Der homo ludens als spielender Mensch bezeichnet den grundsätzlichen Modus menschlicher Weltbegegnung, nämlich spielend. Im generellen Geflecht von Wahrnehmung – Reflexion – Aktion / Reaktion findet sich ein Mensch hinein genommen in eine mehr oder weniger reflektierte Gegebenheit von Zusammenfällen, in der er sich teilhaftig sieht. Irgendwie, so sagt er sich, bin ich jetzt in etwas drin, das mich fordert, interessiert, ängstigt, bedroht oder wie auch immer.
Spielend versucht der Mensch, sich in dieser Teilhaftigkeit zu bewegen. Bestimmt oder zaghaft, schnell oder langsam, mutig oder ängstlich geht er vor und zurück, schaut um sich, wagt und weicht zurück. Er agiert im Rhythmus seiner Fähigkeiten und seines Mutes. Gestern vielleicht hatte er einen guten Tag und traute sich aufs Fahrrad. Heute jedoch ist er ängstlich und traut sich nicht in die Schwimmklasse im Freibad. Mal sehen, sagt er sich, vielleicht gehe ich morgen. Und innerhalb eines Jahres durchschreitet so der Mensch zuvor unglaublich erscheinende Gebiete, die ihm als Leben vorkommen.
So ist der Mensch ein Wesen des Lebens, und er verwickelt sich mit ihm durch spielerische Annäherungen und Erfahrungen. Die Hellenen trugen das noch in ihrer Sprache. Das Kind, der Knabe (παῖς) tut etwas Kindgemäßes: es spielt (παίζω – ich spiele). Und wenn dann noch bekannt ist, dass einem Knaben das Laufen beibringen (παῖς + ἄγειν) die Grundbedeutung von Pädagogik erklärt, dann sollte fernerhin das Spielen im reifen Erwachsenen keine lächerlichen oder negativen Konnotationen mehr auslösen.
Tatsächlich ist das Spielen im Kreise von Erwachsenen schon seit Generationen verdächtigt worden, mit Unreife und mangelndem Ernst in Verbindung zu stehen. Zwar lieben viele Deutsch das Fußballspiel, jedoch wird es ob seiner zugestandenen Ernsthaftigkeit durchaus nicht im Bereich des „Lebensernstes“ gesehen, und im „Spielsüchtigen“ kommt eine Negativeinstellung zum Spielen besonders klar zum Vorschein. Der Deutsche liebt offensichtlich eine klare Trennung von Spiel und Ernst, und er meint damit nicht nur eine Separation zwischen Privatem und Öffentlichem, wiewohl ein Spieler privat durchaus nicht unbedingt seine menschliche Reputation verlieren muss. Man findet noch reichlich Familien, die manchen Abend um den Tisch sitzen und spielen. Allerdings hat das in der öffentlichen Perzeption durchaus wenig mit Lebensernst zu tun.
Zum Vertiefen:
http://gabrieleweis.de/2-bldungsbits/literaturgeschichtsbits/werk-matrialien/frisch-homo-faber/homo-ludens.htm
Die Separation erscheint bei näherem Schauen seltsam. Wieso soll das Spiel grundlegend von einem „Ernst des Lebens“ geschieden werden, als würde das einem allgemeinem Bedürfnis nach essentieller Unterscheidung menschlichen Wirkens Rechnung tragen? Ist der homo ludens von vorn herein verdächtig, das Leben nicht so „ernst zu nehmen“, nur weil er das Spiel liebt? Was ist eigentlich der „Ernst des Lebens“? Ist es so ernst, dass es unvorteilhaft wäre, es mit dem Spielen in Verbindung zu bringen, es gar damit zu vermischen?
Platon und sein Schüler Aristoteles sehen im Staunen den Beginn des Philosophierens. Nicht Lebensernst, sondern Staunen: das, was passiert, wenn, wie bei einem Kind, die Augen aufgehen und mit Macht sich etwas in einen Menschen hinein Bahn bricht.
Staunen ist nicht zu suchen, wie sauer sich auch jemand anstellt. Freilich scheint es auch Geister zu geben mit einer hohen Affinität zu Selbstqual und Masochismus. Diese Kollegen betrachten den Ernst des Lebens wohl mit großer Lust und haben ihre Fluttore weit geöffnet. Der berühmte Dichter T. S. Eliot schrieb einst das beeindruckende Stück „The Hollow Men“, das in unglaublich kraftvoller Sprache die Hohlheit beschreibt einer ganzen Generation nach dem ersten Weltkrieg. Jawohl, das ist Lebensernst in seiner ganzen Wucht, und er bricht wie ein Taifun herein und bringt die ernsten Seelen der ernsten Menschen mit Leichtigkeit zum Schwingen:
Die hohlen Männer
I
Wir sind die hohlen Männer
Die Ausgestopften
Aufeinandergestützt
Stroh im Schädel. Ach,
Unsere dürren Stimmen,
Leis und sinnlos
Wispern sie miteinander
Wie Wind im trockenen Gras
Oder Rattenfüße über Scherben
In unserem trockenem Keller
Gestalt formlos, Schatten farblos,
Gelähmte Kraft, reglose Geste;
Die hinüber sind, sehenden Auges,
Ins andere Reich des Todes,
Wenn sie an uns denken, denken sie nicht
An gewalttätige verlorene Seelen,
sondern an hohle Männer,
An Ausgestopfte.
