Kapitel 1
1561:
Der Winter lies den Schnee kalt und erbarmungslos gegen den Petersdom im Vatikan peitschen. Roms Straßen waren Menschenleer. Nichts außer dem knarren von Holz und dem Geräusch des Windes der sich pfeifend seinen Weg durch die Ritzen der Gemäuer suchte. Auf den Steintreppen des Nordeingangs des Petersdoms lag ein Mann. Er war schwer verletzt. Seine Kleidung zerrissen. Sein Blut benetzte teile der sonst grauen Stufen und färbte den Schnee der auf ihnen lag rot. Sein schwarzes, halblanges Haar war schon von einer dünnen Schicht weisem Schnee bedeckt. Auch auf seiner Schulter und seiner Hüfte hatte sich das weise Nass angesammelt. Doch der Mann regte sich nicht. Er war bewusstlos und durch den Blutverlust sehr geschwächt. Knarrend ging das große, massive Tor des Petersdoms auf und ein Priester kam heraus. „La madre di dio!“ rief der Priester und schlug die Hände vors Gesicht. Schnell lief er zurück in den Dom, kam wenig später mit einigen anderen Priestern heraus. Sie trugen den bewusstlosen Mann in den Dom und legten ihn hinten in den Gemächern auf eine der Liegen. Ein Mediziner wurde gerufen und der Mann so gut es ging versorgt. Die Wunden waren nicht tief dafür aber zahlreich wie man feststellte. Als die Blutungen gestoppt waren trug der Mediziner eine Kräuterpaste auf die Wunden auf, verband ihm diese dann und legte ein feuchtes Tuch auf seine Stirn. Doch der Mann wachte nicht auf. Nicht in dieser Nacht und nicht in der nächsten. Er bekam Fieber und sein Zustand verschlechterte sich drastisch. Man glaubte nicht mehr an das Überleben des namenlosen Mannes. Doch dann besserte sich der Zustand und der Mann sank ihn einen Dämmerschlaf er war zwar immer wieder wach, konnte essen und etwas trinken, sank dann aber wieder in Fieberträume. Immer noch wusste man keinen Namen von dem Fremden und anscheinend wusste er selbst ihn auch nicht. Er rief in seinen Fieberträumen immer wieder einen Namen. Den Namen einer Frau. Lillian. Erst einige Wochen später konnte sich der Fremde wieder bester Gesundheit erfreuen.
„Schön das wir euch noch zu den lebenden zählen können“ sagte ein Pater, der mit einer Schale Reis und Bohnen kam und sich zu ihm setzte. „Hier esst. Ihr braucht eure Kraft“ Der Mann im Bett nahm die Schale, sah den Pater verwirrt an. „Habt dank. Aber darf ich erfahren wer ihr seid? Wo bin ich? Und was ist passiert?“ fragte der schwarzhaarige wissbegierig, begann trotzdem den Reis und die Bohnen zu essen. Hungrig setzte der Mann die Schale an seine Lippen und schob das Essen mit den Finger in seinen Mund. „Du bist im Vatikan mein Sohn. Das hier ist der Petersdom. Wir fanden dich draußen auf den Stufen des Nordeingangs. Du warst schwer verwundet und kaum noch am Leben.“ Erklärte der Pater ihm. „Aber lasst mich euch erst einmal vorstellen. Mein Name ist Pater Christopher. Wie ist euer Name?“ Der Mann auf dem Bett wirkte nicht ganz bei sich. „Ich…Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht wer ich bin.“ Angst strahlten seine Augen aus. Große Angst. Er wusste nicht wo er herkam, wer er war oder wie er hieß. Seine ganze Identität war ihm ein Rätsel. „Ruhig mein Sohn. Du wirst zu dir selbst finden. Mit der Zeit. Doch für jetzt brauchst du einen Namen. Wir werden dich Julian nennen.“ Pater Christopher streichelte ihm beruhigend über den kopf. Julian lächelte sanft, schloss wieder die Augen. „Ich bin sicher das du mit der Zeit herausfinden wirst wer du bist mein Sohn. Bis dahin bist du bei uns herzlich willkommen. Wir werden dich lehren was das Leben zu bieten hat. Keine angst. Du musst kein Pater oder Priester werden.“ Julian sah ihn erleichtert an, lächelte dankbar. „Habt dank. Ich weis nicht womit ich eure Güte verdient habe Vater“ sprach er mit leiser, geschwächter Stimme. „Das erkläre ich euch ein andermal. Nun schlaft. Ihr braucht euren Schlaf. Wir wollen bald mit dem Unterricht beginnen. Es wäre vorteilhaft wenn ihr bis dahin gesund seid.“ Wieder streichelte der Pater Julian über den Kopf. Es war verwunderlich aber Julian fühlte sich sicher hier. An der Seite des Paters. Wie unter der schützenden Hand eines Vaters. In gewisser weise war Christopher das auch für den jungen Mann ohne Erinnerung. Seufzend fiel Julian wieder in einen tiefen Schlaf.
