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Prolog

 

Es begann alles, wie so oft in Horrorgeschichten und solchen die gerne Horrorgeschichten wären, in einem Wald im Umland von Graz. Zwei Jungen und zwei Mädchen hatten sich zu einem romantischen Picknick im Wald in Form eines Viererdates verabredet. Leider, so dachte einer der beiden Jungen, leider sind die beiden – zumindest noch nicht – unsere festen Freundinnen. Ich würde sie nur zu gern hier im Wald… Sein Kumpel Max dachte mit ziemlicher Sicherheit einen ähnlich versauten Gedanken. Sie waren beide 21 Jahre alt und – man glaubt es kaum, in der heutigen Zeit – noch Jungfrauen. Dies traf auf ihre beiden 19-Jährigen Begleiterinnen interessanterweise nicht einmal annähernd zu, was Patrick eventuell beunruhigt hätte, denn er war im Gegensatz zu Max sehr schüchtern. Petra und Sarah hatten ihre Unschuld schon im zarten Alter von 15 und dreiviertel Jahren verloren und auch noch an denselben „Mann“. In Wirklichkeit war es ein hohlköpfiger 19-Jähriger gewesen, der sein erstes Mal mit vermeintlich leichter Beute hinter sich bringen wollte, einer Beute, die aus zwei auf 21 Jahre getrimmten Minderjährigen bestand, die ebenfalls unbedingt ihr erstes Mal erfahren wollten. Und unter dem Motto „Beste Freundinnen teilen alles“ ging es dann in einem flotten Dreier heftig zur Sache, was wohl auch daher rührte, dass die beiden Mädchen sich unter Zuhilfenahme von pornografischen Inhalten im Internet sexuell fortgebildet hatten. Alle weiteren Details seien der hoffentlich nicht allzu schmutzigen Fantasie des Lesers überlassen. In dieser Geschichte soll es nicht um die ersten sexuellen Erfahrungen von steirischen Jugendlichen gehen. Ganz im Gegenteil erwarten uns – und die vier jungen Leute, die gerade im Wald unterwegs waren – grauenhafte Dinge. Doch dazu später.

 

Denn bevor überhaupt etwas Schreckliches passieren konnte, mussten Max, Patrick, Sarah und Petra erst einmal ein recht langes Stück eines düsteren Waldweges hinter sich bringen. Für Max war es nicht das erste Mal, dass er diesen Weg entlangging. Aus diesem Grund konnte er das, was sie alle beunruhigte, am besten beurteilen. Und es beunruhigte ihn sogar noch mehr als es alle anderen zusammen beunruhigte. Der Waldweg erschien ihm nicht einfach nur düster. Er war um vieles dunkler und furchteinflößender als sonst. Früher war es hier grün und hell gewesen, wobei „früher“ in Max‘ Fall „vor einer Woche“ bedeutete. Der Mischwald aus großen Fichten und Buchen hatte immer einige Sonnenstrahlen durchgelassen, die den Weg mit hellen Tupfern übersäten. Doch aus irgendwelchen Gründen schien sich das Blätterdach verdichtet zu haben, sodass diese Lichttupfer verschwunden waren. Er konnte sich das nicht erklären. Wie konnte so eine seltsame Veränderung innerhalb einer Woche von statten gegangen sein? Nun ja, er wusste nicht wirklich eine Antwort darauf. Und die anderen hatten einfach nur ein ungutes Gefühl bei all der Düsternis, da sie nicht, so wie Max, den Vergleich zur vorigen Woche hatten und annahmen, es handele sich um den Normalzustand dieses Waldes.

 

Interessanterweise fragte Petra genau in diesem Moment mit einem Ansatz eines Zitterns in ihrer Stimme: „Ist es hier immer so dunkel?“

 

Um das junge, wunderschöne, blonde Mädchen nicht zu beunruhigen, – davon abgesehen, dass sie bereits beunruhigt war, wären seine Erfolgsaussichten zur Beruhigung eines panischen jungen Fräuleins ohnehin äußerst gering gewesen – antwortete er mit mehr oder weniger fester Stimme: „Ja, natürlich. Das ist der Düsterwald. Wusstet ihr das nicht?“

 

„Den Namen hast du jetzt aber aus „Der Hobbit“, oder?“, fragte Sarah, die überraschenderweise relativ belesen war. Wenn man die vollständige Lektüre von „Der Herr der Ringe“, „Der Hobbit“ und von wöchentlich erscheinenden Klatsch- und Tratsch-Magazinen als Belesenheit bezeichnen konnte. Und diese beiden Bücher hatte sie auch nur zu Ende gelesen, weil sie die Filme zuvor gesehen hatte.

