Ich möchte das wenige, was mir bleibt,
noch besser bewohnen -
die herrlichen Dinge der Welt.
Ich weiß, dass ich nichts besitzen kann,
alles ist mir nur geliehen,
alles wächst irgendwann davon. Ich auch.
Aber in der Zeit, die mir noch bleibt,
möchte ich den Geist in den Dingen
wie einen Drachen steigen lassen.
Ich möchte den Raum mit ihnen teilen
wie mit einem geliebten Menschen.
Ich möchte mich an Dingen verletzen
und an ihnen heil werden,
ich möchte sie erhören
und von ihnen gehört werden.
So wird das Glück
wie ein Arm,
der nach dem Leben greift,
aus mir wachsen.
So werde ich nicht überlegen müssen,
ob ich umsonst gelebt habe.
- Ulrich Schaffer "Die Dinge der Welt"
....nicht darum, ob ich Pech habe, ob es das Schicksal nicht gut mit mir meint. Es geht weder um Gerechtigkeit, noch um Rache einer höheren Macht für Dinge, die ich vielleicht nicht hätte tun sollen.
Mit sechs Jahren spielte ich einst mit einer kleinen Katze. Ich mochte ihre kleine schwarze Nase und ihre blauen Äuglein, wenn sie mich anblinzelten. Ich wollte so gerne die Katzenmama sein. Ich hob es hoch, tanzte und lachte und küsste den kleinen Kopf. Es fiel mir oft aus der Hand. Sehr oft. Ich hob es wieder hoch, den kleinen grauen Tiger. Bis ich irgendwann merkte, dass es sich nicht mehr bewegte. Es zappelte nicht mehr in meinen Kinderhänden. Es hing irgendwie schlaff, und doch gleichzeitig steif zwischen meinen Finger.
Es war tot.
Ich habe meine weiße Weste also schon mit sechs Jahren verschmutzt.
Vielleicht auch schon früher, als ich mit vier die Lieblingsbarbiepuppe meiner Freundin mitgehen ließ.
Ich weiß es nicht.
ich weiß nicht, wo es anfängt und wo es aufhört.
Haben Kinder sowas wie einen "Weiße-Westen-Beschmutzungs-Bonus"? Wird ihnen alles verziehen? Ich meine: wirklich alles? Immerhin hört man heutzutage ja auch schon von Kindern, die eine Waffe auf ihre Geschwister richten und abschießen.
Weckt dieser Gedanke, dieses Wissen eher Wehmut oder Angst? Oder vielleicht sogar beides? Vielleicht spielt auch ein kleines bisschen Hass eine Rolle?
Ich weiß es nicht. Und ich mache mir auch keine Gedanken darum.
Um das Warum.
Warum ist die Sonne gelb und die Wiese grün?
Warum malen Kinder blaue Wolken und weißen Himmel?
Warum töten Menschen?
Oder die alles entscheidende Frage, die sich jeder Mensch schon einmal gestellt hat: "Warum ausgerechnet ich?"
Meine Frage zu all dem ist viel eher: Spielt das alles überaupt eine Rolle?
Viele Menschen gehen davon aus, dass wenn ihnen etwas schlimmes passiert, Schicksalsschläg oder nicht, sie etwas dafür getan haben müssen. Dass sie Schuld begangen haben. Und dass diese Schuld nun dadurch ausgeglichen wird. Sie haben das Bedürfnis nach Gleichgewicht. Sogar unbewusst. Einerseits ist das selbstverständlich. Immerhin gibt es zu jedem Gut ein Böse. Existiere nicht der Regen, dann gäbe es keine Sonne. Oder zumindest würden wird die Freude dieser nicht empfinden. Genauso ist es auch umgekehrt, für Menschen, die die Kälte bevorzugen.
Klar stellt sich hier die Frage, was das nun mit dem sogenannten Gleichgewicht des "Warum-Ich's" zu tun hat. Was hat das Gleichgewicht damit zu tun, dass ich etwas Schlechtes zurückbekomme, wenn ich was Schlechtes begehe? (und könnte man das nicht eigentlich ganz einfach "Karma" nennen?)
Das lässt sich eigentlich an einer ganz simplen, weltbekannten, mathematischen Regel erklären:
+ und + ist gleich + (zu viel des Guten)
- und - ist gleich + (zu viel des Schlechten)
+ und - ist gleich - (Gleichgewicht)
Jedenfalls wäre das mein Gedankengang. Aber jeder Mensch denkt anders. Und ich habe nicht vor, irgendjemanden von meinem Weltbild zu überzeugen. Ich will eigentlich nur erzählen.
Über mich.
Über meine Geschichte.
Darüber, wie ich zu dem Ich geworden bin, der ich heute bin.
Über mein Glücklichsein.
Über meine Dankbarkeit.
Über das Willkommen heißen meines Lebens.
Und das trotz meiner Vergangenheit.
Oder gerade deshalb?
Nichts geschieht ohne Grund.
Aber die Antwort auf das Warum, nach dem wir Menschen so verzweifelt suchen, kriegen wir meistens erst sehr viel später.
Ich saß im Auto auf der Fahrt ins Ausland. Für zwei Tage befreit von der Arbeit - für zwei Tage im Heimatland meines Vaters. Auf der Beerdigung seiner Mutter.
Ja, seiner Mutter, meiner Großmutter - nenne man es, wie gemocht. Jedenfalls eine sehr absurde Situation.
Diese alte Frau, um die gerade viele Menschen weinten, die in ihrer Trauer und Verzweiflung beinahe zu ersticken drohten - MEINE Familie, die ich nicht besser kannte, als meine besten Freunde - sie rührte nichts in mir. Sie nicht. Und auch alle anderen nicht.
17 Jahre sind vergangen. Und in diesen 17 Jahren kam es zwei Mal vor, dass ich meiner Großmutter väterlicherseits begegnet bin. Einmal wenige Monate nach meiner Geburt, und ein zweites mal vor wenigen sechs Jahren auf der Beerdigung meiner Tante - ebenfalls im Heimatland meiner Eltern.
Und die dritte (sehr makabere) Begegnung folgte also heute.
Auf ihrer eigenen Beerdigung.
Ich war weder traurig. Noch aufgewühlt. Noch schockiert.
Ich hatte keine Beziehung zu dieser Frau. Weder zu ihr, noch zu der Schwester meines Vaters, von der ich (nur mal so nebenbei) erst ein halbes Jahr zuvor das erste Mal so wirklich was gehört habe. Ich wusste, dass mein Vater Geschwister hat. Und ich wusste auch, dass ich mehr nähere Verwandschaft habe, als meine vier Cousins, die auch hier in München leben. Aber wenn meine Eltern von "meinen Cousinen" sprachen, dann dachte ich an sowas wie "Die Töchter und Söhne der Cousinen meiner Eltern". Dass ich aber tatsächlich näherstehende Cousinen habe, das habe ich nicht gewusst. Wie denn auch, wenn ich 17 Jahre in dem Glauben war, die Geschwister meines Vaters seien tot?
So waren die Worte natürlich nie über seine Lippen gerutscht - geschweige denn. Er hat ja niemals je überhaupt ein Wort über sie verloren. Oder vielleicht so selten, und so nebenbei, dass ich es gar nicht wirklich wahrnahm.
Aber das ist nicht der Anfang meiner Geschichte. Im Gegenteil.
Der Anfang liegt mehrere Jahre vor.
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch vor allem an die Menschen, die mich für eine kurze Zeit in meinem Leben begleiteten, um mich zu einer Antwort zu führen. Und ganz besonders der Person, die mir die Frage stellte "...oder liebst du, um geliebt zu werden?"