Cover

Meine Freunde haben immer von ihren Idolen geschwärmt. Am Anfang waren es wohl noch Zeichentrickhelden, Superman war ganz oben angesehen, später waren es irgendwelche Sportler. Dann musste ich immer meinen Mund halten, was hätte ich auch dazu sagen sollen? Boxer waren mir zu dem Zeitpunkt – und sie sind es bis heute noch – ziemlich egal. Und wie hätte es auch anders sein können, wurde ich trotzdem darauf angesprochen.
„Und Frank, wieso interessierst du dich eigentlich nicht für Sport?“, wurde ich einmal auf dem Schulhof gefragt.
„Aber das tue ich doch“, meinte ich ernst. „Ich mag Tanzen.“
Die Reaktion kann man sich vorstellen, ein Haufen zwölfjähriger Jungs guckt mich erstmal verblüfft an. Und dann lachen alle. Damals wäre ich am liebsten weggerannt.
Ich habe nie verstanden, was dieses Denken sollte. War ich im Theater – und da war ich trotz Angst vor meinen Freunden sehr oft – habe ich eine Menge männlicher Tänzer gesehen. Sie mussten sich nicht schämen, wenn sie auf der Bühne standen, bekamen sogar den gleichen Applaus wie die Frauen.
Ich wurde langsam süchtig nach Ballettaufführungen und sah mir heimlich Tanzmeisterschaften an. Im Theater sah ich am liebsten Stücke, die von Franzosen inszeniert waren, so klischeehaft das jetzt auch klingen mag. „Manon Lescaut“ war eines solcher Stücke, und ich habe es geliebt.
Es gab eine Person, vor der ich diese Besessenheit nicht verstecken konnte. Das war meine Schwester. Sie selbst schleppte ihren Freund jeden Sonntag zu einer Tanzschule mit; irgendwann war es selbstverständlich, dass ich beim Tanzunterricht dabei war und zuschaute. Irgendwann, ich glaube, es war die letzte Tanzstunde, bevor meine Schwester Tanzprüfung hatte, kam ihre Tanzlehrerin auf mich zu. Ich sei ja so interessiert. Sie würden auch Kurse nur für Jugendliche anbieten, eine Tanzpartnerin ließe sich schon finden.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe alle Arten von Tanz geliebt, doch trotzdem habe ich verneint. Ich wollte mich nicht an einer Tanzpartnerin aufhalten, die dafür letztendlich nie die gleiche Leidenschaft gehabt hätte wie ich.
„Warum tanzt du dann nicht im Ballett?“, fragte die Tanzlehrerin mich.
Ich hätte antworten können: ‚Weil ich Angst vor den anderen habe’ oder: ‚Weil sich das für Jungs nicht gehört’. Aber ich sagte nichts und behielt meine Gedanken für mich. Ich weiß nicht, wieso, aber dies gab mir den Mut, mich bei einer Theaterballettschule anzumelden.
Die nächsten Jahre habe ich hart trainiert, immer hatte ich mein Ziel vor Augen, einmal selbst auf der Bühne zu stehen. Ich war talentiert, wenn ich das so sagen darf, und es hat mir riesigen Spaß gemacht. Es war nicht immer leicht, vor allem mit meinem Vater nicht; unser Verhältnis hat arg darunter gelitten.
Irgendwann wurde ich darauf angesprochen, bei „Manon Lescaut“ vorzutanzen. Es sollte neu inszeniert werden. Ich habe so lange trainiert, bis ich mir sicher war, dass ich garantiert genommen werden würde.
Dies alles, meine ganze Leidenschaft, meine Liebe für das Ballett und die Sorgen, die ich dafür auf mich genommen habe, muss man verstehen, um zu begreifen, wie schlimm ein einziger Tag für mich sein konnte. Es war keine Jury und auch kein Fehler von mir, der meine Rolle bei „Manon Lescaut“ verhinderte.
Es war ein Verkehrsunfall.
Wie, wo und warum ist eigentlich gar nicht wichtig, nur dessen Folge ist es: Wirbelbruch in der Lendenwirbelsäule.
Mein Rücken war unten versteift, ich konnte meine Hüfte und mein Becken nur sehr eingeschränkt bewegen. Sie können sich vielleicht denken, dass ich dies nicht so einfach überwinden konnte.
„Aber ich bin doch Tänzer“, meinte ich zum Arzt nach der ernüchternden Nachricht.
Der Arzt blickte mich nur für einen Augenblick mitleidig an, aber sagte nichts. Was hätte er dazu auch sagen sollen? Es hätte nichts daran besser gemacht.
Oft denke ich noch an diesen Tag, wenn ich die Aufführungen im Theater sehe. Dann frage ich mich, wie es sich angefühlt hätte, wenn ich mit den anderen auf der Bühne gestanden hätte. Stattdessen gucke ich mir wieder heimlich Tanzmeisterschaften an und sammle Zeitungsartikel über das Ballett. Ich will nicht sagen, dass dies das Ende meines Glücks war, aber es war zumindest das Ende meines Traums.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.10.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /