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Eingesperrt im Wahn

Mit einem dumpfen Aufprall donnerte sein Schädel gegen die kalte Betonwand. Schmerz durchströmte seinen Körper. Er vernahm das Geräusch von Schritten, bevor sein Kopf erneut aufschlug. „Verdammt nochmal Mike, er tut es schon wieder! Wenn das so weitergeht wird er sich noch umbringen“. Das Gefühl des Daseins war berauschend. Wie die Impulse sein Gehirn erreichten und das Blut auf den klaren, sauberen Boden tropfte. Ein Schatten fiel auf sein Gesicht. „Jass! Hey Jasper! Um die Ärztin sehen zu können reicht es jetzt“. Seine Vorstellungskraft reichte nicht aus um den Schmerz beim Aufprall nachempfinden zu können. Er konnte gar nicht anders, als es erneut geschehen zu lassen. Dieser eine Augenblick, der seine Zweifel zu existieren verbannte.

 

Ich schritt zügig den Gang entlang, wissend von wem Ben sprach. „Na endlich! Sieh ihn dir an! Eines Tages sag ich dir, wird er komplett durchdrehen“, meinte Ben und blickte mich trübselig an. Ich warf einen Blick durch die Gitterstäbe in das karg eingerichtete Zimmer. Da stand er und liess seinen Kopf wie in Trance gegen die Wand krachen. Sein Gesicht war ausdruckslos. „Dann lass uns mal seinen Schädel retten“, entgegnete ich und hielt meinen Badge an den Kartenleser neben dem Türgriff. Es ertönte ein Klicken das signalisierte, dass die Tür entsperrt war. „Jasper?“ Ich versuchte meine Stimme sanft und doch bestimmt klingen zu lassen. Die Augen konstant auf seine Hände gerichtet, näherte ich mich ihm. Wenn mir eines in meiner Zeit als Psychiater immer wieder eingeprägt worden war dann, dass man immer mit den unerwartetsten Dingen rechnen muss. Er hielt inne. Seine Augenlieder zuckten als er den Kopf langsam zu mir drehte. Die Stirn voller Blut, den Blick von einer unheimlichen Leere erfüllt. Meine Augen lösten sich von seinen Händen, welche er immer noch auf Kopfhöhe gegen die Wand gestützt hielt. Seine Ruhe war wie eine Folter. Es gab Patienten die schrien und um sich schlugen oder apathisch vor sich hinmurmelten. Er jedoch starrte mir direkt in die Augen. Mit einem leeren und doch so unglaublich durchdringenden Blick. Es war diese Unberechenbarkeit, die mir das Blut in den Adern gefrieren liess. „Gib bloss Acht Mike, ich sag dir der treibt hier ganz ein übles Spiel.“ Auch Ben schien die kalte, reglose Art Jaspers Angst einzuflössen. „Jasper, ich möchte, dass du deine Hände auf den Nacken legst.“ Meine Stimme erklang lauter als gewollt. Die Handschellen in meiner linken Hand schepperten, doch ich nahm das Geräusch kaum wahr, so fixiert war ich auf seine Hände. Wie sie in Zeitlupe nach hinten zum Nacken wanderten und seine Augen mich zu durchbohren drohten. Mit einem grossen Schritt war ich bei ihm. Ich wusste nicht was ich erwartet hatte, doch irgendwie war ich erstaunt darüber, dass nichts geschah. Es war beinahe schon unheimlich, wie ich ihm die Arme auf den Rücken legte und die Handschellen einrasteten ohne eine Reaktion seinerseits. „In Ordnung, dann lass uns zur Ambulanz gehen“, meinte ich. „Soll ich dich begleiten?“ Ich schaute Ben an und schüttelte schliesslich den Kopf; „Nein, schon okay ich denke das werden wir hinbekommen, nicht wahr Jasper?“ Sein Blick war nun auf den Boden gesenkt. Das beruhigte mich, er wirkte so beinahe wie einer meiner apathischen Patienten. Kerim zum Beispiel verbrachte seinen ganzen Tag damit. Mit dem ‚auf den Boden‘ oder ‚an die Wand‘ starren. Ich fand es in Ordnung. Kerim lebte in seiner eigenen Welt. Er murmelte vor sich hin und ab und an schien es, als hätte er wieder einmal einen Geistesblitz. Ein Weiterer, Leotrim, war das absolute Gegenteil. Eher klein und abgemagert, er litt unter einer Paranoia. Auch ihn konnte ich gut leiden. Selbst wenn er jeweils da sass, mich mit seinen hinterlistigen Augen anfunkelte und  mir vorwarf, den Küchenchef damit beauftragt zu haben, ihm Gift ins Essen zu mischen. Er war wirklich wahnsinnig. Doch genau das war der Grund, weshalb ich mich zu dieser Laufbahn entschieden hatte. Weil ich mit diesen Psychopathen nicht nur zurechtkam, sondern sie auch akzeptierte und auf eine gewisse Art und Weise in mein Herz schloss. Bei Jasper war es etwas Anderes. Ich wusste nicht, womit ich es bei ihm zu tun hatte. Er besass unwillkürlich die Fähigkeit Menschen einzuengen – sie nervös zu machen.

