängnis, aber da gehört das irgendwie dazu, wenn man drinnen überleben will.

Draußen aber hat er keinem etwas getan. Schließlich ist er nur in die Wohnungen und Häuser eingestiegen, in denen gerade keiner war. Das zählt eben auch zum Beruf des Einbrechers, dass man vorher gut observiert, und da sind sich Verbrecher und Gesetzeshüter sehr ähnlich. So ist Beule auch zum ersten Mal geschnappt worden, weil er beobachtet wurde. Tagelang sind ihm die Polizisten gefolgt. Und neidlos musste Beule anerkennen, dass er sie genauso wenig bemerkt hat, wie seine Einbruchsopfer ihn bemerkt haben.

Die Zwangsräumung verlief dann auch recht rasch und unkompliziert. Dem jungen Mann vom Magistrat war es auch ein wenig peinlich so kurz vor Weihnachten jemanden auf die Straße zu setzen. Er hat sich auch mehrfach entschuldigt, aber sein Chef war sehr dahinter, dass diese Räumung schnell über die Bühne geht. Sie sollten wissen, der Chef von dem jungen Mann war der Hofrat Berger. Das ist ein alter Bekannter vom Herrn Kratochwill, jeden zweiten Dienstag treffen sich die beiden beim Tarockieren. Natürlich helfen solche Connections, wie man heute sagt, um eine Zwangsräumung zu beschleunigen.

Beule hat dann noch einen Koffer gepackt sich Schnurri geschnappt und ist abgerauscht. Die Wohnung wurde versiegelt, das hat er sich noch angesehen, weil er doch so viel Zeit und Liebe in seine Wohnung investiert hatte. Sogar einen kleinen Christbaum hat er schon drinnen stehen gehabt. Beule lebt ja ohne Kinder, da kann er auch schon ein paar Tage vor Weihnachten einen geschmückten Mini-Tannenbaum haben. Das verstehen Sie sicher. Der Mann vom Magistrat meinte auch, dass sich Beule seine Habseligkeiten nach den Feiertagen im nächsten Jahr in der Magistratsabteilung 7 am Thomas Klestil Platz holen könnte.

Jetzt sitzt Beule auf der Parkbank und der goldene Strauß neben ihm hilft ihm auch nicht weiter. Die Wohnung war sein Ein-und-Alles. Die letzten fünf Jahre hat er fast nur dort verbracht. Sie müssen wissen, Beule lebte nicht nur zurückgezogen, sondern fast eremitisch. Hätte er nicht Geld für Essen und Trinken benötigt, und hätte er nicht seiner Tochter Geld überwiesen, wäre er vielleicht gar nicht hinaus gegangen. Das Gefängnis prägt da vielleicht auch ein wenig. Stellen Sie sich vor, Sie wären 15 Jahre eingesperrt und könnten nur ab und an hinaus. Da würden Sie sicherlich auch Ihre Gewohnheiten anpassen und so viel Zeit wie möglich drinnen verbringen.

Die Bank drückt ihn am Rücken. Er vermisst sein Sofa. Er würde sich gerne einen Tee kochen. Wo soll er jetzt hin? Solche Sachen denkt Beule jetzt. Es fällt ihm auch ein, dass er gar kein Katzenfutter mitgenommen hat. Sie werden sich denken, dass er doch an das Katzenfutter hätte denken können, wenn er doch mit seiner Katze im Arm aus der Wohnung geworfen wird. Aber an so etwas denkt man eben nicht, wenn einem das Heim vor der Nase zu gesperrt wird. Eine oder zwei Nächte kann er sicher bei Ferry verbringen, aber was macht er dann?

Schnurri ist auch nicht glücklich mit der Situation. Eigentlich würde sie jetzt auf dem Heizkörper sitzen und sich in der Hitze räkeln. Der Stadtpark ist da eher das Gegenteil, und auch wenn Beule sie an sich drückt und beständig über ihren Kopf streicht – Schnurri liebt das – beginnt sie unruhig zu werden. Das ist eigentlich ein Zeichen dafür, wie gut sich die beiden verstehen, also ich kenne Katzen, die bereits nach zwei Minuten an der frischen Luft, noch dazu bei diesen Temperaturen unruhig werden, aber Schnurri sitzt jetzt schon seit einer Stunde auf Beules Schoß und beginnt erst jetzt langsam unruhig zu werden.

Gehen wir in unserer Geschichte ein wenig weiter vor. Es ist jetzt der 23. Dezember. Beule sitzt bei Ferry auf dem Sofa und hat eine Bierflasche in der Hand. Jetzt werden Sie sagen, dass das nicht so sonderbar ist, aber, ob Sie es glauben oder nicht, das ist das erste Bier von Beule, seit er aus dem Gefängnis entlassen ist. Also kann man zurecht sagen, dass das kein gutes Omen ist. Der Ferry ist auch fast Weg vom Geschäft. Er sagt, dass sich das mit den modernen Tresors nicht mehr auszahlt, und Raubüberfälle werden auch immer gefährlicher. Ferrys Schwager berichtete zum Beispiel von einer älteren Dame, die er vor einigen Wochen berauben wollte, Sie wissen schon, Handtasche schnappen und weglaufen. Die resolute Person hat ihm dann eine Dosis Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und seitdem sieht er mit dem rechten Auge nur verschwommen. Sie sehen also, Verbrechen zahlt sich nicht mehr aus. Außer natürlich eine kleine Korruption, so etwas ist noch immer profitabel. Sie lesen aber sicher Tageszeitungen, da wissen Sie das ohnehin.