Julian träumte von einem Mädchen. Sie hatte braunes, hüftlanges Haar. Ihre Augen waren grün wie Smaragde. Sie trug ein schönes, blaues Abendkleid mit Perlen und Verzierungen bestickt. Es schmeichelte ihrer Figur und ihrem Körper ebenso wie ihre Haare ihre Hüfte umschmeichelten. Als sie sich zu ihm umdrehte hing ihr Kleid plötzlich in Fetzen. An manchen Stellen sah es angesengt aus. Ihr Gesicht war schmutzig und ihre schönen Augen rot vom weinen. „Bitte…Hilf mir“ wisperte sie leise und streckte die Arme hilfesuchend nach Julian aus. Er ging auf sie zu, hatte sie fast erreicht. Doch plötzlich stieß sie einen Schrei aus und ihr Kleid entflammte. Ebenso wie ihr Haar und schließlich war sie gänzlich von Flammen umhüllt. Das war der Moment indem Julian selbst in seinem Bett erwachte. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und er Atmete schnell. Hastig sah er sich um aber im Raum war es dunkel. Seufzend ließ er sich wieder in die Kissen fallen und fuhr sich über sein Gesicht, bis in die Haare hinein. Es war tiefste Nacht und totenstille in seiner Unterkunft. Julian wollte sich die Beine vertreten, den Traum verdauen, ihn am besten vergessen. Also machte er sich auf das Zimmer zu verlassen und sich um zu sehen. Er spitzte die Ohren um zu hören ob noch jemand wach war. Aber das einzige was seine Ohren wahrnahmen war das scharren der Ratten die hier durch sausten. Auf leisen Pfoten immer nur ein leises kaum vernehmbares scharren hinterlassend. Als Julian die Holztür seines Zimmers öffnete knarrten die Eisenbeschläge, sodass er zusammen zuckte und die Tür sofort still hielt. Irgendwie beschlich ihn das Gefühl das er nicht wach sein sollte. Oder zumindest nicht sein Zimmer zu verlassen hatte. Behutsam setzte er einen nackten Fuß auf den kalten Steinboden, trat aus der Tür und schloss sie ebenso behutsam wieder. Diesmal gab es nicht das kleinste Geräusch. Erleichtert wand er den Blick nach rechts, sah den langen dunklen Flur entlang. Er sah zu seiner linken, erblickte dort den Flur hell erleuchtet. Fackeln ließen das Feuer flackernd an den Wänden widerscheinen. Ab und an säumte ein kleiner Holztisch den gang. Meist sah er ein oder zwei Stühle daneben stehen. Auf Zehenspitzen ging er den Gang hinunter, schnappte sich eine der Fackeln aus den Halterungen, rieb sich kurz über die Arme. Vielleicht hätte er sich doch den Morgenmantel überziehen sollen. Im Gang war es kalt und er trug nur ein dünnes Leinennachthemd. Nun wagte er sich mit der Fackel bewaffnet in den dunklen Teil des Flurs vor. Er wollte einmal sehen warum dieser Teil nicht mit Fackeln erleuchtet war und einen eben so sehr wohnlichen Eindruck machte wie der andere Teil des Flurs. Doch spendete die eine Fackel nicht übermäßig Licht. Vielleicht gerade genug um ein kleines etwa einen halben Meter großes Sichtfeld zu ermöglichen. Vorsichtig und leise schlich er weiter durch den dunklen Flur, achtete kaum darauf wo er hintrat. Nach wenigen Schritten erkannte er vor sich einen schemenhaften Umriss. Die Augen zusammen gekniffen schlich er sich näher heran um es zu erkennen. Sein Herz schlug jetzt schon schneller. Ja er hatte Angst. Zwar nur wenig aber sie war da. Die Neugier aber, herauszufinden was da war und warum dieser Gang so geheimnisvoll verdunkelt war, siegte über die Angst, die ihn zurück in sein warmes und sicheres Bett zog. Er zuckte leicht als er unter seinen Füßen plötzlich etwas Weiches spürte. Nicht der kalte Stein auf dem er bis jetzt gelaufen war. Er sah nach unten, erkannte einen Teppich. Rot und anscheinend lang, nach geradeaus gehend. Die Ränder waren golden verziert, viele kunstvoll ausgearbeitete Stickereien fand er auf dem Teppich. Er kniete sich hin um zu erkennen was die Stickereien darstellten. Engel, seltsame andere geflügelte Wesen, Menschen in schwerer Rüstung, bewaffnet mit Schwertern. Hinter ihm scharrte es. Julian schrak zusammen und richtete die Fackel auf das was das Geräusch hinter ihm verursacht hatte. Eine Ratte, trippelte schnüffelnd hinter ihm über den Stein. Julian atmete erleichtert durch. „Verdammte Ratten“ schimpfte er leise, griff sich an die Brust um seinen Puls wieder zu beruhigen. Dann wand er sich wieder um. Sein Puls hatte keine zeit sich zu beruhigen. Denn schon kam der nächste Schreck. Kurz starrte er auf die steinernen Zehen vor ihm. Waren sie menschlich? Sie sahen so aus. Aber war das eine Statue? Mit so großen Zehen? Dann musste doch die Decke wesentlich höher sein. Er