Cover


Worüber alte Männer lachen ...


Drei Episoden aus meinem Alltagsleben



Episode 1


Man kann sich auch durch Unschlüssigkeit das Leben schwer machen.


Als ich am 14. Oktober 2007 mit dem Fahrrad nach Hause kam und meine Einkäufe auspackte, stellte ich fest, dass die Befestigung meiner Fahrradtasche am Gepäckträger ausgerissen war. Offenbar hatte ich die Tasche überladen. Ich besah mir den Schaden: Da gab es einen stabilen Metallbügel, eine Art schwarzes Segeltuch und da hatte es einmal eine Niete durch Bügel und Segeltuch hindurch gegeben; die war aber nun geplatzt, ausgerissen oder? - wie auch immer. Die Tasche jedenfalls, so wie sie war, konnte ich nicht mehr verwenden, sie musste mit beiden Bügeln an dem Gepäckträger eingehängt werden. Eine neue Niete verwenden? Dazu hatte ich kein Material. Entsprechende Kleineisenwaren und die Spezialzange gab's sicher im Fachgeschäft. Kaufen? Was das wieder kostet! Und wie häufig brauche ich diese Zange dann in den nächsten Jahren?! Mal sehen. Oder Bügel und Tasche statt mit einer Niete mit einer Maschinenschraube, zwei Muttern und U-Scheiben verbinden? Ob ich die passenden Teile zusammen bekomme? Mal sehen. Vielleicht muss ich dazu das für die Niete vorhandene Loch in dem Bügel aufbohren? Mal sehen. Ob ich den entsprechenden Metallbohrer habe? Dazu müsste ich den Bügel einspannen; aber der Schraubstock war noch nicht auf dem Werktisch montiert. Und wie entsetzlich die Arbeitsplatte nach so einer Reparatur immer hinterher aussieht - alles durcheinander! Mal sehen. Der Metallbügel der anderen Tasche war immerhin noch in Ordnung. Also stellte ich die defekte Tasche zunächst einmal weg und spannte als Ersatz einen Drahtkorb in den Gepäckträger ein. So ging das auch; mich störte nur die Gewichtsverlagerung etwas.
In den nächsten Monaten dachte ich immer wieder daran, entweder weil ich mich ärgerte, dass sich das Rad nach dem Einkaufen oft nach der beladenen Seite neigte und manchmal mitsamt allen geladenen Dingen umkippte oder weil ich in der Werkstatt über die defekte Tasche stolperte, die dort bei den anderen Reparaturvorhaben lag. Dann überlegte ich, wie viel Zeit ich etwa für die Neubefestigung von Bügel und Tasche brauchen würde. ……. Na ja, mal sehen.
Als ich am 03. September 2008 beim Aufräumen in der Werkstatt die kleine Lade mit den kleinen, dünnen Maschinenschrauben finde, fällt mir sofort ein, wozu dieser Fund gut ist. Ich habe sofort die passenden Muttern und zwei entsprechend große U-Scheiben bei der Hand und hole mir die Fahrradtasche. Ich stecke einfach eine U-Scheibe auf die Schraube, diese dann durch das Loch und den Stoff. Dann kommen eine zweite U-Scheibe und zwei Muttern zum Festdrehen bzw. Sichern. Fertig. Keine Aufbohrungen, keine mühsamen Einkäufe von möglicherweise seltenst genutztem Werkzeug oder Gebinden von Kleineisen, die noch mindestens 20 Jahre reichen würden. Es war alles da. Es passte und war stabil, wie ich sofort feststellen konnte. Dauer der Überlegungen: Zehneinhalb Monate. Dauer der Reparatur: Fünf Minuten.


Episode 2


Gibt es etwas Einfacheres als eine Küchenmaschine in Betrieb nehmen?