Auf jeden Fall sitzt Beule jetzt da, und, da ist sicher auch der Alkohol ein wenig Schuld, brütet über die Erinnerung an seine Wohnung. Also er sitzt nicht auf Eiern und brütet sie aus, aber er sitzt da auf einem Haufen Erinnerungen, und die vermischen sich mit Gedanken. Und wie das so beim Brüten ist, reift etwas heran. Natürlich braucht das auch seine Zeit, und Hitze, und deshalb nimmt Beule jetzt auch noch einen Jagatee zu sich. An dieser Stelle sollte ich einen Jagatee erklären, sicherlich sind nicht nur alpenländische Leser und Zuhörer hier. Als solches bezeichnet man ein punschähnliches Getränk, das auf all den unwichtigen Schnickschnack wie Zucker, Fruchtsäfte und Gewürze verzichtet. Vielmehr handelt es sich um heißen Rum mit Spuren von schwarzem Tee. Sie müssen wissen, an den Orten, an denen Jagatee bevorzugt serviert wird, ist es aufgrund der Lage, nämlich den Alpen, meist sehr kalt, dahingehend müssen die Bewohner dieser Orte auf innere Wärme setzen.

Da erinnert sich Beule daran, wie er den alten Bauerntisch vom Sperrmüll liebevoll renoviert hat. Ich denke ich habe bereits erwähnt, dass Beule Tischler ist. Er sinniert über seine kuschelige Couch, die er damals mit Ferry in den zweiten Stock schleppen musste. Damals sind sie zwischen erstem und zweitem Stock stecken geblieben, und die alte Frau Hutterer hat nicht hinunter gekonnt. Das war ein Radau damals. Und Beule erinnert sich an den Katzenkorb, den Weihnachtsbaum und die Geschenke für Schnurri, die noch immer in der Wohnung liegen.

Nach Bier und zwei Jagatee ist es nicht verwunderlich, dass Beule eine Entscheidung ausbrütet, die er vielleicht in nüchternerem Zustand nicht getroffen hätte. Aber es ist so schön warm, und Ferry hat auch alles was er dafür braucht dabei.

Und jetzt sind wir hier am Heiligen Abend bei Beule vor der Wohnungstür. Schnurri sitzt neben ihm in der Transportbox, die er sich heute in der Früh besorgt hat. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Dinge wir am Tag so brauchen. Meistens ist es ganz selbstverständlich, dass wir sie bei uns haben. Erst, wenn wir sie nicht mehr haben, weil man zum Beispiel aus der Wohnung ausgesperrt wurde, beginnen wir diese Dinge zu vermissen. Und so war es beim Rasierer, der Zahnbürste, seinem Ausgehhut und eben der Transportbox von Schnurri. Sie werden verstehen, dass zumindest in letzterem Fall Beule nicht aufschieben konnte einen Ersatz zu finden. Unrasiert ist er aber schon.

Eigentlich hätte er es sich ja anders überlegt, aber er hat gestern dann auch noch mit Ferry gewettet, dass er es tut, und er kann sich die 100 Euro nicht leisten, die er zahlen müsste, wenn er jetzt zurück zieht. Beule steht außerdem zu Dingen, die er sich vornimmt. Und in der Wohnung ist jetzt auch niemand. Das Haus allgemein ist ziemlich leer. Es wohnen hier ja vorwiegend alte Menschen, und die sind alle bei ihren Kindern und Enkeln, bis die wieder hier sind vergehen noch Stunden. Und Sie können sagen was Sie wollen, Beule weiß noch immer ganz genau, wie so ein Schloss zu knacken ist. Das verlernt man nicht genauso wie Radfahren oder Schwimmen.

Es dauert gerade einmal 90 Sekunden und die Tür ist offen. Abgestandene Luft strömt aus der Wohnung. Beule und Schnurri sind sofort in der Wohnung und die Tür fällt hinter ihnen leise ins Schloss. Links eine kleine saubere Küche. Auf der rechten Seite ein noch kleineres Badezimmer mit Klomuschel, ebenfalls sauber. Vor ihm liegt das Wohnzimmer. Beule sieht sich um. Auf dem Esstisch in der Ecke steht ein kleiner Weihnachtsbaum. Die vier Stühle am Tisch sind aus unterschiedlichen Fabrikationen. Das Prunkstück des Zimmers ist aber ein riesiges rotbraunes Sofa. Wenn Sie das Sofa genauer ansehen würden, könnten Sie auf der linken unteren Ecke ein kleines weg geschnittenes Stück erkennen. Dort hat Beule damals ein Stück entfernt, sonst wären sie weder vorwärts noch rückwärts gekommen.