runzelte die Stirn, leuchtete an der Statue hoch. Viel früher als erwartet leuchtete er in das Gesicht der Statue. Seine Augen weiteten sich Überrascht. Das steinerne Gesicht stellte eine Bestie dar die ihn aus großen, unbarmherzigen Augen anstierte. Ihr Mund war vor Zorn weit aufgerissen und sie bleckte ihm die großen, scharfen Zähne entgegen. Julian schnappte überrascht nach Luft. Sein Herz hämmerte ihm mittlerweile gegen die Brust und das Adrenalin war ihm in die Adern geschossen. Er griff sich überrascht an die Brust, musste erst mal seinen schnellen Atem beruhigen. Seltsame Statue, seltsamer Gang. Schon langsam reichte es ihm. Ein Schock nach dem anderen. Sein Atem, sowie sein Herz und damit auch sein Puls waren kaum noch zu beruhigen. Wäre er doch besser im Bett geblieben. Ja sich die Beine zu vertreten war eine ganz blöde Idee gewesen. Julian beschloss wieder zurück in sein Bett zu gehen. Immerhin war das warm und vor allem sicher gewesen. Plötzlich fühlte er sich wieder so matt und kaputt. Schlafen wäre eine wunderbare Idee jetzt. Als er sich umdrehte um zurück in sein Zimmer zu gehen legte sich ihm eine Hand über den Mund. Ein Glück, sie hatte den Schrei gedämpft den er überrascht losgelassen hatte. Seine Augen starrten groß und angsterfüllt den Mann an der ihm gegenüber stand. „Julian was tust du hier?“ fragte die geflüsterte Stimme von Pater Christopher. Julian schob die Hand weg und seufzte erleichtert durch. „oh Gott…hab ich mich erschrocken. Ich wollte mir eigentlich nur ein wenig die Beine vertreten. Tut mir Leid. Ich war neugierig warum dieser Teil des Gangs so dunkel ist.“ Wisperte der junge Mann zurück. „Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht erschrecken. Du solltest jetzt wieder ins Bett gehen. Dieser Teil des Gangs sollte dir in Zukunft verborgen bleiben Okay? Ich begleite dich zu deinem Zimmer.“ der Pater zog Julian schnell aus dem Gang heraus und hinüber in die andere, weniger angsteinflößende Hälfte. „Ja ich wird es nicht wieder tun. Gute Nacht“ versicherte Julian. Auch wenn ihm die Frage nach der Statue auf der Brust brannte ahnte er schon, dass Christopher ihm diese Frage nicht beantworten würde. Damit öffnete Christopher ihm die Tür zu seinem Zimmern. „Schlaf gut. Und bitte…halt dich von dem Gang fern.“ Julian nickte wieder um zu zeigen das er verstanden hatte. Er stieg in sein Bett und zog sich die Decke bis zum Kinn hinauf. Christopher schloss die Tür und ließ den jungen Mann allein mit der Dunkelheit. Julian konnte die Augen nicht schließen. Ihm saß das alles noch zu sehr in den Knochen. Der Traum, der Gang, die Statue. Erst nach etlicher Zeit des Grübelns fielen ihm doch die Augen zu und er sank diesmal in einen traumlosen Schlaf. Auch wenn er sich irgendwie erhofft hatte das Mädchen zu sehen. Sie hatte immerhin einige Fragen aufgewirbelt. Das Mädchen in den Flammen. Das Flammenmädchen.
Kapitel 2
Am nächsten Morgen wurde Julian von einem der Männer in der Unterkunft geweckt. Verschlafen sah Julian den Mann an. „Kommt, ich werde euch die Waschkammer zeigen und dann gibt es Frühstück. Wir hoffen, Ihr habt Hunger.“ sagte der Mann, der geradezu euphorisch wirkte, ihn zu sehen. Julian runzelte die Stirn über das Verhalten des Mannes, ging dann aber trotzdem mit ihm. Sie gingen ein Stück den Gang hinunter, bis der Mann ihm die Tür zu einem großen Raum öffnete. „Hier könnt ihr Euch waschen. Wir haben Kleidung für Euch bereit gelegt. Ich werde draußen warten.“ Julian nickte dankend, ging dann in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Er entkleidete sich, legte sein Leinennachthemd auf einen Vorsprung neben die Kleidungsstücke, die für ihn bereit gelegt worden waren. Kurz streckte er sich, ehe er zu einem Badezuber ging, in dem schon das warme Wasser dampfte. Er stieg in die hölzerne Badewanne, nahm sich Seife und die Bürste, die neben dem Badezuber auf einer Anrichte lagen. Es tat ihm gut, dass er sich endlich den Schmutz der letzten Tage, wahrscheinlich eher Wochen, abwaschen konnte. Als er fertig war, trocknete er sich mit einem Tuch und schlüpfte dann in die bereit gelegten Sachen. Er zog sich die weiße Leinenhose über die Beine, verschloss den Gürtel, der die Hose hielt. Dann zog er sich noch das hellbraune Hemd über den Kopf, fuhr sich durch die Haare. Als letztes folgte die Gugel aus hellblauem Wollgemisch zum Überziehen, damit er nicht fror. Das Ganze wurde gehalten von einem Lederband um seine Taille. Julian betrachtete sich und runzelte die Stirn. Na ja, ganz so sein Fall war das nicht. Irgendwie war er doch anderes gewohnt oder nicht? Den Kopf schüttelnd verließ er die Waschkammer und sah zu dem Mann, der immer noch auf ihn wartete. „Wer bist du?