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Paloma


XXL-Leseprobe

 

 

 

von Alexandra Dannenmann

 

 

 

 

 

Text und Bildmaterialien:

Copyright: © 2013 Alexandra Dannenmann

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

Inhalt

 

 

 

Erster Teil - Paloma 1974

Zweiter Teil - Philipp 1977

 

Impressum

Erster Teil

 

 

 

PALOMA

1974

 

Der Tramontana blies schon seit Stunden und trocknete die Erde, bis allmählich das satte Braun der Felder nach dem kurzen Regenschauer am Morgen wieder verblasst war. 

Zungenschnalzend trieb Paloma ihre Ziegen und Schafe an, wenn sie an den spärlichen Kräuterbüscheln knabberten, die da und dort zwischen den Steinen hervorwuchsen. Sie hatte es eilig, nach Hause zu kommen, denn hinter dem Pinienwäldchen im Osten stiegen erste Nebelschwaden auf und die feuchte Abendluft kroch unter ihr dünnes Kleid und das Tuch, das sie über den Schultern trug. 

  Als sie die kleine, kahle Anhöhe mit ihren vom Wind eben geschliffenen Felsen hinaufstieg, sah sie aus südlicher Richtung einen Mann auf sich zukommen. 

Ein Fremder, soviel war auf den ersten Blick zu erkennen. Seine Beine waren lang und dünn. Länger und dünner als bei den Leuten hier auf Magali. Paloma veränderte ihre Richtung ein wenig, ließ den Fremden jedoch nicht aus den Augen. 

Ein Barbudo. Das sah sie jetzt deutlich. 

Da auch der Fremde seine Richtung änderte, kam er allmählich näher, und so konnte sie sehen, dass sein Bart von derselben Farbe war wie der Sand am Wasser, wenn die Sonne darauf schien. Paloma trieb die beiden Ziegen an, indem sie ihnen mit der flachen Hand auf den Rücken klatschte. 

„Hola!“, rief der Mann ihr zu. 

Verwirrt über den Zuruf in ihrer eigenen Sprache aus dem Mund eines Fremden, ging Paloma schneller. 

Aber der Fremde holte sie ein und ging jetzt neben ihr her. Er war noch jung, das sah sie deutlich, und er sagte etwas zu ihr, was sie aber nicht verstand, obwohl es ähnlich klang wie die Sprache von El Profesor, dem Lehrer, der den Inseldialekt nicht sprach. Sie hatte Lesen und Schreiben bei ihm gelernt, allerdings nur einige Jahre in den Wintermonaten. Ihrer Kusine Alicia, mit der sie zusammen zur Schule ging, war der Weg zu weit gewesen und allein hatte die Mutter sie nicht gehen lassen. 

Der Fremde ging immer weiter neben ihr her. Ab und zu nickte Paloma mit dem Kopf, immer dann, wenn sie glaubte, ihn verstanden zu haben. Hauptsächlich war sie jedoch damit beschäftigt ihn anzusehen. Er trug merkwürdige Schuhe mit hohen Schäften, in welche Linien und Kreise eingeritzt waren und die dazu noch aus Leder waren. Nicht wie ihre eigenen leichten Stoffschuhe mit geflochtenen Sohlen aus Hanf. Ihr Blick ging höher zu seinem Pullover aus Schafswolle. Auch daran erkannte sie, dass er nicht von der Insel war. Die Wolle ihrer Schafe ging hinüber zum Festland, denn Schafswolle gehörte zu dem Wenigen, das ein bisschen Bargeld brachte, was sie so dringend brauchten. Für den Médico zum Beispiel und die Medikamente, die der Vater wegen seiner Schmerzen im Magen immer wieder brauchte. 

Wo sie wohne, wollte der Fremde wissen. Wenigstens glaubte Paloma das verstanden zu haben und so deutete sie in westlicher Richtung. Dabei fiel ihr Blick auf den eigenartigen Halsschmuck, den der Fremde trug. Aus Silber war er nicht, Silber kannte sie. Ihre Mutter besaß einen Ring aus Silber mit einer so winzigen Mutter Gottes mit ihrem Kind, dass sie kaum zu erkennen war. Nein, aus Silber war der Schmuck des Fremden bestimmt nicht. Genau genommen war er nichts weiter als eine dünne Lederschnur mit einem kleinen durchbohrten Stein daran, einem Stein, wie man sie zu Tausenden auf den Feldern fand. Steine, deren Oberfläche von Wind und Wetter glatt poliert waren. 

