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Vorwort



Dies ist ein Versuch, die geistigen Hintergründe unserer Zeit zu verstehen, zumindest ansatzweise. Es weht ein ein giftiger, milder Wind durch unsere Zeiten und Räume, der Menschen krank zu machen scheint. Ich saß einst in einem klimatisierten Bus, der wegen der Hitze die Kühlung voll aufgedreht laufen ließ. In der Nacht merkte ich dann, daß ich mir eine Blasenentzündung zuhezogen hatte. In ähnlicher Weise verstehe ich den milden Wind unserer Tage in der westlichen Welt.
Wer T. S. Eliots Gedicht The Hollow Men von 1925 liest, wird die Kraft merken, die auch heute noch von ihm ausgeht. Die krankmachenden Effekte kommen nicht von Ungefähr. Scheinbar systematisch hat wohl des Menschen Geist eine Verschiebung erfahren, sich selbst und die Welt um ihn herum in Manier einer Substanz wahrzunehmen, die dann als Ding aufgefaßt wird und zum Objekt der Verfügung wird. Geistimplikationen entschwinden so zugunsten eines Geistes der Ausbeutung und Geschäftemacherei, kurz: des Kapitalismus.
Nun soll hier nicht billige Kapitalismuskritik betrieben werden, wiewohl Marx schon ziemlich früh das Phänomen der Entfremdung in der kapitalistischen Gesellschaft beschrieb, und es würde sich lohnen, diesen Faden aufzunehmen und in kränkende Kontexte zu stellen in einer Art Kränkungsgeschichte des Kapitalismus. Vielmehr versuche ich den Sündenfall menschlichen Denkens in Ansätzen des Aristoteles zu erfassen.
Ich hatte schon einmal versucht, das Buch zu veröffentlichen und sah mich Schwierigkeiten gegenüber. Man sagte mir, daß bestimmte Quellenzitationen nicht angenommen würde oder zu vermeiden seien - ehrlich gesagt, weiß ich bis heute nicht, was damit gemeint war. So habe ich mich entschlossen, außer Youtube-Quellen alles andere als Hinweis zum Googlen anzugeben, und der Leser möge mir verzeihen, wenn ich ihm damit zusätzlich Arbeit verschaffe. Aber anders weiß ich mir im Moment nicht zu helfen, um nochmaliger Ablehnung zu entgehen.


Im Anfang war das Wort




Es wird viel und ausgiebig geredet. Im Anfang war das Wort, sagt der Johannesprolog. Er ist es wert, zitiert und auswendig gelernt zu werden, und zwar in Deutsch, Griechisch und Latein.


1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen. (Luther 1912).


1 Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος. 2 οὗτος ἦν ἐν ἀρχῇ πρὸς τὸν θεόν. 3 πάντα δι᾽ αὐτοῦ ἐγένετο, καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν. ὃ γέγονεν 4 ἐν αὐτῷ ζωὴ ἦν, καὶ ἡ ζωὴ ἦν τὸ φῶς τῶν ἀνθρώπων· 5 καὶ τὸ φῶς ἐν τῇ σκοτίᾳ φαίνει, καὶ ἡ σκοτία αὐτὸ οὐ κατέλαβεν.


1 In principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum et Deus erat Verbum
2 hoc erat in principio apud Deum
3 omnia per ipsum facta sunt et sine ipso factum est nihil quod factum est
4 in ipso vita erat et vita erat lux hominum
5 et lux in tenebris lucet et tenebrae eam non conprehenderunt


Was Johannes hier sagt, ist eine andere Form dessen, was fünfhundert Jahre vor ihm Heraklit von Ephesus gesagt hat, nach dem Denken mit Erkenntnis und Vollzug des λόγος zu tun hat, also ein Logosereignis ist. Nur, dass der Mensch kein Verständnis dafür hat: Für diesen Logos aber, obgleich er ewig ist, gewinnen die Menschen kein Verständnis, weder ehe sie ihn vernommen noch sobald sie ihn vernommen. Alles geschieht nach diesem Logos, und doch gebärden sie sich wie Unerprobte, so oft sie es probieren mit solchen Worten und Werken, wie ich sie künde, ein jegliches nach seiner Natur zerlegend und deutend, wie sich’s damit verhält (1).