“, fragte Julian ihn nun endlich. „Ich bin Diener hier in der Unterkunft. Mein Name ist Sola.“ Der Mann verbeugte sich und sah Julian an. „Kommt, kommt, Ihr werdet bereits zum Frühstück erwartet.“ Sola eilte voraus und Julian ihm hinterher. Es ging eine Treppe hinunter in einen großen Saal, wo schon viele Pater und Priester an mehreren Tischen saßen und speisten. Dabei redeten sie oder lachten und trieben Scherze. Pater Christopher stand auf und winkte Julian. „Danke Sola. Setzt du dich zu uns?“ fragte Julian gleich. Sola verbeugte sich wieder, schüttelte den Kopf. „Danke mein Herr aber ich habe bereits gespeist. Guten Appetit.“ Damit drehte sich Sola um und verschwand aus der großen Halle. Julian zuckte mit den Schultern und ging dann zu Pater Christopher. Er ließ sich neben ihn auf die Bank nieder, bekam sogleich ein mit Brei gefülltes Schälchen und einen hölzernen Löffel gereicht. Julian verzog leicht das Gesicht. Aber was für eine Wahl hatte er schon. Bevor er sich den ersten Löffel in den Mund schob, sah er zu Christopher und wünschte einen guten Appetit. Dann begann er zu essen. Eigentlich schmeckte der unidentifizierbare Brei, der wie Schleim aussah, gar nicht so schlecht. Ein wenig nach Hafer vielleicht. „Hier trink einen Schluck!“ Christopher reichte ihm einen Krug mit Milch. „Danke Vater.“ Er nahm einen großen Schluck Milch und aß hungrig weiter. Wahrscheinlich würde er alles essen können, wenn er nur genug Hunger hatte. Nach einer Weile war er fertig und das Schälchen bis auf den letzten Rest geleert. „Genug gestärkt für den Unterricht, mein Sohn?“, fragte der Pater neben ihm und räumte auch das von ihm benutzte Geschirr ab. „Ja, Vater. Habt Dank“. Julian stand auf und half ihm, das gesammelte Geschirr in einen Korb zu stauen. Später würde sich eine Magd darum kümmern. „Dann lass uns nach draußen gehen. Ich werde dir etwas über den Ort, an dem du dich aufhältst, erzählen“. Christopher legte einen Arm um Julians Schulter und verließ mit ihm die Unterkünfte. Sie gingen über den Hinterhof des Petersdoms. Über grüne Wiesen, bis hin zu einem kleinen Hügel auf dem eine große, alte Eiche stand. Dort ließ Christopher sich nieder. „Setz dich mein Sohn“, ordnete er an und Julian leistete dem natürlich Folge. „Du befindest dich hier im Vatikan. Er ist die Vertretung der christlichen Kirche für die Welt. Der Vatikan befindet sich in Rom. Weißt du, wo Rom liegt, Julian?“ Er sah zu dem schwarzhaarigen Jüngling. „Ja, Vater. In Italien“, antwortete er brav, doch sein Blick war auf etwas ganz anderes gerichtet. Am Fuße des Hügels konnte man einige Männer sehen. Sie hatten Holzstäbe in der Hand, ließen diese immer wieder krachend aneinander knallen und bekämpften sich damit. Das fand er viel interessanter als eine seltsame christliche Kirche. Am liebsten wäre er da unten und würde mitkämpfen. Das würde ihm sicher Spaß machen. Er hatte das Gefühl, als wäre er der geborene Kämpfer. „Hörst du mir überhaupt zu?“, damit riss ihn Pater Christopher aus den Gedanken. Julian blinzelte ein paar Mal, bevor er den Pater ansah. „Entschuldigt, Vater. Ich war so fasziniert von den Stabkämpfern dort drüben. Fahrt fort. Meine Aufmerksamkeit gehört ganz Euch.“ Julians Wangen färbten sich leicht rosa, da er sich ertappt fühlte. „So, die Stabkämpfer interessieren dich? Dann lass uns zu ihnen hinunter gehen. Wenn du Glück hast, darfst du vielleicht sogar mitmachen“ erwiderte Pater Christopher und stand auf. „Na komm. Sie werden dich schon nicht beißen.“ Er half dem Jüngling hoch und ging mit ihm hinunter zu den Stabkämpfern. Kurz redete Christopher etwas auf Italienisch mit dem Mann, der diese Gruppe offensichtlich leitete. Christopher winkte Julian zu und stellte ihn dem Leiter, der Vince hieß, vor. Nachdem sie sich die Hand gereicht hatten, nahm Vince einen Stab und reichte ihn Julian. Er zeigte ihm, wie man diesen handhaben musste, um gut damit umgehen zu können. Julian nickte immer wieder, um zu zeigen, dass er verstanden hatte. Vince nahm sich ebenfalls einen Stab und forderte Julian auf ihn anzugreifen. Julian führte einen perfekten Angriff aus. Nach wenigen Schlägen schon war Vince entwaffnet. Vince zog erstaunt beide Augenbrauen hoch. „Hast du schon mal Stabkampf gelernt, mein Junge?“ wurde Julian gefragt, der daraufhin verneinte. War er nun gut oder schlecht gewesen? „Sehr gut, Julian. Willst du nicht unserer Truppe beitreten? Wir könnten dich sicher eine ganze Menge lehren.“ Vince war mehr als nur erfreut, einen guten Kämpfer in seiner Truppe zu haben. Julian sah fragend zu Pater Christopher. Wenn er es erlauben würde, würde er gerne mitmachen. Christopher lächelte und nickte. „Ja, ich denke er wäre hier gut aufgehoben.“ Ermutigend klopfte er Julian auf die Schulter. „Danke Vater. Ich werde dich nicht enttäuschen.“ Ein Strahlen war in Julians Gesicht zu erkennen und Christopher lächelte. „Das weiß ich, mein Sohn“. Er schob ihn sanft in Richtung der Truppe. „Spätestens zum Abendessen bist du wieder da“, sagte er noch, bevor er sich abwendete und anderen Dingen nachging. Strahlend schloss sich Julian der Truppe an und bekam einen Stab in die Hand gedrückt. „Für unseren Neuankömmling üben wir jetzt noch einmal die Grundhaltung. Beine auseinander, leicht in die Knie und den Stab vor uns!“ Vince machte der Gruppe vor, wie sie zu stehen hatten und alle machten es ihm nach. Julians völlige Aufmerksamkeit galt dem Leiter. „Vergesst den Kraftlaut nicht, wenn ihr zustecht.“ Vince nahm den Stab und tat so, als würde er mit der Spitze vorne auf einen am Boden liegenden Gegner einstechen. „Ha!“ rief er dabei. Der Abstand zwischen denen, die dem Trupp angehörten, vergrößerte sich, damit niemand getroffen wurde. Dann machten sie es ihrem Lehrmeister nach. Ein lautes „Ha!“ der Gruppe hallte über den Garten. „Sehr gut, meine Schüler! Nun den Rippenstoß!“ Vince nahm wieder den Stab und stach diesmal auf der Höhe einer Rippe zu. Wieder stieß er denselben Laut aus. Als die Gruppe es ihm nachgemacht hatte, nickte Vince zufrieden. Sie lernten noch, den Stab als Verteidigung vor und über sich zu halten, den Gegner mit einem gekonnten Hieb in die Kniekehle zu Fall bringen und, ihm die Beine mit dem Stab wegziehen. Als sie das zur Genüge geübt hatten, erhob Vince wieder das Wort. „Bastian, Julian tretet vor!“ Julian tat, wie ihm gesagt wurde, und trat aus der Reihe. Auch ein anderer junger Mann, wohl kaum älter als er selbst, trat aus der Gruppe. Er trug das Haar kurz, doch unordentlich, er wirkte irgendwie zerstreut. Julian konnte nicht umhin zu grinsen. „Führt uns die Stöße vor! Aber trefft euch nicht zu fest! Keiner soll Schaden nehmen außer euer Feind!“ Die beiden Männer traten sich gegenüber und verbeugten sich voreinander. Dann ging der erste wirkliche Mann – gegen - Mann Kampf los. Julian griff zuerst an indem er versuchte, Bastian die Beine wegzuziehen. Doch Bastian blockte den Angriff, indem er den Stab nach unten hielt. So ging das hin und her. Nach einer Weile hatte Julian es aber geschafft. Bastian lag am Boden und Julian hielt ihm den Stab an die Kehle. „Weiter unten, Julian! Es ist schwerer, die Kehle zu treffen als den Brustkorb. Der Brustkorb muss dein Ziel sein. Auch hier kannst du Schaden anrichten. Sonst habt ihr beide sehr gut gekämpft. Der Unterricht ist damit für heute beendet. Morgen sehen wir uns wieder“. Die Schüler und Vince verbeugten sich. Dann leerte sich der Platz. Julian reichte dem am Boden liegenden seine Hand und half ihm aufzustehen. Sie räumten die Stäbe weg und verabschiedeten sich von Vince. „Danke fürs aufhelfen. Mein Name ist Bastian Peters und du bist der neue, oder? Der, den sie verletzt gefunden haben.“ plapperte der Blonde einfach drauf los. Julian sah ihn grinsend an, reichte ihm seine Hand. „Der bin ich. Mein Name ist Julian d´ Arc. Zumindest der, den sie mir gegeben haben. Aber nenn mich ruhig Julian.“ Er lächelte freundlich und Bastian schüttelte erfreut seine Hand. „Du bist wirklich gut. Sicher eine Kämpfernatur. Ich kann das nicht so. Ich bin mehr der Denker und Tüftler. Ich bastle wahnsinnig gern an irgendwelchen Dingen herum. Zum Beispiel hab ich etwas erfunden, dass ich „Dusche“ nenne. Wenn man im Badezuber sitzt, zieht man einfach an einer Eisenkette die an einem über dem Badezuber aufgehängten Eimer mit Wasser befestigt ist. So muss man sich den Eimer nicht selbst über den Kopf schütten. Echt praktisch. Aber die Oberen halten es für Unsinn und nutzlos.“ redete Bastian weiter. Reden am laufenden Band war wohl seine Stärke. Julian hörte ihm schmunzelnd zu. „Super, das ist wirklich praktisch. Find ich gar nicht so unsinnig. Ich meine es ist doch praktisch, wenn man nur an einer Kette ziehen muss und schon kommt das Wasser von oben. Wenn man sich mal entspannen will, dann muss man den schweren Eimer nicht so hochheben und ausleeren.“, stimmte er ihm zu und nickte. Gähnend ließ er sich wieder an der Eiche von heute Vormittag nieder, deutete Bastian an, sich zu setzen. Natürlich setzte sich Bastian und dankte ihm auch gleich. „Du bist wirklich lustig Bastian. Freunde?“ Julian reichte dem Tüftler seine Hand. „Findest du? Die meisten finden meine Art nervig. Ja, Freunde!“ Sie schüttelten sich wieder die Hand. „Du bist mein erster Freund hier. Dabei bin ich schon seit etwa meinem sechzehnten Lebensjahr hier. Also schon fast mehr als zehn Jahre. Die meisten hier finden mich nervig oder lachen mich gern aus, weil ich so tollpatschig bin. Aber du bist anders, Julian. Du bist wirklich nett. Ich wette, das wird eine gute Freundschaft“. Julian musterte Bastian von der Seite und seufzte leise. „Ich finde dich nett. Und du bist auch mein erster Freund hier. Ich bin zwar noch keine zehn Jahre hier, aber frag mich nicht, was ich bisher gemacht habe. Ich kann mich ja nicht einmal an meinen richtigen Namen erinnern.“ Nun war es an Bastian, den anderen zu bedauern. „Das tut mir Leid. Vielleicht kann ich dir ja helfen, deine Erinnerung wieder zu finden? Wir sehen uns ja jetzt sowieso jeden Tag beim Training.“ Dankbar sah Julian ihn an und nickte. „Das wäre super. Ich weiß zwar selber noch nicht wie, aber das wird sich schon zeigen, mit der Zeit denke ich.“ Er zuckte mit den Schultern, lehnte sich zurück und schloss wieder die Augen. „Julian komm essen!“, rief ihn jemand und Julian wurde jäh aus seinem Dösen gerissen. „Entschuldige, Bastian, ich muss gehen. Wir sehen uns dann morgen, ja?“ Er stand auf und winkte dem anderen, rannte den Hügel hinunter zu Christopher. „Bin schon da. Danke, dass ich zu dem Training durfte. Es macht wirklich sehr viel Spaß.“ Er grinste ihn an, woraufhin ihm Christopher lächelnd die Haare verwuschelte. „Gern geschehen, Julian. Ach, bevor ich es wieder vergesse, wir haben etwas bei dir gefunden: Einen Anhänger. Sieht aus wie ein Ohrring, aber da du keine Ohrlöcher hast, dachten wir zuerst nicht, dass er zu dir gehört. Hier du solltest ihn haben. Ich hab ihn an einem Band befestigt, damit du ihn um den Hals tragen kannst. Vielleicht ein Teil deiner Vergangenheit?“ Er reichte Julian das Band, an dem eine Art Wassertropfen baumelte. Zumindest hatte der blaue Edelstein diese Form. „Er sieht wertvoll aus. Danke.“ Julian ließ sich von Christopher das Band umlegen und folgte ihm dann in den Saal, wo er schon gefrühstückt hatte. Diesmal war das Abendessen aufgetischt. Heute hatte er nicht zu Mittag gegessen. Deswegen hatte er jetzt auch ziemlichen Hunger. Sie sprachen kurz ein Dankgebet, dann wurde auch schon gegessen. Er lud sich etwas Fleisch auf und Kartoffeln dazu. Auch Bohnen tat er sich auf. Die anderen aßen wohl nicht so gerne Gemüse, aber umso besser. Dann blieb mehr für ihn. Schmatzend machte er sich daran, das Fleisch zu essen. Er nahm es in die Hand, biss hinein und riss ein Stück mit den Zähnen ab. Das schmeckte wirklich gut und war genau das, was er nach einem anstrengenden Tag wie diesem brauchte. Es dauerte gar nicht lange, da hatte er den ersten Teller leer gegessen. Sogleich lud er sich einen zweiten Teller auf. Als auch dieser leer war, lehnte er sich satt zurück. Jetzt ein Bett und schlafen, dann war er glücklich. Hoffentlich blieb er diese Nacht verschont von dem schlechten Traum. Doch in dieser Nacht, sowie in jeder darauf folgenden Nacht, träumte er immer wieder von diesem Mädchen. Was er auch anstellte, er konnte sie nicht retten. Langsam ging ihm das wirklich an die Substanz. Er fing an, die Tage mit dem Training und den Faxen mit Bastian mehr zu mögen als sie Nächte. Mit der Zeit wurde er der Beste seiner Truppe, fast schon so gut wie Vince selbst. An einem Nachmittag nach dem Training kam Vince zu ihm und erklärte, dass er ein paar tage weg müsste. Julian sollte die Gruppe übernehmen und für die wenigen Tage leiten. Ohne zu wissen, was auf ihn zukommen würde, sagte Julian zu. Es war doch nichts Schweres dabei, eine Gruppe jugendlicher Stabkämpfer zu leiten, oder? Er hatte am nächsten Nachmittag gerade mit dem Training angefangen, als eine Frau völlig aufgelöst zu ihnen gerannt kam. „Wo ist Vince? Ich brauche ihn, es ist dringend!“ rief sie und sah sich panisch nach Vince um. „Vince ist verreist, Mam. Ich bin seine Vertretung. