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Heiseres Krächzen, Flügelschlagen, ein schwarzes, glänzendes Auge. Dunkle Schatten gleiten über den Boden.

Der Park war verlassen, die Häuser am Rand verfielen so langsam und moderten vor sich hin. Überall saßen Krähen herum, sie hüpften über den Boden und stocherten mit ihren Schnäbeln in den welken Blättern, in der Hoffnung, etwas zu Fressen zu finden. Ihr heiseres Krächzen konnte man schon von weitem hören.
Auf einer Bank saß ein zusammengekauerter Junge und starrte zu Boden. Sein schulterlanges, orangerotes Haar hing ihm strähnig in das Gesicht. Neben ihm auf der Bank lag eine Schultasche.
Der Junge starrte zu Boden, beachtete die Krähen gar nicht, die wenige Fuß von ihm auf dem Boden umherhüpften.
Er hielt eine Papiertüte in der Hand, in der ein Schulbrot lag. Eigentlich hatte er es essen wollen, doch nun war ihm nicht mehr danach. Sollte er es in den Müll werfen?
Eine der Krähen kam näher heran und betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf aus ihren glänzenden, schwarzen Augen. Vorsichtig hüpfte sie auf ihn zu, bis sie vor seinen Füßen stand.
Der Junge regte sich nicht.
Frech flatterte die Krähe auf und setzte sich auf die Rückenlehne der Bank. Vom Luftzug erschreckt wandte der Junge den Kopf, und rasch flog die Krähe davon.
Er hob den Kopf und blickte ihr nach in den trüben, grauen Novemberhimmel. Die grünen Augen in seinem Gesicht starrten leer in die Wolken. Er war bleich, fast weiß, sodass seine Haut zu leuchten schien, wenn er im Dämmerlicht war.
Im Sommer konnte er nie mit den anderen auf den Fußballplatz, denn zu schnell holte er sich einen Sonnenbrand, sodass seine Haut krebsrot wurde. Er hatte einmal die Ermahnung seiner Eltern ignoriert und war hinausgegangen. Danach musste er drei Tage zuhause bleiben, damit der Sonnenbrand wieder abklingen konnte.
Nur im Winter, wenn die Sonne sich blass hinter grauen Wolkenfetzen verzog, konnte er bedenkenlos hinausgehen.
Seine Klassenkameraden mieden ihn, sie sagten, er sei „merkwürdig“. Nicht nur, weil er im Sommer nicht hinauskonnte, er verhielt sich meistens still, und in der Klasse saß er in der letzten Reihe. Noch dazu kam, dass er meistens einen schwarzen Mantel trug. Nicht, dass die anderen etwas gegen schwarze Mäntel gehabt hätten, doch es bildete einen starken Kontrast zu seiner ohnehin schon bleichen Haut, sodass er etwas Krankhaftes an sich hatte, wenn er ihn trug.
Die Krähe, die vorhin noch erschreckt aufgeflogen war, hüpfte vorsichtig näher.
Sie krächzte.
Der Junge betrachtete sie mit seinen grünen Augen. Der schwarze Vogel krächzte wieder, diesmal flatterte er auf seine Schultasche und pickte mit seinem Schnabel daran herum, wobei er immer wieder den Kopf drehte, sodass seine schwarzen Augen aufblitzten.
Der Junge verscheuchte sie mit einer ruckartigen Handbewegung, doch die Krähe kam hartnäckig wieder zurück.
Dies wiederholte sich noch einige Male, bis der Junge plötzlich über die Hartnäckigkeit der Krähe lächelte. „Dann nimm halt, wenn du hungrig bist.“ sagte er, griff in die Tüte und holte das Schulbrot heraus. Er brach es in kleine Stücke und warf es der Krähe hin.
Diese wich immer mit gespreizten Flügeln zurück, wenn die Stücke auf den Boden fielen, doch dann pickte sie sie rasch auf.
Nun kamen auch andere Krähen hinzu, angelockt vom Rascheln der Papiertüte. Krächzend drängten sie sich um die Bank, wobei sie ungeduldig hin und her hüpften, um die Brotstücke zu erwischen, die der Junge ihnen zuwarf.
Bald war die Tüte leer. Er schüttelte sie über den Krähen aus, dann warf er sie in den Müll.
Er musste nach Hause gehen. Er erhob sich. Die Krähen wichen vor ihm zurück und flogen auf, als er vorbeiging.
Als er noch einmal zurückschaute, sah er, wie eine Krähe auf den Rand des Mülleimers geflogen war und die Tüte herauszerrte. Lächelnd drehte der Junge sich wieder um, die Schultasche über die Schulter gehängt, und ging aus dem Park hinaus.

Heiseres Krächzen, Flügelschlagen, ein schwarzes, glänzendes Auge. Dunkle Schatten gleiten über den Boden, erheben sich in die Luft und fliegen in den Himmel.

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Tag der Veröffentlichung: 27.05.2009

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