Pölsterchen
am Po
The happiest girl
PÖLSTERCHEN AM PO
Vier Jahre waren sie ein Paar.
Es waren die vier glücklichsten ihres Lebens.
Nachdem ihre erste große Teenagerliebe sie so
schmerzlich enttäuscht und, schon kurz nach der,
für sie so glückliche Botschaft, wir bekommen ein
Baby, verlassen hatte, kam er.
Ihr erster Freund hatte ihr sehr weh getan. Er
hatte sie betrogen, belogen und hintergangen. Er
hatte andere Frauen, mehr als sie sich vorstellen
konnte und er verwandelte sich Tag für Tag mehr
vom wunderschönen, starken, blonden Sunnyboy
in einen, dem Alkohol verfallenden, mit den Jungs
losziehenden, rechts denken und handelnden
Idioten.
Er schlug die Wohnung kaputt, er schlug sie und
sie traute sich nicht, von ihm weg zu gehen.
Sie hoffte immer, dass er sich wieder ändern
würde, dass er zu ihr zurück finden würde und
dass er ihr wieder Halt geben würde so wie
damals, als sie sechzehn Jahre alt waren und sie
ihre Zeit am See verbrachten und er ihr Blumen
klaute oder als sie sich liebten, in ihrem kleinen
Zimmer in der Wohnung ihrer Eltern wo Poster
von ihren Lieblingsstars an der Wand hingen und
wo sie sich die gemeinsame Zukunft ausmalten.
Eines Tages wurde er geholt. Er ging ins Gefängnis.
Jetzt war sie ganz allein.
Lange Zeit lebte sie mit dem kleinen Jungen allein
und sie fürchtete sich vor dem Tag, an dem er
entlassen und sie ihn wider sehen
würde.
Die Ängste und die Einsamkeit endeten, als er in
ihr Leben kam. Freunde hatten ihn ihr vorgestellt
und sie mochten sich sofort. Der Abend, an dem
sie sich kennen lernten, war wundervoll. Es war
die letzte Aprilnacht und der Tanz in den Mai
endete mit einem Spaziergang durch den Wald.
Auf einer Lichtung stand Nebel über dem milden
Grün der Waldwiese. Er wärmte sie mit seinen
starken Armen und seine Lippen auf ihrem Gesicht
heilten ihre Wunden und ließen sie vergessen,
wie allein und verletzlich sie war und sie ließ ihn
schon in dieser Nacht in ihr leben und öffnete ihm
ihr Herz, wie sie es nie wieder tun wollte.
Schon bald zog er bei ihr ein. Er zog in ihre
Wohnung, in ihre Familie und in ihr innerstes ein.
Sie öffnete alles für ihn. Ihre Wohnung, ihre
Familie und ihr Innerstes und sie fühlte sich wohl
mit ihm.
Es gab schöne Tage, romantische Nächte und
zärtliche Gesten und Berührungen zwischendurch.
Es gab alles, was sie so lange vermisste und
entbehrte. Alles, außer Blumen. Blumen brachte
er ihr nie. Obwohl sie ihm sagte, welche sie so
liebte kaufte er ihr nie welche.
Aber er war mehr wert als Blumen. Es war nicht so
schlimm. Er machte ihr Leben perfekt. Sie und er
und das Kind. Familie. Auch ohne Blumen. Er war
so schön. Wunderschön anzusehen, ein Mann,
nach dem sich andere Frauen umschauten. Er
schaute nicht nach anderen Frauen. Er gehörte
ihr. Wozu auch Blumen. Er roch ja so gut. Und wie
er sich kleidete. Er sah so schick aus, dass sie sich
manchmal wünschte, er wär nicht ganz so sehr
schick.
Manchmal fragte sie sich, ob sie dem denn
genügen konnte. War sie nicht ein wenig dick? An
den Hüften und am Po waren doch so ein paar
Pölsterchen, die sie sich weg wünschte. Aber er
war so schön. Ein so schöner Mann liebte sie.