Der Fremde hatte ihren Blick bemerkt. Er lachte. Mit Zähnen so weiß wie die Salzhügel in den Salinen. Und plötzlich tat er etwas ganz und gar Unerwartetes. Er nahm das Lederband ab und legte es ihr um den Hals. 

„Nein“, sagte sie mit vor Aufregung heiserer Stimme. 

Aber der Fremde hielt ihre Finger fest, die das Halsband abstreifen wollten und so gab sie nach. Entwand ihm ihre Hand und berührte vorsichtig den kleinen Stein, der jetzt auf ihrer Brust lag. 

Umwabert von Nebelfetzen tauchten in der Ferne die kahlen Äste der Feigenbäume auf, hinter denen das Haus ihres Vaters lag. Und kurze Zeit später war es auch bereits zu erkennen. Für Paloma ein eher beunruhigender Anblick, denn soweit sie sich erinnerte, war noch niemals einer der Fremden, die neuerdings auf die Insel kamen, die meisten in bunter Kleidung und langhaarig, Männer wie Frauen, in die Nähe ihres Hauses gekommen. So als ob der Fremde ihre Gedanken erriet, blieb er plötzlich stehen. 

„Na, ich muss jetzt wohl weiter, aber ich denke, wir sehen uns wieder.“ 

Das hatte Paloma trotz seiner merkwürdigen Aussprache verstanden. Sie nickte und trieb ihre Tiere auf das Tor in der Trockenmauer aus Feldsteinen zu, die den Hof weitläufig umgab, ohne sich auch nur einmal umzusehen. 

Während sie dem ausgetretenen Pfad zum Haus folgte, griff sie nach dem kleinen Stein auf ihrer Brust, der bei jedem ihrer Schritte auf- und nieder tanzte und schob ihn in den Ausschnitt ihres Kleides. 

Das Haus bestand aus mehreren steinernen Würfeln, drei insgesamt, bewohnt wurde allerdings nur der mittlere und größte. Und in diesem wiederum bildete die Sala, der Wohnraum, den Hauptteil. Der Raum daneben, ein Raum mit offener Feuerstelle, auf der gekocht wurde, war eher klein. Ebenso die beiden Schlafkammern, links und rechts der Sala. 

Der zweite Trakt diente als Vorratskammer. In einer Ecke waren einige Holzkisten gestapelt, in denen sie, eingebettet zwischen Kräuterbüscheln, ihre Feigenernte aufbewahrten. In der anderen Ecke stand ein halbvoller Sack Kartoffeln und von der Decke hingen geflochtene Schnüre mit Zwiebeln, Knoblauch, Paprika und Tomaten, die sich im ständigen Luftzug zwischen den beiden offenen Fenstern wiegten. 

Im dritten und letzten Anbau, der mit seinem schrägen Dach wie angeklebt an das Haus wirkte, wurde in zwei Holzfässern, einem großen und einem kleinen, der Wein aufbewahrt. Daneben gab es einen zementierten Trog, in den der Vater jedes Jahr nach der Weinlese stieg, um mit bloßen Füßen den dunkelroten Saft aus den Trauben zu stampfen. 

Bevor Paloma das Haus betrat, ging sie zur Zisterne und holte Wasser für die Trinknäpfe der Tiere. Außer den drei Ziegen und acht Schafen hatten sie noch einiges an Federvieh. Tauben, Hühner, Gänse und Truthähne. Schnatternd folgten ihr die Gänse, als sie zu dem niedrigen Stallgebäude ging, das abseits vom Haus hinter ein paar alten, knorrigen Olivenbäumen stand, um Futter zu holen. 

Während sie mit einer leeren Konservendose Körner aus einem Sack schöpfte, fiel ihr Blick auf die dunkle Ecke ganz hinten, dorthin wo die Saatkartoffeln lagerten. Sie hatten bereits kräftig ausgetrieben, denn es war bereits Mitte Februar, höchste Zeit also, dass sie in den Boden kamen. Der Vater verschob die Aussaat jedoch von einem Tag zum anderen. Er wartete auf Regen. Auf richtigen Regen und nicht solche kurzen Schauer wie an diesem Morgen. Paloma dagegen hoffte insgeheim, dass der Regen noch lange auf sich warten ließe. Sie war lieber mit den Ziegen und Schafen unterwegs, als tagelang Steine aus den Furchen zu lesen, die der Vater mit der Hacke zog oder der Mutter zu helfen, die Saatkartoffeln auszulegen. 