Unsere Küchenmaschine ging nicht mehr. Sie wurde zwar nur selten gebraucht – zum Teigrühren etwa, wenn größere Mengen an Plätzchen gebacken werden sollten. Nun also drehte sich der Motor nicht mehr nach sechs Jahren. Nur ein leises Klicken war in dem Motorgehäuse zu hören, wenn ich den Schalter betätigte. Ich hatte eine Vorstellung von einem Bi-Metall-Schalter, der wie ein Fehlerstromschalter bei Defekt sofort funktioniert, genauer konnte ich das jedoch nicht sagen, zu wenig verstehe ich davon. Also mussten der Kaufbeleg und die Garantiekarte her. Ich fand aber nur die Bedienungsanleitung. Verwunderung. Ärger. Schimpfwörter über die eigene Schlamperei. Also der nächste Schritt: Wo war ein Kundendienst von „Siemens“? Ich erinnerte mich – sogar an unserem kleinen Wohnort gab es ein Geschäft mit „Siemens“-Produkten. Die Öffnungszeiten waren nur an vier Nachmittagen in der Woche für jeweils zwei Stunden. Zum Glück war eine Telefonnummer angegeben. Es sah alles nicht schlecht aus, ich würde das Gerät hinbringen und nach Reparatur einfach abholen. Zur Vorsicht rief ich an: Dort würden nur große Haushaltsgeräte angenommen, erfuhr ich, wegen kleiner Geräte müsse ich in die Großstadt fahren. Leider. Dort sei aber auch ein „Siemens“-Service-Center. Na gut, da muss ich mich halt mit meiner Frau verabreden, damit ich an diesem Tage das Auto haben könnte, dachte ich, das lässt sich doch mit anderen aufgeschobenen Besorgungen in der Stadt verbinden. Die Aussicht auf eine solche Kombination von Pflicht und Kür war belebend.
Nun kam der Tag. Bevor ich die Küchenmaschine einpacken wollte, sah ich noch ein letztes Mal meine Sammlung der Garantiekarten und Belege aller in den letzten Jahren gekauften Hausgeräte durch – und fand, was ich bisher vergeblich gesucht hatte! Allerdings war dort die Küchenmaschine als ein Produkt von „Philips“ angegeben. Ich hatte die ganze Zeit über die falsche Marke im Kopf gehabt! Damit war auch die ursprüngliche Planung der nächsten Schritte gegenstandslos geworden! Hier musste ich zum ersten Male lachen. Müsste ich jetzt nicht nach dem nächstgelegenen „Philips“-Service-Center suchen? Also habe ich erfreut und erleichtert die Küchenmaschine hervorgeholt und sehr rasch das Typenschild gefunden. Dieses Mal wollte ich sicher sein und suchte den Kundendienst über das Internet. Ich fand entsprechende Hinweise und noch mehr – ich fand sogar ein Foto unseres Gerätes unter der angegebenen Typenbezeichnung, klickte es spaßeshalber an und fand dort eine lange Liste mit häufig gestellten Fragen. Warum dem nicht nachgehen? Also: „Wenn der Motor nicht anspringt...“ Ich lese die Antwort und verstehe, dass der Aufsatz in diesem Falle eben nicht genau aufgesetzt ist, weil nämlich zwei Rillen nicht einander gegenüberstehen etc. Das mache ich jetzt noch nach, dachte ich mir, bevor ich zu der nun richtigen Service-Stelle fahre und kramte den Mixer hervor. Da war aber noch die Schutzkappe auf dem Motorblock, die musste erst runter. Abdrehen ging nicht, was ich auch machte – mit Vorsicht natürlich. Verwunderung. Ärger. Schimpfwörter an meine Adresse. Irgendetwas klemmte. Bloß keine Gewalt beim Aufdrehen anwenden! Vielleicht sollte ich erst die Rührschüssel abnehmen, die neben dem Motorblock des Gerätes saß? Die ging ganz leicht herausdrehen und ein Klick-Geräusch zeigte mir, dass ich sie nur noch anzuheben brauchte, um sie neben dem Gerät abzustellen. Nun ließ sich auch der Schraubdeckel auf einmal ganz leicht entfernen. Noch einfacher war es, den Mixer aufzusetzen und vorsichtig einzudrehen, bis das Gewinde einrastete. Ich sah nun auch die beiden Rillen, die einander genau gegenüberstanden. Prima! Nun noch den Stecker spaßeshalber in die Dose stecken und einfach versuchsweise das Mixer-Symbol drücken. Die Maschine lief!! Ich lachte zum zweiten Male, nur lauter und länger.
Es bleibt noch nachzutragen, dass ich mich diesen Tag über besonders wohl fühlte. Sicher nicht nur, weil ich mir Kosten und eine Blamage beim Kundendienst erspart hatte.


Episode 3


Wie steige ich vom Fahrrad ab?


Irgendwann in den letzten Monaten fiel es mir auf: Nach dem Abbremsen wollte ich das Fahrrad anhalten und, als das Rad zum Stillstand gekommen war, wäre ich doch beinahe umgefallen! Es war beschämend. Zum Glück hatte mich niemand gesehen! Da fuhr ich nun seit fast 60 Jahren auf einem solchen Drahtesel und konnte auf einmal nicht mehr ordentlich absteigen! Was war los? Ich hatte 10 Jahre zuvor schon das vertraute Rad mit Querstange gegen ein ungewohntes Rad mit tiefem Einstieg ausgetauscht, weil ich vor dem Anfahren mein Bein nicht mehr so flott wie früher über den Sattel heben konnte. Dauernd war das Hosenbein am Sattel oder gar am Gepäckträger hängen geblieben. Immerhin 10 Jahre lang hatte diese Umstellung vom Herrenrad aufs Damenrad nun funktioniert. Auch das Anhalten. Nach dem Bremsen hatte ich mich auf dem Sattel sitzend mit beiden Beinen auf dem Boden im Stand gehalten. Nun ging das auf einmal nicht mehr. Hinzu kam die Unsicherheit nach der Implantation des neuen Hüftgelenks im Frühjahr 2012. Die Muskulatur musste wieder zusammen wachsen und aufgebaut werden. Vielleicht lag die Ursache an der zu großen Sattelhöhe? Ich war ärgerlich und genervt, als mich Maike, die Physiotherapeutin, vor einem zu tiefen Absenken des Sattels warnte. Auf diese Idee war ich gekommen, weil ich unbedingt einen anderen Weg zum sicheren Stand finden wollte. „Du stehst zwar nun fest auf dem Boden, auch wird beim Fahren dein Hüftgelenk geschont, aber mit dieser Sitzposition wirst du dir dein Kniegelenk ruinieren,“ sagte sie und zeigte mir den Zusammenhang zwischen einem fast gestreckten bzw. einem stark angewinkelten Bein und der Kraftübertragung auf die Pedale. Ich begriff und konnte meine Enttäuschung nicht verbergen: „Dann fahr ich eben nicht mehr Rad!“ Dies war natürlich auch keine Lösung.
Da erhielt ich die Chance zu einem zweiten Anlauf: Während unseres Sommerurlaubs auf Föhr wollten wir Pedelecs ausprobieren. Meine Frau und ich mieteten eines dieser Räder mit zuschaltbarem Elektromotor und tiefem Einstieg. Beim Einstellen der Sattelhöhe dachte ich an Maikes Warnung. Wenn ich mein Kniegelenk nicht strapazieren und gleichzeitig mein Hüftgelenk schonen möchte, sollte der Sattel etwa so hoch sein wie früher, also wie beim Herrenrad. Wie aber kann ich dann anhalten, ohne umzufallen? Da fiel mir ein Vorgang ein, den ich schon oft gesehen und – ich gestehe es – jedes Mal belächelt hatte: Viele Frauen springen kurz vor dem Stillstand von Pedal und Sattel und müssen daher mit zwei bis drei gehüpften Schritten an der Seite die Restgeschwindigkeit des Fahrrades abfangen. Dann stehen sie allerdings, ohne zu schwanken, beide Hände an den Griffen des Lenkers; dies sprach für die Frauen-Methode des Anhaltens. Diese Möglichkeit hätte ich also, ging es mir durch den Kopf, ich müsste nur ein wenig üben und allerdings in meinem alten Schädel eine komplett andere Bewertung vornehmen. Ich wollte mich immerhin in meinen Augen nicht selbst lächerlich machen. Könnte ich das Hüpfen vielleicht vermeiden? Dieser Gedanke bedeutete im Klartext, die Lösung des Problems bei der Körperhaltung im Moment des Anhaltens zu suchen und nicht in der Höhe des Sattels. Viele Männer rutschen beim Anhalten einfach vom Sattel, wenn sie es nicht im Stand auf den Fußspitzen sichern können und halten das Fahrrad, indem sie die Querstange zwischen den Beinen festhalten. Was könnte ich mit meinem Rad im Moment des Anhaltens tun, das ich bisher noch nicht tat? Wie bremse ich eigentlich? Nehme ich die Felgen- oder die Rücktrittbremse? Wenn ich die Rücktrittbremse nehme – zumeist bremse ich mit dem rechten Pedal – habe ich einen Fuß frei. - Dann hatte ich auch schon die Lösung: Im Moment des Anhaltens durch Bremsen mit dem rechten Pedal kippe ich das Rad leicht nach links und kann daher den linken Fuß mit ganzer Sohle auf den Boden stellen. Damit war ich auch schon vom Sattel runter. Nun brauche ich nur noch den rechten Fuß absetzen und das Rad mit beiden Händen wieder gerade halten. Gut ausgedacht fand ich meine Überlegungen und übte anschließend. Maike wird sich freuen, wenn ich ihr meine Entdeckung berichte.
Zwar entspricht nun die Lesezeit nicht der Dauer des beschriebenen Vorgangs, aber was sind die zwei bis drei Minuten Leseanstrengung gegen die Monate währenden Überlegungen? Und schön wäre es, wenn – ungeachtet des Vergnügens beim Schreiben – auf den neuen Erfolg beim Absteigen das Vergnügen beim Lesen folgt.


Impressum

Texte: Wolf Lange
Bildmaterialien: Bookrix
Lektorat: -
Übersetzung: -
Tag der Veröffentlichung: 30.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /