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Ich ging zur Post. Gestern.

Ein Päckchen an einen Freund musste abgeschickt werden und an diesem regnerischen Tag, ich war sowieso  in der Nähe unterwegs, stieg ich, mit der Gewissheit die Treppe hinab, in dieses immer überfüllte, gelb dekorierte Kellergeschoss, dass lärmende Kinder und genervte Eltern, alte Leute und eilige Studenten, in einer ordentlichen Schlange bis zum Vorraum anstehen würden.

So war`s! Voll, laut, viel zu klein konzipiert für einen so dicht bewohnten Stadtteil.

Meine Laune blieb unberührt.

Ich hatte einen freien Tag und ich hatte ja genau das hier erwartet. Der Tag war wundervoll ohne Verpflichtungen und so war es mir egal, dass ich die nächsten zwanzig oder dreißig Minuten dort verbringen sollte. Ich war in Gedanken und sehr relaxt. Ich würde in der Schlange stehen, meinen Gedanken nachhängen und mir das Treiben beschauen, Mütter bedauern, aufgeregte Leute belächeln und warten was kommt. Meist passiert irgendetwas Unvorhergesehenes und das machte das Anstehen, an diesem Tag zumindest, schon fast wieder interessant. Ich hatte heute Frei!

In aller Ruhe stieg ich also die Treppen hinab. Im Vorraum befanden sich die Schließfächer und ein Briefmarkenautomat. Der funktioniert oft nicht und ein Mann, so um die sechzig, machte sich umsonst daran zu schaffen. Er hatte in seinem Aussehen und einer Art was Spießiges und erinnerte mich an meinen Vater.

Ich lief, zwangsläufig, auf ihn zu, um mich, ordentlich am Ende der Schlange anzustellen und die Entfernung betrug etwa noch vier Meter. Der Automat, der nicht funktionierte war genau so weit vom Ende der

Menschenschlange entfernt.

Der vermeintliche Vorruheständler am Automat erblickte mich. Plötzlich lief er mit einem Satz zum Ende der Schlange und um noch vor mir dort zu stehen, musste er die paar Meter fast schon rennen, sonst hätte ich vor ihm gestanden. Die Situation war an Absurdität und Lächerlichkeit kaum zu übertreffen und ich wähnte mich mit dem Eintritt in die Postfiliale in einem Paralleluniversum, in das ich versehentlich geraten war weil seine Pforten nur einmal im Jahrzehnt, genau an diesem Tag, zu dieser Zeit für zwei Minuten geöffnet sind .

Auch ich verhielt mich absurd. Heute, einen Tag später frage ich mich, ob nicht auch ich aus einem anderen schlechten Film, hier her geraten war.

Er springt also zum Ende der Schlange, schaut mich wie seinen Verfolger, mit großen Augen an und ist erst beruhigt, als er vor mir dort ankommt. Während er losspringt, spring ich auf ihn zu und rufe: " SCHNELL" und meine Armbewegungen deuten ihm, er solle sich beeilen, sonst bin ich vor ihm da und ich komme mir vor, als spiele ich mit einem zwei jährigen Kind Fangen.

Stille in meinem Kopf. Ich stehe da und frage mich, was gerade geschah. Hat da echt gerade ein Mann, der vermutlich ebenso einen leeren Tag wie ich hat, sich wie ein Idiot aufgeführt, nur um zwei Minuten früher  als ich das Postamt verlassen zu können?

Hätte der Tag nicht enorm an Wert gewonnen, er hätte mir mit einen freundlichen Geste den Vortritt gelassen, ein Lächeln auf den Lippen, fast schon ein kleiner Flirt. Ich hätte gern abgelehnt, einfach, weil mir das sympathisch gewesen wär und weil ich sowieso Zeit hatte und weil auch ich gerne höflich bin. Vielleicht hätten wir dann einen Plausch begonnen, in dem Stil, es ist ja immer so voll hier und in unserem, diesen vollen Stadtteil...

Wer weiß, was sich ergeben hätte. Vielleicht sind wir über drei Ecken Bekannte oder er hat schon seit vielen Jahren eine kleine Zweiraumwohnung in der Nähe, in die er zog, nachdem seine Frau starb.

Sie war schon so lange krank.

Vielleicht schreibt er für eine regionale Zeitung die Kolumne, ich hätt gern gewusst welche Zeitung das ist.

Jetzt hielt ich ihn einfach für das so ziemlich Schlimmste, was einem im Leben passieren kann. Ich denke, in den Grenzen und mit den Werten meines Universums, er ist ein Mensch, der den Tag mit Dingen verbringt, die ihn langweilen, sei es seine Familie, seine Pflichten, seine Schranken.

Er hat sich, vor vielen Jahren noch, gefragt, ob er die richtige Tür geöffnet hat, von denen, die sich ihm boten. Sie war die Falsche aber er schloss sie hinter sich und er ging nie durch eine Andere. Dazu war er zu  bequem.

Er war zu feige.

Heute fragt er sich das nicht mehr. Er weiß es. Heute jedoch, hat er sich damit abgefunden. Seinen Frieden hat er damit aber nicht gemacht. Er ist verbittert. Verbittert dort zu sein und nicht die Kraft zu haben, es zu ändern mit der Gewissheit, es bleibt so. Die nächsten und letzten zwanzig Jahre lebt er so weiter und seine Herausforderungen des Lebens beschränken sich darauf, als Erster in der Schlange im Postamt zu stehen und vor der blonden Frau seine Briefmarken zu kaufen. Das sind die Erfolge, aus denen er Kraft schöpft.

Er tut mir leid, dieser Mann, der auf mich den Eindruck macht, als sei er in sich gefangen und die Vielfalt des Lebens vermag er nicht zu sehen.

Ich bin voller Vorurteile. Ohne Frage ist das kein schöner Wesenszug.

Es ist nur so, dass das Leben mich immer wieder auf diese Weise enttäuscht und mir seine hässlichen Seiten zeigt. Auch ich habe hässliche Seiten. Wer hat sie nicht.

Fraglich ist, ob Jeder die seinen kennt oder wenigstens in der Lage ist, sich zu reflektieren und es für möglich zu halten, dass es die hässlichen Seiten gibt.

Wär damit nicht der erste Schritt gemacht, das Miteinander harmonischer zu machen.

Mach ich mir was vor, hier, in meinem Universum?

Ich hoffe nicht!

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Tag der Veröffentlichung: 05.07.2011

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