Ein Geräusch drüben vom Weg her, das sich wie ferner Donner anhörte, ließ sie unter die Stalltür treten. Kurz danach sah sie, wie sich das schon reichlich altersschwache Auto des Médicos dem Hof näherte. 

Rasch trat sie vor den Stall und warf die Futterkörner breitflächig aus. Im gleichen Augenblick begann das Gegacker, Gurren und Flügelschlagen und das Federvieh kam von allen Seiten heran und stürzte sich auf die Körner. 

Paloma rieb sich den Staub der Körner von den Händen und stand dann mit hängenden Armen da. Drüben am Haus stellte der Médico den Motor seines Wagens ab und dann war nur noch das Gurren und Gackern von Tauben und Hühnern zu hören. 

Paloma rührte sich nicht von der Stelle. Angst stieg plötzlich in ihr auf und sie starrte auf den Boden, obwohl es nichts weiter zu sehen gab als Steine, Hühnerdreck und kleine Federn, die der Tramontana, der Wind aus dem Norden, vor sich hertrieb.  

Erst als ein Gerumpel drüben auf dem Weg die Ankunft des Vaters ankündigte, löste sie sich aus ihrer Erstarrung. Als sie aufblickte, sah sie, dass der Nebel sie mittlerweile eingeholt hatte, einzelne Schwaden hingen bereits zwischen den Ästen der Olivenbäume hinter dem Haus. 

Sie ging dem zweirädrigen Karren des Vaters entgegen, um das Maultier auszuspannen, wie sie das immer tat. Heute jedoch gab ihr der Vater mit einer müden Handbewegung zu verstehen, dass sie es bleiben lassen sollte. 

Während Paloma noch dastand und den Vater fragend anschaute, schoss ihr plötzlich Loca, ihre kleine Hündin, vor Freude winselnd zwischen die Beine. Paloma fragte sich, wieso sie keinen Laut gegeben hatte, als sie vorhin auf den Hof zurückgekehrt war. Aber heute Abend schien alles anders zu sein als sonst. Beklommen suchte sie nach einer Erklärung im Gesicht des Vaters. Der hielt jedoch den Kopf gesenkt und schwieg und sie erkannte daran, dass während ihrer Abwesenheit etwas auf dem Hof geschehen sein musste, etwas Großes, etwas Schreckliches. 

Die Mutter war gestorben an diesem Nachmittag. Das erfuhr Paloma jedoch erst, als sie die Mutter auf ihrem Bett liegen sah. Der Vater hatte auch dann noch geschwiegen, als sie neben ihm her auf das Haus zugegangen war. Kurze, unsichere Schritte hatte er gemacht und auch nicht mit den Armen geschlenkert wie sonst. 

Wie sie später erfuhr, hatte die Mutter wohl eben die Ziege gefüttert, die mit ihren zwei Tage alten Zicklein im Stall stand, als es passiert war. Denn dort hatte der Vater sie gefunden. Ihre Mutter, die niemals über irgendwelche Schmerzen geklagt hatte. Mit angehaltenem Atem hörte Paloma zu, als der Vater mit dem Médico redete, während sie neben dem Bett standen, auf dem die Mutter lag. Paloma wagte sich nicht weiter als bis zur Tür und blickte von dort auf die alten Stoffschuhe an den Füßen der Mutter und auf ihre vom vielen Waschen grau gewordene Schürze. 

Erst danach wagte sie es, in das Gesicht der Mutter zu blicken, wie es die beiden Männer taten. Schweigend und mit unbewegter Miene, aber als der Vater sie hinaus schickte, um Loca an die Kette zu legen, die kläffend am Bett der Mutter hochsprang, spürte sie Schmerzen im Hals und er war plötzlich so eng, als ob etwas stecken geblieben sei, etwas, das sich trotz aller Anstrengung nicht runter schlucken ließ. 