 

„Nein nein. Die Namensgeber des Waldes haben ihn aus „Der Hobbit““, gab er mit immenser Schlagfertigkeit zurück.

 

„Vielleicht ist es deshalb so dunkel, weil überall auf den Bäumen riesige Spinnen sitzen und auf eine Chance warten uns anzufallen“, warf Patrick ein.

 

„Ich hasse Spinnen“, gab Petra zu bedenken. „Ob es wirklich so große gibt wie in „Der Hobbit“?“

 

„Bestimmt nicht“, sagte Max und funkelte seinen besten Kumpel an, da er mit seinem blöden Witz über die Spinnen seinem zuvor erfolgten Beruhigungsversuch unsanft entgegenwirkte. Obwohl Patrick nicht gänzlich danebenlag mit seiner durchaus fantasievollen Ansicht über Spinnen im Blätter- und Nadeldach. Denn die gab es dort auch, dessen konnte man sich sicher sein. Kleine, ungiftige Spinnen, die weitaus harmloser waren als die, die ihnen ihre Fantasie vorgaukelte. Und vor allem weitaus harmloser als das, was noch in diesem Wald lauerte… Nein, von den Spinnen hatten sie nicht das Geringste zu befürchten. Bei Petras Spinnenangst war das wohl auch das Beste.

 

„Wann kommen wir eigentlich zu dieser Lichtung von der du uns so vorgeschwärmt hast, Patrick?“, fragte Sarah.

 

„Sie sollte gleich auftauchen“, antwortete er. Hoffentlich, dachte er. Diese seltsame Düsternis wurde ihm langsam aber sicher zu viel. Ganz sicher war er sich bei seiner Antwort nicht. Er glaubte, sich erinnern zu können, dass sie die schöne Lichtung in maximal fünf Minuten erreichen würden. Doch aufgrund der merkwürdigen Dunkelheit war er, was diese Vermutung betraf, etwas verunsichert. Was noch hinzukam war, dass er sich einbildete, in den Baumkronen und auch schon etwas näher Richtung Waldboden, aber zum Glück nicht auf den untersten Ästen, huschende Bewegungen zu sehen. Wenn das nun wirklich die mörderischen Spinnen waren? Er musste zugeben, dass auch er Spinnen verabscheute. Andererseits hatte er noch nie von solchen großen, mordlüsternen Spinnen in österreichischen Wäldern gehört. Aber vielleicht waren durch die Klimaerwärmung neue Arten eingewandert? Nein, das hielt er für ausgeschlossen. Heute würde keiner von ihnen durch Bisse von Riesenspinnen sterben. Wie recht er damit doch hatte… Doch unglücklicherweise war ihm das nicht bewusst.

 

Auf dem weiteren Weg zur Lichtung fragte sich Max, seine Brille zurechtrückend, warum Patrick und er sich mit zwei Mädchen abgaben, die man durchaus als Schlampen bezeichnen konnte. Er tadelte sich für die gedankliche Benutzung dieses respektlosen Ausdrucks, warf den beiden Mädchen aber einen verstohlenen Seitenblick zu. Sarah war eine rothaarige Schönheit und Petras blondes Haar umrahmte ein ebenmäßiges, nicht minder schönes Gesicht. Er kam zu der Einsicht, dass diese beiden Frauen es wert waren, Herzschmerz in Kauf zu nehmen. Sie trugen beide kurze Jeansröcke und Shirts mit Ausschnitten, die für Max‘ Geschmack eigentlich zu viel zeigten. Naja, sie würden wohl kaum eine längere Beziehung mit den beiden Frauen eingehen. Da waren charakterliche Aspekte eher zweitrangig.

 

Endlich erreichten sie die besagte Lichtung und sie war tatsächlich sehr schön. Das Gras wuchs hier kniehoch und wurde noch überragt von wunderschönen Wiesenblumen, etwa Margeriten, Glockenblumen oder auch dem sowohl schönen als auch giftigen Hahnenfuß. Am von ihnen aus gesehen rechten Rand der Lichtung fiel das Gelände leicht ab, um einem kleinen Bach ein Bett zu bieten. Sie hörten wohltuendes Vogelgezwitscher und vergaßen die Dunkelheit, die sie noch zuvor beunruhigt hatte.

