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Präludium


Die Burg war von hohen, uneinnehmbaren Mauern umgeben, und ein eisenbeschlagenes Tor, welches aus schweren, hölzernen Planken gefertigt war, stellte den einzigen Zugang ins Innere dar. Auf den hohen, geschützten Wehrgängen konnten die scharfen Augen des Wanderers das Schimmern einiger polierter Harnische erkennen, welche die Strahlen des Mondes reflektierten. Hier und da blitzte ein Speer oder eine Hellebarde in der Nacht auf. Zu dieser Zeit war die Burg sehr gut bewacht. Dennoch trat der Fremde an das Tor und blickte spöttisch hinauf. Sofort erklang eine tiefe Stimme von den Wehrgängen. "Was wollt ihr zu dieser späten Stunde noch vor den Toren von Burg Marlon?", rief jemand zu ihm herab. "Ich bin Henry Mc Gregor, untertänigster Bote unseres Königs. Ich bringe eine wichtige Botschaft für euren Herrn." Mit diesen Worten hielt die Gestalt eine Schriftrolle in die Höhe. "Woher weiß ich, daß du wirklich Mc Gregor bist?", fragte die Wache misstrauisch nach. Diese Frage hing einen kurzen Moment lang in der Luft und die Zeit schien still zu stehen, bis ein weiterer Wachmann auf dem Wehrgang auftauchte. "Red' keinen Unsinn. Natürlich ist er das. Den erkenne ich selbst in der finstersten Nacht wieder. Immer die gleiche Frisur und den selben Bart. Und abgenommen hat er immer noch nicht. Das ist Henry Mc Gregor, also laßt ihn rein." Kurz darauf öffnete sich die Zugbrücke langsam mit einem lauten Knarren und gab den Blick in den, nur durch einige Fackeln beleuchteten, Innenhof frei. Der zeigte sich, genau wie das Dorf zuvor, still und verlassen. Durch das Flackern der Feuer im kühlen Nachtwind, zeigten sich unwirtliche Schatten auf den umliegenden Mauern, welche schnell hin und her huschten, viel zu schnell für das geistige Auge, um ihre Formen genau zu bestimmen. Der Wanderer überquerte den kleinen Burggraben, welcher mit dunklem Wasser gefüllt war, ohne zu zögern. Dieser Wassergraben war mit dunkelgrünem Schilf bedeckt und die ein oder andere Seerose zierte sein ansonsten eher trostloses Äußeres. Doch dieses friedliche Detail täuschte über die Gefahren hinweg, die in der Tiefe lauerten mochten. Die wenigen Wachen entzündeten weitere Fackeln, als der Bote den kargen Hof betrat. Nachdem sie das königliche Symbol auf seinem Umhang, drei goldene Löwen, entdeckten, größten sie ihn freundlich und sichtlich erleichtert. "Seid willkommen in Burg Marlon", sprach einer der Wachleute mit freundlicher Stimme. Der Bote neigte sein Haupt in stiller Erwiderung. Durch seine rechte Hand, mit der er in einer freundlichen Geste von seinem Haupt nach außen schwang, verbarg er das teuflische Grinsen auf den schmalen Lippen. "Ihr müßt einen langen Weg hinter euch haben", bemerkte die Torwache. Dunkle Augen trafen die des Wachmanns. "Oh, ich bin weiter gereist, als ihr es euch vorstellen könnt", erwiderte der Mann mit dunkler, unheimlicher Stimme. "Aber bringt mich nun endlich zu eurem Lord, die Nachricht ist dringend", ergänzte er bestimmt und machte so klar, daß er keine Widerrede akzeptierte. Nachdem die Torwache den kalten Schauer überwunden hatte, welcher ihr unwillkürlich über den Nacken lief, geleitete sie den ungeduldigen Boten hinauf in die Gemächer des Barons. 

"Seltsamer kleiner Kauz", meinte einer der zurückgebliebenen Männer zum Rest. "So spät noch alleine durch die nächtlichen Wälder zu laufen, ohne Pferd und ohne Begleitung. Der muß ja ziemlich lebensmüde sein." "Vielleicht wurden sie überfallen und er konnte durch Glück entkommen", folgerte ein anderer schulterzuckend. "Wenn das so gewesen ist, werden wir es mit Sicherheit morgen erfahren." Die Männer verwarfen ihre Gedanken kurzerhand mit einem Kopfschütteln und wendeten sich wieder ihrer langweiligen Arbeit zu. 
