Es ist ganz schön kalt auf dem Friedhof am heutigen Dezembertag. Irgendwie merkwürdige Weihnachten dieses Jahr. Wir feiern die Geburt unseres Erlösers und wenige Tage später tragen wir eine Verwandte zu Grabe. Die letzte Beerdigung zu der ich als Gast geladen war, war die meines Vaters vor mittlerweile drei Jahren, er starb ein Jahr nach meiner leiblichen Mutter die den Kampf gegen den Lungenkrebs verloren hatte. Schon komisch dachte ich, als ich vorhin in mein Auto stieg um meine Oma und meine Schwester abzuholen und mir eine Zigarre anzündete, ich habe damit angefangen als sie daran gestorben ist. Ich hasste Beerdigungen, denn sie haben so etwas endgültiges. Menschen die uns einen Teil unseres Lebens begleitet haben, sind einfach nicht mehr da. Sie haben den Weg verlassen und du musst ihn nun weiter alleine gehen. Schritt für schritt. Ich war auf das schlimmste gefasst. Was das schlimmste für mich ist? Der Schmerz des Verlustes, der einem plötzlich und unvermittelt in die Glieder fährt. In einem Moment ist noch alles in Ordnung und im nächsten Augenblick fühlst du dich allein, verlassen und kannst deine Tränen nicht mehr zurückhalten.
Nach der Beerdigung meiner leiblichen Mutter und der meines Vaters war ich für eine lange Zeit nicht einmal ansatzweise in der Lage über die beiden zu sprechen ohne das ich sofort, nur beim Gedanken an einen der beiden in Tränen ausbrach. Und selbst heute noch schmerzt mich der Gedanke an sie und meine Kehle schnürt sich zu und ich könnte anfangen zu weinen. So wie am Abend bevor Weihnachten, als ich die Weihnachtskugeln die mir meine leibliche Mutter im Jahr vor ihrem Tod geschenkt hat, auspackte und an den Weihnachtsbaum hing. Es war wieder da, dieses Gefühl der ungerechtigkeit. Meine Mutter, warum meine Mutter, ich hatte so wenig Zeit mit ihr verbringen können. Das war ungerecht, so ungerecht. Und ich war zu Feige mich ihrem Tot zu stellen. Ich hätte sie öfter besuchen können aber ich hatte zuviel Angst und konnte es nicht ertragen sie so zu sehen. Ich werde nie vergessen als ich sie das letzte mal gesehen habe und auf meinem Handy befindet sich immernoch die letzte SMS die sie mir geschickt hat. Bin wieder im Krankenhaus. Was machst du so? Beiläufig und im Plauderton. Das einzige Problem war, das sie das Krankenhaus nicht wieder lebendig verlassen hat, wie die vielen Male zuvor seit der Krebsdiagnose. Und ich hatte den Gedanken weit weggeschoben das es passieren könnte, das sie zum letzten mal in die Klinik ging ohne zurückzukehren.
Ich trug nur eine dünne Stoffhose die dem eiskalten Wind nichts entgegenzusetzen hatte. Mir ist klar das es dumm war sich fast nackt bei -4°C nach draußen zu begeben, aber zum umziehen war es jetzt schon zu spät. Also stand ich hier mit meiner Schwester hinter Alex und Dunja. Dunja war meine Nichte, naja eigentlich meine Cousine, ich war ja damals von meinen Großeltern adoptiert worden. Wer die verstorbene ist die wir heute zu Grabe tragen? Es ist Alex Mutter, Dunjas Schwiegermutter. „Boah ist das kalt, Dennis ( das bin dann wohl ich ) sagte meine Schwester und holte mich mit dieser Feststellung aus meinem trüben Gedankenstrudel. Der Schnee knirschte unter unseren Schuhen als wir zu der kleinen Kapelle gingen, in der Irmtraud, die Verstorbene aufgebahrt lag. Ich hatte och nie vor einem Sarg gestanden. Bisher waren es immer Reich verziehrte Urnen. Prächtige Eiszapfen hingen vom Dach der Kapelle hinunter. Eiszapfen langsam gewachsen und zum Tode verdammt wenn das Tauwetter einsetzt. Nachdem wir uns in das Konolenzbuch eingetragen hatten, setzten wir uns neben Alex und Dunja in die erste Reihe, die für Angehörige reserviert war. Mir liefen beim Anblick des Sarges kalte Schauer über den Rücken. Eine Holzkiste in der ein Körper lag, und zwar der von Irmtraud. Ich blickte immer wieder zur Seite und sah aus den Augenwinkeln wie Dunja Tränen über die Wange kullerten. Die beiden hatten ihre kleinen Streitigkeiten. Aber selbst der Gedanke das das über das man sich manchmal ärgerte einmal nicht mehr sein wird, lässt einen