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Ich denke jeder von uns kennt sie. Oder nein, lassen sie mich das korrigieren. Ich denke fast jeder von uns kennt sie. Die die sie nicht kennen haben einerseits Glück, auf der anderen Seite allerdings haben sie etwas verpasst, denn so haben sie sich selbst um tolle Geschichten gebracht.
Lassen sie uns ehrlich sein, keinen Menschen interessieren gute, schöne Geschichten. Katastrophen will die Menschheit, egal welchen Ausmaßes. Die großen auf globaler Ebene, die kleinen auf kleiner Ebene. Blöde Geschichten lassen sich einfach besser verkaufen, siehe Medien, siehe Bücher.
Wenn alles glatt läuft, was wäre das für eine Geschichte? Ich frage sie, können sie mir ein Buch nennen, das tatsächlich jemand lesen würde, das nicht von Problemen handelt? (Falls schon werde ich diesen Essay hier sofort vom Netz nehmen.)
Sogar die seichtesten Liebesgeschichten handeln von Problemen. Zugegeben, es sind die klassischen: “Finden sich, Hindernis, überwinden Hindernis, Glückliches Ende”- Probleme, aber hey, es sind trotzdem Probleme. Und das wollen wir lesen/hören/sehen.

Wen interessiert schon das schöne, normale, gute Dahinplätschern des menschlichen Lebens? So gänzlich ohne Aufregung, einfach nur nett. Es ist zwar immer schön für den dahingeplätscherten Menschen, aber zum Erzählen taugen solche Geschichten wirklich nicht. Nein, die besten sind die, wo man sich im Moment des Geschehens fragt, ob das jetzt wirklich notwendig war.

Nehmen sie mich zum Beispiel. Im Moment sitze ich mit meinem neuen besten Freund vorm Laptop und tippe herum. Mein neuer bester Freund hört auf den Namen Cider und verbreitet gerade angenehme Schwere in meinem Gehirn. Es war wieder einer dieser Tage, wo man sich fragt, ob man dafür tatsächlich aufstehen musste.

Wie angenehm wäre das Leben, wenn man einfach liegen bleiben könnte, wenn man schon nach dem Aufwachen merkt, dass das kein guter Tag werden kann. Kennen sie das auch? Sie wachen auf und denken sich: “Oh Mann, der Tag ist schon im Eimer.” Man könnte sagen es ist nur Einstellungssache. Teilweise haben sie sicher recht. Aber andererseits auch nicht.

Sie fragen sich vielleicht was mich dazu gebracht hat, meinen besten Freund zu wechseln. Nun ja, eine Anzahl von Ereignissen, die ich ihnen hier nicht erzählen werde. Vielleicht im nächsten Essay. Nein, dieses Schriftstück hier hat eine andere Aufgabe, und die lautet: Mir helfen. Und zwar schlicht und einfach mir verstehen helfen, was denn da heute schief gelaufen ist. Bevor sie sich dramatische Szenarien ausmalen, nein, so schlimm war es auch wieder nicht. Es war eben eines von diesen, die im Augenblick inneres Kopfschütteln auslösen, gepaart mit einem ungehörten Seufzer und den Worten: “War das jetzt wirklich notwendig”, aber dann umso bessere Geschichten sind. Mein heutiges Date.

Wollte ich jetzt Ursachenforschung betreiben, würden mir auf Anhieb 2 Gründe einfallen, warum das heute so daneben gegangen ist.

Zur Erklärung, denn es wird sie vermutlich langweilen, wenn ich da was analysiere, von dem sie nichts wissen: Wir trafen uns in einem Vergnügungspark. Kennen sie den Wiener Prater? Wenn nicht, macht auch nichts. Stellen sie sich einfach einen Vergnügungspark vor, mit Achterbahn, Riesenrad und Geisterhaus. Haben sie’s? Gut. Stellen sie sich bitte weiter folgende Situation vor: da bin ich, lässig gekleidet mit Sonnenbrille und Converse, neben mir ein lässig gekleideter junger Mann, wir schlendern so dahin und sehen uns die Attraktionen an. Da ist es. Haben sie es bemerkt? Wir SCHLENDERN und SEHEN. Kein Wort von einem Wort. Und das meine ich wörtlich. Keiner redet.