Womit hatte sie ein solches Glück verdient? War
sie doch auch nicht ganz so gebildet wie er. Er war
so schlau. So ein schlauer Mann. Er konnte alle
Fragen beantworten. Er sagte auch ihrem Kind,
wenn es den Anforderungen in der Schule nicht
gewachsen war, dass das so nicht weiter ginge.
Manchmal brüllte er das Kind auch an. Aber er
meinte es nicht so. Eigentlich meinte er es gut mit
ihm. Es sollte lernen und sich bilden und ein Abitur
schaffen und ohne zu brüllen ging es eben nicht
immer. Was für ein schlauer Mann. Er brachte
auch Bildung in ihr Leben.
Am Sonntag, bevor er zum Fußball ging, der Sport,
den er so liebte, gab es Frühstück. Frühstück
gemeinsam. Als Familie. Mit Brötchen und Kaffee,
Obst und allem, was man als Familie so braucht.
Zusammen am Tisch, zu dritt als Familie. Es war so
schön. Ohne Blumen zwar aber zu dritt. Recht früh
auch, ausgeschlafen wurde nicht aber sie schliefen
zusammen.
Früher hatte sie am Sonntag lange geschlafen. Es
war der Tag, der ihr gehörte. Lange geschlafen,
Kaffee auf dem Balkon getrunken, ein Buch in der
Hand und Blumen auf dem Tisch. In den Tag
hineingeträumt und sich treiben lassen. Bis zum
Nachmittag im Pyjama, die Haare ungekämmt
und den Kaffeepot in der Hand. Mit Sonne im
Gesicht, bis eine Freundin anrief und zum
Spazierengehen einlud. Lange Gespräche im Park,
lautes Lachen am See, kindisches Gekicher im
Cafe‘. Er mochte dieses alberne Lachen nicht und
sagte, wenn die Freunde in der Nähe waren, „Sei
nicht so albern!“ Er brachte auch Benehmen in ihr
Leben. Sie hielt sich für so einfach, so weltfremd.
Er konnte diese Lücken füllen, er wusste immer, wie
man sich benahm und auch das Kind sollte davon
profitieren.
Und er hatte ein Auto. Jetzt gingen sie gemeinsam
einkaufen und er trug auch die schweren Sachen
nach oben. Sie musste nichtmehr am Freitag mit
dem Rucksack los um all die Dinge fürs
Wochenende zu kaufen. Sie schleppte so lange
allein all die schweren Lebensmittel und die
Getränke für sich und ihr Kind im Rucksack nach
Hause und die Blumen trug sie in der Hand.
Oft war das Geld sehr knapp. Sie musste sparen.
Jetzt hatte sie eine gemeinsame Kasse
eingerichtet. Eine alte Vase in der Küche sollte von
wöchentlich von Beiden mit einem festen Betrag
gefüllt werden. Er war einverstanden. Letzte
Woche musste er es wohl vergessen haben, nicht
so schlimm, ihn deswegen anzusprechen und
einen Streit zu riskieren oder vielleicht schlechte
Laune, das war es nicht wert. Er war erst seit
kurzem beruflich in eine Selbstständigkeit
gegangen und vielleicht konnte er diese Woche
nichts in die Kasse geben und es war ihm peinlich
ihr das zu sagen. Vielleicht. Sie wollte ihm Zeit
geben und sah darüber hinweg.
Wenn er mal den Einkauf für die Woche bezahlte,
dann hielt sie sich zurück. Sie nahm nicht das
teure Müsli aus dem Regal sondern dieses ,
welches gleich daneben stand. Es kostete zwei
Euro weniger und sie wollte ihn doch nicht an der
Kasse in Verlegenheit bringen. Blumen kaufte sie
auch nicht.
Mit der Zeit gewöhnte sie sich an seinen Sport.
Zwei Mal in der Woche war er deshalb lange
unterwegs. Er ging trainieren und danach noch auf
ein Gläschen mit den Freunden. Sie waren wichtig
für ihn. Er kannte sie auch schon seit er ein Kind
war und sie musste das akzeptieren. Der Sonntag
war dann immer sein Tag. Es gab entweder
Auswärtsspiele und er musste sehr früh weg oder
er spielte zu Hause. Dann ging er früher, um die
Jungs vorher zu treffen. Manchmal ging sie hin um
zuzuschauen. Sie mochte es nicht aber so konnte
sie in seiner Nähe sein, ein wenig näher an seiner
Welt.