 

Max und Patrick begannen die Getränke und das Essen aus ihren Rucksäcken zu holen. Zuvor breitete Petra eine rot-gelb karierte Picknickdecke auf der Wiese aus. Sie verteilten Sandwiches mit Schinken und Käse und jeder bekam jeweils eine Flasche Bier und eine Flasche Eistee. Sie hatten auch stilles Mineralwasser dabei, ließen es aber vorerst in ihren Rucksäcken. Max, Patrick, Petra und Sarah prosteten sich mit ihren Bierflaschen zu, öffneten diese mit einem in weiser Voraussicht mitgebrachten Flaschenöffner und nahmen alle einen herzhaften Schluck des wohlgekühlten Gerstensafts.

 

„Das ist wirklich das beste Bier der ganzen Steiermark“, merkte Max an und nahm gleich noch einen großen Schluck.

 

„Da kann ich nur zustimmen, Kumpel“, erwiderte Patrick.

 

„Naja, ich steh mehr auf Murauer“, meinte Petra und Sarah nickte zustimmend. „Aber gut ist es trotzdem“, fügte sie schnell hinzu, als ihr der etwas enttäuschte Blick in Max‘ Augen auffiel. Leider war das nicht das Einzige, was ihr in seinem Blick auffiel. Was sie noch in seinen Augen sah, machte sie ein klein wenig nervös. Sie warf einen Seitenblick zu Sarah und erkannte, dass sie ähnliches dachte, nur in Bezug auf Patrick. Max wollte etwas ganz Bestimmtes von Petra und Patrick wollte augenscheinlich dasselbe von Sarah. Sie musste zugeben, dass sie nicht wirklich abgeneigt war. Max war wirklich süß, wenn man von seinen riesigen Pickeln und seiner dicken Hornbrille absah. Hinter dieser Maske aus ansatzweiser Hässlichkeit verbarg sich ein durchaus ansehnlicher Junge Anfang zwanzig.

 

Patrick hingegen war ein Bild von einem Mann. Er hatte muskulöse Oberarme, einen kräftigen Oberkörper und kurze, braune Haare. Fast beneidete sie Sarah darum, dass er sie wollte. Andererseits stand sie gar nicht so sehr auf Muskelmänner. Sogenannte Nerds waren ihr viel lieber. Sie wusste nicht genau warum, aber das änderte natürlich absolut nichts an der Tatsache.

 

Da es ein warmer Sommertag war, trugen beide jungen Männer T-Shirts und kurze Hosen. Max war wie üblich in blau gekleidet, seiner Lieblingsfarbe, wohingegen Patrick ein eher bunter Vogel war, mit seinem gelben T-Shirt und der rot-blau karierten Hose.

 

In diesem Moment drang ein sehr lautes Rascheln an ihre Ohren, das von den umliegenden Bäumen kam. „Habt ihr das auch gehört?“ fragte sie mit einem sehr beunruhigten Unterton in der Stimme.

 

Die anderen nickten einfach nur und beobachteten mit Bierflaschen in der Hand die Bäume rund um die Lichtung. Sie versuchten zu erkennen, was dieses merkwürdige laute Rascheln verursachte. War es der Wind? Eigentlich war es heute sehr windstill und ein Gewitter zog auch nicht auf. Waren es Vögel? Das schien auch nicht der Fall zu sein. Man sah zwar eine Gruppe von vier Krähen auf einer Buche sitzen, ein paar Meisen und Spatzen waren zu hören, aber nicht zu sehen. Doch die konnten dieses Rascheln nicht verursacht haben. Oder etwa doch?

 

„Hey, was ist denn das?“ fragte Sarah. „Sieht aus, als würden lauter buschige Schwänze über das Gras schweben…“

 

Die anderen hatten es auch schon bemerkt. Petra und Patrick erkannten recht bald, dass es sich um Eichhörnchenschwänze handelte. Wegen dem hohen Gras wirkte es tatsächlich so, als würden körperlose Schweife auf sie zufliegen.

 

„Das ist ja süß“, meinte Petra. Sie mochte Eichhörnchen. Sie gehörten ganz eindeutig zu ihren liebsten Waldtieren. Allerdings erschien es ihr doch etwas ungewöhnlich zu sein, dass Hunderte von den possierlichen Tierchen von allen Seiten auf sie zugerannt kamen. Die größte Anzahl Eichhörnchen, die sie je auf einmal gesehen hatte, waren drei gewesen. Doch jetzt musste sie ihre erste Schätzung revidieren und auf mehrere Tausend hinaufschrauben. Was tat diese Masse an Eichhörnchen hier auf dieser Lichtung?