Normalerweise bin ich nicht unbedingt scheu, ich finde bald mal was zum Reden. Allerdings war das nicht das erste Treffen mit jenem neben mir schlendernden, lässig gekleideten jungen Mann. Es war ein erneuter Anlauf. Die vorhergehenden scheiterten an Kommunikationsproblemen. Im wahrsten Sinn des Wortes. Die Kommunikation fand nämlich nicht statt. Ich versuchte viel reden, ich versuchte normal reden, ich versuchte wenig reden, ich versuchte nicht reden. Um ihn zum Reden zu bringen. Können sie es schon erahnen? Ich scheiterte. Kläglich.

Hierzu habe ich jetzt 2 Theorien. Die erste wäre der altbekannte Ödipuskomplex. Unbewusst suche ich einen Mann, der wie mein Vater ist. Mein Vater ist ein relativ schweigsamer Mensch. Seine Devise lautet: rede, wenn du etwas zu sagen hast. Höchst erfrischend inmitten eines Haufens von Menschen, die den Klang der eigenen Stimme lieben. Denn mein Vater redet tatsächlich nur, wenn er etwas zu sagen hat. Er redet nicht ständig, aber wenn er etwa sagt, dann ist es etwas intelligentes. (Natürlich gibt es Ausnahmen, mit viel Geschick bringt man ihn zum “blöd reden”, was selten geschieht, dann aber umso lustiger ist.)

Meine zweite Theorie ist die, dass ich die armen Männer so dermaßen einschüchtere, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als dass sie schweigen. Gut, ich gebe es zu, die Theorie stammt nicht von mir, die hat meine Nachbarin geäußert. “Du bist einfach zu intelligent, da kriegen sie Angst.” Davon kann man halten was man will.

Falls sie jetzt denken ich solle mich nicht so anstellen, nur weil einer nicht redet heißt das noch lange nichts. Ähm, kleine Korrektur. Er ist nicht der erste. Oh nein, es gab schon andere zuvor, die ebenfalls nichts redeten. (Gut, zugegeben, es waren auch Redner dabei, aber das ist nicht das Thema hier).

Und dank dieses Dates sitze ich jetzt also hier und lasse sie an meinem Gedankenfluss teilhaben. Es wäre natürlich viel stilvoller, wenn ich das mit einem Glas Rotwein und einer Zigarettenspitze tun würde. Nun ja, Rotwein schmeckt mir nicht, und ich bin Nichtraucherin. Wenn das was hilft, ich trinke Cider aus einer Sektschale, höre Wagners Präludium zu Parsifal und habe Sonnenbrillen auf. Wieso die Brillen, mitten in der Nacht, fragen sie? Keine Ahnung, wenn sie es herausfinden, sagen sie es mir bitte. Der Laptopbildschirm ist so hell, zählt das? Egal.

Jetzt sollte ich schön langsam zum Punkt kommen, meint meine Erziehung, die sich als kleine Stimme in meinem Hinterkopf bemerkbar macht. Hier muss ich sie enttäuschen. Es gibt keine Punkt. Hier zählt nicht die “Erfahrung”, die sonst als Rechtfertigung für jeden Blödsinn herhalten muss. Immer wenn man eine Dummheit macht, redet man sich damit heraus, dass es eine Erfahrung sei.

Aber hier zählt das nicht. Es ist keine Übung, es ist kein Zeitvertreib, es ist rein gar nichts. Es ist ein Abend, der verschwendet ist, ein Abend, den ich hätte anders verbringen können, ein Abend meiner Jugend, der jetzt weg ist und nie mehr wiederkommt. Es ist der Abend, an dem etwas tolles hätte passieren können, wenn ich nicht bei diesem Date gewesen wäre. Dies hätte der Abend sein können, der mein Leben positiv verändert. Aber nein, das war er nicht. Denn ich war nicht da. Ich war nicht dort, wo diese großartige Veränderung stattgefunden hätte. Die hat ohne mich stattgefunden, konnte mich nicht finden und ist wieder verschwunden. Weil ich ja nicht da war. Ich war im Prater. Und habe geschwiegen.

Meine Ciderflasche ist leer, ich muss nachsehen, ob noch eine da ist. Und dann werde ich mit meiner Nachbarin anstoßen, denn sie ist eben heimgekommen. Von ihrem Date. Mal sehen was sie so zu erzählen hat.


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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2009

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