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“ bot sich Julian an. Er gab der Gruppe eine Aufgabe und zog die Frau von der Gruppe weg. „Es ist schrecklich, mein Herr. Ein Wolf sucht die Stadt seit gestern Nacht heim. Er hat meine Tochter entführt. Bitte, Ihr müsst mir helfen! Tötet das Untier und gebt mir meine Tochter zurück! Ich flehe euch an!“ Mittlerweile war die Frau in Tränen ausgebrochen und in Julians Arme gesunken. „Ein Wolf? Hier in der Stadt? Seid ihr sicher?“ fragte er nach und die Frau nickte eifrig. „Ja mein Herr. Das Untier bewegt sie wie ein Mensch auf seinen beiden Hinterbeinen, doch konnte ich genau erkennen, dass es ein Wolf ist. Bitte helft mir! Es hat doch meine Tochter in seiner Gewalt!“ Die Frau schluchzte heftig und drückte sich an Julian. Etwas hilflos strich er der Frau über den Rücken und hoffte, dass sie sich bald beruhigte. „Ich werde sehen, was ich für euch tun kann. Ich entnehme euren Erzählungen, dass er nur in der Nacht aktiv ist?“ fragte er erneut und wieder nickte die Frau. „Ja mein Herr. Tagsüber scheint er zu schlafen. Er ist nur des Nachts unterwegs. Habt Dank, mein Herr. Ihr seid all zu gütig“ Sie wischte sich die Tränen ab und verbeugte sich tief. „Keine Sorge. Ich werde Euch Eure Tochter wiederbringen. Vorerst geht in den Dom und wendet euch an Pater Christopher. Er wird euch Unterkunft und etwas zum Essen geben. Sagt, Julian schickt euch!“ Die Frau sah ihn dankbar an, verbeugte sich wieder und eilte dann in den Dom. Julian setzte vorerst das Training fort. Als es Abend wurde, fragte er Bastian, was er tun sollte. „Ich würde sagen, schnapp dir das Vieh und gib der Frau ihr Kind wieder! Dann bist du ein echter Held.“ Der Blonde lachte, ließ sich ins Gras sinken. „Ja aber, ich hab noch nie wirklich gegen etwas oder jemanden gekämpft. Was mache ich, wenn meine Fähigkeiten nicht ausreichen?“ fragte Julian besorgt und ließ sich neben ihm nieder. „Machst du Witze? Ich mache das länger als du und trotzdem bist du besser. Mann, du bist schon beinahe so gut wie Vince selbst! Und wir alle wissen, dass Vince ein wahrer Meister des Stabkampfes ist. Du darfst sogar schon mit dem hohlen Eisending kämpfen, während wir anderen noch mit Holz kämpfen müssen. Das Vieh schaffst du doch locker!“ Bastian ermutigte ihn immer wieder. Jedes mal, wenn ihm Zweifel kamen war Bastian derjenige, der sie ihm wieder nahm. „Du hast recht. Ich werde das schon schaffen. Danke, Bastian!“ Er drückte den anderen kurz und stand auf. „Dann mache ich mich mal auf den Weg. Wir sehen uns morgen. Ach, und falls Vater fragt, sagst du ihm, ich mache das, um was die Frau mich gebeten hat. Danke.“ Julian nahm seinen Eisenstab, der vorne angespitzt war und ging los. Er musste das Vieh erst einmal finden bevor er es töten konnte. Leise schlich Julian durch das nächtliche Rom und sah sich um. Den Stab hatte er immer in Verteidigungshaltung. Es war totenstill. Auch jetzt noch, nachdem der Winter endlich vorbei war und sich der Frühling langsam anbahnte. Seine Ohren zuckten, als er etwas knarren hörte. Doch es war wahrscheinlich nur eine Tür oder ein Fensterladen gewesen. Beinahe war er versucht, das Vieh zu rufen. Doch konnte er sich nicht vorstellen, dass es auf ein „Komm Wölfchen, bei Fuß“ dementsprechend reagieren würde. Kaum hatte er das gedacht, hörte er hinter sich schweres Atmen. Etwas steif drehte er sich um und erblickte den Wolf oder, was das auch immer für eine Kreatur war. Sie war fast zwei Köpfe größer als er, hatte lange muskulöse Beine, auf denen es stand, aufrecht wie ein Mensch. Wirklich gruselig! Der Oberkörper des Viehs bebte und Julian hörte die Atemgeräusche genau. Die Arme waren auch sehr menschlich, nur die riesigen Pranken mit den messerscharfen Fingernägeln waren alles andere als menschlich. Der Kopf war ohne Zweifel der eines Wolfes. Die gelben, animalischen Augen starrten ihn an und das offene Maul des Tieres zeigte nicht nur die scharfen, bedrohlichen Reißzähne. Aus den Lefzen des Viehs kam Speichel und in seinem Fell konnte Julian Blutreste ausmachen. Kurz musterte ihn das Tier, dann brüllte es ihn aus voller Kehle an. Julian sah das Tier beeindruckt an. Es holte mit der rechten Klaue aus und wollte ihn angreifen, doch Julian wich aus, versetzte dem Vieh einen Schlag mit dem Stab. Das konnte ja ein wunderbarer Kampf werden! Ungleich auch noch! Schließlich machte dem Tier ein Hieb mit dem Stab sicher weniger aus als ein Hieb von seinen Klauen ihm selbst ausmachte. Er