traurig werden und weinen. Als der Pastor mit seiner Ansprache begann erinnerte ich mich daran wie es bei der Beerdigung meines Vaters gewesen ist. Auf dem ganzen Weg zum Friedhof habe ich nicht geweint. Im Gegenteil ich habe mir Sorgen gemacht was andere von mir denken würden wenn ich in der Kapelle sitze und nicht weine. Damals flossen meine Tränen in dem Moment als die Musik in der Kapelle ertönte und schienen nicht versiegen zu wollen. Doch jetzt saß ich hier, mit einer Gänsehaut und trockenen Augen. Nicht das ich nicht traurig war. Ich weinte eben einfach nicht. Als wir das Gesangsbuch aufschlugen sagte meine Schwester das sie ihre Brille vergessen hatte und das eh nicht lesen kann, ich solle für sie mitsingen. Ein lächeln huschte über mein Gesicht und ich hielt ihr das aufgeschlagenen Buch mit ausgestrecktem Arm vor sie hin. Sie schüttelte nur leicht mit dem Kopf, lächelte und ich begann mit dem Einsatz der Musik ein Kirchenlied zu brummen dessen Text ich noch nie gehört hatte und das wahrscheinlich von jemandem geschrieben wurde der an schweren Depressionen litt. Wer bis jetzt nicht traurig war musste sich nur von der Musik gefangen nehmen lassen und würde von innerer leere durchspült werden, so das den Tränen kein Einhalt mehr geboten werden konnte. Alex schluchzte und ich fühlte wie mir dieses schluchzen weh tat, denn ich kannte diesen Schmerz nur zu gut. Nach der zeremonie folgten wir dem Sarg zum Leichenwagen. Kein so cooler wie ihn einst die BluesBrothers fuhren. Es war ein grauer Mercedes mit weit geöffneter Heckklappe in die der Sarg geschoben wurde. Einige Personen von der Freiwilligen Feuerwehr und dem Sportverein sprachen noch ein paar letzte Worte an der offenen Heckklappe während mein gesicht vom eisigen Wind zu schmerzen begannen. Und da bemerkte ich das ich weinte. In meinen Augenwinkeln gefroren Tränen zu kleinen Eisperlen. Jedenfalls fühlte es sich so an. Meine Beine konnte ich schon längst nicht mehr in meiner dünnen Stoffhose fühlen. Sie waren wie abgestorben.
Auf dem Weg zu Axel und Dunjas Haus wo heißer Kaffee auf uns wartete, von dem ich meine erste Tasse gleich über meine Beine gießen werde um sie aufzutauen, kam mir das erste mal seit Jahren in den Sinn wie meine Beerdigung wohl verlaufen würde. Wer würde kommen? Wer würde weinen? Würde das überhaupt eine Rolle spielen?
Ich möchte nicht das sich jemand für meine Beerdigung verkleiden muss. Schwarz ist nicht meine Farbe. Ich habe mich entschieden, ich will keine Beerdigung mit Kirchenmusik, welche einen akuten und nur medikamentös zu behandelnden, Depressiven schub auslöst. Stimmungsvoll soll es schon sein, aber wenn die Trauergäste schon den Tränen nahe sind, dann schulde ich ihnen meinen Dank dafür, das sie sich auf den Weg gemacht haben. Ich denke das wir einen zwiespältiges Verhältnis zu Trauer und Tod haben. Und dieses macht es uns so schwer damit umzugehen.
In the Garden of Eden von Iron Butterfly soll auf der Orgel gespielt werden, dann Always look on the bright Side of Life von Monty Python gefolgt von Sideways by Citizen Cope. Wer weint soll wenigstens mit dem Fuß dabei im Takt wippen können. Für den Fall das ich im Winter sterbe und in ner kalten Kapelle liege, was mich persönlich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mehr groß tangiert, möchte ich wenigstens meiner Trauergemeinde ein wenig einheizen.
Ich möchte auch keine Kränze, die erzeugen irgendwie eine Trauerathmosphäre. Ich möchte stattdessen Kakteen. Das Leben ist ein Arschloch also zeig ihm deine Stacheln, wird das Motto der Blumendekoration sein. Ein Meer aus großen und kleinen grünen Stachelpflanzen. Meine Trauergemeinde soll daran erinnert werden das sie sich nichts gefallen lassen sollte.
An meinem Sarg oder meiner Urne, je nachdem ob ich im Sommer oder im Winter dahinscheide ( wegen der potentiellen Geruchsbelästigung ), soll eine bunte blinkend Lichterkette angebracht werden. Ich liebe diese Lichterketten wenn sie jedes Jahr meinen Weihnachtsbaum zieren. Also soll auch mein Grabmöbel ( was für ein Wort )eine zieren.