II
Augen deren Blick ich fürchte,
Die nicht erscheinen
Im Traumreich des Todes :
Dort sind die Augen
Sonnenlicht auf Säulentrümmern
Dort, ein Baum der sich wiegt
Und Stimmen sind
Im Gesang des Winds
Ferner und feierlicher
Als verblassender Stern
So fern will auch ich sein
Im Traumreich des Todes
Ich will auch so
Vorsätzliche Masken wählen
Rattenfell, Krähenhaut, Vogelscheuche
Auf einem Feld,
Die tut, was der Wind will,
So fern -
Nicht die endgültige Begegnung
Im Reich des Zwielichts
III
Dies ist das tote Land
Das ist das Kaktusland
Hier sind aufgerichtet
Die steinernen Bilder, zu denen
Betet die Hand eines Toten, darüber
Funkelt ein verblassender Stern.
Ob es so ist
In den anderen Todesreich
Ob Lippen wachen, mit sich allein,
Zur Stunde da wir beben
Vor Zärtlichkeit,
Lippen die küssen möchten
Und beten zu zerbrochnem Stein.
IV
Die Augen sind nicht hier
Hier sind keine Augen mehr
In diesem Tal da Sterne sterben
In diesem Hohlweg
Dem Stück Kinnbacken zu unseren verlorenen Reichen
Auf diesen letzten Sammelplatz
Tasten wir nach dem andern
Sprachlos geschart
Am Ufer des reißenden Stroms
Blind, es erschien denn
Die Augen wieder
Wie der lebende Stern
Die vielblättrige Rose
Des zwielichtigen Totenreiches,
Niemandes Hoffnung,
Hoffnung der leeren Männer.
V
Wir tanzen um den Stachelbaum
Stachelbaum Stachelbaum
Wir tanzen um den Stachelbaum
Um fünf Uhr früh am Morgen
Zwischen Idee
Und Wirklichkeit
Zwischen Regung
Und Tat
Fällt der Schatten
Denn dein ist das Reich
Zwischen Empfängnis
Und Geburt
Zwischen Gefühl
Und Erwiderung
Fällt der Schatten
Das Leben ist lang
Zwischen Verlangen
Und Zuckung
Zwischen Vermögen
Und Leibhaftigkeit
Zwischen Wesen
Und Abstieg
Fällt der Schatten
Denn dein ist das Reich
Denn dein ist
Das Leben ist
Denn dein ist das
Auf diese Art geht die Welt zugrund
Auf diese Art geht die Welt zugrund
Auf diese Art geht die Welt zugrund
Nicht mit einem Knall, aber mit Gewimmer.
http://www.myss.de/Lyrik/eliotdtsch.html
Ernst ist das Leben, und leicht ist das Spiel – das scheint eine fest verankerte Einstellung zu sein, die mir jedoch nie so richtig einleuchtete. Und weil mir die Nähe des Denkens und Philosophierens zum Staunen gar recht tief verständlich und gleichsam „lebenslogisch“ daher kommt, macht es mir auch kaum Schwierigkeiten, mein Verständnis vom Spielen gerade auch ins „Ernste“ ausgedehnt zu sehen. Der homo ludens bedient eben gerade nicht nur das Ernste, als sei alles Tiefe und Bedeutende ernst. Spielerisch erscheint durchaus „Ernstes“ nämlich nicht selten leicht, spielerisch und - lustig.
Zum Vertiefen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Staunen
Drunken Preacher's Sermon - Easter Sunday:
http://www.youtube.com/watch?v=JoI1p-vlGdM
The best of Pastor Manning:
http://www.youtube.com/watch?v=BFqt9cOO69g
Omazing Grace... Funny singing at funeral:
http://www.youtube.com/watch?v=Rq8luAFb37A
Grundsätzlich geschieht das Spiel der Entfaltung des Seins hinein in Seiendes in Freiheit. Gleichsam als Flussbett gewährt Freiheit der Entfaltung Raum in Akt und Potenz – für das, was ist und sein kann. Freiheit ist die generelle Ermöglichung der Entfaltung des Seins in, mit und unter Seiendem und damit in Raum, Zeit, Sein und Werden.