In den umliegenden Wäldern heulte ein weiteres Mal ein Wolf auf. Dann durchfuhr ein lauter Schrei die nächtliche Stille. Kurz darauf zerbarst ein Fenster im hohen Turm und die Wachen sahen erschrocken empor, ihre Waffen fest umgriffen. Eine Gestalt flog schreiend und mit großer Geschwindigkeit dem Boden entgegen, dann schlug sie auf. Überrascht blickten die versammelten Wachen auf die traurigen Überreste ihres Herrschers hinunter, welcher gekrümmt auf dem Steinboden lag. Seine Augen waren vor Schreck geweitet und er versuchte noch, etwas zu sagen. Doch seine Lunge und sein Mund füllten sich bereits mit Blut und so erstarben seine Worte in einem leisen Gurgeln. Sein Nachthemd war zerrissen worden und er blutete aus unzählige Wunden, als hätte ihn ein wildes Tier angegriffen.
Jedoch hatten nicht die vielen Fleischwunden sein Leben letztendlich beendet, sondern der Aufprall auf den harten Pflastersteinen. Sein schütteres, graues Haar war wirr und zerrüttet und er hatte eine Platzwunde an der Stirn. Die Wachen schraken plötzlich aus ihrem Erstaunen hoch, denn weitere entsetzte Schreie ertönten aus den Gemächern ihres Barons. Eilig rannten sie die Stufen zum Zimmer hinauf, durch die engen Gänge des Haupthauses, aber als sie die Tür endlich erreichten und aufstießen wußten sie, daß sie zu spät gekommen waren. Die Räumlichkeiten lagen verwüstet dar und boten einen schrecklichen Anblick. Das Personal war regelrecht hingerichtet und selbst die Einrichtung gänzlich zerstört worden. Die Wache, welche den Boten hinauf geführt hatte, hing in den Überresten eines Holzschrankes. Ihr Oberkörper war durch die Tür geschlagen worden, während die Beine noch davor baumelten. Keinen besseren Anblick boten die beiden Leibwächter des Barons. Ein langer Speer hatte den Körper des einen durchbohrt und dem anderen war der Kopf einfach vom Rumpf abgetrennt worden. Das komplette Zimmer war blutverschmiert, ein wahres Massaker. Die Männer durchsuchten jeden Zentimeter der Burg, in der Hoffnung Mc Gregor zu finden und ihn für seine grauenhaften Taten richten zu können. Doch auf eine unerklärliche Weise konnte er entkommen. Die Wachen konnten sich weder das unentdeckte Fliehen des Boten erklären, noch war es ihnen verständlich, wie er den Baron und das Personal so schnell hatte töten können. Viele Männer grübelten noch den Rest der Nacht über diese Schauerhaften Phänomene nach, doch sie konnten keine festen Schlüsse daraus ziehen, weder über den Tathergang, noch über die Flucht des Boten. Und sie sollten es auch nie erfahren. Nimrod, der Vampir, war bereits weit von der Burg entfernt. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine blutigen Lippen, als er sich noch einmal mit der Zunge darüber fuhr. Der Baron würde ihn kein weiters Mal bedrohen. "Niemand wird mich je wieder bedrohen können", rief sich der alte, mächtige Vampir in Erinnerung. Hoch oben auf dem Plateau stand er nun, wieder in seiner ursprünglichen Gestalt und fuhr sich mit seinen langen, Klauenbewehrten Fingern durch sein schwarzes Haar. Eine weitere Briese kam auf und sein Haar so wie sein Umhang flatterten umher, als würden sie von etlichen unsichtbaren Händen bewegt. Die dunkle Gestalt bot einen starken Kontrast vor der hell leuchtenden Scheibe des Mondes und war so auf ihrem erhobenen Ausguck gut zu erkennen. Schließlich wirbelte Nimrod herum und wurde von der Finsternis der Nacht verschluckt, so, wie er es