Das Kind wurde älter und war schon fast kein Kind
mehr. Wieder einmal brüllte er es an und er sagte,
dass das Kind ziemlich blöd sei. Jetzt fühlte sie
einen Schmerz und sie traute sich nicht, dem
Schmerz zu folgen. Sie sagte sich, dass Eltern mit
Halbwüchsigen öfter stritten und dass das dazu
gehöre. Im Innersten spürte sie, dass er nicht nur
das Kind sondern auch sie schwer verletzt hatte.
Sollte sie reagieren? Ihm sagen, dass sie es nicht
dulde, wenn er so demütigend auf das Kind mit
Worten einschlug? Sollte sie ihr Kind in Schutz nehmen? Sie
hatte das Gefühl, dass er sich abwenden könne,
dass er sie mit Nichtachtung strafen würde. Bevor
sie das ertragen konnte, konnte sie eher seine
Demütigung ertragen. Das Kind würde bald
ausziehen. Was hätte sie dann noch, wenn er sich
abwenden würde? Sie wär wieder allein. Alles
würde sie ertragen nur die Einsamkeit nicht. Sie
schwieg, tröstete das Kind als er es nicht bemerkte
und sie redete sich ein, er meinte es nicht so.
Vielleicht hatte er einen anstrengenden Tag in der
Firma und war deshalb so gereizt. Vielleicht.
Er brachte noch immer Halt in ihr Leben und seit
er da war hatte ihr Leben Struktur. Sie hatte sich
lange nicht mehr so sicher gefühlt und so
aufgehoben.
Dann kam der Tag, vor dem sie sich so lange schon
fürchtete. Der Vater des Kindes wurde wieder in
die Freiheit entlassen. Er rief sie an, wollte sie
sehen. Genau so hatte sie es erwartet und sich
gewünscht, der Tag wär so fern. Doch das war er
nicht. Schon bald stand der dick gewordene und
abscheulich anzusehende Mensch vor ihrem Haus
und wollte haben, was ihm schon immer gehörte.
Sie.
Die Zeit hinter Gittern hatte ihn zum Tier gemacht.
Sie erkannte den Mann nicht mehr, in dessen
Armen sie als Teenager lag, mit dem sie einst so
viel plante und mit dem sie noch heute das
gemeinsame Kind verband. Er war verroht und
sein Innerstes war zu Stein geworden. Er hasste
die Welt und er wollte sie zurück.
Als sie ihn an der Gegensprechanlage hörte,
wurde ihre Angst wahr und sie weinte.
Welches Glück hatte sie, weil er in ihr Leben
gekommen war. Der neue Mann, der schöne,
gebildete, der sportliche, der so gut riecht. Er
würde sie beschützen. Sie würde in Kürze in
seinen Armen liegen und seine Wärme fühlen,
wie einst in der Aprilnacht. Damals im Wald als
der Nebel über der Lichtung stand und sie seinen
warmen Atem in ihrem Gesicht spürte. Die Nacht,
als er sie mit Küssen bedeckte und sie sich liebten
und ihre nackten Körper sich berührten, sie eng
umschlungen ineinander lagen und sie sich so
sicher fühlte.
Sie hatten das schon lange nicht mehr getan. Oft
fragte sie sich, ob die Pölsterchen am Po der
Grund waren. Manchmal war sie sich sicher.
Schon oft hatte sie sich, weil sie sein Interesse
wieder wecken wollte, schöne Dessous gekauft,
hatte gebadet und ihn duftend und wunderschön
empfangen. Er schien sich schon zu freuen aber er
wollte diese Art der Nähe oft nicht und er hatte
bestimmt auch Gründe dafür. Gefragt hat sie ihn
danach nie. Die Angst vor der Antwort war zu
groß.
Was, wenn er gesagt hätte, dass die Pölsterchen
am Po zu groß sind oder dass er sie nicht mehr
aufregend findet? Sie war sich sicher, dass auch
das wieder in Ordnung kommt, wenn die Zeit
dafür da sei.
Die Türklingel hörte nicht auf zu schellen und das
Geräusch machte sie krank. Der, der sie jetzt
beschützen und im Arm halten sollte war ein
plötzlich ein Anderer. Sie erkannte ihn nicht
wieder und ihre romantischen Erwartungen
wurden von der Realität zertreten und bespuckt.
Ihr Beschützer verwandelte sich in ein bleiches,
am ganzen Körper schlotterndes Kind, welches
plötzlich hinter ihr stand und nur noch zu flüstern
vermochte.
Das Tier vor der Eingangstür hatte derweil die
erste Tür zum Hof aufgetreten und ließ die
Wirklichkeit einmal mehr ganz klar vor ihr
erscheinen. Jetzt war der Einsneunzigmann mit
seinem tierischen Verhalten und den 120 Kilo auf
direktem Weg zu ihrer Wohnungstür und nur zwei
Stockwerke und eine Wohnungstür aus
Presspappe trennten sie von ihm und das
kreidebleiche Kerlchen hinter ihr war in einen
lethargischen Zustand gefallen und nur sein
Zittern verriet ihr, dass er überhaupt noch am
Geschehen teil nahm.
Glücklicher Weise hatte ein Bewohner des Hauses
schon von Anfang an ein Auge auf das Geschehen
und die Polizei war so schnell da, dass im
Handumdrehen keine Gefahr mehr bestand. Ganz
schnell war das Tier wieder hinter Schloss und
Riegel, weil es seine Bewährungsauflagen mit der
zertretenen Tür nicht erfüllt hatte. Sie war ganz
schnell wieder sicher und konnte nun auch das
Kerlchen beruhigen.
Er trank als erstes einen Schnaps. Noch nie hatte
er das getan. Heute war es nötig und die
Beschimpfungen wurden wild, jetzt, wo das Tier
wieder hinter Gittern und somit für ihn
ungefährlich war.
Er machte ihr Vorwürfe. Er war böse und sehr
verärgert über das Geschehene und die Vorwürfe
endeten nicht. Nach einer Weile machte warf sie
sich selber vor, das sie das nicht verhindert hatte.
Warum musste sie ihn in solch eine Situation
bringen? Sie fühlte sich, einmal mehr, nicht gut
genug für ihn. Ihretwegen hatte er das ertragen
müssen.
Sie fragte nicht sich und nicht ihn, warum er nicht
handelte, als sie ihn gebraucht hatte. Warum er
sie nicht in den Arm genommen hatte, sie nicht
wärmte und beschützte. Die Angst vor den
Antworten war, einmal mehr, zu groß.
Die Zeit verging, die komischen Gefühle im Bauch
verdrängte sie gut. Der Frühling gab ihr Hoffnung
und der Sommer wärmte sie. Blumen gab es
nicht aber ihre Eltern mochten ihn gern und seine
Eltern mochten sie.
Wieder malte sie sich mit einem Mann die
Zukunft aus und sie hätte zu gern noch ein Kind
gehabt. Ein Kind von ihm, noch einen Halt in ihrem
Leben, einen Grund für ihn, nie wieder zu gehen,
sie war doch so glücklich. Er schmetterte das ab,
er wollte das nicht, er warf ihr Träumerei vor und
wie das denn in der kleinen Wohnung gehen solle.
Ein Umzug käme nicht in Frage. Sie würde zu
wenig verdienen und so könne man sich weder
das Eine noch das Andere leisten.
Ihre Traurigkeit war grenzenlos und sie war sicher,
dass ein neuer Job die Lösung sei. Sie kämpfte,
ohne Blumen, um die Beförderung und sie bekam
ihren Fleiß belohnt. Neuer Job, mehr Geld,
Beförderung und noch mehr Geld.