 

Max brachte ihre Gedanken auf den Punkt: „Das kommt mir echt extrem ungewöhnlich vor, dass gleich so viele Eichhörnchen auf einmal daherkommen. Die sind doch eigentlich sehr scheu.“

 

„Stimmt wohl“, erwiderte Patrick.

 

Von diesem Moment an beobachteten sie schweigend das seltsame Schauspiel, das sich ihnen darbot. Je näher die Eichhörnchen kamen, desto besser konnte man erkennen, dass es nicht nur über dem Gras schwebende Schweife waren, sondern tatsächlich vollständige Tiere. Tausende graubraune bis rötlich-braune pelzige Körper näherten sich der Stelle, an der die vier Jugendlichen ihr Picknick zu sich nehmen wollten. Allerdings hatten sie erst ein paar Schlucke Bier hinunter bekommen. Die Sandwiches waren noch völlig unberührt. Vielleicht hatten es die Tiere darauf abgesehen? Nun ja, wie es aussah würde diese Frage in Kürze beantwortet werden. Zwischen den beiden Jungen und Mädchen und den Eichhörnchen war nur noch ein Abstand von zwei Metern. Die Fragen, die ihnen allen durch den Kopf gingen, waren: Was wollen die Tiere? Warum liefen sie von allen Seiten auf sie zu? Warum hatten sie keine Angst? Hatten sie vielleicht Tollwut?

 

Hier standen sie also, zwei wunderschöne, aber nicht besonders intelligente junge Frauen und zwei durchaus schlaue, junge Männer, und wunderten sich über das sich ihnen darbietende Schauspiel. Zwei Jus-Studenten und zwei Supermarkt-Mitarbeiterinnen, die alle leider keine Ahnung von Eichhörnchen hatten und schon gar nicht ahnten, in welcher Gefahr sie schwebten.

 

Immer weiter verkürzte sich die Distanz zwischen Mensch und Tier. Nur noch ein Meter, neunzig Zentimeter, achtzig Zentimeter… Gleich würden die Hörnchen ihre Füße berühren. Fünfzig Zentimeter, vierzig Zentimeter… Würden die Tiere etwa an ihren Hosenbeinen hochklettern? Das war doch irgendwie süß, oder etwa nicht? Eichhörnchen waren süße, kleine pelzige Tiere. Manche von ihnen hatten einen schönen rot-braunen Pelz, andere einen mit Stich ins Graue. Vereinzelt waren auch Welche mit schwarzem Fell dabei. Man stellte sich doch oft vor, wie es wäre, diesen flauschigen Pelz zu streicheln. Jetzt würde sich allem Anschein nach die Chance dazu ergeben. Das war doch wirklich niedlich. Oder?

 

Die ersten Eichhörnchen hatten ihre Füße erreicht, die alle in eleganten Sportschuhen steckten, geeignet für Waldspaziergänge in sanftem Gelände. Die ersten circa zwei Minuten standen sie einfach nur vor ihnen und blickten mit ihren kleinen Augen zu ihnen auf, in einer Art und Weise, die eigentlich sehr unschuldig wirkte. Tausende Eichhörnchen standen in einem Kreis mit breitem Umfang um sie herum und setzten sich derart auf die Hinterbeine, dass es so aussah, als ob sie eine Nuss in ihren Pfoten hielten und diese anknabberten. Irgendwie wirkte das wie eine stumme Andeutung und Warnung dessen, was da noch kommen mochte. Keiner sagte etwas. Die Situation hatte ihnen regelrecht die Sprache verschlagen, was nur allzu verständlich war. Eine der süßesten Tierarten hockte hier vor ihnen und schien sich zu überlegen, ob und wann eine Attacke stattfinden sollte.

 

Patrick war der erste und letzte, der sich nach der kurz zuvor eingetretenen Stille äußerte: „Kommt schon, ihr Süßen. Na, wie geht’s? Ihr wollt uns doch nicht etwa fressen, oder?“

 

Gerade wollte Sarah dazu ansetzen, auf diesen Ausspruch zu reagieren und Patrick zu tadeln für diesen unsinnigen Sager. Doch in diesem Moment fingen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 03.05.2020
ISBN: 978-3-7487-3937-1

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