zuvor in den Schatten der Bäume getan hatte. Der Regen hatte wieder eingesetzt und das leise Plätschern des Baches war einem stetigen Rauschen gewichen. Diese starken Regenfälle waren in dieser Gegend keine Seltenheit. Die acht Männer hüllten sich in dicke Decken, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen und das Murren und Fluchen hatten sie bereits drangegeben. Sie fanden sich mit ihrem Schicksal ab. Es waren schon einige Tage seit dem nächtlichen Vorfall auf Burg Marlon vergangen und die Aufregung hatte sich gelegt. Zwar war die Suche nach Henry Mc Gregor noch nicht beendet, schließlich war immer noch ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, aber keiner der Männer hegte große Hoffnungen, diesen Verbrecher noch zu erwischen. Langsam trotteten die Pferde einen kleinen Waldpfad entlang und es schüttete ohne eine Aussicht auf baldige Besserung. er ihnen zeigte sich der Himmel immer noch in tristem Grau, denn die Wolkendecke verdunkelte das Land. Der übliche feste und gut begehbare Waldboden war unter dem stetigen Regen nun eher eine Moorlandschaft, wodurch die Reise für die Reiter wesentlich schwieriger wurde. Es war das eintönige Klappern etlicher Waffen zu hören, welche sich über die Geräusche des Regens hinwegsetzten. Die Rüstungen ruhten unbequem auf den Schultern ihrer Träger und diese beteten um eine Gelegenheit, diese Panzer endlich loszuwerden. Sie erreichten eine kleine Lichtung, aber trotz des fehlenden Blätterdaches war sie in absolute Dunkelheit gehüllt. "Wir werden hier unser Nachtlager aufschlagen", rief der Hauptmann bestimmt über das Prasseln des Regens hinweg. Seufzer der Erleichterung waren zu hören. "Baut die Zelte in einem Kreis auf und bindet die Pferde an diese Bäume", sprach er und deutete mit einer gepanzerten Hand auf eine geeignete Stelle. Das Unwetter wurde immer stärker und erste Blitze durchfuhren die Nacht und erhellten kurz das düstere Szenario. Durch das Licht konnten die Männer eine Gestalt erkennen, die sitzend an einem Baumstamm lehnte. Mit einem Klirren wurden die ersten Schwerter gezogen, doch der Hauptmann trat beruhigend vor seine Männer. 


"Gebt euch zu erkennen, Fremder!", rief er der Gestalt entgegen und sein Ausruf wurde durch einen lauten Donner untermauert. Aber es kam keine Antwort, der Fremde bewegte sich nicht einmal. Vorsichtig näherte sich der Hauptmann dem Baumstamm und als er keinen Katzensprung mehr entfernt war züngelte ein weiterer Blitz durch den bewölkten Himmel und die Dunkelheit wich für einen kurzen Augenblick zurück. Sie hatten Henry Mc Gregor endlich gefunden. Die aufgeweichte, aufgedunsene Leiche zeigte schon die ersten Verwesungserscheinungen. Sein Gesicht war bleich und von Maden zerfressen. Ein verrostetet Schwert ragte aus seinem Körper und nagelte ihn so an den Stamm des Baumes. Der Verwesungsgestank war nun deutlich wahrnehmbar und der Hauptmann zog schnell seinen Mantel vor die Nase, um sich vor dem widerwärtigen Geruch zu schützen. "Oh mein Gott", ertönte es erschrocken aus den hinteren Reihen der Männer. William, Hauptmann der königlichen Garde schritt noch näher an den Leichnam heran, doch schrak er sofort zurück und hielt sein Schwert schützend vor seinen Körper, als sich der Kopf des Toten langsam nach vorne neigte. Henry war noch gar nicht tot. Vor Grauen wankte William zurück, verfing sich dabei in einigen abgestorbenen Ästen und fiel schreiend zu Boden.