Sie fragte aber nicht mehr nach dem Baby und
nach dem Umzug fragte sie auch nicht. Die Angst
vor der Antwort war zu groß. Sie war doch
glücklich. Wozu seinen Unmut wecken. Jetzt
verdienten Beide gut und eigentlich hatten sie ja
alles.
Irgendwie kränkelte sie immer wieder.
Kopfschmerzen, Halsschmerzen und immer mal
wieder dieses Herzrasen. Gedanken machte sie
sich keine, vielleicht überarbeitet, vielleicht liegt
es am neuen Job, fühlte sie sich doch oft
überfordert.
Sonst lief Alles so gut. Alles war schön. Ohne
Blumen zwar, auch ohne Baby und noch immer in
der kleinen Wohnung aber sie war nicht allein. Sie
waren eine Familie und sie war, wie ihre
Freundinnen, nicht mehr allein.
Ihre Freundinnen traf sie selten . Sie hatte gar
keine Lust mehr auf diese Nachmittage am See,
kindisch kichernd im Park und albern in Cafes . Sie
hatte doch ihn.
Nur einmal war sie mit den Mädels in letzter Zeit
unterwegs. Man traf sich am frühen Abend in
einer Kneipe um zu reden und zu lachen, um zu
trinken und später zu tanzen. Ein Weiberabend,
wie es ihn früher so oft gab, ein Abend wie der, an
dem sie ihn kennen lernte. Später kamen die
Jungs dazu und oft ging man erst am Morgen nach
Hause.
An diesem Abend war sie mit den Mädels
unterwegs. Er war beim Fußball. Einmal mehr.
Gegen 22.00 Uhr würde er zu Hause sein. Der
Abend mit ihren Freundinnen begann dann erst richtig.
Sie waren alle sehr schön zurecht gemacht und
der eine oder andere Mann schaute freundlich
oder flirtend in die Mädchenrunde und sie
merkten es gar nicht, weil sie so viel zu erzählen
hatten.
Das Gelächter war groß und der Abend versprach
wunderschön zu werden. Wie sollte sie denn den
Freundinnen jetzt sagen, dass sie nicht mehr
mitgehen wollte. Sie hatte keine Lust auf das
Gekicher und auch nicht aufs Tanzen. Keine Lust
über Männer zu reden und keine Lust auf Alkohol.
Sie wollte gern nach Hause. Gegen zehn wär er
auch daheim und sie könne sich neben ihn aufs
Sofa setzen und selbst wenn nur die Sportschau
lief, wär sie doch in seiner Nähe und einfach bei
ihm.
Auf dem Kneipentisch standen Blumen und zehn
verstörte Augen sahen sie an, als sie sagte, dass
sie jetzt los müsse. Es gab dann keine Abende wie
diese mehr. Die Mädels riefen immer wieder an
und fragten, ob sie am Wochenende mitkäme,
ob sie ihn auch mitbringen würde, die anderen
Männer kämen ja auch aber sie wollte nicht. Also
gingen sie allein.
Die Kopfschmerzen wurden schlimmer und die
Zeiten mit ihm wurden seltener. Er arbeitete sehr
viel und er schlief sofort, wenn er nach hause kam.
Sein Job fraß ihn auf. Er tat ihr leid. Die
Wochenenden nutzte sie, um seine Rechnungen
zu schreiben, während er beim Sport war. So
konnte sie ihn wenigstens ein bisschen
unterstützen. Das Herzrasen machte ihr Sorgen.
Der Sommer kam erneut aber in diesem Jahr
bemerkte sie es kaum. Der Alltag ließ nicht viel
Platz für's Schöne und die Blumen in den
Balkonkästen wollten nicht blühen. Warm war es
auch nicht. Der geplante Urlaub gab Hoffnung.
Eine Woche am Meer.