In diesem Logos geschieht das Werden, und zwar ausdrücklich abgerückt vom statischen Sein, wie es etwa Parmenides annimmt. Heraklid anerkennt ein dynamisches Verhältnis von Sein und Werden. Werden ist Sein im Prozeß, und im Logos findet Heraklid das grundlegende Prinzip.

Darum gibt es auch im Gegensatz Einheit. Später wird Nikolaus von Kusa eine Gotteserklärung finden, in der die Gegensätze zusammen fallen: coincidentia oppositorum. Und Johannes erhebt den Logos zur göttlichen Hypostase, ja noch mehr – der Logos ist der göttliche Christus. Damit hat Johannes Heraklid ins Evangelium erhoben, und er hatte gute Gründe: dadurch konnte der Logos mit dem Heiligen Geist in Verbindung gebracht und gleichzeitig die sechshundert Jahre alte Schöpfungsgeschichte Bereschit endgültig als Logostheologie verstanden werden. Und die Leser hatten von da an die Freude, sich über Worte und Sprache zu streiten. Sicherlich meinte Johannes, im Anfang war das Wort und nicht – das Geschwätz (Gottfried Benn: Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort).

Nun war auch der Grund verstanden des Wirkens Gottes in der Welt – durch sein Wort. Verbum dei manet in aeternum und verbum sat sapienti. Dass daraus im Laufe der Zeit Anbetungsformen der Hohlheit und Nichtigkeit entstehen würden, hatten sowohl Heraklit, Johannes und der Paulus des Geistes (der Herr ist der Geist, 2. Kor 3, 17) so nicht gedacht. Aber es musste so kommen, und zwar zwingend. Weil nämlich Wortbesessenheit mit schneller Fahrt in eine gründliche Dichotomie rast, die jedem Wortbesessenen irgendwann dämmert, wenn er die Gnade des Aufwachens erfährt. Es besteht nämlich ein Unterschied zwischen Wort und Wirklichkeit, zwischen Denken und Wahrheit, zwischen Wahrnehmung und Existenz. Das Wort ist wie ein Esel, worauf man sich setzt. Dieser reitet zum gewählten Ziel. Dann hat das Wort seinen Dienst getan – nun muss der Mensch, das Subjekt und der ehemalige Wortträger, absteigen und sich selbst einem Geschehen aussetzen.

Das ist Wahrheit. Das Wort ist ein Träger, ein Bote, ein Symbol, ein Repräsentant einer Wahrheit. Die Wahrheit ist anders und nicht das Wort. Sie ist ein lebendiges Geschehen mit einer lebenden Seele. Sie ist ein Prozess. Sie kann geschehen, oder nicht. Das Wort ist eine raum-zeitliche Hülse, das synchron und diachron verstanden werden kann und kennt die Einteilung von Zeiten. Wahrheit dagegen als Wirklichkeit (und im quantenmechanischen Sinne als Möglichkeit) geschieht immer neu im Jetzt. Vergangenheit und Zukunft sind Gedankenkonstrukte, deren sich das Wort bedient. Das immer neue Jetzt ist der Name für Werden und Prozess. Das Wort vermag Wahrheit zu berühren, und Wahrheit umfasst auch das Nicht – Wort im Schweigen. Das Wort wird auch vom Künstlichen und Toten erfasst, die Wahrheit nur vom Lebendigen. Das Wort kann lebendig sein, muss aber nicht. Wahrheit ist immer lebendig, ansonsten fällt sie ins Wort und wird zu Wort. Das Wort ist für Intellektuelle. Die Wahrheit ist für Weise.


(1) google: Wikipedia, Heraklit, Anmerkung 25


Sinn und Verb




Der Sinn von etwas findet sich im Verb. Im Verbum lebt eine Sprache. Jeder Übersetzter findet vornehmlich im Verbum Zugang zum Verständnis eines Textes. Suche die Verben, streiche sie an, übersetzte sie, und du weisst, worum es geht. Das ist der wirklich einzige sinnvolle Trick von Übersetzern für Studenten der Sprache.

Im Substantiv steckt Substanz, das, woraus etwas besteht, ein Name für Wesenheiten, eine Beschreibung von Dingen. Verben dagegen beschreiben Bewegungen, Zeiten, Arten des Seins und Werdens. In ihnen äußert sich das Leben, und weil Wahrheit lebendig ist, die Wahrheit selbst. Substantielle Wahrheiten hatten ihren Wert, irgendwann, irgendwo in der Zeit. Substanzbegriffe S sind wie Zeitdifferentiale zeitabhängiger Lebensfunktionen L und - gleichungen: S = ∂ L/∂ t. Wirft sich ein Logosverständnis vornehmlich Substantiven an den Hals, ist es in Wahrheit dabei, Heraklits bewusste Unfähigkeit, den Logos richtig zu benennen, in die Tonne zu treten. Substantielle Logiker haben Heraklit und auch Johannes längst verraten, denn sie suchen, was nicht zu finden ist. Sie sind in Wahrheit Götzendiener des Substantivs Logos und dienen willfährig als ihre intelligenten Priester. Sie haben auch Gott in die Substanz gezogen. Das war der Geburtsgrund von Theologie.

Lao Tse, vielleicht ein Zeitgenosse Heraklits, brachte es auf den Punkt. Er nannte ein zugrunde liegendes Prinzip Tao, und er vermochte es nicht zu beschreiben. Manche übersetzten es mit Weg, andere mit Sinn; im heraklitischen Sinne mit Wort zu übersetzten, ist gewiss auch nicht verkehrt:


"Der Weg (Tao), der mitgeteilt werden kann, ist nicht der ewige Weg.
Der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name.
Das Namenlose ist der Anfang von Himmel und Erde.
Das Benannte ist die Mutter der zehntausend Dinge.
Allzeit ohne Wünsche, sieht man die Erscheinungsformen.
Ihr Ursprung ist derselbe, unterschiedlich sind ihre Namen,
sie erscheinen Dunkel.
Dunkelheit inmitten von Dunkelheit.
Das Tor zu allem Geheimnis." (Kapitel 1, siehe (1)).


Das Verb führt ein Substantiv in Gefilde des Lebendigen und lässt etwas geschehen. Es geschah, sagten die alten Hebräer, wenn sie vom Wort Gottes sprachen, und hier erwiesen sie sich ehrlicher als Substanzlogiker derer, die Aristoteles nachfolgen. Der arme Peripatetiker! Sie stürzten sich guten Willens auf ihn, als seine Schriften wieder zum Vorschein kamen und versuchten ihn zu rezipieren. Generationen von Studenten sind darin ausgebildet worden, den Schüler Platons als Substanzlogiker zu verstehen und auch zu behandeln. Und sie machten das Wissen um ihn zum Prüfstein gelehrter Geister und rümpften ihre Nasen, wenn kernige Typen, anstatt mit Kategorien und Entelechiebegriffen vertraut zu sein, mit ihren Hühnern sprachen und Bäume zärtlich umarmten, weil, so versicherten sie, diese doch auch lebendig seien, als unsere anderen Brüder und Schwestern sozusagen. Ideen des Animismus und der Beseelung des gesamten Universums mag dem Substanzlogiker absurd vorkommen, er mag zudem seine substanzlogische Unterteilung in Lebendiges und Nichtlebendiges höchst einleuchtend finden und jeglichen Versuch einer neuen Diskussion vermeiden wie der Teufel das Weihwasser – in nicht zu unterschätzendem Masse verweigern nicht wenige Subjekte, die auch zur Gattung Homo sapiens zählen, eine subjektlogische Gefolgschaft. Sie lehnen Aristoteles nicht per se ab, als sei der ein philosophischer Satan und bedürfte eines dauernden Exorzismus zum Heile intelligenten Fortfahrens ungestörter Rezeption.