Ein schwarzer Rabe flatterte auf den Wipfel eines entlegenen Baumes. Der Vogel hatte ein sauberes Loch in den Schädel des Toten gehackt und sich von seinen Innereien ernährt. Die verängstigten Männer waren sichtlich erleichtert und ein leises Gelächter machte sich in ihren Reihen breit. William erhob sich, erzürnt über seine eigene Dummheit, aus dem Matsch und funkelte seine Männer mit wütendem Blick an. Doch dann fiel er in ihr Gelächter mit ein. Endlich war ihre schmutzige Arbeit getan und sie konnten zu ihren Familien nach Hause zurückkehren. Ein weiterer Blitz durchfuhr den nächtlichen Himmel und die versammelten Soldaten blickten ein weiteres Mal in Richtung der vermoderten Leiche. "Wo um Himmelswillen....?", doch Henry Mc Gregors Leiche war wie vom Erdboden verschluckt. Panisch drehten sich die Männer um und versuchten die Leiche doch noch ausfindig zu machen. "Das ist unmöglich, der war gerade noch hier", schrie William und versuchte sich über den Lärm des Donners verständlich zu machen. Dann durchfuhr ein Schrei des Schreckens die Nacht. Die Soldaten wirbelten herum doch was ihre Augen da erblickten, lies ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Die Leiche Mc Gregors hatte einen einzelnen Mann ergriffen und streckte ihn gerade mit einem ungelenken Schlag nieder. Dieser mußte eine ungeheure Wucht gehabt haben, denn der stabile Helm des Mannes war sofort verbeult und sein schlaffer Körper fiel zu Boden. Die entsetzten Männer konnten sich nicht bewegen, außer William, welcher mutig mit gezogenem Schwert der Kreatur gegenüber trat.Dieses untote Wesen stieß einen tiefen, grollenden Schrei aus, welcher den Männern bis ins Mark drang. Dann riß es die verrotteten Arme hoch und griff an, viel schneller als es William für möglich gehalten hätte. Dennoch gelang es ihm, den Klauen zu entkommen und seinerseits mit seiner Klinge eine klaffende Wunde in den Rücken der Kreatur zu schlagen. Die anderen Soldaten kamen endlich zur Besinnung und umzingelten den Untoten geschwind. Aber bald mußten sie feststellen, daß ihre Waffen es nicht vermochten, dem Wesen ernsthaft zu schaden, denn die Wunden schlossen sich binnen weniger Sekunden wieder gänzlich. Dem Wesen war es mittlerweile gelungen, zwei weitere Männer zu töten, welche nicht schnell genug ausweichen konnten und der ungeheuren Kraft des Monsters zum Opfer fielen. Verzweifelt wanderten die Augen von William zu seinen vier Männern, die trotzig die Stellung hielten. Nein, es mußte einen Weg geben seine Männer und sich selbst hier lebend rauszubekommen. Aber wenn sie weggerannt wären, hätte das schnelle Wesen mindestens noch zwei von ihnen erwischt.
William dachte gerade über die Situation nach, während seine Männer tapfer die Schläge der Kreatur parierten und immer wieder ihre Klingen in dem Fleisch des Untoten vergruben. Plötzlich sprang das Wesen zurück und hielt inne. Die versammelten Soldaten blickten sich beunruhigt um und sahen schnell den Grund für diese unverhoffte Pause. Eine Gestalt trat mit gezogenem Schwert aus dem Dickicht auf die Lichtung. Sie trug einen schweren Mantel und ihre Gesichtszüge wurden von einer Kapuze verdeckt. "Kann ich hier irgendwie behilflich sein", sprach sie finster und schaute sich um. Ihre Stimme klang wie Honig und man vernahm deutlich die Ironie, welche darin mitschwang. "Wir können jede Hilfe gebrauchen, Sir", erwiderte William erschöpft und dankbar, "aber eure Waffe wird euch nicht viel nützen". Die Gestalt trat in den Kreis der Soldaten und war jetzt nicht mehr weit von William entfernt. Er warf seine Kapuze zurück und sein schwarzes, langes Haar fiel über seine Schultern. "Wer behauptet, daß ich mit euch gesprochen habe", konterte Nimrod unheilvoll und ehe William verstand, was vor sich ging, hatte Nimrod sein Schwert in dessen Brust gestoßen. 

Nachdem William blutend dem Boden entgegen fiel begriffen auch seine Männer, daß dieser Kampf aussichtslos war und versuchten zu fliehen. Doch keiner der Soldaten sollte die Lichtung lebendig verlassen. Niemand hörte die grauenvollen Schreie voller Schmerz und Agonie, als auch den Männern diese Tatsache bewußt wurde. Danach verschwand Nimrod mit seinem Zombie in den dunklen Schatten der Nacht und nur ein grausiges, eiskaltes Lachen war zu hören. Von nun an wurde der Vampir eine sehr, sehr lange Zeit nicht mehr gesehen.


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Tag der Veröffentlichung: 16.03.2012

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