Einer ihrer ältesten Freunde, ein liebenswerter
Mann, lebte dort mit einem Mann zusammen in
einem Haus und als die Einladung kam störte ihn
die gleichgeschlechtliche Liebe der beiden Männer
nicht und im Juli sollte es los gehen. Sie konnte es
kaum erwarten. Eine Woche würde sie ihn nur für
sich haben. Eine Woche den Sommer im Haar, den
Sand auf der Haut und in seinen Armen am Strand
spazieren. Am Abend mit den Freunden beim
Essen vorm Haus sitzen, ein Gläschen Wein
trinken und reden. Sie würden ihn mögen. Ganz
bestimmt . Er war ein Mensch den man mochte
und der sich gut in Situationen einfinden und
schnell Kontakte knüpfen konnte.
Diese Kopfschmerzen machten ihr zu schaffen und
sie hoffte, in der einen Woche würde sich das alles
lösen, was sie jetzt so beschäftigte. Endlich Zeit für
nur zu Zweit.
Im Juli fuhr man los. Mit dem Auto vier Stunden
und dann mit der Fähre auf die Insel . Die zwei
Männer erwarteten sie schon am Hafen und die
Sonne schien wundervoll. Es war so, wie sie es sich
gewünscht hatte. Schnell freundeten sich die drei
Männer an und es gab viel zu reden. Das Haus der
Beiden müsse gestrichen werden. Im Haus gab es
kleine Reparaturen zu erledigen und wenn dann
noch Zeit wäre, könne ein neuer Anstrich in den
Zimmern auch nicht schaden. Die Männer redeten
und redeten.
Sie ging an den Strand. Allein. Blumen wuchsen
dort nicht. Der Wind war kalt und die Sonne
wärmte nicht.
Am Abend ging sie früh zu Bett. Der Kopf tat weh
und es kam ihr vor, als würde ihr Herz schneller
schlagen als sonst. Schön, dass sie endlich diesen
Urlaub hatten. Kopfschmerzen konnte sie jetzt
wirklich nicht gebrauchen. Sie konnte nicht
schlafen. Das störte sie nicht. Sie wartete auf ihn.
Sie freute sich auf seinen warmen Körper. Sie
wartete auf den Mann, den sie schon so lange
nicht mehr umarmt und an sich gezogen hatte.
Den sie schon so lange nicht mehr in sich gespürt
hatte, weil er immer so müde war.
Die Zeit verging aber sie wurde nicht müde. Der
Kopf hämmerte dumpf und unten in der Küche
wurde wild diskutiert. Sie tranken Bier. Sogar er
trank, das tat er sonst nie. Er redete laut und viel
und alle drei lachten und waren ausgelassen wie
alte Freunde. Schön, dass er so gut mit ihren
Freunden zurecht kam. Sie schlief ein.
Der nächste Tag begann und Alle frühstückten
vorm Haus. Die Sonne schien aber der Wind war
kalt und in einem Beet hatte Jemand Blumen
gepflanzt. Sie blühten.
Sie ging allein an den Strand. Den Grund, warum
er nicht dabei war, vergaß sie schnell. Sie
sammelte Steine und hing ihren Gedanken nach.
Sie konnte ein wenig zu sich finden und das
Wasser an den Füßen tat ihr gut. Sie liebte das
Meer und doch war sie hier nicht glücklich.
Die Woche verging im Flug. Vier Stunden hatten
sie allein für sich gehabt. Vier Stunden, die er sich
Zeit für sie nahm. Die Nächte vergingen einsam. Er
blieb in der Küche mit den Jungs. Sie tranken und
redeten und er schien glücklich zu sein. Sollte sie
ihn jetzt etwa fragen, warum er seine Zeit nicht
mit ihr verbrachte. Die zu erwartende Antwort ,
die er nie ausgesprach weil sie ihn nie fragte,
machte ihr Angst.
Die Fahrt nach Hause sollte lang werden. Ein Stau
würde die Stimmung gänzlich trüben und sie
fühlte sich heute besonders unwohl.
Der Kopf schmerzte schon seit dem Morgen und
diese innere Unruhe machte sie fertig. Er hatte sie
forsch angefaucht, als sie ihre Tasche in den
Kofferraum räumte und sie fragte nicht warum.
Sie hatte mit sich zu tun an diesem Morgen.