Das Gegenteil ist richtig. Aristoteles` Arbeit, soweit verstanden, ist mitnichten abzulehnen., denn er tat nur das, was alle Menschen tun – arbeiten, hier mit Worten. An sich gibt es den falschen Philosophen nicht so einfach, wie sich das selbstbewusste Arbeiter nicht selten vorstellen. Nicht Verifikation oder Falsifikation ist richtig, sondern beides als Offenbarung des Arbeitens. Beides hilft zu nächsten Schritten. Und Aristoteles hat nichts falsch gemacht, das verdammenswert wäre. Er hat sich nur am Wort versündigt und, unähnlich Lao Tse, die Welt ins Wort zu pressen. Zudem hat er über Heraklit die Nase gerümpft, was ja an sich egal ist. Nur die Anhänger des Aristoteles haben ihren Meister zum Gott erhoben und haben Schwierigkeiten, ihre Substanzlogik zu hinterfragen. Nein, Herr Aristoteles, Sinn liegt nicht in Substanz, und schon gar nicht in Substantiven. Logos ist auch nicht bloss Lehre und Wort als Substantiv. Wenn schon, dann liegt Sinn im Verbum, und nicht das Wort war Heraklits Anliegen, sondern was das Wort bewirkt und nicht richtig gesagt werden kann. Aber du hast ja auch deinen Lehrer Platon versucht zu entzaubern, indem du auch das, was dieser nicht zu nennen vermochte, seine Welt der Ideen, in die Dinge (ha, Substanzen) selber reinlegtest; dann hast du ein neues Wort erfunden (Entelechie, oder?) und deinen Lehrer in die Eier getreten, weil der doch so dämlich war, aus seinen Ideen eine Schattenwelt zu postulieren, die unsere Sinne trübt, während du das nicht für dich gelten lassen wolltest, nicht wahr? Und indem du das Unsagbare in die Dinge selbst verfrachtet hast, hofftest du die Schattenwelt deines Lehrers zu vermeiden und hast deine Nachfolger – nicht wenige unter ihnen Trottel – verführt zum Sagbaren und hast sie ermutigt, das Unsagbare zu fürchten und hassen. Schau dich um – all die dicken Bücher über Gott und Sein und Welt und Universum, sie alle zeugen von der Furcht vor dem Ungesagten, als bedrohe es eine Lebenswelt, in der es nur um Sagbares und Sinnvolles geht, als sei das Schweigen Sünde und Nichtwissen Impotenz.

Impotent sind deine Jünger, großer Meister, weil sie aus allem einen Sport machen, selbst aus Liebe, den Sport der Wortfinder und Wortbauer. Sie müssen alles verstehen und leiden keinen Müßiggang. Alles „muss was bringen“. Alles „muss was kosten“. Alles „braucht seinen Wert“. So habt ihr Gott zum Ding gemacht, zumal zum grössten, wenn auch nicht ganz vorstellbar. Und zum grössten Ding passt der grösste Herrscher, später abgeschwächt als grösster Unternehmer, und das Universum ist sein Unternehmen. Ihr habt den Kapitalismus salonfähig gemacht und ihn gar in den Geist selber eingeführt, so wie euer Lehrer Aristoteles das Unsagbare seines Lehrers Platon in die Dinge selber legte und Entelechie nannte. Entelechie ist Kapitalismus des Geistes, weil es nichts mehr offen lässt und alles subsummiert im Ding selber. Wehe euch, ihr Anhänger der Substanz, die ihr kein Geheimnis ertragt und als Ersatz dafür den Handel setztet, den Handel mit nichts und allem, um euch ein Gefühl verlorengegangenen Lebendigseins vorzugaukeln! So weit sind wir gekommen, dass die modernen Priester des Menschlichen Händler und Geldwechsler sind, studierte Buchhalter, Unerbittliche im Umgang mit verängstigen Kreaturen, die aus lauter Furcht Dinge sahen, die sie nicht meinen und Potenzpillen schlucken müssen, weil sie sich über die lächerliche Steife ihres Gliedes definieren und nicht wagen, im Schweigen und Nichtwissen zu ruhen.