musste irgendwie an das Herz des Viehs kommen, den Stab mit der Spitze dort hinein rammen und hoffen, dass es das Vieh tötete. Viel zu schnell hatte der Wolf gemerkt, dass Julian sich hinter ihm befand und drehte sich um. Diese Intelligenz war doch für so eine Bestie nicht normal! Den nächsten Angriff konnte er gerade so abwehren. Aber es warf ihn um und somit lag er nun am Boden und konnte sich mit Mühe das Vieh vom Leib halten. Lange würde er dieser übermenschlichen Kraft nicht mehr standhalten können. Er nahm den Stab weg und stieß dem Wolf die Spitze in die Schulter. Jaulend ließ das Tier von ihm ab, behielt den Stab aber in der Schulter. Super, jetzt war Julian seine Waffe los! Er fluchte leise, behielt das Tier im Auge. Als es ihn wieder angriff sprang er mit einem Satz auf seinen Rücken, zog den Stab aus der Schulter. Das Tier warf ihn ab und Julian schlug unsanft auf den Boden. Ächzend erhob er sich, wartete den nächsten Angriff ab, duckte sich weg und stieß dem Wolf den Stab ins Herz. Er rammte so tief hinein, dass er auf dem Rücken schon wieder sichtbar war. Wieder jaulte das Tier auf. Es brach zusammen und fiel regungslos auf den Boden. Schwer atmend zog Julian seinen Stab aus dem Tier und keuchte erschöpft. Das hatte ihn gefordert, wirklich gefordert. Was er jetzt sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Der übergroße Wolf schrumpfte und nahm schließlich menschliche Gestalt an. Nun lag ein kleines Mädchen vor ihm. Erschrocken weitete Julian die Augen. Er hatte ein kleines Mädchen getötet. Ein Kind. „Nein, nein, nein, nein!“ murmelte er immer wieder, kniete sich zu ihr und hob sie auf seine Arme. Das hatte er doch niemals gewollt. Nicht sie war das Monster gewesen sondern er, weil er sie getötet hatte. Er drückte den leblosen Körper an sich und wiegte apathisch hin und her. Tränen traten aus seinen Augen und liefen seine Wangen hinab, als er sie ansah und sie nicht die Augen öffnete. Er stand auf, hob sie wieder auf seine Arme und nahm den Stab. Er musste sie ihrer Mutter zurück geben und sagen, dass er sie leider nicht retten konnte. Julian fühlte sich schrecklich. Er war ein Mörder! Er war Abschaum! Viel schlimmer noch, er hatte einer liebenden Mutter die Tochter genommen! Sie fest an sich gedrückt, kam er zurück zum Vatikan, lies den Stab draußen fallen und betrat den Petersdom. Christopher kam ihm entgegen und sah ihn mitleidig an. Christopher nahm sie ihm ab, legte sie auf eine der Bänke und nahm Julian in den Arm. Dieser fing nun erst recht an zu schluchzen. Hilfesuchend klammerte er sich an Christopher, schluchzte wie er nur konnte. „Ich hab sie getötet Vater. Ich hab sie umgebracht. Ich bin ein Mörder!“ wisperte er zwischen den Schluchzern und drückte sich eng an den Anderen. Christopher nahm ihn gern in die Arme. Er wusste, wie Julian sich nun fühlte, und strich ihm tröstend über den Rücken. „Du hast nur getan, was nötig war, mein Sohn. Jetzt, da du sie erlöst hast, ist sie sicher glücklich. Es war nicht zu vermeiden, mein Junge.“ sprach er dem Jungen zu und versuchte ihn damit zu trösten. „Aber warum? Ich verstehe nicht. Ich habe gegen diese riesige Bestie gekämpft, nicht gegen ein kleines Mädchen. Ich wollte sie doch retten.“ Christopher strich ihm immer noch zart über den Rücken. „Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss, Julian. Aber hab Geduld! Bald werden wir dir alles erklären und dann wirst du einsehen, dass ihr Tod notwendig war.“ Christopher löste sich von Julian, wischte ihm die Tränen ab. „Ich werde es ihrer Mutter sagen.“ wisperte Julian leise, schluckte leicht und ging in die Unterkünfte, wo die Mutter der Kleinen wartete. Es brach Julian das Herz, ihr sagen zu müssen, dass er die Kleine nicht hatte retten können. Und auch die Tränen der Frau zu sehen brach ihm das Herz. Doch die Frau war ihm nicht böse. Sie dankte ihm sehr dafür, dass er es überhaupt versucht hatte. Sie nahm den Leichnam ihrer Tochter an sich und verließ den Dom. Julian war völlig verwirrt, er verstand nichts mehr. Was war das für eine riesige Bestie gewesen? Warum war sie ihm so menschlich vorgekommen? Und warum hatte sie sich in das kleine Mädchen verwandelt, als er die Bestie erlegt hatte?
Texte: Copyright liegt bei mir für Figuren, Handlung, Titel etc.
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2009
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Widmung:
Für die besten Menschen der Welt meine Mum und meine beste Freundin.