Die zwei Männer blieben auf der Insel, sie waren
dankbar für die Abwechslung , die der Besuch mit
sich brachte und die Pläne für die Renovierung des
Hauses waren fest gemacht.
Er fuhr los. Die Sonne schien. Ihre Kopfschmerzen
fühlten sich wie Nadeln im Kopf an und ihr Herz
raste und raste.
Auf der Fähre stieg sie aus dem Auto. Sie musste
sich übergeben und es war ihm sehr peinlich, als
andere Urlauber, die auch auf der Heimfahrt
waren, ihn fragten , ob sie helfen könnten.
Zu Hause angekommen musste sie ins
Krankenhaus. Ihr Herz schlug, als wäre es völlig
aus den Fugen geraten. Ihre Innere Stimme brüllte
sie an, aufzuhören, sich weiter zu quälen aber sie
hörte nicht zu. Sie erstickte sie mit einer Decke
aus Ignoranz. Sie fühlte sich in der Opferrolle gut.
Er kam zu ihr ans Krankenbett.
Er rief sie an und er brachte ihr Blumen. Sie hatte
es doch gewusst. Sie wusste immer, dass er sie
auch liebt und vielleicht war das Thema mit dem
Baby ja doch noch nicht ganz aus ihrem Leben
verschwunden.
Die Ärzte untersuchten sie gründlich. Finden
konnten sie nichts. Ihre Kopfschmerzen und das
Herzrasen hatten keine organische Ursache und
sie ging zum Psychologen.
Der sagte ihr ziemlich schnell, was sie krank
machte und sie war am Boden zerstört. Sie war so
traurig.
Er, der ihr Blumen ins Krankenhaus brachte,
fragte , als sie bei Freunden zu Gast waren und
über ihren Urlaub und den Zusammenbruch
geredet wurde, warum denn immer er die kranken
Frauen bekäme. Seine Exfrau hätte ein solches
Leiden auch gehabt und er könne nicht glauben,
dass es nun wieder genau so sei. Alle lachten.
Reagieren konnte sie nicht.
Sie lebten weiter zusammen und ihr Leiden
integrierte sich in ihr Leben. Das Baby blieb
unausgesprochen und der Umzug auch. Sie blieb
krank und er ging zum Sport. Blumen gab es keine.
Eines Tages kam ein Brief für ihn. Er las ihn und die
Freude in seinem Blick war so groß, dass sie sich
fragte, ob die Einladung zu einem Klassentreffen,
irgendwen genau so glücklich machen könnte,
wie es ihm gerade geschah.
Der Tag des Treffens war schnell heran und so
unruhig wie an diesem Nachmittag hatte sie ihn
selten gesehen. Er duschte länger noch als sonst
und dann zog sein neues Hemd an.
Da war er wieder. Der Mann, der so schick aussah
und der so gut roch. Sie fand ihn umwerfend und
hätte sich an diesem Tag noch einmal in ihn
verlieben können, hätte sie ihn nicht schon so
über Alles geliebt.
Er musste los und küsste sie im Vorbeigehen kaum
merklich auf die Wange. Als er die Treppen nach
unten lief kam ihr die Wohnung kühl vor und sie
schloss das Fenster.
Nie wird sie die Nacht vergessen, als er vom
Klassentreffen zurück kam. Sie wusste, dass sie
ihn in dieser Nacht verloren hatte. Für immer. Sie
sah es, bevor er etwas zu ihr sagte.
Vier Tage später zog er aus. Er hatte seine
Jugendliebe wiedergetroffen und die Beiden
hatten sich offensichtlich noch viel zu sagen. Er
zog mit ihr in eine große Wohnung. Sie heirateten
drei Monate später und er schenkte ihr Blumen.
Ob sie noch ein Baby bekamen weiß man nicht.
Ihre Kopfschmerzen sind weg. Das Herzrasen auch.
Die Einsamkeit ist da. Jeden Tag und jede Nacht.
Ihre Pölsterchen sind ihr einerlei.
Sie kauft sich jetzt ihre Blumen selber. Seit sechs
Jahren schon.
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine beste Freundin.