Mein Beitrag zum Schreibwettbewerb Anderssein
Juni 2019
Ich bin nicht anders. Ich bin Durchschnitt.
168 cm groß wiege ich 69 Kilo und bin verheiratet.
Ich habe durchschnittliche zwei Kinder, die ebenfalls nicht aus der Reihe tanzen.
Mein Mann hat einen kleinen Bauch, der in Deutschland ebenso normal ist.
Unsere schöne, reinliche Wohnung entspricht dem deutschen Mittelmaß.
Ich arbeite 30 Stunden, mein Mann arbeitet Vollzeit bei einer großen, bekannten Firma.
Auch dieses Modell wird hier tausendfach praktiziert.
Unsere zwei statistisch korrekten Kinder haben nach der Schule den Weg der dualen Ausbildung eingeschlagen.
Der ältere absolviert gerade eine Weiterbildung, die ihn in seinem Beruf bessere Aufstiegschancen bringen wird.
Er ist vierundzwanzig und vor einigen Wochen ausgezogen. Der jüngere war schon vor einem Jahr in seiner eigenen Wohnung.
Unseren Haushalt erledige ich fast allein, mein Mann mäht den Rasen und trägt den Müll raus.
Nichts Besonderes.
Das Auto meines Mannes ist 5 Jahre alt.
Durchschnitt eben.
Mit 24 Paar Schuhen im Schrank falle ich nicht aus der Rolle.
Die 112,- durchschnittlichen Euro, die ich für Kleidung im Monat ausgebe, finde ich persönlich ein bisschen knapp.
Laut Statistik kommen die anderen deutschen Frauen aber auch damit aus.
Ich engagiere mich ehrenamtlich einmal monatlich und sortiere gespendete Sachen in der Kleiderkammer.
Gemeinsam mit Julia.
Mein Mann gehört dem örtlichen Bowlingverein an und liebt sein KFZ.
Immer samstags.
Etwa einmal im Monat gehen wir zwei essen. Meist zum Italiener am Marktplatz.
Dort esse ich gern Spaghetti Bolognese.
Warum auch nicht.
An den anderen Abenden schauen wir die durchschnittlichen einhundertachtzig Minuten Fern.
ich lese hin und wieder ein Buch oder eine Zeitschrift.
Dabei trinken wir Bier oder Wein.
Ungerne anderes.
So ist es und ich finde das gut. Es ist für mich beruhigend und sicher, Durchschnitt zu sein.
Am elften Dezember des letzten Jahres kam mein Mann überdurchschnittlich aufgeregt nach Hause.
Sein Arbeitgeber machte ihm ein ungewöhnliches Angebot.
Zwei Jahre im Ausland arbeiten.
Ungewöhnlich weit weg, überdurchschnittliches Gehalt und übermäßige Verantwortung im Job.
Wunderbar.
Ich sollte mit und die Freude war außerordentlich groß.
Wir vermieteten die Wohnung, zum durchschnittlichen Preis.
Dann kauften überdurchschnittlich große Koffer und los, zu einem außerordentlichen Erlebnis.
Ungewöhnliche Abwechslung.
Kuala Lumpur, eine abenteuerliche Stadt.
Ungewohntes beim Aussteigen aus dem Flieger.
Eine überdurchschnittliche Luftfeuchtigkeit bei 33 Grad Celsius.
Die Luft zum Schneiden und unglaubliche Abgasgerüche.
Der Flughafen, unbegreiflich modern mit ungewöhnlich schöner Architektur.
Dennoch unaufgeregt.
Unfassbar preiswertes Taxi für die Fahrt in die City.
Dort in die unmöglich hohe dreißigste Etage, unser neues zu Hause auf Zeit.
Unendlich traumhaft.
Ein, in Deutschland unmöglich irgendwo zu findender, riesiger, schöner Pool in der fünfundfünfzigsten Etage dieses Hauses.
Abends mindestens unglaubliche fünfhundert Ameisen im Bett.
Eine durchschnittlich große Kakerlake im Geschirrspüler und unbekannte Käfer an den Wänden.
Das bringt hier keinen um den Schlaf.
Die Durchschnittsdeutsche schon.
Überall sieht man so außerordentlich moderne Wolkenkratzer und ebenso Dorfatmosphäre genau dort zwischendrin.
Ausgedehnte Food Curts mit unheimlich leckerem Essen findet man an jeder Ecke.
In Deutschland wäre das bei den gewaltigen Hygieneauflagen und den Temperaturen nicht denkbar.
Die Menschen stehen dort mittags Schlange, so auch ich, statt Spaghetti Bolognese.
Frisch gepressten Saft bekommt man für unterdurchschnittliche fünf Ringgit.
Unglaublich.
Ich bin plötzlich so unbegreiflich weit weg vom lieb gewonnenen Durchschnitt, dass ich im Gegenüber zu sein scheine.
Mein morgentliches Müsli habe ich nach langem Suchen in einem kleinen Supermarkt gefunden.
An Reis und Huhn vor acht Uhr morgens kann ich mich nicht gewöhnen.
Undenkbar.
Der Alkohol kostet hier ein Vielfaches von dem, wie ich es in Deutschland gewohnt bin.
Unbezahlbar.
Die Früchte schmecken so sehr und auch so anders, dass es zu meinen täglichen Ritualen gehört, überdurchschnittlich viel davon zu essen.
Fern gesehen wird hier fast nicht mehr. Es gibt so viel zu entdecken.
Draußen so oft, wie möglich.
Überragend ist hier die Freundlichkeit der Menschen.
Keiner hier ist so übermäßig gestresst wie in Deutschland es gibt keine Aggressionen.
Anders auf den Straßen denn die sind übermäßig voll und Blechschlangen stehen mehr als dass sie fahren und es wird gehupt und es werden überall Verkehrsregeln missachtet.
Außerdem fährt man links, was mich regelmäßig wieder überrascht und Ampeln werden nicht zu ernst genommen.
Unglaublich.
Es gibt hier 1,6 Millionen Menschen. Über die Hälfte Chinesen, 39 % Malaien und 6 % Inder.
Dass ich da nicht Durchschnitt bin, ist unmissverständlich.
Mit meinen 168 cm und den 69 Kilo überrage ich zum Teil sogar die Herren hier.
Mein helles Haar und meine Sommersprossen sind immer wieder ein Grund, mich anzustarren.
Ungefragt.
Neben anderen Religionen gibt es hauptsächlich Muslime, 46,4% der Menschen.
Buddhisten sind davon 35,7 %, Christen 5,8 % und 8,5% Hindus.
Bis vor wenigen Monaten mir weitestgehend unbekannt.
Ich bin ungläubig.
Meine Bekleidung ist wenig durchschnittlich und selbst mit dunklem Haar würde ich noch auffallen.
Die mir eigene Mozzarella- farbige Haut leuchtet aus der Masse heraus.
Auch wenn ich in Deutschland schon mit Stäbchen gegessen habe, hier kann das jedes Kind besser.
Unangenehm.
Die Sonne am Äquator, ist ungewohnt heftig. Alles wirkt für mich etwas unwirklich.
Aber das alles ist gut, hier ist es Durchschnitt, ungewohnt für mich und dennoch nicht unsicher.
Anders nur und unglaublich schön.
Ist der Durchschnitt mir vielleicht irgendwo auf dem Flug verloren gegangen?
Unwahrscheinlich.
Es ist wohl doch eher eine Frage der Perspektive.
thehappiestgirl
Bildmaterialien: thehappiestgirl
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2019
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