Als sie zurückkehrte, sah sie, dass der Vater feuchte Augen hatte, ihre eigenen blieben jedoch trocken. Auch danach, als sie mit ihrer toten Mutter allein im Haus war. Der Médico hatte seine Arbeit beendet und der Vater hatte sich mit Maultier und Karren noch einmal auf den Weg gemacht, um die Verwandtschaft vom Tod der Mutter zu verständigen. 

Und selbst als die dicke Esperanza, ihre Großtante, mit vom Weinen verquollenen Augen eintraf, blieben Palomas Augen trocken. Sie saß auf einem Stuhl in einer Ecke der Sala und beobachtete, wie immer mehr Leute ankamen, saß dort und sah sich den Betrieb in ihrem sonst so stillen Haus an. Und fragte sich, ob ihrer Mutter das wohl gefallen hätte. Aber die Mutter lag drüben auf ihrem Bett und obwohl alle nur ihretwegen gekommen waren, schien es sie nichts mehr anzugehen, was hier geschah. Irgendwann wurden Paloma von all dem Zigarettenrauch der Männer und dem Stimmengemurmel und Kommen und Gehen der vielen Leute die Augen schwer und sie nickte in ihrer Ecke ein. 

Am späten Vormittag des folgenden Tages lag die Mutter, so wie es bei ihnen üblich war, bereits unter der Erde. Und da sich einige der Frauen darum kümmerten, dass alle Trauergäste ausreichend zu essen und zu trinken bekamen, ging Paloma wie gewohnt ihrer Arbeit nach. 

Sie fütterte die beiden Schweine mit dem Essen vom Vortag, das niemand angerührt hatte und während sie die Wassernäpfe füllte, fiel ihr plötzlich Mariano, ihr Bruder, ein. Mariano, der wie so viele der jungen Männer hier auf der Insel nach seinem Militärdienst auf einem Schiff angeheuert hatte, weil die Aussicht, auf Magali Arbeit zu finden, so gut wie aussichtslos war. Paloma musste daran denken, dass die Mutter diesmal nicht auf der Veranda stehen würde, um Mariano zu begrüßen, wenn er das nächste Mal nach Hause kam. Dass sie nie mehr dort stehen würde, und plötzlich war in ihrer Brust ein brennender Schmerz und Tränen stiegen ihr in die Augen. 

Sich mit dem Ärmel über das Gesicht fahrend, ging sie über den Hof und sammelte die Eier ein, aus den Körben, die in den Olivenbäumen aufgehängt waren. Blind vor Tränen griff sie hinein. 

 

An einem der Tage danach, es war bereits später Nachmittag, der Vater war draußen beim Fischen, schlug Loca plötzlich scharf an. Scharf und wütend.

Paloma trat auf die Veranda, um zu sehen, was mit dem Hund los war, als sie eine Männerstimme rufen hörte. 

„Ruhig, Loca! Hierher! Komm her!“

Vicente, einer der Brüder ihres Vaters, kam auf das Haus zu und neben ihm ging mit langen, weit greifenden Schritten ein weiterer Mann. Etliche Köpfe größer und kräftiger. 

Paloma erkannte ihn auf Anhieb wieder: der Barbudo. Der Fremde, der ihr die seltsame Kette mit dem Feldstein geschenkt hatte. 

„Wo ist mein Bruder?“, rief der Onkel. 

„Noch draußen. Mit dem Boot“, antwortete Paloma. 

„Wie?“

Der Onkel hörte schon ziemlich schlecht, Paloma musste ihre Antwort wiederholen. Sie wusste nicht, ob der Fremde sie wieder erkannt hatte, er sagte nichts, nickte nur grüßend. 

Der Onkel trat in die Sala ein und nahm sich einen der Stühle und schob auch dem Fremden einen zu, wobei er sagte: „Ich hab etwas mit deinem Vater zu bereden. Seinetwegen.“ Dabei deutete er auf den Fremden. Paloma nickte und nahm dann das Kleid an sich, an dem sie gerade arbeitete. Ein Kleid ihrer Mutter, das sie sich enger nähte, da sie ein dunkles Kleid brauchte, wenn sie hinunter in den Ort ging. 

„Gib mir ein Glas Wein und vergiss auch ihn nicht“, sagte der Onkel. 

Paloma vermutete, dass er den Fremden nur deshalb mit IHN anredete, weil er seinen Namen nicht wusste oder weil er

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 20.08.2015
ISBN: 978-3-7396-1014-6

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