Dabei wissen sie wirklich nicht im Rahmen des geforderten Wissens der Priester in Schlips und Anzug, denn sie werden dumm gehalten und mit geistiger Mangelnahrung gespeist, im Stehen meist, mikrowellenbehandelt und ohne Muße. Der moderne Mensch ist so in zweierlei Hinsicht betrogen. Einmal wurde er substanzversessen, ein anderes mal kapitalismusbesoffen, und in beiden Fällen geht es nicht um Aufklärung, die das Wesen der Wahrheit betrifft. Maß für Maß und Zahn für Zahn hat das Talionsrecht Marktplatz und Seele besetzt ohne Gefühl für beides, Freude und Schmerz. Die Freude ruft noch immerzu in den Zwischenwelten, weil sie gern frei schenkt und nichts verlangt als Gegenpreis. Und der Schmerz weint um den Wahnsinn des Scharrers, der alles zu Geld macht und weder Lachen, noch Tränen sieht, dafür Effizienz und time is money. Siehe, gütiger Aristoteles, siehe, wohin deine Substanz verkam, nachdem du sie zur Hypostase eines Geistes erklärtest, der nur nach sinnvollem Nutzen schaute im Dienste keiner Wahrheit, außer vielleicht einer substantiellen Wahrheit, die als Objekt im Aktenschrank zu liegen kommt!


(1) google: Tao Te King Text


Confiteor




Nein, wir wollen uns nicht weiter echauffieren über den Sünder Aristoteles, hat er doch nur seine Arbeit getan und philosophiert, und wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Haben nicht auch seine Nachfolger philosophiert, sitzen nicht in deutschen Geisteshäusern wohlgelehrte Philosophen, die ihr Handwerk gelernt haben, Texte zu sezieren, zusammenzusetzen und zu rezipieren, wiewohl diese Art Arbeit Anatomen zukommt bei ihrer Arbeit mit Leichen. Ganz recht, Leichenarbeit! Nichts anderes bemüßigen sich die Wortanatome zu tun, indem sie Lebendiges, Geist gar, in den Texten suchen und zusätzlich die Geister derer, die da kräftig schneiden, zu betäuben mit maßlosen Begriffen, Listen und Verfahren. Noch Paulus weiß um einen Geist neben dem Buchstaben (2. Kor 3, 6), einen Hauch, der da lebendig macht: τὸ δὲ πνεῦμα ζῳοποιεῖ.

Nein, wir haben kein Recht, uns allzu sehr aufzuregen über die Fehlleitungen des Aristoteles und seiner Nachfolger, wir alle haben in dieser Hinsicht gefehlt und mangeln des Ruhmes, der vor Gott gilt. Wir, die wir schreiben, von Berufs wegen oder aus anderen Motiven, wir alle haben Blatt für Blatt hinausgeschickt in eine Welt, um zu glänzen, wie schlau wir doch seien, weil wir uns abzuheben gedachten von denen, die dumpf dahinsiechen, wie wir es wortlos nannten, weil wir jene heimlich gescholten haben, die kaum ein Buch lasen und unserer gelehrten Wahrnehmung Bilder lieferten von einer unkultivierten und evolutionär rückständischen Menschheit. Das ist unsere Sünde, und sie hat nicht geringen Anteil an menschlicher Verrohung, Intoleranz und Verödung des Wortes. Es ist das Werk gelehrter Wortanatomen und Leichenfledderer, die den Tod salonfähig machten im Ästhetisieren und Versachlichen auch des Heiligen und Tabubeladenen, den Tod des Geistes und des Wortes und der Seele und derer, die vor lauter Gram und Ekel keinen Weg des Lebendigen erspähen mochten.