Über Sein an sich lässt sich nichts sagen, weil alles Sagbare unter dem Verdikt von Raum und Zeit geschieht und damit von ihnen gefärbt ist. Unter dieser gleichsam „gefärbten“ Prämisse nähert sich der Mensch dem Sein als Seiendem im Verlauf als Partizip und entdeckt Freiheit als grundsätzliches Fluidum des Ontologischen.
Dieses freie Geschehen lebt mit dem Mangel menschlicher Erkenntnisfähigkeit eben erwähnter ontologischer „Färbung“ – ontologisch bedeutet das Sein betreffend. Menschlicher Geist vermag eben nur in Raum und Zeit zu agieren, niemals jenseits davon, als könne er gleichsam „Überontisches“ fassen und in Sprache gießen, die ihrerseits immer raumzeitlich gebunden bleibt. Der Mensch kann nur – als Seiendes sich entfaltend in, mit und unter Seiendem – den raumzeitlichen Aspekt der Entfaltung begreifen und beschreiben. Darum sind sinnvolle Aussagen über eine Herkunft, einen „Grund des Seins“ – der mit Gott in Verbindung gebracht wird – nicht möglich, weil eben nur ontische Aussagen möglich sind, und ein Grund des Ontischen müsste eine Sprache betreffen jenseits ontischer Gebundenheit. Das ist schlechterdings undenkbar.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff des „Nichts“ – sobald dafür eine Notation gefunden wäre, was nicht möglich ist, wäre das Nichts nicht mehr Nichts, sondern vielmehr „Etwas“. Wie über Gott, so lässt sich auch nichts über das Nichts sagen.
Wenn sich nun ein Grund des Seins nicht ohne weiteres sprachlich und denkerisch fassen lässt, muss dieser Grund, aus dem alles Sein und Seiendes entspringt, gleichsam „selber“ dafür sorgen, bekannt zu werden, wenn der Mensch es nicht vermag. Hier liegt der tiefe Grund des alten Sprechens von Gott in Verbindung mit Offenbarung – Gott muss sich selbst dem Menschen offenbaren, dessen ontische Begrenzung gleichwohl überwinden, und dies geschieht im Ahnen und im Gespür für Freiheit als Flussbett ontischen Geschehens. Aus der Freiheit des Entfaltens entspringt ein Ahnen, dass alles, das ist und sein kann, irgendwie miteinander verbunden ist und zusammengehalten wird.
Und das Spiel ist ein hauptsächlicher Ausdruck davon. Der Spieler entfaltet sich gemäß ontischer Entfaltungen, er repräsentiert die Einheit in Vielfalt, die Freude am Bewegen, die Unbekümmertheit am Werden und Vergehen, den Mut im Auskosten der Freiheit. Im Spiel bringt sich die Freiheit des Schöpferischen zum Ausdruck. Ursprünglich hat der Schöpfer die Schöpfung im Spiel hervorgebracht, und nun soll das Geschöpf in Freude spielen, um so dessen Freiheit zu zeigen. Gott hat den Leviathan geschaffen, um mit ihm zu spielen, heißt es in Psalm 104, 26.
Zum Vertiefen:
Hans-Peter Dürr. "Es gibt keine Materie" (1) + (2):
http://www.youtube.com/watch?v=rT6ekqvt42k
http://www.youtube.com/watch?v=Wik_bas2Sbw
Hans-Peter Dürr - Das Geistige ist die treibende Kraft:
http://www.youtube.com/watch?v=eabz5IjzwfA
the Illusion of Reality ~ consciousness & quantum theory:
http://www.youtube.com/watch?v=CRkDicwjRQs
Der tiefe Grund des langen Anlaufes über die Essenz der Freiheit liegt in einer verblüffenden, wie auch selbstverständlichen Einsicht: die Freiheit des Menschen, auch des spielenden, begründet sich in keinem Gesetz, keiner Verfassung, keiner Regelung wie auch immer, sondern ist ontologisches Erbe und – im Bezug auf den Grund des Seins gesetzt – göttliches Geschenk an dessen Schöpfung. Der bewusste Mensch erfährt sich als selbstbezügliches Subjekt in einem Ozean von Bewusstheit, und dies ist der Weg, Freiheit auch zu erfahren.
Der Mensch benötigt kein Recht zur Freiheit, weil er schon immer frei war. Sie muss ihm auch nicht rechtlich zugesprochen werden, auch wenn das immer wieder in der Geschichte geschehen ist, um den Eindruck guten Rechts zu vermitteln. Nein, die Freiheit des Menschseins begründet sich aus Schöpfung und Ontologie. Wenn schon ein Rechtsapparat am Wirken ist, dann hat Recht dafür zu sorgen, diese grundlegende Freiheit zu schützen und ohne Einschränkung zu ermöglichen. So sieht die Sache in Wirklichkeit aus.
Eine Annäherung an die menschliche und gottgegebene Freiheit über Rechtsstatuten erscheint so wie ein Sklave, der sein Brot im Rucksack hat und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2013
ISBN: 978-3-7309-3342-8
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