Er saß an seinem Schreibtisch und sah aus dem Fenster. Genau genommen war es ein Küchentisch. Aber da er gerade saß und arbeitete, dachte er, er könnte ihn “Schreibtisch” umtaufen. Oder Arbeitstisch, aber Arbeitstisch klang so nach körperlicher Arbeit, und das tat er ja nicht, ergo Schreibtisch. Denn das war, was er eigentlich machen sollte: schreiben. Eigentlich.
Er seufzte und schob ein paar Zettel vor sich hin und her. Dann sortierte er die zwei Bleistifte vor ihm nach Größe. Er starrte auf den Laptop. Vor ihm blinkte eine leere Seite. Alle paar Minuten schaltete sich der Bildschirmschoner an. Du solltest arbeiten. Jedes Mal tippte er genervt eine Leerzeile, um den Computer wieder zu wecken. Verzweifelt fuhr er sich mit den Händen durch die zerzausten Haare und verwandelte sie in ein noch größeres Chaos. In seinem Gehirn saß ein kleiner Affe und schlug zwei Tschinellen zusammen. Das war alles. Keine Idee, keine Inspiration, noch nicht einmal der Ansatz eines Gedankens.
Frustriert sprang er von seinem Sessel auf und trommelte mit den Fäusten auf die Tischplatte, um den Rhythmus des Affen zu brechen. Dann rannte er um den Tisch herum, rang die Hände und fuhr sich über das Gesicht, von dem die Haut in ungesunden Falten hing. Sein Magen knurrte, was er ignorierte. Sein Rücken schmerzte. Er streckte sich und versuchte, die verspannten Muskeln zu entspannen, was misslang. Dann rollte er den Kopf, bis die Wirbel knackten, knackte mit den Fingerknöcheln und setzte sich wieder hin, Hände auf die Tastatur, Finger bereit, um zu schreiben.
Und so saß er und wartete auf die große Erleuchtung. Sein Blick wanderte im Raum umher, verzweifelt auf der Suche nach einer Quelle der Inspiration. Er trommelte auf der Tastatur herum und löschte anschließend die willkürlichen Buchstabenkombinationen. Er nahm die Hände wieder von der Tastatur und legte sie um den Nacken. Dann ließ er den Kopf nach hinten fallen und starrte auf den Riss in der Decke. Er konnte den Riss schon auswendig aufzeichnen, so oft hatte er schon in purer Verzweiflung auf die Decke gestarrt. Er stand wieder auf, gab Laute der Unlust von sich und ging ein Glas Wasser trinken. Dann sortierte er seine CDs, zum hundertsten Mal. Diesmal nach dem Vornamen des Künstlers. Er verbrachte einige Minuten damit, sich zu fragen wie er das mit den Bands machen sollte: nach dem Vornamen des Lead Singers oder nach dem Anfangsbuchstabe des Bandnamens? Denn was wenn er dann nach dem Nachnamen des Künstlers sortierte? Und wenn er das machte, wie sollte er dann die Künstler handhaben, die nur unter ihrem Vornamen bekannt waren, wie etwa Madonna? Er beschloss, besser nach dem Anfangsbuchstaben des Albumnamens zu gehen. Dann vielleicht noch nach Genre, vielleicht nach Erscheinungsjahr, ...?
Streng rief er sich zur Disziplin auf. Du solltest arbeiten. Diese kleine Stimme in seinem Unterbewusstsein hatte sich mit dem Bildschirmschoner verbündet und traktierte ihn mit dem gleichen Spruch. Entnervt warf er eine CD in den CD-Player und drückte Play, bevor er an seinen Computer zurückkehrte. Aggressive Beats umspülten seine Ohren, konnten jedoch die alles ertränkenden Geräusche des Affen nicht übertönen. Und so saß er und konnte an nichts denken. Er versuchte, seine Gedanken schweifen zu lassen. Konzentrier dich auf nichts, denk an nichts, warte wo deine Gedanken dich hinführen. Denk nicht an die Deadline, an den Verlag.
Und so saß er und versuchte, nichts zu denken. Es funktionierte nicht. Der Affe war allgegenwärtig. Gut, wie du willst. Er fing an zu tippen. Er beschrieb den Affen, die Braunfärbung des Fells, die Schleife auf seinem Hut, die grüne Borte auf seiner gelben Weste. Der Affe ließ sich nicht beirren und schlug weiterhin seine Tschinellen zusammen. Er erinnerte den verzweifelten Schreiber an die Duracel-Hasen. Eine Idee tauchte auf. Vielleicht war der Affe der Duracel-Hase? Dann müsste er eigentlich nur die Batterie entfernen, und alles wäre gut. Also ging er in Gedanken auf die Suche. Wo konnte wohl die Batterie versteckt sein? Er drehte den Affen; allerdings drehte der sich mit. Er versuchte den Affen festzuhalten, allerdings fand er das sehr schwer, wenn man bedachte dass der Affe sein ganzes Gehirn okkupiert hatte und er außerhalb seines Hirnes war. Dieser Gedanke störte ihn. Wie kann ein Affe in meinem Hirn sein und ich bin außerhalb? Da er ohnehin nichts anderes wusste, verfolgte er den Gedanken schriftlich weiter. Wäre dies eine fantastische Geschichte würde ich mich jetzt selbst in meinen Kopf saugen, allerdings, was passiert dann mit mir? Wie die Schlange, die ihren Schwanz frisst? Vielleicht erklärt das die verschwundenen Menschen, von denen keiner weiß, wo sie sind? Er las sich durch, was er geschrieben hatte. So ein Schwachsinn!
Er stand auf und legte eine andere CD ein. Melodisches Gedudel umhüllte ihn. Nein, dazu war er in der falschen Stimmung. Vielleicht etwas Romantischeres? Er sah seine Sammlung durch; Er hatte nichts Romantisches. Das erstaunte ihn. Was für ein Mensch hat nichts Romantisches in seiner CD-Sammlung? Ein Hardcore Goth oder Punk oder Metal Head. Aber er war keines davon. Ein enttäuschter Mensch. Ein Mensch, der sich nichts mehr erwartet. Langsam begann sich in seinem Kopf ein Charakter zu entwickeln. Der Affe wurde leiser, als der Charakter lauter wurde. Er entstand wie eine Zeichnung. Zuerst waren es nur ein paar Bleistiftstriche, ein Grundgerüst. Nach und nach wurden die Linien stärker, deutlicher. Dann wurde der Charakter färbig. Der Schreiber war glücklich. Er hatte einen Charakter. Er begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. “Nun denn, sehen wir mal was wir mit dir machen können, mein Freund.” Er setzte sich an seinen Computer und fing an zu schreiben.
Texte: Coverbild: http://www.sammelgut.ch/medien/sammelsurium/bilder/sammel6.jpg
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Das Buch ist für alle, denen es manchmal ähnlich geht. Nur nicht aufgeben!