Und ich will keine schwarz gekleideten Menschen sehen, als ob ich das dann noch könnte, aber trotzdem. Kleidet euch bunt, schmeißt euch in euere buntesten Gewänder, eure Partyklamotten, wenn ihr soetwas habt. Je bunter desto besser. Niemand soll glauben das dort eine Beerdigung stattfindet. Jeder der euch sieht soll glauben das hier eine Party steigt. Für die Musik haben wir ja schon gesorgt. Zum Mitsingen während zwischen der Predigt hätte ich gern zwei Gospelsongs. Go Tell it on the Mountains und Shine your Light. Ihr sollt nicht verkünden das ich gestorben bin, ihr sollt es zwar zur Kenntniss nehmen aber ihr sollt verkündn das das Leben weiter geht und Gott sein Licht auf uns Scheinen last. Für die athesisten unter meinen Freunden, stellt euch einfach vor das zufällig von oben irgendein Licht auf euch strahlt, das sich wissenschaftlich durchaus erklären lässt.
Ich möchte das die Gemeinde am Ende der Zeremonie gefragt wird ob noch irgendjemand was zu sagen hat. Und Gott behüte ihr heuchelt! Wenn ihr mir sagen wollt das ich euch verletzt habe dann sagt es mir, wenn ihr mich anschreien wollt dann schreit mich an. Ich will eine ehrliche Trauerfeier in der letzte dinge die unausgesprochen sind gasagt werden können so das ihr genauso befreit seid wie ich es dann schon bin. Ohne Sorgen, ohne ein „das hätt ich ihm noch gern mal sagen wollen“ Gefühl.
Wenn mein Grabmöbel aus der Kapelle geschoben oder getragen wird, dann spielt auf der Orgel „Highway to Hell“. Für den Fall das ich in einer Urne bin und meine 83 Kilo Lebendgewicht niemanden mehr belasten, dann „ I’m Walking“.
In meinen Leichenwagen ( ich schätze mal das es ein Standardmodell ist und kein so cooler wie in den Hollywoodfilmen ) schiebt mich wenn es Winter ist schnell rein. Wenn es das Wetter zulässt dann stoßt noch einmal auf mich an. Bringt ein paar Kisten Bier und nen Fläschchen Prosecco und stoßt auf mich und das Leben an, bevor die Heckklappe geschlossen wird und ihr mich niemehr wieder seht. Vrgesst nicht mir auch was hinzustellen. Ich kanns zwar nicht mehr trinken doch würde ich gern ein letztes mal mit euch anstoßen.
Feiert das Leben, bunt gekleidet mit nem Drink in der Hand. Winkt mir nach aber seid nicht traurig. Und falls ihr euch doch die eine oder andere Träne nicht verkneifen könnt dann weint. Es ist unglaublich befreiend. Aber vergesst nicht das Leben geht weiter, erzählt euch Geschichten aus meinem Leben, dann könnt ihr garantiert wieder lachen, da bin ich mir sicher.
Nach der Trauerfeier könnt ihr euch zusammensetzen und noch etwas essen oder trinken. Bitte keinen Kaffee und Kuchen. Schlagt euch den Bauch voll, schüttet euch zu, tanzt, lacht, habt Spaß. Denn das ist mein letzter Wunsch. Trauert aber verharrt nicht darin. Das Leben geht weiter. Und mein Tot wird nur ein weiterer von vielen sein die ihr ertragen müsst. Feiert ein Party. Mir zu ehren, dem Leben zu ehren.
Ist schon komisch was einem manchmal so in den Sinn kommt, an Tagen wie diesen. In der Woche vor Weihnachten hatte ein Kollege einen Schalganfall. Die Mutter meiner Ex Frau ebenfalls. Ein Todesfall. Und ein Freund hatte vorgestern einen Autounfall bei dem seine Mutter schwer verletzt wurde.
Vielleicht liegt es daran das ich hier jetzt Sitze und schreibe. Vielleicht schätze ich das Leben zu wenig. Es kann auch sein das ich einafch nur mal wieder weinen wollte. Bevor jetzt mein Laptop mit der tränennassen Tastatur seinen Geist aufgibt, schließe ich hier.
Ich trauere um dich Irmtraud und beweine deinen Tod. Wir haben uns nicht sehr gut gekannt. Aber das heißt nicht das dein Tod nicht auch ein Loch in mein Herz reißt.
Ich habe nicht vor zu sterben. Jedenfalls jetzt noch nicht!
Ich habe nähmlich noch nichteinmal begonnen zu leben !
Leben nimm dich in acht, denn hier komm ich und ab heute kenne ich keine Gnade!!!!!
Texte: By the White Sangoma
Tag der Veröffentlichung: 28.12.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen denen, die das Leben lieben und allen die ich verloren habe.By The