Aus der Tiefe rufe ich Herr, zu dir, rang sich der Beter des 130. Psalms empor und entfaltete so eine der frühesten und grundlegendsten Kalamitäten der Bibel überhaupt. Überhaupt trauten sich die Alten in biblischen Zeiten ungeheuerliche Sprache zu. Sie beteten aus Rache um Zerstörung ihrer Feinde. Noch in der Johannesoffenbarung rufen die Seelen der Leidenden nach Rache (Offb 6, 9), und Gott führt sein Rachegericht an der satanischen Allianz aus, geschildert in schaurigen Bildern. Diese archaische Sprache ist den gebildeten Christenmenschen abhanden gekommen, sie trauen sie nicht zu sprechen und glauben an die Unangemessenheit des Sprechens. Gleichzeitig sterben über 20000 Menschen täglich allein an Hunger, und kaum einer erhebt seine Stimme gegen das Töten. Seltsam – das scharfe Gebet erregt Abscheu, und die vollendete Übeltat keinen Protest.

Es mußte so kommen. Substanzlogik läßt nicht nur Kapitalismus entstehen, vielmehr tötet sie Gott. Nietzsches Wort rollt wie eine Donnerschlag bis in unsere Zeit:

"Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: "Ich suche Gott! Ich suche Gott!" — Da dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? — so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. "Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, — ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Todengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung? — auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet, — wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat, — und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!" — Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch. "Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert, — es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner, als die fernsten Gestirne, — und doch haben sie dieselbe getan!" — Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: "Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?""(google: Nietzsche, Der tolle Mensch Text).

Laut haben sie seitdem geheult und geklagt und die Dummheit des Menschen dafür verantwortlich gemacht. Und sie haben weiterhin Bildung betrieben und Worte seziert und Studenten ausgebildet und ihren Weg des Denkens nicht geändert noch je überdacht; Jägern und Sammlern früherer Zeiten gleich, haben sie Texte wie Trophäen gesammelt, katalogisiert und wie Leichen in Schränken und Archiven gehortet. Sie haben Nietzsche gehaßt und den Propheten nicht verstanden, und in geistiger Dekadenz liest der Gebildete bequem im Sessel sitzend „seinen Nietzsche“ und vermeint wohl zu wissen, warum Gott tot sei, und sie unterdrücken ihren Schmerz des Nichtwissens, weil die Substanzversessenheit sie wie ein Sklavenhalter antreibt, immer mehr zu wissen und Worte zu sammeln und alles erklären zu müssen, und sie glänzen in Diskussionen und verteilen Noten ihres Wissenssystems und bilden Clubs innerer Zirkel und zeichnen Eingeweihte aus mit totem Gerümpel.

Der Tod Gottes kommt nicht von ungefähr aus toter Sprache, oder genauer gesagt: aus der Verbannung von Wahrheit in die Substanz und damit Substantivierung. Heidegger ist auf der richtigen Spur – es macht keinen Sinn, über Sein als Substantiv zu spekulieren und fährt stattdessen mit dem Verb Seiendes fort. Auf der richtigen Spur sind wohl all diejenigen, die sich nicht von Sprachphilosophie haben besinnungslos schlagen lassen, jener geisttötenden Disziplin der Austreiber lebendigen Geistes und Vergifter purer Lebenslust. Ihr habt die Regeln für Reden gesetzt und erstellt Kanon für Kanon der Bücher, die ihr für wichtig haltet. Ihr schreibt Ozeane voller Tinte auf endlose Seiten geduldigen Papiers und lächelt abschätzig über den unbedarften Leser leichter Kost, weil es in euren Augen nicht zur Würde taugt, er aber, der unbedeutende Leser, liebt die leichten Zeilen, auch wenn er nicht vermag zu sagen, warum. Ihr aber habt die Latte hoch gesetzt und fordert Einsichten, die bereits den Schülern unterer Klassenstufen die Freude am Lesen gänzlich austreibt. Jawohl, ihr armseligen Kreaturen, ihr seid nicht nur Substantivisten, ihr folgt nicht nur in erregter Geilheit dem Pfad des Kapitalismus in jeglicher Hinsicht, ihr helft auch kräftig mit, daß Texte auskühlen und auf verstaubten Regalen verrotten, wohl registriert und eingeordnet natürlich. Und die bedauernswerten Schüler, neugierig in diese Welt gekommen, geraten schon sehr früh in den Strudel des Hoffnungs- und Geistlosen und erfahren recht schnell, daß dies nichts anderes ist als die Hölle, an deren Eingang eine Schrift erscheint:

"Ich bin der Weg ins wehevolle Tal,
Ich bin der Weg zu den verstoßnen Seelen,
Ich bin der Weg zur Stadt der ew'gen Qual.
Mich schuf mein Meister aus gerechtem Triebe:
Ich bin das Werk der göttlichen Gewalt,
Der höchsten Weisheit und der ersten Liebe.
Vor mir war nichts Erschaffenes zu finden
Als Ew'ges nur; und ewig währ' auch ich.
Ihr, die ihr eingeht, laßt die Hoffnung schwinden!“
So stand geschrieben über einer Pforte
In dunkler Schrift „O Meister!“ sprach ich drob,
Zu hart ist mir die Deutung dieser Worte.“
Er aber sprach nach seinem klugen Sinn:
„Hier mußt du allen Zweifelmut ertöten;
Hier ziemt sich keine Zagheit fürderhin.
Wir sind nun an dem Ort, wo ich dir sagte,
Du werdest da das Volk des Elends sehn,
Dem eigne Schuld das höchste Gut versagte." (3. Gesang, (1)).

Solcherart sind die Sünden der Schlauen und Klugen, und da sie sich für weise hielten sind sie zu Narren geworden, wie schon Paulus wußte (Röm 1, 22). Es ist wirklich höchste Zeit zum Umkehren und neuen Nachdenken über die von uns gegangenen und propagierten Wege des Todes und der Geistlosigkeit. Arthur O`Schaughnessy schrieb einst in einem Gedicht von der unbeschreibliche Wucht des Lebens:

"We are the music-makers,
And we are the dreamers of dreams,
Wandering by lone sea-breakers,
And sitting by desolate streams.
World-losers and world-forsakers,
Upon whom the pale moon gleams;
Yet we are the movers and shakers,
Of the world forever, it seems.

With wonderful deathless ditties
We build up the world's great cities,
And out of a fabulous story
We fashion an empire's glory:
One man with a dream, at pleasure,
Shall go forth and conquer a crown;
And three with a new song's measure
Can trample an empire down.

We, in the ages lying
In the buried past of the earth,
Built Nineveh with our sighing,
And Babel itself with our mirth;
And o'erthrew them with prophesying
To the old of the new world's worth;
For each age is a dream that is dying,
Or one that is coming to birth" (2).

So geschieht Leben, wie alles geschieht, und geschehen, ein Verb, ist die angemessene Beschreibung für diesen Lebensprozeß, dieses Aufblitzen und Erscheinen von etwas. Nichts existiert einfach, nicht Welt, nicht Leben, nicht einmal Gott. Woraus soll denn das Existierende hervor getreten sein, als wüßten bewußte Subjekte einfach so den Ort, die Zeit, oder beides. Ein Widerstreben der Substantivierung führt nur zu einem ehrlichen Ausdruck in verbaler Form: es geschieht. Welt, Leben, sogar Gott – sie geschehen, wenn sie geschehen. Möglicherweise geschehen sie auch nicht, vielleicht zeitweise, vielleicht nur auf gewissen Ebenen. Alles geschieht, wie es geschehen will oder nicht. Sein geschieht im Seienden, und so geschieht Gott. Anders als Gott im Geschehen definieren zu wollen, ist vermessen und – sinnlos. Existenz macht nur Sinn als Prozeß, nicht als substanzlogische Erörterung. Als lebendiges Geschehen offenbart sich Existenz ohne Schwierigkeiten, als Substantiv führt

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 05.02.2013
ISBN: 978-3-7309-1003-0

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