Jetzt werden Sie sich fragen, was macht Beule in seiner eigenen Wohnung. Immerhin wird das jemand bemerken, er hat ja auch die Versiegelung von der Tür entfernen müssen. Aber da haben Sie nicht bedacht, dass sich Beule schon richtig auf Weihnachten gefreut hat. Und beim Weihnachtsbaum liegen auch die verpackten Dosen mit Thunfisch und Futter für Schnurri. Daneben die Weihnachtslieder CD von Celine Dion und einen Sampler hat er auch dabei. Er zündet die Kerzen am Baum an, legt eine CD in die Anlage und lässt sich mit Schnurri auf dem Sofa nieder. Celine Dion säuselt eine bezaubernde Version von Stille Nacht.

Jetzt werden Sie sich sicher Fragen, warum funktioniert die Stereoanlage? Eine durchaus berechtigte Frage, denn immerhin war der abgedrehte Strom einer der Gründe für Beules Rauswurf. Sehen Sie, genau in dem Moment fällt das auch Beule auf. Er ist dadurch doch etwas beunruhigt, und geht deshalb zum Stromzähler. Tatsächlich ist der Stromzähler wieder frei gegeben, aber es findet sich kein Hinweis darauf, warum das so ist. Er geht wieder in die Wohnung und freut sich darüber, dass er zumindest für diese kurze Zeit ein wenig Glück hat.

Das Glücksgefühl dauert allerdings nur kurz an, denn schon klopft es leise an der Tür. Beule überlegt, sich ganz still zu verhalten. Aber Sie wissen ja, dass das Siegel an der Tür gebrochen ist, außerdem schmettert Celine gerade einen kräftigen Ton in den Äther.

Beule öffnet die Tür einen Spalt breit und sein Herz fällt in den Keller. Da steht Herr Kratochwill – breitbeinig und mit verschränkten Armen. „Herr Mitterlehner,“ Beule starrt zu Boden, als seine Vermieter zu sprechen beginnt. „Es tut mir echt leid. Das war eine sehr unfreundliche Sache von mir sie so kurz vor Weihnachten auf die Straße zu setzen.“ Jetzt erst bemerkt Beule, dass der Mann vor ihm mit den Füßen nervös scharrt. Und Sie werden es nicht glauben, auch das Gesicht vom Herrn Kratochwill sieht jetzt ganz verlegen nach unten. Beule kann gar nichts sagen, so verblüfft ist er.

„Ich hab auch ihre Stromrechnung bezahlt, und die Miete bringen sie halt nach. Ich hätte sie ja schon früher herein gelassen,“ und dabei sagte er "frieher" statt "früher", wie es nur der Herr Kratochwill sagen konnte. „aber sie haben ja keine Anschrift mehr gehabt, und in den Obdachlosenheimen hab ich sie nicht gefunden.“ Der Herr Kratochwill ist mittlerweile rot angelaufen, aber es ist ein nettes Rot. Sie müssen wissen bisher kannte Beule nur dieses Blaurot, das der Herr Kratochwill angenommen hat, wenn er sich ganz schlimm aufgeregt hat. Jetzt aber war das ein verlegenes Rot. Man hätte ihn beinahe für ein verliebtes Schulmädchen halten können, wenn er viel jünger gewesen wäre, und natürlich um einiges leichter, und natürlich auch ein Mädchen.

Und das ist ein gutes Stichwort, denn in dem Moment deutet der verlegen dreinblickende Kratochwill jemandem hinter der Ecke hervor. „Ich hab zwar sie nicht gefunden, aber jemanden, der sie gerne treffen will,“ Kratochwill deutete jetzt noch einmal und hinter der Ecke taucht eine junge Frau auf.

Die Augen sind eindeutig von ihrer Mutter, und auch das verlegene Lächeln hat das Mädchen von ihrer Mutter geerbt. Beule kann noch immer nichts sagen, merkt aber, dass jetzt er rot anläuft. „Ich habe niemanden mit dem ich Weihnachten feiern kann. Mama ist vor zwei Jahren gestorben und Herr Kratochwill hat mich gestern deinetwegen kontaktiert und mir angeboten bei sich zu feiern, falls du auftauchst. Darf ich herein kommen?“

„Aber ja,“ ist das einzige, dass Beule hervor bringt und gibt den Weg frei. Herr Kratochwill zieht sich leise zurück und lässt Beule in seinem eigenen kleinen Weihnachtswunder zurück.

Natürlich werden Sie jetzt fragen, wie es zu diesem unverhofften Gesinnungswandel bei Herrn Kratochwill kam. Und wie hat er die Tochter gefunden? Aber das ist schließlich nicht die Geschichte vom Herrn Kratochwill, und Wunder passieren auch, wenn man ihre Ursachen nicht kennt.


Impressum

Texte: Text: Rene Eichinger Cover: www.panoramio.com
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2011

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