 

Wir schritten schweigend den Gang entlang. Einige Patienten traten an die Gitterstäbe ihres Zimmers und musterten uns neugierig. Wenn es etwas gab, was in unserer Anstalt zu bemängeln war, dann waren es die Gitterstäbe. Von Überwachungskameras über Musikanlagen bis hin zu beruhigend wirkenden und doch zerstörungssicheren Zelleinrichtungen befand sich die Massvollzugsanstalt auf dem modernsten Stand überhaupt. Unsere beiden Gebäudekomplexe boten Platz für insgesamt 64 Patienten, wobei die Bereiche in fünf verschiedene Stufen eingeteilt wurden. Während sich im gegenwärtigen Gebäude sowohl die Einrichtungen der Stufen; V (Forensik – Hochsicherheitsbereich, 6 Zellen),  IV (Forensik – gesicherter Bereich, 6 Zellen), III (Suizid – stark überwachter Bereich, 6 Zimmer), II (Psychiatrie – kontrollierter Bereich, 20 Zimmer) als auch die Krankenstation, Caféteria, Behandlungszimmer und Dergleichen befanden, stand das kleine Nebengebäude südlich ausschliesslich der Stufe I (Wohngemeinschaft – bedingt kontrollierter Bereich, 26 Zimmer) zur Verfügung. Darin befanden sich vor allem kurzzeitig stationierte Patienten oder Diejenigen, welche auf ihre Entlassung vorbereitet wurden. Ich war hauptsächlich in den beiden Forensik-Bereichen tätig. Hier befanden sich die zwangseingewiesenen Patienten, also jene, die unabhängig davon, ob sie bereits ein Verbrechen begangen hatten oder nicht, eine Gefährdung für die Allgemeinheit darstellten. Es waren diese beiden Bereiche, bei welchen bis an auf eine komplette Renovierung verzichtet wurde und sich entsprechend, nur die Zelleneinrichtung, auf dem neusten Stand der Technologie befand.

 

„Was’n hier passiert? Ist ja ganz blutig an der Stirn. Was macht der Frischling nur für Sachen? Hey Mikey-Boy, was hat unser Neuer sich heute für 'ne geniale Idee ausgedacht?“ Wir waren an der letzten Zelle angelangt, wo sich ein magerer, bleicher Mann an die Gitterstäbe gehaftet hatte. Sein Gesicht war kantig geschnitten, die Lippen dünn und rissig. Belustigt blickte er mich mit seinen grau-grünen Augen an, in hoffnungsvoller Erwartung gleich eine packende Story erzählt zu bekommen. „Hm, denk dir was aus Dustin“, erwiderte ich grinsend. „Komm schon Mikey! Hey Frischling was hast du angestellt?“ zappelig fingerte er an den Gitterstäben herum. Jasper hob monoton seinen Kopf erwiderte jedoch nichts. „Uh, der guckt ja gruselig Mikey, ob er auch sprechen kann?“ Manchmal fragte ich mich selbst, weshalb ein solch humorvoller, aufgestellter Typ wie Dustin seine Zeit hinter den Gittern einer Psyche verbringen musste. Wäre da nicht diese Manie unter welcher er litt, würde er wahrscheinlich irgendwo in der Stadt als Komiker oder Schauspieler arbeiten. Leider war da diese Manie – eine psychische Krankheit, welche sich durch rastlose Unruhe, völlig übermässig gehobene Stimmung, starken Rededrang sowie plötzliche Wutausbrüche, auszeichnete. Den Wutausbrüchen hatte er es zu verdanken in Stufe V gelandet zu sein. Dustin’s Ausbrüche waren nicht mit jenen, anderer manisch erkrankten Patienten in unserer Psychiatrie zu vergleichen. Es war nicht einfach nur Zorn und Verärgerung. Es waren hemmungslose Aggressionen – Situationen in welchen sein hasserfüllter Geist die Herrschaft über den Körper verlor und nach Rache schrie. In solchen Momenten wiederspiegelte sich die Gier in seinen Augen – die Besessenheit zu töten. Ich erschauderte. „Nun geh schon weiter Mikey, der macht ja den ganzen Boden blutig“. Die Stimme Dustin’s riss mich aus meinen Gedanken. „Nicht, dass es mich stören würde, wenn die Putzfrau etwas länger bliebe“, meinte er zwinkernd „aber du wirst schliesslich nicht dafür bezahlt vor meiner Zelle herumzustehen.“ Ich schmunzelte und wir setzten unseren Weg fort. Bei der Sicherheitstür am Ende des Ganges drehte ich mich schliesslich noch einmal um. „Ach ja Dustin,

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Texte: Copyright by The Irony
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2012

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